Kitabı oku: «SINODIS», sayfa 2

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»Mach die verdammte Tür zu!« Ein Schuss löste sich, als ich mich aus meiner Starre erwacht gegen das Türblatt stemmte, und mit letzter Kraft die Tür ins Schloss rammte, so dass die Pistole klappernd direkt vor meinen Füßen landete. Komisch, der Schuss war gar nicht so laut, wie man das als Laie erwartete. Im nächsten Moment lag ich im Flur, sah eine ganze Menge Blut und wusste nicht, wie mir geschah.

»Amily!«

Ich starrte auf das Blut, das meinen Oberarm entlang rann. »Da ist überall Blut!«

»Halb so wild, nur ein Streifschuss«, versuchte Jack mich zu trösten, dabei war er so kreidebleich, als hätte er einen Geist gesehen. Ich atmete immer schneller.

»Oh, toll. Ich … verstehe nur nicht, … warum man auf uns schießt. Wir müssen die Polizei rufen.«

»Nein! Vertrau mir, die brauchen wir nicht.«

Jack schleifte mich ins Schlafzimmer, ich hinterließ einen Blutstreifen auf dem Laminat. Er legte mich auf die Matratze, dann musste er selbst kurz verschnaufen.

»Es tut so weh.« Mein Oberarm brannte wie Feuer. Der Schmerz war mit nichts vergleichbar, das ich kannte, er strahlte bis in die Schulter aus. Schließlich wurde unsereins nicht jeden Tag angeschossen.

»So, dann wollen wir mal sehen.« Er hatte den Verbandskasten im Flur gefunden und presste Mullbinden auf die blutenden Wunden auf Höhe meines Schlüsselbeines und fixierte alles mit Pflastern. »Fertig. Du bist sehr tapfer, Amily.« Ich lächelte schwach.

»Nein, bin ich nicht. Bist du auch verletzt?«, fragte ich besorgt. Kopfschüttelnd antwortete er:

»Nein. Du bist wichtig, nur du.« Er gab mir einen Kuss.

»Jack?«

»Ja, Amily?«

»Für dich würde ich sterben.« Er sah mich lange an, bevor er entgegnete:

»Ich weiß. Ich auch für dich. Liebe dich, okay?« Dann wurde mir schwarz vor Augen.

Zwei Tage später erwachte ich. Sofort durchbohrte der Schmerz meinen geschwächten Körper und erinnerte mich daran, was passiert war. Es musste später Vormittag sein, so wie das Licht durch das Schlafzimmerfenster fiel. Von Jack keine Spur. Nicht noch mal! Vor Wut darüber, dass er noch mal abgehauen sein könnte, hievte ich meinen malträtierten Leib aus dem Bett und schleppte mich mit schmerzverzerrtem Gesicht in die Küche. Wehe … »Jack?« Er saß auf einem Stuhl, das Kinn auf der Brust. Er musste über mich gewacht haben, bis ihm die Augen zugefallen waren.

»Komm ins Bett, Jack. Du musst dich ausruhen. Wie lange sitzt du denn da schon?« Er schlug die Augen auf, murmelte etwas wie: »Ich muss eingeschlafen sein«, stand auf und folgte mir wie in Trance ins Schlafzimmer. Jetzt war es an mir, über ihn zu wachen, also legte ich mich zu ihm. Er drehte sich um, nahm mich in den Arm, wobei er seine morgendliche Erregung kaum zu verbergen vermochte.

»Jack, ich hatte tierische Angst um dich, ich will das mit uns nicht missen.« Ich küsste seine vollen Lippen.

»Ich will dich auch nicht missen.« Er sagte das so überzeugend, ich glaubte ihm auf Anhieb.

»Aber ich verstehe einfach nicht, was das alles soll! Warum hat Marten auf uns geschossen? Es muss Marten gewesen sein.«

»Marten?« Jack klang verwirrt.

»Der Arzt. Mein Nachbar!«

»Ach so. Kann mir auch nicht vorstellen, warum.«

Nachdem wir ein paar Stunden geruht hatten, stand ich auf, um uns mit den Resten, die ich noch im Haus hatte, ein schönes verspätetes Frühstück zu zaubern. Es war kein üppiges Mahl, eher etwas für den kleinen Hunger, denn obwohl mein Arm weniger wehtat, fielen mir die alltäglichen Handgriffe nicht so leicht wie normal. Ich wollte Jack gerade rufen, da stand er schon im Adamskostüm direkt hinter mir. Überall Muskeln. Was für ein Mann! Schnell wendete ich den Blick ab, nahm die H-Milch aus dem Kühlschrank und schenkte Kaffee ein. »Ich wollte dir gerade Bescheid sagen. Es gibt was zu essen.« Er presste seinen verschwitzten Körper an meinen.

»Meine kleine Amily, ich bin zum ersten Mal in meinem Leben wahrhaftig verliebt, ich kann nicht beschreiben, wie sehr. Und das seit dem ersten Moment, als ich dich gesehen habe.«

»Ach, Jack! Wie romantisch.« Bitte sag das nur, wenn du es auch so meinst, flehte ich in Gedanken. Ich wandte mich ihm zu, reichte ihm den Becher, betrachtete ihn im Ganzen, so wie er es mit mir gemacht hatte, lehnte mich zurück und genoss nicht nur den Kaffee, sondern den Anblick von Mr. Jack. Bei dieser Gelegenheit gestand ich Jack, dass es vorher keinen Mann in meinem Leben gegeben hatte, bei dem ich auch nur annähernd ein so ausgeprägtes Verlangen nach Sex und Liebe empfand. Er starrte mich nur verständnislos an.

»Aber was sage ich. Genug davon, sonst kommen mir gleich die Tränen. Also, was machen wir Schönes?«

»Wollen wir an der Elbe spazieren gehen? Soll schön sein, hab ich gehört. Und dann vielleicht eine Kleinigkeit essen?«, schlug Jack vor. »Vorausgesetzt du fühlst dich gut genug, natürlich.« Freudig erwiderte ich:

»Die Schmerzen haben schon nachgelassen. Also gern. Ich brauche nur fünf Minuten.« Ich hatte vor, seine Blicke zu schärfen, und zwar so, dass ihm später als einzige Option der Weg ins Schlafzimmer blieb. Deshalb suchte ich das schönste Minikleid aus, das ich besaß, dazu passend eine dünne Jacke, falls es kühl werden sollte, kombiniert mit Sneakers. Ich gab Jack lächelnd einen Klaps, als ich an ihm vorbeiging, schlich in den Flur und schaute durch den Türspion.

»Was machst du, Amily?«

»Die Luft ist rein. Wir können gehen.«

02 - Lagerhalle

Ich nahm ein Stück schwarzes Klebeband aus dem Schubladenschrank, öffnete die Tür und klebte damit Martens Türspion zu. Sicher ist sicher. Es lag auf der Hand, dass er derjenige gewesen sein musste, der den Schuss abgefeuert hatte. Keine Ahnung, weshalb er das tun sollte, zumal er mir kurz vorher noch Frühstück gebracht hatte. Ich vermutete zwar schon länger, eigentlich seit einem Nachbarschaftsfest vor zwei Jahren, dass Marten heimlich in mich verschossen war, aber als Mann war er leider gar nicht mein Typ - etwa gleichaltrig und ein erfolgreicher Arzt, aber sowas von langweilig.

»Komm, Jack, keiner da«, wisperte ich, schnappte mir noch meine Schlüssel, und dann stahlen wir uns durch den Hinterausgang. Die Sonne brannte hell und heiß, Jack fühlte sich unübersehbar wohl in meiner Begleitung. Wie sehr hatte ich mir einen Mann an meiner Seite gewünscht, der mich liebte, wie ich war. Wir schlenderten in Richtung des neuen Hafenviertels. Ich mochte dieses trendige Quartier mit der modernen, spannenden Architektur. Selbst als Einheimische entdeckte ich jedes Mal etwas Neues, und das wollte ich natürlich meinem Liebsten zeigen.

»Beeindruckend«, gestand mein Gast aus der Ferne.

»Nicht wahr? Gut, dass heute nicht so viel los ist. Muss an der Wärme liegen.« Ich blieb irgendwann mitten auf dem Gehweg stehen und Jack drängte sich nah an mich heran, um mir bei der Gelegenheit schelmisch ins Ohr zu flüstern:

»Hast du eigentlich immer so wenig an, Amily?« Ich errötete.

»N... nein Jack, das ist nur für dich. Das habe ich noch nie getan, ehrlich. Mein Verlangen nach dir ist gewaltig, trotzdem habe ich Angst, dass es nicht genug sein könnte.«

»Aber nein, was redest du da. Alles was du von Herzen gibst, ist genug.«

»Ja, schon, aber ich bin ständig hungrig auf dich, und das kenne ich nicht von mir. Es macht mich nervös. Du machst mich nervös.«

Es war kaum zu überhören, wie sich mehrere Gestalten um uns scharten und sich gar über uns lustig machten. Deren pöbelhafter Tonfall erregte meine Aufmerksamkeit.

»Sind sie nicht süß, die beiden? Da seid ihr ja, ihr Turteltauben. Haben wir euch endlich gefunden!« Ich stand wie erstarrt, unfähig zu reagieren, aber wenigstens mein Mundwerk funktionierte noch.

»Was wollen Sie? Ich kenne Sie nicht.«

»Halt die Klappe!«, befahl einer von ihnen. Jack schätzte die Lage ab, griff dann nach meinem Ellenbogen, um mich vor einer Dummheit zu bewahren. Wir waren umringt von etlichen Herren, die uns vor den Blicken der Passanten abschirmten und dann wenig zimperlich zwei Seile um uns schlangen. »Vorsicht, mein Arm!«, fauchte ich, und dann geschah, was ich nie für möglich gehalten habe. Mit einem Ruck wurden wir über die Kaimauer gezerrt, dann sechs Meter in das brackige Wasser des Hafenbeckens hinabgelassen – und niemand scherte sich darum. Ich zappelte nach Leibeskräften, fügte mir aber nur selbst Schmerzen zu.

»Jack! Hilfe!« Meine letzten Gedanken galten der Tatsache, dass ich den Gestank aus den Klamotten nie wieder herausbekommen würde, und dann ... erwachte ich mit dröhnendem Schädel in einer erbärmlich stinkenden Lagerhalle, in einer Affenhitze. Das Dach bestand aus einfachem Wellblech und hatte sich durch die Sonne aufgeheizt wie ein Backofen. Ich kannte solche Hallen, aber die Perspektive, aus der ich sie betrachtete, verwirrte mich. Ich drehte leicht den Kopf und stellte fest, dass man mich an Armen und Beinen aufgehängt hatte, wie in einem Schlachthaus. Der Schmerz von der Schusswunde, die wieder blutete, malträtierte mein Hirn. Über meine verhunzten Klamotten brauchte ich mir nicht mehr den Kopf zerbrechen, denn man hatte mich entblößt aufgehängt wie Schlachtvieh beim Metzger. Die Tatsache für sich genommen machte mich nur wütend. Als ich den Kopf anhob, sah ich Jack dort ebenso unbekleidet hängen – eineinhalb Meter von mir entfernt. Weit und breit war keine Menschenseele außer ihm zu sehen. Ich konnte aber nicht erkennen, ob er wach war. Die Halle war wohl seit langem verwaist, hatte etwas von einem in Vergessenheit geratenen Schrottplatz. Überall lagen leere Fässer, Kanister und Maschinenteile verstreut. Es gab Gruben für Maschinen wie beispielsweise monströse Pressen, die ein Betonbett benötigten. Damit kannte ich mich aus. Ich hatte ja Maschinenbau studiert. Den penetranten Geruch schrieb ich Diesel oder Altöl zu.

»Jack!«, rief ich. »Sag, was haben die mit dir angestellt?« Er hob mühsam seinen Kopf. Wenigstens war er bei Bewusstsein. »Du meine Güte, was ist mit deinem Gesicht passiert? Was wollen die von dir?« Es kostete ihn Mühe, zu antworten.

»Weiß nicht. Sie fragen ständig nach einer Rolle.«

»Rolle? Was für eine verdammte Rolle?« Ich verstand nur Bahnhof. Sämtliches Blut staute sich mittlerweile in meinem Kopf.

»Keine Ahnung. Wenn ich das wüsste. Wir müssen hier weg. Schaffst du es, dich mit den Armen aus den Gurten zu befreien? Es sind ungefähr drei Meter bis zum Boden. Wenn du deine Hände zusammenführen könntest, kannst du vielleicht die Schnalle öffnen.«

»Unmöglich, das schaffe ich nicht.«

»Komm, versuch es! Bitte, Amily, für uns. Bitte.« Ich atmete dreimal durch und hangelte mich dann an einer der Ketten hoch bis zur Schnalle. Mit dem kleinen Finger friemelte ich die Schnalle aus der Öse. Das tat weh. Und dann - fiel ich kraftlos in meine Ausgangsposition zurück. Auf diesen gewaltigen Ruck in den Handgelenken folgte ein heftiger Schmerz.

Jack fand immer wieder die richtigen Worte, um mich anzutreiben:

»Mach schon. Amily, du hast es gleich. Du bist ein starkes Mädchen«, sagte er, dann kam von ihm kein Laut mehr. »Nein, nein, Jack! Lass mich nicht im Stich.« Voller Verzweiflung entfesselte ich Kräfte, die mir bislang verborgen gewesen waren, packte die Kette, zog mich bis zur Schnalle hoch und schob den verdammten Stift aus dem Loch. Meine erste Hand war frei. Wenn ich eine Hand befreien konnte, dann auch die andere. Nach dem dritten Versuch konnte ich auch die zweite Schnalle lösen, holte Schwung und fiel, bis die Fußfessel mich stoppte. Was für eine blöde Idee, stellte ich schmerzerfüllt fest. Als ich da hing, sah ich das ganze Ausmaß von Jacks Verwundungen. Meine verletzte Seele schrie nach Vergeltung, wem auch immer diese galt. Mein Zorn überwand jegliche Grenzen der Physik. Den Oberkörper nach oben gestemmt, klammerte ich mich an der Kette fest. Mit letzter Kraftreserve – die Schusswunde blutete jetzt wieder stärker - öffnete ich die Schnalle, dabei glitt der Fuß heraus. Frei. Ich konnte mich nirgends mehr festhalten, die Ketten der Armfessel waren für mich nicht erreichbar, deshalb schnellte mein Körper nach unten. Es knackte heftig im Fußgelenk, doch die lederne Schnalle riss dabei ab. Aus einem Reflex heraus schützte ich meinen Kopf, krachte mit voller Wucht auf den harten Betonfußboden und verlor das Bewusstsein.

Nach einer gefühlten Ewigkeit schlug ich die Augen auf, sah Jack bewusstlos in den Ketten hängen. Selber kaum in der Lage, mich zu rühren, probierte ich, meine Hände aufzustützen, aber mein Körper gehorchte mir nicht. Ich hörte eine Tür schlagen, versuchte wegzukriechen, doch es ging nicht, meine Gliedmaßen waren nicht bereit, den nächsten Schritt zu tun. Also entschied ich einfach, die Augen geschlossen zu halten. Tote Frau spielen. Ich atmete möglichst flach. Nach den Schritten zu urteilen, handelte es sich um zwei oder drei Personen. Sie blieben vor mir stehen, diskutierten in einer Sprache von der ich annahm, dass es Spanisch sei, ich aber kein Wort verstand. Zugern hätte ich gewusst, worum es ging. Es wurde immer anstrengender, meine Atmung zu kontrollieren. Hört auf zu palavern!

Jemand schnappte meine Beine, schleifte meinen nackten, stark blutenden Körper über den schmirgelpapierartigen Betonfußboden. Nach einigen Metern ließen sie meine Füße fallen. Ich musste mich fürchterlich zusammenreißen, bei dieser zweifelhaften Methode keine Miene zu verziehen oder gar laut aufzuschreien. Kalter Schweiß benetzte jeden Quadratzentimeter meiner Haut. Mit geschlossenen Augen vernahm ich das Quietschen von Metallrollen, Ketten, die klirrend aneinanderschlugen. Daraus schloss ich, dass sie Jack herabließen, um wiederholt auf ihn einzuschlagen. Irgendetwas brach, ein dumpfes Geräusch, als würde ein Körper auf dem Beton aufschlagen. Einer der Männer murmelte:

»Wer hätte das gedacht, er hat sie wohl doch nicht. Verflucht!«

»Mist, wir haben die Falschen. Und nun?«

»Lass mich nochmal versuchen.« Daraufhin brüllte der Kerl Jack in einem letzten Versuch an:

»Wenn du die Rolle doch hast, töten wir jeden, der dir nahesteht, dann wirst du sehr, sehr einsam sterben, mein Freund.« Die Männer gingen zum Ausgang. Einer von ihnen drehte sich auf seinen Ledersohlen noch einmal um, Stoff raschelte, ich hörte das Entriegeln einer Schusswaffe und dann einen Knall. Mein Körper produzierte einen Hitzeschub, der in ein brachiales Brennen überging. Mein Oberschenkel fühlte sich an, als gehörte er nicht zu mir. Ich war viel zu entsetzt, um zu schreien.

»Okay, vergiss es, die ist mausetot«, grölte einer der Männer, sie lachten lauthals.

Hauptsache, ihr habt Spaß. Ich schwor, Rache zu nehmen. Für Jacks Qualen und die verlorene Liebe. Ich würde herausfinden, wer dahintersteckte und dann ... Ich weinte lautlos, ängstlich, nicht das Richtige zu tun. Die Tür schlug zu. Ich wartete regungslos, bis es dunkel wurde, um sicherzugehen, dass unser Überleben verborgen blieb, dann befahl ich mir:

Komm, raff dich auf, kümmere dich um Jack! Du bist an der Reihe. Nur allzu schwerfällig gehorchten meine Arme, stemmten meinen geschwächten Oberkörper in die Höhe. Ich sah Jack in drei Metern Entfernung auf dem Boden liegen. Kein Lebenszeichen ging von ihm aus.

»Los, Amily, auf die Beine!«, trieb ich mich unter unerträglichen Schmerzen an. Ich erlangte meinen Geruchssinn zurück, der schlug Alarm. Es stank bestialisch nach Öl und Benzin. Ich wankte zu dem Reglosen.

»Steh auf, Jack! Steh auf!« Nur allmählich kehrte Leben in seinen geschundenen Körper zurück.

»Bist du okay, Amily?«

»Ja, geht schon. Komm, wir müssen hier raus, es riecht hier furchtbar nach Brennstoff.«

Jack kam nur unter großen Anstrengungen auf die Beine, aber endlich stand er, und ich selbst blutete noch immer.

»Haben die Schweine etwa auf dich geschossen?« Der Zorn loderte in seinen Augen.

»Unwichtig, wir müssen hier raus! Ich habe so ein komisches Gefühl, dass die wiederkommen.« Wir schleppten uns gebeugt zur Seitentür, mühten uns gemeinsam mit der Klinke ab, aber die war festgerostet. Nichts rührte sich. Plötzlich riss jemand die größere Tür an der Stirnseite auf, die der Haupteingang sein musste. Erschrocken fuhren wir herum. Einer unserer Peiniger tat einen Schritt ins Innere. Ich rechnete fest damit, dass er uns erschießen würde. Er bemerkte abfällig:

»So, ihr lebt doch noch. Ihr zwei erstaunt mich immer mehr.« Dann warf er unter höhnischem Gelächter sein brennendes Feuerzeug in eine der schimmernden Pfützen, was rasend schnell ein Feuerinferno entfachte, das rasch um sich griff. Der Mann verließ die Halle und schlug die Tür zu. Wir waren gefangen im Flammenmeer! Mittlerweile war es kochend heiß.

»Jack, mach die verdammte Tür auf!« Die Rauchentwicklung nahm zu, ich begann zu husten. Jack zog und zerrte an der Tür. Vergeblich. Auch er hatte Luftnot, seine Augen tränten und er keuchte verzweifelt:

»Ich versuch’s. Es geht nicht! Scheiße, das ist eine Schiebetür.« Mit dieser Erkenntnis setzten wir alles daran, sie endlich zu öffnen. Die Flammen kamen bedrohlich näher. Erst drückten wir nach links, falls sich unter der Tür ein Keil befinden sollte. So war es auch, die Tür ließ sich endlich aufschieben. Wir keuchten und rangen nach Luft. In dem Moment, als der Sauerstoff ungehindert eindringen konnte, geschah es: Jäh raste eine Feuerwalze auf uns zu. Es ging alles viel zu schnell. Jack drehte sich mit dem Rücken zum Feuer, stellte sich beschützend vor mich, und schrie mich an:

»Vertrau mir!« Er hielt mich fest umschlossen. Ich vertraute ihm. Die Feuerwalze trieb eine gewaltige Druckwelle vor sich her, welche uns dann aus dem Gebäude katapultierte.

03 - Nichts ist, wie es scheint

Gott weiß, wie lange wir da im Dunkeln gelegen hatten. Es dauerte eine geraume Weile, bis ich mich orientieren konnte. Trotz des Infernos vor unserer Nase war mir bitterkalt. Schnell wurde man der lodernden Flammen und der Verpuffungen gewahr, eine ganze Heerschar von Einsatzkräften rückte an. Im Zuge der Löscharbeiten stolperten sie quasi über uns.

»Hierher!« Ich streckte einen Arm in die Höhe, um auf uns aufmerksam zu machen. Zig Retter eilten herbei, ein Helikopter schwebte über uns. Da waren flackernde Lichter in Rot und Blau und Suchscheinwerfer. Die helfenden Hände, die nicht mit den Löscharbeiten betraut waren, waren bemüht, uns zu versorgen. Ich schloss die Augen, konnte endlich loslassen.

Erst im Krankenhaus erlangte ich das Bewusstsein wieder. Ein Alarm vom Überwachungsmonitor gab Meldung über mein Erwachen. Sofort erschienen ein Arzt und zwei Pfleger, um nach mir zu sehen.

»Sie sind wach. Wie schön. Ich bin Dr. Paul Brenner, Chefarzt. Können Sie mir sagen, wie Sie sich fühlen?« Mir brannte nur die eine Frage auf der Seele:

»Jack? Wo ist er denn? Geht es ihm gut?« Der Arzt schaute überrascht.

»Beruhigen Sie sich. Ihr Jack ist bald wieder auf den Beinen. Und Sie natürlich auch.« Seine Verletzungen seien nur oberflächlich. Neben zwei Schusswunden, hätte ich allerdings böse Hautabschürfungen, Prellungen und einen verstauchten Knöchel davongetragen, der dick bandagiert war. Zudem würden ein paar Leute von der Bundespolizei mit mir reden wollen, für die ich gar nicht schnell genug das Bewusstsein wiedererlangen konnte. Ob das in Ordnung sei.

»Na schön, aber ich möchte nicht mit denen alleine sein.« Dr. Brenner wirkte in einer Art und Weise angenehm beruhigend auf mich, die ich nicht definieren konnte.

»Lässt sich einrichten. Mein Kollege hier gibt Ihnen etwas gegen die Schmerzen. Ich bitte die Polizisten herein. Machen Sie sich keine Sorgen. Wie heißen Sie eigentlich, junge Dame?«

»Mein Name ist Amily Simon«, sagte ich, während der Pfleger sich an meinem Arm zu schaffen machte.

»Na dann, Amily, tief durchatmen. Ich hole die Beamten und bleibe bei Ihnen, versprochen. Ist das okay?«

»Ja, gut.«

Es verstrichen nur wenige Sekunden, bis eine Frau auf der Bildfläche erschien. Sie war klein, blond und sehr mager, sah aus wie eine zu dünne Puppe von schätzungsweise fünfunddreißig Jahren und war auf Anhieb ein rotes Tuch für mich. Ein großer dunkelhaariger Mann, etwa vierzig Jahre alt, begleitete sie. Er war die sympathischere Hälfte dieses Dream-Teams. Dr. Brenner, den sie vor die Tür schicken wollten, ließ keine Zweifel aufkommen, wer das Sagen hatte. Auch mein Veto war ihnen gewiss:

»Der Arzt bleibt, sonst sage ich kein Wort.«

»Na schön«, lenkten die Beamten ein. »Keine Aufregung.« Die Frau warf ihrem Partner sonderbare Blicke zu und übernahm dann das Reden.

»Meier und Schmidt von der SOKO Hamburg.« Sie deutete dabei auf ihren Partner Schmidt. »Wir ermitteln wegen des Brandes auf dem Hafengelände, da erheblicher Sachschaden entstanden ist. Sie wurden in unmittelbarer Nähe zum Tatort aufgefunden, deshalb haben wir ein paar Fragen an Sie. Es wird nicht allzu lange dauern. Nennen Sie uns bitte vorab Ihren Namen und Ihr Geburtsdatum.«

Ich antwortete artig, während das Schmerzmittel Wirkung zeigte und ich mich etwas entspannte. Richtig, mein Sternzeichen war Löwe. Ich hatte am achtundzwanzigsten Juli Geburtstag, wobei uns Löwefrauen nicht nur durchweg positive Eigenschaften zugeschrieben wurden.

»Okay. Und Sie leben in Hamburg?«

»Ja.« Ich nannte der Beamtin meine Adresse, die sie notierte und auch noch meine Arbeitsstelle. Wenn ich morgen nicht erschien, würde man mich vermisst melden.

»Schön. Und, Frau Simon, wie sind Sie und Ihr Begleiter denn nun in dieses Gebäude gelangt und warum waren Sie unbekleidet?«

»Na, Sie sind gut. Ich weiß weder das eine noch das andere. Herrje! Wir wollten doch nur spazieren gehen.« Mir kamen die Tränen, ich schluchzte leise.

»Spazieren, ah ja. Gewiss.« Sie glaubte mir kein Wort, das war ihr anzusehen.

»Wo ist Jack?«

»Jack? Ist das Ihr Begleiter?«

»Ja doch. In Kuba hat alles angefangen, und in Hamburg spitzte sich die Sache zu. Ein Mann war in meiner Wohnung. Dr. Marten, mein Nachbar, der auf mich geschossen hat, glaube ich.« Hier wurde ich unterbrochen.

»Moment, Moment. Es wurde auf Sie geschossen? In Ihrer Wohnung? Und Sie haben nicht die Polizei gerufen?«

»Nein. Ich wollte ja, aber dann … Und bei dem Spaziergang wurden wir entführt. Ich kann nicht sagen, warum, aber die suchen irgendeine vermaledeite Rolle. Drei Männer. Mehr weiß ich auch nicht, wirklich, ich habe keine Ahnung. Das macht alles überhaupt keinen Sinn ...« Mein Blick suchte Dr. Brenner. Ich war so müde, wollte einfach nur schlafen. Er erkannte mein Flehen und verwies die Beamten auf die nächsten Tage.

»Wir haben aber noch Fragen, was diese hanebüchene Geschichte mit dem Nachbarn betrifft«, protestierte die Beamtin.

»Gönnen Sie der Patientin ein wenig Ruhe. Sie hat viel durchgemacht. Wenn ich Sie nun bitten dürfte …« Als die Besucher widerwillig gegangen waren, lobte mich der sympathische Arzt:

»Das haben Sie gut gemacht, Amily. Ruhen Sie sich jetzt aus.« Ich versuchte ein schiefes Lächeln.

»Die weiß doch irgendwas. Wieso sagt sie es nicht?«, hörte ich die Beamten auf dem Gang schimpfen, dann schlief ich ein.

Es war am anderen Morgen, als der Duft nach frischem Kaffee meinen Schlaf unterbrach. Ich sprang auf und stürzte mich auf diesen Kerl, einen Schatten über mir, der mir zuvor die Schusswunde zugefügt hatte. Bei genauerem Hinsehen entpuppte der sich als Dr. Brenner.

»Amily, nein!« Ich sank zurück auf mein Kissen.

»Oh, bitte entschuldigen Sie meinen Angriff. Ich dachte, Sie wären der andere Arzt, der mich angeschossen hat. Der Kaffeeduft war wohl der Auslöser. Es tut mir leid.«

»Keine Sorge. Ich bin seit siebenundzwanzig Jahren Arzt und habe schon so einiges erlebt. Ihr Freund fragt ständig nach Ihnen. Wollen Sie ihn sehen?« Ja, unbedingt wollte ich das. »Er liegt nur zwei Räume weiter. Wenn Sie möchten, hole ich einen Rollstuhl ...«

»Keinen Rollstuhl, bitte. Ich schaffe das schon. Wenn eine Schwester oder Sie mich stützen, bekomme ich das gewiss hin.«

»Ich übernehme das.« Er bot freimütig seinen Arm an. Nur mit dem dünnen Krankenhausnachthemd bekleidet schleppte ich mich zur Tür, öffnete diese vorsichtig, warf einen Blick auf das rege Treiben im Gang. »Es ist nur zwei Türen weiter links.« Nur zwei Zimmer weiter?

»Das bekomme ich hin. Doktor, Sie bleiben doch besser hier, ich versuche es alleine.«

»Wie Sie meinen. Rufen Sie mich, wenn Sie Hilfe brauchen.« Mit größter Mühe hielt ich mich aufrecht und stand schließlich atemringend vor dem Zimmer mit der Nummer dreihundertdrei. Dr. Brenner warf mir aufmunternde Blicke zu. Die wenigen Meter waren in meiner Lage anstrengender gewesen als ein Marathon. Ich klopfte an, doch es kam keine Reaktion.

»Jack? Ich bin’s.« Ich öffnete die Tür, trat ein. Eine Gestalt lag dort, zugedeckt bis zur Nasenspitze, ich schloss die Zimmertür von innen. »Schatz?« Vielleicht schlief er. Ich näherte mich dem Krankenbett, die Hand schon ausgestreckt, um nach dem Laken zu greifen. In meinem Bauch kribbelte es wieder. Hinter dem Bett kam die Blondine zum Vorschein, ich zuckte zusammen, versuchte, mir nichts anmerken zu lassen.

»Dachte ich es mir doch. Du bist gar keine Polizistin, du Miststück!«

»Nein, Schlaumeier. Ich bin diejenige, die dir das nette Andenken verpasst hat.«

»Du? Du Schlampe! Tut das Handgelenk wenigstens noch weh?«, erwiderte ich kalt lächelnd. Damit wäre das Geheimnis um den Schützen gelöst. Sie bemerkte abfällig:

»Nicht der Rede wert - Berufsrisiko.«

Im nächsten Augenblick stieß Barbie mit einem langen Kampfmesser nach mir. So haben wir nicht gewettet! Reflexartig wich ich seitwärts aus. Ein Blitz raste von den Nervenenden meines verletzten Beins direkt ins Hirn. Ich war hellwach, packte mit der linken Hand einen ihrer Arme und zog ihren Oberkörper nach vorne. Mit der rechten ergriff ich ihren anderen Arm, den mit dem Messer, und rammte ihr die dreißig Zentimeter lange Klinge in den Bauch. Woher ich die Kraft dazu nahm, war mir ein Rätsel. Es fuhr ins Fleisch wie in Butter. Angeekelt ließ ich das Messer los, das noch in ihr steckte. Sie sackte am Fußende des Bettes zusammen, die Hände auf den Bauch gepresst. Der Blick aus ihren entsetzt dreinblickenden Augen wurde glasig. Es gab noch ein dumpfes Röcheln, dann herrschte Stille im Raum ...

Ich riss die Bettdecke zurück. Als hätte ich es geahnt! Das war nicht mein Jack. Wo die eine war, konnte der andere nicht weit sein. Schmidt grinste.

»Lassen Sie mich raten, Sie sind die Heldin, die gedroht hat, alles um sich herum zu töten, falls Jackyboy etwas zustoßen würde. Also hier bin ich«, sagte der Pseudopolizist, den ich vorhin noch sympathisch gefunden hatte, mit einer einladenden Geste. »Leider wird dir deine Tapferkeit rein gar nichts nützen, denn du wirst dir jetzt das Leben nehmen, springst einfach aus dem Fenster. Sowas passiert jeden Tag, überall auf der Welt.«

»So, tue ich das?« Ich war wild entschlossen, Jack und mich zu beschützen. »Ich wüsste nicht, wieso.«

»Los, rüber zum Fenster!« Er winkte mich mit seiner schalldämpferbestückten Pistole in der Hand nach rechts. »Mach es auf!« Unbeholfen machte ich mich am Fenster zu schaffen. So sehr ich mich auch bemühte, denn mit dem Kerl war nicht zu spaßen, aber der Griff rührte sich keinen Millimeter. Ich zerrte und riss an dem Hebel. Erfolglos.

»Mach schon!«

»Es geht nicht.« Ich gab es auf, hatte ja eh nicht vor ... Mein Trommelfell vibrierte, als sich ein Schuss löste. Ich sprang zur Seite und schrie vor Schmerzen auf. Die plötzliche Bewegung tat mir gar nicht gut. Er hatte den Griff abgeschossen, und das Fenster schwang nun von selbst auf.

»Zu blöd, ein Fenster aufzumachen. Los, spring jetzt, du dämliche Kuh!«

»Nein! Niemals.« Der Kerl packte hart in mein Genick und drückte mich über das Sims. Er war ziemlich sauer. Doch ich hatte nicht vor, jetzt zu sterben. Herr Schmidt war doch nicht so gut in Form, wie er selbst gern hätte, das spielte mir in die Hände. Ich drehte mich geschickt nach links, zurück in den Raum, damit hatte er nicht gerechnet. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte rücklings aus dem Fenster. Das Glück war heute eindeutig auf meiner Seite. Ich erhaschte noch einen Blick in seine kalten Augen. Ihm kam kein Laut über die Lippen, er feuerte aber unkontrolliert um sich. Die Kugeln schlugen zum Glück nur in der Fassade ein. Dann ein dumpfes Geräusch und dann – nichts mehr.

»Was ist hier los? Es klang wie Schüsse.« Dr. Brenner stürzte atemlos in den Raum, sah die Polizistin tot in einer Blutlache am Boden liegen, blickte auf das offene Fenster und begriff.

»Alles in Ordnung, Amily?« Ich nickte und deutete nach draußen. Der Doktor schaute erst auf die andere Leiche im Garten und dann auf mich.

»Sie kann man nicht eine Minute aus den Augen lassen.«

Welche Reaktion auch immer ich erwartet hatte, diese jedenfalls nicht.

»Wo ist denn Jack?«, wollte ich wissen.

»Ja, wo ist er?«, fragte Brenner erstaunt. Im gleichen Augenblick trommelte jemand von innen gegen den verschließbaren Wäscheschrank. »Aha!« Der Arzt befreite den Gefangenen umgehend.

»Oh, Jack!«, rief ich aus.

»Bist du okay, Amily?«, fragte er kurzatmig und ich nickte. »Ich habe Schüsse gehört.«

»Ja, das stimmt. Was ist mit dir? Geht es dir gut?«

»Entschuldigt die Unterbrechung, aber ihr müsst weg von hier. Kommt!« Wir begaben uns Richtung Lastenaufzug, der in unserer Etage gewartet hatte, und fuhren aufwärts.

»Was soll das alles?«, fragte ich.

»Ich will euch helfen.«

»Aber wieso?« Dr. Brenner überreichte uns eine Kreditkarte, Bargeld und etwas, das wir sicher nicht erwartet hatten: Eine Rolle für alte Dokumente oder Skizzen, die er unter seinem Kittel verborgen hatte. Jetzt wurde mir einiges klar. Die Männer in der Lagerhalle hatten auch von einer Rolle gesprochen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um zwei verschiedene handelte, war mehr als gering. Nur was bitte hatten Jack und ich damit zu tun? Ich wollte noch so viele Fragen loswerden. Der Aufzug stoppte und entließ uns ins Freie.

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