Kitabı oku: «Mondschein», sayfa 8

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Kapitel 7

Geron, Priovan und Eleonora standen zum Aufbruch bereit im Hof der Burg von Tjemin. Sie waren schon früh aufgestanden und nach einem reichhaltigen Frühstück hatten sie sich sofort für die Weiterreise nach Andtweil bereit gemacht. Zwei Stallknechte brachten gerade die Pferde von Geron und Priovan, als mehrere Bewaffnete in den Hof geritten kamen. Es war die Eskorte, die, auf Befehl von Herzog Richard hin, noch einmal aufgestockt worden war. Wie am Tag zuvor ausgemacht, würden die drei gemeinsam mit Isabel von Andtweil und Ludwig von Fendron reisen. Gerade als ein Mann eine Kutsche gezogen von vier Pferden vorfuhr, kamen die beiden begleitet von Herzog Richard, der sich auf einen Stock stützte, und seinem Sohn Berlan aus dem Tor des Bergfrieds.

Ludwig wirkte noch immer etwas erschöpft und müde vom vorigen Abend, zumindest zeigten dies seine tiefen Augenringe und die leicht gerötete Nase, wohingegen Isabel so jung und schön wie immer wirkte.

„Gerne hätte ich dich noch länger als Gast beherbergt, Geron, aber dennoch bin ich beruhigt, dass du es bist, der Ludwig und Isabel nach Andtweil begleitet“, begrüßte der alte Herzog Geron, der dankend nickte.

„Auch ich wäre gerne länger in Tjemin verweilt, aber wir wollen noch vor dem Herbst unsere Reise beenden, und so drängt es uns weiter nach Andtweil und dann nach Lyth Valor.“, antwortete er und wandte sich dann an Ludwig und Isabel. „Ich möchte Euch danken, dass Ihr meiner jungen Gefolgsfrau die Mitreise in der Kutsche gestattet.“ Ludwig wollte gerade antworten, als ihm Isabel mit einem Lächeln zuvor kam.

„Selbstverständlich, Herr von Dämmertan, es ist uns eine Freude. Und vielleicht wird durch ihre Anwesenheit die lange Reise etwas unterhaltsamer.“

„Nun gut“, wandte dann Ludwig ein. „Dann wollen wir aufbrechen, schließlich wartet ein langer Weg auf uns.“ Während sich Ludwig und Isabel von Richard und Berlan verabschiedeten, zog Geron Lora bei Seite.

„Pass auf, Lora. Du wirst dich absolut korrekt verhalten. Du wirst nur sprechen, wenn du gefragt wirst. Du wirst die Dame Isabel stets höflich als hohe Dame und Ludwig nur mit Wohlgeboren ansprechen. Ich will, dass du mir keine Schande machst, verstanden?“

Lora nickte ernst. Sie konnte sich nicht wirklich auf die Fahrt mit den beiden Adeligen freuen, wusste sie doch schon jetzt, dass sie sich völlig fehl am Platz fühlen würde. Und ihr war auch ungewiss, ob und worüber sie mit den beiden Herrschaften reden sollte beziehungsweise, wie sie sich verhalten sollte. Immerhin war es eine längere Fahrt bis nach Andtweil, da konnte man sich nicht einfach schweigend gegenüber sitzen. Als sie gerade noch darüber nachdachte, kam auf einmal Isabel auf sie zu.

„Du bist also unsere Mitreisende?“

„Jawohl, Hohe Dame, mein Name ist Eleonora.“, sagte Lora unsicher. Sie hatte gerade noch hinzufügen wollen, dass sie Lora genannt wurde, erkannte aber, dass dies wohl unpassend war und hatte sich rechtzeitig auf die Lippe gebissen.

Isabel lächelte sanft. „Dann komm doch mit. Wir werden bestimmt eine angenehme Reise haben.“, sagte sie und führt sie zur Kutsche, während Geron und Priovan auf ihre Pferde stiegen. Ludwig stieg als letztes in die Kutsche und dann setzte sich die Gruppe in Bewegung.

Die ersten paar Minuten war es außer dem Rumpeln der Kutsche und den Hufschlägen der Pferde, die nur gedämpft in die Kutsche drangen, sehr ruhig in dem Innenraum. Ludwig sah man die deutlichen Spuren der gestrigen Feier an. Er wirkte sehr müde und unterdrücke nur aus Höflichkeit einige Gähner. Unter seinen Augen waren tiefe Ringe und er wirkte blass, von den leicht rötlichen Färbungen der Wangen und der Nasenspitze abgesehen. Nachdem die Fahrt begonnen hatte, schloss der Sohn des Herzogs, der entgegen der Fahrtrichtung Lora und Isabel gegenübersaß, die Augen.

Isabel wirkte deutlich frischer und auch Lora fühlte sich, trotz des nächtlichen Ausflugs und des frühen Morgens, recht ausgeruht, was bestimmt auch an dem reichlichen Frühstück und dem gemütlichen Bett lag. Nachdem sie Tjemin hinter sich gelassen hatten brach Isabel die Stille und wandte sich an Eleonora.

„Geron hat gegenüber mir lediglich gesagt, dass du neuerdings in seinem Gefolge bist. Leider hat er mir nicht berichtet, wer du bist und woher du kommst. Da wir eine längere Fahrt vor uns haben, fände ich es schön, wenn wir uns ein bisschen unterhalten könnten, und dazu müsste ich dich erstmal genauer kennen.“ Lora nickte, sprach aber nicht. Sie wusste nicht wirklich, was sie erwidern sollte, und offenbar bemerkte auch Isabel ihre Unsicherheit. Sie lächelte.

„Um dir den Anfang ein bisschen zu erleichtern möchte ich mich dir noch mal genauer vorstellen. Wie bereits gesagt bin ich Isabel von Andtweil, ich bin die Tochter des vor einigen Jahren gefallenen Ritters und Freiherrs Victor von Andtweil. Ich selbst bin zurzeit das Mündel ihrer Gnaden des Herzogs von Fendron und hoffe, dass er mich bald verlobt, sodass mein zukünftiger Ehemann dann selbst zum Freiherr von Andtweil wird. Warst du schon einmal in Andtweil?“

„Nein“, antwortete Lora. Sie hatte den kurzen Ausführungen Isabels ordentlich zugehört und hoffte alles zu behalten. Der Anfang der Unterhaltung war weit weniger schlimm gewesen, als sie befürchtet hatte. Isabel strömte eine gewisse Wärme aus, die auch Lora ein gutes Gefühl gab.

„Aber soweit ich mitbekommen habe, werde ich ja bald die Freude haben eure Heimat kennen zu lernen, hohe Dame.“

„Ja, in der Tat, und solange wir in der Kutsche sind sagt bitte Isabel zu mir. Und Ludwig kannst du auch mit Ludwig ansprechen, nicht wahr?“, fragte sie den dritten Mitfahrer der kurz die Augen aufschlug und immer noch verschlafen kurz antwortete. „Ja, natürlich.“

„Gut, dann erzähl mir doch bitte ein bisschen von dir, Eleonora. Ich bin wirklich gespannt, wie du an den Herrn von Dämmertan gekommen bist.“ Ein leichter Spott schien beim letzten Satz in ihrer Stimme zu liegen, auf den Lora aber bestimmt nicht näher eingehen wollte.

„Meine Geschichte ist wohl weniger prunkvoll als Eure. Mein Vater kehrte, als ich ein kleines Kind war nicht mehr aus dem Krieg zurück. Meine Mutter starb als ich sechs Jahre alt war. Da mich in meinem Heimatdorf niemand aufnehmen wollte und ich auch sonst keine Verwandten hatte, bin ich als kleines Kind in die nahe Stadt Tjemin gezogen, wo ich mich seitdem durchgekämpft habe. Ich habe schnell gelernt, wie man in den Straßen der Stadt überlebt, wem man trauen kann und sollte, und wen man besser meiden sollte.

Mein Traum aus dieser Stadt zu entkommen wurde vorgestern erfüllt, als ich den jungen König von Strauchdieben verfolgt in den Straßen erblickte und ihm bei der Flucht half. Der Herr von Dämmertan hat mir zur Belohnung für die Rettung des Lebens des Königs einen Wunsch gewährt, und ich entschied mich Tjemin ein für alle Mal zu entrinnen und habe darum gebeten, ihn und Priovan auf ihren Reisen zu begleiten. Ein bisschen verwegener Wunsch war das wohl schon, aber ich bin mir sicher, dass ich meine Entscheidung nicht bereuen werde. Nun ja, und jetzt bin ich hier.“

Sie lächelte und beendete so den kurzen Abriss über ihr Leben. Isabel hatte interessiert zugehört.

„Nun, dein Leben war vielleicht weniger prunkvoll als meines, aber es war bestimmt spannender und erlebnisreicher.“

„Wenn du Hunger, Kälte und den täglichen Kampf ums Überleben als spannend und ereignisreich bezeichnest, dann hast du wohl recht.“, erwiderte Lora sarkastisch und bereute schon im nächsten Moment die Aussage. Sie merkte auch, dass sie die förmliche Anrede weggelassen hatte und biss sich auf die Lippe. Das war bestimmt nicht das, was Geron als höflich bezeichnet hätte. Dennoch wirkte Isabel nicht beleidigt, obwohl sich ihre Miene deutlich verfinsterte. Es lag jedoch kein Groll in ihrem Gesicht, sondern eine Spur von Trauer.

„Die Armut der Bevölkerung ist ein großes Problem.“, sagte sie ernst. „In Tjemin, eigentlich in Fendron, geht es noch. Die Ernten der letzten Jahre waren zwar schlecht, aber nicht so schlecht wie in anderen Teilen Valoriens. Besonders schlimm muss die Situation in Tandor und im Norden und Osten von Rethas sein, wo zu schlechten Ernten auch noch die Überfälle der barbarischen Urben kommen. Unter König Thanhold, Priovans Vater, waren Armut und Hunger deutlich geringer, so erzählt man. Hoffen wir, dass der junge König auch wieder Wohlstand und Frieden bringen wird.“

„Das wird er bestimmt.“, warf Lora schnell ein. „Ich vertraue ihm. Er kennt auch die Sorgen der einfachen Bevölkerung. Er wird bestimmt ein guter und gerechter König.“

„Selbst der gerechteste und beste König kann manchmal seine Herausforderungen nicht bewältigen, wenn diese durch äußere Umstände oder auch die eigenen Untergebenen ins Unermessliche steigen.“, meldete sich da Ludwig erstmalig zu Wort, und fuhr dann direkt fort. „Auch wenn ich der jungen Dame Recht gebe, dass der junge König bestimmt gütig und gerecht sein kann, so wird er doch vielen Herausforderungen begegnen müssen. Die wilden Urben im Osten, die verhassten Kargatianer im Süden, zudem kann auch der König nicht das Wetter beeinflussen. Außerdem werden wohl bald zwei neue Herzöge in Fendron und Rethas ihr Erbe antreten. Ein neuer, junger Herzog kann ein Segen sein, aber auch ein Fluch. Wir werden sehen.“

Lora hörte interessiert Ludwig und Isabel zu, wie sie über all die politischen Dinge redeten, auch wenn sie nicht alles verstand. Natürlich kannte sie die Geschichten über die wilden Urben, denen so manche Grausamkeit zugeschrieben wurde. Lora wollte nicht beurteilen, welche wahr und welche falsch waren.

Die Mittagssonne stand hoch am Himmel, als der Tross ein kleines Dorf erreichte. Sie waren schon einige Stunden der Straße gefolgt, die sich am Ufer der Gronde nach Süden schlängelte. Wie schon die vorigen Tage war das Wetter sommerlich heiß. Die Soldaten schwitzen in ihren Rüstungen und auch Priovan hoffte, dass sie die wohlverdiente Pause in diesem Dorf finden würden. Geron und der Hauptmann der Eskorte, ein Mann namens Ludger, hatten ein scharfes Tempo angegeben. Den Pferden merkte man die Erschöpfung genauso an wie den Menschen, aber sie wollten die Reisezeit nach Andtweil möglichst kurz halten. Dennoch würden die beiden wohl jetzt auch einsehen, dass es wirklich höchste Zeit für eine Pause war. Und wie erhofft zügelten die beiden Männer ihre Pferde und verringerten so das Tempo als sie ein Schild passierten, dass den Namen des Dorfes anzeigte: Gelnau.

Die Einwohner von Gelnau hatten offensichtlich schon aus der Ferne die Reisegruppe gesichtet und warteten so auf dem Dorfplatz, der von einer Taverne, einer Handwerkerstube, offensichtlich die eines Schreiners, und weiteren zwanzig Wohnhäusern umgeben war. Dies stellte schon das ganze Dorf dar, dessen Einwohner hauptsächlich Bauern oder Fischer waren. Ehrfürchtig zogen die Leute ihre Hüte und Kappen ab und beugten den Kopf, als sie das Wappen des Herzogs von Fendron und des Freiherren von Dämmertan erblickten. Geron hatte zwar eigentlich nicht gewollt, dass ein Soldat auch sein Wappen trägt, immerhin sei er nur ein einfacher Reisebegleiter, aber der Herzog von Fendron hatte auf diese Ehre bestanden. Als sie näher kamen musterte Priovan die Menschen genauer. Viele sahen sehr dürr und ausgemergelt aus, obwohl doch eigentlich so ein bescheidenes Dorf ganz erträglich sein sollte, das zudem noch an einer viel genutzten Straße lag. Und von erhöhten Steuern in Fendron hatte er auch noch nicht gehört. Hatten die Winter der letzten Jahre wirklich so hart zugeschlagen? Er wollte Geron gerade nach dieser Situation fragen, als sie die Dörfler bereits erreichten.

Aus der Menge von etwa vierzig Dorfbewohnern trat ein Mann heraus, der seine besten Jahre offensichtlich schon hinter sich hatte. Dennoch wirkte der Mann kräftig und willensstark, weder gebeugt von Alter noch von Hunger. Seine dunklen Haare waren schon grau durchzogen, sein Bart wuchs wild. Anhand seiner Schürze, die er um den Bauch trug, konnte man annehmen, dass es sich um den Wirt der kleinen Herberge handelte. Dieser schien auch als Dorfvorsteher zu fungieren.

„Seid gegrüßt, edle Herren“, begrüßte er die Reisenden mit einer kleinen Verbeugung. „Es ist mit eine Ehre, Euch in unserem bescheidenen Dorf willkommen zu heißen, Herr Ritter. Mein Name ist Havold. Wünscht Ihr zu rasten? Können wir Euch in irgendeiner Weise dienlich sein?“

Geron nickte dem Wirt zu und stieg ebenso wie der Hauptmann der Eskorte aus dem Sattel. Nach einem kurzen Wink tat es ihm auch Priovan gleich, der sich jedoch wohlweislich im Hintergrund hielt. Es sollte wirklich nicht jeder wissen, wen er dort vor sich hatte.

„Vielen Dank, Havold.“, sagte Geron während er sich seiner Reithandschuhe entledigte. „Wir wünschen für einen Augenblick zu rasten. Kümmere dich doch bitte darum, dass die Pferde ordentlich getränkt und gefüttert werden und dass die Soldaten ein ordentliches Mittagsmahl und einen großen Humpen Wasser bekommen. Kein Alkohol zu dieser Zeit. Außerdem würden sich die hohen Herrschaften gerne für einige Momente in die Schänke setzten, rasten und ein kleines Mittagsmahl einnehmen. Du wirst natürlich entsprechend entlohnt werden.“

Der Mann verneigte sich wieder und drehte sich zu den Dörflern um, um diesen Anweisungen zu geben. Diese Reisegruppe bedeute ein wirklich lohnendes Geschäft für das kleine Gelnau, das offensichtlich in der jüngsten Vergangenheit nicht mit Glück gesegnet war.

Nachdem er sich mit Havold unterhalten hatte ging Geron zusammen mit Ludger und Priovan zu der Kutsche und öffnete die Tür.

„Mein Herr“, wandte er sich an Ludwig. „Wir werden hier eine kleine Rast einlegen, wenn Ihr nichts dagegen habt.“

Ludwig erhob sich und stieg aus der Kutsche. Als erstes streckte er sich kräftig und konnte auch ein leichtes Gähnen nicht unterdrücken.

„Im Gegenteil, eine Pause kommt wirklich gerade gelegen.“ Dem Herzogssohn folgte Isabel, der Ludwig eine Hand zum Aussteigen reichte, und Lora, die auch mehr als froh war, endlich eine kleine Pause einlegen zu können und sich ein bisschen die Beine vertreten zu können. Sie hatte die lange Zeit in der Kutsche mehr angestrengt, als sie zu denken vermocht hatte. Dennoch war die Zeit einigermaßen angenehm gewesen. Isabel hatte sich weiterhin äußerst freundlich und nett gezeigt und auch Ludwig war immer höflich zu ihr gewesen. Es war keinerlei Anspannung zu spüren gewesen, obwohl doch Welten zwischen dem Stand der beiden und dem ihren lagen. Wenn sie eine Erkenntnis von dieser ersten Etappe ihrer Reise hatte, dann wohl, dass auch die höchsten Adeligen nur Menschen sind. Obwohl sie dies bei Priovan schon festgestellt hatte, war er für sie immer noch weniger König als mehr ein einfacher Junge, der Abenteuer erleben wollte.

Gemeinsam gingen dann Geron, Ludger, Priovan, Isabel und Lora in die kleine Taverne. Der Innenraum war kaum beleuchtet, jedoch schaffte es die Mittagssonne durch alle Fugen und Löcher durch die Wand und so wurde der Raum doch ganz gut erhellt. Die fünf setzten sich an einen Tisch und sahen, wie der Wirt im Hinterraum, offensichtlich der Küche, verschwand. Nach kurzer Zeit kam ein kleines Mädchen aus dem hinteren Raum. In der Hand hielt sie ein Tablett mit einem großen Krug Wasser und mehreren Tonbechern, das offensichtlich zu schwer für sie war und so ständig drohte auf den Boden zu fallen. Das Mädchen war vielleicht sieben oder acht Jahre alt und hatte dunkle Haare wie der Wirt, die jedoch recht kurz geschnitten waren. Geron schaute zu Priovan.

„Hilf ihr doch bitte.“, sagte er und der Knappe folgte wie immer gehorsam seinem Befehl. Auch wenn das Mädchen offensichtlich dankbar darüber war, dass ihr die Last abgenommen wurde, stammelte sie doch leise: „Das ist doch nicht nötig.“ Dann sagte sie aber nichts mehr sondern verschwand in der Küche, während Priovan sechs Becher mit Wasser füllte. Das Wasser war angenehm klar und kühl und alle außer Isabel lehrten die Becher in wenigen Zügen. Lora bemerkte, dass Isabel den Becher nur immer kurz an den Mund ansetzte und kleine Schlücke trank. Obwohl auch sie bestimmt sehr durstig war, schaffte sie es so, stets eine gewisse Eleganz zu bewahren, die sie deutlich von den anderen am Tisch sitzenden hervorhob.

Als das Mädchen das zweite Mal wiederkam wurde sie vom Wirt, offensichtlich ihrem Vater, begleitet. In der Hand trug sie ein grobes Holzbrett auf dem ein großer Laib Brot und fünf Holzlöffel lagen. Der Wirt hatte sechs dampfende Schüsseln in den Händen, und schaffte es trotz der großen Anzahl diese ohne einen Tropfen zu vergießen auf den Tisch zu stellen. Es war ein einfacher Eintopf aus verschiedenem Gemüse und einigen Brocken Fleisch. Nichts Besonderes für die Adeligen am Tisch, jedoch war es für Lora wohl genauso wie für die einfachen Bauern des Dorfes ein wirklich gutes Essen, das man schätzen sollte.

Als der Wirt gerade wieder verschwinden wollte, die drei Männer, Priovan und Lora wollten schon mit dem Essen beginnen, hielt die Stimme von Isabel den Wirt vom Gehen ab.

„Sagt, Herr Wirt, was geschieht in diesem Dorf, dass die Menschen hier so leiden müssen? Die Kinder und Frauen sehen ausgemergelt aus und selbst die Männer, die durch die harte Feldarbeit für eine gute Ernte sorgen sollten, sehen nicht besonders wohlgenährt aus. Was ist hier geschehen, dass das Dorf so arm ist?“

Der Wirt drehte sich um und trat wieder an den Tisch. Alle hatten ihre Löffel wieder weggelegt, obwohl Lora wirklich darauf brannte, endlich zu beginnen. Das frühe Frühstück hatte nicht lange vorgehalten. Aber sie war es ja gewöhnt, auch für längere Zeit nichts zu essen.

„Oh, edle Dame, so einiges ist geschehen, was diesem Dorf kein Glück brachte“, begann der Mann zu erzählen. Geron deutete auf einen der Schemel, die in der Nähe standen, und der Mann setzte sich dankbar. Lora erkannte die kleine Tochter, die am Türrahmen zum Hinterzimmer stand und die Szene beobachtete.

„Ich glaube alles begann vor drei Jahren, als in einer Herbstnacht unsere Scheune abbrannte. Von dort an widerfuhr diesem Dorf nur noch Pech, ein Schicksalsschlag nach dem anderen. Die Scheune beherbergte unsere Vorräte für den Winter. Obwohl wir natürlich auch noch einige andere Vorräte hatten, wussten wir schon, dass es ein Winter voll Entbehrungen werden sollte. Wir hatten jedoch nicht damit gerechnet, dass es so schlimm wird. Die Herrschaften erinnern sich vielleicht an den Winter vor drei Jahren. Er war hart, kalt und wollte offenbar nie enden. Zu allem Überfluss suchte uns in dieser Zeit, als wir sowieso schon geschwächt von Hunger und Kälte waren, noch das Fieber heim. Mein Weib und mein jüngster Sohn, eine Knabe von damals erst sechs Jahren, starben beide am Fieber. Auch andere Familien verloren Frauen, Männer und Kinder. Als der Winter überstanden war, hofften wir das schlimmste hinter uns zu haben. Aber wir haben uns getäuscht. Es folgten weitere schwierige Monate. Stürme im Frühjahr, Trockenheit im Sommer und weitere Kälte im Winter ließen die Situation immer schlimmer werden, aber nicht nur bei uns. Auch in den Dörfern der Umgebung wurde die Lage zunehmend ernster. Aus Frust, Armut, Hunger und Verzweiflung bildeten sich dann Räuberbanden, Diebe und Gesetzlose. In den letzten drei Monaten wurden wir schon zweimal von solchen Banden überfallen. Die Lage ist wirklich dramatisch. Meine beiden großen Söhne verließen mich letztes Jahr, wahrscheinlich auch um vom Pfad der Tugend abzukommen. Natürlich bin ich enttäuscht, aber wirklich verübeln kann ich es ihnen nicht. Deshalb bleibt mir jetzt nur noch meine kleine Tochter. Wir hoffen schon seit langem auf Hilfe unseres Freiherrn oder des Herzogs, aber bisher stehen wir alleine da.“

Der Wirt wirkte sichtlich niedergeschlagen, als er seinen Bericht beendet hatte. Eine beklemmende Stille breitete sich im Raum aus. Natürlich kannte Lora die Armut, hatte sie selbst miterlebt, aber irgendwie glaubte sie, dass vieles der Verzweiflung des Landes nie gänzlich nach Tjemin gekommen war. Auch Priovan wirkte offensichtlich geschockt über die desolate Lage seines Landes.

Isabel fasste sich als erstes wieder. „Ludwig, wusstest du davon, dass die Lage hier so schlimm ist?“

Der Herzogssohn schüttelte den Kopf. „Natürlich wusste ich von den Schwierigkeiten der letzten Jahre, aber dass es Teils so dramatisch sein soll. Dieses Dorf scheint wirklich vom Pech verfolgt.“ Isabel blickte zu dem kleinen Mädchen, das noch immer an der Tür stand und winkte es zu sich. Zaghaft ging die Tochter des Wirtes zu der Adeligen.

„Wie heißt du, meine Kleine?“ fragte Isabel. Diese sagte erst leise etwas, was aber kaum zu verstehen war und wiederholte das dann noch mal etwas lauter.

„Isabel“, sagte sie zaghaft und auf dem Gesicht von Isabel von Andtweil legte sich ein freundliches Lächeln.

„So wie ich. Das ist wirklich schön. Hier“, sagte sie und reichte dem kleinen Mädchen ein Silberstück. „Nimm das und kauf dir und deinen Freundinnen etwas Schönes davon. Du musst mir aber versprechen, dass du es teilst.“

Die kleine Isabel strahlte vor Lächeln, brachte aber kein Wort hinaus bis ihr Vater sie scharf ansah.

„Dankeschön, edle Dame“, sagte sie dann noch und verschwand dann auf ein Nicken ihres Vaters hin im hinteren Teil des Hauses. Dann wandte sich Isabel an Ludwig.

„Ludwig, ich wünsche dass diese Menschen hier großzügig für ihre Dienste entlohnt werden. Ludger, von dir erwarte ich, dass du diese Zustände bei Herzog Richard meldest, wenn du wieder in Tjemin bist.“

Lora bemerkte, dass die junge Adelige ohne Rücksicht auf Stand und Titel Befehle verteilte, die auch einfach dadurch akzeptiert wurden, dass Isabel eine natürliche Autorität ausstrahlte. Dadurch, dass sie sich offensichtlich um diese Menschen kümmerte, zeigte sie einfach etwas Gutes, das keinen Widerspruch duldete. Entsprechend quittierten die beiden Männer die Anweisungen auch nur mit einem Nicken, bevor man sich dann doch ans Essen begab.

Einige Zeit war vergangen, seit sie gestärkt und mit frischer Kraft Gelnau verlassen hatten, als die Straße, der sie folgten, in einen Wald führte. Priovan musste unweigerlich an die Männer in Tjemin denken, die ihn verfolgt hatten.

„Herr, meint Ihr nicht, dass dieser Wald ein guter Ort für einen Überfall wäre, der geplant war?“

Geron nickte. „Das ist gut möglich. Allerdings hoffe ich, dass unsere große Eskorte Abschreckung genug ist. Immerhin schien es sich in Tjemin um gewöhnliche Strauchdiebe zu handeln. Da sollten wir auch jetzt keine mutigeren Räuber erwarten müssen.“

„Dann hoffen wir, dass Ihr Recht habt.“

„Ja, aber wir sollten dennoch auf der Hut sein. Ludger“, rief der Ritter den Hauptmann heran. „Du weißt doch auch von dem geplanten Überfall auf unsere Reisegruppe.“

„Ja, ihre Gnaden hat es mir mitgeteilt.“

„Gut, auch wenn es überall passieren könnte, wäre es gut, wenn deine Männer in diesem Wald die Augen ein bisschen offen halten. Er ist doch besser für einen Hinterhalt geeignet als die flachen Auen und Felder, auf denen wir bisher gereist sind.“

„Ich werde meine Männer entsprechend instruieren. Sollen wir dann nicht die Vorhut übernehmen?“

Geron winkte ab. „Nein, danke für das Angebot, aber ich werde weiter voran reiten. Und mein Knappe wird gerne an meiner Seite bleiben.“

Man sah Ludger an, dass er nicht wirklich überzeugt war, Geron und Priovan in dieser gefährlicheren Position zu belassen. Er legte seine Stirn kurz in Falten, die durch die dunkelbraunen Haare, die kurz soldatisch geschnitten waren, noch besorgter wirkte. Dennoch fügte er sich mit einer leichten Verbeugung Gerons Anordnungen und ließ sich zurück fallen, um seinen Soldaten die Befehle zu geben und sie zu besonderer Wachsamkeit zu mahnen.

Lora schaute aus dem Fenster, als sie in den Wald hinein fuhren. Ludwig hatte die Augen wieder geschlossen, jedoch konnte Lora nicht wirklich erkennen, ob er schlief oder sich einfach nur so ein bisschen ausruhte. Dennoch wagte sie es, Isabel leise auf die Vorfälle in Gelnau anzusprechen.

„Vorhin, in der Taverne“, sagte sie so leise, dass Ludwig es wohl auch wenn er wach war nicht hören konnte. „Da hast du es den Männern aber gezeigt.“

Isabel lächelte freundlich und antwortete ebenso leise. „Auch eine Frau muss sich durchzusetzen wissen. Du musst einfach mit deinem Charme spielen. Und du musst klar machen, dass du keinerlei Widerspruch duldest.“

Lora nickte. „Wieso war es dir so wichtig, den Menschen in Gelnau zu helfen?“

Isabel zuckte mit den Schultern. „Ich hielt es einfach für richtig. Die Adeligen haben Verpflichtungen gegenüber ihren Untertanen. ‚Adel verpflichtet’ hat mein Vater immer gesagt, und so ist es auch. Nur muss man das manchen Herrschaften öfter mal ins Gedächtnis rufen.“

„Herrschaften wie Ludwig?“

„Nein, Ludwig ist im Grunde genommen ein sehr guter Mensch. Er scheint mir manchmal etwas abwesend und ist auch sonst glaube ich mit den Gedanken öfter bei seiner Kunst und seinen Schriften als sonst irgendwo anders, aber dennoch ist er ein guter Mensch. Es gibt andere Adelige, denen das viel öfter gesagt werden müsste.“

Lora war beeindruckt von der Willensstärke Isabels, die, obwohl sie eigentlich keinen Titel innehatte, ohne zu Zögern Adelige höheren Standes zurechtwies. Gerade wollte sie weiter nachfragen, als die Kutsche ruckartig zum Stehen kam.

Gerons Pferd scheute, als ein großer Baumstamm auf den Weg stürzte. Nur mit Mühe konnte er sich im Sattel halten. Seinem Knappen erging es dabei nicht so gut. Als sein Pferd sich aufbäumte verlor er das Gleichgewicht und fiel auf den Waldboden. Nach einem kurzen Moment der Orientierungslosigkeit rappelte er sich aber schnell wieder auf. Geron blickte sich um, um die genaue Gefahr zu lokalisieren.

Überall aus dem Wald kamen abgerissene Gestalten mit verschiedenen Waffen auf die Gruppe zu. Geron merkte auch, dass hinter ihnen ebenfalls ein Baumstamm die Straße und damit den Rückweg versperrte. Obwohl es bestimmt zwanzig bis dreißig Banditen waren, wirkten sie nicht wirklich wie ebenbürtige Gegner. Keiner hatte eine Rüstung, die diesen Namen verdiente, nur wenige hatten Waffen aus Metall und zudem wirkten die meisten ausgemergelt und kraftlos.

Nach dem ersten Schock der Überraschung sammelten sich Männer des Herzogs bereits wieder und bildeten um die Kutsche einen Kreis.

„Priovan, lauf zur Kutsche“, befahl Geron seinem Knappen, der dies auch direkt tat. Er selbst zog sein Schwert aus dem Gürtel und ritt zu den anderen Soldaten. Die Banditen kamen nur langsam aus dem Wald. Sie schienen unsicher. Und dennoch wirkten sie entschlossen, den Überfall durchzuführen. Die Soldaten waren außerordentlich diszipliniert. Keiner ließ sich durch die Banditen provozieren, alle blieben nah bei der Kutsche um ihre Aufgabe, den Schutz von Ludwig und Isabel, zu erfüllen.

Ein etwas größerer Mann mit einer zweihändig geführten Axt trat auf den vorderen Baumstamm. Er strahlte eine größere Sicherheit als seine Männer aus.

„Ihr seid umzingelt. Gebt uns alles von Wert, Schmuck, Geld, Waffen, dann werden meine Männer euch verschonen.“

Geron konnte diese Aufforderung nur ein müdes Lächeln abgewinnen. Bei den Banditen erkannte man nur zu deutlich, dass sie aus Verzweiflung vom Pfad der Tugend abgekommen waren. Aber dass sie so verzweifelt waren, dass sie eine schwer bewaffnete Eskorte angriffen, das war schon ein starkes Stück. Dieser Anführer schien von einem anderen Kaliber. Dennoch traute Geron es ihm gut zu, schnell das Weite zu ergreifen, wenn sein Plan der Drohung nicht funktionieren würde. Eher würde er seine Männer sterben lassen.

„Verschwindet und macht den Weg frei, dann könnt ihr diesen Abend noch erleben. Wir haben es eilig und keine Zeit uns mit euch Strauchdieben herumzuschlagen“, entgegnete ihm Geron und ließ sein Pferd ein Stück auf den Anführer zureiten. Aus den Augenwinkeln erkannte er einige Bogenschützen in den Wäldern. Er war auf der Hut. Die anderen Soldaten blieben weiterhin bei der Kutsche.

„Wir sind in der deutlichen Überzahl“, rief der Anführer, der nicht mehr ganz so sicher wie anfangs wirkte.

„Deine Männer sind teilweise zu schwach, um ihre Waffen ordentlich zu halten. Wie sollen sie da einen Kampf gegen die Soldaten des Herzogs gewinnen können?“

Der Bandit schaute sich um. „Noch mehr meiner Männer sind dort im Unterholz und warten nur darauf, einen Pfeilhagel auf euch loszulassen.“ Geron ritt weiter langsam aber beständig auf den Anführer zu.

„Ach ja? Ich frage mich, wieso deine Männer dann immer noch zögern, uns anzugreifen. Wollt ihr wirklich alle an diesem Tag sterben?“, fragte er dann lauter die Banditen um ihn herum. Viele der Männer zögerten. Sie schienen wirklich nicht so entschlossen, wie ihr Anführer, der auch langsam zurückwich. Geron meinte gerade, dass er es geschafft hatte, als einer der Bogenschützen einen Pfeil losließ. Sofort riss Geron seinen Schild hoch und wehrte den Pfeil ab. Dennoch bewirkte dieser Akt, dass die Situation eskalierte.

Sofort folgten dem ersten noch weitere Pfeile und die Banditen stürmten auf die Eskorte in der Mitte zu. Die Männer von Ludger rissen ihre Schilde zum Schutz hoch, um die Pfeile abzuwehren. Geron trieb sein Pferd an, das über den Baumstamm setzte. Wie er vermutet hatte, versuchte der Anführer, als die Lage zu einem richtigen Kampf ausartete, zu entfliehen. Doch er kam nicht weit, bis Geron ihn erreichte. Der Ritter schlug mit seinem Schwert nach dem Mann, der nur im letzten Moment seine Axt zur Parade hochreißen konnte. Blitzschnell setzte Geron jedoch zum nächsten Schlag an, den der Bandit nicht mehr rechtzeitig parieren konnte. Mit der flachen Seite seines Schwertes erwischte Geron den Mann und schickte ihn zu Boden. Dann wendete er sein Pferd, um dem Rest der Eskorte im Kampf beizustehen. Um den Anführer konnte er sich später kümmern.

Priovan hatte die Kutsche gerade erreicht, als der Kampf begann. Auch er hatte sein Schild und sein Schwert in der Hand, hielt sich aber zurück. Hier gab es wirklich genug Soldaten, da musste er sich selbst nicht in Gefahr bringen. Schnell bemerkte er, dass genau das eintrat, was Geron vorhergesagt hatte. Die schlecht ausgerüsteten Banditen hatten keine Chance gegen die berittene Eskorte. Einer nach dem anderen wurde von den Männern des Herzogs zu Fall gebracht und viele suchten schon das Weite, bevor sie überhaupt in einen Kampf eintraten. Nur die wenigen Bogenschützen im Wald bereiteten Probleme. Ein Mann der Eskorte war von einem Pfeil getroffen vom Pferd gefallen, schien aber noch einigermaßen wohl auf zu sein, da er sich zu der Kutsche gezogen hatte. Einige andere hatten die Pfeile mit ihren Schilden abgewehrt und waren nur schlecht getroffen worden, sodass die Pfeile keinen nachhaltigen Schaden anrichteten. Alles in allem schien die Situation sehr gut für sie zu stehen, als Priovan auf einmal einen Bogenschützen im Wald sah, der genau auf ihn zielte. Er riss seinen Schild hoch und stellte sich auf den Einschlag des Pfeils ein. Aber es passierte nichts. Als er wieder in den Wald schaute war der Bogenschütze nicht mehr zu sehen. Priovan glaubte ein Rascheln im Unterholz zu erkennen, einen Schatten, aber als er erneut hinschaute war der Wald wieder ruhig.

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