Kitabı oku: «Halbe-Halbe, einmal und immer», sayfa 4
Was für ein Tag!
Bevor sie sich auf den Weg machte, stieg Sophie noch einmal in ihren Wagen, um einen weiteren Startversuch zu unternehmen. Es konnte ja sein, dass … Aber der Golf hatte sich natürlich nicht von selbst erholt. Sie drehte ein paar Mal ergebnislos den Schlüssel, dann gab sie auf.
Auf der Straße näherte sich ein Fahrzeug.
Sophie achtete zunächst nicht auf das Geräusch, und als sie auf den Gedanken kam, dass da möglicherweise Hilfe an ihr vorüberfuhr, war es schon zu spät. Sie sprang aus ihrem Wagen, ohne auf das schlammige Wasser und ihre Schuhe zu achten, und stolperte zur Straße. Doch bis sie die Fahrbahn erreichte und die Arme in die Luft warf, war ein großer kantiger Geländewagen mit einem Anhänger schon an ihr vorbeigerumpelt und entfernte sich rasch.
Sophie ließ die Arme sinken.
Und dann, fünfzig Meter vor ihr, leuchteten im Schneegestöber erst Bremslichter auf, und dann Rückfahrscheinwerfer.
Der Wagen kam zurück!
9 – Wer immer da am Steuer saß,
konnte fahren. Er manövrierte die ganzen fünfzig Meter Strecke im Rückwärtsgang, ohne den Anhänger querzustellen. Das können nicht viele. Auf dem langen, flachen Anhänger mit Zwillingsachse transportierte der Geländewagen, ein dunkelgrüner, in die Jahre gekommener Landrover, eine schwere Ladung alter Holzbalken. Die Last wippte gefährlich, als der Rover neben Sophie bremste, und die Spanngurte, die die Balken hielten, ächzten.
Der Fahrer schob sein Seitenfenster auf, lehnte sich ein wenig nach draußen, und sagte: »Hallo. Ist das okay für Sie, wenn ich Ihnen Hilfe anbiete?«
Was? Die Frage überraschte Sophie. So hatte sie das noch nie gehört. »Äh … ja, doch, danke. Vielen Dank«, sagte sie. »Aber ich fürchte, Sie können hier nicht viel für mich tun.«
Der Fahrer schaltete den Motor ab, die Warnblinker ein und stieg aus. Er stellte eine Warnblinkleuchte auf das Dach seines Wagens und sagte dabei über die Schulter: »Haben Sie Angst vor Hunden?«
»Nein.«
»Gut. Cora …«
In der offenen Fahrertür des Landrovers erschien ein Hund, ein schwarz-weißer Bordercollie, sprang auf die Straße und kam auf Sophie zu. Sie hielt ihm den Handrücken hin, und er nahm ihre Witterung auf. Der Hund – die Hündin, Cora, hatte freundliche Augen, ein aufrechtes und ein Knickohr. Ihr Gerüchegedächtnis speicherte Sophie ab, dann verlor sie das Interesse und wechselte auf die verschneite Wiese neben der Straße, wo sie mit der Nase am Boden Figuren lief.
Der hilfsbereite Fahrer war ein Handwerker. Er trug graue Handwerkerhosen mit Cargotaschen und schwarzen Patches auf den Knien und über dem Gesäß, Sicherheitsschuhe und einen staubigen schwarzen Kapuzenpullover. Sophie sah zu, wie er einmal um ihren bis zu den Scheinwerfern eingebrochenen Wagen herumlief. Dem Mann schienen Schnee und Kälte nichts auszumachen. Er war schlank, dunkelhaarig und groß, aber nicht so groß, dass sie den Kopf in den Nacken legen musste, um ihm ins Gesicht zu sehen, stellte sie fest, als er zu ihr trat.
»Springt nicht mehr an, oder?«
Der Handwerker hatte irritierend blaue, fast violette Augen. »Ja«, sagte Sophie in die blauen Augen »Hab ich probiert.«
»Orgelt der Anlasser?«
»Nein.«
»Hat der Motor gestottert, bevor er ausging?«
»Nein. Er war einfach plötzlich aus.«
Der Handwerker schwieg und schien zu überlegen. Sophie betrachtete ihn von der Seite. Sie schätzte ihn auf höchstens Mitte dreißig. Auch wenn er mal wieder einen Haarschnitt und eine Rasur gebraucht hätte, war er trotzdem ein richtig gutaussehender Typ, fand sie.
»Ist das gut oder schlecht?«, sagte sie.
»Ich bin kein Automechaniker«, antwortete er. »Was ich weiß, weiß ich nur, weil mein Wagen auch gelegentlich liegen bleibt.«
»Könnten Sie mir einen Abschleppdienst rufen, wenn Sie in den nächsten Ort kommen? Wir stehen hier in einem Funkloch.«
Der Handwerker musterte den alten Golf und dann Sophie, die mit Schnee in den Haaren und in ihren unförmigen Mantel gewickelt von einem Fuß auf den anderen trat.
»Sie sehen nicht reich aus«, sagte er.
»Gut beobachtet«, antwortete sie.
Der Handwerker hatte ein Gehör für Sarkasmus. Auf einmal grinste er. Es war ein sympathisches Grinsen, und er hatte schöne Zähne. Sophie begann ihn zu mögen.
»Wenn ein Abschleppwagen erst hier rauskommen muss«, sagte er, »und Sie dann nach Küstrow bringt, sind Sie anschließend dreihundert Euro leichter. Und dann kostet es noch mal, Ihren Wagen wieder flottzumachen.«
Also? Sophie wartete.
»Wenn Sie wollen«, sagte der Handwerker, »ziehe ich Sie raus und schleppe Sie in eine Werkstatt.«
»Echt? Das würden Sie tun?«
»Klar. Kostet auch nichts. Nur die Werkstatt müssen Sie bezahlen.«
»Also … das ist wirklich sehr nett von Ihnen. Ich weiß gar nicht, wie ich …«
»Moment, warten Sie. Bevor Sie Ja sagen, müssen Sie noch etwas wissen. Sind Sie schon einmal abgeschleppt worden?«
»Nein.«
»Ich kann Sie nicht am Seil hinter mir herziehen, denn Sie werden weder Bremskraftverstärker noch Servolenkung haben. Ich würde Sie an eine Stange hängen. Dafür ist Ihr Wagen aber nicht gemacht. Wahrscheinlich wird seine Frontschürze verkratzt oder eingedrückt, vielleicht auch die Abschleppöse verbogen. Können Sie damit leben?«
»Habe ich eine Wahl?«
»Ein Bergungsdienst würde Ihren Wagen aufladen und ihm dabei kein Haar krümmen.«
»Für mich ist die Frage«, sagte Sophie, »ob der Schaden, den Sie anrichten, auch nur annähernd so kostspielig ist wie ein Bergungsdienst.«
»Ach was. Wenn Sie nicht zimperlich sind, fahren Sie nachher einfach ein paar Kratzer und Dellen spazieren, das kostet null. Nichts für ungut, aber Ihr Wagen ist ja eh nicht mehr der Neueste.«
»Na dann …«, sagte Sophie. »Schleppen Sie mich ab.«
»Gut.« Der Handwerker grinste wieder, aber nicht anzüglich, sondern eher belustigt. Und ansteckend. »Dann bringe ich jetzt den Hänger weg«, fuhr er fort, »und komme wieder. Fahren Sie mit, dann müssen Sie keine halbe Stunde im Schnee warten.«
»Ich will zu diesem Haus da oben«, sagte Sophie. »Deshalb bin ich doch von der Straße runtergefahren. Hupen Sie, wenn sie zurück sind.«
Der Handwerker blickte zu dem Haus auf der Anhöhe.
»Ich komme hoch«, sagte er. Dann spitzte er die Lippen und machte ein kleines Knutschgeräusch. Die Hündin hörte es in fünfzig Metern Entfernung und kam angetrabt. Der Handwerker nahm die Warnblinkleuchte vom Dach seines Wagens. Er öffnete die Fahrertür und sagte: »Cora. Aufsitzen.« Und zu Sophie: »Bis nachher.« Die Hündin sprang in den Wagen, der Handwerker stieg ein. Der Landrover erwachte ächzend zum Leben und rollte rumpelnd davon.
10 – Sophie schloss ihr Auto ab
und machte sich auf den Weg. Bis sie die Anhöhe erstiegen hatte, war ihr und besonders ihren Füßen wieder warm geworden. Das Haus, vor dem sie nun stand, war alt und offensichtlich unbewohnt. Es lag in Längsrichtung auf dem Ende eines bewaldeten Höhenrückens. An drei Seiten des Hauses fiel das Gelände zu den umliegenden Feldern oder Viehweiden und der Straße hin ab. Der Backsteinbau war deutlich größer als ein ausgewachsenes Einfamilienhaus, aber noch nicht groß genug, um als repräsentatives Gebäude gelten zu können. Die Fassade über dem Bruchsteinsockel war schön gegliedert durch ein Gesims zwischen den Geschossen und zwei Reihen hoher und breiter Fenster. Sechs von ihnen saßen im oberen Stockwerk, drei rechts und zwei links der zweiflügeligen Hauseingangstür im Erdgeschoss. Alle Fenster bis auf eines im Obergeschoss waren mit zweiteiligen Läden verschlossen. Die meisten hingen schief in ihren Angeln, ihr Holz wie das der Eingangstür schwarz vom Alter.
Das Dach des Hauses war an einer Ecke eingesackt, die Ziegel verrutscht. Das Fallrohr der Dachrinne war dort abgerissen, das Mauerwerk unter der lose hängenden Rinne veralgt und bemoost. Das nächstliegende Fenster hatte keine Läden mehr und keine Scheiben. Jemand hatte sie eingeworfen. Die Läden lagen abgerissen oder abgefault im toten Gestrüpp am Fuß des Hauses.
Sophie sah sich um. Dreißig Meter entfernt, unter den ersten Bäumen des lichten Waldes, stand noch ein Haus, ein kleines mit hoch liegenden Fenstern und einem großen Holztor, auch ein Backsteinbau mit einem Ziegeldach – ein Stall, eine Scheune oder ein Geräteschuppen.
Sophie stieg die vier Stufen hoch zur Eingangstür und probierte ihre Schlüssel. Gleich der Erste passte. Sie war also richtig. Dies war das Haus, das sie geerbt hatte. Um Licht zu haben, öffnete sie beide Türflügel. Sie ließen sich nur schwer bewegen, und ihre Scharniere knirschten. Dann stand sie in einem breiten Korridor, eher schon einer Eingangshalle, die durch die gesamte Tiefe des Hauses reichte. Der Fußboden war wie ein Schachbrett schwarz und weiß gefliest. In der Höhe reichte die Halle über beide Geschosse. Eine breite hölzerne Treppe führte an einer Seite in den ersten Stock und auf eine umlaufende Galerie, von der aus man die oberen Räume erreichen konnte.
Alles, was Sophie sah, war dick von grauem Staub bedeckt.
Sie wandte sich nach links und öffnete die Tür, die ihr am nächsten war. Dahinter lag die Küche des Hauses. Sophie betrat sie nicht, leuchtete nur mit ihrer Handylampe hinein. Sie sah die gleichen Bodenfliesen wie in der Halle und einen großen alten Küchenherd mit einer gusseisernen Platte, einer Reling und einem emaillierten Korpus. Ansonsten war die Einrichtung spärlich: ein kleiner, schmutzverkrusteter Gasherd, der mit Flaschengas betrieben wurde, ein großer Tisch und ein paar Stühle, ein Kühlschrank, ein Küchenschrank und an einer Wand eine vorsintflutliche Spüle aus braun glasiertem Steingut mit zwei Becken, groß wie Duschwannen. Es roch faulig und nach Kanalisation. Auf dem Boden verstreut lag undefinierbarer Unrat. Die Schachbrettfliesen waren unter einer alten Schmutzschicht in der Mitte der Küche, um den Gasherd herum und unter dem allgegenwärtigen Staub kaum noch zu erkennen. Sophie schloss die Küchentür.
Hinter der nächsten Tür in der Eingangshalle lag angrenzend an die Küche so etwas wie ein Esszimmer. Sophie leuchtete kurz hinein, sah wieder den Schachbrettboden, einen langen Tisch und viele Stühle, Schränke und Sideboards, alles klobig und aus dunklem Holz, alles verstaubt. Der Raum hatte zwei mit Läden verschlossene Fenster zur Rückseite des Hauses.
Sophie durchquerte die Halle und öffnete die erste Zimmertür rechts vom Eingang. Sie fand das ›Wohnzimmer‹ des Hauses. Mit seiner hohen Decke und dem Parkettboden war es schon fast ein Festsaal. In seiner Mitte standen wie verloren ein paar plumpe Polstermöbel und eine Stehlampe um einen niedrigen Tisch und einen alten Röhrenfernseher herum. Sonst war der große Raum leer. Er roch modrig. Im Licht ihres Handys entdeckte Sophie eine Wolljacke auf einem Sofa und Bücher auf dem niedrigen Tisch davor. Eines davon lag aufgeschlagen da. Es sah aus, als ob ihre Großtante direkt vom Sofa und von ihrem Buch weg in das Heim gebracht worden wäre. Sophie schauderte.
Das Zimmer hinter der vierten und letzten Tür in der Eingangshalle war eine große Rumpelkammer. Sophie erblickte Möbel, Kartons und Kisten übermannshoch aufgestapelt, einen Haufen prall gefüllter Müllsäcke und provisorische Regale, die sich unter der Last alter Bücher bogen oder schon zusammengebrochen waren. Der Parkettboden war übersät mit Zeitungs- und Packpapierfetzen. Es roch streng nach den Mäusen, die überall im Dunklen herumhuschten und mit ihren Knopfaugen gebannt und wie hypnotisiert ins Licht starrten, wenn sie der Strahl von Sophies Lampe traf.
In der Tiefe der Küche hatte Sophie Türen gesehen, hinter denen weitere Zimmer liegen mussten, Kammern oder begehbare Schränke. Aber sie verzichtete darauf, das Haus weiter zu erkunden, und stieg auch nicht hinauf in das obere Stockwerk. Sie erwartete nicht, dort etwas anderes zu finden als das, was sie schon kannte. Statt ihren Rundgang fortzusetzen, öffnete Sophie die zweiflügelige Haustür auf der dem Eingang gegenüberliegenden Seite der Halle und trat nach draußen. Sie fand sich auf einer überdachten breiten Veranda wieder, die über die gesamte Länge des Hauses reichte. An einem Ende, auf Höhe des Esszimmers, standen ein Bierzelttisch, zwei dazu gehörende Bänke, zusammengeklappt und an die Wand gelehnt, und ein paar rostige Klappstühle. Am anderen Ende war die Veranda zu einem Wintergarten mit deckenhohen Sprossenfenstern umgebaut worden. Alles Glas der Fenster war zerstört, der Boden mit Splittern übersät. Leere Flaschen, Getränkedosen und Zigarettenkippen lagen auf der Veranda herum. Laub, Kiefernnadeln und Schnee, vom Wind zusammengetragen, hatten sich in Ecken und Winkeln gesammelt.
Auf Höhe der Tür war die Balustrade der Veranda unterbrochen, und vier Stufen führten hinab zu dem, was ehemals ein Rasen gewesen sein musste. Im Sommer hatte man von hier sicher einen schönen Ausblick, fand Sophie. Jetzt war nicht viel zu erkennen. Der fein rieselnde Schnee schwebte wie Nebel über dem Land.
Sie holte sich einen der Klappstühle , setzte sich und wartete auf den Handwerker. Hoffentlich kam er, bevor ihr wieder kalt wurde. Sie zog ihren wattierten Mantel fester um sich. Ihre Gedanken wanderten, ziellos zuerst, dann nahm ihr Verstand ungerufen die Arbeit auf, und sie bilanzierte ihre Situation. Sie war fünfhundert Kilometer weit gefahren, hatte 20.000 Euro Schulden geerbt, einen alten Koffer, einen Umzugskarton und ein altes, kaputtes, stinkendes, vermülltes Haus am Ende der Welt. Und sie hatte ihren Wagen in einem Schlammloch versenkt.
Was für ein Tag.
Und alles nur, weil ein unsympathischer und wahrscheinlich übereifriger Nachlasspfleger sie Monate nach dem Tod ihrer Großtante als Erbin ermittelt hatte. Hätte er sie nicht einfach übersehen können?
Und nun? Sophie hielt sich für eine praktische Frau und bildete sich auch etwas darauf ein. Das Schicksal zu beklagen, glaubte sie, brachte nichts. Stattdessen musste man Probleme angehen. Was sonst? Eines nach dem anderen, sagte sie sich, das Wichtigste zuerst. Zuerst musste sie ihren Wagen wieder flottbekommen. Immerhin hatte sie dabei Aussicht auf Erfolg und Hilfe von einem netten Handwerker mit schönen Augen und einem schönen Hund.
Irgendwann hörte Sophie den Landrover. Eine Autotür klappte, Krallen wetzten auf den Fliesen der Eingangshalle, und eine Sekunde später stand Cora neben ihr und wedelte mit dem Schwanz. Sophie strich ihr über den Kopf und knetete sacht das Knickohr. Es war warm und unwahrscheinlich zart. Die Hündin legte ihr Kinn auf Sophies Schoß und stand still.
Schritte in der Eingangshalle.
»Halloo?«
»Ich bin hier draußen«, sagte Sophie mit erhobener Stimme. Der Handwerker erschien auf der Veranda. Er sah sie und sagte: »Verwöhnen Sie das Tier nicht, sonst werden Sie es nicht mehr los.«
Sophie beugte sich zu der Hündin und sagte: »Hast du das gehört, Cora? Der denkt, du wärst ein Tier.«
»Was ist das für ein Haus?«, sagte der Handwerker.
»Ich habe es geerbt.«
»Darf ich mich mal umsehen? Haben wir Zeit dafür?«
»Klar. Sie brauchen aber eine Taschenlampe.«
Der Handwerker verschwand. Cora hatte nach ein paar Minuten genug und verschwand auch. Sophie wartete ohne Ungeduld, obwohl ihr mittlerweile wieder kalt geworden war, besonders an den Füßen. Hin und wieder hörte sie Geräusche im Haus, Schritte, Türen, die geöffnet und geschlossen wurden. Der Handwerker ließ sich Zeit. Erst nach zehn Minuten tauchte er wieder auf. Er holte sich einen der Klappstühle und setzte sich in Sophies Nähe.
»Ein schönes Haus«, sagte er. »Glückwunsch.«
Was? Wozu? Sophie sagte: »Meinen Sie das ernst? Für mich ist es eine Ruine.«
»Nun ja …«, sagte der Handwerker. »Man könnte was draus machen. Die Bausubstanz ist gut, der Keller ist trocken …«
»Das Dach ist eingestürzt.«
»Das lässt sich reparieren.«
»Ist das Ihr Beruf? Alte Häuser reparieren?«
»Ich bin Zimmermann«, sagte der Handwerker. »Ich tischlere auch, aber nur so nebenher. Manchmal helfe ich als Dachdecker oder Gerüstbauer aus.«
»Wollen Sie das Haus haben?«, sagte Sophie. »Ich verkaufe es Ihnen. Für 21.406 Euro. Und 52 Cent.«
»Ich habe kein Geld.«
»Nehmen Sie einen Kredit auf.«
Der Handwerker, der Zimmermann war, lachte und sagte: »Oh je. Ich habe schon mehr Schulden, als es gesund ist.«
Damit sind wir jetzt zu zweit, dachte Sophie. Dann saßen sie schweigend nebeneinander. Es war kein unbehagliches oder verlegenes Schweigen. Es gab nur einfach nichts zu sagen. Es gab auch nichts zu sehen, von dort, wo sie saßen, nur rieselnden Schnee im winterlichen Zwielicht.
Nach einer Weile meinte der Zimmermann: »Okay. Fahren wir?« Sie erhoben sich gleichzeitig, wie verabredet. Ihre Blicke trafen sich.
»Ich bin Sophie, Sophie Schatz«, sagte Sophie in die blauen Augen. »Schatz ist mein Nachname.« Das sagte sie manchmal, wenn sie sich jemandem vorstellte. Dieses Mal bereute sie es, kaum dass sie es ausgesprochen hatte. Es war unnötig. Es war albern. Der Zimmermann war keiner von denen, die ihren Nachnamen für Anzüglichkeiten oder Scherze missbrauchten.
»Will Trenck«, sagte er mit einem Lächeln. »Will kommt von Wilhelm, Trenck mit ck am Ende.« Er reichte Sophie die Hand. »Sehr erfreut, Frau Schatz.«
»Sophie«, sagte sie. »Freut mich auch, Will Trenck.« Er hatte eine warme, trockene, feste Hand und einen guten Händedruck. Er fühlte sich an, wie jemand, dem man vertrauen konnte. Er lächelte auch vertrauenswürdig, doch Lächeln konnte täuschen, ein Händedruck nicht. Als Trenck ihre Hand losließ, fand Sophie es fast schade, und das wiederum brachte sie auf abwegige Gedanken. Wenn einer so einen Händedruck hat, dachte sie, wie muss sich erst eine Umarmung von ihm anfühlen? Sie schob den Gedanken von sich, verschloss die Türen des Hauses und folgte Trenck zu dessen Auto. Er hupte, als sie losfuhren. Für ein so großes Auto war die Hupe erstaunlich asthmatisch. Der Ton rief Cora, die wie aus dem Nichts erschien und neben ihnen herlief, während sie langsam die Anhöhe hinab zur Straße rollten. Das Innere des Landrovers war überraschend warm. Er hatte eine Standheizung. Die blies mit voller Kraft heiße Luft an Sophies eiskalte Füße und verschaffte ihr urplötzlich ein geradezu sensationelles Wohlgefühl. Sie schauderte vor Behagen, bewegte die Zehen in den Schuhen und fühlte sich gut. Am liebsten wäre sie gar nicht mehr aus dem Wagen gestiegen.
Eis krachte, als der Golf aus dem Schlammloch befreit wurde, und schwarzes Wasser floss aus dem Motorraum, als er auf der Straße stand. Trenck hatte ein zwei Meter langes, zehn Zentimeter dickes Eisenrohr auf seinem Dachgepäckträger mitgebracht, an dessen einem Ende der Anschluss für eine Anhängerkupplung und am anderem eine stählerne Schlaufe geschweißt war. Ein Schäkel half, den Golf mit der Stange zu verbinden. Trenck stellte die Warnblinklampe in das Rückfenster von Sophies Auto und sagte: »Die Werkstatt, in die ich normalerweise gehe, liegt auf der anderen Seite des Flusses. Ist das okay, wenn wir da hinfahren?«
»Nach Polen?«
»Nicht?«
»Geht das so einfach?«
»Kein Problem. Polen ist EU. Gleich hinter der Grenze liegt Kystrowcze, das war mal ein Dorf und ist jetzt so eine Art Gewerbegebiet, mit Tankstellen, Discountern, Werkstätten und dem sogenannten Polenmarkt. Wir fahren dauernd da hin. Tanken, einkaufen. Samstags ist halb Küstrow auf der anderen Seite der Oder.«
»Kennen Sie die Werkstatt gut?«
»Sie gehört einem Freund von mir. Er hält mein Auto am Laufen. Mit deutschen Werkstattpreisen könnte ich mir keinen Landrover leisten.«
Sophie dachte, im Guten wie im Schlechten ist dieser ganze Tag ein einziges Abenteuer. Und nun der Höhepunkt: einem gutaussehenden fremden Mann ins Ausland folgen.
»Dann los«, sagte sie. »Auf nach Polen.«
Die Fahrt dauerte fast eine Dreiviertelstunde, denn Trenck fuhr nicht schnell. Sophie nahm wenig von ihrer Route wahr. Meist hatte sie nur das kantige Heck des Landrovers im Blick, wartete darauf, dass er blinkte, um mitzulenken, und hörte an ihrem Auto Blech knirschen, wenn er bremste oder enge Kurven nahm. Als die Straßen sich verbreiterten, waren sie in den Außenbezirken Küstrows angelangt. Auf einer langen, ebenen Geraden durchquerten sie die Oderniederung, auf einer stählernen Brücke rollten sie über den Fluss, und die hell erleuchteten Grenzposten passierten sie in einer Kolonne anderer Fahrzeuge und im Schritttempo. Angehalten wurden sie nicht. Die Fahrt endete kurz hinter der Grenze in einem Gewerbegebiet ähnlich dem, in dem Sophie jahrelang gearbeitet hatte, auf dem Hof einer Autowerkstatt. Ihre Arme und Schultern schmerzten von der Anstrengung des Lenkens ohne Lenkhydraulik. Ihre obere Körperhälfte schwitzte in dem dicken Mantel, aber ihre Beine und Füße waren taub vor Kälte. Sie schälte sich mühsam aus ihrem Wagen.
Trenck wartete neben dem Landrover auf sie. Er sagte: »Alles gut gegangen?«
»Alles gut«, antwortete sie, schüttelte ihre Arme und stampfte mit den Füßen.
Die Werkstatthalle war gleißend hell erleuchtet und blitzsauber. Ein Gebläse rauschte unter der hohen Decke und verteilte warme Luft. Auf sechs Hebebühnen waren ebenso viele Autos hochgefahren, und an jedem arbeitete ein Mechaniker. Kaum, dass sie die Halle betreten hatten, kam ihnen ein Mann entgegen.
»Will Trenck! Mein Freund, was geht?«
»Marek. Wie laufen die Geschäfte?«
Sie begrüßten sich mit einer kurzen Männerumarmung und klopften dabei einander auf den Rücken.
»Solange du alte englische Auto fährst, Will, wird mir Arbeit nicht ausgehen«, sagte Marek. Er war ebenso groß wie Trenck, aber älter, breiter und schwerer. Sein Overall spannte über einem komfortablen Bierbauch. An den Seiten seines Kopfes war sein blondes Haar kurz geschoren, und er trug einen prächtigen Vollbart. Ein Hörnerhelm hätte ihn zu einem veritablen Wikinger gemacht. »Was bringst du mir heute, Will?«
»Die junge Frau hier ist mit ihrem Wagen in ein Wasserloch geraten. Sophie – Marek, Marek – Sophie.«
Marek stellte die gleichen Fragen wie zuvor Will und versprach, den Golf gleich am nächsten Morgen zu untersuchen. Dann schickte er Sophie und Trenck ins Büro des Betriebs, um Fahrzeugschein und Telefonnummern zu hinterlassen und einen Auftrag zu unterschreiben. Auf dem Weg dorthin sagte Sophie: »Sollte ich den Wagen ausräumen?«
»Nicht nötig. Hier kommt nichts weg. Nehmen Sie nur mit, was Sie heute Abend und morgen brauchen.«
Der Innenraum des Landrovers war so warm, dass Cora hechelte. Sophie beeilte sich beim Einsteigen und streckte sofort die Füße in die Ecke des Fußraums, aus der die heiße Luft der Standheizung blies. Draußen war der Tag fast vorüber, im Inneren des Wagens war es Nacht. Trenck startete nicht sofort. Sie saßen schweigend nebeneinander und Sophie fühlte sich gut. Nähe, Stille, Wärme und Dunkelheit vereinten sich für einen kostbaren Moment zu einer Geborgenheit, wie sie sie seit ihrer Kindheit nicht mehr erlebt hatte. Ehe sie dem Gefühl nachspüren konnte, brach Trenck die Stille, indem er sich bewegte, um den Wagen zu starten.
Sophie räusperte sich und sagte: »Will …«
»Ja?«
»Danke.«
»Schon gut. Ich helfe gern.«
»Ich habe Sie einen halben Tag gekostet …«
»Ach was. Alle meine Baustellen sind eingeschneit. Bis zum Frühjahr habe ich viel Zeit.«
»Nein, was ich meine ist … ich will mich bei Ihnen revanchieren dürfen. Ich lade Sie zum Essen ein.«
»Wie, jetzt gleich?«
»Wann sonst? Es sei denn, jemand wartet mit dem Abendessen auf Sie.«
»Nein, das nicht«, antwortete er. »Aber ich kann mich so, wie ich aussehe, in keinem Restaurant blicken lassen.«
»Ach, kommen Sie, ich will doch nicht in einen Laden mit weißen Tischdecken, Kristall und Kerzen. Ich möchte nicht dinieren, ich will essen. Sie kennen sich doch hier aus – wo gehen Sie denn mit Kumpels oder Kollegen hin für eine ehrliche Portion Schniposa und ein Bier?«
Er überlegte einen Moment und sagte dann: »Wie wäre es mit Pizza und Wein?«
»Pizza und Wein sind perfekt.«
Trenck startete den Wagen. »Gut. Da haben wir es nicht weit«, sagte er. »Ein paar Ecken weiter gibt es hier eine Pizzeria.«
»Dann los«, sagte Sophie. »Ich habe einen Mörderhunger.«
»Ich auch«, antwortete er.