Kitabı oku: «Handbuch Hamburger Polizei- und Ordnungsrecht für Studium und Praxis», sayfa 7
(2) Bevorstehende Gefahr oder Störung
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Eine „konkrete Gefahr“ ist erforderlich für Einzelfallmaßnahmen nach dem § 3 Abs. 1 SOG, für „besondere Maßnahmen“ nach §§ 11 ff. SOG auch dann, wenn im Tatbestand (nur) „Gefahrenabwehr“259 oder „Gefahr“260 normiert wurden. Entsprechendes gilt auch für Maßnahmen nach dem PolDVG.261
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Eine konkrete Gefahr wird definiert als eine Sachlage, die bei ungehindertem Geschehensablauf aus dem Blickwinkel eines verständigen Beobachters ex ante in absehbarer Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden an einem ordnungsrechtlich geschützten Rechtsgut führen wird.262
Einige Landespolizeigesetze enthalten Legaldefinitionen, vgl. § 2 Nr. 3 lit. a BremPolG; § 3 Abs. 3 Nr. 1 SOG MV; § 3 Nr. 1 lit. a NdsSOG; § 3 Nr. 3 lit. a SOG LSA; § 54 Nr. 3 lit. a ThürOBG.
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Hat sich eine Gefahr bereits realisiert, ist also ein geschütztes Rechtsgut bereits verletzt worden oder dauert die Verletzung noch an, so liegt eine „Störung“ vor.263
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Die konkrete Gefahr ist von der abstrakten Gefahr abzugrenzen, auf die es beim Erlass von Verordnungen (abstrakt-generelle Regelung) nach § 1 SOG ankommt (vgl. B.I.1.a.). Eine abstrakte Gefahr liegt vor, wenn nach den Erfahrungen des täglichen Lebens bei bestimmten Arten von Verhaltensweisen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit im Einzelfall ein Schaden an einem polizeilich geschützten Rechtsgut eintreten wird.264 Im Gegensatz zur konkreten Gefahr wird also bei der abstrakten Gefahr nicht auf eine bestimmte konkrete Situation, sondern auf die typischen Konsequenzen eines Verhaltens abgestellt, d. h. es werden allgemeine Erwägungen für generelle Fälle in typisierter Form angestellt.265 Dadurch wird freilich der Grundrechtseingriff vorverlagert.266
Beispiel:
Insbesondere Glasflaschenverbots- oder Alkoholkonsumverbotsverordnungen in Städten oder Gemeinden sind daher von den Verwaltungsgerichten häufig als rechtswidrig angesehen worden.267
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Der Gefahrenbegriff erfordert eine Prognose des hypothetischen Geschehensablaufs (Blickwinkel eines verständigen Beobachters ex ante).268 Insoweit besteht kein Beurteilungsspielraum.269 Die Prognoseentscheidung ist später voll gerichtlich überprüfbar.270 Allerdings muss sich das überprüfende Gericht in die Situation hineinversetzen, die sich dem Beamten aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte (Indiztatsachen)271 und den Erfahrungen des täglichen Lebens darbot, als er seine Entscheidung über ein Einschreiten zu fällen hatte („ex ante“).272 Dabei kommt es gerade nicht darauf an, wie sich die damalige Lage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung im Nachgang darstellt.273 Hierauf kommt es auch bei der Abgrenzung der Begriffe „Anscheinsgefahr“ und „Scheingefahr“ (s. unten) an. Anders ist dies allerdings auf der Kostenebene (dazu unter B. V.).
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Die ganz überwiegende Ansicht vertritt heute einen subjektiven Gefahrenbegriff: Subjektiv insoweit, als es auf den Wissenshorizont eines durchschnittlichen und sorgfältigen Beamten ankommt.274 Gefahrensituationen sind regelmäßig durch Eile geprägt. Es würde einer effektiven Gefahrenabwehr zuwiderlaufen, wenn einem sorgfältig handelnden Beamten der Vorwurf der Rechtswidrigkeit gemacht werden könnte, obwohl er sorgfältig gehandelt hat.275
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Das Merkmal „in absehbarer Zeit“ fordert, dass der Schaden nicht erst in ferner Zukunft droht, sondern in hinreichender zeitlicher Nähe zu erwarten ist.276 Hier ist eine Bewertung im Einzelfall gefordert. Abstrakte zeitliche Grenzen lassen sich hier nicht angeben. Entscheidend ist, ob bei weiterem Zuwarten später noch eine effektive Gefahrenabwehr möglich sein wird. Keine Gefahr liegt jedenfalls vor im Zeitpunkt einer nur „latenten“ Störung, bei der es noch wesentlicher Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse bedarf, um eine Störung herbeizuführen.
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Bei einzelnen besonderen Maßnahmen und einzelnen Zwangsmaßnahmen wird eine größere zeitliche Nähe gefordert, etwa eine „unmittelbar bevorstehende Gefahr“277.
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Erforderlich ist kein fester Grad an Wahrscheinlichkeit. Vielmehr genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit. Je höher der drohende Schaden, desto geringer darf die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sein, um eine „Gefahr“ annehmen zu können und umgekehrt („je-desto-Formel“).278
Beispiel:
Nachbarn melden der Hamburger Polizei am Morgen „einen arabisch aussehenden Mann“, der einen schwarzen „Sprengstoffgürtel“ trägt und an der Ampel in Hamburg-Hamm „herumtänzelte“, bevor er in die gegenüberliegende Filiale der Agentur für Arbeit lief. 30 Streifenwagen mit 60 Einsatzkräften der Hamburger Polizei riegelten daraufhin das Gebäude ab. Schwerbewaffnete Spezialeinheiten stürmen die Filiale. Sie treffen auf den vermeintlichen Attentäter, einen Zahnarzt mit arabischen Wurzeln, der beim Joggen einen Gewichtsgürtel trug und seine Zahnarztpraxis in dem Gebäude hat.279 Die erhebliche Gefahr für Leib und Leben rechtfertigt dennoch die Annahme einer Gefahr. Die Maßnahmen waren danach rechtmäßig.
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Des Weiteren muss ein Schaden an einem geschützten Rechtsgut drohen oder eingetreten sein. Nach h. M. ist hierbei auf den durchschnittlich empfindenden Normalbürger abzustellen280 und die Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen. Die außergewöhnliche Empfindsamkeit Einzelner ist hingegen kein Maßstab.281
Insbesondere genügen bloße Belästigungen, Nachteile, Geschmacklosigkeiten oder Unbequemlichkeit noch nicht.282 Ort und Zeit spielen bei der Bewertung aber eine Rolle.283 Anzahl und Dauer von Belästigungen können zudem ein solches Maß erreichen, dass sie die Schwelle zum „Schaden“ und damit zur „Gefahr“ überschreiten (anhaltendes Hundegebell zur Nachtzeit, übermäßiges Glockengeläut, Gestank einer Schweinemästerei).284 Einige Tatbestände „der Belästigung“ sind von § 118 OWiG bzw. § 119 OWiG erfasst und bußgeldbewert („grob ungehörige“ bzw. „sexuell anstößige“ Handlungen). Liegen diese vor, handelt es sich um eine Störung der öffentlichen Sicherheit.
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Die Anscheinsgefahr bezeichnet eine Situation, in der der sorgfältige und durchschnittliche Beamte aus der Sicht ex ante aufgrund hinreichender Anhaltspunkte eine Gefahr annehmen musste, sich aber später herausstellt, dass gar kein Schaden drohte, also aus der Sicht ex post keine Gefahr vorlag.285 Weil es beim Gefahrenbegriff auf die Prognose eines verständigen Beobachters ex ante ankommt (dazu oben), wobei bei diesem nach h. M. die Kenntnis eines sorgfältigen Durchschnittsbeamten zu unterstellen ist (dazu oben), handelt es sich bei der Anscheinsgefahr um eine „echte“ konkrete Gefahr im polizeirechtlichen Sinne, die zum Einschreiten berechtigt. Die zu ihrer Abwehr getroffenen Maßnahmen gelten daher als rechtmäßig.286
Beispiel:
Die Stürmung einer von außen nicht einsehbaren Wohnung nach lautstarken Schreien, wenn sich nachher herausstellt, dass der Fernseher („Tatort“) eines Schwerhörigen die Ursache war.
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Selbstständige Bedeutung erlangt die „Anscheinsgefahr“ immer dann, wenn es später darum geht, ob der „Anscheinsstörer“ die Kosten der ordnungsbehördlichen bzw. polizeilichen Maßnahme zu tragen hat (dazu unter B. V.).
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Die Scheingefahr, auch Putativgefahr genannt, bezeichnet hingegen eine Situation, bei der der Beamte aufgrund eines vorwerfbaren Irrtums eine Gefahr angenommen hat, obwohl bereits aus der Sicht eines verständigen Betrachters, also auch aus der Sicht eines sorgfältigen Durchschnittsbeamten, ex ante keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine Gefahr vorlagen und die Situation sich auch ex post als ungefährlich darstellt.287 Daher ist die Scheingefahr keine „echte“ konkrete Gefahr.288 Ein polizeiliches Einschreiten aufgrund einer bloßen Scheingefahr ist rechtswidrig.289 Dies wirkt sich auch auf die Frage aus, ob der Adressat einer solchen rechtswidrigen Maßnahme die Kosten zu tragen hat (dazu unter B. V.).
Beispiel:
Die Polizei stürmt eine leicht einsehbare Wohnung im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses, nachdem sie aus der Wohnung laute Hilfeschreie wahrgenommen hat. Es stellt sich heraus, dass der 95-jährige schwerhörige Rentner, wie jeden Tag, einfach nur sehr laut seinen Fernseher eingeschaltet hat („Tatort“). Die Nachbarn wissen von der Schwerhörigkeit und dem lautem Fernseher schon seit langem.
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Der Gefahrenverdacht bezeichnet eine Situation, in der erste Anhaltspunkte eine Gefahr für möglich erscheinen lassen, es aus der Sicht eines verständigen Betrachters ex ante ohne weitere Ermittlungen aber noch nicht rechtfertigen, bereits eine endgültige Gefahrenprognose zu treffen.290 In Abgrenzung zur Anscheinsgefahr muss es sich um eine Situation handeln, die noch weitere Ermittlungen zu einer begründeteren Gefahrenprognose zulässt.291
Beispiel:
Ein Hamburgischer Polizeibeamter, zuständig für Jugendschutz, beobachtet mehrere Jugendliche zu später Stunde auf den Alsterterrassen an der Binnenalster beim Alkoholkonsum, wobei die Jugendlichen noch sehr jung aussehen. Es könnte ein Verstoß gegen das Jugendschutzgesetz vorliegen. Der Beamte hat das Alter der Jugendlichen noch nicht überprüft.
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Ist dagegen der drohende Schaden hoch und somit ein weiteres Zuwarten „zu riskant“, können auch schon wenige erste Anhaltspunkte ausreichen, um nach der „je-desto-Formel“ (s. oben B. I.2.) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts und damit eine „vollgültige Gefahr“ zu begründen.292 Inwieweit der bloße Gefahrenverdacht, ohne bereits eine „vollgültige“ Gefahr zu sein, bereits polizeiliche Maßnahmen rechtfertigt, ist im Einzelnen umstritten. Nach ganz h. M. sind grundsätzlich vorläufige Maßnahmen („Gefahrerforschungsmaßnahmen“) zur weiteren Aufklärung gerechtfertigt.293
Zum Teil werden im besonderen Ordnungsrecht spezielle Eingriffsermächtigungen bereits explizit für einem bloßen Gefahrenverdacht geregelt: § 13 Abs. 1 BBodSchG zu Sanierungsuntersuchungen und in § 15 Abs. 2, Abs. 3 BBodSchG die Verpflichtung zu Eigenkontrollmaßnahmen bei Altlasten durch den Pflichtigen (Umweltrecht). § 16 Abs. 2 Satz 1 Bundesinfektionsschutzgesetz erlaubt Maßnahmen zur Ermittlung von Tatsachen, die zum Auftreten einer übertragbaren Krankheit führen können (Infektionsschutzrecht).
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Unter Berufung auf die Entscheidung des BVerfG zu Überwachungsmaßnahmen nach dem BKA-Gesetz294 hat der bayrische Gesetzgeber die Rechtsfigur der „drohenden Gefahr“ in das Landespolizeigesetz (BayPAG) eingeführt,295 um auch im Vorfeld von „konkreten Gefahren“ polizeiliche Maßnahmen ergreifen zu können. Die sog. „drohende Gefahr“ als Eingriffsgrundlage stellt im polizeirechtlichen Regelungsgefüge in zweifacher Hinsicht eine Neuerung dar. Zum einen modifiziert bzw. erweitert sie den polizeirechtlichen Gefahrenbegriff. Zum anderen führt dies zu einem erweiterten Anwendungsbereich der polizeirechtlichen Generalklausel. Diese Vorverlagerung der Eingriffsbefugnisse wird unter Berufung auf den Bestimmtheitsgrundsatz und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vielfach als verfassungswidrig kritisiert.296
In Nordrhein-Westfalen war die Einführung des Begriffs „drohende Gefahr“ in das dortige Polizeigesetz ebenfalls vorgesehen. Nach eingehender Debatte und vielfacher Kritik wurde auf die Einführung verzichtet.297
bb) Rechtsfolge
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Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen der Generalklausel des § 3 Abs. 1 SOG vor, so haben Polizei und Ordnungsbehörden zum einen Ermessen, ob sie überhaupt tätig werden (Entschließungsermessen). Zum anderen besteht Ermessen bei der Frage, wie sie tätig werden (Auswahlermessen). Dies betrifft die Wahl der einzusetzenden Mittel und Maßnahmen, und bei verschiedenen Verantwortlichen die Auswahl des Adressaten der Maßnahme (zur Störerauswahl näher B. I.3.; zum Ermessen im Allgemeinen s. B. I.4.).
cc) Zuständigkeits-, Verfahrens- und Formerfordernisse
(1) Zuständige Gefahrenabwehrbehörde
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Die Generalklausel des § 3 Abs. 1 SOG weist die sachliche Zuständigkeit primär den „Verwaltungsbehörden im Rahmen ihres Geschäftsbereichs“ zu. Welche Behörde danach für welche Teilaufgabe zuständig ist, ergibt sich – soweit keine Spezialregelung existiert – aus den „Anordnungen zur Durchführung des SOG und des PolDVG“. Zuständig ist im Grundsatz jede Verwaltungsbehörde, weil die Zuständigkeit zur Gefahrenabwehr als Annex in den eigenen Zuständigkeitsbereich fällt, teilweise sind es aber auch die Bezirksämter. Die sachliche Zuständigkeit ist im Rahmen der formellen Rechtmäßigkeit der Maßnahme zu prüfen (dazu Prüfungsaufbau unter B. I.1.b.).
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Die Vollzugspolizei ist, sofern keine Spezialregelung besteht, nach § 3 Abs. 2 Satz 1 lit. a SOG subsidiär für ordnungsrechtliche Maßnahmen zuständig, wenn diese „unaufschiebbar sind“. Entscheidend ist also die zeitliche Dringlichkeit der Gefahrenabwehr. „Unaufschiebbare Maßnahmen“ (§ 3 Abs. 2 Satz 1 SOG) sind solche, bei denen ein Zuwarten bis zur Entscheidung der primär zuständigen Verwaltungsbehörde den Erfolg der Maßnahme vereiteln oder wesentlich erschweren würde.298 Sofern zunächst ausreichend, muss sich die Vollzugspolizei auf vorläufige Maßnahmen beschränken und alles weitere der zuständigen Verwaltungsbehörde überlassen.299 Als vorläufige Maßnahmen kommen innerhalb dieses „Rechts des ersten Zugriffs“ regelmäßig nur sichernde oder vorbeugende Maßnahmen in Betracht.300
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Auf welche Rechtsgrundlage die Vollzugspolizei ihr Eingreifen zu stützen hat, wenn sie im Rahmen ihrer Eilzuständigkeit im besonderen Ordnungsrecht an Stelle der eigentlich zuständigen Verwaltungsbehörde tätig wird, ist streitig. Teilweise wird hier vertreten, dass für die Vollzugspolizei dann die Regelungen des besonderen Ordnungsrechts (z. B. Umweltrechts) gelten, d. h. dieselben, wie auch für die primär zuständige Verwaltungsbehörde.301 Problematisch an dieser Ansicht ist die Tatsache, dass die erforderlichen speziellen Rechtskenntnisse vieler Gebiete des besonderen Ordnungsrechts in der Praxis von der Vollzugspolizei nur schwerlich vorausgesetzt werden können. Nach der vorzugswürdigen Gegenauffassung gelten für die Vollzugspolizei in derartigen Fällen materiell-rechtlich die Eingriffsbefugnisse des allgemeinen Polizeirechts im SOG – meist wird es hier die Generalklausel des § 3 Abs. 1 SOG sein – und nicht die spezialgesetzliche Regelung.302 Würde der Vollzugspolizei die Normkenntnis aus dem speziellen Ordnungsrecht abverlangt, was nicht leistbar ist, bestünde die Gefahr, dass die Vollzugspolizei insgesamt gehemmt ist, überhaupt einzuschreiten.303 Auch rechtsstaatlich scheint diese Ansicht vertretbar, da die Vollzugspolizei im Rahmen ihrer Eilkompetenz soweit wie möglich auf vorläufige Maßnahmen beschränkt ist.304
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„Im Zusammenhang mit den ihr obliegenden Aufgaben“ ist die Feuerwehr (Berufsfeuerwehr und Freiwillige Feuerwehren), § 3 Abs. 2 Satz 1 lit. b SOG, für unaufschiebbare Maßnahmen zuständig.
(2) Subsidiarität der Generalklausel
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Beide Generalklauseln des SOG sind nur einschlägig, wenn keine speziellere Eingriffsermächtigung vorliegt.
Dies ist bei der Ermächtigungsgrundlage zu prüfen (dazu Prüfungsaufbau unter B. I.1.b.).
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So tritt die Generalklausel des § 3 Abs. 1 SOG als subsidiär zurück, wenn die Voraussetzungen einer spezielleren Eingriffsermächtigung in einem spezielleren Gesetz vorliegen.
Das SOG wird dann von einer spezielleren Rechtsmaterie verdrängt, wie z. B. dem Infektionsschutzrecht, Ausländerrecht, Baurecht, Gewerberecht. Die polizeiliche Datenverarbeitung ist im PolDVG spezialgesetzlich geregelt (dazu C. I.), das Verwaltungsvollstreckungsrecht z. T. im HmbVwVG (dazu unter B.IV.).
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Der Anwendungsbereich der Generalklausel des § 3 Abs. 1 SOG ist des Weiteren nur eröffnet, wenn das SOG eine polizeiliche Befugnis nicht besonders regelt. Unter besonderen Regelungen im SOG sind die Bestimmungen über die sogenannten Standardbefugnisse305 oder Standardmaßnahmen zu verstehen (§§ 11 SOG ff.). Hier werden bestimmte, in der polizeilichen Praxis häufig wiederkehrende, Maßnahmen typisiert306 bzw. standardisiert307. Die Befugnis, eine Maßnahme des jeweiligen Typs zu ergreifen, kann dann nur der speziellen Standardbefugnis des SOG entnommen werden.
Beispiel:
Gestützt auf § 3 Abs. 1 SOG verfügt ein Polizeivollzugsbeamter zur Durchsetzung eines Platzverweises die zwangsweise Verbringung eines unter Entzugserscheinungen leidenden Drogensüchtigen vom Vorplatz des Hamburger Hauptbahnhofes in die weit abgelegene Boberger Dünen im Stadtteil Vierlande (Stadtrand von Hamburg, ca. 12 km entfernt). Dieser sog. „Verbringungsgewahrsam“ kann nicht auf § 3 SOG gestützt werden, da der Tatbestand der Ingewahrsamnahme als Standardmaßnahme im SOG abschließend geregelt ist und es sich hier zudem als Maßnahme auch nicht ausschließlich um eine Ingewahrsamnahme, sondern um ein „aliud“ handelt (dazu unter B.II.4.d.bb.1.).308
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Ein Rückgriff auf die Generalklausel für eine Maßnahme scheidet auch dann aus, wenn eine Standardmaßnahme der Rechtsfolge nach gewollt ist, der Tatbestand für diese Standardmaßnahme aber im konkreten Fall gar nicht erfüllt ist.309
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Auch wenn eine Maßnahme als solche gar nicht speziell geregelt wurde, aber durch systematische Auslegung, insbesondere durch Vergleich mit sehr „ähnlichen“ Standardmaßnahmen, darauf geschlossen werden kann, dass die geregelten Maßnahmen abschließend sein sollen („numerus clausus“ der Standardmaßnahmen310), so verbietet sich in diesem Fall auch ein Rückgriff auf die Generalklausel. Wichtiger Indikator einer solchen Sperrwirkung durch eine Standardmaßnahme ist eine vergleichbare oder sogar höhere Eingriffsintensität der zu ergreifenden Maßnahme.311 Gesetzesvorbehalt und Bestimmtheitsgebot erfordern dann erst recht auch für diese Maßnahme eine eigene spezielle Regelung.
Bespiel:
Wegen der Rechtsprechung des EGMR im Jahr 2009, wonach ein Gesetz zur nachträglichen Verlängerung von Sicherungsverwahrungen gegen das Rückwirkungsverbot (Art. 7 EMRK „nulla poena sine lege“) verstößt,312 wird ein ehemals sicherungsverwahrter Sexualstraftäter, bei dem laut Gutachten noch immer eine hohe Wahrscheinlichkeit des Rückfalls besteht, aus der Sicherungsverwahrung entlassen. Er nimmt in Hamburg seinen Wohnsitz und wird, gestützt auf § 3 Abs. 1 SOG, seither durch fünf hamburgische Polizeibeamte rund um die Uhr observiert bzw. begleitet. Wegen der Schwere des Eingriffs kann die Maßnahme nicht auf § 3 Abs. 1 SOG gestützt werden (zur deshalb geschaffenen Standardbefugnis der polizeilichen Begleitung [§ 12 c SOG] s. B.II.6.).313
(3) Benachrichtigungspflicht, § 3 Abs. 2 Satz 2 SOG
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Nach Durchführung der unaufschiebbaren Maßnahme hat die Vollzugspolizei oder die Feuerwehr eine Benachrichtigungspflicht gem. § 3 Abs. 2 Satz 2 SOG. „Unverzüglich sind Feststellungen und Maßnahmen der zuständigen Verwaltungsbehörde mitzuteilen“. Die zuständige Verwaltungsbehörde darf die unaufschiebbaren Maßnahmen aufheben und ändern, § 3 Abs. 2 Satz 3 SOG. Diese Folgen sind die Konsequenz des „Rechts des ersten Zugriffs“.314