Kitabı oku: «Die Engel der Madame Chantal», sayfa 5

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Kapitel 7

Die Zeit, das Schicksal, oder wer auch immer die Fäden über Chantals Leben in den Händen hielt, entschieden, dass die Ladies noch etwas warten mussten.

An einem Vormittag im Mai 2006 brummte Chantals Smartphone. Es war ihre Mutter.

»Kannst du kommen?«, begann sie mit verweinter Stimme.

Seit einigen Jahren fiel es ihrer Mutter schwer, ihre Tochter „Schätzchen“ oder „mein Engel“ zu nennen, wie sie dies in ihrer Kindheit oder Jugend getan hatte.

»Ist was passiert Mama?«, fragte Chantal besorgt.

»Ja. Papa ist heute Nacht gestorben. Ich brauch‘ dich. Das schaff‘ ich nicht allein. Bitte.«

Chantal warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Es war 10:45 Uhr. Heute Nacht ist er gestorben, schoss es durch ihren Kopf. Und erst jetzt ruft sie mich an. Außerdem war es nicht mein Papa. Es war mein Stiefvater. Und vor ihrer Flucht aus Freiburg hatte er sich als Schwein benommen. Deshalb fiel ihre Antwort knapp aus:

»Ich werde gegen vierzehn Uhr bei dir sein Mama. Gut so?«

»Oh das wäre schön. Danke«, schluchzte die Mutter.

»Bis nachher«, sagte Chantal und legte auf.

Nein. Ein schwarzes Kleid, das sich für eine Beerdigung eignen würde, hatte sie nicht im Schrank hängen. Auf dem Weg zu Autobahn kannte sie ein großes Bekleidungsgeschäft.

Zu ihrer neuen Wohnung in der Wintersbachstraße gehörte selbstverständlich eine Garage. Darin ruhte sich ein Mercedes der oberen S-Klasse aus.

Diese Nobelkarosse wurde nur wenige Male im Jahr bewegt. Hier in Frankfurt fuhr Chantal nur mit dem Taxi. Um in andere Städte zu gelangen, bevorzugte sie die Bahn oder flog.

Beim Kofferpacken überfiel sie eine verrückte Idee. Ja. Diese würde sie umsetzen; musste sie umsetzen. Grinsend griff sie zum Telefon.

»Karl, mein Freund. Hast du ein paar Tage Zeit?«, gurrte sie ins Telefon.

»Madam Chantal. Für Sie doch immer. Wann soll ich kommen?«

»Gleich Karl. Gleich.«

»Oh. Sie sind immer für eine Überraschung gut. In ein paar Minuten bin ich bei Ihnen.«

»Nehmen Sie sich ein Taxi Karl. Gepäck für drei oder vier Tage.«

Karl kannte Chantal schon viele Jahre. Er hatte das Gefühl, dass da noch etwas war, dass diese ungewöhnliche Frau loswerden wollte. Deshalb fragte er:

»Sonst noch etwas Madame?«

»Hm ja Karl. Dieses Mal ausnahmsweise Uniform und Dienstmütze. Ich erkläre das unterwegs.«

»Selbstverständlich Madame Chantal. Das scheint dieses Mal spannend zu werden.«

Karl Czech kutschierte früher vornehmlich Banker und Persönlichkeiten aus der Wirtschaft; Personen, die es nicht für sinnvoll erachteten, einen eigenen Chauffeur anzustellen. Inzwischen hatte er die sechzig überschritten, und wollte nur noch an seinem See sitzen und angeln. Für Chantal machte er gerne eine Ausnahme. Er liebte sie auf eine seltsame Weise. Platonisch natürlich. Dafür himmelte sie ihn an, gab ihm des Öfteren ein Küsschen auf die Wange, und entlohnte ihn fürstlich. Karl war vor allem verschwiegen. Und er konnte, sollte dies notwendig werden, gut mit einer Waffe umgehen; sehr gut sogar. Er liebte die Nobelkarosse, die er vor ein paar Jahren aussuchen durfte.

Nachdem Chantal ihren verschwiegenen Fahrer mit einem Küsschen begrüßt hatte, nahm sie im Fond Platz. Sie wollte nachdenken; sich mental auf Freiburg vorbereiten.

Dieser Tag, vor zwei Jahren, hatte sich in Chantals Seele eingefräst.

Es war zum Ritual geworden, dass sie ihre Mutter kurz vor Weihnachten besuchte. Doch vor zwei Jahren wartete eine denkwürdige Überraschung auf sie. Ein Geschäftsmann aus Freiburg hatte sie auf dem Foto erkannt; mit ihr und Harald; an diesem verrückten Abend. Für den Geschäftsmann war es offenbar wichtig gewesen, Nachforschungen anzustellen. In Windeseile verbreitete sich die Story in Freiburg: Die Schwiegertochter von Hannes Vögele, dem Inhaber der weithin bekannten Weinschänke am Schlehbusch, ist eine Nobel-Prostituierte in Frankfurt; eine Art Rosemarie Nitribitt. Hannes Vögele wurde daraufhin noch bekannter – und wütender.

Als seine Stieftochter, diese Hure, sein Haus betreten wollte, wartete er bereits mit einem Knüppel. Der Krankenhausaufenthalt brannte sich tief in Chantals Seele ein. Vergeblich wartete sie auf ihre Mutter. Das waren die schlimmsten Schmerzen – damals. Erst vor einem Jahr trat Mama den Gang nach Canossa an - telefonisch. Sie entschuldigte sich weinend. Sie berichtete, dass Hannes immer noch sauer sei. Seit dieser Sache, damals, konnten sie sich vor Gästen kaum noch retten. Sie pilgerten in Scharen zur interessant gewordene Gaststätte am Schlehbusch. Es war ein kurzes und einseitiges Telefonat gewesen.

Diese scheinheilige Meute, die sich ihre Mäuler zerrissen hatten, sollten nun ihre Show bekommen.

Chantal wartete selbstverständlich, bis Karl ausgestiegen war, bis er seine Dienstmütze aufgesetzt hatte, und ihr mit einer Verbeugung die Wagentüre öffnete.

Die schwarzen Krähen glotzten und tuschelten. Der Tote war urplötzlich Nebensache.

»Ach mein Schatz. Musste das denn sein?«, begrüßte die Mutter weinend ihre Tochter.

»Schau sie doch an Mama«, sagte Chantal halblaut.

»So sehen noble Leute aus, die deinem Mann ihre Aufwartung machen wollen. Schau dir

meinen Lehrer an. Der hat mir mehr als einmal unter den Rock gegriffen. Der Herr Pfarrer, dieser alte Sack, hat mir in der Sakristei den Slip ausgezogen. Was er noch gemacht hat – darüber will ich an dieser Stelle lieber schweigen. Die Frau Häberle, da drüben, hat es mit mindestens zwanzig Männern getrieben. Alle haben es gewusst. Aber da erzähle ich dir nichts Neues. Und die Frau dort, ich hab‘ ihren Namen vergessen, hat ihre Kinder fast totgeprügelt. Jetzt ist sie natürlich mutterseelenallein. Und betet. Gott soll ihr erklären, was sie falsch gemacht hat. Soll ich weitersprechen Mama? Soll ich mich vor diesen Pharisäern schämen Mama?«

»Ach Kind. So sind sie halt. Ich wohne hier. Und du in Frankfurt. Soll ich mehr dazu sagen?«

Die Beerdigung von Hannes Vögele wurde nicht langweilig. Der alte und sicher schon senile Pfarrer sprach oft von Sünde und Vergebung. Einige junge Männer war gekommen, um mit ihren Smartphones das Objekt zu verewigen, worüber die schwarzen Krähen selbst am Grab fortwährend krächzten und tuschelten.

Chantal trug ein langes, sündhaft teures Kleid. Sie ließ ihre schwarzen langen Haare über ihre Schultern fließen. Bezüglich ihrer Kopfbedeckung konnte man allerdings sehr geteilter Meinung sein. Der rabenschwarze Hut mit breiter Krempe war mit einer Stoffleiste versehen; verziert mit schwarzen Rosen. Der hauchdünne Tüllschleier verdeckte dezent ihr Gesicht. Doch dieser Schleier war mit kleinen Spinnen versehen. Die Worte des alten Pfarrers waren Nebensache. Das Ministranten-Gebimmel ging im Raunen und Getuschel der „Trauernden“ unter.

Chantal blieb noch zwei Tage.

Ihre Mutter war erst 66 Jahre alt.

Diese früher so schöne Frau wirkte plötzlich wie 75. Vor allem die letzten Jahre mit Hannes Vögele waren, wie sie nach einigen Schnäpsen stockend erzählte, alles andere als ein Zuckerschlecken gewesen. Sie rang ihrer Tochter das Versprechen ab, bei der Testamentseröffnung anwesend zu sein; ihr bei den daraus resultierenden Dingen beratend zur Seite zu stehen.

Vier Wochen nach dieser denkwürdigen Beerdigung ließ sich Chantal erneut nach Freiburg chauffieren.

Wie sich herausstellte, hatte Hannes Vögele seiner Frau viel verschwiegen; verdammt viel sogar. Er hatte sie als Alleinerbin eingesetzt. Doch im Büro des Notars saßen noch zwei weitere Personen.

Da saß der blasse und achtundzwanzigjährige Christian und neben ihm kauerte die fünfundzwanzigjährige Lisa. Ein Gutachten belegte, dass diese beiden Personen zweifelsfrei die leiblichen Kinder von Hannes Vögele waren. Sie beanspruchten 25 Prozent am Erbe.

Mama Vögele verfiel in eine Starre. Sie bekam nicht mehr mit, was der Verstorbene sonst noch hinterlassen hatte: Parallel zur Gaststätte mit den vielen Übernachtungszimmern und dem Anbau, in dem sie so viele Jahre mit ihrem Mann gewohnt hatte, gab es da noch drei Häuser in guter Lage und Weinberge, viele Weinberge. Und da gab es noch ein stattliches Aktienpaket.

Am Nachmittag beugten sich ein versierter Anwalt und ein Notar über alle Unterlagen des Nachlassgerichtes. Chantal hatte sich von Frankfurt aus mit ihnen in Verbindung gesetzt.

Um nichts auf der Welt wollte Mama Vögele weiter in diesem großen Haus wohnen. Nein. Nach Frankfurt wollte sie auch nicht. Sie musste doch das Grab von Hannes pflegen. Das Grab des kleinen Gerard existierte allerdings nicht mehr.

Chantal kaufte ein schönes Zwei-Zimmer-Appartement in einer Anlage für betreutes Wohnen.

Das Schicksal hatte nur noch ein Jahr für Jaqueline Vögele auf dieser Erde vorgesehen. Sie starb an einem Hirnschlag. Es war ein schneller Tod.

Der Notar, den Chantal ein Jahr zuvor engagiert hatte, achtete darauf, dass sie als Alleinerbin eingesetzt wurde.

Der Nachlassverwalter schätzte das Vermögen auf zwei Millionen Euro.

In den letzten Jahren hatte Chantal nie über Geld nachgedacht.

Inzwischen war es ihr manchmal lästig, sich mit Finanzdingen beschäftigen zu müssen. In den ersten Jahren in Frankfurt konnte sie jährlich fünfzigtausend Euro auf die Seite legen.

Doch bereits fünf Jahre später war es das zehnfache pro Jahr.

Seit einigen Jahren war sie eine äußerst gefragte Begleiterin.

Ihre Ausgaben waren vergleichsweise minimal. Harald hatte ihr die herrliche Wohnung im 22. Stock geschenkt. Meistens wurde sie zum Essen eingeladen. Einige Männer waren versessen darauf, ihr Kleider zu kaufen.

Vor einigen Jahren gelang es ihr, das große Haus in der Miquelallee zu kaufen. In den Anfangsjahren hatte sie in diesem Haus ein Zweizimmer-Appartement gemietet. Das Objekt mit seinen achtundzwanzig Wohnungen und einer Tiefgarage war nicht mehr ganz taufrisch.

Da sie nicht spekulieren wollte und sich mit Aktiengeschäften nicht auskannte, legte sie sukzessive ihre Einnahmen, nicht zu vergessen das Erbe ihrer Mutter, in vier weitere Immobilien an.

Darunter befand sich eine herrliche, alleinstehende Villa im Odenwald. Diese nutzte sie für verschwiegene Dates mit angesehenen Kunden.

Die Villa hatte einen riesigen Keller mit alten bogenförmigen Sandsteingewölben. Iris durfte Teile davon als schaurig-schönes Folter-Refugium heranziehen. Eingeweihte waren geradezu besessen, für viel Geld darin ihre herrlichen Qualen durchleben zu dürfen.

Es war ein verregneter Montagmorgen.

Nach einem langen Frühstück, Harald hatte gerade die Villa verlassen, brummte Chantals Smartphone. Es war eine Frauenstimme.

»Guten Morgen Madame Chantal. Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich Sie mit diesem Namen anspreche. Aber ich habe in den Unterlagen keinen anderen Namen gefunden. Mein Name ist Hedda Conzen. Können Sie mit meinen Namen etwas anfangen?«

Unzählige Gedanken schossen durch Chantals Kopf. Warum rief diese Frau bei ihr an?

Eric Conzen, der Inhaber einer Hotel-Gruppe in Wiesbaden, war einer ihrer langjährigen Stammkunden. Nein. Große Probleme waren von dieser Frau nicht zu erwarten.

»Selbstverständlich Frau Conzen. Was kann ich für Sie tun?«, antwortete sie deshalb.

»Es ist das ungewöhnlichste Telefonat meines Lebens.« Sie lachte kurz.

»Aber ich bin fest davon überzeugt, dass auch Sie nicht jeden Tag ein solches Telefonat führen werden. Zunächst möchte ich Ihnen mitteilen, dass Eric vor einer Woche verstorben ist.«

»Oh. Zunächst mein aufrichtiges Beileid.« Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort: »Wenn ich Eric richtig verstanden habe, wussten Sie, dass er …«

»Das stimmt. Er hat mir sogar einige Male Ihren Namen genannt. Ich habe hier ein Schreiben an Sie in seinen Unterlagen gefunden. Ich wollte es nicht einfach wegwerfen.«

Chantal hatte ihre Fassung wiedergefunden.

»Wir beide sind doch intelligente Frauen. Kürzen wir die Sache ab. Öffnen Sie einfach das Kuvert. Lesen Sie mir bitte vor, was der arme Eric geschrieben hat. Woran ist er gestorben, wenn ich fragen darf.«

»Stilgerecht«, lachte die Frau. »In unserem großen Weinkeller. Mit einem Glas Sekt in der Hand.«

»Herrjeh. Jaja. Eric hat das Leben geliebt.«

»Sie sagen es. Sie sagen es … Ich habe jetzt das Kuvert geöffnet.«

»Lesen Sie bitte Frau Conzen.«

»Liebste Chantal. Es waren wunderschöne Stunden mit Dir. Ich spüre, dass meine Kräfte für eine so schöne Frau, wie Du es bist, nicht mehr ausreichen, und dass es bald zu Ende geht mit deinem Schnurri. Ich werde Dich da oben vermissen. Küsschen. Dein Eric.«

Für lange Sekunden entstand Stille. Chantal hörte, dass die Frau am anderen Ende der Leitung leise weinte. Chantal ließ ihr Zeit.

»Demnach hat er es gewusst, wie es um ihn stand«, sagte Frau Conzen leise.

»Obwohl wir uns in den letzten Wochen so gut verstanden haben, wie schon lange nicht

mehr. Nach diesen „Ausflügen“, wenn ich es einmal so nennen darf, kam Eric immer wie ausgewechselt zurück. Ich komme mir jetzt total bescheuert vor, wenn ich mich an dieser Stelle bei Ihnen bedanke. Das bleibt hoffentlich unter uns. Können Sie mir erklären, warum Eric diesen Brief nicht abgeschickt hat? Im Kuvert befinden sich zehntausend Euro.«

»Ja das kann ich. Er hat mich vor ungefähr zehn Tagen angerufen. Er wollte meine Adresse haben. Das habe ich freundlich verneinen müssen. Ein Treffen war für mich nicht möglich, weil ich selbst einen Trauerfall hatte. Ich will das Thema abkürzen. Bitte schenken Sie das Geld einer armen Seele. Können wir so verbleiben?«

»Ja. Selbstverständlich Frau … Frau … Macht es Sinn zu fragen, ob wir uns einmal auf einen Kaffee treffen?«

»Ich glaube, dass das keine gute Idee wäre. Bitte haben Sie dafür Verständnis. Auf alle Fälle bedanke ich mich für Ihren lieben Anruf. Auf Wiederhören Frau Conzen. Ihnen alles Gute.«

Chantal erwartete keine Antwort und legte auf.

Kapitel 8

Für Chantal war es wie der Beginn einer neuen Zeitrechnung.

Vor zwei Tagen hatte Manuela sie auf ihre neue Welt vorbereitet. Sie war nervös gewesen wie ein Schulmädchen vor der Entjungferung. Doch bereits nach wenigen Minuten mussten sie über die verrücktesten Geschichten in ihrem Leben herzhaft lachen. Wenige Stunden zuvor hatte die Frau eines ehemaligen Stammkunden angerufen, um sich nach dessen Tod bei Chantal zu bedanken.

Und jetzt unterhielten sie sich fachkundig darüber, auf welche sexuellen Wünsche und Sehnsüchte sich Chantal einzustellen hatte, um Frauenherzen höher schlagen zu lassen.

Beide Frauen erinnerten sich kichernd daran, wie sie, Chantal, ihrer blutjungen Freundin Manuela vor vielen Jahren Nachhilfeunterricht gegeben hatte. Manuela war damals zwar bereits von einigen Burschen bestiegen worden. Aber das war es auch schon. Selbst aktiv zu werden, professionell, kreativ und ideenreich zu sein – dazwischen lagen Galaxien.

Diese Nachhilfestunden waren für Chantal ungleich schwerer. Ihr ganzes bisheriges Leben drehte sich darum, Männer zufrieden zu stellen. Okay. Sie wusste, wie sie sich zu bewegen hatte, um selbst auch Spaß daran zu haben und dann zum Höhepunkt zu kommen, wenn dies auch im Interesse des Kunden stand. Doch jetzt? Frauen?

Letztlich, nachdem sie weitestgehend geistig ausgeklinkt hatte, dass es sich bei dieser Frau um Manuela handelte, konnte sie sich fallen lassen; genoss es sogar. Aber primär ging es bei diesem Unterricht darum, das Gefühlsleben zu entwickeln, eine andere Frau schweben zu lassen.

Nach vielen Stunden lagen sie sich lachend und weinend in den Armen. Sie waren beide glücklich, und es schien, als seien sie sich dadurch noch nähergekommen.

Zum Abschluss gab Manuela ihrer Freundin noch viele hilfreiche Informationen für Chantals erste Kundin. Sie hieß Dr. Miranda Meinhard, wohnte in Taunusstein und war im Management einer großen Bank tätig.

Die Frau aus dem Management einer großen Bank empfing sie zwei Tage später in einem langen und traumhaften Samtkleid von Puccini. Die Farben Dunkelblau, Rosa und Hellgrün flossen ineinander. Dazu trug sie blaue Pumps. Sie war schlank und wirkte grazil. Ihre langen blonden Haare hatte sie raffiniert hochgesteckt; erinnerten Chantal an Audrey Hepburns Hochsteckfrisur im Film „Frühstück bei Tiffany“.

Für eine Sekunde versuchte Chantal, das Alter dieser verdammt gutaussehenden Frau zu schätzen. Manuela glaubte zu wissen, dass diese Frau so um die vierzig sei.

»Da hast du dich ganz schön verschätzt liebe Manuela«, lachte Chantal in sich hinein.

»Diese Lady ist mit Sicherheit einige Jährchen älter als ich mit meinen dreiundvierzig Lenzen.«

Dieses grazile Wesen hatte eine Haut wie aus Seide, war aufwändig und gleichzeitig dezent geschminkt.

»Oh Gott, was hast du dir denn dabei gedacht«, flüsterte Chantal in sich hinein. »Was für eine Verschwendung. Jedem Mann mit gutem Geschmack würden jetzt die Beine wegknicken.« Doch gleichzeitig flötete sie mit ihrer dunklen Stimme:

»Einen schönen guten Tag Frau Dr. Meinhard. Sehen Sie es bitte nach, wenn es mir im Moment ein bisschen die Sprache verschlägt. Und das passiert bei mir höchst selten.«

Ihre Worte trafen wie Pfeile. Das war unübersehbar. Ein offenes und ehrliches Leuchten erhellte das Gesicht der Geisha-Frau, wie Chantal sie in dieser Sekunde für sich getauft hatte. Sie übersah beflissentlich Chantals ausgestreckte Hand. Stattdessen umarmte sie ihren Gast. Sie begnügte sich nicht mit kleinen Küsschen auf die linke und rechte Wange, sondern schloss die Begrüßung mit einem keineswegs sanften Kuss auf die Lippen ab.

»Sag‘ bitte Miranda zu mir. Deinen Namen kenne ich ja bereits. Ein wunderschöner Name«, sagte die leicht zitternde Frau mit einer erstaunlich warmen Stimme.

Diese Frau sitzt im Management«, durchzuckte es Chantal. »Unglaublich. Aaach, und sie hat ein wunderbares Parfum.«

Dieses DU widerstrebte ihr ein wenig. Aber das war jetzt nicht mehr zu ändern. Deshalb antwortete sie:

»Mein Name gefällt dir? Aber Miranda klingt für mich wie Musik oder wie Poesie. Nenne mich bitte Chantal. So dürfen mich nur eine Handvoll Menschen auf diesem Planeten ansprechen.«

Das Gesicht der Geisha-Frau wirkte sichtlich verwundert.

»Ist das wirklich so. Wie sprechen dich die anderen Personen sonst an?«

»Madame Chantal. Das funktioniert erstaunlich gut. Manchmal ist eine Spur Distanz sogar hilfreich.«

»Wenn es dir lieber ist, spreche ich dich … äh … sie … auch gerne mit „Madame Chantal“ an. Das hat dann so etwas Knisterndes.«

Miranda sezierte ihren Besuch mit fragenden Augen. Es waren gelbe Augen; wie die einer Katze. Dabei rieb sie genüsslich ihre Hände.

»Das wäre vielleicht eine höchst interessante Variante. Du hast etwas leicht Dominantes an dir. Wahnsinn. Ich habe das Gefühl, dass es richtig spannend werden könnte.«

»Ach du Scheiße«, zuckte es durch Chantals Kopf. »Dominant! Ich und dominant? Zum Schluss eine Art Domina. Aber vielleicht will sie mir damit lediglich zu verstehen geben, dass ich die männliche Rolle zwischen zwei Frauen einnehmen soll. Darüber muss ich unbedingt noch einmal mit Manuela und anderen Gleichgesinnten sprechen.«

»Vielleicht lassen wir das einfach fließen, wenn ich das mal so gedrechselt sagen darf«, gurrte Chantal mit einem Lächeln. »Je nachdem, wie es die Situation aus deiner Sicht erfordert oder was deine Seele zu dir sagt.«

»Ach du lieber Himmel. Das klingt ja fast schon wie ein Musikstück.«

Sie hakte sich bei Chantal unter. »Jetzt komm‘ erst mal rein in meine gute Stube. Liebst du Musik?«

Im großzügigen Entrée angekommen antwortete Chantal:

»Ja. Nordische Musik. Smetana. Italienische Musik wie „die vier Jahreszeiten“ und warme und melodiöse israelische Stücke, wie zum Beispiel Anatevka „Fiddler on the Roof“.

»Herrlich. Da ergänzen wir uns ungemein. Das werden wir heute Abend auflegen. Du übernachtest doch?«

»Wenn du es wünschst. Selbstverständlich«, lächelte Chantal.

Gleichzeitig schimpfte sie in sich hinein, sich künftig nicht zu verplappern. Vorhin wäre es ihr fast herausgerutscht, dass sie diese Musik oft zusammen mit Harald genossen hatte. Eine solche Bemerkung wäre an dieser Stelle pures Gift gewesen.

Da es ein kühler Tag Ende September war, hatte Chantal sich einen dünnen Mantel übergezogen.

Als sie diesen abstreifte, sah sie die taxierenden Blicke der Gastgeberin. Nein. Sie wollte unter keinen Umständen im Outfit von Manuela kommen. Sie war Chantal. Und als Chantal hatte sie sich in ein enganliegendes luftiges Kleid mit Seitenschlitz und tiefem Ausschnitt gezwängt.

»Madame Chantal. Sie überraschen mich immer mehr«, seufzte Miranda. Ihr Blick richtete sich vor allem auf die wohlgeformten Brüste ihres Gastes. »Sie verstehen viel von Musik. Sie sind ein wahrer Augenschmaus, wenn ich das einmal ungeschminkt sagen darf. Ich bin gespannt, mit welchen weiteren Überraschungen sie mich noch begeistern werden.«

Die große Villa war mit vielen zum Teil teuren Unikaten eingerichtet, die nur bedingt zueinander passten. Aber sie waren mit Sicherheit teuer gewesen. Darauf kam es der Hausherrin offensichtlich an.

Während des Kaffee-Zeremoniells arbeitete Miranda dezent aber gleichzeitig zielstrebig eine lange Liste ab. Sie streifte Themen wie Kunst, Politik und landete schließlich bei ihrem Hauptthema Banken und Wirtschaft. Mit allergrößtem Interesse stellte die Gastgeberin fest, dass ihre attraktive Escort-Begleiterin extrem tief in wirtschaftliche Themen eintauchen konnte. Diese Frau mit den langen schwarzen Haaren und den herrlichen Wimpern hatte sogar aktiv geholfen, ein Unternehmen in China aufzubauen. Doch über ihre Kunden wollte sie partout nicht sprechen. Noch nicht einmal, ob es vornehmlich männliche oder eher weibliche Kunden waren.

Miranda war eine wenig nervig geworden. Gott sei Dank besaß sie auch das Feingefühl, kurz davor zu sein, eine unsichtbare Schwelle zu überschreiten. Von einer Sekunde auf die andere veränderte sich ihre Mimik.

»Entschuldige bitte. Aber das kennst du höchstwahrscheinlich zur Genüge. Unheimlich viele Menschen, die mitten im Beruf stecken, machen oft den Fehler, nicht rechtzeitig abschalten zu können. Madame Chantal – sie müssen mir versprechen, mich künftig darauf aufmerksam zu machen, die schönen Seiten dieses Lebens nicht aus den Augen zu verlieren. Versprochen?«

»Madame Chantal wird künftig darauf achten«, gluckste Chantal. »Wenn ich mich nicht irre, hat die schöne Miranda einen Vorschlag, wie es weitergehen könnte. Oder?«

»Was hältst du von einem entspannenden Whirl-Pool-Besuch – vielleicht zusammen mit Musik von Vivaldi?«

»Oh ja. Das wäre himmlisch.«

Neben einem kleinen Schwimmbad befand sich eine Sauna. Im Anschluss daran dominierte eine Whirl-Pool-Landschaft.

Ehe sich Chantal versah, war die Besitzerin der Villa im Whirl-Pool eingetaucht.

Es stellte sich heraus, dass sie unter ihrem dünnen Samtkleid nur nackte Haut trug. Sie hatte noch nicht einmal einen Slip getragen.

Ihre Arme über den Rand des Whirl-Pools gelegt, verfolgte sie aufmerksam, wie sich Chantal entblätterte. Und die tat dies ganz bewusst sehr langsam und betont aufreizend. Miranda quittierte dies mit genüsslichen Tönen; in vielen Oktaven; passend zu den Vier Jahreszeiten.

»Oh mein Gott. Du hast einen herrlichen Körper. Komm. Komm rein«, jauchzte sie erwartungsvoll.

Im Whirl-Pool musste Chantal zwischen den Beinen der Seufzenden Platz nehmen; den Rücken an die relativ kleinen Brüste angelehnt. Zitternd streichelte Miranda die festen und wohlproportionierten Brüste ihres Gastes. Irgendwann begaben sich ihre Hände auf weitere Erkundungen. Als Chantal zu verstehen gab, dass ihre Hände auch hilfreich werden wollten, hauchte Miranda:

»Später. Später mein Engel. Der Abend ist noch lang. Gemeinsam werden wir sehr viele

Wunder durchleben. Das verspreche ich dir. Es liegt mir viel daran, dass wir uns noch oft sehen.«

Am anderen Morgen, kurz nach 7.00 Uhr, fühlte Chantal einen Kuss auf ihren Lippen. Es war Miranda, die sich über ihr Gesicht beugte.

»Für mich war es himmlisch. Ich danke dir mein Engel mit den schwarzen Haaren und den wunderbaren Händen. Gerne hätte ich noch mit dir gefrühstückt. Aber die Pflicht ruft. Du hörst wieder von mir. Zieh‘ die Tür einfach hinter dir zu. Au revoir.«

»Au revoir mon amie«, konnte Chantal nur noch flüstern. Danach sah sie eine Frau im dunklen Hosenanzug verschwinden. Kurz darauf hörte sie, wie ein schweres Fahrzeug rasch davonfuhr.

»Diese Frau hat enormes Vertrauen zu mir. Dabei kennen wir uns doch erst seit gestern Nachmittag«, dachte Chantal.

Im Erdgeschoss angekommen wartete die zweite Überraschung auf sie. Miranda hatte den Frühstückstisch liebevoll gedeckt. Während Chantal saß, und den Kaffee genoss, las sie immer und immer wieder die Zeilen des Briefes:

»Guten Morgen mein Engel. Für eine Frau, die bislang nur Männer verwöhnt hat, warst du für mich die Erfüllung. Ich fiebere unserem nächsten Rendezvous entgegen. Bis bald meine Liebste. Deine Miranda.«

Woher sie diese Information wohl hatte? Manuela hatte Stein und Bein geschworen, ihrer bisherigen Gespielin nichts, aber auch gar nichts, über Chantal erzählt zu haben. Wie

auch immer. Dieses Geheimnis musste Frau Dr. Miranda Meinhard noch preisgeben. Später. Irgendwann.

Nach dem Frühstück spülte Chantal das Geschirr, und brachte Bett und Bad in Ordnung. Bevor sie die Tür hinter sich zuzog, drückte sie ihre geschminkten Lippen auf Mirandas Schreiben, um dieses an der Blumenvase auf dem Tisch anzulehnen. Miranda sollte es sofort sehen, wenn sie heute Abend nach Hause kam.

Während der Fahrt nach Frankfurt ließ sie noch einmal den gestrigen Abend und die lange Nacht Revue passieren.

Vor wenigen Tagen hatte Chantal dunkel und bitter gelacht. Im Grund genommen war es mehr als unverzeihlich, dass sie, eine Hure, sich so wenig mit der sexuellen Bandbreite beschäftigt zu haben. Oh, was war sie froh „normal“ zu sein. Ihre Cleopatra kommunizierte mit einem Cäsar. Aber selbst hier gab es unendlich viele Spielformen; je nach Geschmack.

Sollte sie Miranda bemitleiden? Nein. Das hatte sie nicht verdient. Sollte sie jetzt sich bemitleiden oder gar anklagen, über eine unsichtbare Grenze gegangen zu sein? War es ein Fehler?

Nein. Nein. Es war kein Fehler. Es war schön, wunderbar, herrlich. Diese Frau hatte sie auf die Wolken gehoben und dort lange Zeit schweben lassen. Sie beide hatten gemeinsam viele und herrliche Höhepunkte erreicht. Es war unbeschreiblich. Nein. Das wollte sie nicht

missen. Unter keinen Umständen.

War es schöner, als mit einem Mann? Diese Frage stellte sich für Chantal ab heute nicht mehr. Sie war jetzt in beiden Welten, ja es waren Welten, zuhause. Ihr sexuelles Leben war jetzt doppelt so schön geworden.

Und plötzlich dachte sie an Harald. Warum Harald? Vielleicht weil er ihr verzieh, mit anderen Männern zu schlafen. Aber würde er ihr verzeihen, auch mit einer Frau geschlafen zu haben?

Glücklich, ja fast überglücklich, fuhr sie langsam auf Umwegen nach Frankfurt zurück. Sie konnte nicht wissen, dass das Schicksal bereits dunkle Wolken heranschob.

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