Kitabı oku: «Bürger und Irre», sayfa 3

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3. Methoden der Untersuchung

Nachdem der Gegenstand der Untersuchung bestimmt ist, der Rahmen, in dem er gesehen, und der kritische Anspruch, an dem er durch die Geschichte verfolgt werden soll, bleibt zu klären, woher und wie Material für die Analyse gewonnen werden kann. Gerade weil wir uns mit der Entstehung der Psychiatrie beschäftigen, folgen wir – soweit möglich – Thomas S. Kuhns The Structure of Scientific Revolutions (1965), worin der Glaube an eine einlinige, kumulative Entwicklung der Wissenschaften einer Kritik unterzogen wird. Für Kuhn entsteht eine Wissenschaft, wenn in der (philosophischen) Diskussion eines Gegenstandsbereichs, verbunden mit einer exemplarischen konkreten Leistung, ein Modell, ein »paradigm«, zur Herrschaft kommt, das 1. für die meisten akuten Probleme offen ist, 2. für eine größere Gruppe (»community«) den weiteren Streit über Fundamentalfragen beendet, aus dem 3. einzelne Theorien, Methoden, Aspekte und Gesetze erst abgeleitet werden, und das 4. wissenschaftliche Institutionen (Berufsstand, Arbeitsort, Zeitschrift, Verein, Lehrbuch, Lehrmöglichkeiten) erst etabliert. Wissenschaftliche Entwicklung vollzieht sich durch Revolutionen, die den politischen durchaus vergleichbar sind, d. h. durch Austausch der Anschauungen (»view of the world«), so daß nicht nur die Theorien, sondern auch die Tatsachen neu betrachtet und konzipiert werden. Die Voraussetzung dafür ist eine Krise, die das alte Paradigma destruierende Einsicht, daß es wesentlichen neuen Problemen und Bedürfnissen gegenüber versagt. Die Folge davon ist eine Diskussion in der Öffentlichkeit zwischen dem alten und dem neuen, alternativen Paradigma-Kandidaten. Das siegreiche Paradigma verspricht, den neuen Bedürfnissen »adäquater« zu sein, wobei politische Autoritäten, individuelle Überzeugungskraft, philosophische Überlegungen, ja ästhetische Adäquanzgefühle durchaus mit eine Rolle spielen können.31

Dieser Deutungsansatz ist allerdings auf die Psychiatrie nur partiell anwendbar, da er an den reinen Naturwissenschaften entwickelt wurde. Kuhn weiß selbst, daß die Situation etwa der Medizin, der Technik, des Rechts komplizierter ist, da diese Wissenschaften ihre Forschungsprobleme nicht nach eigenem Belieben wählen, sondern sie nach ihnen äußerlichen, gesellschaftlich dringlichen Bedürfnissen zudiktiert bekommen.32 Wir benutzen deshalb sein formalistisches Schema lediglich als technisches Hilfsmittel des zwischengesellschaftlichen Vergleichs von Entwicklungsstufen. Gerade die Psychiatrie ist mit zahlreichen unterschiedlichen gesellschaftlichen Bedürfnissen verflochten, von deren Druck sie von Beginn an abhängig war33; und der Grad dieser Verflochtenheit ist eher gestiegen, so daß ihr heute allgemein die Aufgabe zugewiesen wird, als »human engineering« soziale Angst verschwinden zu machen.34 Kritisch gilt jedenfalls auch für die Psychiatrie, »daß der vom Subjekt veranstaltete Forschungsprozeß dem objektiven Zusammenhang, der erkannt werden soll, durch die Akte des Erkennens hindurch selber angehört«35, daß »das erkennende Subjekt aus den Zusammenhängen gesellschaftlicher Praxis« zu begreifen ist.36

Angesichts solcher Komplexität ist es ausgeschlossen, sich einem ressortspezifischen Methodenkanon anzuvertrauen. Vielmehr ist einem Verfahren zu folgen, das Habermas anläßlich der Analyse eines ähnlich komplexen Gegenstandes, der bürgerlichen Öffentlichkeit, beschrieben hat: Die Methode der Analyse des »epochaltypisch« gefaßten Gegenstandes ist, gegenüber der formalen Soziologie, historisch, d. h. nicht idealtypisch verallgemeinernd und nicht auf formal gleiche Konstellationen beliebiger historischer Lagen übertragbar; zugleich ist sie, gegenüber der Historie, soziologisch, da Einzelnes nur exemplarisch, als Fall einer gesellschaftlichen Entwicklung interpretiert werden kann. »Von der Übung strenger Historie unterscheidet sich dieses soziologische Vorgehen durch eine, wie es scheint, größere Ermessensfreiheit gegenüber dem historischen Material; es gehorcht indessen seinerseits den ebenso strengen Kriterien einer Strukturanalyse gesamtgesellschaftlicher Zusammenhänge.«37 Diesem soziologischen Verfahren kommt die heutige Sozialgeschichte entgegen, wie sie von Conze und H. Mommsen38 betrieben wird und die als ihre Methoden die der Begriffsgeschichte, Biographie und Statistik angibt.

Es kam für uns nun darauf an, dem historischen Verstehen eine tragfähige Unterlage zu geben, d. h. möglichst viele Details des verfügbaren Materials in eine kausale oder vergleichende Erklärung einzubeziehen bzw. wenigstens ansatzweise zu quantifizieren. Prioritäten wissenschaftlicher Leistungen etwa, einst Streitpunkte bürgerlichen Nationalstolzes, erhalten hier wieder eine relative Bedeutung im Zusammenhang des Vergleichs des Entwicklungsstandes einer Gesellschaft und ihrer Psychiatrie. Es war der Entwicklung der psychiatrischen Institutionen nachzugehen : der Anstalten, der Lehrbücher, Vereine, Zeitschriften, der Kommunikation der Wissenschaftler untereinander und der Etablierung der Psychiatrie in den Fakultäten und Universitäten, sowie der Expansion der Zuständigkeit der Psychiatrie, d. h. der Erweiterung ihres Patientenkreises und ihrer Kompetenzen, damit ihrer sozialen Funktion und Verflechtung. Zu berücksichtigen waren die Fortschritte der allgemeinen Medizin und die Reduktion ihres Interesses auf den »organischen Aspekt« (was technische und theoretische Konsequenzen für die Psychiatrie hatte), sowie die Etablierung der bürgerlichen literarischen und politischen Öffentlichkeit, die Entwicklung der ökonomischen Produktivkräfte und Bedürfnisse in der jeweiligen Gesellschaft. Benachbarte Wissenschaften – wie die Psychologie und die Pädagogik – mußten verglichen werden. Die Beziehungen der Psychiatrie zur Philosophie und der Prozeß der Ablösung von ihr waren nachzuzeichnen. Von Bedeutung war auch die National- und Sozialpolitik der Regierungen und Bürokratien, aber auch das Aufkommen sozialer Bewegungen, also die Dialektik von Emanzipation und Integration in der Zeit der entstehenden und sich entfaltenden bürgerlichen Gesellschaft (z. B. der Arbeiter, der Juden). Großes Gewicht wurde auf Sammlung, Analyse und – wo möglich – quantifizierende Auswertung von Psychiater-Biographien gelegt, wobei nicht nur »die großen Männer« erfaßt werden sollten; aus Gründen der Quellen-Zugänglichkeit ist das nur für Deutschland gelungen. All dies ist eingebettet in einen internationalen Vergleich, der sich freilich auf die drei für unseren Gegenstand entscheidenden Länder – Großbritannien, Frankreich und Deutschland – beschränken mußte. Dementsprechend ist unsere Darstellung gegliedert. Sie berichtet chronologisch über die Entstehung der Psychiatrie in den drei Gesellschaften in der genannten Reihenfolge. Daß die deutsche Psychiatrie zuletzt entstand, legt es nahe, sie auch unter dem Aspekt der »verspäteten Nation«39 zu bedenken.

Die mehrfach einschränkenden Bemerkungen sollen davor bewahren, unsere Studie mit einer Psychiatriegeschichte schlechthin zu verwechseln. Doch dürfte es von einem über die Psychiatrie hinausweisenden allgemeinen Interesse sein, daß hier zum Zeitpunkt der Entfaltung der bürgerlichen Gesellschaft über das Verhältnis der Bürger zur sowohl individuellen als auch gesellschaftlich inneren und äußeren Unvernunft berichtet wird, dargestellt am Verhältnis der bürgerlichen Psychiater zu den armen Irren und unter Berücksichtigung der vielfältigen Ambivalenzen zwischen Identifizierung und Distanzierung, zwischen Emanzipation und Integration. Der Wandel der Formen und Methoden der sozialen Kontrolle ist dabei ebenso zu prüfen wie der Anspruch der Aufklärung, ohne den bis heute keine Institution, kein Gesetz, keine Theorie und keine verändernde Praxis zustande kommen. Wer sie allesamt als ideologisch entlarvt und verwirft – so Foucault40 –, propagiert ein Zeitalter der Nach-Aufklärung, bleibt jedoch gerade durch diese abstrakte Negation auf die Aufklärung bezogen und auf eine bloß reaktive Position der Gegenaufklärung beschränkt.

4. Historisches Vorfeld: die Ausgrenzung der Unvernunft

Die Entstehung der Psychiatrie als moderner Wissenschaft ist auf dem Hintergrund einer Bewegung zu sehen, die im Laufe des 17. Jahrhunderts die soziale Landschaft Europas grundlegend veränderte. Der Aufstieg des Zeitalters der Vernunft, des Merkantilismus und des aufgeklärten Absolutismus vollzog sich in eins mit einer neuen rigorosen Raumordnung, die alle Formen der Unvernunft, die im Mittelalter zu der einen, göttlichen, in der Renaissance zur sich säkularisierenden Welt gehört hatten, demarkierte und jenseits der zivilen Verkehrs-, Sitten- und Arbeitswelt, kurz: der Vernunftwelt, hinter Schloß und Riegel verschwinden ließ. Bettler und Vagabunden, Besitz-, Arbeits- und Berufslose, Verbrecher, politisch Auffällige und Häretiker, Dirnen, Wüstlinge, mit Lustseuchen Behaftete und Alkoholiker, Verrückte, Idioten und Sonderlinge, aber auch mißliebige Ehefrauen, entjungferte Töchter und ihr Vermögen verschwendende Söhne wurden auf diese Weise »unschädlich« und gleichsam unsichtbar gemacht. Europa überzog sich erstmals mit einem System von so etwas wie Konzentrationslagern für Menschen, die als unvernünftig galten.

1657 begann das riesige, aus mehreren älteren Institutionen zu diesem Zweck zusammengesetzte Hôpital général in Paris mit dieser Konzentrationstätigkeit. Als erste französische Stadt errichtete Lyon 1612 ein solches Haus. Ein Edikt von 1676 schrieb für jede Stadt die Errichtung eines Hôpital général vor; bis zur Revolution hatten 32 Provinzstädte dem entsprochen. In Deutschland begann die Errichtung von Zucht-, Korrektions- oder Arbeitshäusern 1620 in Hamburg. Allgemein wurde diese Bewegung aber erst nach dem Dreißigjährigen Krieg: 1656 (Brieg und Osnabrück), 1667 (Basel) und 1668 (Breslau); auch hier setzte sie sich bis zum Ende des 18. Jahrhunderts kontinuierlich fort.

Dieselbe Entwicklung setzt in England früher ein und zeigt schon hier auch abweichende Züge. Vorschriften zur Errichtung von »houses of correction« werden schon 1575 erlassen. Aber trotz Strafandrohung, Ermunterung von Privatunternehmern und obwohl schon damals die Politik der »enclosures« bestand, wodurch die Großgrundbesitzer den Ackerbau rationalisierten und der Strom der »befreiten« und besitzlosen Kleinbauern in die Städte einsetzte41, kam dieses Modell nie zu allgemeiner Verbreitung. Schottland widersetzte sich fast ganz; im übrigen erfolgte eher eine Verschmelzung mit den bestehenden Gefängnissen. Größeren Erfolg hatte die Etablierung von »workhouses«, wovon zwischen 1697 (Bristol) und dem Ende des 18. Jahrhunderts 126 entstanden, vornehmlich in Regionen der beginnenden Industrialisierung.

Fragt man nach den Motiven dieser gesamteuropäischen Bewegung, muß man sich zunächst vergegenwärtigen, daß das Heer der arbeitsfähigen Nicht-Arbeitenden und Armen in den Städten 10–20 Prozent, in geistlichen Residenzen und zur Zeit von Wirtschaftskrisen 30 Prozent und mehr der Bevölkerung betrug. Dieser zuvor »normale« Umstand mußte allen Autoritäten als Provokation und Gefahr gerade in dem Maße erscheinen, in dem sie Vernunft zur Herrschaft über Natur und Unvernunft zu bringen suchten: dem Absolutismus im Verlangen nach bürgerlicher Ordnung; dem Kapitalismus im Prinzip regelmäßiger, kalkulierbarer Arbeit; den Wissenschaften im Streben nach systematischer Naturbeherrschung; den Kirchen namentlich im Puritanismus; endlich den Familienvätern, indem sie Vernunftherrschaft als Sensibilität für honnêteté und gegen Familienschande zu übersetzen lernten. Man kann diese Epoche der administrativen Ausgrenzung der Unvernunft (1650–1800) umschreiben als diejenige, in der die Kirche die Formen der Unvernunft, namentlich Arme und Irre, nicht mehr, die bürgerlich-kapitalistische Wirtschaftsgesellschaft sie noch nicht umgreifen konnte. Zugleich schuf diese Epoche die Voraussetzung für die spätere sozio-ökonomische Ordnung: sie stand im Dienst der Erziehung zu einer Haltung, für die Arbeit zur moralischen Pflicht, später zur gesellschaftlichen Selbstverständlichkeit wird. Die Korrektions-, Zucht- und Arbeitshäuser waren als elastisches Instrument konzipiert: »cheap manpower in the periods of full employment and high salaries; and in periods of unemployment, reabsorption of the idle and social protection against agitation and uprisings.«42 Wichtiger als die im 18. Jahrhundert ohnehin fraglich werdende Produktionsleistung dieser Einrichtungen ist ihre sozialpädagogische Funktion für die bürgerliche Gesellschaft: sie machen dem Bürger negativ den Raum sinnfällig, in dem er sich ohne Skandal und damit »frei« bewegen kann, sie weisen ihm den Weg der Verinnerlichung einer Haltung, die ihn zum selbsttätig moralischen und arbeitenden Bürger macht. In dem Maße, wie er sich diese zu eigen macht, verlieren jene Einrichtungen ihre Funktion und werden in der Tat ab- bzw. umgebaut werden.

Zu den Ausgeschlossenen gehören die Irren.43 Im Durchschnitt dürften sie 10 Prozent der Belegschaft der Anstalten ausgemacht haben, bei großen lokalen Differenzen, zumal es weitgehend der Willkür überlassen blieb, ob ein Müßiggänger und Auffälliger als Irrer und Narr oder mit einem anderen Etikett klassifiziert wurde. Zugleich bildeten sich besondere Formen heraus, unter denen die Unvernunft der Irren auf die gesellschaftliche Vernunft bezogen blieb. Im Gegensatz zur Masse der Ausgeschlossenen, die nicht selbst, sondern nur im Medium der imponierenden Anstaltsmauern den Bürgern sichtbar waren, erhielten die Irren eine Sonderstellung – und zwar gerade ihre gemeingefährlichste Spezies, nämlich die Tobenden, Rasenden und Bedrohlichen (d. h. die Manien). Diese wurden im buchstäblichen Sinne als »Monstren« in Käfigen gegen Entgelt dem bürgerlichen Publikum vorgeführt, das nirgends konkreter als hier Objekt der administrierenden Vernunft ist, Objekt ihrer erziehenden und ordnenden Absicht – den Zwang im Hintergrund. Eine Fülle zeitgenössischer Berichte und Reiseführer zeigt, wie die Irrendemonstrationen in Paris und London ebenso wie in verschiedenen deutschen Städten mit den Vorführungen wilder Tiere um die Gunst dieses Publikums konkurrierten. Diese Spektakel hatten mehr gemeinsam als die Gitterstäbe der Menagerien und die Geschicklichkeit der ihre Opfer reizenden Wärter. Was hier veranstaltet wurde, war die wilde und unbezähmbare Natur, das »Tierische«, die absolute und zerstörende Freiheit, die soziale Gefahr, die hinter den von der Vernunft gesetzten Gittern um so dramatischer in Szene gesetzt werden konnte, als durch eben denselben Akt dem Publikum die Vernunft als Notwendigkeit der Herrschaft über die Natur, als Beschränkung der Freiheit und als Sicherung der staatlichen Ordnung vor Augen geführt wurde. War der Wahnsinn in früheren Zeiten ein Zeichen des Sündenfalls, verwies er – in der Beziehung auf Heilige und Dämonen – auf ein christliches Jenseits, so zeugte er jetzt von einem politischen Jenseits, vom chaotischen Naturzustand der Welt und des Menschen, von der brüchigen Basis seiner Leidenschaften, d. h. von dem Zustand, den Hobbes (1642) wahrnahm und aus dem er keinen Ausweg sah als die Unterwerfung der Menschen unter ein Staatswesen, unter ihre zweite, die soziale Natur: »Nur im staatlichen Leben gibt es einen allgemeinen Maßstab für Tugenden und Laster; und eben darum kann dieser nicht anders sein als die Gesetze eines jeden Staates; selbst die natürlichen Gesetze werden, wenn die Verfassung festgesetzt ist, ein Teil der Staatsgesetze.«44

Das Arrangement, das die Irren als wilde und gefährliche Tiere präsentierte45, war ein Appell an das Publikum, den moralischen Maßstab des absoluten Staates sich als eigene Vernunft zu eigen zu machen. Daß der absoluten tierischen Freiheit der Irren nur mit absolutem Zwang zu begegnen war, daß sie als Objekte eines erziehend-dressierenden Vorgehens galten, das ihr Irren mit vernünftiger Wahrheit, ihre Gewaltsamkeit mit physischer Strafe zu brechen hatte, und daß ihre soziale Gefährlichkeit in realer Ohnmacht vorgeführt wurde, gab den Zielen und den Sanktionen dieses moralisch-politischen Aufrufs exemplarischen und anschaulichen Nachdruck. Die Entstehung der Psychiatrie als Institution und Wissenschaft hängt ab von der spezifischen Umwandlung der die Unvernunft lediglich ausgrenzenden Institutionen des aufgeklärten Absolutismus. Um die gesellschaftlichen Bedingungen, die Richtung und die Auswirkungen dieser Umwandlung geht es im folgenden.

Anmerkungen

1 Spehlmann, Freuds neurologische Schriften.

2 Habermas, Logik der Sozialwissenschaften, bes. S. 185 ff.

3 Dörner, »Nationalsozialismus und Lebensvernichtung« sowie Der Krieg gegen die psychisch Kranken.

4 Dörner, Hochschulpsychiatrie.

5 Hollingshead and Redlich, Social Class and Mental Illness.

6 Reimann, Die Mental Health Bewegung, bes. S. 93–99.

7 Horkheimer und Adorno, Dialektik der Aufklärung, S. 10.

8 A. a. O., S. 15 f.

9 A. a. O., S. 44 f.

10 A. a. O., Zitat-Zusammenstellung aus den Seiten 17–49.

11 A. a. O., S. 9.

12 A. a. O., S. 55.

13 Habermas, Theorie und Praxis, S. 229.

14 Lieber, Philosophie, Soziologie und Gesellschaft, S. 3 f.

15 G. Zeller, »Von der Heilanstalt...«

16 »Ich halte es für eine ungeheuere Gefahr im deutschen Denken, und diese Gefahr ist nur die Kehrseite einer der größten Tugenden dieses Denkens, daß es aus einer interpretativen Neigung heraus das allein Erklärbare auch interpretieren möchte, [...] es möchte [...] auch all das, was mit dem Schema des ›Machens‹, des ›Mechanismus‹ allein angemessen erfaßt werden kann, ›vertiefen‹ und zu einem Problem der Interpretation machen. [...] Diese methodologische Unstimmigkeit, daß man deutet, wo man erklären müßte, ist ja nur ein auf der methodologischen Ebene sich wiederholender Ausdruck einer unpolitischen Seelenhaltung, die als solche im Leben selbst schon oft beobachtet wurde.« (Mannheim, Wissenssoziologie, S. 61).

17 Leibbrand/Wettley, Der Wahnsinn, S. 4.

18 Vgl. hierzu fast alle Beiträge in: Wehler (Hrsg.), Moderne deutsche Sozialgeschichte.

19 »Offenbar ist es der Sinn der von mir gegebenen Nachweise, daß die wirkungsgeschichtliche Bestimmtheit auch noch das moderne, historische und wissenschaftliche Bewußtsein beherrscht, [...] daß unser im Ganzen unsrer Geschicke gewirktes Sein sein Wissen von sich wesensmäßig überragt.« (Gadamer, Wahrheit und Methode, S. XX). Dagegen Habermas (Logik der Sozialwissenschaften, S. 175): »Jedoch bleibt das Substantielle des geschichtlich Vorgegebenen davon, daß es in die Reflexion aufgenommen wird, nicht unberührt. [...] Autorität und Erkenntnis konvergieren nicht, [...] Reflexion arbeitet sich an der Faktizität der überlieferten Normen nicht spurlos ab.«

20 Lenk, Ideologie, »Problemgeschichtliche Einleitung«, S. 13–57.

21 Plessner, »Abwandlungen des Ideologiegedankens«, in: Lenk, a. a. O., S. 218–235.

22 Wolff, Einleitung zu: Mannheim, Wissenssoziologie, S. 11–65.

23 Lieber, S. 1–105.

24 Hofmann, Gesellschaftslehre als Ordnungsmacht.

25 Habermas, S. 149–192. Ein Zeichen für die Entfremdung der Psychiatrie von ihrer Geschichte, für ihr unhistorisches Bewußtsein mag es sein, daß zunehmend historische Arbeiten nicht etwa in der psychiatrischen Fachpresse erscheinen, sondern in kostspielig ausgestatteten Serien der pharmazeutischen Konzerne, von deren Vertretern den Psychiatern als wissenschaftlich unverbindlicher, aber werbewirksamer »kultureller Überbau« überreicht.

26 »In Wahrheit gehört die Geschichte nicht uns, sondern wir gehören ihr. [...] Der Fokus der Subjektivität ist ein Zerrspiegel. [...] Darum sind die Vorurteile des einzelnen weit mehr als seine Urteile die geschichtliche Wirklichkeit seines Seins.« (Gadamer, S. 261).

27 Lieber, S. 11.

28 »Immer noch philosophische Anthropologie?« S. 72.

29 Habermas, »Analytische Wissenschaftstheorie«, S. 480.

30 Ders., Theorie und Praxis, S. 229.

31 Zu den Kriterien der »Träger« einer solchen Revolution gehört es nach Kuhn, daß sie an einem der Krise nahen Problem arbeiten, daß sie noch nicht lange in der betreffenden Wissenschaft tätig, d. h. von deren geltenden Traditionen noch nicht ganz durchdrungen sind, daß sie zuvor schon in einer anderen Wissenschaft mit Erfolg gearbeitet haben, weshalb sie auch über das für ihre Funktion ebenfalls wichtige gesellschaftliche Ansehen verfügen, und daß sie noch relativ jung sind. (Kuhn, The Structure of Scientific Revolutions, S. 143).

32 Kuhn, S. 19 u. 163. Neuerdings hat U. Trenckmann (»Das psychodynamische Konzept...«) Kuhns Paradigma-Konzept an der romantischen Psychiatrie überprüft.

33 Hunter/Macalpine, Three Hundred Years of Psychiatry, S. IX.

34 Bromberg, »Some Social Aspects«, S. 132.

35 Habermas, »Analytische Wissenschaftstheorie«, S. 473 f.

36 Ders., Theorie und Praxis, S. 177.

37 Ders., Strukturwandel der Öffentlichkeit, S. 7 f.

38 Conze, W. sowie H. Mommsen, »Sozialgeschichte«, in: Wehler (Hrsg.), Moderne deutsche Sozialgeschichte, S. 16–26 sowie 27–34.

39 Plessner, Die verspätete Nation.

40 Foucault, Madness and Civilization. Foucault ist der erste, der mit Entschiedenheit auf die Bedeutung jener Bewegung für die Entstehung der Psychiatrie hingewiesen hat, die wir Ausgrenzung der Unvernunft nennen. Sie erscheint in seinem Buch (S. 38-64) unter dem Titel »The great Confinement«. Allerdings führt sein strukturalistischer Ansatz dazu, daß er über dieser europäischen Bewegung die historischen Differenzen zwischen den einzelnen Ländern aus dem Auge verliert, was häufig Verzerrungen und falsche Verallgemeinerungen zur Folge hat. Im Grunde ist Foucaults Buch von der Situation Frankreichs her geschrieben. Es beweist wie seine Vorgänger, daß es bisher nur wenige Ansätze der Psychiatriegeschichtsschreibung gibt, in denen keine Verzeichnung durch den »nationalen Standpunkt« stattfindet und die in der Lage sind, die Entwicklung der Psychiatrie im Rahmen der Entfaltung der bürgerlichen Gesellschaft zu sehen und daher auch die historischen Differenzen des Entwicklungsstandes der einzelnen Länder wahrzunehmen.

41 Hofmann, Ideengeschichte der sozialen Bewegung, S. 22 f.

42 Foucault, S. 51: »billige Arbeitskräfte in Zeiten der Vollbeschäftigung und der hohen Löhne, und Unsichtbarmachen der Müßigen sowie sozialer Schutz gegen Agitation und Aufstände in Zeiten der Arbeitslosigkeit«.

43 Hier stellt sich die Frage nach einem historisch treffenden, zusammenfassenden Begriff für psychische Störungen. Während die Engländer von »madness«, die Franzosen von »folie« sprechen, kam es in der komplexen und uneinheitlichen Situation Deutschlands nicht zu einem allgemein akzeptierten und bündigen Begriff. Zahlreiche Bezeichnungen konkurrieren miteinander. Wir führen für diese Arbeit die Konvention ein, vom »Irresein« und von den »Irren« zu sprechen, Begriffe, die am wenigsten vorbesetzt sein dürften und in die der ebenfalls in Deutschland fehlende, englisch-französische Bedeutungsgehalt der »Entfremdung« (alienation) eingeht, während etwa »Wahnsinn« schon eine Verengung darstellt.

44 Hobbes, Lehre vom Menschen, S. 40; vgl. auch S. 35 f.

45 Aus dieser unterstellten Naturnähe stammt der langlebige Glaube, daß Irre Hunger, Kälte und Schmerzen endlos ertragen können. Hier liegt eine praktisch-theoretische Verkehrung vor; denn zunächst setzte man die Irren dem Hunger, der Kälte und den Mißhandlungen aus und schloß von daher sekundär auf ihre Eigenschaften, d. h. auf eine besondere, ihnen eigene Insensibilität; ähnlich sind Typologien etwa »des Arbeiters« entstanden. – Von ganz anderer Qualität ist die zu allen Zeiten von Irrenärzten mitgeteilte Beobachtung des Alternierens von Irresein und bestimmten körperlichen Krankheiten bei einem Individuum. Bis heute gilt diese empirische, in ihrem Wesen noch unerkannte Tatsache als zentrales Beweisstück des körperlichen »Tiefgangs« des Irreseins. Den frühen Irrenärzten bot sich vor allem die finale Konstruktion an, daß das Irresein die Irren vor anderen Krankheiten bewahrt. Auch so konnte man sich der von den »normalen« Menschen abgehobenen Sonderstellung der Irren vergewissern.

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