Kitabı oku: «In Your Arms», sayfa 4

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Eine Beziehung.

Weshalb brauchte ich überhaupt eine Beziehung? Weshalb sehnte ich mich nach einer für mich ohnehin in unerreichbarer Ferne legenden Sache?

Fakt war: Niemand wollte mich! Ich war ein naives Mauerblümchen. Eine Frau, die sich nicht wie eine Frau, sondern wie ein dummer Teenager fühlte. Eine Frau, die zu allem Überfluss wie ein Teenager aussah! Aber das Schlimmste stellte nach wie vor die Tatsache dar, diesen vermaledeiten Wunsch nach einem Partner nicht aus meiner Seele löschen zu können! Dabei war ich mir über mein infantiles Verhalten zur Gänze bewusst.

Wenn ich darüber nachdachte … Es brauchte mich nicht zu wundern, dass ein jeder sich von mir abwandte. Wer wollte auch jemanden an seiner Seite, der wie ein trotziges Kind nach der großen Liebe quengelte? Wer wollte jemanden an seiner Seite, der zu schüchtern geworden war, um einen Mann anzusprechen? Wer wollte jemanden an seiner Seite, der an Realitätsverlust litt?

Anna hatte wie immer recht: Ich war unfähig, irgendetwas richtig zu machen. Demzufolge funktionierte es auch mit einem Partner nicht. An etwas anderem konnte es nicht liegen.

Sonst hätte ich längst jemanden kennengelernt.

Trauer presste mir die Seele zusammen.

Gleichgültig wie sehr ich es mir einzureden versuchte, keinen Partner zu brauchen, dieser in die Knie zwingende Seelenschmerz gedachte weiter anzuwachsen.

Meine Seele schien nach irgendjemandem zu schreien, der mir einen Beweis für die Existenz wahrer Liebe gab.

Mein Herz wollte es so sehr. Meine Seele verzehrte sich danach.

Alleine mein Verstand hatte begriffen, welch großen Irrsinn diese peinliche romantische Vorstellung eines liebevollen, mich küssenden und in seinen Armen haltenden Mannes darstellte.

Und überhaupt: Selbst wenn es einen solchen Mann geben sollte, wie vermochte ich es, diesem zu begegnen, wenn ich nie in Diskotheken und auf Feste ging? Wie sollte ich, ein solch dummes, unscheinbares und flachbrüstiges Ding, einem derartigen Traummann auffallen?

Ich musste den Kopf schütteln.

Heutzutage wollten Menschen verreisen, mit ihren Statussymbolen angeben und Spaß haben. Sie wollten tanzen, singen, Party machen – Prioritäten, welchen ich rein gar nichts abgewinnen konnte.

Anstatt Festivals zu besuchen, mich hoffnungslos zu betrinken und ausschließlich meine eigenen Bedürfnisse ohne Rücksicht auf andere zu befriedigen, wünschte ich mir ein freundliches Miteinander, Respekt und Anstand, lange Spaziergänge im Wald, gemeinsames Zusammensitzen, Reden, sich wortlos in die Augen blicken …

Die kurz aufflackernden Bremslichter des Schneepflugs vor mir brachten mich zum Schluss, für diese Zeit schlichtweg zu altmodisch zu sein.

Ich musste mich damit abfinden. Ich passte nicht in diese Welt.

Irgendwann würde mein Herz dies wohl verstanden haben.

Hoffentlich dauerte es nicht mehr allzu lange!

Ein Popsong, welcher an Fingernägel erinnerte, die über eine Schultafel kratzen, veranlasste mich, das Radio abzuschalten.

Eines hatte ich in den vielen Jahren der Einsamkeit gelernt: Das Leben bestand nicht daraus, Träume zu verwirklichen. Das Leben bestand daraus, Hoffnung und Glauben zu verlieren. Mit Gewalt öffnete es meine Augen, zeigte mir die Realität. Eine Realität aus Rücksichtslosigkeit, Einsamkeit und Gefühlskälte.

Mein Verstand arbeitete weiter, wollte wieder einmal keine Ruhe mehr geben … Erst das Dorf, welches langsam zwischen den eingeschneiten Wäldern hervortrat, vollbrachte es, meine tristen Gedanken für einen Moment kaltzustellen.

Wie ein Bild von Thomas Kinkade lag es in einem lang gezogenen Hang – die Häuser durch den starken Schneefall beinahe nicht zu erkennen. Einzig die hell erleuchteten unzähligen kleinen Fenster, die gelb scheinenden Straßenlampen sowie bunte Weihnachtsdekorationen ließen Straßen und Grundstücke erahnen.

Ein romantischer wie kitschiger Anblick, der mir das Herz zum wiederholten Male zusammenkrampfte.

Ich zählte mich wahrlich nicht zu den Romantikern, jedoch mit meiner großen Liebe durch eine derartige bezaubernde Winterlandschaft spazieren – diese Vorstellung trug ich seit Kindesbeinen an in meinem Herzen.

Wieso tauchten diese vermaledeiten Bilder bloß andauernd auf?! Sie waren es schließlich, die mir mein Herz zerrissen!

Ich war keine sechzehn mehr. Selbst, wenn ich mich solchermaßen dumm fühlte – ich war dreißig Jahre alt! Ich war erwachsen! Dieser Umstand alleine sollte mir zu verstehen geben, dass eine Zeit, in welcher ich wie ein verliebter Teenager durch die Gegend herumstolzieren hätte können, endgültig vorübergezogen war.

Gegangen war die Chance auf Küsse im Park, sorgenfreie Ausflüge, mit Liebe und Glück gefüllte Sommerferien oder Spontanurlaube.

In meinem Alter sollte man solche Dinge längst erlebt haben. Da sollte man einige Jahre zusammen gelebt, womöglich sogar ein Haus gekauft haben. Da gründete man eine Familie. Da hatte man sich ein Leben aufgebaut.

Ergo: Sollte ich noch irgendwann einmal irgendjemanden antreffen, der sich überwand und mit mir abgab, wäre die Zeit des kindischen Verliebtseins ohnehin nicht mehr möglich. Sie war still und heimlich an mir vorübergezogen. Ich hatte sie verpasst.

Wie sagten meine Arbeitskolleginnen? »Es ist deine Schuld, wenn du dir nicht früher einen Mann geangelt hast. Jetzt bleibst du allein.«

Der Schneepflugfahrer leitete mich durch die lieblich geschmückten Blockhütten hinauf zu einer sanft erleuchteten Pension.

Ich stellte meinen Wagen in einer halb ausgeschaufelten Parklücke ab und stieg aus.

»Ich weiß gar nicht, wie sehr ich Ihnen danken soll«, entgegnete ich erschöpft, dafür wenigstens die schmerzenden Überlegungen zu verdrängen vermögend.

Der Mann präsentierte mir ein verschmitztes Lächeln. »Sie können mich zu einem kleinen Bier einladen.« Er nickte zur Pension. »Das Edelweiß hat ein eigen gebrautes köstlich schmeckendes Weißbier.«

Diesen Gefallen tat ich ihm gern.

Kichernd bejahte ich. »Einverstanden … Ich muss bloß meinen kleinen Trolley aus dem Kofferraum heben, dann kanns losgehen.«

»Soll ich Ihnen behilflich sein?«

»Nein, nein.« Kopfschüttelnd öffnete ich die Heckklappe. »Er ist ganz leicht. Ich brauche nicht sehr viel Gepäck.«

»Dann sind Sie aber eine große Ausnahme unter dem weiblichen Geschlecht.«

Glucksend hob ich den weißen Rollkoffer heraus und schloss die Klappe. »Danke für das Kompliment.«

Ich erschrak.

Seit wann gelang es mir, auf eine solchermaßen lockere und ungezwungene Art mit einer mir völlig fremden Person zu sprechen? Üblicherweise überwogen meine Selbstzweifel, sodass ich eine Aussage wie diese bestenfalls mit einem kurzen Lächeln beantwortet hätte.

Wahrscheinlich hatte meine Aufgekratztheit Schuld daran. Der Beinahe-Unfall, die drei Stunden des bangen Wartens auf Hilfe – da konnte man schon ein wenig durcheinandergeraten.

Ein raues Lachen seinerseits erklang. »Gern geschehen.« Er streckte mir die Hand entgegen. »Ich heiße übrigens Walter. Wenn es dir recht ist, können wir uns gern Duzen … das tun hier eigentlich alle.«

Hochzüngelnde leichte Ängste unterdrückend ergriff ich seine Hand. »Gerne. Und ich bin Liza. Freut mich.«

»Wie?« Er schien verwirrt. »So einen Namen habe ich aber noch nie gehört.«

»Äh … du kannst mich auch gerne Lisa nennen, wenn es für dich einfacher ist.« Ich zog meine Hand zurück. »Das tun sowieso die meisten.«

»Das klingt gut.« Seine Lippen zeigten mir ein Lächeln. »Na, dann komm mal mit, Lisa.«

An meinem Namen war bisher ein jeder verzweifelt. Und, wie in Walters Fall, hatte ich damit kein Problem. Weh tat es allerdings, wenn man mich hänselte oder mir irgendwelche selbst ausgedachten Spitznamen gab.

Wie Kitty …

Walter öffnete mir die schwere Holztür. »Nur herein in die gute Stube.« Alsbald er zur Rezeption blickte, an der ein junger, elegant gekleideter schwarzhaariger Mann stand, verwandelte sein Lächeln sich in ein breites Grinsen. »Michi! Sieh mal, wen ich mitgebracht habe.«

Während ich meine Stiefel abklopfte, baute meine Menschenscheue sich abermals auf.

Schluckend trat ich zu den beiden.

»Das ist Lisa«, stellte Walter mich vor. »Sie braucht ein Zimmer, solange die Straße gesperrt ist.« Er sah zu mir. »Ich gehe schon mal zur Bar. Komm einfach nach, wenn du dein Zimmer reserviert hast.«

»In Ordnung.« Ich lächelte meine Unsicherheit weg, stellte den Trolley neben mich hin, griff in meine Handtasche und holte nach einigem Suchen mein Portemonnaie hervor. »Wie viel kostet denn ein Einzelzimmer?«

»Fünfundvierzig Euro plus zwanzig Euro Single-Aufschlag.«

Verflixt und zugenäht!

Das kam mir ganz schön teuer.

»Das ist etwas viel … Gibt es vielleicht ein Einzelzimmer? Irgendwo eines im hintersten Eck, oder so?«

Der Mann wirkte entsetzt. »Nein, tut mir leid. Wir bieten nur Doppelzimmer an.«

Und ich wollte mich für meine unbedachte Äußerung liebend gerne selbst ohrfeigen.

Weshalb musste meine Nervosität und Unsicherheit mir durchwegs Steine in den Weg legen? Weshalb brachte mein Gehirn solch dumme Erwiderungen hervor?

Wo blieb die Schlagfertigkeit und Redegewandtheit, wenn ich sie brauchte?

»Ist es möglich, mit Kreditkarte zu zahlen?«

Der Rezeptionist bejahte. »Sehr gerne.«

Ich war kein Freund bargeldloser Bezahlung. Allein meine Musikeinkäufe, welche ich ausnahmslos online abwickelte, hatten mich dazu gedrängt, ein solches Zahlungsmittel beantragen zu lassen.

Als sie mich in den darauffolgenden Jahren aus einer großen Anzahl heikler Situationen gerettet hatte – wie zu niedrig geschätzte Tankkosten oder Geldknappheit ausgelöst durch Nachzahlungen der Stromrechnung – war sie mir jedoch zu einem unabdingbaren Freund im Kampf des Lebens einer jungen Frau geworden.

Ich zog die graue Karte hervor und reichte sie dem jungen Mann. »Bitte sehr.«

Eben wollte er sie in das POS-Gerät stecken, da beäugte er sie nochmals kritisch. Er räusperte sich. »Tut mir leid, aber diese Karte ist abgelaufen.«

Mir wurde es heiß und kalt und schwindlig zugleich.

Bitte, was?!

»Zeigen Sie mal.« Ich nahm sie zurück und blickte auf das Datum: Zwölf zweitausendsechzehn.

Grundgütiger!

»O nein …« Leicht panisch durchsuchte ich die gesamte Brieftasche. »Nein … Nein. Das kann nicht wahr sein!«

Bittere Verzweiflung ummantelte mich.

Ich suchte die Handtasche vollständig ab sowie sämtliche Manteltaschen.

Nichts.

Resigniert blickte ich in die dunklen Augen des Rezeptionisten. »Ich … Ich habe die neue Karte dann wohl zu Hause auf meinem Bürotisch liegen gelassen.«

Der Mann nickte verständnisvoll. »Sie können auch gerne mit einer Bankomatkarte bezahlen.«

O nein!

Diese Option kam für mich ebenso wenig infrage. Aus dem einfachen Grund: Mein Konto war leer.

»Das geht zur Zeit leider nicht …«

Gott, war das peinlich! Schließlich konnte ich ihm schlecht sagen, wie Pleite ich war. Welch Bild hätte das abgegeben?

Und jetzt?

Was sollte ich tun? Meine Eltern anrufen und sie fragen, ob sie mir etwas liehen?

Nein.

Ihre finanzielle Situation sah nicht unbedingt rosiger aus.

Ich hatte mich da selbst reingeritten, demzufolge musste ich mich selbst rausholen … Bloß wie?

Nachdenklich blickte ich mich um.

»Gibt es eine andere Möglichkeit der Bezahlung?«

Im selben Moment wurde ich mir meiner – neuerlich – dummen Worte gewahr.

Herrgott!

Was konnte er mir denn anbieten? Ratenzahlung vielleicht?

Es wurde sekündlich schlimmer mit mir …

Der junge Mann runzelte die Stirn. »Worauf wollen Sie hinaus?«

Eben wollte ich zu einer, wahrscheinlich wesentlich dummeren Antwort ansetzen – da ertönte eine satte männliche Stimme.

»Oh! Ein neuer Gast.«

Ich wandte mich nach rechts. Ein vielleicht ein Meter siebzig großer, ziemlich übergewichtiger älterer Herr trat zu uns. »Sie scheinen etwas besorgt. Kann ich Ihnen behilflich sein?«

Er wirkte sehr herzlich und aufgeschlossen – allen voran sein entwaffnendes Lächeln.

Würde er es verstehen, wenn ich ihm meine Lage erklärte?

Es wurde mir flau im Magen.

Für gewöhnlich hatte ich Pech, wenn ich andere Menschen um Hilfe bat. Da traf ich auf Personen, welche sich für meinen Schlamassel nicht interessierten, oder mit genügend eigenen Problemen kämpften und mich aus diesem Grunde links liegen ließen.

Würde es, wie zuvor bei Walter, in dieser Situation anders verlaufen? Durfte ich es wagen? Oder würde der Herr mich hochkant rauswerfen?

Im Auto Übernachten war nicht eben die Vorstellung eines verlängerten Wochenendes in den Bergen. Andererseits: Welche Alternativen gab es?

Die Augen des Mannes strahlten mich glücklich an. Sie schienen ungemein verständnisvoll und aufrichtig …

Ach, was solls!

Ich kratzte meinen gesamten Mut zusammen und begann zögerlich zu erklären: »Ich habe ein Problem … Nun … Es ist so …«

Meine Güte! Ich klang so unsicher. Wahrscheinlich vermutete der Mann bereits, ich sei ein völlig hilfloser und unfähiger Mensch …

»Ich war auf den Weg zu meinen Eltern. Sie wohnen vier Dörfer weiter –«

Ein zärtliches Berühren meines linken Oberarmes durch seine Hand brachte mich dazu, innezuhalten.

»Kommen Sie mit. Besprechen wir das am besten in meinem Büro.«

Mit aller Kraft hielt ich mich davon ab, zurück zu stolpern.

Ich ertrug es nicht, wenn Personen mir zu nahe kamen. Dazu zählten bereits ein einfaches Berühren meines Arms oder ein unverbindliches Händeschütteln – selbst dann, wenn ich, wie heute, einen langen Mantel und Handschuhe trug.

All meiner Aufregung zum Trotz begann mein Verstand die Situation blitzschnell zu werten. Und keinen Augenblick später brachte er eine Frage hervor: Weshalb wollte der Herr in seinem Büro, und nicht hier mit mir sprechen? Schließlich wusste er nicht, in welcher Lage ich mich befand.

Wollte er womöglich etwas ganz Spezielles von mir?

Beruhige dich!, ermahnte ich mich. Du bist einfach zu übervorsichtig. Viel mehr, als im Auto zu übernachten, kann bei der Sache nicht rauskommen … also, versuche dich ein wenig zurückzuhalten.

Lautlos seufzend nickte ich dem Mann zu.

Ich folgte ihm durch einen langen, mit Holz verkleideten Korridor, auf dessen Wänden Knüpfbilder von verschneiten Häusern und Wildtieren hingen. Ein altrosa Teppichboden verschluckte sämtliche Geräusche unserer Schritte und unterstrich die heimelige Atmosphäre.

»Da wären wir.« Dort, wo der Flur einen Knick nach links machte, befand sich eine nachgedunkelte Holztür. Diese mündete in ein mittelgroßes mit Vollholzmöbeln, Holzstuck und schweren dunkelroten Vorhängen eingerichtetes Zimmer. Ein behaglicher Duft von ebendiesen Möbeln vermischt mit Vanille hing in der Luft, und ein in verschiedenen Brauntönen gehaltener Teppich schmückte den Boden.

»Hier bitte.« Er zeigte auf einen von zwei Holzstühlen, auf dessen Rückenlehnen Edelweißblüten eingeschnitzt worden waren. »Setzen Sie sich.«

Dankend ließ ich mich nieder.

»Sie scheinen mir ziemlich verzweifelt«, entgegnete der dickliche Mann besorgt, während er sich mir gegenüber auf einen gewaltigen Ledersessel setzte. »Haben Sie Schwierigkeiten?«

Mein Herzschlag beschleunigte sich.

»Wie? Was –«

Woher konnte er das wissen?

»Tut mir leid …« Er vollführte beruhigende Handgesten. »Ich falle schon wieder mit der Tür ins Haus, nicht?«

»Äh, also –«

»Es tut mir wirklich leid. Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.« Einige Augenblicke lang hielt er die Lider geschlossen. »Es ist bloß so … ich erkenne, wenn Menschen bedrückt sind … Darum mein Vorschlag, hier mit Ihnen darüber zu sprechen.«

Spätestens jetzt war ich vollends meiner Worte beraubt.

Strahlte ich meine Verzweiflung etwa dermaßen heftig aus?

Wollten Mitmenschen deshalb nichts mit mir zu tun haben? Hatte das daran Schuld? Machte sich deshalb ein jeder lustig über mich?

Kälte erfasste mich.

Wollte etwa deshalb kein Mann mit mir zusammen sein?

»Also«, riss der Herr mich aus meinen Grübeleien. »Wenn Sie darüber sprechen möchten – nur raus damit.«

»Ich … nun –«

Meine finanziellen Sorgen konnte ich nicht irgendeinem fremden Menschen anvertrauen! Damit gab ich mich höchstens der Lächerlichkeit preis – etwas, das mir in der Vergangenheit unzählige Male widerfahren war und ich aus exakt diesem Grunde zwingend verhindern wollte.

Andererseits – was hatte ich noch großartig zu verlieren, außer einen Stolz, welchen ich ohnehin längst verloren hatte?

Des freundlichen Herren wärmeausstrahlende Augen nahmen mir einen Teil meiner Verunsicherung.

»Ich bin gänzlich pleite«, gab ich seufzend zu und nahm meine Uschanka ab. »Ich habe meine Kreditkarte zu Hause vergessen und mein Konto ist blank. Darüber hinaus trage ich nur fünfzig Euro bei mir – mein Tankgeld für diesen Monat.«

Stumm nickend hörte er mir angestrengt zu. Erkennen konnte ich dies an seinen leicht zusammengezogenen Augenbrauen und der in Falten gelegten Stirn.

»Und jetzt ist die Straße gesperrt, und ich komme nicht zu meinen Eltern. Sie hatten mich eingeladen – wollten unbedingt, dass ich sie besuche.«

»Und dann musste der Schneesturm aufkommen«, warf er nachdenklich ein.

»Ja, genau so siehts aus.« Ich legte meine Hände um die Kopfbedeckung in meinem Schoß. »Ich kann Ihnen bloß vorschlagen, meine Eltern anzurufen, damit sie mir das Geld vorstrecken … Ich habe wirklich nichts mit.«

Abermals nickte er.

Meine Eltern wollte ich damit am wenigsten belasten, aber irgendwie musste ich das Hotelzimmer schließlich bezahlen. Was blieb mir da anderes übrig?

»Können Sie kochen, abwaschen, putzen?«

Ich blinzelte. »Äh … ja, natürlich.«

Er setzte sich etwas auf. »Wenn es Ihnen recht ist, können Sie die Zeit, in der Sie hier warten müssen, für mich arbeiten.«

Perplex starrte ich in sein rundliches glattrasiertes Gesicht.

Meinte er …?

»Somit können Sie Verpflegung und Übernachtung abarbeiten und müssen weder Ihre Eltern noch sonst wen um Hilfe fragen.« Etwas Undeutbares blitzte in seinem Gesicht auf. »Wie ich das nämlich sehe, wollen Sie andere nicht sehr gerne um Hilfe bitten … Aber damit wäre allen geholfen, nicht?«

Mit der Zeit wurde es unheimlich.

Wie machte er das?

War dies Zufall?

Dieser Mann machte nicht den Eindruck, auf gut Glück zu raten oder sich kurzfristig irgendetwas zusammenzureimen und damit ab und an einmal richtig zu liegen.

Plötzlich wurde es mir klar: Es musste eine Art Gabe sein. Er hatte das nötige Feingefühl, um zu erkennen, wann Menschen sich in Not befanden.

Grundsätzlich hatte ich solche Reaktionen und Fähigkeiten als eine Art Hollywood-Märchen abgetan – nette ältere Herren oder Damen, welche auf nahezu zauberhafte Weise das Leid fremder Menschen erkannten und ohne Gegenleistung Hilfe anboten …

»Ich … ich weiß nicht, was ich sagen soll.« Peinlich berührt richtete ich meine Brille. »Ich will niemandem Schwierigkeiten bereiten … und bedeutend weniger möchte ich wie ein Versager aussehen.«

»Das tun Sie absolut nicht«, erwiderte er fröhlich. »Sie wirken sogar sehr stark … Sie können Ihr Innerstes ganz gut verstecken.« Verspielt zwinkerte er mir zu. »Meine Frau ist Ihnen da sehr ähnlich. Sie spielt auch ständig die Toughe, dabei benötigt sie eine starke Schulter zum Anlehnen viel öfter, als es ihr lieb ist.« Für einen Wimpernschlag huschte etwas Ähnliches wie Unsicherheit über seine herzlichen Züge. »Aber bitte sagen Sie es ihr nicht … sonst bekomme ich ernste Schwierigkeiten.«

Ich musste schmunzeln.

Es war einfach zu komisch.

Da saß ich mit einem wildfremden Mann, der mehr über mich zu wissen schien als meine eigenen Eltern – und plauderte mit ihm über charakterliche Schwächen und leere Bankkonten.

Dieser Tag würde wohl als der verrückteste in meine Lebensgeschichte eingehen.

»Ich werde ihr nichts verraten«, versprach ich.

Sein Lächeln wuchs an. »Ach ja.« Er griff nach Papier und Stift und legte diese vor mich hin. »Bitte schreiben Sie mir Namen, Anschrift, Geburtsdatum und Telefonnummer auf.«

Ich fasste nach dem Kugelschreiber.

»Nur für Notfälle.«

»Ich verstehe … Wenn irgendjemand vom Amt vorbeischaut … oder ich Schwierigkeiten mache, oder?«

Er bejahte. »Obwohl ich solche Vorsichtsmaßnahmen wirklich ungern treffe.« Ein unerwartet trauriger Unterton schwang in seiner Erklärung mit. »Ich habe leider einiges erlebt. Darum passe ich jetzt etwas besser auf.«

Durch meine vermaledeite Nervosität brachte ich es wieder einmal nicht zuwege, meine Daten schön leserlich auf Papier zu bringen. Wie das eines Kindes, welches eben seine ersten Schreibversuche unternommen hatte, mutete mein fürchterliches Gekrakel an.

»Das kann ich gut nachvollziehen.« Meine Finger steif und schmerzend gab ich ihm Papier und Stift zurück. »Die Gesellschaft ist leider nicht mehr das, was sie einmal war.«

»Ja.« Sein kummervolles Gesicht versetzte mir einen Stich.

War er, wie ich, tief verletzt worden?

»Es ist furchtbar … andererseits –« Schlagartig brachte der Mann strahlende Hoffnung zum Ausdruck. »Beweisen Sie mir, dass es noch Ausnahmen gibt.«

Eine unangenehme Wärme stieg mir in die Wangen. »Meinen Sie? … Ich bin mir da nicht so sicher.«

Ich sollte anders sein?

Ich bekam nichts auf die Reihe … Stets beschwerten die Leute sich, jammerten und schimpften. Über jede Kleinigkeit. Ich war sicherlich keine Ausnahme. Ich war nicht einmal die Regel. Ich war ein Niemand.

Der Mann erhob sich. »Aber ich.« Er präsentierte mir ein breites Grinsen. »Das muss reichen.«

Von seinem fröhlichen Ausdruck angesteckt, stand ich lächelnd auf.

Er umrundete den Schreibtisch und hielt mir die Hand hin. »Übrigens. Mein Name ist Manfred Weiß … Aber am liebsten ist es mir, wenn wir uns Duzen.« Seine Lippen verzogen sich geringfügig. »Obwohl das nicht alle meine Angestellten tun.«

»Gerne.« Ich ergriff seine Hand und schüttelte sie. »Ich heiße Liza.«

»Wie Liza Minelli?«

»Ja, genau.«

Ich konnte es kaum fassen! Der erste fremde Mensch, der meinen Namen richtig aussprach!

»Dann weiß ich Bescheid.« Er führte mich aus dem Büro. »Ich bringe dich zu Michi. Der wird dir deinen Zimmerschlüssel geben.«

Frische Unsicherheit kletterte in mir empor. »Eine Bitte hätte ich noch.«

»Ja?« Er musterte mich mit demselben neugierigen Blick wie vorhin. »Nur raus damit.«

»Darf ich meine Eltern anrufen?« Ich knetete meine behandschuhten Hände. »Mein Handy hat keinen Empfang … und sie werden sich bestimmt Sorgen machen.«

»Aber natürlich! Das Telefon bei der Rezeption steht zu deiner freien Verfügung.«

Erleichterung ließ mich aufatmen. »Vielen Dank.« Ich überlegte. »Ach ja … ab wann soll ich morgen zum Dienst antreten?«

»Am liebsten würde ich dich ausschlafen lassen. Da wir zurzeit aber eine Hochzeitsrunde mit dreißig Personen im Hause haben, bin ich dankbar für jede helfende Hand. Es wäre somit toll, wenn du zwischen sechs und halb sieben in der Küche sein würdest.«

»Selbstverständlich. Gar kein Problem. Ich bin sowieso Frühaufsteher.«

»Wenn das bloß alle meine Angestellten wären!« Herzliches Lachen drang aus seiner Kehle. »Na ja, vielleicht schauen sie sich bei dir etwas ab.«

Ich machte eine wegwerfende Handgeste. »Ich denke, erst sollte ich mich beweisen … Man sollte den Tag bekanntlich nicht vor dem Abend loben.«

Ganz besonders mich nicht …

Kichernd führte Herr Weiß mich zum Empfang.

»Michi! … Gib Liza die Schlüssel.«

»Sehr gern.« Der junge Mann fasste nach einem auf der Mauer hinter ihm hängenden Schlüssel mit einem ovalen Anhänger, auf dem die Nummer 26 eingraviert worden war, und reichte ihn mir. »Hier bitte.« Er zeigte zur langen Holztreppe. »Ihr Zimmer befindet sich im ersten Stock. Haben Sie einen schönen Aufenthalt.«

»Ihr könnt euch gerne Duzen«, informierte Manfred. »Liza wird uns für die nächsten Tage etwas zur Hand gehen. Jedenfalls solange das stürmische Wetter anhält und die Straße gesperrt ist.«

»Oh.« Michis Augen weiteten sich geringfügig. »Dann kommen heute wohl keine Gäste mehr.«

»Nein«, erwiderte Manfred beschwingt. »Ich glaube nicht.«

»Dann wird das ein ruhiger Abend werden.«

»Ja.« Der Hotelbesitzer nickte. »Da bin ich mir ziemlich sicher.«

»Super!«

Die beiden Männer warfen sich vertraut-wissende Blicke zu.

Was hatte dies zu bedeuten?

Ich atmete lautlos durch. »Nochmals vielen Dank für die Hilfe. Ich wüsste wirklich nicht, was ich sonst gemacht hätte.«

Der dickliche Mann schenkte mir ein weiteres Lächeln. »Dafür sind wir ja da.« Er klatschte in die Hände. »Aber jetzt muss ich mich noch um ein paar Dinge kümmern.« Damit verschwand er Richtung Korridor.

Ich drehte mich zu Michi. »Darf ich bitte kurz das Telefon benutzen? Ich müsste meine Eltern anrufen … mein Handy hat nämlich keinen Empfang.«

»Sicher.« Er machte mir Platz. »Mit diesem Funk-Zeugs hat man einzige Probleme, stimmts?«

Nickend trat ich hinter die Rezeption und hob den weißen Hörer des an die Achtzigerjahre erinnernden Telefons ab, welches etwas seitlich jedoch gut sichtbar neben einer Wasserlilie stand. »Ja, das sehe ich genauso. Ein Festnetzanschluss funktioniert beinahe immer. Handys dagegen geben bald einmal den Geist auf.«

»Genau meine Rede! Aber am schlimmsten finde ich die Akkulaufzeit. Jedes Mal, wenn man schnell etwas nachschauen oder jemand anrufen will, ist der Saft aus.«

Ein Kichern zurückhaltend drehte ich mich zum jungen Mann um. »Mir gehts ganz gleich! Oder die Software hängt sich auf und das Telefon startet neu.«

»O Mann!« Er verdrehte die Augen. »Das ist der Horror!«

Wir lachten beide laut auf.

Meine Güte, tat das gut. Nach solch einer langen Zeit ein gänzlich normales Gespräch führen, ohne unterbrochen oder gemaßregelt zu werden …

Obgleich Arbeitskollegen sich ohnehin nicht sonderlich gerne mit mir unterhielten, waren kurze Gespräche in den letzten Monaten zu einer echten Seltenheit geworden. Dies lag an der Tatsache, aufgrund meiner Kaffeeeinladung von Tobias nun ebenfalls ignoriert zu werden.

»Aber jetzt lasse ich dich einmal dein Gespräch führen.« Lächelnd drehte Michi sich zur Seite und begann Papiere wegzuordnen.

»Es dauert nicht lang«, versprach ich und begann die Nummer zu wählen.

»Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst.«

Ich wollte etwas Weiteres erwidern, da hielt ein besorgt klingendes »Hallo« meiner Mutter mich davon ab.

»Hey, Mama! Ich bin’s!«

»Liza?!« Ihre Stimme überschlug sich regelrecht. »Geht’s dir gut?«

Ein gewaltiges Schuldgefühl fing an, sich um meine Seele zu wickeln.

Wie lange hatte sie sich meinetwegen gesorgt?

»Es tut mir leid, dass ich mich erst jetzt melde … Aber es geht mir gut.«

»Ist etwas passiert?« Gott sei Dank klang sie ein wenig gefestigter. »Bist du noch unterwegs?«

»Nun … nein … Ich hatte einen kleinen Unfall, aber passiert ist mir nichts. Und was ich bisher gesehen habe, hat auch das Auto keinen Schaden genommen –«

»Einen Unfall?! In Gottes willen! Was genau ist denn passiert? Wo bist du jetzt? Sollen wir dich abholen kommen?«

Himmel!

Durch meine törichte Erzählung war das exakte Gegenteil geschehen: Nicht beruhigt hatte ich sie, sondern ihren Kummer angefacht!

Ich hätte erst gar nichts erwähnen sollen.

»Ich bin in einem Hotel in Seedorf«, versuchte ich zu beschwichtigen. »Ihr könnt mich nicht abholen. Die Landstraße ist bis auf Weiteres gesperrt. Ich sitze also so lange hier fest, bis der Schneefall aufgehört und die umgestürzten Bäume weggeräumt worden sind.«

Es entstand eine längere Pause, in welcher meine Mutter aller Wahrscheinlichkeit nach die Situation zu überdenken versuchte.

»Sag mir bitte genau, was passiert ist.« Einerseits flehend, andererseits streng gab sie diese Anweisung kund.

Ich räusperte mich, schluckte Scham- und Versagensgefühle hinunter. »Ich bin ins Schleudern geraten und im Schnee stecken geblieben … Dann habe ich drei Stunden lang gewartet. Zum Glück ist ein Schneepflug vorbeigekommen. Der Fahrer hat mir geholfen, den Wagen herauszuziehen.«

Solch eine schlechte Autofahrerin wie mich gab es in Österreich mit Sicherheit kein zweites Mal …

Meine Mutter atmete erleichtert aus. »Dann ist ja noch einmal alles gut ausgegangen.«

Und ich fühlte mich beträchtlich erleichterter.

»Ja. Mir gehts wirklich gut. Jetzt muss sich bloß das Wetter beruhigen, dann kann ich zu euch kommen.«

»Mach dir da bitte keinen Kopf. Hauptsache, dir geht es gut.« Eine kurze Zeit der Stille folgte. »Ich hätte dich nicht drängen sollen, zu uns zu kommen. Wärst du nicht losgefahren, dann wäre das nicht passiert … Es tut mir furchtbar leid.«

Mir wurde es reichlich anders zumute. »Red keinen Unsinn! Da hat niemand Schuld dran.«

Wie kam sie auf die Idee, sich selbst die Schuld zu geben? Niemand konnte etwas dafür … Wenn überhaupt, dann war der Fehltritt einzig und allein bei mir zu suchen! Wäre ich zu Weihnachten vorbeigekommen, hätte ich mir dieses Fiasko und meinen Eltern unnötige Sorgen erspart.

»Es gibt aber ein anderes Problem«, fuhr ich zögerlich fort. »Sollt es derart heftig weiter schneien, komme ich womöglich überhaupt nicht mehr zu euch durch.«

»Wieso das?«

»Ich muss Montag wieder arbeiten. Weiteren Urlaub beantragen, ist nicht möglich. Mein Chef hat mir nur für diese paar Tage frei geben können. Zurzeit ist viel zu tun.«

Ich vernahm ein leises Seufzen. »Na ja, dann schauen wir, dass wir zu dir kommen.«

»Das wäre toll.« Ich lächelte. »Zurzeit ist es leider ziemlich stressig.«

»Seit du bei dieser Firma arbeitest, scheinst du keine freie Minute mehr zu haben … Wird das mit der Zeit nicht zu belastend für dich?«

Jetzt fing sie wieder damit an.

Seitdem ich ihr vom Arbeitsstress erzählt hatte, beharrte sie auf eine Kündigung.

Selbstredend verstand ich ihre Besorgnis. Sie hatte recht, wenn sie meinte, ich müsse mich in einem Job wohlfühlen … Leider Gottes funktionierte die Welt nicht auf diese Weise.

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