Kitabı oku: «Heimkehr zu den Dakota», sayfa 4

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Union Pacific

Es war Frühling. Seit dem Tag, an dem Joe mit dem Materialzug ostwärts fuhr, war einundeinhalbes Jahr vergangen. Seit einem Jahr war die erste Überlandbahn vollendet, und die Züge fuhren von Chicago bis San Francisco.

Ein Zug befand sich auf der Strecke im einsamen grasbewachsenen Hochland des Westens. Die Lokomotive dampfte, die Räder rollten. Der Heizer, schwarz berußt, hockte neben dem Lokomotivführer, der die Strecke beobachtete und die Steuerhebel stellte. Das Geräusch der rollenden Räder wurde durch die Nahtstellen der Gleise rhythmisch eingeteilt.

An einem Fenster des Personenwaggons, mit dem Blick nach Norden, saß ein schweigsamer Fahrgast. Seine Haare waren weich, silbergrau, ziemlich lang gehalten. Ihr schöner Glanz fiel auf. Das Gesicht war schmal, die Stirn wohlgebildet. Obgleich die Haut leicht gebräunt war, hatte sie einen durchsichtigen Schimmer, wie körperliche Leiden ihn erzeugen. Die blauen Augen hatten sich seit Stunden keinem der Mitreisenden zugewandt, sondern blickten unverwandt hinaus in die weite Landschaft. Manchmal rührte sich die rechte Hand, als ob sie einen Umriss beschreiben wolle: Es war eine Hand mit schlanken Fingern, aber dies war nicht das bemerkenswerteste daran; es war eine Hand mit einer Ausdrucksfähigkeit, wie sie sonst nur das Gesicht eines nachdenkenden Menschen hat. Der Reisende war in Leder gekleidet, in ein sehr feines, weiches und teures Leder, aber der Anzug wirkte doch so, als ob sein Besitzer vorhabe, demnächst den Zug als Beförderungsmittel aufzugeben und ein Pferd zu besteigen. Zu der Zartheit, vielleicht sogar Kränklichkeit des Körpers bildeten eine solche Kleidung und die Möglichkeit eines solchen Vorhabens einen eigentümlichen Kontrast, der schon lange das Interesse der Mitreisenden erregte.

Die Plätze in der Nachbarschaft dieses schweigsamen Passagiers nahmen eine Familie von drei Personen und außerdem zwei Herren ein, von denen der eine vielleicht zehn oder fünfzehn Jahre älter war als der andere. Trotz des tagelangen Beisammenseins war noch keine allgemeine Unterhaltung zustande gekommen, und das lag nach Auffassung der dreiköpfigen Familie an zwei Personen außerhalb ihres Kreises, eben an jenem grauhaarigen Fahrgast und zum zweiten an dem älteren der beiden Herren. Dieser Gegenüber war stämmig; seine Schultern waren breit, seine Hautfarbe gesund. Aber um seine Mundwinkel zogen sich, bei den Nasenflügeln ansetzend, tief eingekerbte Falten.

Es war Nachmittag geworden. Durch das Fenster war zu sehen, wie der Wind draußen das Gras in Wellen trieb, so dass die Prärie wie ein windbestrichenes Meer wirkte. Am Himmel segelten Wolken westwärts.

»Pa!«, rief der Junge, das Zentrum der dreiköpfigen Familie. »Antilopen!« Er sprang auf und stellte sich an das Fenster, aber als er recht in Augenschein nehmen wollte, was er entdeckt hatte, machte er schon eine neue Wahrnehmung. »Ma! Ein Indianer! Ein Indianer!«

»Ein Indianer, ein Indianer!«, äffte der Vater nach. »Setz dich bitte.«

Douglas setzte sich, denn auch der indianische Reiter, den er gesehen hatte, war seinen Augen inzwischen entschwunden.

Der stille Fahrgast am Fensterplatz rührte sich. Seine Mienen wurden lebhafter; es war, als ob er in Gedanken mit sich selbst spreche. Auch der stämmige Herr schien von einem Tauwind erfasst; er verzog die Mundwinkel, so dass die Falten sich noch tiefer legten.

Die Blicke des Grauhaarigen und des Stämmigen trafen sich in diesem Augenblick, und es stellte sich sofort ein Einverständnis her.

»Auch schon mal hier an dieser gefährlichen Ecke gewesen?«, fragte der Stämmige.

»Gelegentlich«, gab der Grauhaarige unbestimmte Auskunft.

»Noch mal hier in der Gegend aussteigen?«

»Ja.«

»Ich auch. Es ist ein Magnet, so ein Land.«

»Das ist’s.«

Damit schien das Interesse der beiden am Gespräch wieder erloschen.

Umso mehr fühlte sich der Vater des Jungen verpflichtet, auch ungefragt seine Ansichten laut auszusprechen. »Gefährliche Ecke, meinen Sie? Das ist nur noch ein kurzer Übergangszustand! In ein paar Monaten sind die Indsmen bereits zu Paaren getrieben und befinden sich auf der Reservation, wo sie hingehören. Es ist auch höchste Zeit, dass die verlausten versoffenen Banditen Zivilisation lernen.«

Douglas musterte den Stämmigen. Was sagst du jetzt?, fragten seine jungen Augen. Die Antwort kam jedoch von anderer Seite.

»Die freien Indianer sind weder verlaust noch Banditen«, erwiderte der grauhaarige Herr leise, aber bestimmt. »Ich habe sehr gute und sehr aufrichtige Freunde unter ihnen gefunden. Sie brauchten nichts als Zeit und Ruhe und Freiheit, um ihre Fähigkeiten zu entwickeln. Ihr Schicksal ist eine Tragödie.«

»Gestatten Sie ... Tragödie? Wir sitzen nicht im Theater, sondern wir machen Amerika. Die Bahn hier zum Beispiel ist schon vor dem gesetzten Termin vollendet worden. Wir haben nirgends und an niemanden Zeit zu verschenken. Wer sich nicht schnell anpassen kann, geht eben unter.«

»Ein solcher Vorgang, mein Herr ...«

»Finley.«

»… Herr Finley, kann am Rande auch für nicht unmittelbar Beteiligte sehr unangenehm werden.«

»Bitte beunruhigen Sie meine Frau nicht!«

»Das liegt nicht in meiner Absicht.« Der Grauhaarige lehnte sich wieder in seine Ecke zurück. »Die Indianer würden Ihre Gattin auch nicht weiter belästigen.«

Die Lokomotive pfiff.

Das Land draußen lag einsam und leer. Die erste Dämmerung des Frühlingstages ermattete die Kraft der Farben; am Horizont schienen Prärie und Himmel ineinander zu verschwimmen.

Der grauhaarige Herr wollte sich aus dem Gespräch zurückziehen.

Douglas lehnte die Schokolade ab, die die Mutter ihm reichlich anbot. Herr Finley nahm sich jedoch ein Stück und wurde sehr lebhaft.

»Was mich betrifft«, bemerkte er wieder ungefragt, »so bin ich Republikaner. Ich war immer Republikaner, ein stählerner Republikaner, und bin stets für die Freiheit und sogar für das gleiche Recht der Farbigen eingetreten. Aber hier handelt es sich gar nicht um weiß, schwarz oder rot, sondern um Mörder oder Bürger beziehungsweise um Eisenbahn oder keine Eisenbahn. Die Entscheidung ist klar.«

»Das Land hier ist den Indianern als ihr Gebiet garantiert worden.«

»Was hat das mit der Eisenbahn zu tun?«

»Darüber hat normalerweise der Eigentümer des Landes zu befinden.«

»Wir fahren auf dem Territorium eines Staates der Union!«

Der grauhaarige Herr antwortete darauf nicht mehr, sondern schaute wieder zum Fenster hinaus.

Douglas benutzte die Pause, um sich von neuem einzuschalten. »Weißt du noch, Pa, in Minneapolis, im Zirkus? Damals wagte es der Häuptling in der Manege auch, eine solche Rede zu halten!«

»Jawohl, und die Vorstellung endete mit einem Mord an dem Inspizienten und der Aufklärung eines Kassenraubs.«

Der Grauhaarige fuhr zusammen. »Verzeihen Sie, wissen Sie noch den Namen des Zirkus und das Jahr, in dem das geschehen ist?«

Douglas übernahm die Antwort. »Frühjahr 1864. Der Zirkus hieß Myers.«

»Mein Name ist Morris. Ich habe in Omaha im Herbst 1863 miterlebt, dass der Griff in die Zirkuskasse entdeckt wurde. Können Sie mir sagen, wie er sich aufklärte?«

»Ein Cowboy mit Namen Jim wurde gefasst«, erklärte Herr Finley, »ist aber in derselben Nacht wieder entflohen und untergetaucht.«

»Was hatte es mit dem Mord an dem Inspizienten auf sich?«

»Ein indianischer Artist mit Namen Top hat den Inspizienten erschossen und wurde ebenfalls flüchtig. Die ganze Dakotatruppe ist damals ausgebrochen und in die Wildnis geflohen.«

»So ... ach ... so.«

»Bitte, Sie verzeihen ...«, Frau Finley beugte sich vor, um den Fremden anzusprechen. »Ich möchte nicht neugierig erscheinen. Aber ... Ihr Name ist Morris? Sind Sie vielleicht der berühmte Maler, der sich vornehmlich Indianer als Modelle gewählt hat?«

»Das letzte trifft zu.«

»Dann ... ist Ihre Sympathie verständlich! Von Angesicht zu Angesicht entdeckt man doch in jedem Menschen ... nun, noch etwas Menschliches. Ich erinnere mich sehr genau an diese großartige und entsetzliche Vorstellung in Minneapolis. Der Dakotahäuptling, der dann den Mord begangen hat, war eine imponierende Erscheinung.« Herr Finley, der keine imponierende Erscheinung war, warf seiner Gattin einen kritischen Seitenblick zu, den sie aber nicht wahrnahm. »Es trat damals auch ein Indianerjunge auf, sogar als Schulreiter ...«

»Ja!«, rief Douglas. »Er sah aus wie der Sohn eines Lords!«

Der grauhaarige Maler schien noch ernster und trauriger zu werden, als er die ganze Fahrt über gewesen war. »Was aus diesen Menschen geworden sein mag«, sagte er und machte dann eine Handbewegung, als müsse er die Worte wieder auslöschen, die zu viel von seinen Empfindungen verraten konnten.

Douglas starrte ihn an. »Ich weiß auch noch, wie die beiden Indianer hießen. Top und Harry.«

»Wie?!« Der Ausruf kam nicht aus dem Munde des Malers, sondern aus dem des stämmigen Herrn, der gleich dem Maler die bisherige Fahrt über schweigsam gewesen war. »Top und Harry?«

»Gewiss.« Douglas fühlte sich nicht nur beachtet, sondern schon als Mittelpunkt des Interesses.

»Kennen Sie diese Indianer auch?«, fragte der Maler den Stämmigen.

»Ja – Brown ist übrigens mein Name, Joe Brown.«

»Nun muss ich fragen: der berühmte Joe? Der Ingenieur, der hier auf dieser Strecke als Pionier gearbeitet hat?«

»Ein Ingenieur, das stimmt.«

Douglas war elektrisiert. »Von der vergifteten Expeditionsgruppe damals?«

Joe Brown lächelte mit einem undefinierbaren Ausdruck. »So ist’s. War nicht weit von hier – der Zug fährt jetzt etwa diese Strecke.«

»Und Sie kennen Top und Harry?«, nahm der Maler das Gespräch wieder an sich. »Wann haben Sie diese beiden zuletzt gesehen, wenn ich fragen darf?«

»Top zum letzten Mal vor eineinhalb Jahren – Harry vor einigen Minuten. Er war der Reiter, den Douglas über die Prärie jagen sah.«

Der Zug ratterte weiter.

Als die Behelfsstation in Sicht kam, war es Abend. Douglas stand am Fenster. Da der Zug einen Bogen fuhr, sah der Junge schon von weitem die riesigen Zelte, die Bretterbuden, die Stapel von Ballen und Fässern auftauchen. Es herrschte ein lebhaftes Treiben bei diesem provisorischen Lager, das noch aus der Bauzeit stammte und als Umschlagplatz mitten in der Wildnis diente.

Der Zug hielt auf der Station. Fenster und Türen öffneten sich, aber es stiegen nur drei Personen aus: Morris, Brown und dessen junger Begleiter, der von ihm mit »Henry« angesprochen wurde.

Es dauerte nicht lange, bis der Zug sich wieder in Bewegung setzte. Für die Augen der Zurückbleibenden wurden Lokomotive und Wagen klein und kleiner; das Wunderwerk menschlichen Erfindungsgeistes erschien im Abenddämmer bald nur noch wie eine Schlange, dann wie eine Raupe, die sich durch die Grassteppe wand, und endlich war es ganz verschwunden.

Morris, Brown und Henry blieben unwillkürlich zusammen. Sie hatten alle nur sehr wenig Gepäck bei sich. Der Wind blies ihnen ins Gesicht.

Die großen Zelte bauschten sich. Staub wirbelte von dem graslosen Platz an der Station neben dem Gleis auf. Stimmen riefen, Pferdehufe trappelten, aber das alles war nichts als ein winziger Lärm in einem Meer von Stille ringsum.

Von Westen her grüßten die Schattenrisse des Felsengebirges. Die ersten Sterne leuchteten auf.

»Ich werde erwartet«, sagte Morris und schaute sich um. Er entdeckte den, den er suchte, nicht, aber dieser entdeckte ihn, und Morris’ Augen leuchteten auf.

»Langspeer! Da bist du!« Damit begrüßte der Maler einen Indianer, der sehr sorgfältig und sauber gekleidet war und eine kostbare Kette um den Hals trug.

»Mein weißer Bruder Weitfliegender Vogel, Geheimnisstab hat mich gebeten, heute am Abend mit zwei Pferden und zwei Maultieren hier auf ihn zu warten. Ich habe gewartet.«

»Du hast mich erwartet, du Getreuer! Hast du schon Quartier für uns?«

»Ja.«

»Kann ich meine beiden Bekannten hier, Brown ...«

»Joe bitte, nachdem wir aus dem Zug ausgestiegen sind.«

»Also meine Bekannten Joe und ... Henry war der Name? Joe und Henry mitnehmen?«

»Das wird möglich sein.«

Zu viert machte man sich auf den Weg. Der Indianer führte zu einer Bretterbude, die etwas komfortabler aussah als die anderen, deren Wände aber, wie sich im Innern rasch herausstellte, den Luftzug durch zahlreiche Ritzen durchließen. Morris fröstelte.

»Ich bin sonst nicht für das Trinken«, gestand er, »aber nach der langen Fahrt, nach dem Genuss der Reden des Herrn Finley und in dieser Zugluft hier, mit der die Prärie in die unzulängliche Zivilisation der Baracke pustet, wäre eine Flasche Whisky als Erwärmung und Vorbeugung doch nicht zu verachten.«

Joe lächelte. »Wir machen mit. Einverstanden, Henry?«

»Wie immer.«

Joe und Morris gingen schon zu dem Gastraum, während Langspeer, der Indianer, mit Henry zusammen das Gepäck fortbrachte. Die beiden verhandelten mit dem Wirt über eine zweite Schlafkammer, erhielten sie auch für einen Wucherpreis und verstauten die Sachen. Langspeer nahm beide Schlüssel an sich und erklärte, dass er selbst bei den Räumen bleiben und aufpassen wolle. Henry solle zu den anderen in den Gastraum gehen. Nach einigem Hin und Her setzte der Indianer seinen Willen durch.

Henry begab sich allein in den Wirtsraum zu Morris und Joe und entschuldigte das Fernbleiben Langspeers.

»Ich hatte es nicht anders erwartet«, erklärte der Maler. »Langspeer trinkt keinen Tropfen Alkohol und vermeidet jede Gastwirtschaft. Es ist bei ihm Prinzip. Zu viele seines unglücklichen Volkes sind am Branntwein zugrunde gegangen.«

»Er ist Sioux?«, fragte Brown.

»Cheyenne. Ich habe ihn persönlich durch meine Petition aus der Reservation befreit, und er ist mein ständiger Begleiter.«

Da es keinerlei andere Ablenkung in der Wildnis gab, fand sich abends alles zum Trinken in einer großen neuen Gastwirtschaftsbaracke zusammen. Der Wirt selbst, Kellner und Kellnerinnen eilten umher, um zu bedienen. Schon jetzt waren mehrere Gäste angetrunken. In der gegenüberliegenden Ecke wurde musiziert, und eine Tänzerin zeigte sich, um anzudeuten, dass sie später ihre Künste darbieten werde.

Der Maler schaute umher und suchte gewohnheitsmäßig nach Charakteren und Typen, die ihn interessieren könnten. Aber mochte es nun seine Müdigkeit, der Anblick der armseligen und klapprigen Bretterwand, die schlechte Musik, der Tabaksqualm oder der Biergeruch ausmachen, er fand kein Gesicht und keine Gestalt, die ihn fesselten.

Joe Brown schien anderer Stimmung zu sein. »Sie sind zu lange nicht hier gewesen«, sagte er zu Morris. »Darum sind Sie jetzt betrübt, dass sich alles verändert hat. Reißen Sie sich aus den Erinnerungen heraus!«

»Ich war Jahre hindurch magenkrank. Aber Sie haben recht, der Sprung ist zu groß. Früher wurde ich in diesen Gegenden von Top, der damals noch als Häuptling seinen Namen Mattotaupa trug, im Zelt mit Büffellende bewirtet und hörte am Abend die Flöten in den Wiesen. Jetzt sitze ich in einer schnapsstinkenden Bude, trinke selbst Branntwein und lasse meine Ohren von diesem unfähigen Geiger martern.«

»Man könnte auch anders akzentuieren, nach meinen persönlichen Erfahrungen.« So meinte Joe, wieder mit jenem Lächeln, durch das seine Falten sich noch tiefer und schärfer prägten. »Früher wurden meine Gefährten hier durch die lautlosen Pfeile von Tashunka-witkos Kriegern umgebracht, jetzt ruiniere ich mich nach eigenem Dafürhalten und Maße mit Bier und mit Branntwein, den ich mir noch bestellen werde. Übrigens sind die Zelte und die Büffel aus den Landstrichen hier keineswegs verschwunden. Es ist eine zu elende, rauhe, mehr staubige als fruchtbare Gegend, und es haben sich noch kaum Siedler gefunden, die den Indianern solche Jagdgründe ernsthaft streitig machen. Die Bahn bedeutet erst einen sehr dünnen Strich der Zivilisation quer durch ein unbeschriebenes Blatt der Wildnis.«

»Das eben habe auch ich gehört, und ich will versuchen, mit meinem Pinsel noch einiges von den alten Sitten und Gewohnheiten festzuhalten, ehe die eingeborenen Herren des Landes ganz verschwinden müssen.«

»Eine friedliche und löbliche Aufgabe. – Hallo!« Brown rief nach einem Kellner, aber da dieser im Augenblick beschäftigt war, kam stattdessen ein Mädchen zum Bedienen an den Tisch. »Auch wieder mal da, Joe? Brandy?«

»Ja, Brandy. Wie geht’s dir, Daisy?«

»Heiße immer noch Vicky; dass du dich daran nie gewöhnen kannst!«

»Vicky passt nicht zu dir. Habe ich dir immer gesagt. Also Daisy! Was macht das Geschäft?«

»Werde nicht reich dabei. Reich wird nur der Wirt.«

»Keinen guten Mann gefunden?«

»Mann schon, aber gut ..., gut und Mann, das passt nicht zusammen. Nur bei einem, da war’s anders.« Das Mädchen schluckte.

Brown bestellte daraufhin: »Bring Brandy für uns beide!«

Diese Bestellung wurde rasch ausgeführt. Henry hatte schon für einen Stuhl gesorgt, und das Mädchen setzte sich.

»Also, wie steht’s und geht’s?«, erkundigte sich Brown nochmals.

Morris, dem das Mädchen unappetitlich war, weil es eine fettige und geschminkte Haut hatte, begriff, dass Brown und Henry von ihr über alles unterrichtet werden wollten, was sich in den einundeinhalb Jahren, in denen sie nicht mehr am alten Platze gearbeitet hatten, zugetragen haben mochte. Die Kellnerin wusste sicher über die Vorgänge im Stationslager ebenso gut Bescheid wie ein Kundschafter über die Fährten in einem Landstrich. Vielleicht war sie auch eher unappetitlich als schlecht, und Joe, der den Bahnbau mitgemacht hatte, mochte an solche Gestalten viel mehr gewöhnt sein als Morris.

Das Mädchen nahm Joes wiederholte Frage auf und schüttete den zweiten Brandy hinunter. Sie war trinkfest geworden. »Taylor I, den du gekannt hast, ist weggegangen. Seit ein paar Monaten haben wir Taylor II, den Lockenhaarigen, als Stationsleiter.« Das Mädchen kicherte.

»Über den gibt’s manchmal was zu lachen?«, fragte Henry.

»Für uns hier gibt’s manches zu lachen, Junge! Dem Hahnenkampf-Bill seine müsst ihr euch nachher ansehen, die lange Lilly, was aus der geworden ist!«

»Was gibt’s sonst Neues?«

Das Mädchen war bereits beim dritten Becher.

»Seit wann säufst du denn, Daisy?«

»Seit die Bahn geht und man die Leute sieht, die leben können! Das ist doch ein Dreck hier, in dem man sich abschuftet. Gold hätte man finden müssen! Mit dem Sacramento ist nicht mehr viel los, aber in den Black Hills, heißt es, könnte noch was gefunden werden.«

»Was gibt’s sonst Neues?«

»Der Junge, der Harry, der sorgt schon für üble Neuigkeiten.«

»Wieso? Früher ging doch alles gut.«

»Lass mich bloß mit Harry zufrieden! Taylor II kriegt bald einen Schlag ...«

»Warum?«

»Einen Schlag kriegt der, wenn Harry es so weiter treibt. Mit dem Zigeuner zusammen soll er dem blonden Anarchisten zur Flucht verholfen haben, als sie den verhaften wollten. Das sagen alle, beweisen kann es keiner. Ein ganz Verfluchter ist der junge Rote.«

»Neunzehn Jahre ist er alt«, sprach Morris leise, mehr zu sich selbst.

»Mit dem kann einem das Lachen vergehen. Wie heißt Ihr? Morris?«

Der Maler nickte und schob unter der Hand noch ein Geldstück über die Tischplatte. Er hätte es nicht auf eine so diskrete Art zu machen brauchen, denn Daisy-Vicky betrachtete es als selbstverständlich, dass ihre Zeit von den Gästen bezahlt wurde. Sonst hätte sie dem Wirt und den Kollegen gegenüber nicht verantworten können, so lange an einem Tisch sitzen zu bleiben.

»Harry ist ein verdammter Bursche. Ein Killer ist der geworden. Skalphaare trägt er an den Nähten, aber nicht nur schwarze.«

Joe und Morris wechselten einen erstaunten Blick. »Was soll das heißen?«

»Das war so. Drei von uns haben sich mit ihm gestritten. Wie man sich so streitet. Verdammte Rothaut, räudiges Schwein oder was Ähnliches haben sie zu ihm gesagt. Sie sind alle drei verschwunden. Aber er hat Skalphaare an den Nähten, nicht nur schwarze. Das stumme Scheusal, das er in seinem Zelt hat, die Seminolendirne, näht sie ihm an und freut sich noch. Ich will Daisy heißen, wenn die braune Locke nicht eine Locke von meinem Mackie ist. Den hat er ermordet.« Das Mädchen schluckte, als ob es heulen wollte. »Und jetzt haben sie alle Angst vor ihm und seiner Bande, und er macht, was er will. Den Stationsleiter trifft der Schlag, wenn das so weitergeht!«

»Was hat denn der Stationsleiter mit euren internen Auseinandersetzungen zu tun?«

»Du bist mir ein Gemütsmensch! Auch noch aus der guten alten Grenzerzeit! Der Taylor II, der hat neulich mal den Harry einen Faulpelz und einen Heimtückischen geheißen, weil er nie auf die Anordnungen hört, sondern macht, was er will, wenn sich nicht gerade der Vater dazwischenmischt. Aber das kommt auch nur noch selten vor. Und jetzt hat er Angst, unser Lockenkopf, dass er als Nächster dran ist.«

Joe und Morris waren sehr ernst geworden. »Sind die beiden Indianer in der Nähe?«

»Was weiß denn ich! Die sind überall und nirgends.«

An den Nebentischen rührten sich die Gäste, die bedient sein wollten. Das Mädchen sah auch seine Aussicht auf weitere Trinkgelder schwinden und ging.

Joe trank einige Schluck Bier. »Harry hat sich also auf seine Weise durchgesetzt«, sagte er.

Der Maler schaute nach der Bretterwand, als ob dort irgendein Bild hinge, das nur er sehen könne. »Ich habe ihn als Knaben bei den Zelten seines Stammes gekannt. Harka wurde er damals gerufen. Er war ein ungewöhnliches Kind, kühn und selbständig denkend.«

»Ihr hattet überhaupt einen guten Eindruck von der Bärenbande?«

»Den besten.«

Das Gespräch wurde abgerissen, denn die Musik begann lauter zu spielen, und die ersten Paare tanzten.

Joe richtete seine Aufmerksamkeit auf diese. »Wenn mich nicht alles täuscht – wahrhaftig, der Hahnenkampf-Bill! Seine Lilly ist noch dürrer und kesser geworden. Dort, Henry, das Weibsstück!«

»Pfh ...« Henry begann zu lachen. »Für ein Witzblatt«, sagte er. »Schau dir nur den Bill an! Wie ein Auerhahn – ein wenig angeschossen!«

»He! Halt’s Maul! Klapp deine verzierte Schnauze zu!« Die Drohung kam vom Nebentisch, wo ein junger Kerl über den Durst getrunken hatte. »Bill ist mein Freund!«

»Schon recht«, erwiderte Henry friedlich und trank sein Bier aus.

Der andere aber befand sich in dem Zustand der Angetrunkenheit, in dem er Streit suchte. Er erhob sich und kam an den Tisch von Henry, Joe und Morris herüber. »Der Bill ist mein Freund! Verstanden?«

»Schon recht. Dein Freund. Setz dich wieder hin.«

»Mann! Mein Freund! Der Hahnenkampf-Bill.« Er hielt Henry die Faust unter die Nase.

Joe hatte schon die Hand am Revolver. Morris wollte zahlen und aufstehen, aber weder ein Kellner noch der Wirt zeigten sich. Der Geiger kratzte die Saiten seines unglücklichen Instruments. Hahnenkampf-Bill tanzte und stampfte verzückt mit seiner langen Lilly.

»Schön tanzt er! Verstanden!«

»Ich verstehe dich ganz gut, Freund. Bin nicht schwerhörig. Du brauchst nicht zu brüllen.«

»Was sagst du ... Ich brülle nicht! Bin ich ein Ochse?«

»Aber nein. Du bist kein Ochse.«

»Ich bin kein Ochse! Sage das nicht noch einmal!« Die Faust zuckte zum Schlag.

Joe riss den Revolver heraus, aber ehe er schoss, war ein Kellner da, drehte den Angetrunkenen mit einem gewandten Griff um und schob ihn mit einem Stoß, den er ihm mit dem Knie ins Kreuz gab, zu seinem eigenen Tisch zurück. Dort setzte er ihn auf den Stuhl.

Morris winkte, dass er zahlen wollte, und der Kellner kam jetzt, um das Geld entgegenzunehmen.

»Gehen wir?«, fragte der Maler den Ingenieur.

»Gehen wir!«

Die drei erhoben sich, um die Gaststube zu verlassen. Sie hatten alle von der Fahrt noch genügend Proviant bei sich, um in ihren Schlafkammern in Ruhe etwas zu essen.

Draußen stürmte es, hoch wirbelten die Staubwolken. Die Zeltwände blähten sich stärker. Es war kaum mehr jemand im Freien zu sehen außer einigen Wachen bei den Ballen, den Fässern, den Pferden. Aus den Buden schimmerte aber überall noch Licht. Die Gruppe der drei näherte sich der Baracke, in der sie untergebracht waren, und Morris begann sich zu verabschieden. Da hob Henry plötzlich den Kopf, als ob er auf etwas lausche. »Horcht!«

Alle drei strengten ihr Gehör an. Sie vernahmen auch deutlich, worauf Henry aufmerksam machen wollte. Ein Pferd näherte sich im Galopp, in gehetztem gestreckten Galopp. So trieb niemand sein Tier nur aus Mutwillen an.

Der Reiter tauchte in dem Stationslager auf. Es war ein Indianer. Er galoppierte zu einer etwas kleineren, stabileren Bretterbude, offenbar der Unterkunft des Stationsleiters, nahm sich nicht einmal die Zeit, das Pferd anzuhalten, sondern sprang vom galoppierenden Tier ab und eilte im Lauf in die Baracke des Stationsleiters.

»Da ist etwas los!«, sagte der Ingenieur. »Lasst uns einen Augenblick warten. Indianer pflegen sich mit ihren Berichten kurz zu fassen. Wir gehen dann zum Stationsleiter hinein. Mein Name dürfte genügen. Er wird Auskunft geben.«

Der Indianer blieb aber doch länger in der Baracke, als Joe vermutet hatte. Das Pferd, mit dem er gekommen war, stand mit bebenden Flanken in der Nähe. Joe, Morris und Henry gingen zu dem Tier. Es war indianisch aufgezäumt, mit dem Zügel, der um den Unterkiefer befestigt war, und der Haarschlinge am Rist. Es trug weder Sattel noch Decke.

»Ich bin verrückt, oder ich erkenne diesen Mustang wieder, obwohl es Nacht ist und ich ihn viele Jahre nicht gesehen habe«, meinte Morris.

»Ich kenne ihn auch«, bemerkte Henry.

»Ich auch«, sagte Joe. »Das ist Harrys Grauschimmel.«

Die drei ließen das Tier stehen und begaben sich wieder zu der Baracke, in der der Indianer verschwunden war. Vor der Tür hielten sie an. Eine Stimme drang durch die Bretterwand heraus, eine Stimme, die lästerlich schalt und fluchte. Sonst war nichts zu hören.

Joe überlegte. »Ich gehe hinein. Vielleicht verstehe ich von dem, was hier im Busch ist, etwas mehr als dieser unausgereifte Bretterbudenchef Taylor II, den nach zuverlässigen Zeugenaussagen sowieso bald der Schlag trifft.«

Joe öffnete die Tür. Mit seinem Eintreten fauchte auch der Wind in den kleinen Raum, der von einer Petroleumlampe erleuchtet wurde. Neben einem einfachen Tisch stand der Stationsleiter. Seine Schläfenadern waren angeschwollen, seine Stirn war rot angelaufen, die Schweißperlen standen ihm am Ansatz der lockigen Haare; die Finger der rechten Hand hatte er zur Faust geballt und hämmerte damit auf die Tischplatte. Ihm gegenüber stand der Indianer. Der junge Indsman war fast zwei Meter groß, schlank; seine braune Haut wirkte im schwachen Licht der Lampe dunkel. Er hatte die schwarzen Haare geteilt und in Zöpfe geflochten, die ihm von der Schulter fielen. Eine Schlangenhaut hielt die Haare aus der Stirn. Er trug keine Feder, keine Kette, überhaupt kein Zeichen eines Sieges, eines Ranges oder einer Jagdbeute außer den Skalphaaren an den Nähten seiner ledernen Gamaschenhosen. Der Oberkörper war nackt. Im Gürtel steckten der Revolver und der Dolch.

Der junge Indianer lehnte sich an die Wand und betrachtete den zornigen Mann vor sich, wie ein Naturforscher eine neue Spielart eines altbekannten Reptils betrachtet.

»Joe Brown, Ingenieur«, stellte sich der Eintretende dem Stationsleiter vor und kreuzte gleichzeitig seinen Blick mit dem des Indianers, damit ausdrückend, dass er ihn wiedererkenne.

Der Stationsleiter verstummte, aber der Mund blieb ihm noch halb offen stehen, da er mitten im Wort abgebrochen hatte.

»Brown, Ingenieur«, wiederholte Joe.

»Wie kommen Sie denn hier herein?«

»Durch die Tür, wenn Sie erlauben, und auch wenn Sie es mir nicht erlauben.«

»Gar nichts erlaube ich! Was soll hier noch werden, wenn jeder drauflosregiert! Wir sind nicht im Kongress, sondern auf der Union Pacific in der Prärie ... Den Zug anhalten! Mann! Seid ihr alle wahnsinnig geworden! Nimm dein Pferd, du verrückter Indsman, und reite im Galopp zurück. Der Zug fährt sofort weiter!«

»Ich reite nicht zurück.«

»So möge der Teufel dich reiten, und zwar in die Hölle! Ich schicke einen andern!« Der Stationsleiter wischte sich den Schweiß von der Stirn und wollte den Raum schnell verlassen.

Der Indianer trat ihm in den Weg. »Der weiße Mann mag ...«

»Der weiße Mann mag dich nicht, du eingebildeter Bursche! Wer kommandiert denn hier, du oder ich?«

»Heute Nacht wahrscheinlich ich.« Der Indianer sprach ungerührt und spöttisch, was den Stationsleiter noch mehr aufbrachte.

»Scher dich aus dem Weg! Mich hier mit Gewalt festhalten – und den Zug anhalten – du verfluchte Rothaut!«

Joe trat zwischen den Wütenden und den Indianer. »Immer ruhig, bitte!« Er wandte sich um. »Harry, du kennst mich. Sag, hast du den Zug angehalten? Und warum?«

»Mein Vater hat sich mit Fackeln auf das Gleis gestellt und den Zug angehalten, weil die Büffel und die Dakota unterwegs sind. Die Büffel würden den Zug fest einklemmen, wenn er zwischen sie gerät, mindestens für die Nacht bis zum Morgen. Es ist besser, der Zug bleibt unbeweglich.«

Der Stationsleiter stöhnte auf. »Das ist doch alles Unsinn! Büffel unseren Zug aufhalten! Unmöglich! Wann hat es denn das gegeben!«

Joe unterbrach den Stationsleiter mit einer ungeduldigen Handbewegung. »Es war notwendig, den Zug unter diesen Umständen anzuhalten. Sie haben wohl noch nie eine Büffelherde gesehen! Harry, wo sind die Dakota unterwegs?«

»Sie kommen auf dieses Lager hier zu.«

»Aus welcher Richtung?«

»Rings.«

»Dein Vater ist beim Zug geblieben, um dort zu helfen?«

»Hau.«

Der Ingenieur fasste den Stationsleiter ins Auge. »Ich übernehme hier die Verantwortung, ich, Joe Brown! Der Name dürfte Euch bekannt sein. Gebt sofort allgemeinen Alarm!«

Harry winkte ab.

»Was ist?«, fragte der Ingenieur, nun auch gereizt.

»Es ist noch Zeit für eine List.«

Joe schwankte. Dann sagte er doch: »Sprich rasch!«

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22 aralık 2023
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9783957840066
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