Kitabı oku: «Djorgian», sayfa 3

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Jetzt saßen sie nebeneinander auf der mit Stroh gefüllten Matratze am Boden des kleinen Zimmers und unterhielten sich.

»Wozu braucht ihr eigentlich das Amulett?«

»Genaues hat mir Niam auch nicht erzählt. Er will die Amulette einschmelzen, wodurch deren Magie aber nicht beeinflußt wird. Da sie noch mit der alten, etwas stärkeren Magie erfüllt sind, haben sie große Kraft. Jedenfalls wollen sie den Stein dann in dem Geschmolzenen verschließen. Durch den großen Zauber, den alle Amulette zusammen ergeben, kann man es weder öffnen, noch die Kräfte des Steines wiedererwecken.«

»Ja, ja. Und dann kommt plötzlich doch einer mit noch größeren Kräften, und dann geht alles wieder von vorn los.«

Meerenja schüttelte den Kopf. »Nein. Dadurch, daß er vollständig von dem heiligen Metall umschlossen ist, verliert er mit der Zeit auch seine eigenen Kräfte und stirbt sozusagen.«

»Und wie lange wird das dann dauern?«

»Nicht lange. Nur ein paar Jahre. Drei oder so, aber nicht mehr.«

»Eine Frage noch«, sagte sie, während Meerenja aufstand und sich auf ihr eigenes Bett setzte.

»Hm?«

»Wie sind diese beiden Fritzen eigentlich da hingekommen, wo ich wohne?«

»Sie kommen von deiner Welt. Aber es gefällt ihnen hier besser und deswegen haben sie sich entschlossen, hier zu leben. Wären sie aber zu lange dort geblieben, hätten auch sie vergessen, daß es uns gibt.«

»Könnt ihr nicht zu uns kommen?«

»Nein, nicht die Bewohner unserer Welt.«

»Und wie viele wissen, daß es euch gibt?«

»Nicht viele. Von euren Menschen vielleicht fünf oder sechs Leute. Du eingeschlossen. Und alle davon haben sich, abgesehen von Dir, dazu entschieden, bei uns zu leben.«

»Und wie kommen die von da, wo wir leben, dahin, wo ihr lebt?«

»Ich dachte nur noch eine Frage?« Meerenja lächelte, dann fuhr sie fort: »Das geht nicht so einfach. Nur zu bestimmten Zeiten funktioniert das, und ein Magier muß ihnen dabei helfen. Bei dir war es Niam. Und das Amulett. Nur in den ganz, ganz seltenen Fällen gelingt es jemandem, einfach so zu uns zu kommen.«

Gerade hatte ihre neue Freundin diesen Satz beendet, als die Tür aufflog und Niam hereinkam.

»Warum hast du mir nicht gesagt, daß du verfolgt wurdest?«

Zuerst wußte Judi gar nicht, was er meinte. Dann zuckte sie mit den Schultern.

»Man hat mich nicht gefragt. Und außerdem bin ich ja hier, oder?«

»Ja. Und wenn er euch weiter verfolgt hat und hier hergekommen ist? Ich will nicht, daß dir etwas passiert. Wie sah er aus?«

»Keine Ahnung. Er hatte ein Käppi auf.«

Niam verstand wahrscheinlich nicht die Bohne von dem, was sie meinte, gab sich aber damit zufrieden.

»Ich möchte nicht, daß ihr zwei noch einmal alleine in der Stadt herumgeht oder irgendwelche Ausflüge macht. Ja, ich meine euch beide!«

»Ich bin alt genug, um auf mich selbst aufzupassen!« empörte sich seine Enkelin, aber Niam beachtete das gar nicht, sondern schloß die Tür wieder.

»Daß er mich immer wie ein kleines Kind behandeln muß! Ich hätte jetzt richtig Lust, mit dir morgen in den Wald zu gehen.«

Judi erwiderte darauf nichts. Sie kannte das nur zu gut.

Anscheinend wollte Meerenja ihre Drohung wahrmachen, denn gleich nach dem Frühstück - und natürlich erst, nachdem Niam gegangen war - warf sie sich ihren Umhang um und forderte Judi auf, ihr zu folgen. Sie fühlte sich gar nicht wohl dabei, aber dann tat sie es doch. Doch Niam schien damit gerechnet zu haben, denn er hatte Mendras als eine Art Babysitter beauftragt, und dieser ließ den Ausgang nicht aus den Augen. Durch die Tür konnten sie also nicht, aber wozu gab es denn schließlich Fenster?

Draußen angekommen warf Judi sich ebenfalls einen Umhang über die Schultern und zuppelte noch ein wenig an ihren etwas zu großen Kleidern herum, die Niam ihr gegeben hatte. Wie seine Enkeltochter trug sie jetzt eine nicht zu enge, angerauhte Lederhose und ein aus grober Wolle gearbeitetes Hemd. Der Wind wirbelte bunte Blätter vor ihnen auf, aber sehr kalt war es nicht.

»Bekommt Mendras keinen Ärger? Und vor allem: bekommen wir keinen Ärger?«

»Laß das mal meine Sorge sein. Ich möchte dich nur ein bißchen herumführen. Und in den Wald gehe ich nun mal gerne. Das kann er mir nicht verbieten, er ist nicht mein Vater.«

Dazu sagte Judi lieber nichts, sondern folgte ihr weiter den Weg entlang, der aus der Stadt führte.

»Wirst du eigentlich auch ausgebildet?«

»Als was?« Meerenja sah sie fragend an.

»Als Magier. Niam hat mir früher einmal erzählt, daß die äh … Gabe weitervererbt wird.«

»Zu seiner sichtlichen Enttäuschung habe ich die Gabe nicht. Zumindest nicht ausreichend genug, um eine richtige Magierin werden zu können. Aber mir ist das egal.«

Sie durchschritten das mittlere Tor und bogen nach links ab.

»Wann wollen wir uns eigentlich auf den Weg machen, um den Stein zu holen?«, fragte Judi, um das Schweigen zu brechen.

»Wir gar nicht. Das ist zu gefährlich«, äffte sie Niam nach.

»Aber er war mit mir früher selber unterwegs. Da war er auch nur ein Jahr älter als du.«

»Erklär ihm das, nicht mir. Mir könnte ja was passieren. Und mit dir war das ja auch etwas ganz anderes. Jetzt ist das ja eine andere Sache.«

»Und warum sollte ich dann kommen?«

»Wegen des Amuletts. Den Stein holen ein paar andere, die Niam persönlich aussucht.«

Judi schlenderte mit gesenktem Kopf durch das Laub, und merkte es erst gar nicht, als sie den Wald betraten. Erst als Meerenja sie anstieß, sah sie auf. Es war wirklich ein schöner, ruhiger Wald. Die Bäume standen nicht sehr dicht. Aber das hatte sie Judi nicht zeigen wollen, sondern den Reiter, der im vollen Galopp auf sie zuhielt.

»Der Bote!« rief sie aufgebracht und winkte mit beiden Händen.

Der Mann hielt neben ihr und sah auf sie herab. Er trug rote Kleidung und hatte einen blauen Hut, der etwas schief lag.

»Was wollt Ihr?«

»Habt Ihr Nachricht für Niam?«

»Ja, und deshalb muß ich auch zu ihm.«

»Ich bin seine Enkelin. Kann ich nicht …«

»Nein, sie ist nur für ihn bestimmt«, unterbrach er sie bestimmt.

»Er teilt es mir doch sowieso mit.«

»Dann könnt Ihr Euch doch sicherlich auch noch ein wenig gedulden. Gehabt Euch wohl!« Mit diesen Worten sprengte er weiter.

»Sohn eines Errar«, murmelte Meerenja und blickte ihm nach.

»Was erwartest du denn für eine Nachricht?«

»Wegen des Westlands. Bis jetzt gab es ja nur das Gerücht, daß sie uns irgendwann angreifen wollen. Wir haben Boten ausgeschickt, um auszukundschaften, ob es wirklich stimmt. Das war wahrscheinlich die Antwort.«

»Sollen wir zurückgehen?«

»Ja, ich will es unbedingt wissen. Und wenn wir Glück haben, ist Niam noch nicht wieder da.«

Aber er war da. Er erwartete sie genau da, wo sie das Haus verlassen hatten: am Küchenfenster. Sein Gesicht hatte beunruhigende Ähnlichkeit mit einer Gewitterwolke, die kurz vorm Entladen stand, und er hatte die Hände in die Seiten gestemmt. Aber er sagte kein Wort, bis sie sich gesetzt hatten.

»Was habe ich gesagt?«

»Es ist doch nichts passiert, oder?«, gab seine Enkelin zurück.

Niam atmete tief ein. »Gut, vertagen wir das auf später. Ich habe schlechte Neuigkeiten.«

»Wegen des Westlands?«

»Ja, auch. Die Gerüchte haben sich leider bewahrheitet, aber wir haben noch viel Zeit. Das andere ist, die Krankheit, oder wie man das auch immer nennen mag, hat gedreht. Es bewegt sich jetzt an den Westländern entlang. Niemand weiß, welche Richtung es als nächstes einschlagen wird. Wir müssen schnell handeln.«

»Warum kann ich denn nicht mit?«

»Meerenja, das haben wir schon hundertmal besprochen.«

»Du behandelst mich, als ob ich Demas in Person wäre! Ich kann mich sehr wohl verteidigen!«

»Wenn ich nein sage, dann meine ich das auch. Du wirst nicht mit gehen. Und du auch nicht, Judi.«

»Und warum hast du mich dann kommen lassen?«

»Damit du mir das Amulett geben kannst und weil ich dich wiedersehen wollte. Ich dachte, du freust dich!«

»Aber Niam, du warst doch früher auch nicht älter. Okay, ein Jahr vielleicht, aber als wir damals zusammen losgegangen sind, hast du das für selbstverständlich gehalten.«

»Ich möchte nicht, daß mein Wort in Frage gestellt wird. Sie und du, ihr werdet hier bleiben. Ich kann auch nicht mitgehen.«

Meerenja verzog wütend das Gesicht, stand auf, um in den Flur zu gehen, und polterte die Treppe hinauf, die in ihre kleine Kammer führte. Judi folgte ihr nach kurzem Zögern. Sie öffnete die zugeknallte Tür und fand ihre Freundin auf dem einfachen Bett wieder.

»Er ist so ungerecht!«, schimpfte sie.

»Wer ist Demas?« Judi ging absichtlich nicht auf das Thema ein.

»Wie? Ach so. Das ist ein kleiner, junger Drachengott, der den Kindern die Langeweile vertreibt. Er ist völlig schutzlos. Aber ich kann mich sehr wohl verteidigen!«

»Ich dachte ihr habt nur drei Drachen?« Wieder ging sie nicht auf die letzten Worte ein.

»Die drei Hauptdrachen. Aber es gibt viele, viele kleinere Drachengötter, die ihnen als Helfer dienen.«

Meerenja setzte sich wieder auf und blickte immer noch wütend aus dem Fenster. »Manchmal hasse ich ihn. Und wenn wir uns einfach ohne sein Wissen auf den Weg machen? Er hat es vorhin auch erst gemerkt als wir weg waren.«

»Ich halte das für keine gute Idee. Es ist bestimmt ein langer Weg, und wenn er doch schon seine erfahrensten Kämpfer aussucht …«

»Jetzt sag bloß, du hast Angst? Damals mit euch, das war viel gefährlicher. Jetzt müssen wir nur den Mann finden, der den Stein hat, und ihn ihm wegnehmen.«

»Das sagst du so einfach. Das ist doch …«

»Du hast Angst«, stellte Meerenja fest.

»Ist ja gar nicht wahr. Es ist nur …«

»Angst, Angst, Angst!«

»Nein!«

»Dann komm mit. Oder ich gehe allein. Gehen werde ich auf jeden Fall.«

»Das ist nicht fair.«

»Dann gehe ich eben allein.«

»Du weißt ja nicht einmal, wo du suchen mußt.«

»Ich habe einen Mund, mit dem ich fragen kann. Wir brauchen einfach nur der Spur zu folgen. Und die ist nicht gerade unauffällig.«

»Aber Niam …«

»Jetzt laß diesen alten Mann aus dem Spiel! Ich werde so oder so gehen. Wenn du mitkommst, ist es zwar einfacher, aber wenn du hier bleibst, werde ich nicht auch hier bleiben!«, brauste Meerenja auf.

»Okay, dann komme ich eben mit. Und wann gehen wir?«

Meerenja lächelte triumphierend. »Heute Nacht.«

»Schon?« Judi seufzte.

»Ja. Niam rechnet bestimmt nicht damit, daß wir so schnell gehen. Aber er rechnet sicher damit, daß wir gehen. Wir müssen nur leise sein. In der Küche liegt noch genügend getrocknetes Fleisch und Trockenobst, das sich lange hält.«

Judi fühlte sich gar nicht wohl. Aber vielleicht hatte Niams Enkelin ja recht. Sehr viel gefährlicher konnte es ja nicht sein und vielleicht ja sogar leichter.

»Aber wir werden zu Fuß gehen müssen. Die Pferde sind alle außerhalb der Stadt auf der Weide und werden streng bewacht.«

»Aber sie kennen dich doch, oder?«, gab Judi zurück.

»Du hast Niam vergessen. Wenn er ihnen Bescheid sagt?«

Sie schwieg.

Mendras öffnete einen Moment später die Tür und holte sie zum Mittagessen. Es gab einen dicken Eintopf und jedesmal, wenn Meerenja die Kelle aus dem Topf nahm, verursachte dies schmatzende Geräusche. Es sah auch nicht gerade appetitlich aus. Wenig begeistert starrte Judi die bräunliche Masse an, die da in ihrem Teller wabbelte. Als sie sich schließlich überwinden konnte, einen Löffel in Richtung Mund zu führen, tropfte ein Teil der zähflüssigen Masse wieder zurück in den Teller und platschte laut. Judi schluckte und ließ den Löffel wieder zurücksinken. Die unförmigen, braunen Dinger die darin herumschwammen, konnte man mit viel Fantasie als kleine Fleischstückchen bezeichnen.

»Wenn du nichts essen möchtest … Ich weiß, es sieht nicht sonderlich lecker aus«, sagte Niam schmatzend.

Nicht sonderlich lecker? Das Zeug sah aus wie dreimal vorgekaut und eine Woche stehengelassen. Ein paar Sekunden betrachtete sie Niam, seine Enkelin, Mendras und Felonn, die genüßlich kauten. Dann schob sie mit einem entschuldigenden Kopfschütteln den Teller einige Zentimeter von sich. Das würde sie niemals runterkriegen.

»Ich bin noch vom Frühstück satt.«

Meerenja grinste nur breit und löffelte weiter.

Nachdem die übrigen das Mahl beendet hatten, wollte Judi mit in der Küche helfen, aber Mendras winkte freundlich ab und sagte, sie könne ruhig gehen. Gehen war gut. Da sie das Haus nicht verlassen durften, blieb nur noch das Zimmer ihrer Freundin. Meerenja kramte eine Weile in einer Kiste herum und förderte schließlich eine halbfertige Stickerei zutage. Sie setzte sich auf den Stuhl, der am Fenster stand, und setzte die begonnene Arbeit fort, während Judi ihr dabei interessiert zusah. Es stellte eine kleine Landschaft dar.

»Möchtest du auch, Judi?«, fragte sie.

»Ich? Nein. Ich kann so etwas doch gar nicht.«

»Wie? Aber das lernt man doch schon sehr früh! Das kann jedes Mädchen«, behauptete sie.

»Nicht jedes. Wir lernen bei uns so was nicht.«

»Ja, bei euch ist vieles anders.«

Irgendwie konnte Judi es kaum erwarten, bis es Abend wurde. Wo vorher Unbehagen war, brodelte jetzt Abenteuerlust. Hibbelig rutschte sie auf dem Strohlager am Boden herum und sah ständig aus dem Fenster, in der Hoffnung, die Sonne wäre vielleicht ein paar Millimeter gesunken. Es erinnerte sie an den Matheunterricht. Das unendlich langsame Bewegen des Sekundenzeigers … Vielleicht würde sich Herr Lessmann ja ein paar Minuten verspäten. Nur ein paar Minuten …

Aber nein, fast auf die Sekunde genau würde er hereinkommen, das Gesicht leicht gerötet, würde kurz in der Tür stehenbleiben und die Brille zurechtrücken, tief Luft holen, als reite er in eine bevorstehende Schlacht, und dann gemessenen Schrittes das Klassenzimmer betreten. Die Tasche würde mit einem Knall auf dem Pult landen, um auch die letzten Gespräche verstummen zu lassen. Er würde leicht lächeln und sofort mit seinem Redeschwall beginnen. Mit x und y würde er sie zuquatschen, würde von Formeln reden, von Koordinatensystemen … Und nicht zu vergessen, langsam und gleichmäßig seinen Mundgeruch im Zimmer zu verbreiten.

Und die Reaktion der Schüler wäre auch wie immer: Sandras Herumkritzeln in ihrem Heft, Thomas’ leises Schnarchen, Stefans schleimende Argumente, wie gut Herr Lessmann das doch erklärte, Waldemars gezeichnete Autos, die auf einem karierten Zettel bis zu Alexanders Platz wandern würden, um von diesem ergänzt zu werden, Alessias erbostes Murmeln wenn er schon wieder dasselbe Zeug laberte, was sowieso keiner verstand, und die Bilder ihrer Platznachbarin Rabea, die Herrn Lessmann mal gehängt, mal begraben, mal geknebelt zeigten. Naomi würde wieder beim Kaugummikauen erwischt werden, und Janina eifrig Zettelchen mit ihrer Platznachbarin schreiben, damit der Schlaf sie nicht übermannte. Judi seufzte und die Bilder verschwanden. Jetzt war wirklich der unpassendste Moment, sich den Tag versauen zu lassen, indem sie an Mathe dachte. Nein. Sie seufzte noch einmal und ließ sich von Meerenja sagen, daß es ja nicht mehr so lange dauern würde.

»Ich gehe zum Unterricht. Ich werde wahrscheinlich erst spät zurückkommen, da ich ein paar neue Schüler erst einweisen muß. Wollt ihr mitkommen?« Niam hatte leise die Tür geöffnet und streckte nun den Kopf zu ihnen herein.

»Nein. Du weißt doch, ich würde mich wahrscheinlich nur wieder ärgern, weil ich nicht das Talent besitze. Und ich würde dir nur wieder vor Augen führen, daß ich nicht begabt bin«, fügte sie ein wenig bitter hinzu.

»Du weißt genau, daß du für mich nicht minderwertig bist, nur weil du nicht vollkommen begabt bist, und außerdem …« Mit einem Seitenblick auf Judi brach er im Satz ab, zögerte ein paar Sekunden und sagte dann: »Besprechen wir das ein anderes Mal wieder, wenn du willst. Von mir wirst du jedenfalls das gleiche hören, wie sonst auch.«

Seine Enkeltochter verdrehte die Augen und schwieg, bis Niam das Zimmer wieder verlassen hatte. Dann warf sie die Stickerei wieder in die Kiste zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Ich bin froh, wenn ich mir ein paar Tage lang sein Gerede nicht mehr anhören muß. Jedesmal dasselbe, und doch weiß ich, daß er in Wirklichkeit enttäuscht ist. Ich werde sein Gesicht nicht vergessen, als sich herausstellte, daß ich nicht genügend Begabung für die Magie besitze.« Meerenja schwieg wütend und starrte aus dem Fenster.

Letzten Endes war die Zeit doch schneller vergangen, als Judi gehofft hatte. Mendras und Felonn hatten das Haus verlassen, was sie ein wenig wunderte, und sonst war niemand im Haus. Sie packten alles zusammen, was sie brauchten. Genügend Essen, das sich lange hielt, einfache, aber sehr warme Decken, Kleidung.

Als sie alles in drei großen Beuteln verstaut hatten, die beinahe zu platzen drohten, wollten sie wieder aus dem Fenster steigen, doch Meerenja hielt sie zurück. Ihr Gesicht verfinsterte sich.

»Für wie blöd hält der mich?«

»Was meinst du?«, hakte Judi nach.

»Er hat alle Fenster mit einem unsichtbaren Hindernis belegt. Gehst du da hindurch, wird er es sofort bemerken. Schöne Schande. Die Tür ist mit Sicherheit auch belegt. Und er hat gedacht, ich merke das nicht. Also so wenig Begabung habe ich nun auch wieder nicht! Deshalb sind auch seine beiden Freunde Mendras und Felonn gegangen.«

»Ist ja alles schön und gut, aber wie kommen wir jetzt weg?«

»Hm, den Bann kann man nicht aufheben. Aber … Komm mit!« Schnell rannte sie die Treppe wieder hinauf und riß ihre Tür auf. Dann näherte sie sich langsam dem Fenster und ihr Gesicht hellte sich auf.

»Ha! Das ist frei. Wir können an dem Alienusgitter runter.«

Judi sparte sich die Frage, was denn nun ein Alienusgitter war. Sie würde es schon sehen, denn ihre Freundin hatte mittlerweile schon das Fenster geöffnet und begann, an irgend etwas herunterzuklettern. Sie blickte ihr nach und erkannte ein aus dicken Ästen gefertigtes Gitter, an dem etwas empor rankte, das bereits die Blätter verloren hatte. Die gesamte Konstruktion schwankte bedächtig, aber sie hielt.

»Jetzt komm schon! Wenn Mendras wiederkommt, möchte ich so weit wie möglich weg sein.«

Judi biß die Zähne zusammen und begann mit dem Abstieg. Doch entweder hatte sie eine besondere Begabung dafür, in den unpassendsten Momenten das Falsche zu tun, oder einfach nur Pech, jedenfalls hörte sie irgend etwas reißen und dann entfernte sich die Hauswand mit enormer Schnelligkeit von ihrem Gesicht, und dafür trat der Himmel in ihr Gesichtfeld. Sie hatte gerade noch Zeit, einen Schreckensschrei von sich zu geben, dann prallte ihr Rücken auf dem Boden auf und das trieb ihr die Luft aus den Lungen, so daß ihr Schrei jäh abbrach. Während sie verzweifelt nach Luft rang, brach Meerenja in lautes Lachen aus. Im ersten Moment war Judi einfach nur wütend, aber dann mußte auch sie lachen, wenn sie sich vorstellte, wie sie wohl da lag. Auf dem Boden liegend, nach Luft ringend wie ein Fisch auf dem Trockenen und das umgekippte Gitter noch immer mit den Händen umklammert.

Immer noch lachend hob Meerenja das Gitter von Judi herunter und half ihr auf.

»Ist was passiert?«

»Nee. Nur sämtliche Rippen gebrochen, den Arm verstaucht und mein Bein angeknackst.«

»Also alles in Ordnung«, grinste Meerenja. »Komm, wir müssen jetzt.«

Judi holte tief Luft und folgte ihr, während sie den Beutel auf ihrem Rücken zurechtrückte. Er tat ein wenig weh, aber es hielt sich im erträglichen Maße. Hätte sie nicht den Beutel mit den Decken genommen, hätte sie sich wahrscheinlich wirklich ein paar Rippen gebrochen.

Irgendwo bellte ein Hund, aber es bemerkte sie niemand. Judi grinste. Sie dachte schon wie eine Verbrecherin, die auf der Flucht war. Trotzdem beruhigte sich ihr Herz erst, als sie die Stadtmauern hinter sich gelassen hatten, und den Pfad beschritten, der in einen anderen Teil des Waldes führte. Es war eine sternenklare Nacht. Und es war kalt. Judi zog den Mantel noch etwas enger um sich und unterdrückte ein Zittern.

»Sehr weit werden wir wohl nicht gehen können.«

»Warum nicht?«, fragte Judi zwischen einem Gähnen. Im Mondlicht konnte sie sehen, daß Meerenja sie tadelnd ansah.

»Du müßtest das doch wissen! Ihr wurdet damals von Gor verfolgt, oder etwa nicht?«

»Ja, aber …«

»Du hast wohl gedacht, nur weil ihr Herr besiegt wurde, sind sie verschwunden? Oh, nein. Sie streunen nachts durch die Gegend und stiften Unheil. Sie werden zwar gejagt, aber sie sind wie die Pest. Kaum zu beseitigen.«

Mit plötzlich erwachtem Unbehagen, das ebenso beunruhigend schnell anwuchs, sah sie sich um. War da nicht ein leises Knacken im Gebüsch? Oder war da im Säuseln des leichten Windes nicht ein entferntes Knurren zu hören?

»Jetzt sieh dich nicht wie ein ängstliches Häschen um. Hier so nah an der Stadt gibt es keine. Nur weiter draußen wurden manchmal welche gesichtet.« Ihre Freundin lachte leise und kniff sie scherzhaft in die Seite.

Sie gingen noch so weit, bis Djorgian nur noch ein Lichtfleck zwischen den Bäumen war, und hielten dann an. Sie rollten die Decken auf dem Boden aus, doch als Judi Feuerholz sammeln wollte, schüttelte Niams Enkeltochter den Kopf.

»Aber ich dachte wir …«

»Das Feuer sieht man zu sehr«, unterbrach sie Judi.

»Und was soll dann das Gefasel von den Gor? Sollen sie uns zum Abendessen holen? Tut mir leid, ich habe Salz und Pfeffer vergessen.«

»Ich merke, es scheint sich so einiges verändert zu haben, seit du das letzte Mal hier warst. Ich brauche kein Feuer um Gor zu vertreiben.« Mit diesen Worten setzte sie sich im Schneidersitz auf ihre Decke und formte die Hände zu einer Kugel. Schon ein paar Sekunden später schillerte blaues Licht durch ihre Finger hindurch und als sie sie wieder auseinander nahm, blickte Judi fasziniert auf die bläuliche helle Kugel, die vor ihr in der Luft hing und schwaches Licht verbreitete.

»So viel dazu, daß du nicht genügend Begabung besitzt.«

»Dazu gehört nicht sehr viel. Aber es ist besser als Feuer. Es schreckt sie mehr ab. Hast du Hunger?«

Judi nickte und bekam einen Moment später ein dickes Stück Brot gereicht, in das kleine Schinkenstücke eingebacken waren. Immer noch wendete sie die Augen nicht von der Kugel, die ganz leicht hin und her schwankte, jedoch nie an Höhe verlor. Fröstelnd zog sie die Decke enger um sich. Als das nichts brachte, verdrehte sie die Augen.

»Ist was?« Meerenjas blaue Augen blickten fragend drein.

»Kalt«, gab sie knapp zurück.

»Ich habe noch eine Decke. Möchtest du die?«

Judi nickte und versuchte das immer stärker werdende Zittern zu unterdrücken. Dankbar griff sie nach dem groben Stoff, den ihre Freundin ihr hinhielt und wickelte sich fest darin ein. Sehr viel mehr brachte das allerdings nicht.

»Können wir wirklich kein Feuer machen? Oder hast du nicht noch einen Trick auf Lager? Wie wäre es mit einer Wärmflasche oder einer Heizdecke oder so?«

»Nein, leider nicht. Aber so sehr kalt ist es doch gar … Ach, jetzt weiß ich! Das hatte ich ja vollkommen vergessen! Du hast ja damals diese Begegnung mit dem Nebelwesen gehabt.«

»Hundert Gummipunkte. Und jetzt? Ich erfriere gerade.«

»Komm her«, sagte Meerenja und hob ihre Decke an. Immer noch zitternd kroch Judi darunter und kuschelte sich eng an Niams Enkeltochter. Allmählich ebbte ihr Kälteanfall wieder ab und sie schlief erleichtert ein.

~ ~ ~

Sie gähnte ausgiebig und bemühte sich gleichzeitig, nicht wieder über eine Wurzel zu stolpern. Der Mond stand hell am Himmel und die Sterne umgaben ihn wie Milliarden von kleinen Bewachern, die ihn umschwirrten.

Sie wußte, daß es nicht ungefährlich war, in diesen Gegenden zu wandern. Ganz und gar nicht, aber ihre Schwester brauchte ihre Hilfe. Wenn sie ganz ehrlich war, hatte sie sogar ein wenig Angst. Aber das war nicht etwa Feigheit, im Gegenteil: sie hatte sogar zu wenig Angst, wenn man bedachte, daß sie gefährlich nahe an den Westländern war. Würde einer von ihnen zufällig ihren Weg kreuzen und erkennen, wem er da gegenüber stand, würde man sie ohne eine Sekunde zu zögern umbringen oder Schlimmeres.

Jamalia gähnte noch einmal und betrachtete prüfend den Verband, der sich fest um ihre rechte Hand spannte. Vorsichtshalber hatte sie ihn noch ein wenig rot eingefärbt, damit es auch wirklich wie eine Verletzung aussah.

Müde von dem langen Marsch wäre sie am liebsten stehengeblieben und hätte sich an einer geeigneten Stelle schlafen gelegt. Aber das war zu gefährlich. So leichtsinnig war Jamalia nun auch wieder nicht, daß sie nicht wußte, sie wäre erst in Sicherheit, wenn sie das Haus ihrer Schwester erreicht hatte, und selbst dann konnte ihr noch Gefahr drohen. In dieser Gegend war niemand von ihrer Gemeinschaft sicher, auch wenn sie nicht wußte warum. Dabei taten sie doch gar nichts Schlechtes. Im Gegenteil, sie setzten ihre Kräfte hauptsächlich dazu ein, Kranken zu helfen oder ähnliches. Natürlich, sie konnten ihre Gabe auch zum Töten und Kämpfen einsetzen, aber das hatte niemand mehr getan, seit der verrückte Dohn damals vom Thron gestoßen worden war. Eine der ersten und obersten Regeln, die sie lernen mußten, war, niemandem mit der Begabung ein Leid anzutun, es sei denn, man befand sich in Lebensgefahr und es gab absolut, absolut keinen anderen Ausweg.

Jamalia seufzte. Warum die Westländer so feindlich gestimmt waren, wußte wohl niemand so genau. Und das würde sich wohl so schnell auch nicht wieder ändern.

In der nächsten Sekunde stolperte sie nun doch über eine übersehene Wurzel, fiel, und prallte mit dem Kinn am Boden auf. Ungeachtet der Gefahr, in der sie sich noch immer befand, fluchte sie lauthals und betrachtete den Verband um ihre Hand mißmutig im Mondschein, und anschließend den scharfen, halb aus dem Boden ragenden Stein, der sich vor ihr auf dem Weg befand. Toll. Der Verband war zerrissen und ihre Hand aufgeschürft. Wie konnte so etwas genau jetzt passieren? Immer noch fluchend, jedoch merklich leiser, wickelte sie die Reste der Binde von ihrer Hand und betrachtete den kleinen Drachen, der in bläulicher Farbe auf ihre Haut tätowiert worden war. Kurzerhand riß sie sich ein Stück Stoff aus ihrem Kleid und wickelte es neu darüber. Das Blut mußte sie jetzt nicht mehr vortäuschen, dachte sie grimmig, als sie erkannte, daß es sich rot färbte. Das mußte ja auch …

Jamalia brach diesen Gedanken ab, als sie Schritte vor sich auf dem Weg hörte. Verdammt! Mit ihrem Gefluche mußte sie im ganzen Wald gehört worden sein. Im ersten Moment dachte sie daran, sich im Gebüsch zu verstecken, tat es dann aber doch nicht. Wenn sie entdeckt worden wäre, hätte man nur Verdacht geschöpft. Lauschend schloß sie die Augen und tastete im Geist den Weg vor sich ab. Erleichtert stellte sie fest, daß es sich nur um eine Person handelte. Und trotzdem beunruhigte sie etwas.

Stirnrunzelnd ging sie weiter und versuchte, in den Schatten vor ihr etwas zu erkennen. Am Anfang war sie dem Mond für sein Licht dankbar gewesen, aber jetzt erkannte sie, daß es den Weg nicht wirklich erhellte, sondern die Sicht nur noch verschlechterte.

Jamalia blieb abermals stehen. Vor ihr bewegte sich etwas. Warum war sie nur so beunruhigt? Ein einsamer Wanderer wie sie, der zufällig ihren Weg kreuzte. Er würde eine Achtzehnjährige sicherlich nicht beachten. Sie faßte sich ein Herz und ging weiter.

»Ist da jemand?«

Jamalia zuckte heftig zusammen als sie die Stimme hörte. Eine junge Stimme.

»Hallo?«

Sie gab keine Antwort. Sollte sie sich doch verstecken? Doch bevor sie den Gedanken in die Tat umsetzen konnte, erblickte sie eine Gestalt vor sich, die rasch näher kam.

~ ~ ~

Am nächsten Morgen mußten sie sich rasch auf den Weg machen, da sie von weitem Rufe hören konnten. Entweder trieb da jemand sein Vieh zusammen, oder man suchte sie. Wenn das so war, war Niam wahrscheinlich fuchsteufelswild.

»Sollten wir nicht wieder zurückgehen, bevor es zu spät ist?« Judi zupfte nervös an den Riemen des Beutels, der wieder auf ihrem Rücken baumelte.

»Aus zwei Gründen geht das nicht. Erstens will ich ihm beweisen, daß ich doch etwas wert bin und er keinen Grund hat, sich meinetwegen zu schämen. Ich bin nämlich kein nutzloses Ding, das zu nichts fähig ist. Und zweitens: es ist sowieso schon zu spät. Auch wenn wir jetzt umdrehen und zu ihm zurückkehren, häutet er uns bei lebendigem Leibe.«

»Ich glaube eher, er würde erleichtert sein, wenn er weiß, daß uns nichts passiert ist.«

»Vielleicht war Niam früher einmal so, aber wenn er so war, hat er sich vollkommen verändert. Er wird ganz Djorgian zusammenbrüllen. Wir können erst zurück, wenn wir den Stein haben und er keinen Grund mehr hat, wütend auf uns zu sein.«

»Schöne Scheiße!«

»Willst du jetzt etwa kneifen?« Meerenja sah sie herausfordernd an. Judi schwieg und konzentrierte sich wieder auf den Weg, der vor ihnen lag.

Nach einer halben Stunde blieb Meerenja plötzlich stehen, erfaßte Judi am Arm und deutete mit leuchtenden Augen auf eine Stelle neben ihnen.

»Siehst du das da?«

»Was meinst du?«

»Da! Bist du denn blind? Da vorn ist ein Kernfruchtfeld.«

»Ein was?«

Meerenja verdrehte die Augen. »Es ist das leckerste, das ich kenne, allerdings auch das teuerste. Diese Früchte sind außerdem sehr lange haltbar.«

»Und jetzt? Sollen wir uns etwa welche stehlen?« Judi hatte das eigentlich als Scherz gemeint, weil sie wußte, daß sie nicht viel Geld mitgenommen hatten. Aber als Meerenja weiterhin ernst dreinblickte und nichts erwiderte, zog Judi blinzelnd die Brauen hoch und blinzelte.

»Jetzt im Ernst? Ich meine …«

»Hast du eine bessere Idee? Wir dürfen uns nur nicht erwischen lassen.«

»Ich fasse es nicht! Machst du so was öfter?«

»Natürlich nicht. Hör auf zu diskutieren und warte hier, oder komm mit! Wenn du nicht zu feige bist«, fügte sie mit einem herausfordernen Lächeln hinzu. Judi schnaubte und folgte ihr kopfschüttelnd. Noch nicht einmal einen ganzen Tag unterwegs, und schon wurden sie zu Dieben.

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