Kitabı oku: «Leoparden unter kaltem Mond», sayfa 3

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„Übrigens waren der Nasen-Rachenraum und die Speiseröhre des Jungen entzündet“, sagte Cedric Sommerfeld. „Das weist auf schweren, langanhaltenden Lösungsmittelmissbrauch hin, wie ich schon vermutet hatte.“ Er griff nach einem Scheibchen Baguette, das im Lafayette zusammen mit einem Töpfchen Kräuterbutter vor dem Essen serviert wurde. Das Lafayette war ein Steakhaus am Heumarkt, denn Carolin hatte Appetit auf Filetsteak bekundet.

Die Stimmung war allerdings keineswegs so heiter, wie er gehofft hatte. Carolin war unruhig und hatte bis jetzt über nichts anderes als den ermordeten Mulattenjungen ohne Augen geredet, dessen Sectio er am frühen Nachmittag vorgenommen hatte. Sie trug ein hochelegantes zyklamfarbenes Kleid mit Rückenausschnitt, das ihre Brüste und ihren Hintern eng umspannte, doch bis jetzt hatte sie sich nicht eine einzige private Bemerkung entschlüpfen lassen. Stattdessen saß sie da und spielte mit ihren Armreifen.

Auch er selbst war alles andere als gelassen, wie er sich widerstrebend eingestand. Normalerweise konnte er sich auf seine Selbstbeherrschung verlassen, aber heute war er scheußlich nervös, was eine neue Erfahrung für ihn war. Zumindest hatte er so etwas seit Fionas Tod nicht mehr erlebt.

Carolin nahm eines der kleinen braunen Holzpferde zur Hand, die als Dekoration auf allen Tischen standen. „Was war denn nun letztlich die Todesursache?“

„Der Kleine ist an Herzstillstand gestorben. Durch Ausblutung.“

„Hat man ihn so lange bluten lassen, bis das Herz versagte?“, fragte sie heiser.

Sommerfeld schüttelte den Kopf und steckte sich einen Happen gebuttertes Baguette in den Mund. „Der Täter hat den Tod des Jungen mit einem Operationssauger beschleunigt. Man steckt den Saugschlauch in die aufgeschlitzte Vena cava und kann einem Menschen damit in kürzester Zeit das ganze Blut aus dem Körper ziehen, worauf das Herz versagt, weil es kein Blut mehr zu transportieren gibt. Das Ganze dauert höchstens sieben Minuten, soweit ich weiß. Vielleicht auch weniger.“

Carolin zog eine Grimasse und kippte den Rest ihres Pinot blanc hinunter. Der Tod des Kindes war bedrückend und die Art seiner Ermordung widerlich und obszön. Andrerseits hatten sie beide in ihrem Beruf ständig mit dem Tod in seiner unerfreulichsten Form zu tun. Mit gewaltsamem Tod, der blutig und hinterhältig daherkam und Menschen vorzeitig und auf barbarische Weise aus dem Leben riss. Doch bei allem Mitgefühl mit dem anonymen toten Kind machte es keinen Sinn, mit Trauermiene beim Essen zu sitzen und sich anschließend in Magenkrämpfen zu winden. Den Toten gebührte Achtung, Mitgefühl und eine lückenlose Aufklärung der an ihnen begangenen Verbrechen.

„Der Operationssauger und die fachmännische Nierenentnahme lassen auf einen Chirurgen schließen“, sagte sie ruhig. „Was den Jungen angeht, so haben unsere Recherchen in allen nur denkbaren Vermisstenverzeichnissen nichts gebracht. Ein elf- bis dreizehnjähriger schwarzer Junge wurde von niemandem als vermisst gemeldet. Das überrascht mich nicht, denn es deutet alles darauf hin, dass es sich um ein obdachloses Kind handelt.“

Ein schmächtiger Kellner brachte zwei helle Holzteller, auf denen knusprig gebratene Steaks zwischen geschnitzten Radieschenrosen und leuchtenden Cocktailtomaten ruhten. „Ach, riecht das gut“, freute sich die ausgehungerte Kommissarin. Der Kellner, ein müder Mann mit dünnem Haar, dem die Füße wehtaten, lächelte gezwungen, wünschte ihnen guten Appetit und humpelte davon. Sommerfeld trank einen Schluck Scotch und sah zu, wie Carolin mit ihrem Messer herumfummelte. Sie war eindeutig nervös, aber bestimmt nicht wegen des ermordeten Kindes. Der Fall war widerwärtig und niederdrückend, aber gewiss machte er sie nicht nervös. War sie etwa seinetwegen nervös? Sein Herz begann schneller zu schlagen. „Hast du heute überhaupt schon was anderes zu dir genommen als schwarzen Kaffee?“, fragte er beiläufig.

„Nicht allzu viel“, räumte Arissa ein und prüfte mit einem kurzen Einschnitt, ob ihr Steak medium gebraten war. „Lass es Dir schmecken, Cedric.“ Keiner von beiden aß sein Fleisch bleu, denn manchmal sickerte aus solchen Stücken noch das Blut heraus, und Blut sahen sie beide in ihrem Berufsalltag zur Genüge. Carolin goss ein halbes Kännchen Sauce béarnaise über ihr Filetsteak, säbelte einen Bissen ab und kaute genüsslich. „Einfach Spitze! Dem Menschen, der die Sauce béarnaise erfunden hat, sollte man das Bundesverdienstkreuz zuerkennen.“

Sommerfeld lachte und schnitt sein Pfeffersteak an. Heut Morgen im Autopsiesaal hatte er sich wirklich weit aus dem Fenster gelehnt. Du hast mir schrecklich gefehlt! Ojeoje. Zwar hatten sie sich vor ihrem Abflug nach Madeira einmal hitzig geküsst, aber solch intime Geständnisse waren unter modernen Singles doch eher verpönt. Zu guter Letzt trieb er sie mit solchen Gefühlsergüssen noch auf und davon. Doch sie war seit mehr als fünf Jahren geschieden. Da könnte man doch vermuten, dass sie für eine neue Liebe zu haben wäre, oder? Allmählich fühlte er sich entspannter, aber es war wohl taktisch klüger, noch ein Weilchen den gemeinsamen Fall durchzukauen. „Der Junge hat unter beiden Füßen dick vernarbte Hornhaut. Das beweist, dass er den größten Teil seines Lebens barfuß gelaufen ist“, sagte er. „Und zwar nicht auf Gras oder Sand, sondern auf Stein, Beton und Asphalt.“

Carolin krauste die Stirn und legte ihr Besteck ab. „Lebenslanges Barfußlaufen ist hierzulande nicht üblich, nicht mal bei Straßenkindern. Vielleicht stammt der Junge gar nicht aus Deutschland. Vielleicht wurde er hergebracht. Vielleicht ist er ein Straßenkind aus Übersee, aus irgendeinem südamerikanischen Land. Da leben ganze Horden von verlassenen Kindern auf der Straße und betäuben sich mit Schnüffelstoffen, und die meisten von ihnen sind schwarz oder Mulatten. Vielleicht stammt er auch von den karibischen Inseln.“ Sommerfeld nickte; das klang plausibel. Er griff nach der Pinot Blanc-Flasche und füllte Carolins leeres Glas auf.

Arissa erwärmte sich für ihre Idee. „Viele Mulatten leben an der Ostküste Lateinamerikas, vor allem in Venezuela und Brasilien. Und natürlich in Kolumbien. Möglicherweise auch in Argentinien und Paraguay, aber da muss ich mich erst mal informieren. Doch egal, wo er herkommt, umgebracht wurde er todsicher hier. Und wenn die Nierenexplantation wirklich von einem Fachmann gemacht wurde, müssen wir uns auf die Jagd nach einem Chirurgen machen, der so eine Operation beherrscht. Da kommen bestimmt nicht nur Bauchchirurgen in Frage.“

„Nein, garantiert auch andere Fachärzte wie Gefäßchirurgen, Handchirurgen oder Unfallchirurgen.“ Sommerfeld betrachtete Carolins Lippen, seufzte und nahm einen Schluck Scotch.

Arissa tunkte einen Happen Steak in die Sauce Béarnaise. „Wenn der Junge wirklich aus Lateinamerika stammt, haben wir allerdings ein Problem. Südamerika ist riesig, und ein namenloses Straßenkind oder ein Kind aus den Slums wird nur schwer zu identifizieren sein. Wir brauchen ein erkennungsdienstliches Foto des Kleinen. Man kann ihm doch sicher Glasaugen einsetzen, die einigermaßen natürlich aussehen?“

„Klar, das kann Sybille Jakuwitz machen. Sybille hat ein wunderbares Händchen für die Leichentoilette.“

„Okay, dann bringen wir ein Foto des Kleinen in den Fernsehnachrichten und bitten die Bevölkerung um Unterstützung.“ Arissa seufzte. „Wenn wir nur irgendwas hätten, das uns bei der Identifizierung weiterhilft.“

„Ich wusste doch, dass ich Dir heute noch eine Freude machen kann.“ Sommerfeld streckte die Hand aus und strich leicht über Carolins Fingerspitzen. Ihre Finger bebten ein wenig, und er zog seine Hand zurück, erschrocken und entzückt zugleich.

„Du hast was gefunden?“, japste Carolin. „Was denn, was?“

„Etwas, das Dich glücklich machen wird.“ Cedric lächelte, lehnte sich zurück und trank einen weiteren Schluck Scotch.

„Herrjeh, nun spuck’s schon aus!“

„Drei Haare. Sie klebten auf dem linken Unterschenkel des Jungen.“

Arissa spürte, wie sie trotz des bedrückenden Falles schneller atmete. „Was für Haare? Wurden die schon untersucht?“ Cedric lachte. Carolins schwarze Augen waren leicht zusammengekniffen, und ihr Gesicht trug einen Ausdruck fiebriger Jagdlust. „Lach nicht, Du Mistkerl. Du willst mich bloß auf die Folter spannen. Was für Haare?“

„Sykownik vermutet, dass es Tierhaare sind.“

„Tierhaare, na, besser als nichts. Ist das Tier schon bekannt?“

„Sykownik glaubt, dass es Hundehaare sind.“ Sommerfeld trank noch einen Schluck Scotch. „Hundehaare hätten eine typische, spatenförmige Wurzel, behauptet er. Allerdings ist Sykownik Chemiker, also…“

„Hundehaare! Das ist vielleicht eine Chance.“ Arissa griff erneut nach einem der kleinen braunen Holzpferde und drehte es gedankenverloren in den Händen. „Hunde sind Haustiere. Wilde Hunde gibt es in Deutschland kaum, ausgenommen ausgesetzte und stromernde Hunde natürlich. Die Haare eines Haushunds aber können uns direkt zum Täter führen. Ein Haushund verrät sein Herrchen so gewiss, als hätte der Kerl seine Visitenkarte zu Füßen der Leiche abgelegt. Vorausgesetzt natürlich, wir finden den Hund.“ Sie setzte das Pferd mit einem kleinen Knall auf die Tischplatte zurück. „Diese Haare müssen pronto zum Landeskriminalamt Düsseldorf. Falls es wirklich Hundehaare sind, brauchen wir die DNA.“

„Ich hab noch was, das dir Freude machen wird. Wir haben auf der Kopfhaut des Kindes ein erbsengroßes Stück einer weißlichen, transparenten Substanz gefunden. Sykownik ist sicher, dass es Klebstoff ist. Auf jeden Fall roch es stark nach Toluol, als er es angeschnitten hat. Und Toluol ist laut Sykownik in den meisten handelsüblichen Klebstoffen enthalten.“

„Hervorragend! Das muss natürlich auch zum Landeskriminalamt.“

Cedric erhob sein halbleeres Whiskyglas und schenkte ihr ein Raubtierlächeln. „Trinken wir auf die hübscheste und klügste Frau, die mir in den letzten Jahren begegnet ist.“

Carolin blickte in seine Augen. Eine warme Blutwelle rauschte durch ihren Körper und benebelte ihr den Verstand. „Wirklich charmant“, erwiderte sie ironisch, doch zu ihrer Bestürzung klang ihre Stimme belegt. Zum Teufel, was redete sie da? Cedric musste sie ja für komplett bescheuert halten, wenn sie sich bloß wegen eines Kompliments von ihm fast in die Hosen pinkelte. Sie trank ihm zu und blickte dann verwirrt auf ihr Filetsteak nieder. Sie spürte ihr Herz in der Kehle. In solchen Fällen nützt einem auch ein abgeschlossenes Psychologiestudium nichts, dachte sie und seufzte. Zornig über ihren beschämenden Mangel an Selbstsicherheit zwang sie sich, wieder in Sommerfelds dunkles Gesicht zu blicken.

„Das ist kein Charme“, sagte Cedric. Er lächelte und berührte ihre langen dünnen Finger. „Ich bin glücklich, dass Du endlich wieder da bist, Carolin.“

8
Recife, 8. September 2000

Fuscão Pereira war wütend. In seiner Mailbox war nur eine einzige Nachricht.

Tante Alba wünscht sich zum Geburtstag zwei kleine Päckchen Katzenzungen und eine Flasche Jamaica-Rum. Außerdem ein kleines Päckchen Nusspralinen und eine Flasche Kognak. Bitte vergiss Tante Albas bescheidene Wünsche nicht. Ihre Geburtstagsfeier findet am 12. September um 20 Uhr 30 statt. Einfache Abendkleidung erwünscht.

Er starrte auf den Bildschirm und kaute erregt auf dem Kopf eines roten Cocktailspießchens herum. Das Rauchen hatte er sich schon vor langer Zeit abgewöhnt, denn seine angegriffenen Lungen, die er den Jahren auf der Straße und dem Schnüffeln verdankte, vertrugen einfach keine Zigaretten mehr. Es krachte laut, als Fuscão den Cocktailspieß in der Mitte durchbiss. Er spuckte die zerbrochenen Teile auf die Fliesen und stampfte mit dem Absatz darauf herum. Dann schloss er widerwillig die linke Schreibtischschublade auf und fischte eine gedruckte Liste heraus. Er ging den Code der Mail durch und machte sich dabei Notizen. Pereira dechiffrierte den Code immer mit Hilfe der Liste, obwohl er ihn längst auswendig kannte. Doch bei einer solchen Arbeit durften einem keine Fehler unterlaufen. Die kleinste Nachlässigkeit hätte die ganze Transaktion zum Scheitern verurteilt.

Katzenzungen waren Nieren, Nougateier standen für Leber, Mon chéri für Herz. Natürlich gab es auch Codewörter für die seltener transplantierten Organe wie Lungen oder Bauchspeicheldrüsen. Und außerdem für Kniegelenke, Haut, Knochen, Harnleiter und Dünndärme. Ein kleines Päckchen bedeutete das Organ eines Kindes unter zehn Jahren, ein mittleres Päckchen bezog sich auf einen Jugendlichen zwischen zehn und sechzehn und ein großes Päckchen auf einen Erwachsenen.

Körpergröße und Gewicht des Spenders zu wissen wäre eigentlich besser gewesen, da sich Empfänger und Spender darin nicht allzu sehr unterscheiden durften. Mehr als zwanzig Prozent Differenz waren nicht erlaubt. Aber schließlich konnte er die Spender erst wiegen und messen, wenn er sie hatte, daher war das Alter kein schlechter Anhaltspunkt. Eine Flasche Jamaica-Rum stand für Blutgruppe Null, eine Flasche Kognak für Blutgruppe B. Der Termin der Geburtstagsfeier bezeichnete den voraussichtlichen Zeitpunkt der Transplantation für den Fall, dass Pereira bis dahin passende Spender aufgetrieben hatte.

Der Boss brauchte also zunächst einmal die Nieren eines Kindes unter zehn Jahren mit der Blutgruppe Null. Die Gewebeverträglichkeit konnte man prüfen, wenn der kleine Spender gefunden war. So weit war die Sache in Ordnung. Das Problem waren die Nusspralinen. Pereira seufzte ungehalten. Nusspralinen waren Augenhornhäute. Und der Chef wollte nur ein kleines Päckchen. Eine Augenhornhaut von einem Kind unter zehn Jahren. Eine! Er schnaufte verärgert. Wegen dieser einen Hornhaut musste er jetzt noch ein zweites Kind unter zehn Jahren besorgen - diesmal mit der Blutgruppe B. Heilige Madonna, verfluchte Scheiße! Wegen einer einzigen Hornhaut brachte man doch kein Kind um! Konnte der Boss nicht ein bisschen ökonomischer denken? Was war mit seinen sonstigen Organen, seiner jungen Leber, seinen Nieren, der Bauchspeicheldrüse, den Lungen?

Was für eine grauenhafte Verschwendung! Fuscão Pereira fischte einen neuen grünen Spieß aus einem Behälter, der prall mit überlangen Cocktailspießen aus Kunststoff gefüllt war, und klemmte ihn zwischen seine lückenhaften Zähne. An seine seelische Belastung dachte natürlich keiner. Klar konnte ein Straßenkind auch mit nur einem Auge weiterleben, aber es würde quatschen. Und Pereira wäre schneller aus dem Geschäft, als man Nusspraline sagen konnte. Noch wahrscheinlicher aber wäre er tot, denn der Boss war ein Mann ohne Erbarmen. Fuscão wusste, wann er gehorchen musste. Er kaute an dem neuen Cocktailspieß herum, bis der Spieß knackend splitterte. Fuscão schleuderte ihn zu Boden. Dann stand er schwerfällig von seinem Schreibtischstuhl auf, schlurfte zum Küchenschrank und holte eine Flasche Glenfiddich heraus (Blutgruppe A, haha!). Er schnitt eine höhnische Grimasse und füllte sein Glas bis zum Rand mit Whisky.

Vorsichtig trug er seinen Drink zum Computer zurück und sackte schwer auf den Drehstuhl. Es kam selten vor, dass er sich über die Befehle seines Chefs empörte, meistens nahm er seine Forderungen ungerührt hin. Aber über einen Mangel an ökonomischem Sachverstand konnte er sich schwarz ärgern. Gütige Madonna, konnte man so was nicht ein bisschen geschickter planen? Pereira lehnte sich zurück und trank ein paar große Schlucke Glenfiddich. Der gereifte Whisky floss besänftigend durch seine Kehle und belebte ihn mit mild glühendem Feuer. Fuscão trank das halbe Glas aus und seufzte erleichtert.

Pereira, genannt der Marder, war ein beleibter Mulatte mit vernarbter Haut und Tränensäcken unter den Augen. Um seinen Hals hing eine schwere Goldkette, die sich in die Speckrolle seines feisten Nackens grub. Im Winter trug er eine Lederjacke mit Pelzbesatz, und im Sommer zwängte er seine Fettmassen in enganliegende bunte Viskosehemden. Das Weiße in seinen Augen zeigte ein schmutziges Gelb und war von roten Äderchen durchsetzt. Der Marder war erst vierunddreißig, aber man hätte ihn leicht für einen Mann von fünfzig halten können. Fuscão war der Mann fürs Grobe, er beschaffte die Organe. Natürlich trieb er nicht nur Straßenkinder als unfreiwillige Spender auf; schließlich brauchten auch erwachsene Kranke frische Organe. Pereira ging in Gaststätten, Wäschereien und Baumärkte und nahm die für Hungerlöhne rackernden Menschen in die Mangel. Behutsam und mit viel Geduld führte der Marder sie an den Gedanken heran, eine ihrer Nieren oder Augenhornhäute zu verkaufen. Schließlich konnte man auch mit nur einem Auge oder einer Niere prächtig weiterleben, und durch den Organverkauf konnte man seine Familie vor dem Absturz ins nackte Elend bewahren oder seine Kinder zur Oberschule schicken.

Der Marder war gewandt und hatte anständige Manieren. Er trat artig und respektvoll auf und brauchte sogar bei einer seltenen Blutgruppe wie AB (eine Flasche Kräuterlikör) nie mehr als höchstens drei Tage, um einen brauchbaren Spender aufzuspüren und ihn zum Verkauf zu animieren. Der Rest war einfach. Die Spender wurden auf ihre Gewebeverträglichkeit getestet, wobei die Anforderungskriterien überaus großzügig gehandhabt wurden. Kamen sie als Spender in Frage, so unterschrieben sie eine eidesstattliche Erklärung, dass sie ihre Niere oder Hornhaut freiwillig hergaben. Dann legten sie sich in die Privatklinik Lucimar Siqueira. Mit der eidesstattlichen Erklärung hätte man sich bestenfalls den Hintern wischen können - schließlich war der Verkauf auch eigener Organe in Brasilien strafbar -, aber sie schenkte den transplantierenden Ärzten das wohlige Gefühl der Legalität. Nach der Explantation bekamen die Spender ein paar mickrige Scheine. Erschienen sie Pereira blauäugig oder dumm genug, um unter einer kleinen Drohung einzuknicken, bekamen sie gar nichts.

Fuscão Pereira lächelte entspannt. Der hervorragende Whisky besänftigte seine gereizten Nerven. Klar fand man auch in der Zeitung Angebote von Verzweifelten, die zwischen Elektroherden, Detekteien und gebrauchten Spülmaschinen annoncierten: „Verkaufe Hornhaut“ oder „Niere von kerngesundem Dreiunddreißigjährigem zu verkaufen.“ Der Handel mit menschlichen Organen trieb immer wildere Sumpfblüten, denn Millionen Brasilianer lebten in qualvoller Armut. Doch diese Leute waren einfach viel zu teuer. Menschen, die klare finanzielle Vorstellungen vom Verkauf ihrer Organe hatten, waren als Geschäftspartner unbrauchbar.

Pereira trank einen weiteren Schluck Glenfiddich und zog den seidenen Kimono über seinen dicken Schenkeln glatt. Am billigsten waren natürlich die Organe der Straßenkinder. Nieren, Lebern, Herzen und Hornhäute für kranke Kinder der ersten Welt - kleine Gringos, Europäer und Japaner -, waren ein Mordsgeschäft. Für eine einzige junge Niere berechnete der Boss dem Kunden bis zu 180.000 Dollar - ein schier unglaublicher Betrag, selbst wenn die Transplantation, eine Begleitperson für den Kranken und eine kärgliche Nachsorge inbegriffen waren. Und Straßenkinder kosteten fast nichts - ihre Organe waren praktisch umsonst. Schlaflose Nächte hatte er deshalb nicht. Jeder wusste, dass die meisten Pivetes starben, bevor sie auch nur siebzehn waren. Und Pereira wusste verdammt gut, dass die Pivetes von den Todesschwadronen abgeknallt wurden wie verwilderte Köter, denn schließlich war er selbst viele Jahre Straßenkind gewesen.

Pereira drehte erregt an seiner Goldkette herum. Die Erinnerung an sein eigenes Straßenkinderelend ging ihm heut noch an die Nieren. Der ewige Hunger, die prügelnden Bullen, die von Kleisterdämpfen verätzte Nase – nichts als Flucht, Gewalt und Folter. Der Marder packte sein Glas, kippte sich einen gewaltigen Schluck Glenfiddich in den Rachen und knallte das Glas auf den Computertisch. Die verfluchten Schwadronen, diese Hurensöhne! Diese Gerechtigkeitsapostel von eigenen Gnaden machten für die honorigen Geschäftsleute, vor deren Schaufenstern die Pivetes herumstreunten, die Drecksarbeit. Natürlich musste man auch die Geschäftsleute verstehen. Die verlotterten, bettelnden Straßenkinder waren ein hässlicher Anblick und jagten zahlungskräftige Kunden in die Flucht. Die Manager der Tourismusbranche und die großen Hoteliers bezahlten den Todesschwadronen einen Haufen Geld, damit sie die Straßenkinder umlegten, und die meisten Brasilianer weinten ihnen keine Träne nach. Und wenn die kleinen Verbrecher vor ihrem Tod noch ein bisschen gefoltert wurden, diente das den übrigen minderjährigen Kriminellen nur zur Lehre. Für die Todesschwadronen, oft ehemalige Militärpolizisten, waren die kleinen Hungerleider reiner Abschaum – nichts als künftige Halsabschneider und Raubmörder, weshalb es nur konsequent war, sie auszulöschen. Fuscão fand es jedoch besser, wenn die Pivetes vor ihrem Tod noch zu etwas nütze waren, indem sie zum Beispiel ihre gesunden jungen Organe hergaben.

Er raffte sich aus seiner zusammengesunkenen Haltung auf und schob das leere Glas beiseite. Mit einigen Mausklicks holte er sich eine Stadtansicht von Recife auf den Monitor, die die Lagerplätze der meisten Straßenkinderbanden Recifes zeigte. Natürlich wechselten diese Plätze oft, und auch die Zusammensetzung der Banden war alles andere als stabil. Da genügte ein Streit oder eine kleine Messerstecherei, schon war der Boss von einem aggressiven jungen Bandenmitglied abgesetzt und zwei weitere Bandenmitglieder in die Wüste vertrieben. Trotzdem war die Datei ein guter Ausgangspunkt für seine Suche, und er aktualisierte sie jede Woche gewissenhaft. Fuscão klickte auf Recifes Altstadt und fand an den Ufern des Capibaribe verschiedene Lagerplätze von Straßenkindern, darunter den einer Bande namens Piraten. Wenn er sich recht erinnerte, gab es da einige Kinder unter zehn. Fuscão langte nach einem taufrischen Spießchen und steckte ihn zwischen seine Zähne. Die Piraten waren überhaupt alle sehr jung. Es würde sich lohnen, die mal unter die Lupe zu nehmen.