Kitabı oku: «Arztstrafrecht in der Praxis», sayfa 36

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c) Schranken der Aufklärung

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Nach § 630c Abs. 4 BGB und § 630e Abs. 3 BGB bedarf es der Information/Aufklärung des Patienten nicht, wenn diese ausnahmsweise aufgrund besonderer Umstände entbehrlich ist. In der Begründung der Bundesregierung zum Gesetzentwurf[329] wird ausgeführt, dass solche besonderen Umstände z.B. vorlägen, wenn eine begründete Gefahr besteht, dass der Patient infolge der Information sein Leben oder seine Gesundheit gefährdet.

9. Keine „Vernunfthoheit“ des Arztes, kein „therapeutisches Privileg“

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Abgesehen von engen Ausnahmen, die eine Einschränkung des Umfangs der Information und der Aufklärungspflichten erlauben,[330] gibt es kein „therapeutisches Privileg“, keine „Vernunfthoheit des Arztes“[331] über den Patienten. Fehlt seine Zustimmung infolge eindeutiger Weigerung, so sind dem Arzt die Hände gebunden, es sei denn, gesetzliche Bestimmungen, z.B. das Infektionsschutzgesetz, die StPO u.a. verpflichten ihn und erlauben ihm dadurch den Eingriff. Ansonsten aber gilt:

„Niemand darf sich zum Richter in der Frage aufwerfen, unter welchen Umständen ein anderer vernünftigerweise bereit sein sollte, seine körperliche Unversehrtheit zu opfern, um dadurch wieder gesund zu werden. Diese Richtlinie ist auch für den Arzt verbindlich […] Es wäre ein rechtswidriger Eingriff in die Freiheit und Würde der menschlichen Persönlichkeit, wenn ein Arzt – und sei es auch aus medizinisch berechtigten Gründen – eigenmächtig und selbstherrlich eine folgenschwere Operation bei einem Kranken, dessen Meinung rechtzeitig eingeholt werden kann, ohne dessen vorherige Billigung vornähme. Denn ein selbst lebensgefährlich Kranker kann triftige und sowohl menschlich wie sittlich achtenswerte Gründe haben, eine Operation abzulehnen, auch wenn er durch sie und nur durch sie von seinem Leiden befreit werden könnte“.[332]

Dies kann zu dramatischen, für die Ärzte unverständlichen Konfliktsituationen zwischen ihrem Heilauftrag und dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten führen. Zwei Fallkonstellationen mögen dies verdeutlichen und die dabei auftretenden schwierigen Rechtsprobleme sichtbar machen: Zum einen der Fall der Verweigerung der Zustimmung zu einer lebensrettenden Bluttransfusion, zum anderen der Fall des Suizidpatienten oder des Moribunden, der nicht mehr weiterbehandelt werden will, und schließlich die so genannte „Erweiterungsoperation“.

a) Ablehnung ärztlicher Hilfe aus Glaubens- und Gewissensgründen

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Angehörige bestimmter Glaubensgemeinschaften stehen dem Einsatz medizinischer Maßnahmen z.6T. skeptisch bis ablehnend gegenüber, so z.B. die „Gemeinde für Christus“ (bis 2009 „Evangelischer Brüderverein“),[333] doch im Focus der Diskussion steht meist die Ablehnung von Bluttransfusionen aus Glaubens- und Gewissensgründen durch Jehovas Zeugen.[334]

aa) Akutsituation

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Der Arzt ist zur Übernahme der Behandlung solcher Patienten im akuten Krankheitsfall oder sonstigen Notlagen jedoch auch dann verpflichtet, wenn er ihre ablehnende Haltung zu Blutübertragungen kennt. Standesrecht, die Grundsätze der Ethik und die Normen des Strafgesetzbuchs gebieten dem Arzt bei plötzlicher Erkrankung, einem Unglücksfall oder Verschlimmerung des Leidens das sofortige Eingreifen und den wirksamsten Einsatz aller verfügbaren Hilfsmittel, hier allerdings mit Ausnahme der Blutübertragung. Die allgemeine Rechtspflicht zur Hilfeleistung (§ 323c StGB) bleibt also auch gegenüber Angehörigen der Zeugen Jehovas u.a. unangetastet, lediglich die Möglichkeiten des Arztes zur Hilfeleistung sind – rechtlich – eingeschränkt.[335] Das Veto des um die Konsequenzen seiner Entscheidung für sich wissenden Patienten limitiert die Hilfeleistungsmöglichkeiten des Arztes. Wird die Bluttransfusion z.B. zum Ausgleich eines hohen Blutverlustes nach einem Unfall bzw. zur Vorbereitung einer Operation notwendig, muss der Arzt sich zwar einerseits nachdrücklich um die Zustimmung eines einsichtsfähigen Patienten bemühen und ihn in angemessener, aber nachdrücklicher Weise auf die Folgen seiner Weigerung aufmerksam machen.[336] Andererseits aber darf der Arzt gegen den Willen dieses Patienten – selbst bei bestehender Lebensgefahr – die Transfusion nicht vornehmen. Denn: „Die Beachtung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten ist wesentlicher Teil des ärztlichen Aufgabenbereichs. Der Arzt muss das in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gewährleistete Recht auf körperliche Unversehrtheit auch gegenüber einem Patienten respektieren, der es ablehnt, einen lebensrettenden Eingriff zu dulden“.[337] Deutlich auch das BVerfG[338] in seiner Entscheidung zu § 217 StGB: „Das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasst deshalb nicht nur das Recht, nach freiem Willen lebenserhaltenden Maßnahmen abzulehnen und auf diese Weise einem zum Tode führenden Krankheitsgeschehen seinen Lauf zu lassen […] Ein gegen die Autonomie gerichteter Lebensschutz widerspricht dem Selbstverständnis einer Gemeinschaft, in der die Würde des Menschen im Mittelpunkt der Werteordnung steht, und die sich damit zur Achtung und zum Schutz der freien menschlichen Persönlichkeit als oberstem Wert ihrer Verfassung verpflichtet.“ Das BVerfG erkennt aber auch: „Eine freie Entscheidung setzt […] zwingend eine umfassende Beratung und Aufklärung hinsichtlich möglicher Entscheidungsalternativen voraus“, denn nur so kann sichergestellt werden, dass der Betroffene „nicht von Fehleinschätzungen geleitet, sondern tatsächlich in die Lage versetzt wird, eine realitätsbezogene, rationale Einschätzung der eigenen Situation vorzunehmen.“ Je notwendiger und dringender der Eingriff mithin ist, desto nachdrücklicher ist die ärztliche Hinweis-, Belehrungs- und Umstimmungspflicht.[339] Wichtig ist, dass der Arzt im Gespräch mit dem Patienten, das frei von Formen der Einflussnahme Dritter geführt wird, den tatsächlichen Willen des Patienten eruiert.

bb) Elektive Eingriffe

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Ist keine Notsituation gegeben, steht es dem Arzt grundsätzlich frei, die Übernahme der Behandlung eines Zeugen Jehovas im Hinblick auf die möglicherweise später einmal eintretende Indikation für eine Blutübertragung und die daraus sich ergebenden forensischen Risiken abzulehnen.[340] Steht vor oder bei Behandlungsbeginn schon fest, dass im Laufe der Behandlung eine Bluttransfusion zwingend erforderlich wird, muss der Arzt die Behandlung ablehnen, wenn er den Patientenwillen nicht respektieren will, da er sich sonst bei Vornahme dieser Maßnahme wegen vorsätzlicher Körperverletzung strafbar machen würde.[341]

Deshalb ist vor jedem bei Jehovas Zeugen geplanten Eingriff im Gespräch mit diesem zu klären, ob und gegebenenfalls welche Fremdblut sparenden Methoden dieser Patient akzeptiert, etwa die Benutzung des Cellsavers, wenn der Kreislauf „Patient-Cellsaver-Patient“ nicht unterbrochen wird,[342] ferner ob eine intraoperative hypervolämische Hämodilution in Betracht kommt oder ob der Patient der Gabe von Immunglobulinen und Albuminen zustimmt.[343] Wenn und soweit eine maschinelle Autotransfusion in einem mit dem Körperkreislauf geschlossenen System aus ärztlicher Sicht möglich und vom Patienten gewünscht ist, ist diese Maßnahme vorzubereiten oder, wenn dies in dem betreffenden Krankenhaus ausgeschlossen ist, der Patient in eine andere Klinik zu verlegen.

Hier wie in jedem Fall gilt: Die Indikation zur Blutübertragung ist stets gewissenhaft zu prüfen.[344]

Ist der Eingriff nicht vital indiziert, muss die Entscheidung des Arztes von einer Abwägung der Dringlichkeit der Operation, ihrer Bedeutung und ihren Erfolgsaussichten sowie vom Grad der Wahrscheinlichkeit abhängig gemacht werden, mit der im konkreten Fall nach allgemeiner medizinischer Erfahrung mit der Notwendigkeit einer Bluttransfusion zu rechnen ist. Dabei gilt: Je mehr der Eingriff indiziert und je geringer die Transfusionswahrscheinlichkeit ist, umso mehr „spricht dafür, die Operationsindikation auch bei Zeugen Jehovas zu bejahen“.[345] Umgekehrt: Je zweifelhafter, fraglicher die Indikation und je größer die Transfusionswahrscheinlichkeit ist, umso mehr spricht gegen die Vornahme der Operation. Steht von vornherein fest, dass der Eingriff zwingend mit einer Bluttransfusion verbunden ist, darf er von Seiten des Arztes nicht durchgeführt werden.[346]

cc) Intraoperatives Transfusionserfordernis

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Ergibt sich während einer Operation, in die der Patient eingewilligt hatte, die – aus präoperativer Sicht nicht sicher vorherzusehende – Notwendigkeit einer Bluttransfusion und ist diese vital indiziert, dann ist nach den aktuellen Urteilen des BVerfG[347] und des BGH in Strafsachen[348] klar dass der Arzt an den im Bewusstsein der Konsequenzen erklärten, frei von Einflussnahme Dritter gefassten Willen des Patienten gebunden ist. Besteht kein Zweifel an der Entscheidung des – jetzt nicht mehr entscheidungsfähigen – Patienten ist diese zu respektieren, selbst wenn dadurch das Leben des Patienten verloren ist. Denn das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie das Selbstbestimmungsrecht gibt jedermann das Recht, „sein gesamtes Verhalten an den Lehren seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Überzeugung gemäß zu handeln“.[349] Deshalb ist der Arzt an den früher geäußerten Willen des Patienten gebunden und darf, wenn kein Indiz für eine Sinnesänderung ersichtlich ist, die Bluttransfusion nicht vornehmen.[350] Schon das Patientenverfügungsgesetz, das in § 1901a BGB die von einem einwilligungsfähigen, volljährigen Patienten im Bewusstsein der Konsequenzen abgegebene „Patientenverfügung“ unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung für verbindlich hält, stärkte diese Auffassung.

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Dennoch haben die Argumente der Gegenposition[351], soweit diese die Berufspflicht des Arztes, „das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen“ (§ 1 Abs. 2 BOÄ), und vor allem auch die Gewissensnot des Arztes betonte, entgegen seinem ärztlichen Ethos und seiner medizinischen Überzeugung die – zwingend indizierte, lebensrettende – Bluttransfusion zu unterlassen, ohne den Patienten in der aktuellen Konfliktsituation nochmals befragen zu können, nicht völlig an Gewicht verloren. Es gilt den Unterschied zu sehen zu den aktuellen Urteilen des BVerfG und des BGH in Strafsachen, die Patienten betreffen, die sich an den Arzt wenden, um ihrem Leben ein Ende zu setzen. Der Zeuge Jehovas wendet sich an den Arzt in der Hoffnung auf Linderung von Beschwerden, Heilung von Krankheiten und letztlich auch in der Hoffnung auf Lebensrettung. Da in dem hier zu beurteilenden Sachverhalt der Arzt initial davon ausgehen durfte, dass eine Bluttransfusion jedenfalls nicht sicher notwendig sein wird, hat er durch seine ärztliche Behandlung, die nun den die Transfusion erfordernden Blutverlust zur Folge hat, den Patienten erst in die „lebensgefährliche Situation“ gebracht. Hier kollidieren die grundrechtlich ebenfalls geschützte Gewissenfreiheit des Arztes, seine ethischen Grundsätze und damit auch seine Menschenwürde mit den Grundrechten des Patienten. Das kann vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechung zwar nicht zur Rechtfertigung einer Transfusion gegen den Willen eines Patienten führen, da dem Lebensschutz kein absoluter Vorrang einzuräumen ist, es bedeutet aber nicht, dass die Gewissenfreiheit und die Menschenwürde des Arztes, der „seinen“ Patienten durch die Behandlung in die bedrohliche Situation gebracht hat, in keiner Weise in die Waagschale gelegt werden dürften. Meint der Arzt die sich ihm stellende Wertediskussion und seine „Gewissensnot“ nur dadurch lösen zu können, dass er der Transfusion den Vorrang vor der ihm unzumutbar erscheinenden Unterlassung derselben einräumt, darf in diesen Ausnahmefall die Berufung auf einen unvermeidbarer Verbotsirrtum (§ 17 StGB), der zur Straflosigkeit führen würde, nicht von vornherein ausgeschlossen werden.

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Aus der strafrechtlichen Praxis liegen einige wenige Fälle vor, so z.B. der Einstellungsbescheid der Generalstaatsanwaltschaft bei dem OLG Stuttgart[352] vor, der allerdings auf die heute nicht mehr vertretbare Rechtfertigungslösung zurückgreift:

Beispiel:

Die 31 Jahre alte Frau X war in der 39. Woche schwanger. Wegen einer Placenta praevia totalis plante der Gynäkologe nach stationärer Aufnahme für den übernächsten Tag eine Schnittentbindung. In ihrer schriftlichen Einwilligungserklärung zur Anästhesie hatte die Patientin, die Angehörige der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas war, zuvor ausdrücklich auf ihre glaubensbedingt ablehnende Haltung gegenüber jeder Art von Blutübertragung verwiesen. Unmittelbar nach der Geburt eines gesunden Kindes durch Kaiserschnitt um 8.27 Uhr traten massive Blutungen aus den Plazentagefäßen auf, die derart extrem stark waren, dass bereits 5 Minuten später der präoperative Hb-Wert von 11,9g/% auf 5,5g/% abgesunken war. Daraufhin entschloss sich der Anästhesist im Einvernehmen mit dem Geburtshelfer, zur Aufrechterhaltung der Sauerstoffversorgung des Gewebes und zur Vermeidung eines Volumenmangelschocks der Patientin entgegen ihrem zuvor geäußerten ausdrücklichen Willen Erythrozytenkonzentrate zu transfundieren und Frischplasma zu geben. Die Maßnahmen waren aus medizinischer Sicht zweifellos vital indiziert.

Trotz aller Bemühungen der Ärzte und ihres Assistenzpersonals (Entfernung der Gebärmutter, Massentransfusionen, Druckinfusionen u.a.) kam es jedoch plötzlich um 10.17 Uhr zu einem Blutdruckabfall und einem Herzstillstand. Die daraufhin sofort eingeleiteten Reanimationsmaßnahmen wurden gegen 10.44 Uhr erfolglos abgebrochen.

Das daraufhin vom Ehemann der Verstorbenen in Gang gebrachte staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung und der vorsätzlichen gefährlichen Körperverletzung endete mit dem erwähnten Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft, in dem es wörtlich heißt:

„Die von den Ärzten im Zusammenhang mit der Notfallversorgung zur Lebensrettung vorgenommene Bluttransfusion bei der verstorbenen Patientin war durch § 34 StGB gerechtfertigt, auch wenn sie gegen den ausdrücklichen Willen der Patientin erfolgt ist. Im vorliegenden Fall hat das geschützte Interesse (Rettung des Lebens der Patientin) das beeinträchtigte (Schutz der Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie Recht auf Selbstbestimmung) wesentlich überwogen. Es ist anerkannt, dass die Abwägung der widerstreitenden Interessen nach objektiven Wertmaßstäben zu erfolgen hat; keine Rolle spielt deshalb die individuelle Wertschätzung, die der Inhaber des Rechtsguts diesem beimisst.

Der Einwand, die Bluttransfusion habe sich durch Verlegung der Patientin in eine andere Krankenanstalt, die zur blutlosen Behandlung bereit gewesen wäre, vermeiden lassen, ist abwegig, weil sie den Ernst der Situation und die Notwendigkeit der sofortigen Entscheidung über den Einsatz lebensrettender Maßnahmen verkennt.

Selbst wenn man aber – entgegen der herrschenden Meinung in der Literatur – ein Eingriffsrecht verneinen würde, müsste man dem Arzt jedenfalls einen unvermeidbaren und damit schuldausschließenden Verbotsirrtum zugestehen“.

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Die Staatsanwaltschaft bei dem LG Landshut hat die Einleitung eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens wegen fahrlässiger Tötung in einem Fall abgelehnt, in dem eine 32-jährige Zeugin Jehovas unmittelbar nach der Geburt ihres zweiten Kindes an den Folgen von zu hohem Blutverlust gestorben war, weil sie bei völligem Bewusstsein auf die zur Lebensrettung notwendige Bluttransfusion verzichtet und dies auch schon in ihrem Mutterpass verfügt hatte. Den Ärzten, so der zuständige Oberstaatsanwalt, sei kein Vorwurf zu machen, sie und das Pflegepersonal hätten alles ihnen Mögliche getan, der Patientenwille sei bindend.[353]

In einem anderen Fall einer Zeugin Jehovas, der bei der StA Hamburg unter dem Az. 7200 Js 137/02 anhängig war, entschied sich der zuständige Arzt nach eingehender Diskussion des Sachverhalts hingegen – trotz der schriftlich präoperativ dokumentierten Ablehnung von Fremdbluttransfusionen auch bei Lebensbedrohlichkeit des Zustands – für die Gabe von Fremdblut aus vitaler Indikation und zur Abwendung anämiebedingter Sekundärschäden der Patientin. Im Anschluss an die Blutübertragung besserte sich deren Zustand, sie konnte nach wenigen Tagen von der Beatmungsmaschine entwöhnt und zwei Tage später auf die Normalstation verlegt werden. Gut drei Monate später erstattete sie gegen den Arzt, der ihr das Leben gerettet hatte, Strafanzeige wegen vorsätzlicher Körperverletzung wegen der bei ihr aufgetretenen psychischen Folgeschäden (schwere Traumatisierung, Depressionen u.a.). Die Folge war ein langjähriges Strafverfahren, das letztlich nach § 374 Abs. 1 Nr. 4, § 376 StPO mangels öffentlichen Interesses eingestellt wurde.

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Auf zivilrechtlichem Sektor hatte sich das OLG München[354] mit der hier erörterten Problematik auseinanderzusetzen. Dabei wurde die Klage einer Zeugin Jehovas auf Schadensersatz und Schmerzensgeld zurückgewiesen, die diese gegen eine Klinik und mehrere Ärzte eingereicht hatte, weil ihr dort zur Rettung ihres Lebens postoperativ nach Eintritt der Bewusstlosigkeit im Zustand einer floriden, protrahierten Sepsis und eines abfallenden Hb-Werts Fremdblut gegeben worden war. In der Entscheidung heißt es u.a.:

„Den hier Verantwortlichen (sc: Ärzten) kommt zumindest ein Schuldausschließungsgrund zugute […] Die Entschuldigungsgründe des Strafrechts, vor allem § 35 StGB, haben für das Bürgerliche Recht keine unmittelbare Bedeutung, insbesondere schließen sie das nach objektiven Maßstäben zu beurteilende zivilrechtliche Verschulden nicht ohne weiteres aus. Im BGB kann aber ausnahmsweise der Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit den Schuldvorwurf entkräften. Auch die Gewissensnot kann in Ausnahmefällen ein Entschuldigungsgrund sein […]

Sich angesichts der oben erörterten Umstände unter möglicher Verletzung einer keineswegs als unumstößlich betrachteten Erklärung der Patientin dem eigenen ärztlichen Gewissen folgend bei vorliegender Zustimmung des Ehemanns für die Bluttransfusion und damit für das Leben der Patientin entschieden zu haben, entschuldigt zumindest das Verhalten der Beklagten. Aus rechtlicher Sicht kann ihnen weder aus der Verweigerung einer Transfusion noch aus der Durchführung einer solchen ein irgendwie gearteter Vorwurf gemacht werden. Bei der Vornahme einer Transfusion gegen den präoperativ eindeutig erklärten Willen des Patienten steht in der intraoperativen oder postoperativen Notsituation Leben oder Tod Gewissensentscheidung gegen Gewissensentscheidung. Hier ist dem Arzt die nämliche Gewissensentscheidung zuzubilligen, wie sie dem Patienten gewährt wird […]

Die Klägerin hätte von vornherein darauf bedacht sein müssen, sich ausschließlich in die Hände von ihr gegebenenfalls durch Institutionen ihrer Glaubensgemeinschaft empfohlenen, zur bedingungslosen Befolgung ihrer Patientenverfügung bereiten Ärzten zu begeben und nicht andere, sich ausschließlich ihrem Eid verpflichtet fühlende Ärzte dem Risiko erheblicher Gewissensqualen auszusetzen. Dies war ihr ohne weiteres zumutbar, da die bei ihr vorzunehmende Pelviskopie kein sofort notwendiger Eingriff war.

Dass andernfalls in einer Situation, wie sie letztlich eingetreten war, der Arzt seinem Gewissen folgen könnte und es vorziehen würde, nicht sehenden Auges einen mit Bluttransfusion ohne weiteres am Leben zu erhaltenden Patienten sterben zu lassen, konnte sich der Klägerin von Anfang an erschließen. Dadurch, dass sie sich gleichwohl den Ärzten der Beklagtenseite anvertraute, ging sie bewusst ein Risiko ein, wie es jedem verständigen, toleranten und nicht glaubensfanatischen Menschen bewusst sein musste […]

Ein Arzt, der, seinem Eid und Berufsethos verpflichtet, in dem Bemühen, Kranke zu heilen, die Behandlung eines Menschen in Kenntnis einer Patientenverfügung übernimmt, wie sie von der Klägerin getroffen wurde, wird damit noch nicht zu einem willenlosen Spielball dieser Verfügung, bar jeden ärztlichen Gewissens.

Mutet ein Zeuge Jehovas einem nicht dieser Glaubensrichtung angehörenden Arzt zu, gegebenenfalls seine Behandlung zu übernehmen, und konfrontiert er ihn hierbei mit seiner eine Bluttransfusion verweigernden Patientenverfügung, kann er nicht davon ausgehen, auch wenn seine Erklärung eindeutig sein sollte, dass der Arzt sich in jedem denkbaren Fall unter Ausschaltung seines ärztlichen Gewissens gleichsam maschinenhaft daran halten und ihn im Falle eines Falles auch sterben lassen würde“.

Die Argumentation des OLG München ist ein Beispiel dafür, dass „die Standesethik nicht isoliert neben dem Recht steht“, sondern „allenthalten und ständig in die rechtlichen Beziehungen des Arztes zum Patienten“ hineinwirkt. „Was die Standesethik vom Arzt erfordert, übernimmt das Recht weithin zugleich als rechtliche Pflicht. Weit mehr als sonst in den sozialen Beziehungen des Menschen fließt im ärztlichen Berufsbereich das Ethische mit dem Rechtlichen zusammen“. Es bleibt zu hoffen, dass diese Kernsätze Eb. Schmidts[355], die das BVerfG[356] in seiner Entscheidung zur Wirkung der Grundrechte im Arzthaftpflichtprozess wörtlich übernommen hatte, Gültigkeit behalten.

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Anders entschieden dagegen mehrere Gerichte in den USA, Kanada und Frankreich: Sie untersagten den behandelnden Ärzten die Gabe von Blutkonserven gegen den Willen des bewusstlosen Zeugen Jehovas bzw. bestraften den Arzt, der sich über das schriftliche Verbot des Patienten hinwegsetzte,[357] wegen Körperverletzung.

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