Kitabı oku: «Ketzerhaus», sayfa 5
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Dieses Unkraut, kanonische Strafen in Fegefeuerstrafen zu verwandeln, scheint gesät zu sein,
als die Bischöfe schliefen.
Sie hatte nicht schnell genug das Türblatt in den Rahmen gezogen. Sie hatte gerade noch gesehen, wie der junge und der alte Tylike die Dachluke hinter sich und dem vermutlich Toten in den Boden senkten. Sie erkannte die Kleidung des mittig zwischen ihnen Schwebenden mit der Lampe auf der Brust: Pluderhosen von besserem Tuch, Entenschnabelschuhe aus vielleicht gelb gefärbtem Leder – so genau konnte es das Mädchen im Halbdunkel des Flackerlichts auch wieder nicht erkennen – und einen samtenen Koller mit blauem Schimmer. Dies alles verriet eine vornehme Herkunft des Mannes, dessen Kopf zwischen den Schultern baumelte. Man hatte ihm die Kappe auf Hals und Kinn gelegt. So konnte das Mädchen sein Gesicht nicht sehen. Die Schaube, also der Umhang, streifte den Boden und wischte eine Spur in den Staub. Das Binsenlicht wankte bedächtig.
Dies alles hatte die zweite Magd der Tylikes gerade erkannt, da war der Meister auf sie aufmerksam geworden. Er ließ die Beine des Leblosen auf die Dielen hinab. Mit zwei Schritten war er an der Tür. Er zerrte an ihr. Das Mädchen wollte das Brett nicht hergeben und musste doch. Tylike verengte die Augen gegen die Funzel in seiner Hand, um die heimliche Späherin besser sehen zu können. Seine fahlen Hamsterbacken warfen sich auf. Die feucht glänzenden Lippen verbreiterten sich zu einer Grimasse. Solch ein Gesicht vermutete man bei einem, der seine Notdurft, wenn überhaupt, so doch zumindest unter Schmerzen verrichtete. Der Reinhilde schwachsinniger Vetter war an verstockter Notdurft gestorben. So sagte man. Kein schöner Tod. Warum nur musste das Mädchen in Anbetracht Niklas Tylikes verschrobener Miene an die Verstopfungen des Blöden denken?
„DU!“
Das Mädchen zuckte zusammen und senkte die Lider. Die Flackerbinse spielte mit den Mäusekrümeln auf dem Boden. Tylike spitzte in die Kammer. Peternelle gab vor zu schlafen.
„Scher dich ins Bett, Els!“ Beim Schnauzen zu flüstern, nahm einem breiten Mann wie dem Tylike das Furchteinflößende. Normalerweise. Aber Elsa hatte trotzdem immer Angst vor ihm.
„Ich bitte Euch, vergebt mir gnädiglich.“
Der rechte Nasenflügel des Briuwers zitterte. Die Verzückung, um gnädigliche Vergebung gebeten worden zu sein, war groß. „Ein Wort, zu irgendwem, Mädchen, und du …“ Mit dem Zeigefinger fuhr er sich langsam über die schwammige Kehle. „Kein Wort!“
Elsa nickte rasch.
Allgemeinhin war Tylike bekannt als Baron vom Bierfass und Anhänger ausschweifender Gaumenfreuden. Er hatte kaum für seine eigene Leibesbürde genug Puste, um eine Treppe hinaufzusteigen, geschweige denn einen Mann zu tragen. Tylikes Sohn Gunnar aalte sich im Glanz seines Vaters und dem achtmaligen Briuwerhof. Acht Mal im Jahr Bier machen zu dürfen, privilegierte Niklas Tylike, einen Stuhl im Rat zu besetzen. Doch machte Tylike kein Geheimnis daraus, das neunmalige Briuwerrecht anzustreben, und erst, wenn man es ihm gewährte, wollte er der Stadt die Ehre seiner Schöppenschaft zuteilwerden lassen. Große Vorhaben, wusste jeder.
Des Brauers Kopf ruckte und er blickte über seine Schulter. Einen Moment lang starrten Elsa und er gleichermaßen zu Gunnar und dem Leblosen. Gunnar reckte sich, um gerader und prächtiger zu wirken. Der ahnte nicht, dass halb Görlitz sich über ihn lustig machte. Armer Gunnar, armer Narr. Und selbst, wenn er nicht nach vergorener Gerste und Hopfen und den Brauereipferden riechen würde, könnte Elsa nichts an ihm finden.
Der Meister drückte die Tür in den Rahmen.
Sie stand wie gebannt im Dunkel und lauschte den schlurfenden Schritten, die sich mit dem Ächzen der beiden Träger vermischten und nicht die Geräusche einer fetten Ratte waren. Ihre Fantasie reichte so weit, beim Schlagen der gegenüberliegenden Korridortür und dem Schleifen über den Gang, sich den alten und den jungen Tylike vorzustellen, wie sie den leblosen Körper dorthin brachten, wo eine weitere, abgelegenere Kammer war. Elsa selbst meinte, dort, wie in jedem Winkel hier oben, Gerümpel gesehen zu haben. Sie konnte Niklas Tylike fluchen hören wegen eines Rumpelns, wie, wenn man sich den Fuß an einer Schwelle oder den Ellbogen, dort, wo es am meisten wehtut, an der Türkante stößt.
Sie hörte Türen klappen, Sohlen auf den Dielen schaben, Schlurfen, gedämpfte Befehle des Älteren an den Jüngeren und abermals Schritte nahen, beobachtete das aufgeregte Binsenlicht, wie es unterhalb des Türspaltes hin zur Dachluke wanderte. Das Öffnen derselben, Schritte, die nach unten zur Schwarzen Küche stiegen.
„Peternelle!“ Doch die rührte sich nicht.
Elsa stand noch einen Moment hinter der Tür, horchte und hörte bald nichts als ihren eigenen Herzschlag, hörte Peternelles gleichmäßigen Atem. Sie war, im Vorwand zu schlafen, eingenickt. Elsa lauschte tiefer in die Nacht und meinte nach einer Weile, die fette Ratte wieder zu hören. Die fette Ratte und ihr Scharren: schnüffelnd auf der Suche nach einem Happen. Hier oben aber gab es nichts als Mäusedreck, Staub, den muffigen Strohsack und Peternelles Atem und … Elsa hielt die Luft an … Ein Stöhnen gab es hier.
Vorsichtig öffnete sie abermals die Kammertür. Gebannt starrte sie in die Dunkelheit. Das Stöhnen von eben hatte sie sich nicht eingebildet, aber vielleicht war es auch nur ein verzerrtes Geräusch von der Gasse her gewesen. Der Ausschank hatte längst geschlossen. Das wusste sie genau, denn sie selbst hatte den Fichtenzweig hereingeholt, das Tor verriegelt und den Balken davor gehängt. Vielleicht irrten der Gunnar und der Brauermeister noch im Haus herum? Manchmal hörte Elsa sogar Geräusche aus dem Pferdstall bis hier herauf, obwohl der Pferdestall über den Hof ging. Und da, plötzlich war es wieder: dieses Keuchen. Ein schweres Atmen vielleicht. Elsas Augen taxierten die rabenschwarze Wand und starrten in die Richtung, wo sich die andere Dachkammer hinter zwei Türen, getrennt von einem schmalen Korridor, befand.
Zögerlich tastete sie mit der Hand nach der Holzkiste, die ihr und Peternelle als Kleidertruhe und Tischchen gleichermaßen diente, und angelte nach den beiden Feuersteinen. Ein gelungener Streich und der Funke sprang in das Knäuel von Zunder, mit dem sie die Binse in der Drahthalterung entfachte. Peternelle lag mit dem Gesicht in Richtung des Fachwerks. Sie bekam vom flackernden Lichtschein nichts mit. Elsa verließ die Mägdekammer und begab sich, so leise es ihre Holzpantinen erlaubten, auf die andere Seite des Dachbodenflures. Die erste Tür öffnete und schloss sich geräuschlos. Auch sonst war es ruhig hier oben. Nur das Wimmern des Nebelungwindes war zu hören. Ihr war so, als vernahm sie den Geruch von Metall.
Der Riegel war nur vorgeschoben, nicht aber mit einem Schloss versehen worden. Die Scharniere knarzten widerwillig, während die Tür von dem Mädchen aufgezogen wurde. Der metallische Geruch wurde intensiver und vermischte sich mit dem Geruch frischer Wunden und geronnenen Blutes. Das kleine Licht erhellte die Angelegenheit nicht wesentlich. Elsa konnte zwei Schritte tief in die Kammer sehen und da war nichts als schmutzige Dielen. Den Mann, den Gunnar und Niklas heraufgetragen hatten, erkannte sie kaum, nicht einmal schemenhaft. Mit dem Röcheln, das der Fremde hören ließ, stolperte ihr Herz erschrocken. Elsa hatte Tylikens Warnung und Verbot noch im Ohr, andererseits war es ihre Christenpflicht, nach dem Mann zu sehen. Ganz offenbar ging es ihm gar nicht gut. Elsa wog ab, überlegte verzweifelt, was sie tun konnte, was sie tun durfte und was nicht und wagte schließlich, das Binsenlicht voranwandern zu lassen.
Die Kammer war so klein wie die, die sich die Mägde auf der anderen Giebelseite teilten. Das Haus war von der Neißgasse aus traufständig zu sehen, machte aber einen Knick wie ein liegendes L in den Hof, sodass, anders als die Mägdekammer, die ans nächste Wohnhaus angrenzte, diese hintere Dachkammer ein Giebelfenster aufwies. Dem Luxus zum Überfluss verhalf das klobige Bettgestell und die darauf befindliche, mit Stroh gefüllte Matte. Dort lag der Mensch, nein, seine Hülle, nein, der Rest dessen, was einmal die Hülle einer Menschenseele gewesen sein mochte. Elsa hob die Binse so weit, damit sie das, was einst ein menschliches Antlitz gewesen war, besser sehen konnte. „Oh Herz Jesu und Heilige Jungfrau Maria!“ Sie schlug das Kreuzzeichen und ging vor dem Bett in die Hocke wie vor einer Reliquie, die sie nach langer Wallfahrt endlich erreicht hatte. Den Binsenhalter stellte sie auf den Boden neben sich.
Das Gesicht des Mannes war eine rot in rot verquollene Gebirgslandschaft. Dort, wo die Augen saßen, sah Elsa jetzt zwei walnussgroße rot-violette Schwellungen. Die Nase ragte kaum merklich aus den verkrusteten Wölbungen der Wangenknochen hervor, hier prangten Platzwunden, genauso wie an den Lippen und den Augenbrauen.
Elsa wusste, sie durfte hier nicht verweilen, aber ihr ungläubiger Blick wanderte an der armen, zerschundenen Gestalt entlang. Das Haar des Mannes schimmerte im Schein der Binse rötlich und klebte in langen Strähnen an der Blutkruste des Gesichtes. Zumindest die Fülle des Haares wies auf das jugendliche Alter des Mannes hin. Die Kleidung trog auch von Nahem besehen nicht. Und die Blut- und Schmutzflecken täuschten nicht darüber hinweg, dass der junge Mann aus gutem Hause kam: Feinster Sammet, aufwendige Stickereien und teurer Atlas harmonierten miteinander und hoben sich schwach, kaum merklich unter seinen flachen Atemzügen.
Elsas Blick glitt zu seinen Händen. Schlanke, aber kräftige Hände, Hände, die wohl üblicherweise gepflegt waren und selten fest anpackten. Nicht die Hände eines Stallknechtes oder Brauereilehrlings. Gunnar hatte immer Schwielen an den schmalen Händen mit Spinnenfingern. Wenn er etwas falsch machte, hörte man Meister Tylike gern schimpfen, er besäße nicht die Hände eines Brauers, sondern die eines Minnesängers.
Diese Hände hier waren jedoch kräftig, wenn auch schmutzig jetzt, und die Knöchel waren verschorft. Anzunehmen blieb, dass dieser Mann genauso viel ausgeteilt wie eingesteckt hatte. Aber was es auch immer war, so überlegte Elsa, kann kein Mensch der ganzen Erdscheibe so viel Schlechtes tun, um solche Prügel verdient zu haben.
Sie erhob sich und ihr Blick streifte ein Bündel, das am Fuße der Bettstatt lag. Der Koller lag zuunterst, ein Reisesäckchen darauf. Die seltsam lang geformten Schuhe standen auf dem Boden.
„Herrimhimmel“, kam es vom Mann auf dem Bett und Elsa wich mitsamt ihrem Binsenlicht zurück. „Wer bist du?“ Er rührte sich nicht, als er das stöhnte. Nicht einmal seine Lippen bewegten sich merklich. „Wo bin ich?“ Er versuchte nicht einmal, die zugeschwollenen Augen zu öffnen oder den Kopf zur Seite zu drehen und in ihre Richtung zu wenden. „Ignatius? … Matthes?“ Erschöpfte Worte. Die junge Frau kannte niemanden mit diesen Namen.
Elsa, deren Herz jetzt wie vorhin entsetzlich pochte vor Aufregung, ging rückwärts aus der Kammer und überließ den Fremden der Dunkelheit. Aber in den Schlaf fand sie nicht wieder. So müde ihr Körper war, so wach waren ihre Sinne. Das Leid, das dem Fremden widerfahren war, ließ sie nicht los.
12

Ehedem wurden die kanonischen Strafen nicht nach, sondern vor der Lossprechung auferlegt, gewissermaßen als Prüfstein der echten Reue.
Christian Vollhardt streckte seine Beine aus, damit er es bequemer hatte, das Mädchen zu betrachten. Sie musterte ihn nicht weniger, als er sie. Er wusste seit jeher sein vorteilhaftes Äußeres, seine große, schlanke Gestalt und sein helles Haar bei den Mädchen in die Waagschale zu werfen. Dass er gut aussehend war, hatte er früh begriffen und er wusste, dass weder seine Herkunft, noch sein Berufsstand ihm die vortreffliche Partie eingebracht und ihm zu bescheidenem Wohlstand verholfen hatte. Nun war seine Gemahlin aber längst bei den Seligen und was sie ihm an Geldmitteln vermacht hatte, war so gut wie aufgebraucht. Blieben ihm noch das Haus und ein paar bewegliche Güter, die er anzutasten noch nicht betrunken genug gewesen war. Seine Ehe war nicht von großen Gefühlen geprägt gewesen. Die Kinder, die sie ihm geschenkt hatte, waren allesamt nach wenigen Tagen gestorben. Bis das letzte sie mit sich genommen hatte. Aber das Andenken an sie bewahrte er so, wie sie es als rechtschaffene, brave Bürgerin verdient hatte. Ihr Ableben im Kindbett war Fluch und Segen gewesen. Das Trauerjahr war vorbei und Christians Bedürfnisse waren lebendig wie ehedem.
Die meisten Mädchen, die er zu sich einlud, waren verzagt. Mit den meisten war nichts anzufangen. Diese hier jedoch bewegte sich, kaum dass sie das Stadthaus des Schwertfegers betreten hatte, zielsicher und selbstbewusst durch die Räumlichkeiten, wie es nicht einmal Vollhardts Haushälterin tat. Das Mädchen stellte sich an den Tisch, auf dem eine Karaffe mit Erlesenem stand. Christian Vollhardt war weder reich noch adelig, aber wenn es um sein kleines Vergnügen ging, sparte er sich den edlen Tropfen gern vom täglich Brot ab. Er war betucht des Erbes halber, aber er wusste, er würde gut haushalten müssen, wollte er seinen angeheirateten Wohlstand noch eine Weile genießen. Christian Vollhardt war kein Kaufherr. Er verstand es nicht, seine finanziellen Mittel zu vermehren, aber er verstand es, genau das vorzugeben. In den Augen der Mädchen war er wohlhabend und allein darum ging es ihm. Das Bürgerrecht hatte er sich schon vor seiner Heirat erkauft und vielleicht war ihm das zu Kopfe gestiegen. Er war immerhin Mitglied des Städtischen Rates, auch wenn er seines seligen, längst verstorbenen Schwiegervaters wegen und der Quote wegen im Rat saß und man auf seinen Ratschlag keinen Wert legte.
„Wollen wir dann anfangen?“, fragte das Mädchen, nachdem es sich eingeschenkt hatte. Vollhardt wies in die Richtung, wo sich das Heimlichste befand. Das Mädchen ging voraus, nicht ohne die Karaffe mit sich zu nehmen. Ihr blondes Haar endete in verspielten Löckchen, die mit jedem Schritt auf ihren Hüften tanzten. „Zwei Heller und nicht ganz“, sagte sie und Vollhardt wusste, was sie meinte. Er hatte bislang jedes seiner Mädchen zum ganz Äußersten und zum vollendeten Genuss gebracht. Das brauchte seine Zeit.
Er wies sie an, sich langsam zu entkleiden. Um nicht einen Moment dieses Aktes zu versäumen, platzierte er sich auf das breite, von Atlassen bedeckte Bett. Die Schabracken um den Bettkasten, Vorhänge und Teppiche waren allesamt Erbstücke seines verstorbenen Weibes, ebenso die Gemälde derer, die Christian nicht kannte, und das böhmische Kristall natürlich.
„Nicht so schnell“, murmelte er in sein Weinglas und das Mädchen hielt inne, die Fibeln vom Überkleid zu lösen. Das hölzerne Schuhwerk und die vielfach gestopften, wollenen Strümpfe hatte sie abgestreift, auch der Überwurf war längst zu Boden gegangen. Langsam fädelte sie die Schnüre des tief ausgeschnittenen Überkleides auf. Es war ein schlichtes Gewand mit an den Schultern befestigten, weiten Ärmeln, das das Mädchen jetzt vom Körper gleiten ließ. Er übersah geflissentlich die Schmutzflecken an gewissen Stellen des Unterkleides. Er würde ihr für ihre Treffen die Kleider seiner Verflossenen zur Verfügung stellen, damit der Moment des Entkleidens perfekt würde. Auch hatte es einen besonderen Reiz, die Ärmel selbst vom Schulterstück zu nesteln. Fürs Erste diente diese Schau der Güteprüfung. Seine Wahl bestätigte sich als qualitätvoll.
Die Rundungen blieben auch nach dem Entkleiden genau dort, wofür das geschnürte Kleid geworben hatte. Festes Fleisch. Er nickte zufrieden und versenkte den Blick ins Weinglas. Sie entschied, was weiter geschah. So schaffte er es, sie irgendwann ins Bett zu bekommen. Er bezahlte nicht so gut, dass sie sich bereitwillig und voll und ganz hergeben würde. Das brauchte Zeit, wie gesagt. Unter den gesenkten Wimpernkranz hindurch sah er, wie sie abwartend neben ihm lag, nackt und unschlüssig. Auf die Seite gedreht, begann sie, seinen Hosenlatz aufzuknöpfen, nahm ihm sein Weinglas ab und machte, dass ihm das Blut heiß durch die Adern schoss. Sie fesselte seinen Blick und er ließ sich keuchend in die Kissen zurückfallen. Es war viel zu schnell vorüber, weil er seit Wochen kein Mädchen mehr gehabt hatte. Keine der Dirnen vom Hotertor hatte ihm gefallen. Die Jüngeren waren dreckig, verlaust, verfloht und überteuert. Die Älteren waren nicht nur schmutzig und von Ungeziefer besiedelt, sondern obendrein auch noch zahnlos und verfilzt, sodass man nicht wusste, wie der Weg hineingefunden werden sollte. Sie waren in ihrer Verzweiflung so billig, dass selbst Christian skeptisch geworden war. Nein, er wollte eine frische, die nur ihm zu Diensten war und sonst keinem. Sie war ja keine Dirne. Das hatte er klargestellt, als sie aufgetaucht war. Ja, Christians Mädchen kamen freiwillig zu ihm.
Lange bevor er sie angesprochen hatte, hatte er sie beobachtet: Auf dem Markt, beim Waschhaus, war er ihr bis zu ihrer Behausung gefolgt und hatte sich ihrer Armseligkeit vergewissert. In ihren Bemühungen, ein rechtschaffenes Leben zu führen, war ihm ihre Verzweiflung aufgefallen und der schmale Grad zwischen Recht und Unrecht, den sie täglich beschritt. Er hatte sie beobachtet, wie sie in der Fleischergasse ein etwa faustgroßes Stück von der Fleischbank geschnappt hatte. Sie war nicht hastig davongelaufen, sondern hatte die Fleischersfrau sogar noch in ein Gespräch verwickelt. Das hatte Christian beeindruckt. Auch, dass sie nach dem Diebstahl nicht gleich nach Hause, sondern erst einmal in die Kirche zum Beichten gegangen war. Ein schmaler Grad eben.
Als es kälter wurde, sie für Almosen auf dem Markt herumstrolchte und mit den Benediktinermönchen um den besten Bettelplatz stritt, hatte er sie angesprochen. Ob sie sich nicht bei ihm und einem Glas Wein aufwärmen wolle. Ein unverfängliches Angebot mit unmoralischem Hintergedanken. Das sah ein Blinder mit Krückstock.
Sie hatte ihn angeblafft, so eine sei sie nicht und sie würde ihn melden, wenn er sie noch einmal belästigte. Er hatte sein verführerischstes Lächeln gezeigt, sich entschuldigt und ihr gesagt, wo er wohne, falls sie es sich anders überlegen würde. Sein Angebot gelte uneingeschränkt, hatte er ihr zugeraunt, dann hatte er abgewartet. Als der erste Frost schon ein paar Nächte anhielt, hatte es an seiner Tür geklopft. „Ich bin keine Hure“, hatte sie zur Begrüßung gesagt. Sie erwiderte sein Lächeln, vorsichtig zwar, aber untrüglich. Dann nannte sie ihren Preis. Es hatte ihn überrascht, dass sie sich unter Wert verkaufte, oder vielleicht kannte sie die gängige Währung dieser Stadt nicht. Das hatte er ihr freilich nicht gesagt. Sie würde schon selbst dahinterkommen.
„Gut“, murmelte er, nachdem es vorüber war, wischte sich den Schweiß aus der Stirn und rieb seine Augen. Zuerst schälte sie sich aus dem Bett, wobei er sie beobachtete, wie sie sich in ihr Kleid schnürte. Dann rappelte er sich auf. Ächzend zog er seine Hose hoch. In der Kleidertruhe wühlte er nicht lange. „Hier“, förderte er ein blaues Überkleid zutage. „Das trägst du das nächste Mal.“
Das Mädchen beäugte das Stück Tuch in seiner Hand. „Von Eurer Verflossenen?“
Christians Zeigefinger schnellte vor. „Niemals erwähnst du mein verstorbenes Weib. Klar?“
Sie nickte und deutete auf das Stück: „Ich darf diese Farben nicht tragen. Ich bin keine Bürgerin.“
Er nickte. „Zieh es unters Cape. Es wird schon niemand darauf achten.“
Sie nickte abermals und nahm auch das blütenweiße Unterkleid entgegen, das er aus den Tiefen der Truhe barg. Sie vereinbarten einen festen Abend in der Woche, an dem er sie sehen wollte. Mehr als einmal wöchentlich konnte er sich nicht leisten. Das gestand er ihr freilich nicht. „Mehr Zeit hab ich nicht“, sagte er stattdessen, schob ein keckes Augenzwinkern hinterher, das dem Mädchen bedeuten sollte, dass er die übrigen Abende der Woche für verschiedene andere Vergnügungen reservierte. Und ganz gelogen war es ja auch nicht. Ein, zwei Mal traf er sich mit Kumpanen auf ein Bier im Ausschank, der eben an der Reihe war und Brautag hielt.
Nach einer wohligen Nacht kam Christian am folgenden Morgen der Einladung des ehrenwerten Hohen Rates nach und fand sich in der Ratsstube ein. Es war nicht weit von seinem Haus hinter dem Kloster bis zum Rathaus am Ring. Aber auch ein paar Schritte genügten, um sich an den Fäkalien zu beschmutzen, dem ganzen Dreck und Matsch, dem Gemüll in den engen Gassen, wo so große Unreinlichkeit herrschte. So war Christians schön bestickte Schaube schon nach wenigen Schritten besudelt, die Entenschnabelschuhe aus feinstem Leder durchweicht. Doch alle Scheiße dieser Welt hätte seine gute Laune nicht trüben können. Nicht einmal die langen Gesichter der Ratsherren.
Die besprachen sich bereits, da war die Versammlung noch nicht einmal durch den Bürgermeister eröffnet worden. Neben dem Bürgermeister Schwartze fanden sich die Räte und die Ältesten, ferner die Innungsvorstände und solche wie er, Christian, die Gassenrichter und Handwerker, die in ihrem Viertel nach dem Rechten sahen. Die elf Ratsmannen und sieben Schöppen tauschten die Ratsämter per Kooptation.
Christians Platz war hinten, nahe der Hallentür. Es war noch nicht lange her, da war neben den Brauern auch den Handwerkern genehmigt worden, den Rat zu besetzen, des Scheins wegen. Das Mitsprechen war aber eine andere Sache.
Das Sonderbare an der heutigen Sitzung war, dass auch die Kirche vertreten war. So bot der Pleban Martin Faber zur Rechten des Bürgermeisters eine von Sorgen tief gefurchte Miene, während er auf den Schwartze einredete und der wiederum seine Stirn in Falten legte. Faber war ein sonderbarer Kauz mit ganz eigenen klerikalen Vorstellungen und wartete immer wieder mit Überraschungen auf.
Bald hatte Christian dem Raunen der Menge entnommen, was den Rat der Stadt so in Aufruhr versetzte. Drei waren geächtet worden, keiner von ihnen auffindbar. Soweit die Kurzfassung. Christian wusste, er hatte eine gute Stunde Müßiggang vor sich, um an das Mädchen zu denken, mit dem er sich vergnügt hatte, während hier über die Suche nach den Geächteten verhandelt wurde. Zwei Männer und eine Frau, so hieß es, waren umtriebig geworden. Zumindest derer zwei Namen waren nicht unbekannt. Es handelte sich zum einen um den Stiefsohn des Braumeisters Tylike, dem Andres Hinterthur, zum anderen um des Druckermeister Weidners Erstgeborenen Matthes. Ein dritter Name allerdings war selbst den städtischen Lästermäulern unbekannt: Carolina Müllerin. Keine Tochter der Stadt Görlitz, sondern – wie es Schwartze versicherte – aus dem Anhaltischen stammend.
Diesen Dreien wurde zur Last gelegt, die ketzerischen Schriften eines gewissen Doktor Martin Luther verbreitet zu haben. „Nie gehört“, maulte der neben Christian sitzende und auf einem Strohhalm herumkauende Scharfrichter Alfons Sieder. Sein Geruch ging ihm voraus, denn sein Metier war nicht nur das Richten, sondern die Entsorgung der Kleidung der Toten und der Tierkadaver sowie die Häutung derselben, was dem Hoter, Häuter, den unschönen Beinamen verpasst hatte. Alfons Sieder hatte allemal Christians Respekt gepachtet, denn war nicht auch die Hygiene der Mädchen vom Hotertor des Hoters Aufgabe? Der schaute nicht Christian oder seinen Nachbarn zur anderen Seite an, sondern beobachtete die selbstherrlichen Herren vorn an der Tafel. „Zeitverschwendung.“ Er spuckte den Strohhalm zu Boden.
„Du ziehst es sicher vor, einen Dieb vor den Toren der Stadt zu hängen, als hier herumzusitzen“, versuchte es Christian mit einem Scherz, wurde aber von Sieder mit einem überdrüssigen Blick bedacht. Der Scharfrichter hatte kein Stimmrecht und keinen wirklichen Ratssitz hier. Ihn zu den Versammlungen einzuladen, ersparte den Gang in die Büttelei und das Wiederkäuen aller Beschlüsse. Die Büttelei lag nicht weit entfernt von Christians Haus, doch ein nachbarschaftliches Verhältnis war mit dem Hoter schwer herzustellen. Da war das Verhältnis zu den Ratten und Mäusen wärmer als zum Henker!
Weil Pleban Faber laut wurde, widmete sich Christian dem Schaustück da vorn. Faber echauffierte sich, er dulde auf keinen Fall die Verbreitung solcher Blasphemie in seinem feinen Städtchen. „Luthers Worte sind wie Gift!“, regte er sich auf, sodass er ein ganz rotes Gesicht bekam. „Und er vergiftet so viele. Die Jüngeren sind besonders gefährdet.“
„Aber ist die Reichsacht nicht ein bisschen zu hart …?“, mischte sich Bürgermeister Schwartze ein und erntete entschiedenen Widerspruch von Johannes Haß. Er war Schrift- und eigentlicher Wortführer in der Runde.
Haß erhob den Zeigefinger. „Wenn einer die Kurie und die römische Kirche anschwärzt, gehört er gehängt!“ Johannes Haß, Protonotarius aus Passion, suchte den Schulterschluss mit Scharfrichter Sieder. Und Christian sah aus dem Augenwinkel, wie jener geflissentlich, nicht aber eifrig, nickte.
„Nein! Zuerst die Zunge raus, die Luthers falsche Reden verbreiten, danach die Hände ab, die seine Schriften vervielfältigen und dann erst erhängt gehören die Drei!“, redete sich der Pleban in Rage und Sieder nickte auch dazu.
Als man das Kopfgeld auf Andres Hinterthur, Matthes Weidner und Carolina Müllerin aussetzte, ging ein Raunen durch die Menge. Zwei Gulden war eine Summe, die auch Christian gut gebrauchen konnte.
Dem Bürgermeister Schwartze vertrauten die Leute. Er hatte schon Schlimmeres durchgemacht, denn er war schon Ratsmann gewesen, als im Jahre des Herrn 1496 die Pest gewütet hatte. Er war es gewesen, der wusste, wie wandelbar der Tod und wie umtriebig das Sterben sein konnte. Aber anders als damals, da die Ratskür ausgefallen war, aus Angst vor jedem Atemzuge, mit dem man sich würde anstecken können, war jetzt die Streiteslust ungebrochen.
Ein Geächteter war immer eine angenehme Abwechslung, über die es sich zu sprechen lohnte. Seuchen gab es ja alle paar Jahre, aber Geächtete, die es wagten, vom einen in das andere Königreich zu fliehen? So wurde die Frage erörtert, unter welchem Gesetz die Drei jetzt eigentlich stünden und wie mit ihnen verfahren werden sollte, wenn man sie endlich gefasst haben würde? Darüber geriet man in Streit, dessen Ausgang Christian nicht nachvollzog.
Noch am selben Morgen wurde die Stadt auf dem Reißbrett in acht Winkel aufgeteilt und die Stadtbüttel ausgesandt, jedes Haus, jeden Stock, jede Grube, jeden Stall nach den drei Delinquenten zu durchsuchen. Christian, kraft seines Amtes als Gassenrichter, führte einen der Trupps an, die sich durch das südwestliche Tortenstück fraßen.
Hier inspizierten sie als Erstes das Haus des Druckermeisters Weidner, dessen Werkstatt sich nahe der doppelten Stadtmauer, dem Zwinger, in der Nikolaigasse befand. Meister Ignatius Weidner war insofern kooperativ, als dass er sich nicht den Stadtdienern in den Weg stellte, sondern sie lediglich als Ränkeschmiede und der Bürgerschaft untreu beschimpfte. Er behinderte also die Büttel zumindest nicht bei der Hausdurchsuchung. Der Druckermeister hatte neben seinem Erstgeborenen, dem Ketzer Matthes, noch zwei Töchter, die aber längst vermählt waren. Susanna, die älteste, bewohnte mit ihrem Mann und der Kinderschar die Dachstuben. Die andere Tochter war auswärts verheiratet worden.
Die stinkende Druckerei in den Kellergewölben bot nicht einmal einer Maus eine Ritze, einen Kasten oder eine Truhe, um sich zu verstecken. Im Gewölbelabyrinth befanden sich die Druckpressen und die Schränke mit den breiten Schubladen. Christian musterte die an Leinen aufgehängten Blätter mit den sauberen Reihen schwarzer Buchstaben. Er war bislang auch ohne sie durchs Leben gekommen.
„Hier ist kein Versteck für den Ketzer“, rief er, nachdem er alle Kellerräume durchstöbert, alle Schränke, die nur halbwegs einen erwachsenen Mann würden verbergen können, geöffnet hatte, und wandte sich zum Druckermeister um. Dem war die Puste ausgegangen, jetzt stand er mit puterrotem Gesicht und zu Fäusten geballten Händen da und taxierte den Gassenmeister. „Euch dürfte klar sein, was mit Euch passiert, wenn sich herausstellen sollte, dass Ihr Eurem Sohn Unterschlupf gewährt.“ Christian hatte sich vor dem untersetzten Drucker aufgebaut. Dessen Angstschweiß war hinter der versteinerten Miene trotzdem zu riechen. Er erwiderte nichts. „Ihr werdet allesamt gehängt: der Matthes, Ihr, Euer Weib, Eure Tochter und deren Mann, Eure Kindeskinder. Alle, die unter diesem Dach hausen.“ Noch einen Moment lang kostete Christian seine Macht aus. Ein überraschendes, ein gutes Gefühl, die Regungen seines Gegenübers lenken zu können.
„Hier ist er nicht“, stieß Meister Weidner aus, „und er wird sich hüten, hier aufzutauchen. So dumm ist er nicht. Im Gegenteil, er ist sehr schlau. Mein Sohn ist überaus gebil …“ Am Weitersprechen hinderte ihn Christians Faust, die er dem Älteren in die Magengrube rammte. Er sah zu, wie Weidner sich, nach Luft japsend, aufrichtete, aber an ihm vorbeiblickte. „Was glaubst du, wer du bist, Bürschchen“, knurrte der Weidner und seine hellen, blutunterlaufenen Augen fanden jetzt Christians Blick.
„Der Gassenrichter“, zuckte jener mit den Achseln. „Und Ratsmitglied.“
Der Weidner spuckte vor Christians Füße und der musste sich zusammenreißen, seine Fäuste nicht abermals spielen zu lassen. „Du bist kein Ratsmitglied“, grollte der Alte. „Du bist deren Lakai, ein Bückling, sonst nichts. Fällst weder Entscheidungen, noch wirst du um deine Meinung gefragt. Sie schicken dich los, wenn es was Schmutziges zu erledigen gibt. Zu was anderem brauchen die dich nicht.“
„Halt’s Maul“, verlor Christian den Kampf gegen seine Vernunftstimme. Er packte Weidner am Kragen und drückte ihn gegen die Felssteinwand des Gewölbes. Die Binse in der Halterung neben seinem Gesicht flackerte nervös. „Halt einfach die Klappe, hörst du?“ Er forschte im Gesicht des anderen, das keine Regung zeigte, und ließ Weidner los. In Christians Mund floss Speichel zusammen, sein Herz schlug erregt. So weit war er noch nie mit einem Unruhestifter gegangen. Es bereitete ihm Vergnügen, auszuspielen, was Weidner nicht hatte: Jugend, Kraft, Schönheit, Aufstiegsmöglichkeiten.