Kitabı oku: «Please love me», sayfa 2
»Was werden wir denn bei Ihnen lernen? Nur, dass wir uns natürlich schon einmal auf den Unterricht vorbereiten können?«, sie klimperte ein paar Mal mit den Wimpern, während sie ihre Beine übereinanderschlug.
»Nun,« begann Mr Black mit tiefer Stimme. »Wir werden uns hauptsächlich mit dem Thema Literatur im neunzehnten Jahrhundert beschäftigen. Hierzu werden Sie leider auch einige Werke lesen müssen.«
Meine Mitschüler stöhnten laut auf, woraufhin Mr Black nur leise lachte. Sein Lächeln war unglaublich schön und zog mich sofort in seinen Bann.
Anschließend ging er die Kursliste durch und wir sollten bei unserem jeweiligen Namen Handzeichen geben, sodass er sich die Gesichter besser einprägen konnte. Er begann zu lesen und mit jedem weiteren Namen, den er erwähnte wurde ich nervöser, mein Herzklopfen setzte wieder ein und mein Mund fühlte sich völlig trocken an.
»Drea Dupree?«
Ich hob lediglich den Arm und fixierte die Liste, die er in den Händen hielt, um nicht in das fesselnde Blau seiner Augen sehen zu müssen.
»Alles klar«, nachdem er die Liste überprüft hatte, legte er diese neben dem Pult ab und ließ seinen Blick über die Kursteilnehmer schweifen.
»Dann können wir zum Einstieg auch gleich schon mit der Frage beginnen, welche bekannten, englischen Werke von welchen Schriftstellern im neunzehnten Jahrhundert entstanden sind?«
Jane Austen, Charles Dickens, Emily Brontë, Thomas Hardy ...
Natürlich kannte ich sie alle, aber ich meldete mich nicht. Ich hatte mich noch nie groß an der Mitarbeit beteiligt, selbst wenn mir das Thema lag. Ein paar meiner Mitschüler meldeten sich und nannten einige bekannte Werke mit ihren Künstlern. Doch niemand nannte meinen Lieblingsroman. Kurz erwog ich es, mich zu melden. Und bevor ich den Gedanken wieder verwerfen konnte, wurde mir die Entscheidung abgenommen.
»Drea? Wissen Sie vielleicht noch ein bekanntes Werk aus dem neunzehnten Jahrhundert?«
Ich konnte nicht anders und sah perplex auf, geradewegs in seine klaren, blauen Augen, die mich nun erwartungsvoll anstarrten. Ich war erstaunt darüber, dass er sich meinen Namen bereits eingeprägt hatte. Diese Tatsache brachte mich für ein paar Sekunden aus dem Konzept. Schnell versuchte ich meine Gedanken zu sammeln, um mich an seine Frage zu erinnern. Denn es schien, als wollte er auf etwas Bestimmtes hinaus und ich wusste auch genau, worauf.
»Sturmhöhe«, meine Stimme sollte fest klingen, doch es war kaum mehr als ein Flüstern.
»Emily Brontë«, beendete er meinen Satz und seine Lippen verzogen sich erneut zu einem kleinen Lächeln. Jäh fühlte ich mich an das vorherige Gespräch auf dem Flur mit ihm zurückerinnert, als er meinen Roman in den Händen gehalten hatte. In diesem Moment wusste ich, dass er an genau dasselbe dachte und wie aus dem Nichts erschien ein Lächeln auf meinem Gesicht.
Es fühlte sich echt an.
Kapitel 2
Poppy starrte mich an, als wäre ich ein Marsmensch. Ihr blieb aber auch wirklich nichts verborgen. Für den Rest des Unterrichts schwieg ich und kritzelte stattdessen irgendwelche Dinge in meinen Notizblock.
Als es zur Pause klingelte, packte ich meine Sachen zusammen und wollte Poppy gerade nach draußen folgen, als mich jemand an der Schulter zurückhielt.
»Drea? Hätten Sie noch eine Minute für mich?«
Überrascht sah ich zu Mr Black herüber. Gleichzeitig spürte ich Poppys bohrenden Blick auf meinem Rücken.
»Ähm, ja natürlich«, ich räusperte mich und schaute kurz zu Poppy, um ihr verständlich zu machen, dass sie draußen auf mich warten sollte. Sie nickte und ging hinaus auf den Flur.
Nervös begann ich meine Hände zu kneten und sah auf meine Schuhspitzen hinab. Was wollte Mr Black mit mir besprechen? Ich spürte wie er näherkam, bis er schließlich vor mir stehen blieb.
Ohne es verhindern zu können wurde ich von Nervosität übermannt. Mein Puls begann zu rasen. Selbst meine Handflächen fühlten sich kalt und schwitzig an. Zögernd sah ich zu ihm auf und es geschah schon wieder. Seine Augen zogen mich regelrecht in einen Bann, dem ich mich nicht entziehen konnte. Gebannt beobachtete ich das Licht, welches durch die Fenster hereinströmte und sich in dem blauen Farbenspiel seiner Augen zu brechen schien.
»Ich glaube Sie haben das hier vorhin vergessen«, er lächelte mich an und streckte mir meinen Roman entgegen.
Natürlich, mein Buch.
Ich hatte es total vergessen. Mein Heiligtum. Mein Fluchtort, der mich in den letzten Wochen so einige Male gerettet hatte.
»Oh…«, ich stockte kurz. »Dankeschön.«
»Keine Ursache.«
Als er mir den Roman zurückgab, streiften sich unsere Finger erneut, wie am heutigen Morgen schon einmal. Mehrere Stromschläge erschütterten meine Hand. Das Gefühl strömte durch meinen Körper wie ein Lauffeuer. Schlagartig sah ich hoch in seine Augen.
Auch Mr Blacks Blick war zunächst auf unsere Hände gerichtet. Dann hob er das Gesicht und sah mich an. Etwas flimmerte in seinem Blick, ein merkwürdiger Ausdruck, den ich nicht zuordnen konnte.
Blitzartig zog ich meine Hände, mitsamt dem Buch, zurück. Dies schien ihn aus seiner Starre zu lösen. Er räusperte sich, zog die Brauen zusammen und wirkte für einen kurzen Moment verwirrt.
Gleich darauf jedoch sah er mich wieder mit klaren, undurchdringlichen Augen an. Dann ging er ein paar Schritte rückwärts und brachte somit etwas Distanz zwischen uns. Eine merkwürdige Spannung lag in der Luft.
»Ähm... Danke nochmal«, murmelte ich schnell, um diese seltsame Stimmung zu durchbrechen. Allerdings wagte ich es nicht, ihm noch einmal in die Augen zu schauen.
»Gern geschehen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag, Drea«, mit schnellen Schritten lief er zurück zum Pult und packte seine Tasche.
»Ihnen auch, Mr Black«, erwiderte ich hastig und eilte zur Tür, vielleicht etwas zu schnell, doch ich musste aus diesem Raum raus. Als ich die Tür hinter mir schloss, atmete ich zuerst einmal tief ein und wieder aus. Die ganze Zeit über, hatte ich das Gefühl gehabt, keine Luft mehr zu bekommen.
Ich schloss die Augen und versuchte mein wild klopfendes Herz zu beruhigen. Ich war wahrscheinlich nur etwas durcheinander. Das war alles. Der heutige Tag war lediglich zu viel für mich gewesen. Der erste Schultag ohne Mom, die Auseinandersetzung mit Danny… Es war nur natürlich, dass meine Gefühle da etwas durcheinander kamen. Ich schüttelte den Kopf und ordnete meine Gedanken wieder neu.
»Sag bloß, Mr Adonis hat dir den Kopf verdreht?«, Poppy stand mit vor der Brust verschränkten Armen vor mir an der Wand und schmunzelte schelmisch.
»Was meinst du damit?«, verständnislos blickte ich sie an. Poppy begann zu kichern.
»Tu nicht so, ich habe genau gesehen wie du ihn angestarrt hast, du bist rot geworden wie eine verdammte Tomate«, sie grinste, während ihre dunklen Augen belustigt aufblitzten. Poppy war wirklich hübsch. Sie hatte wunderschöne braune Augen, die außen leicht nach unten deuteten. Doch am schönsten war noch immer ihre Stupsnase, die perfekt ihre sanften Gesichtszüge ergänzte.
Sogar ihre grauen Haare standen ihr überirdisch gut, wenngleich ich ihr anfangs davon abzuraten versucht hatte. Poppy war jemand, der sehr zufrieden mit sich war. Das Einzige jedoch, was sie an sich selbst nicht mochte, war ihre Größe. Mit ihren gerade mal ein Meter fünfzig war sie mit Abstand die Kleinste auf der ganzen High School und dennoch war sie unverkennbar. Sie stach aus der Menge heraus, wie ein kleiner, tobender Tornado.
»Was wollte er von dir?«, fragte sie mich und schenkte mir einen neugierigen Blick.
»Nichts«, antwortete ich knapp, da ich über dieses Thema nicht mehr sprechen wollte.
»Wie nichts?«, sie hob die Brauen und noch immer zierte dieses dämliche Grinsen ihre Lippen. Die Augen verrollend setzte ich mich in Bewegung und lief vor zu den Spinden, um meine Bücher für die nächste Stunde zu holen. Poppy schloss trotz ihrer Größe schnell auf und lief neben mir her.
»Du stehst definitiv auf ihn«, feixte sie und betrachtete dabei ihre Nägel, als wären sie das Interessanteste auf der Welt.
»Tue ich nicht!«, keifte ich zurück. So langsam ging mir dieses Gespräch gehörig auf den Zeiger. Gut, ich hatte schwitzende Hände und ein klein bisschen Herzklopfen gehabt, mehr aber nicht. Und selbst das rührte nur daher, dass ich heute einfach etwas durcheinander war. Morgen wäre das schon ganz anders.
»Hey, ich bin der letzte Mensch, der dich deswegen verurteilt. Ich gebe dir ja recht, er sieht echt heiß aus«, sie grinste breit und lehnte sich neben mir an das Schließfach.
Ich seufzte resigniert und gab den Versuch, sie von diesem Thema ablenken zu wollen, auf.
»Lass uns einfach zur nächsten Stunde gehen, ja?«
Poppy lachte laut auf, folgte mir aber und beließ es, Gott sei Dank, dabei.
∞
Als die Schule sich endlich dem Ende neigte, schlenderte ich durch den Ausgang in Richtung meines Wagens. Ich konnte es kaum erwarten mich in meinem Zimmer zu verkriechen. Zuhause angekommen spülte ich zuerst die leere Brotbox, damit mein Dad Notiz davon nahm, dass ich etwas gegessen hatte. Dafür hatte ich allerdings das Essen in der Mittagspause ausfallen lassen, da ich der Gefahr, Danny in der Cafeteria zu begegnen, aus dem Weg gehen wollte. Von dieser Tatsache musste Dad jedoch nichts erfahren.
Ich begann in der Küche etwas aufzuräumen und zu putzen, um Dad etwas Arbeit abzunehmen. Schweigend entfernte ich Mias Essensreste vom Boden, die sie durch das Spielen mit ihrem Frühstück hinterlassen hatte. Danach bereitete ich ein Abendessen für Dad und Lukas vor, welches sie sich später aufwärmen konnten.
Nach dem Aufräumen der Küche stieg ich die Treppen nach oben in mein Zimmer und erledigte meine Hausaufgaben. Gerade als ich das Heft zuschlug, hörte ich die Haustür ins Schloss fallen.
Lukas.
Ich ging erneut nach unten, um ihn zu begrüßen. Als ich ihn ansah, erkannte ich Erschöpfung auf seinem Gesicht. Er war der Einzige in der Familie, der Moms blaue Augen geerbt hatte und wie so oft, wenn ich ihn ansah, sah ich auch Mom.
»Hey. Ich habe dir und Dad Auflauf gemacht. Steht im Kühlschrank«, informierte ich ihn und war schon wieder im Begriff nach oben zu flüchten, als Lukas mich auf der ersten Stufe plötzlich am Handgelenk packte. Er hielt mich zurück. Fragend wandte ich mich ihm zu. Seine Züge hatten sich zu einer besorgten Grimasse verzogen.
»Was ist mit dir? Hast du schon gegessen?«, wollte er wissen und ich spürte, wie er meine Statur musterte.
»Nein, ich habe keinen Hunger.«, ich wollte mich losmachen, doch Lukas hielt mich nach wie vor mit eisernem Griff fest.
»Drea... Du musst etwas essen. Sieh dich doch mal an«, erneut streiften seine Augen über mich hinweg. Die Sorge in ihnen war kaum zu übersehen und sorgten dafür, dass ich schließlich einlenkte.
»Na schön«, seufzend folgte ich ihm in die Küche, wo ich uns beiden etwas von dem Auflauf auf einen Teller gab.
»Wo ist Dad?«, fragte ich, da die beiden eigentlich stets zur selben Zeit nach Hause kamen.
»Er ist mit Mia zum Arzt. Sie bekommt irgendeine Impfung oder so«, erwiderte er und machte sich über das Essen her. Er wirkte wirklich sehr müde.
Seit die Erziehung einer vierjährigen allein auf Dads Schultern lastete, hatte er weniger Zeit, um in der Firma zu agieren. Daher war es nur logisch, dass Lukas einige von Dads Aufgaben übernahm, was auch der Grund für sein überarbeitetes Erscheinungsbild war.
Mit der Gabel schob ich mein Essen hin und her, zwang mir jedoch einige Male einen Bissen herunter, um meinen Bruder zufriedenzustellen. Nachdem er mich noch ein paar Mal mit mahnenden Blicken dazu aufgefordert hatte, meinen Teller aufzuessen, war ich satt. Früher hatte ich alles Mögliche in mich herein stopfen können, doch seit den Sommerferien fiel es mir schwer überhaupt etwas anzurühren.
»Hey. Ich gehe am Wochenende mit ein paar Freunden weg. Magst du nicht mitkommen?« Er warf mir einen hoffnungsvollen Blick zu. Unbehagen machte sich in mir breit. Seit dem Unfall war ich nicht mehr unter Menschen gewesen und im Grunde wollte ich das auch gar nicht.
Alles was ich brauchte, um mich abzulenken war ein gutes Buch und meine Ruhe. Wenn ich daran dachte auszugehen, etwas zu trinken oder gar zu tanzen, fühlte ich mich furchtbar unwohl in meiner Haut. Es erschien mir oberflächlich, nach allem was wir durch Moms Tod erlitten hatten.
»Ich weiß nicht …«, erwiderte ich und schob eine Erbse auf meinem Teller hin und her.
»Komm schon, Drea. Es ist schon ewig her, dass wir zusammen etwas unternommen haben …«, mit einem Mal wurde sein Blick trüb. »Mom hätte nicht gewollt, dass du dich im Haus verkriechst und keinen Spaß mehr am Leben hast.«
Meine Hände verkrampften sich. Eine altbekannte Übelkeit stieg in mir auf. Der Schmerz kehrte zurück und kratzte an meinem Herzen, drohte es zu zerreißen. Ich spürte wie Lukas nach meiner Hand griff und mir tief in die Augen sah. Für einen kurzen Moment dachte ich, in Moms Augen zu blicken. Ich unterdrückte die Tränen, die mir unweigerlich in die Augen stiegen.
»Drea. Bitte...«, flüsterte er und sein Griff um meine Hand wurde fester, bittender.
Erneut seufzte ich und nahm einen tiefen Atemzug, um mich etwas zu beruhigen. Es war schier unmöglich Lukas etwas auszuschlagen, wenn er mich so ansah.
»Na schön«, widerwillig gab ich nach und sofort erschien ein Lächeln auf seinem traurigen Gesicht.
»Aber nur unter einer Bedingung«, entgegnete ich.
Lukas hob die Brauen und ich erntete einen misstrauischen Blick. »Die da wäre?«
»Ich darf Poppy mitnehmen«, äußerte ich meine Bitte und sogleich erschien ein breites Grinsen auf Lukas’ Gesicht.
»Natürlich darfst du sie mitbringen.«
Lukas war ganz vernarrt in Poppy. Er lachte über jeden ihrer Witze und die beiden waren ununterbrochen dabei, irgendwelchen Unfug anzustellen. Manchmal fragte ich mich sogar, ob er sie nicht etwas zu sehr mochte.
Während wir aufräumten, berichtete Lukas mir von dem Club, in den wir vorhatten zu gehen. Kurze Zeit später hörte ich erneut die Haustür und schon stand Dad im Türrahmen mit Mia auf seinem Arm.
Wir begrüßten ihn und ich machte mich gleich daran, sein Abendessen aufzuwärmen. Ich sah, wie sein Blick über die beiden Teller und die Brotbox schweifte, die auf der Theke standen. Ein erleichternder Ausdruck huschte über sein Gesicht.
Offenbar schien Dad genauso erfreut darüber zu sein, dass ich etwas gegessen hatte, wie Lukas. Auch wenn ich das fade Essen hatte herunter zwingen müssen, der befreite Ausdruck auf Dads Gesicht war es mir wert.
Lukas erzählte Dad von unseren Plänen am Wochenende. Ich erwartete schon halb, dass Dad mir verbieten würde weg zu gehen. Dann hätte ich mich wenigstens, so wie ich es eigentlich vorgehabt hatte, in mein Zimmer zurückziehen und ein gutes Buch lesen können. Doch weit gefehlt. Stattdessen schien ihn das Vorhaben meines Bruders regelrecht zu beflügeln, mehrmals betonte er, wie gut er es fand, dass ich mal wieder rauskam.
Nachdem er mit Lukas noch kurz über das Geschäft redete, mich nach der Schule fragte und Mia ihr Abendessen gab, schnappte ich mir die Kleine und machte sie fertig für die Nacht. Ich half ihr in den mit Häschen bedruckten Pyjama und ging dann mit ihr ins Bad, um ihr die Zähne zu putzen.
Erst weigerte sie sich natürlich vehement, das Zähneputzen war ja so verdammt langweilig! Nach einem kurzen hin und her gab sie jedoch nach und so brachte ich sie danach wieder zurück in ihr Zimmer. Sie krabbelte auf ihr kleines Bettchen und klemmte sich ihren Plüschhasen unter den Arm. Ich musste schmunzeln, es gab drei Dinge, deren Mia sich verschrieben hatte; ihrem Plüschhasen, Pizza und der Farbe Pink.
»Also dann, kleine Motte. Schlaf gut und hab süße Träume«, ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn und zog die Decke über ihren kleinen zerbrechlichen Körper. Gerade als ich im Begriff war, das Licht auszuschalten und die Tür zu schließen, setzte sie sich wieder auf.
»Drea?«, sprach sie mit leiser Stimme und blickte mich aus ihren kugelrunden Rehaugen an.
»Ja, Motte?« Ich blieb im Türrahmen stehen.
»Ist Mommy wirklich nicht mehr da?«, fragte sie mit einer so traurigen Kinderstimme, dass es mir sofort das Herz brach. Der Schmerz meldete sich wieder und ich spürte den Kloß in meinem Hals. Hier saß sie nun, meine süße Schwester von vier Jahren, klein und einsam und fragte nach ihrer Mutter. Ich ging zurück an ihr Bett und setzte mich, um nach ihrer kleinen, kindlichen Hand zu greifen, die nicht einmal halb so groß war, wie meine eigene.
»Weißt du Mia, Mom wird immer da sein. Sie sitzt oben auf den Wolken und sieht auf unsere Familie hinab. Auf dich, Lukas, Dad und mich. Sie beschützt uns von jetzt an.«
»Aber kann sie uns nicht auch von hier unten aus beschützen?«, wollte sie wissen und ich spürte die Sehnsucht in ihrer Stimme. Ich konnte meine Tränen nicht zurückhalten und unweigerlich liefen sie mir über die Wangen, doch ich versuchte stark zu bleiben.
Für Mia.
»Nein, das geht leider nicht, Süße«, erwiderte ich und schluckte den Kloß in meinem Hals herunter. Es fühlte sich an, als hätte ich einen dicken Wattebausch verschluckt.
»Ich vermisse sie echt doll«, flüsterte Mia und ihre Augen wirkten unendlich traurig.
»Ich auch, Mia. Ich auch ...«, meine Stimme klang erstickt und schnell strich ich Mia über ihr seidiges Haar. Ich drückte sie an mich, damit sie meine aufsteigenden Tränen nicht sehen konnte. Nachdem ich mich wieder einigermaßen im Griff hatte, gab ich ihr noch einen Kuss auf die Wange und ließ sie alleine in ihrem Bett zurück. Sobald ich ihr Zimmer verlassen hatte, liefen die Tränen unaufhaltsam meine Wangen herunter. Ich stürmte in mein Zimmer, ließ mich aufs Bett sinken und weinte mich in den Schlaf.
Wieso hast du uns alleine gelassen Mom? Wieso nur?
∞
Als ich am nächsten Morgen in den Spiegel sah, bereute ich sofort, dass ich meinen Gefühlen gestern Abend freien Lauf gelassen hatte. Meine Augen waren derart angeschwollen, dass ich sie kaum öffnen konnte. Ich spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht, in der Hoffnung die Schwellung würde etwas zurückgehen. Doch keine Chance. Irgendwann gab ich es auf und zog mich nach einer heißen Dusche an. Ich schnappte mir meine Schultasche und schleppte mich nach unten in die Küche, wo Dad mir wieder eine Brotbox hingelegt hatte. Ich steckte sie gerade ein, als er mit Mia auf dem Arm in die Küche kam.
»Guten Morgen, Schatz«, er gab mir einen Kuss auf die Stirn und kümmerte sich um Mias Frühstück. Entweder überging mein Dad einfach die Tatsache, dass ich aussah, als hätte ich die Nacht durchgeweint oder es fiel ihm durch den Trubel mit Mia nicht auf. Wie auch immer, ich war dankbar dafür, dass er mich nicht darauf ansprach. Mir graute es bereits vor meinen Mitschülern, denen es mit Sicherheit nicht entgehen würde.
»Könntest du heute Mittag nach der Schule vielleicht etwas einkaufen gehen?«, fragte Dad und zückte seinen Geldbeutel.
»Ja, natürlich«, erwiderte ich und nahm das Geld entgegen. Kurz darauf machte ich mich auf den Weg in die Schule. Bereits in der Aula erwarteten mich Poppy und Timmy. Ein breites Grinsen lag auf den Gesichtern der beiden, doch als sie mich näherkommen sahen, schwand ihr Lächeln. Sehr wahrscheinlich hatten sie meine verweinten Augen bemerkt. Ich blieb vor ihnen stehen und niemand sagte etwas. Ein unangenehmes Schweigen herrschte zwischen uns. Irgendwann durchbrach Poppy die Stille und räusperte sich.
»Also, ich habe Timmy gerade davon berichtet, dass er etwas verpasst hat. Unser neuer Englischlehrer ist 'ne totale Granate oder was meinst du, Drea?«
So war Poppy. Sie bemerkte, dass ich nicht über meine Gefühle reden wollte und warf mir einen Rettungsanker zu. Wenngleich es auch etwas verdächtig war, dass dieser ausgerechnet unser neuer Englischlehrer sein musste. Timmy dagegen schien kurz mit sich zu ringen. Nachdem Poppy ihn jedoch mit dem Ellbogen in die Seite stieß, überlegte er es sich anders und spielte ihr Spiel mit.
»Euer Englischlehrer interessiert mich recht wenig«, schnaubte er und schulterte seine Tasche.
»Ach? Du bist also nicht schwul?«, Poppy grinste ihn breit an.
»Nur weil der Großteil meiner Freunde weiblich ist, heißt das noch lange nicht, dass ich vom anderen Ufer komme«, er hob eine Braue und warf Poppy einen bösen Blick zu. Sie dagegen kicherte und wir machten uns auf den Weg zum Unterricht. Zum Englischunterricht.
Vor dem Saal blieben wir stehen und ich widerstand dem Drang, zu Danny zu schauen, der sich ein paar Meter weiter mit seinen Freunden unterhielt. Selbst seine Stimme zu hören, schmerzte in meinem Herzen und ich schloss meine müden Augen, um mich auf etwas anderes zu konzentrieren. In diesem Moment rempelte mich jemand an.
»Hey, pass doch auf!«, eine bekannte Stimme zickte mich von der Seite her an. Als ich die Augen wieder öffnete, begegnete ich Madison Livelys gehässigem Blick. Sie strich sich ihre rote Lockenmähne über die Schulter und erdolchte mich mit ihren Augen.
»Pass du lieber auf wo du hingehst. Drea hat einfach nur hier gestanden«, fauchte Poppy und schoss beschützerisch wie ein Pitbull nach vorne.
»Tja, ich kann auch nichts dafür. Würde die Heulsuse da«, sie deutete mit ihrem perfekt manikürten Zeigefinger auf mich, »mal ihre Augen öffnen, dann hätte sie mich bemerkt. Aber stattdessen trauert sie die ganze Zeit nur ihrem Ex hinterher, der sie einfach nicht mehr will.«
Madisons Worte trafen mich. Es fühlte sich an, als hätte mir jemand einen Hieb in die Magengrube verpasst. Unerwarteter Weise, kam Danny auf Madison zu und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
»Maddy, es reicht.«
Fassungslos stand ich da. Die Tatsache, dass Danny bei ihr stand, anstatt mich zu verteidigen, sie sogar berührte, verwirrte mich. Nein es verletzte mich. Mein Herz gefror und splitterte in tausend Teile. Seit wann waren die beiden befreundet?
»Nein, es ist doch wahr. Sie soll aufhören, sich wie ein armes Hündchen aufzuführen, nur weil du sie abserviert hast und ihre Mutter ins Gras gebissen...«, doch weiter kam sie nicht, da Poppy vorschoss und Madison mit ihrem gesamten Gewicht gegen die Wand stieß.
»Wag es ja nicht!«, brüllte Poppy und war erneut im Begriff auf Madison loszugehen, aber irgendjemand schien sie zurückzuhalten. Ich konnte es nicht genau erkennen, da die aufsteigenden Tränen mir die Sicht vernebelten. Nichts um mich herum nahm ich mehr wahr. In meinem Kopf begann es zu rauschen und Übelkeit stieg in mir auf.
Mit aller Mühe unterdrückte ich den aufkommenden Würgereiz und krallte meine Fingernägel in die Handflächen. Dann ging ich einige Schritte rückwärts, bis ich an die Wand hinter mir stieß. Ich musste hier weg. Sofort.
Das letzte, das ich wahrnahm, bevor ich in die entgegengesetzte Richtung rannte, war die tiefe Stimme von Mr Black, die meinen Namen rief.
Ich eilte durch die Flure, ignorierte alles und jeden um mich herum und trat durch die Doppeltür hinaus auf den leeren Pausenhof.
Während ich lief, spürte ich nichts, außer den Wind, der mir die Haare ins Gesicht peitschte und die Tränen auf meinen Wangen trocknete, ehe schon wieder neue über mein Gesicht kullerten.
Erst als ich die Tribüne unseres Footballfelds erreichte, drosselte ich mein Tempo und steuerte auf eine Bank zu.
Ich setzte mich und ließ mein Gesicht in die Hände sinken. Hatte Madison womöglich recht? Verhielt ich mich wirklich wie ein armes Hündchen? War es für mich so langsam an der Zeit, meine Trauer zu besiegen? Doch wie sollte ich das schaffen? Ich konnte noch nicht einmal über meine Mom nachdenken, ohne gleich in Tränen auszubrechen. Wieder geisterten Madisons Worte in meinem Kopf herum und krampfhaft versuchte ich, den Schmerz in meinem Innern zu unterdrücken.
Nun war genau das geschehen, was ich unter allen Umständen zu vermeiden versucht hatte, nämlich ein Zusammenbruch vor aller Augen. Jeder konnte sehen wie sehr ich litt, jeder hatte mitbekommen wie ich in Tränen ausgebrochen war. Mein Leben glich einem einzigen Albtraum.
Unerwartet vernahm ich Schritte auf der Tribüne neben mir. Erschrocken zuckte ich zusammen, als ich Mr Black erkannte. Wortlos ließ er sich auf dem Platz neben mir nieder und hielt mir ein Taschentuch hin. Verwundert von dieser netten Geste, nahm ich es dankend an.
Dennoch wagte ich es nicht, hoch zu schauen. Ich wollte nicht, dass mein Lehrer mich in dieser Verfassung sah. Es hatten ohnehin schon genug Leute mitbekommen.
»Falls Sie jemanden zum Reden brauchen, Drea, habe ich immer ein offenes Ohr für Sie.«
Ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter. Hatte er etwa gesehen, was sich soeben vor seinem Saal abgespielt hatte? Hatte er meine Demütigung mitangehört? Nun konnte ich doch nicht mehr an mich halten und blickte zu ihm auf. Seine goldenen Haare tanzten im Wind und umspielten seine markanten Gesichtszüge, während sein durchdringender Blick schweigsam auf mir ruhte. Doch anders als bei allen anderen, konnte ich nicht das geringste Mitleid in seinem Gesicht erkennen, lediglich die Aufrichtigkeit seiner Worte. Und zum ersten Mal seit langem sah jemand in mir nicht das arme, traurige Mädchen, das ihre Mutter verloren hatte und von ihrem Freund verlassen wurde.
»Danke«, brachte ich atemlos über die Lippen, noch immer gefangen von dem intensiven Blau seiner Augen. Sein Mund verzog sich zu einem kleinen Lächeln. Für ein paar Minuten saßen wir einfach nur schweigend da, genossen den Wind, der die Laubblätter vom Boden aufwirbelte und durch die Bäume peitschte. Ich wusste nicht warum, aber ich fühlte mich mit einem Mal nicht mehr unwohl in seiner Gegenwart. Ich empfand seine Gesellschaft nun sogar als angenehm, obwohl wir nichts miteinander sprachen.
»Ich habe Ihnen übrigens etwas mitgebracht, Drea«, durchbrach seine Stimme plötzlich die Stille. Überrascht sah ich zu ihm rüber, als er bereits in das Innere seiner Tasche griff, die noch immer um seine Schulter hing. Er wandte sich mir wieder zu und ich erkannte, dass er ein kleines Buch in den Händen hielt. Er streckte es mir entgegen. Überrascht sah ich zu ihm auf und erneut umspielte dieses leise Lächeln seine Lippen.
»Vielleicht kann ich ihre Meinung über Happy Ends ja noch ändern«, mit diesen Worten stand er auf und ließ mich alleine auf der Bank zurück. Ich verfolgte ihn mit den Augen, bis er im Schulgebäude verschwand. Erst dann blickte ich auf den Roman in meinen Händen und las den Titel.
Jane Austen, Verstand und Gefühl.