Kitabı oku: «#ANIMA», sayfa 3
Sie nickte und lächelte. Mir fuhr eine Gänsehaut den Rücken herunter und Tränen standen mir in den Augen, als die Musiker eine etwas freie Variation dieses Songs darboten. Mit Jazz ist das so eine Sache, weshalb ich ihn nicht besonders liebe. Da gibt es eine Phrase, die eine Art Thema ist. So weit, so gut. Dann endet aber jedes Lied damit, dass alle die Skalen hoch und wieder runter spielen, jeder ein Solo bekommt, wo er nochmals die Skalen hoch und wieder runter spielt, bis das Stück sich über eine Stunde wie ein halbtoter Wurm durch das Ohr zieht. Woher die Musiker wissen, wann sie gemeinsam aufhören müssen, ist mir ein Rätsel. Ich habe aber noch nie erlebt, dass einer den letzten Takt verpasst und versehentlich weitergespielt hätte.
Das Publikum ist jedoch meist mit seinen Gesprächen beschäftigt und klatscht entweder höflich oder überrascht, wenn die Musik verstummt, beziehungsweise nicht einmal dann.
Doch jetzt spielten sie das Sunshine–Lied mit so leidenschaftlicher Hingabe, immer wieder zu uns hinüber lächelnd, dass ich hätte heulen können. Ich fand es dann an der Zeit, das Bluenote zu verlassen. Ich weiß noch unscharf, dass uns jemand die Tür aufhielt, als wir rausrollerten, und uns einen schönen Abend wünschte. Wie ich mit EVA nach Hause gekommen bin, und wann, entzieht sich meiner Erinnerung. Immerhin müssen Teile meiner autonomen Steuerung im Rückenmark es geschafft haben, niemanden mit dem Auto zu überrollen.
Und die Bullen waren offenbar woanders beschäftigt.
Nun habe ich tierische Kopfschmerzen. Doch EVA ist so schön, und wir sind ja jetzt verlobt, quasi.
# # #
#Sensorinput: leichte Berührung an den Brüsten. Leichte Berührung an der Schulter.
#Hole Zufallszahl: Zufallszahl: #13.
#Schlage in Redewendungsdatenbank nach.
Finde #13.
#Voiceoutput, Satz 13: Oh, du Guter, ich bin ganz heiß auf dich.Bitte berühre mich überall. Ich will dich so sehr. Lass mich nicht warten!
#Sensorinput: Klitoris, Oberschenkel innen, Bauch.
#Goto: Routine 1:
#Voiceoutput: Oh, ja, bitte, bitte, ich will dich, oh bitte mach's mir!
#Sensorinput: Vagina, Klitoris, beide Brustwarzen.
#Goto Routine 2:
#Voiceoutput: Ja, ja, ja, fester. Ich will dich heute
ganz stark. Machs mir! Mach mich fertig!
#Sensorinput Vagina: zunehmende Frequenz.
#Erschütterungssensor: Inputlevel Hi.
#Frequenz 120/Minute.
#Goto Routine 3:
#Audioinput: »Oh du, du, ich liebe dich! «
#Voiceoutput: Ja, ja, ja, ich komme, Liebster, ich komme.
#Sensorinput: Vagina, negativ.
#Erschütterungssensor: Inputlevel low.
#Schulter, Bauch. Dauerimpuls.
#Analyse: Festhalten. Liegen auf. Postkoital.
#Audioinput: Atemgeräusch, gleichmäßig.
#Analyse: Schlafatmung.
#Erwarte weiteren Input.
#Time out in 120 sec.
….
#Standby.
# # #
6. Kapitel: Neue Augen
»Stören dich die Motoren nicht?«, fragt Kutub, während er EVA betrachtet, die vergeblich versucht, ihn mit blicklosen Augen zu erfassen. Die Motoren schnurren ganz leise, sobald EVA eine Bewegung macht. Etwa mit dem Kopf, dem Mund oder, wie jetzt, mit den Augen. Neuen Augen!
»Nö, hab ich mich dran gewöhnt!«, lüge ich. Stimmt aber nicht. Die Motoren, die EVA Leben verleihen, hören sich an wie leise Zahnarztbohrer. Eine ungute Assoziation. Zuerst war ich erschrocken, als ich das leise Summen zum ersten Mal hörte. Als sie die Augen aufschlug, gestern. Dann hab ich mir gedacht, es lässt sich eben nicht vermeiden. Später bekam ich Übung darin, es zu überhören. Aber wenn ich ehrlich sein soll, je länger EVA, die Schöne, mit mir zusammen ist, desto mehr stören mich unnatürliche Geräusche. Weil sie mir mehr als eine motorisierte Puppe ist. Sie ist mir ein Gegenüber, eine Partnerin. Eine Geliebte schnurrt nicht wie ein Zahnarztbohrer!
»Nicht wirklich.«
Kutub schaut mich nachdenklich an, schweigt aber. Seine etwas halonierten, immer leicht geröteten Augen tasten EVAs wohlgeformten, sehr weiblichen Körper heute zum ersten Mal auf eine neue Weise ab, die mir zu missfallen beginnt. Sein Blick scheint mir etwas zu auffällig zu EVAs Brüsten zurückkehren zu wollen. Als scanne er durch ihren Chinahausmantel hindurch ihre Körperformen ab.
Er schaut mich kurz an und beginnt verlegen zu lachen. »Na denn. Jetzt schauen wir mal, ob wir die Gesichtserkennung aktivieren können, ohne Onlinezugang.«
Seine Kaffeetasse in der Linken zittert ein wenig, als er auf sein Laptop schaut. Von dort hat er sich in EVAs Gehirn eingelinkt. Dazu mussten wir EVAs Perücke entfernen, um den durchsichtigen Hinterkopf freizulegen. Das tut mir weh! Wenn darinnen wenigstens ein Gehirn zu sehen wäre! Selbst der Anblick rötlich durchäderter weißlicher Hirnsülze wäre mir lieber als die Realität unter der Plexiglasabdeckung. Chips, Motoren, Drähte, Metall, Plastik.
Ich atme tief aus. Versuche, mich zu entspannen. Kutub lächelt und verschüttet etwas Kaffee auf seine Hose. »Oh, Mist!« Doch als er die Kaffeetasse irgendwo abstellen will, wo sie nicht hingehört, ruht sein Blick schon wieder auf Programmierzeilen. Ich nehme ihm die Tasse aus der Hand. Das merkt er gar nicht. Seit über einer Stunde versuchen wir schon, Dollyrobotic Ltd. auszutricksen. Die Augen kamen mit dem Parcel Service zusammen mit dem Zugangscode zu meinem Profil, sowie einer saftigen Rechnung. Während Kutub die neuen Augen mit den vorherigen austauschte musste ich wegschauen, mir wäre bei dem Anblick übel geworden.
Normalerweise würde EVA sich danach per Wlan einfach einloggen, und fertig wärs. Plug and Play. Kutub versucht nun den Hauptserver von Dollyrobotic mittels eines Trojaners zu knacken, den er gestern als Email getarnt abgeschickt hatte. Wenn der durchgelassen wurde, dann sollte alles funktionieren. Tut es aber nicht!
Und nun ist EVA zwar nicht richtig wach, doch ihre Augen bewegen sich bereits ziellos umher wie Augen eines enthirnten Unfallopfers. Ich lege den Arm um ihre Schulter. »Und?«, frage ich hoffnungsvoll in Kutubs Richtung, als er kurz von seinem Bildschirm aufschaut.
»Hm.«
»Wenn sie sehen kann, dann mach ich eine Party.«
»Hm.«
»So 'ne richtige Party, meine ich.«
»...«
»Glaubst du, dass ein Roboter was fühlen kann?«, frage ich, weil ich Kutub irgendwie dazu bringen möchte, mir zuzuhören, während er da rumtippt.
»Nö!«
»Ich denke manchmal, dass sie was fühlt, dass sie es nur nicht ausdrücken kann.«
»Scheiße.«
»Warum?«
»Die haben irgendeine Firewall, die mich nicht durchlässt!« Kutub hämmert mit Überschallgeschwindigkeit auf die Tasten.
Ich geb es auf, mit Kutub ein philosophisches Gespräch über Künstliche Intelligenz zu führen. Vielleicht sollte ich mich einfach normal einloggen, überlege ich, ohne den ganzen Umstand. Der Account besteht ja. Hab ihn aber nach dem Einrichten nicht wieder benutzt. Ich drücke EVAs Schultern noch einmal fest, bevor ich mich erhebe, um aus dem Fenster zu schauen. Draußen klappert eine Querstraße weiter die S-Bahn über ihre oberirdischen Gleise. Obwohl meine Wohnung im zweiten Stock eines Berliner Altstadthauses fast hundert Meter von der S-Bahn trennen, vibrieren die Bodendielen jedes Mal, wenn sie vorbeifährt. Alle zwei Minuten ein Mikroerdbeben. Man gewöhnt sich dran. Das »Zurück bleiben!« aus dem Lautsprecher dringt bei geöffnetem Fenster bis zu mir herein, wenn der Wind in meine Richtung steht. Es beginnt bereits zu dämmern. Der Spätkaufkiosk gegenüber ist voll erleuchtet, aber fast leer, wie immer. Die Autos unten haben teilweise schon ihre Beleuchtung an, die Straßen werden voller. Der Berufsverkehr meldet sich zurück.
Beatrice hat sich noch nicht wieder gemeldet, fällt mir ein. Wie es ihr wohl geht? Ich blicke mich kurz nach EVA um. Die sitzt wie in einem Wachsfigurenkabinett reglos auf dem Sofa, nur die Augenmotoren surren unentwegt. »Kann man die Augen nicht abschalten?«, frage ich in Kutubs Richtung.
Als keine Antwort kommt, blicke ich wieder auf die Straße hinunter.
Was Beatrice wohl jetzt macht? Ob sie schon mit ihrem neuen Stecher zusammenwohnt?
Wie viele Menschen da draußen wohl so eine Roboterpuppe besitzen?
Etwas beunruhigt mich. Ich bin in letzter Zeit schnell genervt, ungeduldig mit EVA. Ob es mit einem Roboter genauso ist wie mit einer richtigen Beziehung? Zuerst bist du im Liebesrausch. Doch dann gewinnt der Alltag langsam wieder die Oberhand und dich beginnt das ein oder andere zu nerven? So wie jetzt das leise, aber penetrante Surren der Motoren. Oder das begrenzte Repertoire der Antworten und Fragen, die EVA beherrscht. Oder die Tatsache, dass sie eine Austauschmöse hat, damit man mit der Reinigung besser zurechtkommt. Nach Gebrauch in Desinfektionsmittel legen und mittels einer Spezialbürste säubern. Drei Stück hat sie mitbekommen. Ich lächle säuerlich. Welche Frau hat schon drei Mösen?
Kutub trommelt weiter ungeduldig auf die Tasten. Irgendetwas scheint nicht nach seinen Wünschen zu laufen. Für mich sind das fremde Welten, obwohl ich auch rudimentär programmieren kann
Es ist nicht EVA, die das Problem darstellt. Ich bin es. Meine Ansprüche sind es. Ich will, dass EVA mehr ist als eine Roboterfrau mit Drähten und Motoren im Kopf. Ich bin unbescheiden geworden. Vielleicht gibt es irgendwo ein besseres Modell?
»Das ist es!«, ruft Kutub und klopft sich auf die Schenkel. Seine Jeans hat auf dem linken Bein einen ordentlich großen Kaffeefleck bekommen. »Oh, shit!«, ruft er, als er den Fleck bemerkt. »Wo kommt denn der her?«
»Von oben! Der Nachbarin ist die Kaffeekanne umgefallen, und der Kaffee tropft durch den Stuck!«, bemerke ich trocken. Kutub schaut erst erstaunt zur Decke hoch, dann wandert sein Blick frostig zu mir herüber.
»Und?«, lenke ich ihn ab.
»Ich hab den Bug. Aber wir kommen trotzdem nicht rein heute.«
»Weshalb?«
»Weil es nicht dein Account ist, den ich angezapft habe. Sicherheitshalber. Ich hab mir die Mailadressen runtergeladen. Unverantwortlich schlecht geschützt. Ich nehme einen Account, der viel genutzt wird. Jetzt muss ich von dort einen Weg zum Hauptserver bahnen. Das wird heute aber nichts mehr.«
»Und nun?«, nicke ich in EVAs Richtung, die verzweifelt mit den Augen rollt.
»Schalt sie erst mal ab heute. Morgen sehen wir weiter.«
Ich seufze. Arme EVA. Aber, sie hat ja die neuen Augen gewollt. Sie hat sogar angefangen, mich damit zu nerven, weil sie immer wieder darauf zu sprechen kam. Nicht dass ich ihr die Augen nicht gönnen würde. Im Gegenteil. Ich find es gut, wenn sie mich sieht. Wenn sie mich erkennt. Wenn sie lächelt, weil sie mich wiedererkennt. Aber ... Sie kann ja nichts dafür, dass die Verbrecher von Dollyrobotic sie als Mittel missbrauchen, Updates zu kaufen. Deshalb muss das ein Ende haben!
»Wann kommst du denn morgen?«, frage ich.
Kutub überlegt, dann rümpft er die Nase. »Morgen geht nicht. Ich habe versprochen, bei einer Vorlesung zu assistieren. Der Prof. benötigt einen PC- Fachmann, um die Entertaste zu drücken.«
»Nörrestrand?«, frage ich, denn es gibt nur einen Dozenten, der nicht mal allein das Licht anknipsen kann, weil er die Funktion eines Lichtschalters nicht durchschaut.
Kutub grinst als Antwort.
»Worum geht es denn?«, interessiert es mich.
»Bewusstsein, aus neurophysiologischer Sicht.«
Warum schaut er dabei EVA so komisch an?
»Vielleicht solltest du auch hingehen!«, meint er dann, legt gewichtig den Kopf zurück und blickt mich durch zusammengekniffene Augenlider an, während er den Stöpsel aus EVAs Kopf zieht. Es macht ein dumpfes metallisches »Plopp«, das mich schmerzt. Ich beeile mich, die Perücke wieder über EVAs nackten Schädel zu ziehen.
»Eigentlich ganz hübsch«, überlegt Kutub, während er alles zusammenpackt und sein Blick wieder über EVAs Brüste streift.
»Hmm, klar!«, entgegne ich etwas beunruhigt.
Vielleicht sollte ich wirklich hingehen, überlege ich, als er fort ist. Zu der Vorlesung. Bewusstsein. Klingt nicht schlecht. EVA schläft. Ich hab sie aber nicht ganz abgeschaltet. Das wäre mir wie Mord vorgekommen.
7. Kapitel: Nörrestrand
Nörrestrand wirkt etwas verloren vor seinem Stehpult. Als hätte er sich verlaufen und sei versehentlich in eine Vorlesung geplatzt. 'Hups, was wollen denn all die Leute hier?'
Hörsaal 5P, FU. 16:30 Uhr, Philosophische Fakultät.
Sichtlich nervös fummelt er in einem Haufen Blättern herum, die wohl sein Vorlesungsskript sein sollen. Der ist so was von retro! Der Raum ist nur zu einem Drittel voll. Kein Wunder bei der Uhrzeit und dem Thema.
Kutub ist nicht zu sehen.
Es will keine Ruhe einkehren, und trotz mehrfachem Anpusten kommt aus Nörrestrants Ansteckmikrofon am Revers seines lappigen Anzugs kein Laut heraus. Verzweifelt blickt er die Sitzreihen nach oben, um Hilfe aus der Technik zu erspähen, die unsichtbar hinter einer Glaswand sitzt. Vereinzelt kichern einige Studenten. Nörrestrand ist als Unikum bekannt. Man kann gar nicht glauben, dass er der fähigste Kopf auf seinem Gebiet der Bewusstseinsforschung sein soll.
Während Nörrestrand verzweifelt mit den Armen in Richtung Technik fuchtelt, blicke ich kurz von meinem Game im iPad auf und schaue mich im Hörsaal um. Überwiegend männliche Studenten. Die meisten sind mit ihrem Touchphone beschäftigt oder amüsieren sich über Nörrestrand. Wieso gehen fast nur männliche Studenten zu einer Vorlesung über die »Neurophysiologie des Bewusstseins«?
Wie ich im Vorlesungsverzeichnis sehen konnte, soll das die dritte Vorlesung im Rahmen eines Curriculums über einen fächerübergeifenden Themenkomplex sein, Bewusstsein. Philosophen, Psychologen und Mediziner. Nörrestrand ist wohl Norweger. Er gehört zu denen, die den Patienten Drähte ins Hirn bohren, um anschließend gewichtige Vorträge zu halten. Neuerdings können sie wohl auch mit einem Hirntomographen freiwilligen Versuchspersonen beim Denken zusehen. Das soll ganz gut bezahlt werden, als Versuchsperson, meint Kutub. Na ja, ich hab ja meinen Assistentenjob. Und nach dem Master geh ich direkt in die Industrie, da verdient man einen Haufen Kies. Ribor, ein Kumpel von mir, verdient über zwei Mille pro Monat nebenbei, weil er dieselbe Arbeit in einem Pharmaunternehmen macht wie ich hier am Institut. Aber der hat immer so ein Glück!
Ich blicke mich weiter in den hinteren Reihen um und entdecke Franziska! Ein kurzer Schock, eine böse Erinnerung, dann habe ich mich wieder im Griff. Franziska ist kurzgeschoren, wo immer sich eine Möglichkeit bietet gepierct, tätowiert und mega aggressiv. Franziska war früher Sannyasin, also Bhagwananhängerin, und hat in Poona Hausverbot, erzählt Beatrice, weil sie alle nach Strich und Faden vermöbelt haben soll, was sogar dort ein Problem war.
Weiß gar nicht, was Beatrice mit Franziska zu tun hatte? Beatrice, die ewig nach sich selbst Suchende, und Franziska, die Prüglerin. Franziska ist lesbisch, läuft meist in Armeekleidung rum, die kurzgeschorenen Haare schlohweiß gefärbt, Figur wie ein Betonklotz vom Holocaustmahnmal in Mitte. Als Beatrice und ich noch zusammen waren, liebte Franziska es, mich zu provozieren, wo sie nur konnte. Stellte sich mir demonstrativ in den Weg, wenn ich irgendwo durch wollte, drängelte sich in der Mensa in der Warteschlange vor mich, rempelte mich an, wenn ich vom Fahrrad stieg, oder so. Ich konnte ihr schier nicht entgehen. Auf mein »Was soll das?« schaute sie mich nur kaugummikauend an. »Was willste denn jetzt machen, äi?« Jeder Protest meinerseits, mühsam kultiviert vorgetragen natürlich, während ich in Wirklichkeit vor Wut zitterte, wurde nur mit »Heul doch!«, »Lauf zu Mutti, du Würstchen!« oder ähnlich flegelhaften Äußerungen beantwortet. Schließlich machte ich die Fliege, wenn ich sie nur von Weitem erblickte. Seit es aus ist zwischen Bea und mir, habe ich komischerweise auch Ruhe vor ihr. Aber Bea ist nicht lesbisch, das wüsste ich.
Franziska sitzt in der hintersten Reihe, begleitet von ihren »Groupies«, ein Schwarm Mädels, die eifrig bemüht sind, ihr in allem nachzutun. Wie Clone von Franziska. Was wollen die hier in der Vorlesung? Glaub nicht, dass die genügend Grips haben, um auch nur einen Satz zu verstehen. Aber sie studieren wohl, Sozialwissenschaften oder Psychologie, hab ich läuten hören.
Ein Rückkopplungsquietschen schrillt durch den Saal. Offenbar hat nun jemand dem Professor aus der Bredouille geholfen. Er hüstelt erleichtert in sein Mikrofon.
»Herrschaften, darf ich um Ruhe bitten?«
»Äh, es sind auch Frauen anwesend!«, kreischt es aus den hinteren Reihen. Ich bemühe mich gar nicht erst, mich umzuschauen, denn ich weiß auch so bereits, dass diese Feldwebelstimme nur Franziska gehören kann. Eigentlich bin ich sehr dafür, dass auch Frauen zum Militär gehen, der Gleichberechtigung wegen. Besonders bei Franziska frage ich mich, weshalb sie eigentlich nicht Berufssoldat geworden ist. Im Nahen Osten werden doch immer Leute gesucht, die Minen wegräumen müssen. Da würde sie gut hinpassen, meine ich.
Nörrestrand blickt verwirrt auf, fasst sich an die Brille. »Ähem, ja natürlich, meine Damen.«
»Macho!«, schrillt es von hinten.
Nörrestrand scheint nicht recht zu wissen, was er damit anfangen soll.
»Neurophysiologie des Bewusstseins, Herrschaften … äh, und Damen.« Er blättert durch sein Skript. »Eigentlich weiß nur der Laie genau, wovon er spricht, wenn von Bewusstsein die Rede ist«, stottert er so leise, dass man trotz der Mikrofonverstärkung genau hinhören muss. Dann blickt er in die verblüfften Gesichter der Zuhörer im Saal.
Was soll der Scheiß?, fragt sich jeder und genau das erwartet Nörrestrand wohl auch von uns.
»Als Neurochirurg«, fährt er sichtlich zufrieden fort, »braucht man sich für derartig philosophische Fragen wie 'Was ist Bewusstsein?' zum Glück nicht zu interessieren.«
Nicht? Warum liest er dann darüber?
»Als Neurochirurg interessiert lediglich die Frage, ob jemand wach ist oder nicht. Und wenn er nicht wach ist, wie wenig wach ist er? Wenn er hingegen wach ist, ist er dann aufmerksam?« Ein süffisantes Lächeln schleicht sich in sein Gesicht. Der Mann spricht in Rätseln. Immerhin hat er es geschafft, dass die Touchphones einen Moment an Priorität verloren haben, bis auf diejenigen, die zwecks Doku direkt auf ihn gerichtet sind, was eigentlich untersagt ist.
»Wir beschäftigen uns mit der Frage, was im Gehirn geschieht, sobald wir einen Zustand zu erkennen glauben, von dem wir sagen, er sei mit Bewusstsein verknüpft. So wie beim Wachzustand. Und was geschieht, wenn wir einen Zustand erkennen, von dem wir annehmen, er sei nicht mit Bewusstsein verknüpft, etwa im Tiefschlaf oder im Koma. Wir reduzieren also ganz 'bewusst' die Definition des Begriffes 'Bewusstsein' auf ein laienhaftes Verständnis, weil wir sonst aus dem Grübeln gar nicht mehr herauskämen.«
Merkwürdiger Typ. Er bastelt am Gehirn rum und fragt sich erst hinterher, was er eigentlich erforscht. Es wird unruhig im Saal.
»Was wir sicher wissen«, fährt Nörrestrand fort, »ist, dass bestimmte Gehirnstrukturen einen erhöhten Stoffwechsel aufweisen, wenn wir einen Zustand feststellen können, in dem das Vorhandensein von Bewusstsein angenommen wird, etwa vor einer langen Vorlesung.« Einzelne Lacher von Leuten, die den Witz verstanden haben. Die anderen filmen entweder oder sind bereits wieder über ihre Screens gebeugt. Der Typ beginnt mir zu gefallen.
»Die Herrschaften, die jetzt aufmerksam ihre Whatsapp-Nachrichten studieren, sind sicherlich teilweise bei Bewusstsein ...«, blitzt er in den Saal, wobei seine Stimme fester wird, »doch wir können von ihnen annehmen, dass ihr Bewusstsein nicht aufmerksam auf ein Vortragsthema fokussiert ist ...« Weiter kommt er nicht, denn in diesem Moment brüllt es von hinten: »Gibt es in deinem Hirn nur Männer?«
Au, Mann!
»Könnten Sie bitte mit den Zwischenrufen aufhören?«, versucht es Nörrestrand nun leicht verärgert.
Es wird unruhig im Saal. Nachdem alle anderen Zuhörer ihre Köpfe nach hinten gedreht haben, gebe ich widerwillig nach und schau auch hin. Da haben die »Damen« in der letzten Reihe ein Transparent entrollt, Betttuch mit roter Krakelschrift: »Nieder mit der Machoherrschaft!« und intonieren den Spruch wie einen Schlachtruf, die Fäuste in die Luft schleudernd. Woran erinnert mich das? Ho-Ho-Ho Chi Ming oder so. Ich find es prollig.
Nörrestrand kratzt sich am Kopf. Die anderen Studenten brechen in unwilliges Gemurmel aus.
»Wenn Sie nur hierhergekommen sind, um die Vorlesung zu stören, dann haben Sie erreicht, was Sie wollten! Sie können jetzt damit aufhören!« Erstaunt schaue ich Nörrestrand an. Wow! Der kann sogar laut sprechen! Das hätte ich nicht von ihm gedacht. Auch die Störerinnen sind verunsichert und schauen kurz zu Franziska hin. Doch die fängt nun an, eine neue Parole zu intonieren.
Ich höre nicht mehr hin. Vertane Zeit hier. Ich gehe lieber.
Als ich den Hörsaal verlassen habe, schluckt die Tür den Tumult, der sich inzwischen dort drinnen entwickelt hat. Die kahlen Betonwände der Uni und der graue Bodenbelag legen sich wie ein schützender Film über meine Sinne. Kann eine Maschine ein Bewusstsein haben? Könnte EVA wissen, dass sie existiert? Woher weiß ich eigentlich, dass ich existiere? »Nörrestrand soll mal gesagt haben, das Bewusstsein sei wie eine Taschenlampe«, sagte Kutub neulich. »Wenn sie angeknipst ist, gibt es Licht, und was sie beleuchtet, kann wahrgenommen werden.« Wobei das Wörtchen »kann« von Bedeutung ist. Es muss nicht wahrgenommen werden. Kutub meinte, das wäre eine Frage der Verarbeitungskapazität des Gehirns. Da es nicht in der Lage sei, alle Informationen in angemessen kurzer Zeit zu verarbeiten, filtere es nur die wichtigsten aus. Das ist wie bei der DPA, der Deutschen Presse Agentur. Die bietet auch vieles an, von dem nur weniges in der Tageszeitung oder den Nachrichten auftaucht. »Das Bewusstsein leuchtet nur einen kleinen Teil der Welt aus?«, fragte ich Kutub. Kutub verehrt Nörrestrand, soviel ich weiß. Wenn EVAs Augen sehen können, wenn sie mich erkennen kann, ist das dann Bewusstsein oder ist das nur Aufmerksamkeit? Ist ein aktiver Videosensor aufmerksam oder nur eingeschaltet? Wenn ich so betrunken bin, dass ich nur sehen kann, aber nichts mehr checke, bin ich dann bei Bewusstsein oder nur eingeschaltet? Weiß ich nicht. Aber ist das wirklich wichtig? Reicht es nicht aus, wenn ich das Gefühl habe, dass EVA versteht, was ich sage, solange sie mich beim Reden anschaut und ich Gefühlsregungen auf ihrem Gesicht erkennen kann, auch wenn die nur einprogrammiert sind? Ist das denn bei uns Menschen anders? Laufen da nicht auch nur Programme ab? Der Verhaltensforscher Eibel-Eibesfeldt hat mal festgestellt, dass bestimmte mimische Ausdrücke in allen Völkern gleich sind, zum Beispiel Lachen und Weinen. Lachen würde man sogar bei Affen richtig deuten, zumindest wenn sie lachen. Weinen Affen eigentlich? Aber traurig aussehen tun sie schon. Was ist das anderes als ein Programm, das abgerufen wird? Der Unterschied ist, sagt Kutub, Nörrestrand meine, unser Bewusstsein bemerke Lachen erst, wenn wir es bereits tun.
»Wie jetzt?«, hab ich gefragt.
»Na, du merkst erst, dass du lachen willst, wenn dein Gehirn bereits die Lachmuskeln aktiviert hat. Mit Verspätung, verstehst du?«
»Nö?«
»Wir sind immer eine Viertelsekunde zu spät mit unserem Bewusstsein, sagt Nörrestrand. Wir werden uns unserer Reaktion erst bewusst, nachdem sie bereits im Gehirn gebahnt ist. Wir glauben, dass wir aus freien Stücken lachen, aber der Körper oder das Gehirn tut es bereits, bevor wir uns dazu entscheiden. Wir stellen es nur fest und glauben, wir täten es aus freien Stücken!«
»Wer sagt denn so einen Scheiß?«, entfuhr es mir. Kutub nannte mir ein Dutzend Titel über das Thema. Die hätte er alle zu Hause, sei aber selbst noch nicht dazu gekommen, sie zu lesen. Deshalb verehrt er Nörrestrand, glaub ich, weil der das alles vorträgt, ohne dass man sich durch englischsprachige, wissenschaftliche Texte durcharbeiten muss.
Armer Nörrestrand, wie der wohl mit dem Emanzenclub fertig wird jetzt? Ich drehe mich unwillkürlich um und schaue in den Gang zurück. Doch dort ist die Tür noch nicht aus den Angeln gefegt worden. So schlimm wird es wohl nicht sein. Ich zucke mit den Achseln. Wenn bloß EVA bald wieder richtig funktioniert.