Kitabı oku: «Handbuch Hamburger Polizei- und Ordnungsrecht für Studium und Praxis», sayfa 8
(4) Allgemeine Verfahrenserfordernisse
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Weitere spezielle Verfahrensanforderungen werden in der Generalklausel naturgemäß nicht normiert, es gelten insoweit die allgemeinen Verfahrensanforderungen (ggf. Anhörung, Begründung usw.) des HmbVwfG. Diese sind im Rahmen der „formellen Rechtmäßigkeit“, insbesondere beim „Verfahren“ zu prüfen (s. B. I.1.b.).
3. Verantwortlichkeit, §§ 8–10 SOG
Guy Beaucamp
a) Allgemeines
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Die Vorschriften über die Verantwortlichen, auch Störer oder Adressat genannt, ergänzen die Generalklausel.315 Erweist sich eine Person im Nachhinein weder als handlungs- (§ 8 SOG) noch als zustandsverantwortlich (§ 9 SOG) und liegen die sehr restriktiven Voraussetzungen der Notstands- oder Nichtstörerhaftung (§ 10 SOG) ebenfalls nicht vor, war die gegen sie gerichtete polizeiliche Verfügung in der Regel rechtswidrig.316
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Um aus der Vielfalt der Lebenszusammenhänge die für die Gefahren relevanten Ursachen und darauf aufbauend die hierfür Verantwortlichen herauszufiltern, verwendet die h. M. die Theorie der unmittelbaren Verursachung.317 D. h. nur derjenige wird als Störer betrachtet, dessen Verhalten oder dessen Sache die Gefahrengrenze überschreitet und die unmittelbare Ursache für den Gefahreneintritt setzt. Es kommt hierbei auf die wertende Betrachtung des Einzelfalls an, sodass man nicht generell sagen kann, der letzte Verursachungsbeitrag sei derjenige, der die Gefahrengrenze überschreite.318 Ein nur indirekter, mittelbarer Beitrag zur Gefahr wird als Veranlassung bezeichnet und führt typischerweise nicht zur polizeirechtlichen Verantwortlichkeit.319
b) Handlungsverantwortlichkeit
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Wie die Formulierung des § 8 Abs. 1 SOG erkennen lässt, kann eine Person sowohl durch ihr Tun als auch durch Unterlassen für eine Gefahr verantwortlich sein (Verhaltensverantwortlicher). Die letztgenannte Variante ist allerdings nur einschlägig, wenn jemand einer Handlungspflicht nicht nachkommt.320 Beispiele hierfür wären die Schnee- und Eisräumpflicht des § 29 HmbWegeG oder die Pflicht der Unfallbeteiligten, eine Unfallstelle zu sichern (§ 34 StVO).
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§ 8 Abs. 1 SOG erlaubt auch ein Vorgehen gegen juristische Personen des Privatrechts, etwa eine Aktiengesellschaft oder eine Gewerkschaft.321 Hoheitsträger müssen das Polizei- und Ordnungsrecht ebenfalls beachten und haben in erster Linie selbst dafür zu sorgen, dass ihre Betätigung die übrige Rechtsordnung und damit die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht beeinträchtigt; anderenfalls wäre die gesetzlich vorgesehene Kompetenzordnung gefährdet.322 Ausnahmen von diesem Grundsatz sind allerdings für Not- und Eilfälle sowie für rein fiskalisches Handeln von Hoheitsträgern anerkannt – etwa das verkehrsbehindernde Abstellen von angelieferten Schulmöbeln auf dem Fußweg.323 Das Bundesverwaltungsgericht hat ebenfalls akzeptiert, dass eine Immissionsschutzbehörde Lärmgrenzwerte für ein gemeindliches Schwimmbad nach § 24 BImSchG festgelegt hat.324
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Umstritten ist die Frage, ob auch der sogenannte Zweckveranlasser Adressat polizeilicher Maßnahmen sein kann. Als Zweckveranlasser werden Personen angesehen, die eine Gefahr zwar nicht unmittelbar verursachen, aber das störende Verhalten objektiv hervorgerufen haben und zumindest damit einverstanden sind.325 Die Figur des Zweckveranlassers erfüllt das praktische Bedürfnis, die vielleicht uneffektive Heranziehung einer unbestimmten Personenmenge durch die Inanspruchnahme eines Einzelnen zu ersetzen.326
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Dennoch vermögen die für diese Rechtsfigur vorgebrachten Begründungen nicht zu überzeugen. Zunächst spielt im Polizei- und Ordnungsrecht die subjektive Einstellung, auf die eine Heranziehung des Zweckveranlassers teilweise gestützt wird, generell keine Rolle.327 Überdies wird der Zweckveranlasser das störende Verhalten Dritter häufig nicht wollen. Ein Geschäftsmann möchte z. B. erreichen, dass möglichst viele Passanten im Vorbeigehen sein Schaufenster betrachten, nicht aber, dass Ansammlungen Neuankömmlingen den Blick verstellen und Verkehrsbehinderungen auslösen. Die These, dass die Dritten nahezu zwangsläufig zu Störern werden, weil sie dem vom Zweckveranlasser gesetzten Impuls nicht widerstehen können, verkennt, dass es sich um zurechnungsfähige Erwachsene handelt, die eigene Entscheidungen treffen.328 Die Figur des Zweckveranlassers ermöglicht Grundrechtseingriffe, die nicht von einer hinreichend bestimmten Ermächtigungsnorm gedeckt sind und lässt sich folglich schwer mit dem rechtsstaatlichen Vorbehalt des Gesetzes vereinbaren.329 An ihre Stelle muss die Nichtstörerverantwortlichkeit (§ 10 SOG) treten.330
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Stellt sich später heraus, dass die Beamtinnen und Beamten bei der Annahme, jemand sei Störer, im Irrtum waren, kommt es auf die Vertretbarkeit dieses Irrtums an. Durfte ein sachkundiger und besonnener Amtsträger vor seiner Entscheidung (ex ante) annehmen, dass der Herangezogene Störer war (Anscheinsstörer), bleibt die ergriffene Maßnahme rechtmäßig.331 Anderenfalls kann die Heranziehung nur gemäß § 10 SOG gerechtfertigt werden.
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Als Handlungsstörer wird nach § 8 Abs. 2 SOG auch derjenige behandelt, der seiner Aufsichtspflicht für einen unter 14-jährigen Minderjährigen oder eine zu betreuende Person nicht nachkommt. Schließlich ist – wie in § 831 BGB – der Geschäftsherr gemäß § 8 Abs. 3 SOG für störende Ausführungshandlungen seiner Verrichtungsgehilfen verantwortlich. Unter Verrichtungsgehilfen versteht man Personen, die von Weisungen des Geschäftsherrn abhängig sind,332 also typischerweise Arbeitnehmer. Anders als im BGB steht dem Geschäftsherrn allerdings die Exkulpationsmöglichkeit des § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB im Polizei- und Ordnungsrecht nicht zur Verfügung.333 Die genannten Personen, also Aufsichtspflichtige und Geschäftsherren, können zusätzlich neben oder an Stelle des eigentlichen Verursachers herangezogen werden.334
c) Zustandsverantwortlichkeit
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Zustandsverantwortlicher ist der Eigentümer (§ 9 Abs. 1 Satz 1 SOG) oder der Besitzer (§ 9 Abs. 1 Satz 3 SOG) einer gefahrbringenden Sache, also etwa eines bissigen Hundes oder eines Fahrzeugs mit defekter Bremsanlage. Der gefährliche Zustand muss nicht bewusst herbeigeführt worden sein. Er kann auf Naturereignissen oder der Lage einer Sache im Raum beruhen.335 Ist der Eigentümer unbekannt oder abwesend, wird die Polizei nach § 9 Abs. 1 Satz 3 SOG auf den zugreifen, der die tatsächliche Gewalt über die Sache hat.336 Hier kommen etwa Halter von Autos, Mieter, Pächter, Verwahrer, Wohnungs- oder Insolvenzverwalter in Frage.337 Das Alter, die Einsichts- oder Verschuldensfähigkeit oder die Weisungsgebundenheit haben für die Zustandshaftung keine Bedeutung.338
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§ 9 Abs. 1 Satz 2 SOG macht deutlich, dass die Aufgabe des Eigentums (Dereliktion) nicht von der Zustandshaftung befreit. Deshalb bleibt der frühere Eigentümer eines illegal im Wald „entsorgten“ Autos verantwortlich. Der Eigentumsaufgabe gleichgestellt wird die Veräußerung einer gefährlichen Sache, etwa eines Altlastengrundstücks, an eine vermögenslose (juristische) Person.339 Spezialnormen für Altlastenfälle finden sich in § 4 Abs. 3 und Abs. 6 BBodSchG.
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Kommt es zu einer Verbindung oder Vermischung der gefährlichen Sache mit anderen Sachen – zu denken ist hier etwa an eine Vermischung von ausgelaufenem Öl mit Flusswasser –, verhindert § 9 Abs. 1 Satz 3 SOG a. E., dass der Eigentumsuntergang zu einer Enthaftung führt.
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§ 9 Abs. 2 SOG legt fest, dass die Zustandshaftung des Eigentümers endet, wenn er – etwa durch einen Diebstahl oder eine Unterschlagung – jede Einwirkungsmöglichkeit auf sein Eigentum verliert. Jetzt muss nicht mehr er, sondern nur noch der aktuelle Inhaber der tatsächlichen Gewalt für den Zustand der Sache einstehen.
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Grenzen der Zustandsverantwortlichkeit werden aus Verhältnismäßigkeitsüberlegungen für solche Fälle diskutiert, in denen Eigentümer rein zufällig in die Verantwortungsposition geraten, etwa weil ein Tanklastzug mit giftigen Chemikalien gerade auf ihrem Grundstück verunfallt oder sich Jahrzehnte nach dem Kauf eines Grundstücks herausstellt, dass es durch frühere, unbekannte Eigentümer kontaminiert wurde.340 Als grobe Richtschnur mag hier eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dienen, die jedenfalls dann die Unzumutbarkeit einer Grundstückssanierung angenommen hat, wenn deren Kosten den Verkehrswert des Grundstücks nach Sanierung übersteigen und der aktuelle Eigentümer nicht Verursacher der Altlast ist.341
d) Maßnahmen gegen Dritte (Nichtstörer)
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Im Unterschied zu den bisher behandelten Handlungs- und Zustandsverantwortlichen hat der in § 10 SOG gemeinte Dritte, die abzuwehrende Gefahr oder die zu beseitigende Störung nicht verursacht. Deshalb können diese sogenannten Nichtstörer nur unter sehr strengen Voraussetzungen zu den in § 10 Abs. 2 SOG beispielhaft aufgezählten Unterstützungshandlungen verpflichtet werden. Ein Beispiel: Ein Fußballverein, in dessen Stadion ein Hochrisikospiel stattfindet, bei dem zu erwarten ist, dass rivalisierende Fangruppen gewalttätig werden, ist Nichtstörer. Dennoch hat es das OVG Hamburg aufgrund des § 10 SOG für zulässig gehalten, diesem Fußballverein aufzugeben, keine Eintrittskarten an den Gastverein abzugeben.342
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§ 10 Abs. 1 SOG formuliert drei ausdrückliche Bedingungen für die Heranziehung von Nichtstörern. Zunächst muss eine Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung bereits vorliegen oder eine Gefahr unmittelbar bevorstehen (zu diesen Begriffen s. B. I.2.b.). Sodann darf kein anderes Mittel zur Verfügung stehen, um der Gefahr bzw. Störung zu begegnen. Insbesondere muss der Erlass einer Verfügung gegen den Verantwortlichen ausscheiden, sei es, weil es keinen Verantwortlichen gibt, wie etwa bei wetterbedingten Gefahrenlagen, sei es, dass der Verantwortliche nicht oder nicht rechtzeitig greifbar ist, wie etwa bei einem entlaufenen wilden Tier.343 Die dritte geschriebene Bedingung des § 10 Abs. 1 SOG besteht darin, dass der Behörde ausreichende eigene Mittel und Kräfte zur Gefahrenabwehr fehlen müssen. Dies muss die Behörde belegen.344 So soll verhindert werden, dass die Verwaltung einen nicht verantwortlichen Bürger allein deshalb belastet, um Kosten zu sparen oder sich die Arbeit zu erleichtern.345 Die Behörde muss also alles ihr Mögliche und Zumutbare unternommen haben, z. B. auch andere Stellen um Amtshilfe gebeten haben, bevor sie auf den Nichtstörer zugreift.346
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Aus Verhältnismäßigkeitsgründen werden zwei weitere – im hamburgischen SOG nicht ausdrücklich niedergelegte – Anforderungen an die Heranziehung des Nichtstörers (auch: Notstandspflichtiger) gestellt. Zum einen darf die abzuwehrende Gefahr bzw. die zu beseitigende Störung keine Bagatelle darstellen, sie muss erheblich sein.347 Zum anderen muss man dem Nichtstörer persönlich zumuten können, tätig zu werden. Diese Bedingung ist nicht erfüllt, wenn die angesprochene Person physisch oder psychisch nicht in der Lage ist, zu helfen, sich durch die Unterstützung der Behörde in erhebliche Gefahr bringen oder anderweitige höherwertige Pflichten vernachlässigen würde.348 Ein konkretes Beispiel für den Einsatz des § 10 SOG wäre die Einweisung unfreiwillig Obdachloser in leerstehende Wohnungen Dritter, vorausgesetzt es gibt keinerlei Möglichkeit für die öffentliche Hand, anderweitig für Unterbringung zu sorgen.349
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Im Unterschied zu Handlungs- und Zustandsstörern hat der Nichtstörer einen Entschädigungsanspruch, der analog auch auf den Fall übertragen wird, dass ein Nichtstörer eine polizeiliche Verfügung befolgen muss, obwohl die strengen Voraussetzungen für seine Heranziehung nicht erfüllt waren.350 Auch dem Anscheinsstörer wird dieser Entschädigungsanspruch zugestanden, wenn er den Anschein einer Gefahr in nicht zurechenbarer Weise gesetzt hat.351
e) Störerauswahl
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Die Frage der Störerauswahl tritt auf, wenn mehrere Personen für eine Gefahr verantwortlich sind. In dieser Situation dürfen Verwaltungsbehörde oder Polizei nach Ermessen (s. B. I.4.b.cc.) entscheiden, wen sie als Adressaten einer Verfügung auswählen.352 Maßgebliches Auswahlkriterium ist dabei, welcher von mehreren Verantwortlichen die Gefahr bzw. Störung am schnellsten und wirksamsten beseitigt.353 Regelmäßig ist dabei jeder Störer für die gesamte Gefahr verantwortlich.354 Erst wenn es unklar ist, welcher Adressat zur effektivsten Gefahrenabwehr in der Lage ist oder wenn mehrere Störer die Gefahr gleich effektiv abwehren können, kommt es darauf an, wen die Gefahrenabwehr am wenigsten belastet.355 Als unverhältnismäßig wurde es allerdings bewertet, dass einem Störer, dem maximal 2 % Verursachungsanteil zugerechnet werden konnte, die volle Beseitigung der Störung aufgebürdet wurde.356
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Wegen der überragenden Bedeutung einer effektiven Gefahrenabwehr gibt es bei Maßnahmen der Gefahrenabwehr (sogenannte Primärebene) keine zwingend einzuhaltende Abstufung zwischen Verhaltens- und Zustandsstörern. Sie werden überwiegend als gleichrangig betrachtet.357
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Bei der Störerauswahl auf der Haftungsebene (sogenannte Sekundärebene) geht es um die Verteilung der Kosten nach einem Polizeieinsatz. Die Gefahr ist beseitigt, sodass das Effektivitätskriterium nicht mehr allein maßgeblich ist. Vielmehr erscheint es gerecht, die Kosten nach dem jeweiligen Verursachungsanteil auf die einzelnen Störer zu verteilen.358 Diese Grundregel gilt zumindest immer dann, wenn die verschiedenen Störer auffindbar und rechtlich noch existent sind.359 Manche Länderpolizeigesetze sehen eine gesamtschuldnerische Haftung mehrerer Störer ausdrücklich vor.360 Selbst wenn dies nicht gesetzlich verankert ist, erlaubt die h. M. den Behörden, von jedem einzelnen Störer den vollen Kostenbeitrag zu verlangen.361
4. Ermessen, insbesondere Verhältnismäßigkeit
Sven Eisenmenger
a) Ermessen – eine Einordnung
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Wenn man ein Gesetz zur Gefahrenabwehr kreiert, dann steht man vor einem Dilemma. Einerseits muss das Gesetz – schon wegen des Bestimmtheitsgrundsatzes gem. Art. 20 Abs. 3 GG (s. o. A.III.2.) – hinreichend präzise gefasst sein, also klare Lösungen bereithalten. Andererseits kann der Gesetzgeber nicht alle Situationen voraussehen, mithin auch nicht abschließend sämtliche denkbaren Gefahrensituationen detailliert aufführen, sondern er muss versuchen, das Gesetz so abstrakt zu formulieren, dass es allgemeingültig ist und auf eine Vielzahl von Situationen Anwendung finden kann.
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Eine Lösung dieses Dilemmas besteht nun darin, auf der Tatbestandsseite bzw. „Voraussetzungsseite“ einer Norm unbestimmte Rechtsbegriffe zu fixieren, wie etwa „Gefahr“ in § 3 Abs. 1 SOG, um eine Situation zu beschreiben, gleichzeitig aber der Praxis Flexibilität zu geben bei der Frage, was darunter zu verstehen ist. Eine zweite „Stellschraube“ besteht auf der Rechtsfolgenseite darin, der Verwaltung auch die Entscheidung zu übertragen, ob sie einschreitet, selbst wenn alle Voraussetzungen vorliegen. Lässt der Gesetzgeber im Wege von Formulierungen wie „darf … durchsucht werden“ (§ 15 Abs. 1 SOG), „ist berechtigt, eine Person anzuhalten“ (§ 12 Abs. 1 SOG), „kann“ Maßnahmen treffen oder „treffen … nach pflichtgemäßem Ermessen … die erforderlichen Maßnahmen“ (§ 3 Abs. 1 SOG), der Verwaltung diesen Entscheidungsspielraum, so räumt er ihr Ermessen ein. Ist die Behörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (so ausdrücklich § 40 HmbVwVfG). Im Gegensatz zum unbestimmten Rechtsbegriff ist das Ermessen nur eingeschränkt durch Gerichte überprüfbar (s. B. I.4.c.).
Beispiel:
§ 12 b Abs. 1 Satz 1 SOG lautet: „Eine Person darf aus ihrer Wohnung und dem unmittelbar angrenzenden Bereich verwiesen werden, wenn dies erforderlich ist, um eine Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit von Bewohnern derselben Wohnung abzuwehren.“
Analysiert man die Norm aufbautechnisch, so ergibt sich:
Tatbestandsseite mit unbestimmten Rechtsbegriff „Gefahr“:
„wenn dies erforderlich ist, um eine Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit von Bewohnern derselben Wohnung abzuwehren.“
Rechtsfolgenseite mit Ermessen „darf“:
„Eine Person darf aus ihrer Wohnung und dem unmittelbar angrenzenden Bereich verwiesen werden“
b) Arten des Ermessens
aa) Entschließungsermessen
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Ist den Verwaltungsbehörden und insbesondere der Polizei Ermessen eingeräumt, so müssen die Behörden im Rahmen ihres Ermessens zunächst die Entscheidung treffen, ob sie überhaupt einschreiten (Entschließungsermessen).362 In den Fällen der Ermessensreduzierung auf Null oder Ermessensschrumpfung, in denen ein Nichthandeln schlichtweg unvertretbar wäre, schlägt die Möglichkeit zu handeln aber ohnehin in eine Pflicht um. So ist die Polizei z. B. zum Handeln verpflichtet bei erheblichen Gefahren für wesentliche Rechtsgüter wie Leib und Leben.363
bb) Gestaltungsermessen mit Verhältnismäßigkeit
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Zum Teil bereits unter „Auswahlermessen“ firmierend, teilweise aber auch als „Gestaltungsermessen“ (einschließlich Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme) bezeichnet,364 liegt sodann der Fokus auf der Auswahl der Maßnahme. Im Kern geht es um die Frage, welche Maßnahme adäquat ist. Prüfungstechnisch sind zunächst die Zwecke der Maßnahme zu ermitteln und es ist dann zu untersuchen, ob die ausgewählte Maßnahme zur Erreichung des Zwecks geeignet ist, ob sie erforderlich und angemessen ist (Verhältnismäßigkeit). Es gilt im Überblick:
– Legitimer Zweck der Maßnahme (§ 4 Abs. 1 Satz 1 SOG, Gefahrenabwehr, weiter zu konkretisieren)
– Prüfung
– Geeignetheit (§ 4 Abs. 1 SOG)
– Erforderlichkeit (§ 4 Abs. 2 und 4 SOG)
– Angemessenheit (§ 4 Abs. 3 und ggf. § 5 SOG)
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Legitime Zwecke richten sich im Rahmen der Befugnisse nach den einschlägigen Rechtsgrundlagen. Insbesondere im SOG ist dies durch § 4 Abs. 1 Satz 1 SOG auf den Punkt gebracht, wenn dort vorgeschrieben ist, dass eine Maßnahme zur Gefahrenabwehr geeignet sein muss. Ausgangspunkt ist mithin immer die Gefahrenabwehr, auch im PolDVG sowie im HafenSG (vgl. z. B. § 2 HafenSG „Allgemeine Maßnahmen zur Gefahrenabwehr“). Dies wird dann in den einschlägigen Befugnisgrundlagen weiter konkretisiert. So muss eine Maßnahme nach § 3 Abs. 1 SOG z. B. auf den Schutz der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ausgerichtet sein (was seinerseits dann im einzelnen Fall näher konkretisiert werden sollte, z. B. Schutz des Lebens Anderer, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Nach § 12 b Abs. 2 Satz 1 SOG muss etwa ein Aufenthaltsverbot der „Verhütung von Straftaten“ dienen.
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Im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit steht die Frage im Mittelpunkt, ob die Zweck-Mittel-Relation ausgewogen ist. Zunächst ist die Frage der Geeignetheit der Maßnahme zur Erreichung des Zwecks zu überprüfen. Letztlich fehlt es an dem Kriterium dann, wenn eine Maßnahme den Zweck überhaupt nicht fördert oder gar behindert. Anders ausgedrückt reicht es aus, wenn eine Maßnahme den Zweck mindestens fördern kann.365 Das Kriterium ist also sehr niedrigschwellig. Demzufolge konkretisiert § 4 Abs. 1 SOG auch:
„(1) Eine Maßnahme muss zur Gefahrenabwehr geeignet sein. Sie ist auch geeignet, wenn sie die Gefahr nur vermindert oder vorübergehend abwehrt. Sie darf gegen dieselbe Person wiederholt werden.“
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Bei der Erforderlichkeit ist zu untersuchen, ob es ein milderes und gleich effektives Mittel gibt.366 Fehlt es an einer solchen Alternative, ist das ausgewählte Mittel erforderlich. Somit heißt es in § 4 Abs. 2 und 4 SOG:
„(2) Kommen für die Gefahrenabwehr im Einzelfall mehrere Maßnahmen in Betracht, so ist nach pflichtgemäßem Ermessen diejenige Maßnahme zu treffen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit am wenigsten belastet. Bleibt eine Maßnahme wirkungslos, so darf in den Grenzen der Absätze 1 bis 3 eine stärker belastende Maßnahme getroffen werden.“
„(4) Ist jemand aufgefordert worden, eine bevorstehende Gefahr abzuwehren oder eine Störung zu beseitigen, so ist ihm auf Antrag zu gestatten, ein von ihm angebotenes anderes Mittel anzuwenden, durch das der beabsichtigte Erfolg ebenso wirksam herbeigeführt und die Allgemeinheit nicht stärker beeinträchtigt wird. Der Antrag kann nur bis zu dem Zeitpunkt gestellt werden, in dem die Voraussetzungen für die Anwendung von Verwaltungszwang vorliegen, spätestens bis zur Unanfechtbarkeit der Aufforderung.“
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Die Maßnahme ist angemessen oder verhältnismäßig im engeren Sinne, wenn die durch die Maßnahme verfolgten Zwecke die beeinträchtigten Rechtsgüter (insbesondere das beeinträchtigte Grundrecht des Adressaten der Maßnahme) überwiegen.367 Hilfreich und ausschlaggebend für die Abwägung kann sein, ob es sich um einen tiefen Grundrechtseingriff handelt, ob es auf der Schutzseite um Rechtsgüter wie Leib und Leben geht oder ob eine Vielzahl von Rechtsgütern geschützt werden soll. § 4 Abs. 3 SOG lautet (zum zeitlichen Übermaßverbot vgl. § 5 SOG):
„(3) Maßnahmen zur Gefahrenabwehr dürfen für den Einzelnen oder die Allgemeinheit keinen Nachteil herbeiführen, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht.“