Kitabı oku: «Ketzerhaus», sayfa 2

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Doch bedeutet es nicht nur die innerliche Buße:

ja, die innerliche Buße ist nichtig, wenn sie nicht nach außen mehrfache Abtötung des Fleisches bewirkt.

Elsa hatte nicht hingesehen. Sie hatte wohl den einen oder anderen Kommentar gehört, aber zugesehen, wie man Margarete Rieger mit Steinen beschwerte und ins Wasser führte, hatte sie nicht.

Spät kamen sie heim. Die Urteilsvollstreckung hatte sich hingezogen. Der Kaplan war nicht erschienen. Was die Klatschweiber sich nach dem Spektakel erzählten, war schlimm. Nein, Ertränken wäre nichts für Elsa. Sie war froh, dass sie keine Bilder im Kopf hatte. Jost Hinterthur hatte hingesehen und brüstete sich damit. Elsa verzieh ihm das.

Am Abend, das Knie der ein Jahr jüngeren Siegtraut im Kreuz, den riechenden Fuß der zwei Jahre jüngeren Anneruth an der Nase und das Geschrei der neu geborenen Irmel im Ohr, hörte Elsa die Mutter noch lange mit der Base tuscheln. In Elsas Traum tauchte Jost auf. Ihm hätte sie am Nachmittag gerne Danke gesagt für seine Idee mit der Briu.

Tags darauf ging die Kunde von Mund zu Mund. Eine Kunde, die alles Schauderbare überstieg. Und als die Neuigkeit bis auf den Mälzer-Hof rollte, musste Elsa die ganze Zeit an Andres Hinterthurs Worte denken.

„Ist die Riegerin also unschuldig gestorben?“, fragte das Mädchen, als die Klatschtanten von dannen gezogen waren. Wenn man ihnen glauben wollte, war noch am selben Tag, als man die Margarete Rieger zu Tode brachte, der Priester Czeppil doch noch aufgetaucht, unpünktlich zwar, und auch nicht in guter Verfassung. Tot. Nicht etwa selig entschlafen in seinem Daunenbette, sondern eingeschlossen und elendiglich wie ein armer Sünder unter der Erde in einem alten, halb verfallenen Fluchtgang, der von der Kirche in die Wälder führte, krepiert. Erstickt? Konnte man vor Angst sterben?

„Gottes Wille!“ Beim Sprechen zitterten die Zipfel der Hörnerhaube der Base. Der Einsiedler habe den Priester gefunden, hieß es weiter. Der Priester hatte den Bauer Rieger auf dem Gewissen, raunte man. Den Mord hatte demnach nicht die Riegerin begangen?

„Also ist sie unschuldig verurteilt worden“, schlussfolgerte Elsa, weil es die Erwachsenen nicht taten.

Ein Ersatz für die Pfarre fand sich so schnell nicht. Die Menschen fühlten sich von Gott im Stich gelassen. Ein gewisser Priester Simon Horn kam für die Predigt ins gottlose Dorf. Es kursierten zweierlei Ansichten: Die einen meinten, dass der Riegerin ein Unrecht angetan worden war, wofür jetzt die Gemeinde büßen sollte. Die andere besagte, dass allein die Hexenkunst der Riegerin den Priester Czeppil im wahrsten Sinne unter die Erde gebracht hatte.

Letztere Meinung erhielt Zuspruch, als auf den fruchtbaren Lenz eine beschwerliche Hitze im Sommer folgte. Der Sonntagspfaff Simon Horn hatte keine tröstenden Worte und man schob die Dürre auf die Hexe, die den Pfarrer vor ihm ermordet haben soll. Der verwaiste Riegerhof im Norden der Parochie wurde zunächst gemieden, dann aber, eines Nachts, brannte er lichterloh. Gott sei Dank! Man war froh, als das Unglück bringende Gehöft weg war. Regen aber kam trotzdem keiner.

Die Felder drohten zu vertrocknen. Gebete wurden lauter. Elsa musste hart anpacken, die goldgelbe Gerste mit Kübeln aus dem Schwarzbach bewässern.

Auf dem Hinterthur-Hof wurden Leitungen aus Holz gelegt und ein Esel im Göpel um den Brunnen laufen gelassen, um stetig Wasser zu schöpfen. Das schütteten die Jungs in die Rinnen, die dann das Wasser direkt auf die Felder führten. Die Hinterthur-Mädchen, Johanna und Maria, spornten den Esel mit Streicheleien zwischen den Ohren und Löwenzahn an.

Elsas Vater hatte weder Söhne noch Geld für Brunnen, Esel und Göpel. Nicht einmal genügend Löwenzahn wuchs auf der dürren Wiese vor dem Haus. Also mussten die beiden ältesten Mälzertöchter die Wasserkübel zum Feld schleppen. Jeden Abend sanken sie mit berstenden Rückenschmerzen, wunden Händen und Füßen auf das Lager.

Elsas zunächst dankbare Erinnerung an Meister Hinterthur schlug um in jene abgrundtiefe Abneigung, die sie von ihren Eltern vorgelebt bekam. Ihre abendlichen Gebete waren weder von christlicher Nächstenliebe noch von Demut und Reue bestimmt. Sondern von Neid. So fügte sie heimlich jedem Gebet an, den Hinterthur sollte der Blitz treffen.

Auf jede Dürre folgt ein Regen. Regen kam so viel, dass es den Leuten in der Parochie auch wieder nicht recht war. Ein heftiges Wetter im Spätsommer peitschte die Gerste und ließ den Fluss über seine Ufer treten. Jetzt mussten die Mälzertöchter die Wasserkübel aus dem Hause tragen. Das Strohdach war so marode, dass es dem Gotteszorn nicht standhalten konnte und mit einem heftigen Wuschsch einfach in sich zusammenfiel. Nun war die Gerste zwar prall gegossen, aber die Familie saß ohne Dach über dem Kopf im Nassen.

Es gab genügend Dörfler, die ein Erbarmen hatten, und die Kinder getrennt – nicht alle vier auf einmal! – für ein oder zwei Tage aufnahmen, so lange Johannes Mälzer das Stroh auf dem Dach erneuerte.

Auch die Reinhildin, von Gottgefälligkeit getrieben, bot an, eines der Kinder zu nehmen. Sie hatte ein Auge auf die stille Anneruth geworfen. Mit ihr würde sie ein paar Tage lang gut zurechtkommen. Katharina Mälzer aber wollte keines ihrer Kinder ins Haus derjenigen geben, die schlecht über sie sprachen.

„Denk doch mal nach, Weib“, forderte Johannes Mälzer. „Lass uns die Große geben. Die soll tüchtig helfen und dann das Rezept auskundschaften.“

Das Letzte, was Elsa wollte, war zu den Hinterthurs zu gehen. Und wenn dort fünf von Josts Sorte wohnen würden. Vor der Reinhilde hatte sie Angst. „Bitte, Herr Vater, steckt mich nicht zur Reinhildin!“ Elsa schwor, fleißig beim Dachdecken zu helfen. Sie versprach, die Strohbündel selbst zu schnüren und wenn sie noch so viele Flöhe davon bekam. Sie gelobte, bei der nächsten Dürre das Feld ganz allein zu bewässern … alles, nur nicht zu den Hinterthurs! Aber das Betteln half nichts. Elsa musste fort, weil Johannes Mälzer das Geheimnis von Hinterthurs Erfolg wissen wollte.

Und die Reinhildin konnte wohl kaum ihre Mildtätigkeit Lügen strafen, indem sie die älteste Mälzertochter nicht aufnahm.

Hier ging es anders zu als daheim: Die Kinder aßen mit den Eltern am Tisch. Sie durften sogar sitzen. Auch wenn sie als Letzte etwas zu Essen bekamen, wurden sie doch satt. Nach dem Gebet wurde die Mahlzeit nicht schweigend eingenommen, wie es bei den Mälzers an der Tagesordnung war. Wer beim Essen sprach, verlor Gottes milde Gabe und die Speise verkehrte sich in Schlechtes. Nein, hier unterhielt man sich: Die Erwachsenen sprachen mit den Kindern!

Elsa aber schwieg, weil sie ja nicht wollte, dass Gottes gute Gaben sich beim Sprechen mit dem Verderbten des Alltäglichen in Schlechtes verwandelten.

Wie es ihr der Vater aufgetragen hatte, lauschte das Mälzer-Mädchen jedem Wort und merkte sich alles ganz genau. Doch ein Geheimnis, eine Rezeptur konnte sie nicht in Erfahrung bringen. Elsa musste die Briustube putzen. Es schien ganz so, als taten die Hinterthurs nichts anderes, als den lieben langen Tag zu putzen. Sobald ein Maischekübel abgeschöpft war, wurde der geschrubbt. Elsa konnte sich nicht erinnern, dass ihr Vater je einen Maischekübel sauber gemacht hätte. Hinterthurs Lauge stank zum Himmel und bald bildete sich Elsa ein, dass sie genauso roch.

Die Eltern und die Buben hatten ihre Stuben oben, unter dem Dach. Die Mädchen nächtigten im Erdgeschoss. Sittsamkeit wurde hier geachtet. Elsa lauschte dem Spiel der Erwachsenen. Geräusche, fremd und Ehrfurcht einflößend wie eine Verlockung, wie eine Weise in einer fremden Sprache drangen zu ihr und jagten ihr Schauder über den Rücken. Sie fragte sich, ob es Jost auch hörte und wenn ja, ob er dann ebenso peinlich berührt war wie sie.

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Deshalb währt die Strafe,

so lange die Selbstverachtung währt.

Das ist die wahre Buße im Innern, nämlich

bis zum Eingang ins Himmelreich.

Elsa schlief unstet unter dem fremden Dach. Der Regen trommelte unaufhörlich, blieb aber draußen. An den Dielen über dem festen Fundament vermochte er nicht zu saugen. Die Kleine hockte in einem Lehnstuhl mit Polstern und Wolldecke wie ein aufgeplustertes Vögelchen. Die Hinterthur-Mädchen, Maria und Johanna, schliefen in einem richtigen Himmelbett. Sie rochen auch nicht säuerlich. Elsa vermisste ihre Schwestern. Das Heimweh jedoch wurde gemildert durch die Gewissheit, Jost ganz nah zu sein.

In der zweiten Nacht wurde Elsa aus ihrem Dämmer von einem Klacken und Klimpern geweckt. Es war kein so einschüchterndes, alles zum Stillstand bringendes Geräusch eines Tieres, das sich Zugang zu etwas Essbarem verschaffte, oder der Trieb der Erwachsenen. Elsa sortierte die Elemente, Stein auf Stein? Ton auf Ton? Nein. Holz auf Holz? Metall? Auch nicht. Elsa konnte sich zwar nicht erklären, wie dieses Geräusch zustande kam, aber es beruhigte sie und brachte sie in ruhigen, traumlosen Schlaf.

„Wie viel weißt du über das Handwerk deines Vaters?“, fragte Meister Hinterthur sie am folgenden Tag. Fest und entschlossen. Elsa spürte aller Augen auf sich ruhen. Das Duckmäuserchen in ihr wäre am liebsten unter den Tisch gekrochen, und wie unendlich langsam sich Haferbrei kauen ließ! „Zum Brauen soll man nicht mehr nehmen als so viel Malz, als man zu den drei Gebräuen von dreizehn Maltern und ein Viertel Gerstenmalz braucht“, sagte sie aus der Statuta thaberna, die sie von ihrem Vater gelernt hatte. „Es sollen auch nicht in die Briu weder Hafer noch keinerlei andere Ungeferck. Dazu soll man nichts anderes geben als Hopfen, Malz und Wasser. Das verbietet man bei zwei Mark und derjenige, der muss die Gemeinde für vier Wochen räumen.“

Mit jedem weiteren Wort wurde Meister Hinterthurs Lächeln breiter, die runden Augen, die er Jost vermacht hatte, strahlender. „Bist doch nicht so dämlich, wie dein Vater aussieht. Siehst du, sie kann es. Du nicht.“

Jost kreuzte die Arme vor der Brust. Auf der anderen Seite von Elsas Gesicht, dort, innen, wo es niemand sah, strahlte sie und zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie das Gefühl, etwas gut gemacht zu haben und zu etwas nütze zu sein.

„Warum aber hält sich dann dein Vater nicht dran?“, fragte Meister Hinterthur und Elsas innerliches Strahlen verglomm. „Was soll das Gepansch mit dem Tollkraut?“

„Weiß ich nicht.“ Elsa mied den Blick in die Gesichter der ehrbaren Hinterthurs und der alte Hass war wieder da. Auf diesem Thema wurde nicht beharrt, doch der Meister verstand es, mit solch kleinen Spitzen Elsa klarzumachen, dass ihr Vater ein Beflecker der Zunft war. So dachten alle.

Den restlichen Tag hingen Elsa und Jost kopfüber in den Maischekübeln und Sudbottichen und lösten mit den Schweineborstenbürsten die Überreste des Würzekochens. Nur die Malzdarre musste nicht geschrubbt werden. Damit das Aroma haften blieb, erklärte Jost. Elsa staunte, was er alles wusste. Auch, dass beim Schroten des Malzes die Spelzen, die kleinen Vorblättchen, erhalten blieben, erklärte er. Die waren brauchbar. Beim Kochen sanken sie auf den Grund des Bottichs. Malzkuchen nannte man das. Jost zeigte ihr die keimende Gerste. Sie sah viel praller und dicker aus als die, die ihr Vater erzielte. Und Jost erklärte, wie man das Feuer unterhalb des Sudes so anschürte, dass die Würze nicht zu heftig aufkochte. Die Erschwernisse ihrer Aufgaben und der Groll, den Elsa gegen Orwid Hinterthur hegte, verbaten ihr jedes Wort, aber sie merkte sich jeden Handgriff, den sie tat, um ihrem Vater davon zu berichten. Sie wollte sich nicht länger ihrer Herkunft schämen.

Am Abend sangen die Hinterthurs fromme Lieder. Reinhilde hielt strenge Gebetsstunden ab. Missa canonica. Andres konnte alles auswendig und Jost langweilte sich. Dessen Fuß suchte unter dem Tisch Elsas, was das Mädchen sehr vom Beten abhielt. Ab und an machte sich Orwid über Reinhildes stundenlanges Beten und Singen lustig. Manchmal folgte Streit und Geschrei und darauf wiederum die Weise in der fremden Sprache.

Schon nach wenigen Tagen verheilten die Blasen an Elsas Füßen. Von bleischwerer Müdigkeit war nichts zu spüren. Elsa schwor sich, der Mutter davon nichts zu berichten, auch nicht, dass sie der Reinhildin geholfen hatte, die Kleider zu richten, dass sie am Abend am offenen Fenster gesessen und bis zum Sonnenuntergang beobachtet hatte, wie Andres Hinterthur, vor dem Haus kauernd, Rinnen in die nasse Erde zog und bunte Glasmurmeln dort entlanggleiten ließ. Und sie wollte nicht erzählen, wie Jost an Andres vorbeischlenderte, wie zufällig in die gezogenen Spurrinnen trat, sich übertrieben dafür entschuldigte und Elsa etwas Lustiges daran fand, wie Andres mit zerknitterter Miene von vorn beginnen musste. Und das tat er. Elsa musste wieder an das Gleichnis der Geduld denken, das Andres im Frühjahr erzählt hatte. „Gott lehrt uns Geduld und Genügsamkeit.“ Beim dritten Mal fanden es weder Elsa noch Jost unterhaltsam, dem anderen das Spiel zu zerstören und suchten sich eine andere Beschäftigung.

Zu Hause war kein Platz für Müßiggang. Zu Hause half Elsa der Mutter bis zum Umfallen mit der Ernte von Kräutern und dem Binden von Amuletten, die unter den Frauen verschenkt wurden. Jedes Amulett hatte seinen Zweck. Kranke und Schwangere waren Mutters häufigste Besucher. Manchmal kamen auch Frauen mit Liebeskummer, die hartnäckigste, wenn auch harmloseste aller Krankheiten, wie Mutter es nannte.

Elsa rollte sich auf dem Lehnstuhl zusammen und lauschte lange dem Klacken Glas auf Glas, das Andres’ Perlen von sich gaben, wenn sie in der Rinne aneinanderstießen.

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Der Papst will und kann keine Strafe erlassen,

außer denjenigen, die er nach seinen eigenen oder

nach den Satzungen Ermessen auferlegt hat.

Das Dach der Mälzers war so weit in Schuss gebracht, dass die Kinder zu ihren Eltern zurückkehren konnten.

Die Finger der Mutter flochten behände eine Strähne von Siegtrauts Jungfrauenhaar zu einem Faden und um einen Mondstein herum, den eine Kundin mit anhaltenden Frauenleiden und Kopfschmerzen bestellt hatte. Für derlei Bestellungen musste das Haar der Töchter herangezogen werden. Katharina verstand, den Preis zu staffeln: Elsas Haar war am billigsten. Wegen der Farbe. Katharina Mälzers Finger hielten nur inne, wenn Johannes im schroffen Tonfall seine Tochter im Berichten unterbrach. Er wollte jede Einzelheit der Hinterthurschen Brauweise erfahren, musste aber feststellen, dass seine vom Vater und Vatervater erlernte Kunst sich gar nicht von der des Konkurrenten unterschied. Was war also Orwids Geheimnis? Vielleicht, so überlegte Elsa, waren die kleinen Details, über die ihr Vater die Nase rümpfte, der Schlüssel zu Orwids Erfolg? Sie würde sich hüten, ihre Beobachtung laut auszusprechen.

„Mich soll die Blindheit schlagen, wenn dein Herr Vater eines Tages seinen Jähzorn überwindet“, murmelte Katharina Mälzer, als Johannes nicht in Hörweite war, und schickte die Kinder zu Bett.

Elsas Vater schrubbte die Kessel und Sudpfannen nicht. Wie es seine Ungeduld nun einmal gebot, streckte er weiterhin den Sud mit zu kurz gekeimter Gerste und dem Tollkraut, da konnte die Hölle zufrieren, bevor er davon abkam, weil er nicht ahnen konnte, dass zweitägiges Mälzen dem Gebräu sein bitterherbes Aroma vermachte. Eintägiges Mälzen jedoch das Ganze wie Pisse schmecken ließ. Sein Produkt blieb billig, die Familie kam über die Runden.

Wochen strichen belanglos an ihr vorbei, bis Elsa all ihren Mut zusammennahm und die Wanderung auf die andere Seite des Rittergutes antrat, um der Familie Hinterthur einen Besuch abzustatten. Sie hatte gut anderthalb Stunden Fußmarsch Zeit, sich ein Gespräch zu überlegen und hatte zu diesem Zwecke der Mutter ein Körbchen roter, saftiger Äpfel aus der Ernte abgeluchst, die sie der Reinhildin überbringen wollte. Für die Bewirtung im Spätsommer.

Elsas Dank wurde von Reinhilde Hinterthur formell angenommen. Vom Meister Orwid wurde sie über das Befinden der Eltern ausgefragt, von Andres kaum eines Blickes gewürdigt, aber von Jost beäugt, als wäge er einen Schabernack ab, den sie beide treiben konnten. Elsa wollte nicht länger als nötig verweilen, und obschon es sich nicht schickte, dass Mädchen und Buben Zeit miteinander verbrachten, es sei denn, sie waren Geschwister und gingen einer nutzbringenden Arbeit nach, erlaubte Meister Orwid Jost und ihr, sich ins Wäldchen hinter dem Hof zu verdrücken, um zu spielen. Spielen hatte es in Elsas Wortschatz bislang nicht gegeben. Höchstens heimlich, vor dem Zubettgehen und in den wenigen Augenblicken, die ihr manchmal blieben, wenn sie eine Aufgabe erledigt hatte und die Mutter noch keine neue für sie ersonnen hatte. Dann spielte sie mit Stöckchen und was man eben so fand. Jungen durften spielen. Nicht aber Mädchen. Deshalb genoss Elsa die Stunde, die sie gemeinsam mit Jost verbrachte, obschon ihr Anteil daran im Eigentlichen darin bestand, Jost beim Spielen zuzusehen.

Sie bewunderte, wie behände er über den Bachlauf sprang: hin und wieder zurück. Mehrmals. Sie liefen die Weide hinauf bis zur Baumgruppe. Elsa konnte kaum Schritt halten. Jost zeigte ihr einen Kletterbaum und wie man in die Krone kam. Elsa suchte eine Ranke oder eine Winde, mit der sie den Rock zwischen ihren Beinen hätte zusammenbinden können, wurde aber nicht fündig und sah sich auf das Vergnügen, im Wipfel zu sitzen, verzichten. Jost versprach ihr, nicht zu gucken und kletterte voran, damit sie ungeniert hinter ihm her konnte.

Es war herrlich, die Welt von oben zu sehen. Nie zuvor hatte Elsa in einem Baum gesessen. Jost pflückte ihr einen Apfel. Von hier oben konnte man die Spitze des Kirchturms sehen, das von Bäumen gesäumte silbern glitzernde Band des Weißen Schöps’, die überreifen oder schon abgeernteten Hufen, die von jedem Hof abgingen und das ein oder andere Fuhrwerk, das den Dorfweg gen Osten entlangrumpelte, um auf die Hohe Straße und Richtung Görlitz zu gelangen. Görlitz war mit dem Ochsengespann in gut vier Stunden zu erreichen. Elsa war noch nie in der Sechsstadt gewesen. Die Geschichten von Vater und Mutter, die dort manchen Krug vom Gebräu zu verkaufen suchten, beängstigten sie. Niemals wollte sie in die übervolle, übellaunige und garantiert stinkende Stadt!

Jost erzählte ihr von der Sechsstadt, die auch das Tor nach Osten genannt wurde. Er hatte dort Verwandte mütterlicherseits und gab sich weltmännisch. Elsa war beeindruckt. Er erzählte, was man in der Stadt Schönes kaufen konnte. Er beschrieb das feine Tuch, das dort hergestellt wurde, und den Stapel, in dem alles, was das Herz begehrte, gelagert wurde. Er berichtete von den Gauklern, die auf den beiden Marktplätzen ihre Kunststücke zeigten und Lieder sangen. Manchmal kamen richtige Bänkelsänger vorbei oder ganze Trupps von Schaustellern. Der Junge sagte das so, als fuhr er monatlich einmal dorthin, um sich diese Spektakel anzusehen. Elsa war immer nur hier gewesen. Hier kannte jeder jeden. Man musste genau aufpassen, wem man was erzählte, damit es nicht am nächsten Tag alle und vor allem die Falschen wussten. Jost beschrieb die Spielsachen, mit denen in Görlitz gehandelt wurde. Spielsachen! Elsa staunte über Josts übergroße Schlauheit. „Du meinst Dinge, die zu nichts anderem da sind, außer zum Herumtollen und sonst keinen Nutzen haben? So wie die Murmeln von Andres?“

Jost nickte. „Ja, die auch, aber Murmeln sind langweilig. Ich meine Steckenpferd, Reifen und Kegel und so. Ich zeig dir ein Spiel.“ Damit sprang Jost aus der Astgabel, suchte und fand unterm Baum drei Stöcke. „Na, komm schon.“ Elsa kletterte vorsichtig vom Baum und dieses Mal guckte er doch.

Jost zeigte ihr ein Spiel mit drei Stöcken, bei dem es darum ging, einen Stock mit den beiden anderen hochzuwerfen, und wieder aufzufangen. Die Schwierigkeit bestand darin, dass sich der hoch geworfene Stecken in der Luft drehen sollte. Elsa gelang das nicht. Jost amüsierte sich köstlich über sie.

Von nun an machte sich Elsa für den Gottesdienst besonders fein: kämmte ihr Haar so lange, bis es glänzte, steckte den Reif mit Hingabe auf und achtete auf ihren Sonntagsstaat. Hatte sie früher ein kleiner Fleck oder ein gezogener Faden nicht gestört, so behob sie den Makel wie ein zu verbergendes Schandmahl. Das alles tat sie nicht aus tiefster Gottesfurcht. Sie wollte nicht Gott gefallen, sondern einem anderen.

Diesen Plan verfolgte aber so ziemlich jedes Mädchen der Parochie. Elsa fiel auf, dass die Mädchen sich verhohlen nach Jost umdrehten, kaum, dass er die Kirche betrat. Er war immer noch eine Elle kleiner als sein stattlicher Vater, doch vom selben Stolz beseelt wie jener und von eben jenem Ansinnen erfüllt, sich in der Gemeinde als der Briuwer hervorzutun. Nur Elsa verrenkte sich nicht den Hals nach ihm. Dazu war sie zu schüchtern. Sie schlug das Kreuz und die Augen nieder, wie es sich an diesem Ort gehörte, und war doch mit jeder Faser drüben, auf der Nordseite des Kirchenschiffs, wo die Hinterthurs ihre Bank hatten. Elsa hörte den Priester sprechen. Dessen Worte tummelten sich im Kirchenschiff, ohne an ihrem Verstand zu kratzen. Ihre Gedanken glitten in den Apfelbaum zurück. Es gehörte sich nicht, das Gebet zu sprechen und die Lithurgie zu singen und gleichzeitig nur an diesen Jungen zu denken.

Es lag sicher nur an seinem Aussehen. Das Oberlausitzische war gnädig zu seinen Menschen. Anders als das Böhmische mit seinen Mondgesichtern hinter dem riesigen Gebirge. Aber dort redete man sicherlich genauso über die Hiesigen. In der Markgrafschaft Oberlausitz war die Luft rein, waren die Herzen fromm. Es gab nur wenige Exemplare, denen Elsa das Attribut wirklicher Hässlichkeit hätte anheften wollen. Die Hinterthurs waren allesamt von einer Ebenmäßigkeit gezeichnet, die einen schaudern ließ. Alle außer einem: Womit der Jost gesegnet war, war dem Andres abholt. Der war blass, schien verhärmt und schmal und seine Extremitäten taten stets etwas anderes, als sie sollten.

„Wer mit so viel Schönheit in der Jugend gesegnet ist, dem steht Schlimmes im Alter ins Haus“, pflegten die Basen zu wettern, wenn das Gespräch auf die Hinterthur-Sprösslinge fiel. Sicher: Man durfte dem Orwid Hinterthur nicht zu viel Segen und Glück wünschen, wenn man als Mälzer überleben wollte. Doch waren die Hinterthurs vom besonderen Schlage. „Wer reich und schön ist, hat doch was beim Gehörnten schuldig“, meinte die Schwägerin einmal und Katharina Mälzer erwiderte: „Das wäre mir egal. Ich würde jede meiner Töchter den Jungs geben.“ Worte, die Elsas Herz hüpfen ließen. Freilich: Das hatte die Mutter nur so dahingesagt, wie sie sich schon des Öfteren einen jungen Burschen von der Straße weg ins Haus gewünscht hatte, weil ihnen eben der anpackende Sohn fehlte. Elsa aber blieben diese Worte besonders im Gedächtnis. Von allen Buben in der Gemeinde war der Jost ihr der liebste. Gedanken, mit denen sich Elsa versündigte.

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