Kitabı oku: «In Your Arms», sayfa 3

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Kapitel 2 – Sehnsüchtige Träume

Kleine bauschige, schneeweiße Wölkchen zieren einen hoffnungsvollen dunkelblauen Aprilhimmel. Bäume tragen ihre üppige rosa und weiße Blütenpracht selbstbewusst zur Schau. Vereinzelte Blütenblätter tanzen verspielt-fröhlich durch die süßlich duftende Frühlingsluft und lassen sich zärtlich auf das satte dunkelgrüne Gras nieder.

Inmitten dieser prachtvollen, verschwenderischen Schönheit steht ihre zierliche Gestalt. Ein kurzes Kleid schmückt ihren betörenden Leib – so weiß wie die uns umgebenden abertausenden Apfelblüten. Das goldene Haar umrahmt ihr engelsgleiches Gesicht. Dunkelblaue in meine Seele zu blicken vermögende Iriden, so strahlend wie der Himmel über uns, lassen mein Herz höherschlagen.

Ich fasse nach ihrer behandschuhten Hand. Rosa Lippen treffen auf meine. Meine Finger vergraben sich in ihr Haar. Ein süßer Seufzer bringt mein Herz zum Rasen. Behutsam leite ich sie zu Boden – keine Sekunde von ihr ablassend –

»Jan?«

Er schreckte hoch – und schlug sich den Kopf an der Dunstabzugshaube.

In drei Teufels Namen.

Tina beäugte ihn besorgt. »Hast du dich verletzt?«

»Nein … nein.« Kopfschüttelnd fuhr er sich durchs Haar. »… es geht schon.«

»Wo warst du mit deinen Gedanken? Ich habe dich fünfmal gerufen.« In ihren Händen hielt sie einen Stoß schmutziges Geschirr.

»Ich äh … stell die Teller gleich –« Sein Blick huschte über hochgetürmte Fleisch- und Suppenteller, Kaffeetassen, Pfannen und Unmengen Besteck, das längst abgewaschen gehörte.

»Genau darüber wollte ich mit dir sprechen«, kam es leicht genervt aus ihrem Mund. »Ich habe keinen Platz mehr zum Hinstellen. Und langsam fallen mir die Hände ab.«

Eine Welle Adrenalin brachte sein Herz zum Pumpen. »Tut mir leid. Ich bin heute nicht sonderlich gut drauf.« Hastig griff er nach zwei großen Pfannen und ließ diese in das mit stark schäumendem Geschirrspülmittel versetzte warme Wasser des Edelstahlspülbeckens gleiten.

Er musste seine Träumereien auf heute Abend verschieben, ehe er sich in ernsthafte Schwierigkeiten brachte …

Für seine Ohren wie gewöhnlich einen Tick zu laut, stellte Tina die Teller auf den frei gewordenen Platz. »Das wären die Letzten.«

Mit geübten Händen fing er an, die größere der zwei Pfannen zu schrubben. »Haben die Gäste sich in ihre Zimmer begeben?«

»Nein, die machen einen Spaziergang.« Es folgte eine Kunstpause, in welcher Jan sich bereits gut vorstellen konnte, wie Tina ihr hübsches Gesicht verzog. »Bei dem scheußlichen Wetter! Unglaublich.«

Unvermittelt huschte ihm ein sanftes Lächeln über die Lippen.

Sie hatte den Schnee noch nie sonderlich viel Positives abgewinnen können.

»Wie verrückt muss man sein, jetzt freiwillig vor die Tür zu treten?« Dies sagte sie in einem Ton, als würde draußen der Tod auf eine jede arme Seele warten, die sich bei einem solchen Wetter hinauswagte.

Neue schmerzhaft scheppernde Geräusche brachten Jan beinahe dazu, die Ohren zuzuhalten. Darauf folgte ein Türenknallen der Küchenkästen, worauf er seiner Kollegin mit dem frechen roten Kurzhaarschnitt einen schnellen Blick zuwarf.

Unerheblich wie oft er es in seinem Leben zu ignorieren versucht hatte, der ruppige Umgang mit Gegenständen tat ihm ohne Ausnahme in der Seele weh. Selbst, wenn solch robuste Alltagsgegenstände wie Pfannen oder loses Besteck weggeräumt wurden.

Es war ein blitzartiger silberner Schmerz, der von seiner Brust aus durch seinen Magen rauschte und in Beinen und Armen ein abruptes Ende fand.

Jan verlor niemals ein Wort darüber.

Zu schwer wog die Furcht, auf eine ähnliche Weise gehänselt zu werden, wie von seinen einstigen Schulkollegen.

In ferner Vergangenheit und in einer unbedachten Minute hatte er einen seiner guten Freunde und Klassenkameraden gebeten, das Wasserglas nicht solcherweise laut auf den Tisch zurückzustellen – erstens, weil es ihm stets in den Ohren wehtat und zweitens, weil ihm das Glas leidtat.

Hätte er dieses zweite Argument niemals laut ausgesprochen!

Ab diesem Zeitpunkt hatte er seine ohnedies spärlichen Freunde verloren, und war zu allem Übel angesehene Zielscheibe für Neckereien der eigenen und der Parallelklasse geworden.

»Der Dinge-Liebhaber« hatten sie ihn geschimpft. »Der verrückte Jan« oder »der Glasophile« waren weitere Spitznamen, welche er erhalten und sich bis zum Ende der Schulzeit hatte anhören müssen – nebst anderen erfundenen Ansichten und aufgezwungenen, nicht existenten Charaktereigenschaften …

Obgleich es eine unwahrscheinlich harte Zeit dargestellt hatte, wollte er sie nicht aus seinem Leben streichen. Sie gehörte zu ihm. Sie hatte ihn zu der Person gemacht, welche er heute darstellte. Sie war ihm eine große Lehre gewesen. Eine Lehre, darauf zu achten, was er sagte und wie er es sagte. Eine Lehre, Menschen nicht blind zu vertrauen. Eine Lehre, nicht von sich selbst auf andere schließen zu dürfen.

Aber die wichtigste Lehre stellte nach wie vor die folgende dar: Mobbing war heimtückisch – ja, tödlich. Es raubte dir deine Freude, dein Vertrauen, deine Unbeschwertheit, dein Glück und deine Fantasie.

Jan wusste, wovon er sprach, schließlich hatte er Jahre gebraucht, um sich von den Schikanen der Schulzeit zu erholen, neues Selbstwertgefühl sowie Vertrauen aufzubauen.

Im Grunde genommen kämpfte er nach wie vor damit.

Zu jener Zeit hatte er sich etwas geschworen: Niemals mehr würde er Mobbing zulassen – weder bei sich selbst noch bei anderen.

Man konnte ihn schüchtern nennen, oder einen Trau-mich-Nicht – bei Mobbing allerdings hatte er stets die Stimme erhoben. Manchmal mit mäßigem, manchmal mit großem Erfolg. Manchmal hatte er auch den Kürzeren gezogen. Doch das war ihm gleich. Von seinem Standpunkt rückte er keinen Zentimeter ab. Nicht, solange er lebte.

»Nun, dergestalt schlimm ist das Wetter nun auch nicht«, erwiderte er, Tinas Arbeitsweise und seine Erinnerungen ignorierend und sich wieder auf den Abwasch konzentrierend. »Die Natur sieht doch schön aus, wenn sie mit dieser weißen Pracht zugedeckt wird.«

»Die Eiseskälte und das grauenhafte gefrorene Zeugs, das dir die ganze Zeit in dein Gesicht weht? Nein danke!«

Jan verstand sie nicht.

Er liebte den Schnee. Seit jeher. Das Funkeln in der Sonne. Der metallische Geruch vor einem Schneesturm. Die dicken durch die Luft wirbelnden Schneeflocken …

Was gab es da an Schönheit Vergleichbares?

Gedanklich seufzend fiel ihm lediglich eine Sache ein: die wahre Liebe.

Mit seiner wahren Liebe bei solch einem Wetter eng umschlungen einen Spaziergang machen – dies konnte an Romantik nicht überboten werden.

»Ich würde gern rausgehen«, murmelte er, das schmerzende Gefühl der Einsamkeit unterdrückend.

»Nachdem das Abendessen beendet ist«, schlug seine Kollegin vor und warf lautstark eine weitere Schranktür zu. »Kannst du ja eine Runde drehen.«

Leider fehlte ihm dazu die passende Begleitung …

»Mhm.«

»Beeilt euch!«

Ein sanfter Adrenalinausstoß brachte Jans Herz abermals in Schwung.

Der Chefkoch.

»So lange habt ihr schon lange nicht mehr gebraucht. Macht euch das Wetter zu schaffen?« Der dunkelhaarige fünfundvierzigjährige großgewachsene schlanke Mann griff nach einem langen Suppenschöpfer. »In zwei Stunden muss das Abendessen fertig sein.«

»Übertreib nicht so, Cheffe«, erwiderte Tina keck. »Wir sind nicht langsamer als sonst!«

Tina liebte es, Christof Paroli zu bieten. Die beiden neckten sich ohnehin täglich, sich wohl gewahr, vom anderen stets das Beste zu halten. Sie waren ein eingespieltes Team, darum durfte Tina sich diesen frechen Umgangston erlauben.

Jan hingegen hätte sich nie angemaßt, auf eine solche selbstsichere, aufgeweckte Weise zu antworten – dafür war er grundsätzlich zu schüchtern. Darüber hinaus wollte er sich nicht unbeliebt machen oder negativ auffallen. Ihm war es lediglich wichtig, einen Job zu haben, in welchem er von seinen Kollegen akzeptiert wurde und sich wohlfühlte.

Alles andere war Nebensache.

Er fasste nach den Fleischtellern. »Wie lange noch bleibt die Hochzeitsgesellschaft?«

Als der Hotelchef vor einigen Tagen von einer dreißigköpfigen Hochzeitsrunde erzählt hatte, welche eine Trauung in einem derart abgelegenen Dörfchen wie das ihre veranstalten wollte, war Jan zu allererst von einem Scherz ausgegangen.

Wer bitte schön heiratete auch im Januar?

Die schönste Zeit stellte nach wie vor der Frühling dar! Blühende Pflanzen, wohin man sah, angenehme Temperaturen und ein leichter Wind, welcher die langen Haare der Braut zum Wehen brachte.

»Morgen reisen die ersten Personen wieder ab.«

Stirnrunzelnd drehte er sich zu Christof. »Wann haben sie denn geheiratet?«

Es war ihm nicht aufgefallen, wie die gesammelten Gäste sich in die vom Hotel einen Kilometer entfernte Kirche begeben hatten. Und überhaupt: Wie war die Braut durch den Schneesturm gestapft … mit wallendem Schleier und Highheels?

Tinas kehliges Kichern erklang. »Na, heute.«

»Wirklich?« Mit warm werdenden Wangen blickte er zu seiner Kollegin. »Das habe ich nicht bemerkt.« Neuerlich das Bild einer durch Sturm und Schnee kämpfenden Frau vor sich sehend wandte er sich wieder dem Abwasch zu.

Tina trat zu ihm und tippte ihm auf die Stirn. »Du warst mit deinen Gedanken wohl wieder irgendwo am anderen Ende der Galaxie.«

Himmelherrgott!

Dies bewies einmal mehr, dass seine kleinen gedanklichen Ausflüchte allmählich ein ungesundes Maß erreichten.

»Ja, wahrscheinlich«, gab er kleinlaut zurück.

Allerdings konnte und durfte ihm dies niemand verübeln!

Was war ihm neben seinen Träumereien noch geblieben?

Tagein, tagaus arbeitete er als Kellner und Abwäscher, einzig um seine Schulden zu tilgen, welche durch seinen gefloppten Roman entstanden waren.

Dabei hatte alles unwahrscheinlich zuversichtlich ausgesehen: Ein renommierter Verlag hatte seinen Roman angenommen – ihm einen Durchbruch zugesichert. Er hatte es geglaubt und in weiterer Folge einen Kredit aufgenommen, um die horrenden Verlagskosten, welche sich aus Druck, Lektorarbeit und Vermarktung zusammensetzten, bezahlen zu können. Zwar verkaufte sich das Buch – selbst jetzt brachte es ihm etwas Geld ein – jedoch bei Weitem nicht genug, um davon leben zu können, geschweige denn den Kredit abzubezahlen.

Jan griff nach dem Spülmittel und drückte etwas von der gelben Flüssigkeit auf den grünen Schwamm.

Nach einigen Monaten – als die Verkaufszahlen einfach nicht weiter ansteigen und ihm keine Ideen für einen neuen Roman einfallen wollten – musste er sich eingestehen, dass die Sache mit der Schriftstellerei damit ein jähes Ende gefunden hatte. Spätestens die Raten, welche er nicht mehr abzubezahlen vermochte, drängten ihn – trotz gewaltigen Widerstandes seiner damaligen Verlobten und Jugendliebe – einen Job als Kellner in einer Schnellimbiss-Kette anzunehmen. Jeden Tag, sieben Tage die Woche hatte er geschuftet und damit nicht bloß seinen Jugendtraum aufgegeben, sondern letzten Endes seine große Liebe verloren, die ihn aufgrund nicht mehr gemeinsam verbrachter Freizeitaktivitäten wie Tanzen, Schwimmen, Ausgehen, Shoppen sowie den Verlust seiner finanziellen Stabilität den Laufpass gegeben hatte.

Gedanklich seufzend schwemmte er den Teller ab.

Jeder Mensch musste einmal arbeiten gehen! Weshalb hatte sie diesen Umstand dazu benutzt, ihn zu verlassen? Schließlich hatte er sich stets mit ihr beschäftigt, ihr all die Zuneigung und Liebe entgegengebracht, die sie wollte und die sie brauchte!

Ihr Argument bezüglich seiner finanziellen Situation verstand er jedoch am wenigsten – selbst jetzt brachte sie ihn um den Schlaf. Damals hatte sie zu seinem Heiratsantrag Ja gesagt. Wenn sie ihn dermaßen geliebt hatte, hätte Geld streng genommen an zweiter Stelle stehen müssen, oder etwa nicht?

Jäh fiel ihm ein weiterer Trennungsgrund ein, welchen seine Verflossene ihm brühwarm und gefühllos ins Gesicht geschleudert hatte –

»Jan, träumst du schon wieder?« Tinas Stimme zerriss jegliche Erinnerungen und entfesselte in ihm einen mittelschweren Adrenalinausstoß.

»N … nein.« Mit zitternden Händen setzte er den Abwasch fort. »Nein.«

Was war heute denn los mit ihm?

Hatte er etwa einen Moralischen? Oder lag es tatsächlich bloß am stürmischen Wetter, welches das Feuer der Sehnsucht nach der wahren Liebe in ihm schürte?


Die Eine


Wir lustwandeln durch die vereiste, tief verschneite Winterlandschaft. Die über und über mit Schnee beladenen Zweige neigen sich bedrohlich unter der Last der weißen Pracht. Doch die Stärke, welche in ihren zarten Adern fließt, lässt sie gegen die unbeugsamen Kräfte der Erdanziehung bestehen.

Die mit Christina um die Wette strahlende Sonne und ein paar den Frühling sehnlichst herbeisingende Vögel begleiten uns auf unserem romantischen Spaziergang durch die lang gezogene Allee.

Ich ziehe Christina näher zu mir.

Wie schön das Empfinden, sie endlich bei mir zu wissen. Wenngleich ich mir noch immer nicht über ihrer Gefühle zu mir gewahr bin.

Mag sie mich?

Liebt sie mich?

Ein scheuer Blick, ein unsicheres Lächeln, errötende Wangen.

Sie ist so schön. So schön wie eine Göttin. So schön wie ein Engel des Herrn.

»Solcherweise lange habe ich gehofft, du würdest mich ansprechen«, fängt sie zögerlich und mit zusehends heißer werdenden Wangen zu erzählen an. »Aber irgendwann gab ich es auf … Und dann, aus heiterem Himmel, fragst du mich das, was ich mir sehnlichst wünschte.«

Mein Herz beginnt zu rasen.

Kann es die Möglichkeit sein? Waren ihre langen Blicke doch keine Einbildung gewesen?

»Ich … ich habe nichts davon geahnt.« Mein Arm zieht sie noch näher zu mir. »Ich dachte, du hättest kein Interesse.«

Verwunderung spiegelt sich in ihrem betörenden Angesicht wider. »Aber nein!« Ich spüre, wie sie ihren Arm um den meinen schlingt. »Jeden Tag dachte ich ›Heute spricht er mich an. Heute wird er etwas sagen.‹ –« Sie senkt das Haupt. »Aber nie kam es dazu.« Dies verlautet, finden ihre wunderschönen blauen Augen wieder die meinen. »Bis letzten Dienstag.« Ein gewaltiges Lächeln lässt ihr Seelenlicht erstrahlen. »Zuallererst dachte ich, ich würde träumen. Es war surreal.«

»Mein Gott … Christina … wenn ich das gewusst hätte, hätte ich dich bereits vor einem halben Jahr angesprochen.«

Wir bleiben stehen.

Sie dreht sich gänzlich zu mir und fasst nach meinen Händen.

»Ich war unsicher«, gebe ich schweren Herzens zu. »… bisher erhielt ich ausnahmslos Absagen. Ich fürchtete mich unwahrscheinlich davor, auch von dir weggestoßen zu werden.«

Sie schüttelt den Kopf. »Niemals hätte ich dich weggestoßen.«

Langsam lehne ich mich zu ihr. Ihre rosa Lippen erinnern an frisch aufgeblühte zärtlich duftende Rosen in der heißen Junisonne, welche der zu hart gewordenen Welt ihre jugendliche, durch naive Hoffnung und Tatendrang bestehende Schönheit stolz präsentieren.

»Selbst dann nicht, wenn ich dich küsse?«

Sie erzittert.

»Geht es dir zu schnell?« Ich suche ihren Blick. »Sag mir, wenn es dir unbehaglich wird.«

Ein beinahe unmerkliches Kopfschütteln folgt. »Ich bin lediglich etwas … verunsichert. Zwar hatte ich Verabredungen … aber noch nie hat jemand mich zu küssen versucht.«

Hitze erfasst mich. »Noch nie?«

Kummer huscht über ihr bildhübsches Angesicht. »Noch nie.«

»Darf ich dich küssen? Lässt du mich es dir zeigen, wie schön es sich anfühlen kann?«

Christinas unaussprechlich scheues Nicken lässt meinen Worten Taten folgen.

Ein neues Zittern ergreift Besitz von ihr. Meine rechte Hand legt sich um ihre Taille, meine linke auf ihren Hinterkopf. Sachte, unaussprechlich sachte lasse ich meine Lippen über ihre tanzen. Ein nahezu unhörbares Seufzen verlässt ihren Mund, gleichzeitig schlingen ihre Arme sich um meinen Oberkörper. Ich verliere mich in den durch ihre weichen, süßschmeckenden Lippen hervorgerufenen prickelnden unkontrollierbar durch meine Seele stürmenden Gefühlen, gestatte mir, mich in ihre zarten Arme fallen und von ihrem blumig pudrigen Parfum jegliche Zweifel nehmen zu lassen.

Sie ist es.

Ich weiß es.

Sie ist diejenige, welche.

Kapitel 3 – Eine Rettung und ein Herzenswunsch


Finsternis hatte sich über die verschneite Landschaft gelegt.

Als ich vor zehn Minuten meine Seitenscheibe von einer dicken Schneeschicht befreit hatte, hatte ich mich davon bezeugen dürfen, wie wenig die sinkenden Temperaturen dem starken Schneefall ausmachten.

Drei Stunden.

Drei geschlagene Stunden wartete ich nun auf Hilfe! Doch niemand war vorbeigefahren. Keine einzige Menschenseele.

Zitternd drückte ich mich tiefer in den Sitz.

Ich steckte ganz schön in der Klemme.

Wenn wahrhaftig niemand mehr vorbei kam, was sollte ich dann tun? Bei dem Wetter sich zu Fuß auf den Weg zu machen, wäre einem Selbstmord gleichzusetzen. Die letzte Ortschaft lag über zehn Kilometer weit entfernt. Und die Nächste tauchte ebenfalls erst in ungefähr zehn Kilometern auf.

Ich richtete meine Brille.

Wie es aussah, musste ich weiterhin untätig in meinem erkalteten Wagen auf Hilfe warten –

Zwei Lichtstrahlen verdrängten meine Überlegungen. Da wo sie die Dunkelheit durchschnitten, enthüllten sie mir allmählich kritische Ausmaße annehmendes Schneegestöber.

Ein Auto, schoss es mir durch den Kopf. Das muss ein Auto sein!

Hektisch und mit rasendem Puls riss ich die Wagentür auf und stolperte hinaus.

Ungefähr vierzig Meter von mir entfernt erblickte ich ein von Schneeflocken umwehtes Fahrzeug.

Das konnte meine Rettung sein!

Gleichermaßen wie Erleichterung sich in meiner Seele ausbreitete, tauchte meine vertraute Menschenscheue auf.

Der schiere Gedanke daran, einer wildfremden Person meine missliche Lage zu erklären, bescherte mir einen heftigen Adrenalinausstoß.

Ich ordnete mich zur Ruhe.

Es brachte nichts, vor Panik durchzudrehen. Ohne Hilfe war ich verloren. Das war Fakt. Demzufolge blieb mir gar nichts anderes übrig, als meine Schüchternheit auf die Seite zu schieben, meine Arme nach oben zu reißen und zu winken.

Hoffentlich sah mich der Fahrer … er musste mich einfach sehen!

Nach einigen Momenten erkannte ich eine Schaufel, welche pulvrige Massen an Schnee auf die Seite schob.

Ein Schneepflug.

Während ich weiterhin wie verrückt mit den Armen schwenkte, setzte ich einen Schritt Richtung Straße.

Das Fahrzeug drosselte die Geschwindigkeit.

Oh, Gott sei Dank!

Dafür beschleunigte mein Herzschlag sich nochmals um gut fünfzig Prozent.

Würde die Person mich mitnehmen? Würde sie mir helfen wollen? Oder würde sie Geld verlangen? Geld, das ich nicht hatte …

Mit leicht quietschenden Bremsen wurde das Fahrzeug zum Stehen gebracht. Die Fahrertür öffnete sich und ein graubärtiger Mann gekleidet mit einer dicken braunen Winterjacke, orangefarbenen Hosen und einer roten Haube auf dem Kopf stieg aus.

»Was machen Sie denn hier?« Den Ton in seiner Stimme vermochte ich nicht recht einzuschätzen. Klang er vorwurfsvoll oder doch ein wenig besorgt?

»Ich war auf den Weg zu meinen Eltern«, versuchte ich zu erklären und zeigte in die Richtung, in welche ich weiterfahren wollte. »Vier Dörfer weiter … bin dann aber ins Schleudern geraten und hier steckengeblieben … Wäre es möglich … könnten Sie mich mitnehmen?«

Ich wunderte mich, wie schnell und flüssig ich mein Ansinnen über die Lippen gebracht hatte. In der Vergangenheit war mir dies nie gelungen.

»Das würde ich sofort machen«, antwortete er sachlich. »Aber leider ist die Straße gesperrt worden.«

»Was?« Mir wurde es flau im Magen. »… Aber wieso das?«

»Umgestürzte Bäume.« Er blickte in die Richtung, aus der ich gekommen war. »Und auf der anderen Seite siehts nicht besser aus … ich habe gerade erst die Nachricht erhalten.« Er tippte auf das in seiner Brusttasche herauslugende Funkgerät. »Und in den nächsten Tagen wird sich an diesem Zustand mit Sicherheit nichts großartig ändern.«

Leichte Panik züngelte hoch in mir. »Und wie kommen wir von dieser Straße runter?«

Etwa überhaupt nicht?

Musste ich die nächsten zwei, drei Tage hier ausharren und warten? Das konnte einfach nicht sein, oder?

Er nickte nach rechts in den Wald. »Ein paar Kilometer weiter geht eine Straße in ein abgelegenes Dorf, in dem ich aufgewachsen bin. Dort wollte ich warten, bis sich das Wetter etwas beruhigt hat.«

Seine Worte brachten mir bloß geringe Erleichterung.

Ich knetete die Hände.

Würde er mich mitnehmen? Oder müsste ich zu Fuß dorthin gehen?

»Würden Sie mich … könnten Sie mich mitnehmen?« Nervosität veranlasste mich, meine Nase zu kratzen. »… Ich weiß nicht, was ich tun soll. Mein Wagen steckt fest –«

Ein breites sich in sein Gesicht schleichendes Lächeln ließ mich verstummen. »Ich kann sogar noch etwas Besseres … Ich ziehe Ihren Wagen heraus. Dann können Sie mir bis ins Dorf nachfahren.«

Ich fühlte mich um tausend Felsbrocken erleichtert. »Ja wirklich? Das würden Sie tun?«

Er nickte. »Na sicher! Überhaupt kein Problem. Das geht ganz schnell.«

Und er behielt recht.

Keine zehn Minuten benötigte er, um meinen Wagen aus dem Schneehaufen herauszuziehen.

»Folgen Sie mir«, rief er mir zu, während er in den Schneepflug einstieg. »Es ist nicht weit.«



Mit klopfendem Herzen hielt ich das Lenkrad verkrampft in den Händen, eine konstante Geschwindigkeit von dreißig Kilometern pro Stunde beibehaltend. Eine Armee an Schneeflocken wehte gegen meine Frontscheibe, erweckte den Anschein, sämtliche Fahrzeuge an einer Weiterfahrt hindern zu wollen.

Ich fühlte mich erschöpft, und die Angst, nochmals die Kontrolle über mein Fahrzeug zu verlieren, nagte an meinen Nerven.

Reiß dich zusammen, Liza! … Du hast alles richtig gemacht. Der Mann scheint ebenfalls nett zu sein. Und dein Auto fährt. Alles ist gut ausgegangen.

Ja, alles war gut ausgegangen. Meine Zweifel waren komplett umsonst gewesen. Somit wurde es höchste Zeit, dass meine nervliche Anspannung sich legte …

Meine Gedanken schweiften ab.

Wann hatte es eigentlich zuletzt solchermaßen heftig geschneit?

Das musste mindestens fünf Jahre zurückliegen.

Wie schön es als Kind gewesen war, im tiefen Schnee zu spielen … mit kalten Beinen und nassen Haaren in die wohlig warme, gut duftende Stube zu treten … Ein heißer Kakao … Buchteln mit Vanillesoße … Kekse … fröhliche Weihnachtsdekoration …

Weiße Weihnachten … Das hatte es lange nicht mehr gegeben.

Würde ich es noch einmal erleben dürfen?

Die von dem alten Herrn erwähnte auftauchende Straßengabelung beförderte mich aus der Vergangenheit zurück ins Hier und Jetzt.

Während wir links abbogen, erblickte ich ein beinahe zur Gänze zugeschneites Straßenschild. Lediglich die ersten zwei Lettern waren zu erkennen: »Se« und auf einer kleineren Zusatztafel darunter »10 km«.

Wenn ich mich nicht gänzlich irrte, bedeutete dies, für weitere zwanzig Minuten die Konzentration beizubehalten.

Dichtes, von der Schneelast sich allmählich gefährlich nach unten beugendes Nadelgehölz säumte die unbekannte, in Dunkelheit liegende Landstraße.

Wie mochte das Dorf heißen?

Ich konnte mich partout nicht daran erinnern, je ein Schild mit diesen Anfangsbuchstaben gesehen zu haben – weder ein paar Dörfer davor noch danach. Und die Einfahrt zu dieser Nebenstraße war mir genauso wenig aufgefallen.

Nach weiteren endlosen Minuten des Kopfzermarterns ließ ich es dabei bewenden und schaltete das Radio an.

»Driving Home for Christmas«, drang aus meinen Radioboxen.

Ich musste schmunzeln.

Mein Lieblingslied.

Die Melodie, der Text – die dadurch entfesselten Gefühle … es erinnerte mich ebenfalls an meine Kindheit. An diese wundervolle Zeit ohne Zweifel, Ängste und Sorgen. Andererseits erweckte es Leere. Und Einsamkeit – wie ich dies im Winter, aber speziell zur Weihnachtszeit, oft empfand. Ein Gefühl, entstanden aus dem Wunsch endlich einem Mann zu begegnen, der sich nicht von mir abwandte. Ein Mann, der mich auf dieselbe Weise liebte, wie ich ihn. Ein Mann, dem ich vertrauen durfte …

Nun allerdings, seitdem dieses winzige Licht der Hoffnung namens Tobias ebenso erloschen war wie all die Vorherigen, riss dieser dumme Traum mir ein noch tieferes Loch ins Herz, als dies in der Vergangenheit je der Fall gewesen war.

Ja, es war mein größter Wunsch.

Seit jeher.

Einen Partner zu finden, der zu mir gehörte. Jemand, der mich auf dem restlichen Weg meines Lebens begleitete. Jemand, den ich auf dem restlichen Weg seines Lebens begleiten durfte …

Gähnend drehte ich die Lautstärke höher.

Ein Mann … der Mann. Derjenige, welcher. Der Eine, zu dem ich gehörte. Derjenige, für welchen ich mein Leben geben würde … der Mann, an den ich mich anlehnen durfte … und umgekehrt. Jemand, für den es sich zu kämpfen lohnte. Ein Mann, der sich gleichermaßen um mich sorgte, wie ich mich um ihn.

Das leicht ausbrechende Heck meines Wagens vernichtete sämtliche Gedankenspiele und trieb mir den Schweiß aus den Poren.

Konzentrier dich!

Wenn ich nicht besser aufpasste, würde ich ein zweites Mal in einem Graben landen.

Fürchterlicherweise dauerte es keine fünf Minuten, bis diese unbarmherzige Sehnsucht erneut über mich niederstürzte. Und in weiterer Folge begann mein Verstand zu arbeiten.

Weshalb gelang es mir nicht, jemandem zu begegnen, welcher dasselbe für mich empfand, wie ich für ihn? Sah ich wahrlich derart kindlich-naiv aus, sodass kein einziger Mann auf dieser Welt Interesse an mir zeigen wollte?

Bestimmt lag es an meiner geringen Oberweite gepaart mit meiner Brille, meiner Make-up-Verweigerung und meinem introvertierten Charakter – wie Anna mir dies andauernd unter die Nase rieb.

Je öfter ich weggestoßen wurde, desto unsicherer wurde ich …

Lediglich geliebt und von meinen Mitmenschen geachtet werden wollte ich. Wozu war mein Leben gut, wenn ich Tag für Tag alleine zurechtkommen musste? Sollte dies wahrhaftig den Sinn des Lebens darstellen? Erkennen zu müssen, im Grunde genommen, alleine zu sein … von niemandem beachtet zu werden? Dass alles, was ich tat und wofür ich kämpfte, letztlich völlig belanglos war … ich mein Leben lang alleine bleiben würde, bis zu meinem Tode?

Unweigerlich kamen mir die Tränen.

Dieses schreckliche Gefühl der Trauer nahm tagtäglich zu, wiederum meine Hoffnung schwand. Eine Hoffnung, die einmal unbezwingbar angemutet hatte – damals, als ich nach bestandener Abschlussprüfung aus dem Schulgebäude getreten war.

Ich war mir so sicher gewesen, ein jedes meiner Ziele erreichen zu können.

Lediglich drei Wünsche waren es gewesen: Ein eigenes Haus, eine fixe Arbeit mit netten Kollegen und einen mich liebenden rücksichtsvollen Partner.

Mehr wollte ich nicht. Mehr brauchte ich nicht. Mehr verlangte ich nicht. Ich wünschte mir keine Reichtümer, keinen »hippen« gut bezahlten Job, ein nagelneues Sportcabriolet oder eine Stadtvilla in Wien.

Lieber begnügte ich mich mit den kleinen Dingen im Leben. Mir reichte eine warme Wohnung und vernünftiges Essen. Und wenn ich mir ab und an ein hübsches Kleid kaufen durfte … ja, was brauchte ich mehr? Keine von uns in diesem Leben angehäuften materiellen Güter konnten wir mit in den Tod nehmen. Positive Eindrücke und Erinnerungen – dies zählte … und nur wenige davon hatte ich bislang erleben dürfen.

Ich drängte mich nicht gerne in den Mittelpunkt. Bereits deshalb hatte ich mich niemals nach übertrieben verantwortungsvollen Jobangeboten umgesehen oder überdurchschnittlich gut aussehende Jungs angesprochen. Des Weiteren war ich mir über meine eher bescheidenen Talente überaus im Klaren. Es gab nicht viel, das ich wirklich gut konnte. Zwar wusste ich von allem ein klein wenig, aber von nichts gut genug, um damit aufzufallen, daraus Profit zu schlagen oder von Männern im Allgemeinen bemerkt zur werden.

Seit jeher standen mir meine Unsicherheit, Ängste und Selbstzweifel gehörig im Wege. Immerhin hatten diese mich in eine beinahe fünfjährige Arbeitslosigkeit gedrängt. Ebenso rührte der beschämende Umstand davon her, noch niemals zuvor geküsst worden zu sein.

Nun, womöglich wäre ich rascher zu einen Job gekommen, wenn ich über einen großen Bekanntenkreis hätte blicken dürfen. Bedauerlicherweise war es mir weder damals noch heute möglich, auf eine solche Option zurückzugreifen. Die einzigen Menschen, die allzeit zu mir standen, waren meine Eltern. Sie glaubten an mich und sie unterstützten mich. Und dafür liebte ich sie bedingungslos.

Durch das Arbeitsmarktservice hatte ich schließlich den Job in der Buchhaltung erhalten. Obgleich ich mit den Kollegen nicht sonderlich gut zurechtkam – und es im Laufe der Zeit bloß schlimmer zu werden schien – hatte ich auf eine Besserung gehofft – gleichermaßen, wie ich dies von vielen anderen Gegebenheiten meines Lebens erhofft hatte …

Ich hatte fest daran geglaubt, der Weg aus der durch Mobbing gezeichneten Schulzeit würde irgendwann in ein glückliches Leben münden. Ich hatte vermutet, die Schatten meiner Vergangenheit abschütteln zu können. Ebenso war ich mir sicher gewesen, spätestens mit fünfundzwanzig Jahren in einer glücklichen Beziehung sein zu dürfen, und mit meiner großen Liebe meinen dreißigsten Geburtstag zu verbringen – irgendwo auf einer tropischen Insel … mein Traummann an meiner Seite … die Füße im weißen Sand vergrabend …

Wie töricht ich gewesen war, anzunehmen, es würde tatsächlich geschehen!

Als ob es wahre Liebe gab! Als ob es Freundschaft und Verständnis gab!

Ein brustzusammenziehendes Gefühl nötigte mich, tief einzuatmen.

Ich musste aufhören, mir über solch dumme Dinge den Kopf zu zerbrechen!

Doch sämtliche Versuche, mich auf den Schneefall und den Schneepflug vor mir zu konzentrieren, misslangen, und meine Gedanken rutschten abermals in dieselbe Schiene ab.

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