Kitabı oku: «Handbuch Hamburger Polizei- und Ordnungsrecht für Studium und Praxis», sayfa 6

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b) Checkliste Rechtmäßigkeit einer Gefahrenabwehrmaßnahme

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Zu allen Gefahrenabwehrmaßnahmen lassen sich Checklisten entwickeln, wie sie gerade auch in Klausuren oder Hausarbeiten helfen können. Von großer praktischer Relevanz sind dabei konkret-individuelle Maßnahmen, und zwar hier Verwaltungsakte und schlichtes Verwaltungshandeln. Insofern wird für diesen Ausschnitt ein gemeinsames Schema entfaltet.195 Zugleich wird anhand des Schemas auch das Verwaltungsverfahren beschrieben.

Teil 1: Maßnahme XY

Als Obersatz lässt sich beispielsweise formulieren: „Die Maßnahme war rechtmäßig, wenn eine Ermächtigungsgrundlage vorlag (A.) und die Maßnahme formell (B.) ebenso wie materiell (C.) rechtmäßig war.“ (Anmerkung: auch im Präsens formulierbar).

A. Ermächtigungsgrundlage

Schon wegen des Vorbehaltes des Gesetzes ist bei allen Eingriffsmaßnahmen eine gesetzliche Grundlage nötig. Insofern ist entsprechend dem Subsidiaritätsgrundsatz zunächst zu prüfen, ob eine spezialgesetzliche Grundlage greift (z. B. nach dem HafenSG oder Versammlungsgesetz). Sollte dies nicht der Fall sein, ist auf das SOG (für die Polizei im Bereich Datenschutz auf das PolDVG) zurückzugreifen. Im SOG selbst ist zu untersuchen, ob eine Standardmaßnahme der §§ 11 ff. SOG sachlich einschlägig ist und – falls dies nicht der Fall ist – auf die Generalklausel (§ 3 Abs. 1 SOG) zurückzugreifen.

B. Formelle Rechtmäßigkeit

Entsprechend den allgemeinen Vorgaben zum Verwaltungsverfahren (wozu Maßnahmen nach SOG, PolDVG, HafenSG gehören), sind formelle Standards einzuhalten, die insbesondere im HmbVwVfG geregelt sind. Zum Teil sind die Vorschriften (ab §§ 9 ff. HmbVwVfG) auf Verwaltungsakte, nicht aber ausdrücklich auf schlichtes Verwaltungshandeln anwendbar. Allerdings sollten jedenfalls bei denjenigen Handlungen des schlichten Verwaltungshandelns, die in Grundrechte eingreifen (z. B. Gefährderansprache, Gefährderanschreiben), prophylaktisch und sicherheitshalber auch die auf den Verwaltungsakt anwendbaren Vorschriften analog angewendet werden, weil die Vorgaben letztlich ohnehin aus den Grundrechten abgeleitet werden können und insoweit dadurch schon verfassungsrechtliche Rechtsrisiken vermieden werden.196

I. Zuständigkeit

1. Sachlich

Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich aus der Ermächtigungsgrundlage. Im SOG ist durchweg von den „Verwaltungsbehörden“ die Rede. Gleichwohl ist auch die Polizei – genauer die Vollzugspolizei – gem. § 3 Abs. 2 Satz 1 lit. a SOG in allen Fällen der Gefahrenabwehr zuständig, falls die Maßnahme unaufschiebbar ist. Solche Eilfälle liegen oftmals vor. § 3 Abs. 3 SOG, nach dem der Schutz privater Rechte nur im Ausnahmefall in die Kompetenz der Behörden fällt, spielt keine Rolle, wenn mit zivilrechtlichen Beeinträchtigungen auch Straftatbestände vorliegen (man denke nur an die Nötigung, § 240 StGB), sodass schon deshalb ein Eingriff des Staates notwendig wird.

2. Örtlich

Die Polizei hat die Allzuständigkeit auf dem Gebiet Hamburgs, bei den Verwaltungsbehörden ist dies im Einzelfall zu prüfen.

II. Verfahren

Eine Anhörung ist bei eingreifenden Polizeimaßnahmen entbehrlich, wenn Gefahr im Verzug besteht, § 28 Abs. 2 Nr. 1 HmbVwVfG. Im Zweifel kann die Anhörung ohnehin nachgeholt werden, § 45 Abs. 1 Nr. 3 HmbVwVfG. Gleiches gilt für Verwaltungsbehörden.

III. Form

Formprobleme bestehen in der Regel – angesichts der grundsätzlichen Formfreiheit für Verwaltungsakte, § 37 Abs. 2 Satz 1 HmbVwVfG – nicht.

C. Materielle Rechtmäßigkeit

I. Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage (Tatbestandsvoraussetzungen)

Hier sind nur die einzelnen Voraussetzungen der jeweiligen Ermächtigungsgrundlage zu prüfen. Insofern wird auf die Checklisten bei den jeweiligen Befugnissen verwiesen (B., C. und D.), dort konkret auf „Tatbestandsvoraussetzungen“.

II. Verantwortlichkeit

Im Rahmen des Prüfungspunktes Verantwortlichkeit ist zu prüfen, wer Adressat der Maßnahme sein kann, also ob die Voraussetzungen als Verhaltensverantwortlicher (§ 8 SOG), Zustandsverantwortlicher (§ 9 SOG) oder subsidiär Nichtverantwortlicher (§ 10 SOG) vorliegen. Die Einzelheiten dazu sind unter B. I.3. entfaltet. Sind mehrere Personen auswählbar, ist die konkrete Auswahl im Rahmen des Auswahlermessens zu thematisieren (s. unter B. I.4.b.cc.).

III. Allgemeine Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen

Hier können anlassbezogene andere Rechtsprobleme thematisiert werden. Insoweit ist an die Vorgabe des § 37 Abs. 1 HmbVwVfG zu erinnern, nach dem Verwaltungsakte inhaltlich hinreichend bestimmt sein müssen. Eine Begründung ist bei mündlichen Verwaltungsakten nach dem SOG, PolDVG und HafenSG grundsätzlich nicht erforderlich, vgl. § 39 Abs. 1 HmbVwVfG.

IV. Rechtsfolge: Ermessen

Soweit das Gesetz jeweils anordnet, die Behörde „kann“, „darf“ oder „ist befugt dazu“ Maßnahmen (zu) ergreifen, liegt eine Ermessensentscheidung vor (vgl. dazu die einzelnen Checklisten bei den jeweiligen Befugnissen). Nur in den seltenen Ausnahmefällen, in denen Normen im Polizei- und Ordnungsrecht den Behörden kein Ermessen einräumen, sondern eine bestimmte Maßnahme konkret und zwingend anordnen („müssen“), liegt eine gebundene Entscheidung vor.

Dies ist etwa im besonderen Gefahrenabwehrrecht der Fall, so etwa bei der Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit (§ 35 Abs. 1 Satz 1 Gewerbeordnung: „Die Ausübung eines Gewerbes ist … zu untersagen, wenn …“). Wegen der Einzelheiten zum Ermessen und den jeweiligen Stufen einschließlich Verhältnismäßigkeitsprinzip wird auf B. I.4.b.bb. verwiesen. Zu prüfen ist jedenfalls:

1. Entschließungsermessen

2. Gestaltungsermessen: Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

a) Legitimer Zweck der Maßnahme

(§ 4 Abs. 1 Satz 1 SOG, Gefahrenabwehr, weiter zu konkretisieren)

b) Prüfung

aa) Geeignetheit (§ 4 Abs. 1 SOG)

bb) Erforderlichkeit (§ 4 Abs. 2 und 4 SOG)

cc) Angemessenheit (§ 4 Abs. 3 und ggf. § 5 SOG)

3. Auswahlermessen

V. Sonstiges

Hier sollten noch „Nebennormen“ (in den Checklisten „Maßnahmenspezifische Verfahrens- und Formerfordernisse“) zu Modalitäten geprüft werden, angefangen von Richtervorbehalten über Belehrungspflichten bis hin zu Benachrichtigungsrechten (z. B. § 13 a–c SOG, § 16 Abs. 3 bis 5 mit § 16 a SOG). Diese Elemente können – auch gut vertretbar – unter der „Formellen Rechtmäßigkeit“ ergänzend geprüft werden. Nicht jede Verletzung führt indes zur Rechtswidrigkeit der gesamten Maßnahme. Insoweit ist hinsichtlich der Konsequenzen eine Einzelbetrachtung nötig.

c) Kooperationsformen

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Der Staat kann in verschiedenen Formen Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abwehren. Dazu stehen ihm verschiedene Handlungsformen zur Verfügung, die von allgemeinen bis zu konkreten Maßnahmen reichen. Von Bedeutung sind aber auch Kooperationen, insbesondere mit Polizeivollzugsbeamten des Bundes und anderer Länder und Bediensteten ausländischer Staaten, wie sie in § 30 a SOG fixiert und etwa auch beim G-20-Einsatz im Jahr 2017 zum Einsatz gekommen sind. Spiegelbildlich können nach § 30 b SOG auch hamburgische Polizeivollzugsbeamte außerhalb Hamburgs tätig werden, soweit dies insbesondere auch im Recht des Partnerlandes festgeschrieben ist.

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Kooperationen bestehen im Übrigen auch zwischen Polizei und privatem Sicherheitsgewerbe auf Hamburger Landesebene. Schon nach § 43 Abs. 2 der Versammlungsstättenverordnung hat der Betreiber für Versammlungsstätten mit mehr als 5.000 Besucherplätzen im Einvernehmen mit den für Sicherheit oder Ordnung zuständigen Behörden, insbesondere der Polizei, der Feuerwehr und den Rettungsdiensten, ein Sicherheitskonzept aufzustellen. Im Sicherheitskonzept sind die Mindestzahl der Kräfte des Ordnungsdienstes, gestaffelt nach Besucherzahlen und Gefährdungsgraden, sowie die betrieblichen Sicherheitsmaßnahmen und die allgemeinen und besonderen Sicherheitsdurchsagen festzulegen. Weitere Kooperationen existieren in den Business Improvement Districts in der Stadt („Beobachten und Melden“). Die Zusammenarbeit am Flughafen und den Bahnhöfen betrifft dagegen vor allem das Verhältnis zwischen Bundespolizei und Sicherheitsgewerbe.197

2. Generalklausel, § 3 Abs. 1 SOG

Kristin Pfeffer

a) Vorbemerkung

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Wird im Polizei- und Ordnungsrecht von der „Generalklausel“ gesprochen, so geht es regelmäßig um die allgemeine Ermächtigung zum Ergreifen von „Maßnahmen zur Gefahrenabwehr“ „im Einzelfall“, § 3 Abs. 1 SOG. Dabei findet sich eine ganz ähnlich strukturierte Generalklausel mit einer Ermächtigungsgrundlage zum Erlass von Gefahrenabwehrverordnungen in § 1 Abs. 1 SOG (zu dieser Handlungsform im Ordnungsrecht, vgl. B.I.1.a.). Statt um die Abwehr konkreter Gefahren, wie bei § 3 Abs. 1 SOG, geht es bei der Verordnungsermächtigung um die Bekämpfung abstrakter Gefahren (zur Unterscheidung dieser Gefahr von der konkreten Gefahr unter B. I.2.g.aa.2.).

b) Struktur

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Die beiden Generalklauseln des SOG sind gleich aufgebaut. Die Tatbestandsseite normiert jeweils die Eingriffsvoraussetzungen: Als Schutzgüter müssen die „öffentliche Sicherheit oder Ordnung“ betroffen sein. Für eines dieser beiden Schutzgüter muss eine „Gefahr“ oder bei § 3 Abs. 1 SOG alternativ bereits eine Störung vorliegen. Auf Rechtsfolgenseite besteht ausdrücklich (§ 3 Abs. 1 SOG) oder konkludent (§ 1 Abs. 1 SOG, „wird ermächtigt“) Ermessen (zum Ermessen vgl. B.I.4.).

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In § 3 SOG werden die ordnungsbehördlichen und polizeilichen Aufgaben (Schutz der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung) und die Befugnis zum Treffen der „erforderlichen Maßnahmen“ gemeinsam innerhalb einer Norm geregelt. Dennoch sind Aufgabe und Befugnis bei Grundrechtseingriffen strikt auseinanderzuhalten: Aus der Aufgabe ergibt sich noch nicht die Befugnis für Maßnahmen mit Eingriffscharakter. Hier kann „von der Aufgabe nicht auf die Befugnis geschlossen werden“198. Die bloße Aufgabenzuweisung (sachliche Zuständigkeit) ist lediglich hinreichend für ein Tätigwerden, das nicht mit einem Grundrechtseingriff verbunden ist (z. B. Streifenwagenfahrt, Warnung vor Gefahren, Öffentlichkeitsarbeit per Facebook und Twitter199, u. U. Gefährderansprache). Die vom Gesetzesvorbehalt geforderte Ermächtigungsgrundlage für einen Eingriff in Grundrechte des Betroffenen durch die Polizei ergibt sich erst aus der Befugnisnorm.200

In einigen Bundesländern werden Aufgabe und Befugnis daher jeweils in getrennten Bestimmungen normiert, wodurch die Unterscheidung von Aufgabe und Befugnis deutlicher wird. Zusammengenommen stellen diese Bestimmungen dann dort die Generalklausel dar.201

c) Vereinbarkeit mit dem Vorbehalt des Gesetzes und dem Bestimmtheitsgebot

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Die Generalklauseln des SOG verwenden äußerst unbestimmte Gesetzesbegriffe, wie etwa „bevorstehende Gefahren“, „öffentliche Sicherheit oder Ordnung“ und „erforderliche Maßnahmen“. Dennoch werden diese nach überwiegender Auffassung als vereinbar mit dem Vorbehalt des Gesetzes und dem Bestimmtheitsgebot angesehen. Zum einen, weil diese unbestimmten Rechtsbegriffe inzwischen durch die Rechtsprechung und Dogmatik konkretisiert worden sind.202

Begonnen hat diese Entwicklung mit dem berühmten Kreuzberg-Urteil des 1875 geschaffenen Preußischen Oberverwaltungsgerichts vom 14. 06. 1882. Das Polizeipräsidium in Berlin hatte eine Verordnung erlassen, wonach in dem das Siegesdenkmal auf dem Kreuzberg umgebenden Bauviertel Gebäude nur in solcher Höhe errichtet werden durften, dass dadurch die Aussicht vom Fuße des Denkmals auf die Stadt und umgekehrt die Aussicht auf das Denkmal nicht beeinträchtigt wurde. Die Verordnung war auf die damalige polizeiliche Generalklausel, § 10 II 17 des Preußischen Allgemeinen Landrechts (ALR), gestützt: „Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung und zur Abwendung der dem Publico, oder einzelnen Mitgliedern desselben, bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der Polizey“. Das Gericht urteilte, dass sich das Polizeipräsidium nicht auf § 10 II 17 ALR berufen konnte, da es sich nicht um die Abwehr einer Gefahr gehandelt habe, sondern nur um die „Förderung des gemeinen Wohls“203.

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Zum anderen sind die Generalklauseln als flexible Gefahrenabwehrinstrumente notwendig, um angemessen auf neuartige polizeiliche Herausforderungen reagieren zu können (Befugnisreserve).204 Bei besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriffen fordert der Vorbehalt des Gesetzes in Verbindung mit dem Bestimmtheitsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) jeweils genauere spezialgesetzliche Eingriffsermächtigungen.205 Hierbei gilt: Je grundrechtsintensiver die Maßnahme ist, desto bestimmter muss die Regelung sein. Auch neuartige grundrechtsintensive polizeiliche Maßnahmen können u. U. vorübergehend auf die polizeiliche Generalklausel gestützt werden. Hierdurch soll den Behörden ermöglicht werden, „auf unvorhersehbare Gefahrensituationen auch mit im Grunde genommen näher regulierungsbedürftigen Maßnahmen vorläufig zu reagieren“ und dem Gesetzgeber ermöglicht werden, eventuelle Regelungslücken zu schließen.206 Dies gilt jedoch nur für eine Übergangszeit.207

Es ist Aufgabe der Legislative, auf aktuelle Entwicklungen mit neuen Eingriffsbefugnissen zu reagieren. Schaffen die Parlamente für besonders grundrechtsintensive Maßnahmen keine Standardbefugnisnormen, dann bleibt diese Maßnahme dem Handlungsrepertoire der Exekutive entzogen.208

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Dies ist der verfassungsrechtliche Hintergrund für die ständige Erweiterung des Katalogs der „besonderen Maßnahmen“ (Standardbefugnisse) in den Polizeigesetzen. Die Schaffung des PolDVG im Jahr 1991209 geschah in Reaktion auf das Volkszählungsurteil des BVerfG210 und dient vor allem Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Allein hierdurch hatte sich der Umfang der Standardmaßnahmen mehr als verdoppelt (s. zum PolDVG unter C. I.).

d) Praktische Bedeutung des § 3 Abs. 1 SOG

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Mit der immer weiter fortschreitenden Erweiterung des Katalogs der Standardmaßnahmen durch die Kodifizierung spezieller Eingriffsbefugnisse nimmt auch die praktische Bedeutung der Generalermächtigung ab.211 Existierten im Preußischen Polizeiverwaltungsgesetz vom 01. 06. 1931 (PrVG) neben der Generalklausel nur drei Standardmaßnahmen (Gewahrsam, Eindringen in Wohnungen, Vorladung, §§ 15–17 PrVG)212, so wuchs die Anzahl im Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes aus dem Jahre 1977 bereits auf neun an. Durch verschiedene Novellen des Hamburgischen SOG und des PolDVG etwa 2005213 und zuletzt umfangreich im Jahr 2019214 ist der Katalog der Standardmaßnahmen auch im Hamburgischen Polizeirecht erheblich angewachsen.215

e) Checkliste Rechtmäßigkeit

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• Tatbestandsvoraussetzungen

• öffentliche Sicherheit oder Ordnung

• bevorstehende Gefahr oder Störung

• Rechtsfolge

• erforderliche Maßnahmen

• Ermessen

• Adressat nach §§ 8–10 SOG

• Zuständigkeits-, Verfahrens- und Formerfordernisse

• zuständige Gefahrenabwehrbehörde

• Subsidiarität der Generalklausel

• Benachrichtigung, § 3 Abs. 1 Satz 2 SOG

• allgemeine Verfahrenserfordernisse

f) Betroffene Grundrechte

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Da die Generalklausel des § 3 Abs. 1 SOG selbst naturgemäß keine spezifische Maßnahme vorsieht („erforderlichen Maßnahmen“), kann auch ein jeweils betroffenes Grundrecht nicht generell benannt werden. Auf die für alle möglichen Maßnahmen zutreffenden Ausführungen unter A.III.3.a. wird verwiesen.

g) Einzelerläuterungen
aa) Tatbestandsvoraussetzungen
(1) Öffentliche Sicherheit oder Ordnung

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„Öffentliche Sicherheit oder Ordnung“ – das sind die beiden Schutzgüter sowohl in der Generalklausel des § 3 Abs. 1 SOG und in der Generalklausel für Verordnungen, § 1 SOG, als auch bei einigen „besonderen Maßnahmen“ ausdrücklich216 und konkludent immer dort, wo keine bestimmten Schutzgüter genannt werden, aber von „Gefahrenabwehr“ o. Ä. die Rede ist.217

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Durch die „besonderen Maßnahmen“ oder Standardbefugnisse werden dagegen meist nur ganz bestimmte, besonders hochrangige Güter geschützt. Dann heißt es dort stattdessen etwa „Leib oder Leben“218, „Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder Sachen von bedeutendem Wert“219, „zur Verhütung von Straftaten“220, oder es geht um „Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung“221.

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„Öffentliche Sicherheit oder Ordnung“ sind auch die beiden Schutzgüter einiger Maßnahmen der Datenerhebung und -weiterverarbeitung durch die Vollzugspolizei im PolDVG, soweit diese Befugnisse auf die „Erfüllung einer bestimmen polizeilichen Aufgabe“222 verweisen oder selbst bestimmte Schutzgüter gar nicht nennen und allein von „Gefahr“223 o. Ä. sprechen.

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Der Schutz der öffentlichen Sicherheit umfasst und fordert die Durchsetzung der in der objektiven Rechtsordnung normierten Verhaltenspflichten, der verfassungsmäßigen Ordnung, den Schutz der Rechtsgüter und Rechte des Einzelnen, den Schutz von Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates und sonstiger Hoheitsträger.224

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Zur objektiven Rechtsordnung zählt die Gesamtheit der Rechtsvorschriften, die verfassungsmäßig erlassen worden sind und in Geltung stehen. Sie meint also das gesamte geschriebene objektive Recht.225 Umfasst sind daher insbesondere Straf- und Ordnungswidrigkeitsbestimmungen, woraus sich die ordnungsbehördliche und vollzugspolizeiliche Aufgabe der Verhütung und vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten ergibt. Umfasst sind aber auch nicht strafbewehrte, öffentlich-rechtliche Gebots- und Verbotsnormen. Insoweit dient die Generalklausel der Durchsetzung spezialgesetzlicher Verhaltenspflichten, für die das Spezialgesetz selbst keine Durchsetzungsermächtigung enthält. Durch Auslegung ermittelbare Schutzzwecke von Gesetzen und Verordnungen sind ebenfalls von dem Schutzgut der öffentlichen Sicherheit umfasst.226

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Bestandteil der öffentlichen Sicherheit ist auch die Unversehrtheit der verfassungsmäßigen Ordnung.227

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Mit dem Schutz der Rechtsgüter und Rechte des Einzelnen dient die öffentliche Sicherheit auch dem Individualrechtsschutz. Gemeint sind hierbei Rechtsgüter, wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Ehre und Besitz. Diese wichtigen Individualrechtsgüter sind zugleich grundgesetzlich geschützt und damit bereits als Teil der verfassungsmäßigen Ordnung vom Schutzgut der öffentlichen Sicherheit erfasst. Zugleich werden diese Rechtsgüter durch die objektive Rechtsordnung, insbesondere hier durch das Strafrecht, geschützt.228

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Der polizeiliche Schutz rein privater Rechte erfolgt gem. § 3 Abs. 3 SOG nur subsidiär. Die private Rechtsverfolgung und Streitschlichtung obliegt gemäß § 3 Abs. 3 SOG grundsätzlich der ordentlichen Gerichtsbarkeit.

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Unabhängig von dieser Regelung ergibt sich die Subsidiarität aus der Beschränkung des Schutzgutes auf die „öffentliche“ Sicherheit und aus dem verfassungsrechtlichen Gewaltenteilungsprinzip.229 Aus dieser Subsidiarität folgt, dass der Bürger seine zivilrechtlichen Forderungen selbst einklagen oder sichern muss. Er kann die Polizei hierfür grundsätzlich nicht instrumentalisieren.

Rein private Rechte in diesem Sinne sind nur solche, die allein im Privatrecht begründet sind, z. B. privatrechtliche Forderungen aus einem Kauf- oder Mietvertrag. Nicht nur rein privates Recht, sondern auch die objektive Rechtsordnung ist betroffen, wenn die Verletzung zivilrechtlicher Normen bereits durch das Strafrecht oder öffentliches Recht sanktioniert wird.230 Dies ist z. B. beim Verstoß gegen die Unterhaltspflicht der Fall, § 170 StGB, oder beim Parken vor einer privaten Grundstückseinfahrt, §§ 12 Abs. 3 Nr. 3, 49 Abs. 1 Nr. 12 StVO.231

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Lediglich ausnahmsweise, d. h. subsidiär, ist es auch Aufgabe der Polizei, rein private Recht zu sichern: Dies ist der Fall, wenn eine gerichtliche Rechtsdurchsetzung nicht rechtzeitig möglich ist und ohne Hilfe der Polizei bzw. Ordnungsverwaltung die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert würde, § 3 Abs. 3 SOG.232

So kommen polizeiliche Maßnahmen zur Sicherung der privaten Rechtsverfolgung in Betracht, wenn der Anspruchsgegner unbekannt ist. Hier kann z. B. eine Identitätsfeststellung zur Ermittlung des Halters eines Fahrzeuges zur Geltendmachung von Abschleppkosten wegen rechtswidrigen Parkens in einer Grundstückseinfahrt vorgenommen werden.

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Nicht einheitlich beantwortet werden kann die Frage, ob die Polizei- und Ordnungsbehörden auch die Aufgabe haben, den Bürger vor Selbstschädigung zu schützen. Bejaht werden kann dies für den Fall einer ungewollten oder unbewussten Selbstschädigung. Die bewusste, autonom verantwortete Selbstgefährdung, z. B. durch das Betreiben gefährlicher Sportarten oder eine Selbstschädigung durch übermäßigen Nikotin- oder Alkoholgenuss, hingegen ist durch die Allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG geschützt.233

Keine bloße Selbstgefährdung ist anzunehmen, wenn zugleich auch Dritte mitgefährdet werden.234 Z. B. beim Badengehen in stürmischer und damit gefährlicher See, wenn Rettungsschwimmer regelmäßig tätig werden müssen und damit auch gefährdet werden.235 Nach einer bisher herrschenden Ansicht sollte das eigene Leben dagegen der Verfügungsgewalt des Einzelnen gänzlich entzogen sein, sodass die Polizei- oder Ordnungsbehörde zur Verhinderung eines Suizids einschreiten kann. Überwiegend wurde mit einer Schutzpflicht des Staates für das Leben als höchstes Schutzgut (aus Art. 2 Abs. 2 i. V. m. Art. 1 Abs. 1, Abs. 3 GG) argumentiert. Nach der neuesten Rechtsprechung des BVerfG umfasst das allgemeine Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, jedoch auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben.236 Bei einem erkennbar überlegten Selbsttötungsentschluss scheidet ein Einschreiten daher aus. Ein Einschreiten kommt aber immer dann noch in Betracht, wenn nicht mit einer vollständigen Freiverantwortlichkeit zu rechnen ist.237 Eine psychische Ausnahmesituation dürfte in vielen Fällen des Suizids anzunehmen sein.238 Dann wäre außerdem die Ingewahrsamnahme nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 SOG tatbestandsmäßig.

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Mit dem Schutz von Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates und sonstiger Hoheitsträger erhält die öffentliche Sicherheit eine gemeinschaftsbezogene Dimension.239 Einrichtungen und Veranstaltungen von Hoheitsträgern werden auch dann geschützt, wenn kein Verstoß gegen Rechtsnormen vorliegt.

Beispiele für staatliche Einrichtungen und Veranstaltungen sind Obdachlosenheime, Kasernen, der Bundestag, der sog. „Zapfenstreich“, das Treffen der Staats- und Regierungschefs auf dem G20-Gipfel in Hamburg 2017 usw.

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Damit die grundgesetzlich garantierten Freiheiten, über die geschriebene objektive Rechtsordnung hinaus, nicht übermäßig eingeschränkt oder gar ausgehöhlt werden, ist das Schutzgut der Integrität staatlicher Einrichtungen und Veranstaltungen sehr zurückhaltend zu handhaben.240

Meist wird der Schutz aber bereits durch vorhandene Rechtsvorschriften gewährleistet sein, etwa durch den Tatbestand des Friedens- und Hochverrats, §§ 80 ff. StGB, des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, § 113 StGB, des Hausfriedensbruchs, § 123 StGB, oder der Nötigung gem. § 240 StGB bei der Behinderung der Aufgabenerfüllung von Behörden.241

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Unter der öffentlichen Ordnung versteht man all jene „ungeschriebenen Regeln“, deren Befolgung nach den „jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen“ als „unentbehrliche Voraussetzung für ein gedeihliches Miteinanderleben“ der innerhalb einer bestimmten Gegend lebenden Menschen angesehen wird (ungeschriebenes sozialethisches Minimum).242

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Anders als beim Begriff der öffentlichen Sicherheit ist die Verfassungsmäßigkeit des Tatbestandsmerkmals der öffentlichen Ordnung umstritten.243 In einigen Bundesländern wird auf dieses Tatbestandsmerkmal in der Generalklausel inzwischen sogar ganz verzichtet.244 Zum einen wird betont, dass die Verhaltenspflichten der Bürger anders als noch im vorletzten Jahrhundert inzwischen derart ausdifferenziert parlamentarisch geregelt sind (Verrechtlichung), dass für ungeschriebene Verhaltensregeln kaum noch Raum bleibt.245 Gem. BVerfG fordert auch das Demokratieprinzip in Art. 20 Abs. 2 GG (Gewaltenteilung), dass die Legislative ihre „vornehmste Aufgabe“ selbst wahrnimmt, nämlich „jede Ordnung eines Lebensbereichs durch Sätze objektiven Rechts“ auf eine Willensentschließung der vom Volke bestellten Gesetzgebungsorgane zurückzuführen und dabei „unter Abwägung der verschiedenen, unter Umständen widerstreitenden Interessen über die von der Verfassung offen gelassenen Fragen des Zusammenlebens zu entscheiden“.246 Daneben bleibt in Hamburg – wie in den meisten Bundesländern – dem Senat noch die Möglichkeit, mit Gefahrenabwehrverordnungen schnell auf neue Gefahren zu reagieren, § 1 SOG (dazu B. I.1.a.).247 Dabei ergibt sich die Notwendigkeit, die Gefahrensituation in einen abstrakt und generell formulierten Tatbestand zu fassen (dazu unten B. I.2.d.aa.2.).

Beispiele:

Alkoholkonsumverbote auf Plätzen, Verbote gegen das sog. Cornern im Schanzenviertel, Verkaufsverbote, Ausgehbeschränkungen u. Ä. während der Corona-Pandemie usw.

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Die in der Rechtsprechung bisher unter die öffentliche Ordnung subsumierten Fälle lassen sich regelmäßig bereits über den Rückgriff auf die „öffentliche Sicherheit“ lösen. Ein Auffangtatbestand, wie die öffentliche Ordnung, erscheint deshalb überflüssig.248 Denjenigen, die die „öffentliche Ordnung“ als nötigen Auffangtatbestand für neuartige Gefahrensituationen als notwendig erachten, kann entgegnet werden, dass auch unbekannte Gefahren für Rechtsgüter (Leben, Gesundheit, Persönlichkeitsrecht usw.) bereits von der objektiven Rechtsordnung abgedeckt sind.249

Beispiele:

Ein Rückgriff auf die öffentliche Ordnung ist für den Fall der Obdachlosigkeit gar nicht notwendig, weil Leben und Gesundheit bedroht sind.250 Bei Spielen, die die Tötung von Menschen simulieren, ist die Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG als Teil der öffentlichen Sicherheit (objektive Rechtsordnung) betroffen.251 Im Fall der offenen Drogenszene handelt es sich um Kriminalität nach dem BtmG. Auch wird u. U. auf Spielplätzen die Gesundheit spielender Kinder durch infizierte, weggeworfene Einmalspritzen bedroht.252 Maßnahmen können hier auf § 12 b Abs. 2 SOG gestützt werden.

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Zu Recht wird von den Kritikern des Begriffs der öffentlichen Ordnung auch darauf hingewiesen, dass sich in einer pluralistischen Gesellschaft immer weniger verbindliche gemeinsame Moralstandards identifizieren lassen.253 Daneben stellt sich hier auch vielfach das Problem eines Schutzes der Betroffenen „gegen sich selbst“.

Beispiele:

So wurde eine Live Peep-Show 1981 vom BVerwG als Verstoß gegen die guten Sitten angesehen.254 Eine Veranstaltung, bei der Kleinwüchsige durch kräftige Männer aus dem Publikum möglichst weit geworfen werden sollen, wurde u. a. unter Rückgriff auf die öffentliche Ordnung untersagt.255

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Eine sehr restriktive Auslegung des Schutzgutes „öffentliche Ordnung“ ist wegen Art. 5 und Art. 8 GG im Versammlungsrecht bei der Untersagung von Demonstrationen nach § 15 VersG256 geboten. Das BVerfG hat den Begriff der öffentlichen Ordnung im Versammlungsrecht nochmals konkretisiert:257

„Für den Begriff der öffentlichen Ordnung ist demgegenüber kennzeichnend, dass er auf ungeschriebene Regeln verweist, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertegehalt des Grundgesetzes zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird (…).“

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Durch die Einbindung des „Wertegehalts des Grundgesetzes“ in die Definition durch das BVerfG ist der Rückgriff auf die öffentliche Ordnung sehr eingeschränkt worden.258

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