Kitabı oku: «Arztstrafrecht in der Praxis», sayfa 10

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ee) Personelle Voraussetzungen in der Geburtshilfe

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Für die ärztliche Geburtshilfe bedeutet dies, dass in geburtshilflichen Abteilungen ein „im Fachgebiet Frauenheilkunde und Geburtshilfe tätiger Arzt“ (mit abgeschlossener oder begonnener Weiterbildung) „ständig rund um die Uhr im Bereitschaftsdienst verfügbar sein muss. Ein Berufsanfänger, der im Regelfall kaum qualifizierter als eine Hebamme ist (vielfach eher weniger), wird deshalb bei Auftreten einer Komplikation für Mutter und/oder Kind, sofern er die kritische Lage überhaupt erkennt (!), stets den Rufbereitschaftsdienst leistenden Arzt zur Vermeidung eines eigenen Übernahmeverschuldens hinzuziehen müssen. Dieser muss Facharzt im formellen Sinn und innerhalb von 10 Minuten im Krankenhaus einsatzbereit sein.[190]

Der selbstständige Einsatz eines unerfahrenen Assistenzarztes im Kreißsaal trägt daher kaum zur Erhöhung des Sicherheitsstandards bei, sondern bedeutet die bewusste Inkaufnahme eines höheren Risikos, das nur nach Ausschöpfung aller organisatorischen Möglichkeiten als ultima ratio eingegangen werden sollte.[191] Die Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe[192] hatte deshalb mit Recht warnend auf die haftungsrechtlichen Risiken einer Diensteinteilung des früheren AiP zu Bereitschafts- und Nachtdiensten hingewiesen und dessen Einsatz ohne Präsenz eines Facharztes für unverantwortlich erklärt, gleichgültig, ob dieser sich rufbereit zu Hause oder im Krankenhaus aufhält, aber von Fall zu Fall geweckt werden muss.

ff) Personelle Voraussetzungen in der Anästhesie

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Auch die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin sowie der Berufsverband Deutscher Anästhesisten betonten in einer gemeinsamen Stellungnahme, die Durchführung von Anästhesieverfahren dürfe nur von erfahrenen Ärzten vorgenommen und nicht auf ärztliche Anfänger delegiert werden, zumal ja in der Anästhesiologie „auch ein voll approbierter Arzt erst nach einer etwa halbjährigen Einarbeitungszeit zum Bereitschaftsdienst eingeteilt“ werden solle.[193]

Die spezifische Gefahr für den Patienten bei selbstständiger Tätigkeit eines noch in Weiterbildung befindlichen Arztes liegt oft ja gerade darin, dass dieser auftretende Komplikationen oder klinische Anzeichen einer sich anbahnenden Krise nicht bemerkt und deshalb den Hintergrunddienst nicht oder jedenfalls nicht rechtzeitig hinzuzieht.[194]

g) Differenzierungen des Sorgfaltsmaßstabs (Standards)

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Im Bereich der objektiven Sorgfaltspflicht, also des medizinischen Standards, ist hinsichtlich der jeweiligen spezifischen Stellung und Situation des Arztes zu differenzieren. Da „die Durchschnittsanforderungen an dem engeren sozialen Bereich zu orientieren sind, in dem der Einzelne tätig ist,“[195] variiert die objektiv erforderliche Sorgfalt je nachdem, welche konkrete Position der Arzt ausfüllt, ob es sich z.B. um einen Arzt für Allgemeinmedizin, einen Facharzt oder den Leiter einer Universitätsklinik handelt, der alle technischen, diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten zur Hand hat. „Ein Facharzt schuldet ein anderes Maß an Sorgfalt als der Arzt für Allgemeinmedizin und entsprechende Unterschiede sind auch zwischen dem klinisch tätigen und dem niedergelassenen Arzt zu machen“.[196] In gleicher Weise differieren Art und Maß der objektiv erforderlichen Sorgfalt je nach der konkreten Situation, in der sich der jeweilige Arzt befindet, „mit ihren räumlichen und zeitlichen Bedingtheiten, den gegebenen Umständen und tatsächlichen Verhältnissen“.[197] Es leuchtet ein, dass die generell von einem gewissenhaften Arzt zu fordernde Sorgfalt bei plötzlichen Komplikationen, die zu einem raschen Entschluss und zu schnellem Handeln nötigen, niedriger anzusetzen ist als bei wohlvorbereiteten Eingriffen. Entsprechendes gilt je nachdem, ob diese in einem kleineren kommunalen Krankenhaus oder in einer Universitäts- bzw. Spezialklinik vorgenommen werden.

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Der Maßstab für die ärztliche Behandlung und Haftung ist daher situationsorientiert, abhängig von den verfügbaren ärztlichen, pflegerischen, räumlichen, apparativen und sonstigen therapeutischen Mitteln, so dass es zwangsläufig „zu Qualitätsunterschieden in der Behandlung von Patienten“ kommen muss und „in Grenzen der zu fordernde medizinische Standard je nach den personellen und sachlichen Möglichkeiten verschieden ist“.[198] Daher muss nicht „jeweils das neueste Therapiekonzept verfolgt werden“, um den „Stand der Medizin“ zu gewährleisten, und ebenso wenig kann „die jeweils neueste apparative Ausstattung überall und gleichzeitig geboten werden“.[199] Eine „medizinisch mögliche, aber unbezahlbare Maximaldiagnostik und -therapie[200] ist weder im Zivilrecht noch im Strafrecht der zutreffende Haftungsmaßstab“. Die Sorgfaltsanforderungen werden deshalb nicht durch die Hochleistungsmedizin und die Experten der einzelnen Fachgebiete bestimmt, sondern durch die Sicherheitsbedürfnisse des Patienten und die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten personeller und sachlicher Art auf der Grundlage einer optimalen Organisation. Ausdrücklich betont der BGH: Die Sorgfaltspflichten „dürfen sich daher nicht unbesehen an den Möglichkeiten von Universitätskliniken und Spezialkrankenhäusern orientieren, sondern müssen sich an den für diesen Patienten in dieser Situation faktisch erreichbaren Gegebenheiten ausrichten, sofern auch mit ihnen ein zwar nicht optimaler, aber noch ausreichender medizinischer Standard erreicht werden kann“.[201]

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Allerdings fordert die Rechtsprechung geeignete organisatorische Maßnahmen, um die aus mäßigen Behandlungsbedingungen vor Ort und Strukturmängeln im konkreten Behandlungsbereich resultierenden Gefahren für den Patienten zu neutralisieren, gleichgültig ob diese Gefahrenquellen auf Medikamentenrisiken, übermüdete Ärzte, Berufsanfänger oder Personalknappheit zurückzuführen sind.[202] Derartige Umstände rechtfertigen keine Abstriche am Behandlungsstandard,[203] vielmehr übernimmt das Haftungsrecht hier eine Schutzfunktion zugunsten des Patienten.

h) Einfluss der Ressourcenknappheit auf den medizinischen Standard

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Inwieweit dies auch „gegenüber allzu rigiden Einschnitten in die Ausstattung von Gesundheitseinrichtungen“ infolge Budgetierung und einer restriktiven Haushaltspolitik[204] gilt, ist noch weithin ungeklärt. Die Rechtsprechung hat allerdings die prinzipielle Notwendigkeit anerkannt, wirtschaftliche Überlegungen in ärztliches Denken durch eine Abwägung aller relevanten Faktoren einfließen zu lassen[205] und „die allgemeinen Grenzen im System der Krankenversorgung, selbst wenn es Grenzen der Finanzierbarkeit und Wirtschaftlichkeit sind“, bei der Beurteilung des Sorgfaltsmaßstabs im Einzelfall nicht zu vernachlässigen.[206] Ausdrücklich betont auch das BVerfG: „Die gesetzlichen Krankenkassen sind nicht von Verfassungs wegen gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist. Zumutbare Eigenleistungen können verlangt werden“.[207]

aa) Ökonomische Grenzen des Standards

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Mit dieser Feststellung kann es aber angesichts des immer weiteren Auseinanderdriftens zwischen dem medizinisch Machbaren und dem ökonomisch Möglichen bei der ärztlichen Berufsausübung nicht sein Bewenden haben, vielmehr müssen „die Gerichte lernen, in den Begriff des medizinischen Standards auch die durch das Budget gesetzten Grenzen einzubeziehen“,[208] damit nicht die unmittelbar agierenden Ärztinnen und Ärzte die ihnen oftmals aufgedrängten Einschränkungen ausbaden müssen. „Der haftungsrechtlich zu fordernde Standard ignoriert insoweit nicht ökonomische Zwänge“[209] und dasselbe muss auch für den strafrechtlichen Sorgfaltsmaßstab gelten, der auf der objektiv-typisierenden Ebene mit dem zivilrechtlichen Leitbild inhaltlich übereinstimmt. Insofern besteht auch kein prinzipieller Widerspruch gegenüber dem sozialrechtlichen Standard, wie sich insbesondere aus den §§ 2 Abs. 1, 12 Abs. 1, 27 Abs. 1, 70 Abs. 1 SGB V ergibt, welche den in ihm geltenden Standard an den Wirtschaftlichkeitsgrundsatz binden.[210] Daraus folgt: Wenn auch nach Ausschöpfung aller organisatorischen Möglichkeiten, Rationalisierungsmaßnahmen und Umverteilung der finanziellen Mittel die personellen und instrumentellen Engpässe infolge der Mittelknappheit nicht zu beseitigen sind, ist der medizinische Standard hic et nunc zwangsläufig niedriger anzusetzen als dort, wo die Sach- und Personalausstattung auf Grund günstigerer wirtschaftlicher Verhältnisse besser ist. Allerdings: Über eine so begründete Abschwächung der im Übrigen medizinisch begründeten Maßstäbe ist der Patient bei Beginn oder Fortsetzung der Behandlung aufzuklären, wenn für den Behandelnden erkennbar ist, dass der Patient die Behandlung anderenorts mit signifikant geringeren Risiken durchführen lassen kann.[211] Im Übrigen ist hinsichtlich standardisiert verfügbarer Alternativbehandlungen die Aufklärungspflicht des § 630e Abs. 1 S. 3 BGB auch dann zu beachten, wenn diese nur in anderen Einrichtungen möglich sind.[212]

bb) Relativität des Standards

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Auf der von Ort und Zeit abhängigen gleitenden Skala des Standards gibt es ein Oben und Unten ebenso wie ein Auf und Ab, d.h. der medizinische Standard ist relativ, allerdings stets oberhalb einer „unverzichtbaren Basisschwelle“,[213] deren Bestimmung das Recht durch die Gerichte unter dem Leitgesichtspunkt „Vorrang für Schutz und Sicherheit des Patienten“ vornimmt. Diese Untergrenze liegt m.E. dort, wo das erlaubte Risiko, das in der Zulassung verschiedener Versorgungsformen ersichtlich mitgedacht ist, überschritten wird und sich die (fortgesetzte) Behandlung vielmehr als Übernahmeverschulden darstellt, weil die von der Behandlung ausgehende Gefährdung des Patienten infolge mangelnder Qualifikation oder ungenügender personeller oder sachlicher Ausstattung des Krankenhauses die Erfolgschancen des Heileingriffs überwiegt und damit „die Erfüllung des Heilauftrags […] grundsätzlich in Frage“ steht.[214] Die Unterschreitung dieses Mindeststandards kann sodann – sind auch die Übrigen Anforderungen des Delikts inklusive der individuellen Schuld verwirklicht – zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Arztes und erst recht zu seiner zivilrechtlichen Haftung führen. Mit Nachdruck betont der BGH z.B., Ärzte und Krankenhausträger dürften „sich in keinem Fall darauf berufen, ein Mangel an ausreichend ausgebildeten Fachärzten zwinge zum Einsatz unerfahrener Assistenzärzte“,[215] der gebotene Sicherheitsstandard dürfe nicht etwaigen personellen Engpässen geopfert werden[216] oder die „angemessene medizinische Versorgung sei von vornherein nicht sicherzustellen“.[217] Deshalb sind sog. Parallelnarkosen und die Einrichtung fachübergreifender Bereitschaftsdienste zwar nicht ausnahmslos rechtswidrig, aber nur unter engen Kautelen rechtlich zulässig,[218] da die Sicherheitsinteressen des Patienten gegenüber der durch solche Maßnahmen erzielten Kostenersparnis Vorrang haben. „Das Wirtschaftlichkeitsgebot findet seine Grenzen an den konkreten Bedürfnissen des Patienten, die in besonders gelagerten Fällen den ärztlichen Standard sogar übersteigen können“.[219]

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Zugleich darf dem Arzt weiter kein Vorwurf gemacht werden, wenn der medizinische Standard – oberhalb der Basisschwelle – aus Gründen, die nicht in seiner Verantwortung liegen, anderenorts deutlich höher, aber eben in seinem Tätigkeitsbereich trotz aller Anstrengungen nicht realisierbar ist. Wenn die Finanzierungs- und Wirtschaftlichkeitsreserven auch bei bester Organisation die Vornahme und Vorhaltung bestimmter Leistungen aus Kostengründen nicht zulassen, reduziert sich der für die Beurteilung der gebotenen Sorgfalt geltende medizinische Standard und begrenzt unter dem Aspekt der Zumutbarkeit die Sorgfaltspflichten. Anderenfalls würde das Krankheitsrisiko des Patienten zu einem untragbaren, weil diesem nicht vorzuhaltenden Strafbarkeitsrisiko auf Seiten des Arztes führen.[220]

cc) Sozialrechtliche Grenzen des Standards

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Nämliches gilt im Falle einer Diskrepanz zwischen sozialrechtlichem und haftungsrechtlichem Standard. Wenn der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen eine Methode oder ein Heilmittel als nicht notwendig und damit nicht erstattungsfähig bezeichnet und der Arzt daher von deren Anwendung absieht, weil die Leistung schon aus dem Versorgungsauftrag der GKV ausscheidet, darf ihm „grundsätzlich kein Fehlervorwurf gemacht werden“,[221] solange der Patient zur Übernahme der Kosten nicht bereit ist. Die zunächst erst zu begründende und zu legitimierende Sorgfaltserwartung lässt sich ebenso wie eine ggf. relevante Garantenstellung nicht in einer Weise begründen, die den Arzt berufsbedingt zu einem Mitbürger macht, der kurzerhand fremden Bedürfnissen unterworfen ist. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn hierdurch eine bereits begonnene pflichtgemäße Behandlung ggf. nach einem negativen nachträglichen Votum des GBA gem. den §§ 135, 136 Abs. 1 Nr. 2 oder 137c SGB V als Leistung der GKV abzubrechen ist. Oftmals wird im Schrifttum aber auch eine gegenteilige Ansicht vertreten, die jedenfalls einen eigenständigen zivilrechtlichen Haftungsstandard vertritt, der über die Schranken des Sozialrechts tendenziell auch ohne eine gesicherte Finanzierung hinausgehen kann.[222] Damit besteht die Gefahr, dass Einsparzwänge und Kostendämpfungsmaßnahmen im Gesundheitswesen auf dem Rücken der Ärzte ausgetragen werden, obschon diese keine zwangsrekrutierten Staatsbediensteten darstellen, sondern die Behandlung nur nach den Maßstäben des Vertragsrechts (der strafrechtlichen tatsächlichen Übernahme) durchführen. Dies gilt im Besonderen, solange die ärztlichen Gutachter auf die finanziellen Grenzen und Knappheitsfolgen im medizinischen Alltag nicht oder kaum hinweisen, da sie sich oft „aus dem Bereich der Spitzenmedizin rekrutieren“[223] und von derartigen Einschränkungen weniger betroffen sind. Auch dieses Phänomen fördert medizinische Ideal-Standards, die zum Teil wirklichkeitsfremd der Beurteilung der erforderlichen und zumutbaren Sorgfalt des Arztes zugrunde gelegt werden. Hier muss einbezogen werden, dass sich angesichts der weit überwiegenden gesetzlichen Versicherung vieler Patienten nicht ohne weiteres ein allgemein anerkannter und praktizierter Standard wird bilden können. Auch in diesem Kontext bleibt es gleichwohl stets notwendig, den Patienten in die Entscheidung bzw. Verantwortung einzubinden. Soweit sich medizinisch und zivilrechtlich ein höherer Standard jenseits der GKV formulieren lässt, darf der Arzt nicht kurzerhand nach dem rationierten GKV-Standard behandeln und auf den fremden Körper zugreifen. Kommt es ernsthaft in Betracht, einen über das Sozialrecht hinausgehenden Standard zu formulieren oder befürwortet der Arzt gar selbst eine vorrangig gebotene Behandlung, muss er den Patienten über die ökonomisch bedingten Einschnitte in der Versorgung informieren, damit der Patient den Standard privat finanzieren oder, im ersteren Fall, eine Unterstandardbehandlung (siehe § 630a Abs. 2 Hs. 2 BGB) vereinbaren kann.[224]

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Ob und inwieweit die Zivil- und Strafgerichte eine entsprechende Reduktion des Facharztstandards aus ökonomischen Gründen billigen, ist bis heute noch nicht klar entschieden.[225] Soweit sich die Rechtsprechung für einen uneingeschränkten objektiven Standard entscheiden sollte,[226] bleibt im Strafrecht abermals daran zu erinnern, dass die konkret für den Einzelnen erschwerenden Umstände auf der Ebene der Schuld unter anderem unter den Aspekten der individuellen Vermeidbarkeit und der Zumutbarkeit Beachtung finden können und ggf. müssen. Dies gilt auch deshalb, weil sich ein Übernahmeverschulden angesichts der gerade aus den Vorgaben etwa des GBA resultierenden objektiven Handlungsgrenzen schwerlich wird begründen lassen.

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Auf wirtschaftliche Grenzen der Sozialversicherung kann sich ein Vertragsarzt allerdings grundsätzlich nicht berufen, wenn Rationalisierungsmaßnahmen bzw. implizite Rationierungen, die nicht an einer einzelnen Behandlung ansetzen,[227] wie die vorgesehenen Regelleistungsvolumen die Behandlung erschweren. Hier darf die gegenüber dem Patienten übernommene Sorge so verstanden werden, dass der Arzt den Versorgungsstandard der GKV leisten wird.[228] Insoweit ist allenfalls unter besonderen Umständen und Zuspitzungen eine Unzumutbarkeit denkbar, die dann aber noch immer nicht zur stillen Anwendung eine Unterstandards, sondern zum Gespräch mit dem Patienten führen muss. Ist keine unmittelbare Notlage gegeben, kann die Garantenstellung ggf. niedergelegt werden.

i) Maßstabssteigerung bei größerem individuellen Leistungsvermögen und besserer Ausstattung

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Ein weiteres besonderes Feld der Differenzierungen bei der Standardbestimmung liegt in besonderen Kenntnissen und Fähigkeiten des einzelnen Arztes. Ist die generelle, von einem umsichtigen und verständigen Arzt der jeweiligen „Berufsgruppe“ geforderte Sorgfalt eingehalten, stellt sich ggf. die Frage, ob ein größeres individuelles Leistungsvermögen im Strafrecht bei der Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabs einzubeziehen ist. „Niemand ist rechtlich verpflichtet, stets die ihm möglichen Höchstleistungen aus sich herauszuholen, ist eine in der Literatur geradezu ungleichen Fähigkeiten vielfach vertretene Ansicht“.[229] Danach ist die überdurchschnittliche Leistungsfähigkeit nicht zu berücksichtigen.

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Demgegenüber verpflichtet nach herrschender Ansicht größeres individuelles Leistungsvermögen zu größerer Umsicht und Vorsicht.[230] Denn es ist „nicht einzusehen, weshalb etwa ein besonders befähigter Chirurg bei einer riskanten Operation nur diejenigen Techniken und Fertigkeiten anzuwenden verpflichtet sein sollte, die den Mindeststandard für jeden bilden, der sich überhaupt als Chirurg betätigen will“.[231] Bleibt er hinter seiner Leistungsfähigkeit zurück, verletzt der Arzt die ihm von der Rechtsordnung auferlegte und mit dem regelmäßigen Vertragsschluss auch akzeptierte Pflicht. Entsprechend muss er eine ihm zur Verfügung stehende „bessere und modernere Ausstattung“ zur Behandlung anwenden, „wenn dadurch die Heilungschancen verbessert und unerwünschte Nebenwirkungen abgewendet werden können“ (siehe schon Rn. 110 ff.).[232] Allerdings ist in diesen Fällen damit noch nicht entschieden, ob er auch vorwerfbar gehandelt hat, was z.B. im Falle unvorhersehbarer Komplikationen und dadurch bedingter Ermüdung mit der Folge eines vermeidbaren Fehlers noch immer zu verneinen sein kann.[233]

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Auch das im Zeitpunkt der Behandlung vorhandene oder zumindest aktualisierbare Sonderwissen des Arztes ist zu berücksichtigen.[234] Deshalb muss ein Arzt „auch seine speziellen Erkenntnisse zugunsten des Patienten einsetzen“, wenn er solche „für die Therapie bedeutsamen Spezialkenntnisse“ besitzt.[235] „Dabei macht es keinen Unterschied, ob diese besonderen, für die Behandlung des Patienten bedeutsamen Erkenntnisse aus der konkreten Behandlung gerade dieses Patienten herrühren oder auf abstrakter Kenntniserlangung – etwa durch ärztliche Fortbildung – beruhen“.[236] Eine unbillige Schlechterstellung des Experten bedeutet diese Rechtsauffassung nicht. Denn der Patient rechnet bei ihm mit solchem Spezialwissen und erwartet nur, dass er das tut, was er kann. Deshalb geht das Recht grundsätzlich davon aus, die soziale Verantwortung des Einzelnen an seinem (ggf. überdurchschnittlichen) individuellen Leistungszuschnitt zu messen.[237]

j) Übernahmeverschulden (sog. Übernahmefahrlässigkeit)

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Indem das Strafrecht zum Teil schon im Tatbestand (Rn. 54 ff.) und jedenfalls in der Schuld (Rn. 589 ff.) bezüglich der Sorgfaltsmaßstäbe auf subjektive Besonderheiten Rücksicht nimmt, provoziert es die Frage, ob eine unterdurchschnittliche Qualifikation des Behandelnden etwa bei einem Berufsanfänger oder einem im Übermaß entgegen § 3 ApprO-Ärzte eingesetzten Studenten im PJ zur Straflosigkeit führt, obschon in diesen Fällen ein Patient unter Außerachtlassung der objektiv erforderlichen Sorgfalt den Tod oder eine Körperverletzung erlitten hat. Dies ist jedoch nicht der Fall, weil in der Praxis ggf. verschiedene Ansatzpunkte für einen Fahrlässigkeitsvorwurf vorhanden sind (vgl. auch zum Pflichtwidrigkeitszusammenhang Rn. 504): Insbesondere ist die sog. Übernahmefahrlässigkeit zu beachten. Nach ihr handelt objektiv pflichtwidrig und subjektiv schuldhaft auch derjenige Arzt oder Medizinstudent, der – ohne Not – eine Tätigkeit übernimmt, der er mangels eigener persönlicher Fähigkeiten oder Sachkunde erkennbar nicht gewachsen ist[238] oder die er trotz vorhandenen Könnens und Erfahrung „aus anderen Gründen, etwa Übermüdung, Trunkenheit, Erkrankung, Medikamenteneinwirkung“[239] u.a. nicht sachgerecht erfüllen kann. „Die Anerkennung eines Übernahmeverschuldens beruht [nach der Rechtsprechung] auf der besonderen Schutzpflicht des – durch Approbation nachgewiesen – ausgebildeten Arztes für das ihm anvertraute Rechtsgut, die Unversehrtheit der Gesundheit seiner Patienten“.[240] Zu achten ist gleichwohl darauf, dass das Übernahmeverschulden nicht zu einer Art Lebensführungsschuld werden darf. Ausreichend, aber auch erforderlich ist, dass die Tätigkeit selbst, zu welcher der Handelnde sich anschickt, bereits hinreichenden Anlass bietet, die eigenen Fähigkeiten und Kenntnisse zu hinterfragen.[241]

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Voraussetzung für den Schuldvorwurf ist, dass der Arzt seinen Mangel an Kenntnissen und Fertigkeiten „weiß oder erkennen kann, wobei das Verschulden sowohl in der Übernahme als auch in der Fortführung einer die Fähigkeit des Handelnden übersteigenden Tätigkeit“ begründet liegt.[242] „Wer an die Grenzen seines Fachbereichs oder seiner persönlichen Einsatzbereitschaft gelangt, hat andere zuzuziehen oder seine weitere Aktivität zu unterlassen bzw. einzuschränken“.[243] Der Arzt, der selbst „nicht über die nötigen persönlichen und fachlichen Fähigkeiten verfügt, muss sich sachkundiger Hilfe vergewissern,“[244] also die Überweisung des Patienten zu einem „kundigeren Kollegen,“[245] einem Facharzt oder gar Spezialisten bzw. in ein mit besonderen Einrichtungen ausgestattetes Krankenhaus veranlassen oder einen Konsiliarius hinzuziehen, um die sachgerechte Versorgung des Patienten zu gewährleisten. Wer als Arzt bei der Behandlung eines Patienten „an die Grenzen seiner therapeutischen Möglichkeiten stößt, muss dafür Sorge tragen, dass die Behandlung von einem fachlich dazu geeigneten Arzt übernommen wird“.[246] Denn eine Tätigkeit, „deren ordnungsgemäße Erfüllung“ er „nicht garantieren kann,“[247] darf ein gewissenhafter Arzt nicht aufnehmen oder weiterführen, es sei denn, es handelt sich um Ausnahmesituationen oder Notfälle, in denen auch der Arzt gefordert ist und helfen muss, dessen Fähigkeiten und Möglichkeiten nach eigener Einschätzung nicht ausreichen.

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In der Überschätzung der eigenen Möglichkeiten und Qualifikation, dem Mangel an Selbstkritik und eigenem Beurteilungsvermögen liegt eindeutig ein ärztliches Fehlverhalten, wie die Judikatur immer wieder betont hat.[248] „Medizinische Kunst“ setzt „nicht nur ein sehr großes, ständig zu erweiterndes Wissen, sondern auch die Gabe der Intuition und vor allem Erfahrung“ voraus, die man nur „in und während einer verantwortlichen Berufsausübung selbst“ gewinnen kann.[249] Während dieses Entwicklungsprozesses wird deshalb „nur derjenige Arzt Fehler vermeiden, der die Grenzen seines Wissens und Könnens sehr genau kennt und ständig mit Gewissenhaftigkeit Kritik an sich selbst übt“.[250]

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Beispiel:

Der Angeklagte, der sich noch in der Ausbildung zum Facharzt für Gynäkologie befand, wurde während seines Bereitschaftsdienstes mit der Leitung der Geburt der Frau B. betraut. Dabei traten nach 17.05 Uhr auf dem CTG (Kardiotokogramm) vereinzelt Zeichen eines Herzfrequenzmusters vom Typ „Dip II“ auf. Als sich gegen 19.05 Uhr das CTG schlagartig verschlechterte, versuchte er zunächst mittels Saugglocke und anschließend mit Hilfe der Geburtszange, das Kind zur Welt zu bringen, jedoch scheiterten alle drei Versuche. Erst dem inzwischen herbeigerufenen Oberarzt gelang es, das Kind zu holen. Dieses litt an einem schweren Erstickungszustand, infolgedessen es irreversibel hirngeschädigt ist und mit schwersten Behinderungen ein dauernder Pflegefall bleiben wird[251].

Dazu führte der BGH aus:

„Die Frage, ob der Angeklagte nach seinen damaligen Kenntnissen und Fähigkeiten das CTG richtig deuten und einen drohenden Schaden einwandfrei diagnostizieren konnte, schöpft die rechtliche Problematik nicht aus. Es ist vielmehr anerkannt, dass auch derjenige schuldhaft handeln kann, der eine Tätigkeit vornimmt, von der er weiß oder erkennen kann, dass ihm die dafür erforderlichen Kenntnisse fehlen“.

Konkret kommt es also zunächst darauf an, ob ein gewissenhafter Arzt in der Situation des Angeklagten aus dem Verlauf der CTG-Kurven Normabweichungen und damit eine Notsituation des Kindes hätte erkennen können. Ist dies zu verneinen, kommt die Verletzung der objektiven Sorgfaltspflicht nicht in Betracht. Liegt der Grund für die Nichterkennung des drohenden Schadens dagegen im Ausbildungsstand, der Schwierigkeit des Falles oder der arbeitsmäßigen Beanspruchung an dem fraglichen Tag, so schließt dies die Annahme einer Pflichtwidrigkeit des Arztes nicht aus. Denn „wenn er nicht in der Lage war, das Kardiotokogramm richtig zu deuten und die aufgetretenen Herzfrequenzveränderungen als bedrohlich zu erkennen, hätte er die alleinige ärztliche Betreuung der Geburt nicht übernehmen dürfen“.[252]

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Weitere Beispiele:


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