Kitabı oku: «Deutschland wohin???», sayfa 4
Fehlplanungen und deren bauliche Realisierung sind aber auch auf ostdeutsche Behörden zurückzuführen. Beispielhaft sind dafür die technische Infrastruktur wie auch der Neubau von Schulen. Es wurden nicht nur aufgrund falscher Beratungen zu große Trinkwasserversorgungs- und Abwasserentsorgungsanlagen gebaut, sondern auch weil Behörden für ländlichen Räumen häufig große zentrale Anlagen zur Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung bevorzugten. Diese Anlagen entsprachen durchaus dem zum Zeitpunkt der Planung ermittelten Bedarf. Sie waren also nicht überdimensioniert – zunächst nicht. Die zukünftige Entwicklung des enormen ostdeutschen Einwohnerrückgangs wurde aber nicht einbezogen. Mit dem Einwohnerrückgang ging auch der Bedarf an Trinkwasser sowie an der Abwasserentsorgung zurück. Die neu errichteten großen zentralen Anlagen bedingen aber in ländlichen Räumen für die Auslastung ihrer Kapazitäten sehr große bzw. weite Ver- bzw. Entsorgungsnetze. Wenn das Trinkwasser aufgrund zu geringer Entnahme in den Netzen zu lange steht bzw. nur einen sehr langsamen Durchfluss aufweist, beginnen sich in den Rohren Schwemmstoffe zu lösen, die das Wasser verunreinigen. Es kann dadurch zu einer Verkeimung kommen. Dann müssen die Netze aufwendig gespült werden. Wenn der Durchsatz (Durchfluss) des Abwassers zu gering ist, kann es zu Verstopfungen und Geruchsbelästigungen kommen, was ebenfalls aufwendige Netzspülungen erfordert. Führen die Spülungen zur deutlichen Verdünnung des Abwassers, sterben in unseren modernen, vollbiologischen Kläranlagen die dafür erforderlichen Mikroorganismen ab und die Klärfunktion bricht zusammen. Auf diese Probleme wurde angesichts der ostdeutschen Einwohnerentwicklung von Experten frühzeitig hingewiesen, mit der Empfehlung dezentrale und semizentrale Anlagen mit flexiblen Nutzungskonzepten zu errichten. Damit hätte man die Probleme vermeiden oder zumindest stark vermindern können. Diese Warnungen und Empfehlungen wurden aber längere Zeit ignoriert, wie ich selbst bei meiner Beratung eines ostdeutschen Bundeslandes erfahren musste.
Ähnlich waren letztlich auch Fehlentscheidungen in der Schulplanung. Bei der Errichtung neuer Schulen, insbesondere in ländlichen Räumen die neuen großen, zentralen Berufsschulstandorte, wurde häufig die bevorstehende Schülerentwicklung nicht beachtet. Dabei war anhand der Anzahl der in Krippen und Kindertagesstätten betreuten Kinder eindeutig der bevorstehende Schülerrückgang und damit sinkende Kapazitätsbedarf ersichtlich. Die Folgen dieser Behördenausrichtung waren dann teilweise Berufsschulen, die nur noch zum Teil genutzt wurden, aber hohe, eigentlich vermeidbare Unterhaltskosten verursachten.
Ostdeutschland wies damals sowohl hervorragende Naturgebiete auf, die sich häufig im guten Zustand befanden, als auch erhebliche Umweltschäden. Umweltschäden gab es vor allem durch den Braunkohletagebau, aber auch durch den Uranabbau der WISMUT in Sachsen und Thüringen sowie durch punktuelle Einzelfälle wie die Teerseen bei Nobitz. Allein für die Sanierung der Hinterlassenschaft der WISMUT wurden Anfang der 90er Jahre etwa fünf Milliarden DM veranschlagt, damals eine gewaltige Summe. Diese Maßnahme ist inzwischen seit langem erfolgreich abgeschlossen. Die Landschaftsschäden der Braunkohlegebiete südlich von Leipzig sind mit enormem Aufwand in eine attraktive naturräumliche Freizeit-Seen-Landschaft umgewandelt worden. Dafür erfolgten die Flutung der einstigen Abbaugruben und eine massive Aufforstung der Landschaft.
Heute kann man resümieren, unter der Regierung Kohl fand ein enormer Mitteltransfer nach Ostdeutschland statt. Es wurde viel erreicht. Es gibt dort keine Wohnungsnot mehr. Die Warenversorgung entspricht dem westdeutschen Niveau. Die Ortsbilder haben sich durch umfassende Sanierungshilfen wesentlich verbessert. Die damals marode Infrastruktur befindet sich heute überwiegend im guten Zustand. Zugleich wurde aber auch durch falsche Konzepte und oft unzulängliche oder fehlende fundierte Prüfungen in enormem Ausmaß Geld vergeudet. Das Konzept zur wirtschaftlichen Angleichung wies große Schwächen auf, wie der immer noch bestehende Unterschied zwischen West- und Ostdeutschland zeigt. Viele Betriebe, die Probleme für die strukturelle Anpassung hatten oder an denen aus marktwirtschaftlicher Sicht keine Investoren aus Westdeutschland und dem Ausland Interesse fanden, wurden dichtgemacht, oder in der damaligen Sprache der dafür zuständigen Treuhandgesellschaft des Bundes „abgewickelt“. Größere ostdeutsche Investoren gab es nicht, da in der DDR nur der ostdeutsche Staat über die erforderlichen Ressourcen verfügte und der war ja mit der Wiedervereinigung aufgelöst worden. Die Entwicklung führte zur umfassenden Freisetzung ostdeutscher Arbeitskräfte. In Ostdeutschland wurde damals etwa jeder dritte Ostdeutsche, trotz seiner im europäischen Vergleich guten Ausbildung und vieler Umschulungen, dauerhaft arbeitslos. Dabei hat sich die oben angesprochene Verpflichtung zur Umsiedlung arbeitsloser ostdeutscher Fachkräfte besonders nachteilig ausgewirkt. Hiermit entfiel ein möglicher wichtiger Anreiz für westliche Firmen, Betriebsstätten in Ostdeutschland zu übernehmen oder zu errichten. Dadurch und wegen konjunktureller Einbrüche waren die 90er Jahre, insbesondere die zweite Hälfte dieses Jahrzehnts, von hoher bis sehr hoher Arbeitslosigkeit geprägt. Sie betrafen nun auch Westdeutschland, wenngleich in geringerem Ausmaß. Zugleich bewirkte die Entwicklung eine anhaltende Abwanderung junger Menschen aus Ostdeutschland. Sie galt nun nicht nur wie anfangs für junge Männer, sondern später im fast noch stärkeren Maße für ostdeutsche Frauen. Diese Entwicklung hatte auch langfristige nachteilige Folgen. Spätestens seit der Jahrtausendwende bzw. 20 Jahre nach der Wiedervereinigung wird die Entwicklung in den neuen Bundesländern durch den Fachkräftemangel benachteiligt.
Besonders bedauerlich sind die nicht genutzten Chancen durch die Ablehnung jeglicher Errungenschaften Ostdeutschlands zu Gunsten einer weitgehendsten Ausrichtung auf die westdeutschen Systeme. Als Beispiel sei auf die Verkehrsanbindung in ländlichen Räumen verwiesen. Heute verfügen diese Räume über hochmoderne, bequeme Verkehrsmittel, aber dafür werden etliche Ortschaften nicht mehr vom öffentlichen Personennahverkehr angefahren, z. B. in der Region Greifswald über ein Viertel der Dörfer. Die Grundversorgung im Gesundheitswesen ist wie oben angesprochen (S. 43-44) gleichfalls ein Beispiel für damaliges Versagen, vor allem die Schließung der Polikliniken und Abschaffung der Gemeindeschwestern zugunsten rein privatwirtschaftlicher ambulanter Versorgungsstrukturen. Die inzwischen aufgetretenen Versorgungsprobleme wären vermeidbar gewesen, wenn man die betreffenden DDR-Institutionen erhalten und weiter entwickelt hätte anstatt sie zugunsten einer rein privatwirtschaftlichen Ausrichtung abzuschaffen. Aber es geht nicht nur um ungenutzte Chancen, sondern um die Veränderungen in der Wirtschaftspolitik. Wie die in der Einleitung angeführten Befürchtungen verschwindet mit der Ablösung der sozialistischen Staaten die Systemkonkurrenz, die für Ludwig Erhards Modell der sozialen Marktwirtschaft wesentlich war. Damit wird eine Entwicklung in Richtung Kapitalismus begünstigt, wie das soziale Auseinanderdriften in Deutschland belegt.
1.3 Die Zeit der rot-grünen Regierung unter Kanzler Schröder
Im Verlauf der 90er Jahre stieg die Arbeitslosigkeit immer weiter an. Dieser Anstieg wurde vor allem durch den Wirtschaftsumbruch in Ostdeutschland mit den zahlreichen Betriebsschließungen und freigesetzten Arbeitskräften sowie durch größere konjunkturelle Einbrüche verursacht. Das Thema Arbeitslosigkeit hatte für Westdeutschland spätestens seit dem „Wirtschaftswunder“ der 50er Jahre nahezu keine Bedeutung. 1998 waren dann aber etwa 3,5 Mio. Menschen arbeitslos. Die Tendenzen sprachen für einen weiteren Anstieg, ggf. auf 4 Mio. Der SPDKanzlerkandidat Schröder ging mit großen Ankündigungen zum Abbau dieses Problems in den Wahlkampf. Er versprach bei seiner Wahl, die Arbeitslosigkeit sehr bald zu halbieren und danach noch weiter zu reduzieren. Schröder hat dann tatsächlich die Wahl gewonnen. Der inzwischen altbacken wirkende Kanzler Kohl war zudem gegen den jugendlich, frisch auftretenden SPDKandidaten Schröder den Wählern nicht mehr zu vermitteln.
Der neue Kanzler Schröder bemühte sich intensiv um die wirtschaftliche Belebung und den Abbau der Arbeitslosigkeit. Dazu fand ein erheblicher sozialer Umbau statt. Schröder versuchte vor allem durch große steuerliche Vergünstigungen für Konzerne und Kapitalerträge sowie durch massiven Sozialabbau sein Wahlversprechen des Abbaus der Arbeitslosigkeit und zugleich einen wirtschaftlichen Aufschwung zu erreichen. Die unter seiner Regierung erfolgten Veränderungen der Einkommen-, Körperschafts- und Erbschaftsteuern hatten erhebliche Auswirkungen. Damit fand ein Wandel zugunsten der Wirtschaft, Wohlhabenden und Reichen zulasten der breiten Bevölkerung statt (Hartmann M., S. 128). Der Spitzensteuersatz der Einkommensteuer, der bislang dem in Dänemark entsprach, wurde um etwa einem Fünftel gesenkt (3.4, S. 225), die Körperschaftssteuer sogar um 37,5 %, also um mehr als ein Drittel. Hingegen erfuhren die Reichen mit hohen jährlichen Millioneneinkommen eine steuerliche Entlastung von etwa 25 %, die sehr Reichen um über 40 %. Aufgrund der neuen Steuergesetze verzichtete der Staat bei den reichsten Deutschen sogar auf jährliche Steuereinnahmen in der Höhe von fast 1,6 Milliarden € (Hartmann, M., S. 129).
Zugleich erfolgte unter Schröders Kanzlerschaft ein deutlicher Abbau der sozialen Errungenschaften seiner Vorgänger, insbesondere aus der Regierungszeit des Kanzlers Brandt, z. T. auch noch aus der Regierung unter Kanzler Schmidt. Der Arbeitgeberanteil für die Sozialversicherungen erfuhr eine erhebliche Kürzung und es wurden die Voraussetzungen für befristet Arbeitstätigkeit und den Niedriglohnsektor geschaffen. Es waren Veränderungen, wofür die konservativen Parteien der CDU und CSU im Bundestag nie die notwendige Mehrheit erhalten hätten, solange die SPD Oppositionspartei war. Besonders gravierend waren die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenunterstützung sowie die starke zeitliche Begrenzung für das Arbeitslosengeld. Es waren letztlich die Regelungen, die der damit beauftragte Akteur, der frühere VW-Betriebsrat und SPD-Mitglied Peter Hartz, entwickelte. Sie werden bis heute als Hartz-4 bezeichnet. Peter Hartz wurden später erhebliche Unregelmäßigkeiten nachgewiesen, die er als Betriebsrat bei VW beging. Das Gericht ahndete diese Straftaten mit einer Geldstrafe in Höhe von 400.000 €. Der damalige Wirtschaftsminister Clement brachte weitere Veränderungen, wie die Abschaffung der Meisterpflicht für etwa 50 Berufsrichtungen und das Entgelt der 1-Euro-Jobber. Die Abschaffung der Meisterpflicht hatte nie die daran geknüpfte Erwartung eines deutlichen Anstiegs der Beschäftigtenzahlen gebracht. Stattdessen bewirkte sie einen deutlichen Qualitätsabbau bei handwerklichen Leistungen sowie sinkende Bereitschaft, eine Lehre zur Ausbildung zu absolvieren. Auch deshalb fehlt es heute an qualifizierten handwerklichen Fachkräften. Aus diesen Gründen hatte sich in den letzten Jahren die Handwerkerschaft zur Rückkehr zur Meisterpflicht ausgesprochen, die inzwischen in einigen Berufen wieder gegeben ist. Eine weitere Ausweitung wird von der Politik diskutiert. Die Möglichkeit einer Belebung durch Förderung der Selbständigkeit im Handwerk wurde hingegen unzulänglich genutzt.
Der damalige Wirtschaftsminister Clement führte zur Wiederbeschäftigung von Arbeitslosen die Entlohnung von 1 € / Stunde ein. Bei einer Vollbeschäftigung hätte 2002 damit der betreffenden Arbeitnehmer 165 € im Monat bzw. 1.980 € im Jahr verdient (2019 Google Angabe zur damaligen Jahresarbeitszeit von Vollbeschäftigten). Bei dem geschätzten Ministergehalt vom Wirtschaftsminister Clement hätte ein 1 €-Jobber über siebeneinhalb Jahre arbeiten müssen, um durch seine Arbeit den Betrag des Monatslohns von Minister Clement zu erreichen. Unter Einrechnung des Harz IV-Monatsregelsatzes (2005) sind immer noch je nach Regelbedarfssatz knapp zweieinhalb bis über drei Jahre Arbeit eines 1 €-Jobbers für den Monatsverdienst von Minister Clement erforderlich. In Ostdeutschland etwas mehr, weil dort die Regelsätze niedriger waren. Nun wird das verfügbare Einkommen des Ministers durch die Lohnabzüge merklich gekürzt. Das gilt aber noch stärker für 1 €- Jobber, denn die müssen von diesem schmalen Verdienst auch noch das Fahrgeld zum Arbeitsort begleichen. Unter günstigen Bedingungen sind das mindestens 2 €/Strecke, somit geht die Hälfte der 8 €, die er für 8 Stunden Arbeit erhält, an Fahrkosten drauf! Die Beschäftigung als 1 €-Jobber hat nach Presseberichten zudem für die meisten Betroffenen nicht den erhofften Wiedereinstieg in eine angestellte Berufstätigkeit gebracht. Sie ist fast eine Verhöhnung der betroffenen Personen. Es ist eigentlich unglaublich, dass diese Regelung von einer sozialdemokratischen Regierung eines SPD-Kanzlers stammt, denn zuvor war ein Leitmotiv dieser Partei soziale Gerechtigkeit.
In Anbetracht der erheblichen Ausweitung von beschäftigten Arbeitnehmern im Niedriglohnsektor sowie von Kurz- und Teilzeitarbeit warnten Experten schon damals vor einer anwachsenden Altersarmut, die diese Entwicklung nach sich ziehe. Dafür kam der zukünftigen Rentenpolitik eine wesentliche Schlüsselposition zu. Die Grundannahmen für die Renten hatten sich durch die Nazizeit, die demografischen Veränderungen und den steigenden Lebezeitraum wesentlich verändert. In der ursprünglichen Version lag das Kernanliegen darin, die Altersversorgung von den Unsicherheiten privater Vorsorge in eine staatlich garantierte, ausreichende Mindestversorgung umzuwandeln. Diese Ausrichtung erfolgte aufgrund der negativen Erfahrungen, die bei Schicksalsschlägen private Vorsorge vernichten können. Das Eintrittsalter wurde bei der Renteneinführung zur vorletzten Jahrhundertwende, trotz einer wesentlich längeren Wochenarbeitszeit als heute, mit 65 Jahren festgelegt. Der deutsche Mann erreichte zu dieser Zeit im statistischen Durchschnitt nur ein Lebensalter von 46,4 Jahren, die Frauen von 52,2 Jahren. Viele Personen erreichten also die Altersgrenze nicht, so dass die Anzahl der zu versorgenden Rentner entsprechend geringer war. Für die Finanzierung der Renten wurden jährlich aufgestockte Rücklagen gebildet. Diese Rücklagen plünderten aber die Nazis und brauchten sie zweckentfremdet zur Finanzierung ihrer Rüstung auf. Die braunen Machthaber gingen davon aus, nach einem gewonnenen Krieg die verausgabten Rentenbeiträge den besiegten Ländern aufzubürden.
Mit der Kriegsniederlage war das vorbei. In dieser Situation brauchte man ein neues Modell.
Die Regierung Adenauer deklarierte den Generationenvertrag. Der beinhaltet, dass aus den Rentenbeiträgen der Beschäftigten nicht mehr Rücklagen gebildet werden, sondern dass die Beiträge der aktuell zu versorgenden Rentnergeneration dienen, da ja für deren Finanzierung die Rücklagen nicht mehr vorhanden waren. Angesichts der in den 50er Jahren hohen Geburtenzahlen, noch mehr der Geburten im Zeitraum 1960 bis 1966/67, ein durchaus vertretbares Konzept. In der damaligen Zeit begannen dennoch einige Bundesländer zumindest für die zukünftige Beamtenversorgung Pensionsrücklagen zu bilden. Diese sinnvolle Maßnahme wurde bei Konjunktureinbrüchen mit dem Verweis auf die Praxis in den meisten anderen Bundesländern aufgegeben, um mit diesen Mitteln Haushaltsdefizite auszugleichen.
Inzwischen haben sich aber die Grundvoraussetzungen verändert. Die Geburten liegen seit Ende der 60er Jahre etwa ein Drittel unter der Sterberate. Deshalb sind langfristig immer mehr Rentner von der dann verbliebenen nachwachsenden jungen Bevölkerung zu versorgen. Gleichzeitig stieg die Lebenserwartung enorm an. Je mehr sich der Geburtenrückgang als dauerhaftes Phänomen abzeichnete, desto mehr wurden die Probleme für den Generationenvertrag unübersehbar, zumal sie noch zusätzlich durch die gestiegenen und wahrscheinlich weiterhin steigenden Lebenserwartungen verschärft werden. Die Renten müssen also für immer längere Zeiträume von einer demografisch bedingt schrumpfenden Anzahl Berufstätiger gezahlt werden. Der Handlungsbedarf war eindeutig und dringlich. Zum Ende der Ära Kohl wollte deshalb der damalige Sozialminister Norbert Blüm die Rente von 67 % auf 64 % des letzten Nettolohns absenken. Dagegen lief die Opposition der SPD, geführt von Kanzlerkandidat Schröder und seinem Sozialexperten Riester, Sturm. Sie prangerten dieses Vorhaben als deutliche Verschlechterung für die Rentner an und polemisierten im Wahlkampf massiv gegen die Absenkungspläne Blüms.
Nachdem der neue Kanzler Schröder die Regierung führte, reduzierte der nun zum Sozialminister aufgestiegene Herr Riester sehr bald den Rentenanspruch sogar noch weiter, nämlich auf 60%, also unter die Marge, die er zuvor von Norbert Blüm anprangerte. Damit aber nicht genug, er reduzierte zugleich die Rentenbezüge von Witwen auf 56 % (das von Riester kritisierte Modell Blüm sah auch für Witwen 64 % vor) der Bezüge ihres verstorbenen Mannes. Für mich ein unglaubliches, unehrliches, letztlich widerliches Verhalten. Erst gegen die verhältnismäßig moderate Rentenkürzung unter Norbert Blüm massiv polemisieren und kaum an der Regierung genau das Gegenteil, mit noch größerer Rentenkürzung bei zusätzlicher Kürzung der Witwenrenten. Diese Verhaltensweise übertrifft für mich noch bei weitem besonders unlautere Werbungen in der Wirtschaft. Bei derartig unaufrichtigem Taktieren sind das niedrige Ansehen von Politikern sowie die wachsende Politikverdrossenheit in der Bevölkerung verständlich. In Anbetracht dieser Unaufrichtigkeit kann ich seit dieser Zeit keinerlei Achtung für Herrn Riester aufbringen.
Herr Riester bot als Ausgleich für seine hohe Rentenkürzung eine staatlich geförderte Versicherung an, mit dem der/die Einzelne durch Ansparen seine/ihre Rente anheben kann. Damit erfolgt eine grundlegende strukturelle Veränderung des Rentenmodells, das die Erfahrungen aus der Zeit der Renteneinführung missachtete. Ein Kernpunkt der damaligen Renteneinführung war eben die staatlich garantierte ausreichende Altersversorgung anstelle der Unsicherheit privater Vorsorge. Genau dieser zentrale Punkt wurde durch Riesters Modell ausgehebelt. Dabei belegte die reale Entwicklung damals schon die Unsicherheit privater Rentenvorsorge. Angesichts der Veränderungen des Arbeitsmarktes unter der Kanzlerschaft Schröders und seinem Wirtschaftsminister Clement, mit der hohen Anzahl Personen, die im Niedriglohn beschäftigter waren, könnten viele zudem die erforderlichen Ansparmittel für das Riestermodell, der so genannten „Riesterrente“ zur Rentenaufbesserung nicht aufbringen. Das gilt vor allem für die unteren Einkommensgruppen, die ohnehin nur niedrige Renten bekommen. Deshalb sinken deren Rentenansprüche unter das Niveau der sozialen Grundsicherung. Schröder und Riesters Rentenkonzept hat die Altersversicherung für die unteren Bevölkerungsgruppen wieder in Richtung der Altersarmut, so wie sie vor der Einführung der Rentenversicherung vor 1900 bestand, zurückgeworfen.
Inzwischen hat sich gezeigt, dass die Riesterrente bei weitem nicht die beim Abschluss zugesagte Rentenhöhe bringt. Eine Zeitung berichtete, dass eine Person mit Riester-Vertrag statt der ehemals in Aussicht gestellten monatlichen Renten von 542 €/ Monat nur noch mit einer Renten von 80 bis 120 €/Monat (unterschiedliche Angaben der zuständigen Stelle) rechnen kann, vorausgesetzt, dass sie bis zur Erreichung der Altersgrenze weiterhin jeden Monat 176 € in diese Versicherung einzahlt (WK 1.10.2020). Der Bezüge der Riesterrente müssen zudem noch versteuert werden. Der Finanzexperte H. Walz verweist darauf, dass durch die Regularien der Riester-Rente „… weitaus mehr Kapital vernichtet wird, als der Sparer an Förderung erhält“ (WK 1.10.2020). Die Ursachen dafür liegen vor allem in dem falsch konzipierten Modell, dessen Mängel sich noch durch Außeneinflüsse wie die Finanzkrise 2008 oder die Einbrüche aufgrund der Coronakrise verstärkten. Dabei belegt die Richtigkeit der alten, auf garantierte staatliche Versorgungsleistungen ausgerichteten Rentenversorgung, wie verheerend und falsch die Umstellung auf eine privatwirtschaftlich basierenden Teil der Altersversorgung durch Riester war. Die Abkehr vom alten Rentenmodell ist sozialpolitisch ein katastrophaler Rückschritt sondergleichen und das von einer ursprünglich sozial ausgerichteten Partei!
Im Sozialbereich kam es unter der Gesundheitsministerin Schmidt zu weiteren Einschnitten. Um die im europäischen Vergleich hohe Anzahl der Praxisbesuche zu senken, wurde eine Gebühr von 10 € eingeführt. Sie musste je Quartal entrichtet werden, wenn darin ein Praxisbesuch erfolgte. Bei Aufsuchung mehrere Praxen z. B. von Allgemeinmedizinern und Zahnarzt entsprechend mehrfach. Für höhere und mittlere Einkommen war das unerheblich, für Personen mit niedrigem Einkommen nicht. Für Personen mit sehr niedrigen Einkommen, wie manche Rentner, war das eine massive Restriktion. Deshalb wurde ggf. selbst auf notwendige Arztbesuche verzichtet. Zudem erhielten die Ärzte für jeden Patienten pro Quartal nur noch einen Pauschalbetrag, egal wie oft der Patient zu behandeln war. Für Arztpraxen der Grundversorgung mit hohem Anteil ältere Patienten, die erfahrungsgemäß anfälliger sind und die Praxen häufiger aufsuchen müssen, wird der Betrieb unwirtschaftlich. Zudem wurde die Patientenzahl auf dem erreichten Stand festgeschrieben, damit die Praxen nicht durch Anwerbung zusätzlicher Patienten mehr Honorare einnehmen. Für die Verschreibung von Medikamenten musste sich die Arztpraxis an das zugebilligte Kontingent halten, sonst müssen sie die Kosten für die Medikamente, die das Praxiskontingent überschreiten, übernehmen, unabhängig davon wie medizinisch notwendig die Verschreibung war.
Diese Vorgaben waren ein wesentlicher Grund zur starken Orientierung von Praxen auf Privatpatienten, bis hin zur Aufgabe von Kassenzulassungen. Die Vorgaben der Ministerin Schmidt bewirkten zwar eine Kostendämpfung, die jedoch z. T. auf dem Rücken der Ärzte, aber auch der Patienten stattfand. Zudem wurde in diesen Maßnahmen nicht der anwachsende medizinische Betreuungsbedarf berücksichtig, der infolge der steigenden Lebenszeiträume der Bevölkerung entstand. Die Tagespresse zitierte damals eine Verlautbarung von Frau Ministerin Schmidt, dass der gesundheitliche Standard ohne Mehrkosten erhalten werden könne bzw. werde. Diese Verlautbarung kann nur als blanker Unsinn eingestuft werden, wenn man nicht von fehlenden Sachkenntnissen der damaligen Gesundheitsministerin ausgeht. Mit dem ansteigenden Alter der Bevölkerung nehmen eben zugleich die Erkrankungen und der Anteil multimorbider Patienten zu, die einen hohen und häufigen gesundheitlichen Betreuungsbedarf haben. Deshalb muss die Alterung zwangsläufig zu höherer Beanspruchung des Gesundheitswesens führen. Das gilt sowohl für ärztliche Betreuung als auch Medikamentenversorgung und Krankenhausaufenthalte. Unter diesen Gegebenheiten führt eine Deckelung der Kosten im Gesundheitswesen unvermeidlich zum Abbau von Versorgungsleistungen. Deshalb ist diese Verlautbarung der damaligen SPD-Ministerin für Gesundheit unglaublich, entweder falsch oder unsinnig. Die Folgen wirkten langzeitig. Der Berufsstand der Allgemeinmediziner, der im Wesentlichen die Grundversorgung trägt, hat erheblich an Attraktivität eingebüßt. Heute erreicht der jährliche Zugang junger Allgemeinärzte nur etwa die Hälfte der Anzahl ihrer älteren Kollegen, die innerhalb eines Jahres in den Ruhestand treten. Inzwischen wurden zwar einige der Vorgaben aus der Ära von Gesundheitsministerin Schmidt abgebaut, wie Deckelung der Patientenzahl von Praxen und die Entrichtung der 10 € Gebühren je Quartal, aber der Zugang an neuen Ärzten in der Grundversorgung ist weitaus zu niedrig geblieben. Heute besteht ein Notstand für die medizinische Versorgung nicht nur in manchen ländlichen Räumen, sondern erreicht zunehmend die Randlagen von Großstädten.
In dieser Zeit wurde Deutschland von zwei großen Spenden-/ Schwarzgeldaffären erschüttert. 1999 flog ein illegales Spendenkonto auf, das die CDU seit 1994 unterhielt. Auf dem Konto wurden Parteispenden, teilweise ohne diese zu versteuern, gesammelt. Die Meldung dieser Spenden an den Bundestag unterblieb, ein eindeutiger Verstoß gegen geltende Gesetze.
In dieser Angelegenheit waren höchste CDU Politiker verstrickt, wie der Ex-Kanzler Kohl, der CDU Schatzmeister Leisler-Kiep und der frühere Bundesinnenminister Kanther, selbst der hessische Ministerpräsident Koch und der CDU-Politiker Schäuble standen unter Verdacht. Deshalb wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet, die u. a. zur Bestrafung von Leisler-Kiep führten (Google 26.8.2020).
Im gleichen Jahr wurden aus dem Kölner Raum ebenfalls Spenden/Schmiergeldzahlungen an SPD-Politiker in leitender Stellung aufgedeckt, die sich damit teilweise sogar selber bereicherten. Die eingeleiteten Ermittlungen führten zu Verurteilungen, bis hin zu mehrjährigen Gefängnisstrafen(Google 26.8.2020). Mit diesen Auswüchsen hat jedoch die Regierung Schröder in keiner Weise etwas zu tun. Aber es sind dennoch sehr fragwürdige Erscheinungen, wenn Politiker, selbst Politiker der höchsten Ebene, zum Vorteil ihrer Partei, oder auf der kommunalen Ebene gar zum eigenen Vorteil, sich nicht an geltende Gesetze halten und strafrechtlich in Erscheinung treten.
Die Ausweitung des Euro auf Griechenland ist eine weitere unerfreuliche, teure Hinterlassenschaft der Regierungszeit des Kanzlers Schröder. Griechenland hatte damals bei weitem nicht die finanziellen Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft in der Euro-Gemeinschaft. Trotz warnender Expertenstimmen unterblieb eine verlässliche Überprüfung. Die Regierungspolitik war vorrangig auf Ausweitung der Einheitswährung Euro auf möglichst viele der EU-Staaten gerichtet. Diese Leichtfertigkeit unter Kanzler Schröder und seinem Außenminister Fischer hat dann zu den bekannten Folgen geführt. Eine massive finanzielle Unterstützung Griechenlands durch die EU wurde unerlässlich. Bis Mitte 2018 waren das 263 Milliarden Euro (Tagesschau.de, 5.7.2018). Die Bundesrepublik steht für einen erheblichen Teil der Mittel, denn sie ist am Rettungsschirm des Euro mit ca. 27 % beteiligt. Das sind Gelder, die hier fehlen. Damit hätte sich die Problematik der Renten für einen längeren Zeitraum ausgleichen oder zumindest mindern lassen.
Die rot-grüne Regierung unter Kanzler Schröder hat mit ihren steuerlichen und sozialpolitischen Maßnahmen unzweifelhaft viel zur wirtschaftlichen Erstarkung der Bundesrepublik beigetragen. In den Lohnkosten nimmt Deutschland nicht mehr die Spitzenstellung in der EU ein. In Deutschland sind Investitionen wegen der erheblichen Steuerminderungen sowohl für Konzerne als auch für Vermögen durch die hohe Senkung der Körperschaftssteuer und des Spitzensteuersatzes sehr attraktiv geworden. Zugleich war damit aber auch der größte Sozialabbau mit tiefen Einschnitten seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland verbunden. Damit wurde zudem der Schwerpunkt der staatlichen Steuereinnahmen auf die Lohn- und Einkommensteuern verlagert, bei steuerlicher Schonung der Spitzenverdiener. Die neue Rentenausrichtung, die im krassen Widerspruch zu den SPD-Verlautbarungen vor der damaligen Wahl stand, leitet eine Abkehr von der staatlichen Versorgungsverantwortung ein. Damit wurden letztlich auch die wesentlichen Voraussetzungen für die erfolgreiche Wirtschaftsentwicklung in den Regierungsjahren unter Kanzlerin Merkel geschaffen. Angesichts der damals erfolgten gravierenden sozialen Einschnitte wird die SPD von vielen Bürgern längst nicht mehr als soziale Partei wahrgenommen, wie ihre verheerenden Wahlergebnisse zeigen. In Anbetracht des langen, anhaltenden Abwärtstrends der Partei bezichtigen manche kritische Stimmen die Kanzlerschaft Schröders als den Totengräber der SPD.