Kitabı oku: «Verkörperter Wandel», sayfa 3

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Die Handlungsebene: Körper – Mesoderm – Karmendriyas – Asana
Die Handlungsebene pulsiert zwischen An- und Entspannung.
Blockaden äußern sich in Über- und Untererdung.

Auf der Handlungsebene reguliert das Stammhirn innerhalb des extra­pyramidalen Systems unser Gleichgewicht zwischen bewussten, halb bewussten und unbewussten Bewegungen. Dies können wir als Überspannungen und Unterspannungen erleben. Hypertonische, »überspannte« Muskulatur kann als übererdet bezeichnet werden. Schlaffe, hypotonische Muskulatur dagegen als untererdet.

Yogapsychologische Ausrichtung

Wir alle kennen die Neigung zu muskulären Verspannungen bei privater oder beruflicher Belastung. In gewisser Weise leiden wir dabei unter aufgestauter, nicht umgesetzter Handlungsenergie: Wir speichern gleichsam Stress in der Muskulatur ab.

Auf der Ebene des Bewegungsapparates bietet Yoga mit seinen abwechslungsreichen Asanas und Asana-Sequenzen ein differenziertes und präzises Angebot an strukturierten Bewegungen und Haltungen, um überflüssige Anspannung zu lösen. Die einzelnen Übungen bauen dabei aufeinander auf und sprechen ganz gezielt die verschiedenen Muskelgruppen des Körpers an. Durch die systematischen Bewegungen kann sich gestaute Energie entladen. Überschüssiges Cortisol, das Stresshormon unseres Körpers, wird abgebaut und ausbalanciert.

Zudem lernen wir in den angeleiteten Asana-Klassen ein verfeinertes Körper- und Bewegungsbewusstsein. Die Asanas laden uns dazu ein, nach innen zu spüren und unser Bewusstsein auch für sehr kleine, feine Erfahrungen im Körper zu öffnen. Asana-Sequenzen sind Meditation in Bewegung. So kann sich unser Bewusstsein wieder im Körper erden. Das schafft die Voraussetzung für eine vitale Pulsation zwischen gezielter Anspannung und ausreichender Regeneration.

Die Wahrnehmungsebene: Geist – Ektoderm – Jnanendriyas – Dharana
Die Wahrnehmungsebene pulsiert zwischen Aufnahme und Integration.
Blockaden äußern sich in Über- und Unterfokussierung.

Auf der Wahrnehmungsebene geht es um das Filtern, die Verarbeitung und Einordung empfangener Reize durch unser zentrales Nervensystem. In der Körperpsychotherapie spricht man von einer Unterfokussierung, wenn es nicht gelingt, Reize ausreichend zu filtern. In der Folge erleben wir uns als überflutet; Konzentration fällt schwer oder misslingt ganz. Die Regulationsfähigkeit hinsichtlich der Menge und Art einströmender Reize ist diesem Zustand beeinträchtigt. Eine Überfokussierung hingegen liegt dann vor, wenn wir mit einseitiger, zwanghafter Wahrnehmung versuchen, unerwünschte Erfahrungen auszublenden (Boadella 1991).

Yogapsychologische Ausrichtung

Das angebrochene Informationszeitalter stellt uns vor die Herausforderung, extrem viele Eindrücke verarbeiten zu müssen. Gelingt es dem Geist nicht, Informationen zu sortieren, ihre Menge zu regulieren und den emotionalen Gehalt anzupassen, werden wir von ihnen überflutet. Unser Geist wird regelrecht »be-unruhigt«. Verloren in der Flut überfordernder Wahrnehmungen, verlieren wir auch den Kontakt zu uns selbst.

Im Yoga lernen wir durch Konzentration und Meditation die Möglichkeit kennen, gegenwärtig zu sein und dabei zugleich unser Nervensystem zu beruhigen. Achtsamkeit hilft uns wahrzunehmen, ohne zu werten oder auszublenden, ohne sich mit etwas zu identifizieren oder in etwas zu verstricken. So entsteht eine Haltung, die es erleichtert, einen angemessenen Abstand zu äußeren wie inneren Einflüssen einzunehmen.

In diesem erweiterten Raum wird es möglich, bisher ausgeblendete Erfahrungen zuzulassen: Wir fühlen uns dem eigenen Erleben nicht mehr ausgeliefert. Aufgrund der gesunden Distanz können wir Inhalte besser verarbeiten und integrieren, statt sie wie zuvor abzuspalten, zu verdrängen oder zurückzuweisen. Wenn es uns gelingt, einen Abstand zu kultivieren, in dem unser Atem wieder frei und anstrengungslos fließt, wird es auch möglich, uns selbst wahrzunehmen, zu erkennen und mitfühlend anzunehmen.

Beim Betrachten der drei Felder Emotionen, Körper und Geist wird deutlich, wie sehr sich Yoga in seiner Essenz um den Ausgleich dieser Pole bemüht. In einer gelungenen Yogastunde geht es im Kern darum, Wahrnehmung, Muskeltonus und Energiehaushalt in Balance zu bringen.

Yoga als körperorientierte Praxis hat noch mehr Potenzial. Wie im Abschnitt über die Entwicklung der Keimblätter deutlich wurde, ist unsere Psyche bereits ab der dritten Schwangerschaftswoche in der Lage, sowohl angenehme als auch leidvolle Erfahrungen zu machen und abzuspeichern. Erfahrungsmuster, die aus der Zeit vor unserer Geburt stammen, sind demnach präverbalen Ursprungs. Sie erschließen sich schwer oder gar nicht, wenn wir versuchen, uns ihnen auf der rationalen Ebene des Intellekts anzunähern. Dies gilt auch für Erlebnisse der frühen Kindheit.

Über ein behutsames Forschen auf den Feldern unserer Wahrnehmung, unserer Handlungsimpulse und unserer energetischen Muster können wir Kontakt mit vorbewussten Themen aufnehmen und ein annehmendes Verständnis für sie entwickeln. Vielleicht gelingt es über diese körperliche Annäherung, Worte für sie zu finden. Wir lernen uns besser kennen, verstehen vielleicht, weshalb bestimmte Auslöser uns aus der Fassung bringen, und erschließen uns passende Regulationsmöglichkeiten. So ist es uns möglich, Gedanken-, Gefühls- und Verhaltensmuster entweder als einen Teil unserer Identität wahr- und anzunehmen oder sie als leidbringend und unpassend zu erkennen.

Ein fundiertes fachübergreifendes Wissen über diese somatischen, psychologischen und spirituellen Zusammenhänge kann den Yogaunterricht wesentlich bereichern. In der yogapsychologischen Praxis – sei es in Coaching, Therapie, Unterricht oder in der eigenen Sadhana – bietet diese Perspektive eine Grundlage für das ganzheitliche Verständnis von Klient*innen oder Schüler*innen.

In der Arbeit mit der prozesshaften Wechselwirkung zwischen Gefühlen, Gedanken und Körper entfaltet die integrative Yogapsychologie ein breites Spektrum an Anwendungsmöglichkeiten. Sie schafft ganzheitliche Erfahrungsräume – und damit das Potenzial für Verarbeitung, Integration und Wachstum.

Integration

Das Ziel des Yoga beschreibt Patanjali gleich zu Beginn des Yogasutra:

»Yoga ist der Zustand, in dem die Bewegungen des citta (des meinenden Selbst) in eine dynamische Stille übergehen« (Sriram 2006).

Yogasutra 1.2

Wodurch aber gerät Citta aus der Ruhe? Sowohl im Sankhya als auch in der entwicklungsbiologischen Beschreibung der Keimblätter stehen unser Fühlen bzw. Denken, unser Wahrnehmen und Handeln nebeneinander. Auch wenn sie aus derselben Quelle stammen, ist ihre Verbindung untereinander verletzlich. Führt ein äußerer Einfluss dazu, dass sie gestört oder blockiert wird, fließen unser Denken bzw. Fühlen, Wahrnehmen und Handeln nicht länger aus einem gemeinsamen Zentrum. Dann erleben wir uns als fragmentiert.

Wenn unsere innere Ganzheit zerbricht, verlieren wir auch leicht den Kontakt zur äußeren Realität, das Vertrauen in ein ganzheitliches Aufgehobensein geht verloren. Das Wort Yoga kann mit »verbinden« oder »vereinigen« übersetzt werden. Die aufgebrachten Wellen unserer Psyche (Cittavrittis) kommen erst zur Ruhe, wenn unsere Seinsebenen wieder miteinander verbunden sind. Dann können wir die Identifikation mit ihnen lösen und zurückkehren zu unserer Quelle, zu unserem Selbst. So lässt sich Yoga erweitert definieren als die Lehre von der Integration unserer Lebensfelder: Denken, Fühlen, Wahrnehmen, Handeln und Energie.

Dabei ist es vor allem die Fähigkeit zu achtsamem Mitgefühl jenseits beurteilender Wertung, die uns heilen lässt. Verständnis ohne Liebe bleibt immer kalt. Eine Technik ohne Kontakt lässt uns allein zurück, und eine Erfahrung ohne Beziehung bleibt frei von Bedeutung. Entwicklung beginnt mit Beziehung – sowohl im Sankhya als auch in der Biologie. Je mehr wir die Hüllen unserer Identifikationen abstreifen, umso mehr kann sich diese ursprüngliche, liebevolle Kraft offenbaren. Sie ist der Eingang und Ausgang in das bedingungslose Sein, unsere wahre Natur.

»Sind Sie im Herzen, dann wissen Sie, dass das Herz weder der Mittelpunkt noch der Umfang ist. Es gibt nichts getrennt von ihm.«

Ramana Maharshi, Sei, was du bist!

Nach dieser Fahrt auf dem zweiädrigen Strom von Philosophie und Biologie möchte ich einen Moment innehalten, um zu würdigen und zu staunen. Es ist undenkbar, dass Kapila vor 2500 Jahren oder Ishvarakrishna, der wenig später Kapilas Lehre in der Sankhya Karika zusammenfasste, ein Wissen über die Embryogenese haben konnte. Sie ist eine Entdeckung des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Damit ist die Entwicklungsbiologie eine späte, unerwartete, aber auch besonders schöne Bestätigung von Kapilas Einsicht in die Ordnung des Seins.

Drei-Farben-Weiß: Das Erscheinen von Mitgefühl, Achtsamkeit und Pulsation

»Veränderung geschieht, wenn jemand wird, was er ist …«

Arnold Beisser, Wozu brauche ich Flügel?

Purusha: Das reine Licht

Jeder der Engel, die auf meiner Schulter saßen und uns – laut meiner Tochter – stets begleiten, hatte seine eigene Farbe: Rot, Grün und Blau. In meinen Jahren als Maler hatte ich mich lange mit den Gesetzen von Farbe und Licht auseinandergesetzt. Mit der additiven Farbsynthese, einem physiologischen Vorgang zwischen Auge und Gehirn, ist es möglich, aus dem farbigen Licht der drei Primärfarben Rot, Grün und Blau jede andere Farbe zu mischen. Werden diese drei in geeigneter Helligkeit addiert, entsteht in ihrem Zentrum die Farbempfindung Weiß. Weiß ist somit die eigenschaftslose Summe, die Essenz aller Farben.

Wenn wir diese Grundfarben nun mit den Qualitäten Mitgefühl (Grün), Achtsamkeit (Blau) und Pulsation (Rot) assoziieren, steht in ihrem Zentrum, durchdrungen von Licht, unser Sein: die Grundlage unserer Existenz (Weiß), der eigenschaftslose Purusha. Im Folgenden nenne ich diesen Schnittpunkt das »Selbst«. Dieses reine Licht (puruṣa) ist die Basis all unserer emotionalen, geistigen und körperlichen Erfahrungen, die Ursache all unserer Farben, das Fundament des Bewusstseins. Eine Abbildung dazu findest du auf der vorderen Umschlaginnenseite (Abb.3).

Wenn wir die Frage stellen »Wer bin ich?«, dann erklingt in uns die primärsubstanzielle Erfahrung des »Ich bin!«. Sie ist stets in uns, gleich wie es uns geht, wie alt wir sind oder in welcher Situation wir uns befinden. Wenn wir wollen, können wir jederzeit Kontakt mit diesem beständigen, bedingungslosen Urgrund in uns aufnehmen. Es braucht nur einen Moment der Besinnung, der Stille und des Zurücksinkens in die Essenz. Wenn du dir die Frage »Wer bin ich?« stellst, dann erklingt die nonverbale Antwort »Ich bin!«, das Erleben des Seins.

Ramana Maharshi nannte diese schlichte Praxis Selbstergründung (Atma Vichara). Der Geist kehrt dabei zu seinem Ursprung zurück. Noch vor den positiven Erfahrungen unserer individuell geprägten Biografie ist dieses Sein die Basis des Urvertrauens, das warme und beständige Gefühl sicheren Eingebundenseins.

Das Farbspektrum der Welt: Purusha trifft auf Prakriti

Der erste Ausdruck des an sich eigenschaftslosen Selbst sind die Qualitäten Mitgefühl, Achtsamkeit und Pulsation. Im Mitgefühl weitet sich das Selbst in unsere emotionale Dimension, in der Achtsamkeit konstituiert es sich in unserem geistigen Feld und über seine lebendig ­pulsierenden Wellen ist es mit der Welt und ihrer Pulsation verbunden. Trifft das reine, eigenschaftslose Licht des Purusha auf Prakriti, bricht es sich in ihr wie in einem Prisma, und das gesamte Farbspektrum der Welt beginnt sich zu entfalten.

Die integrative Yogapsychologie geht von der Annahme aus, dass die drei Qualitäten Pulsation, Mitgefühl und Achtsamkeit grundsätzlich in jedem Menschen vorhanden sind. Daher betrachte ich sie nicht als Fähigkeiten, sondern als eine Art Grundausstattung. Dabei besitzt jede dieser Qualitäten einen aktiven, erlernbaren Aspekt, der uns den Zugang zu ihr ermöglicht oder zumindest erleichtert.

Werfen wir im Folgenden einen Blick auf das Wesen dieses unmittelbaren Selbst-Ausdrucks.

Rot: Tamas, Pulsation Und Rhythmus –Die körperliche Ebene

Die Farbe Rot steht für unseren Körper. Wir erinnern uns: Prakriti, die Natur, besteht laut Sankhya aus den drei Eigenschaften Tamas, Rajas und Sattva – den Gunas. Wenn wir diese Gunas nicht als ein hierarchisches, wertendes Prinzip im Sinne von besser oder schlechter verstehen, verkörpert Tamas die Materie, das Feste, Stoffliche, unseren Körper.

Doch auch Materie ist immer in Bewegung: innerlich auf der Ebene der Moleküle und nach außen im Kontakt mit der Umgebung. Das gilt auch für unseren Körper. Er ist die stoffliche Grundlage für unser inneres Erleben, unsere Gefühle, unseren Geist und zugleich eine Brücke in die äußere Welt. Durch die Sinne des Körpers nehmen wir unsere Umgebung wahr und können in Beziehung zu ihr treten.

Wie können wir lernen, in der Welt, im Außen zu sein, ohne uns selbst zu verlieren? Oder andersherum: Wie können wir für uns selbst da sein und zugleich in Kontakt mit der Welt bleiben? Ganzheitlichkeit schließt immer beides ein. Es ist nicht leicht, diese Gleichzeitigkeit zu denken, aber vielleicht gelingt es uns, sie zu fühlen.

Genau hier öffnet sich der Weg. Prasava bedeutet Geburt, Ausfaltung, Entwicklung. Während dieser Evolution entfalten sich die Elemente (Gunas) und lassen unser vielgestaltiges Universum erscheinen. Prasava beschreibt die Entstehung des Lebens, der Natur, von uns. Im Tantra werfen wir uns in dieses Leben regelrecht hinein: Bhukti Mukti lässt sich als »Befreiung durch Genuss« übersetzen. So heißt es im ­Vijnana Bhairava Tantra: »Im Glücksgefühl sinnlicher Freude das Denken gestillt – mit solcher Freude eins wird sie zur Seligkeit« (VBT 49). Der Bhogi genießt die Welt und ihre Erscheinungen, er geht eine leidenschaftliche Liebesbeziehung mit ihr ein. Diese Liebe öffnet ihn in das Selbst.

Der Begriff Pratiprasava steht Prasava gegenüber und beschreibt die Wiedereinfaltung der Elemente, ihre Gegenströmung oder ihren Rückfluss. Pratiprasava steht damit auch für die Vergänglichkeit. Im Yoga oder in der Achtsamkeitspraxis lernen wir, uns zu sammeln, unsere Sinne nach innen zu richten und zu uns zurückzufließen. In dieser Sammlung geben wir unserer Seele die Möglichkeit, tiefgehend zur Ruhe zu kommen.

Wie Patanjali schreibt, erscheint das Selbst, wenn unsere Psyche zur Ruhe kommt (Yogasutra 1.2). Der fünfte Schritt seines achtgliedrigen Pfades besteht im Zurückziehen unserer Sinne nach innen, um uns aus dieser Sammlung für die Wahrnehmung des Selbst zu öffnen (Yogasutra 2.54, 2.55).

Entscheidend ist die Pulsation: Wir leben im ständigen Wechsel von Werden und Vergehen, zwischen Prasava und Pratiprasava. Der Körper macht es uns möglich, uns nach der Welt auszustrecken oder uns von ihr zurückzuziehen – und ist zugleich ein Teil von ihr (Boadella 1991). Wilhelm Reich widmete sich in seiner Arbeit Die Ausdruckssprache des Lebendigen ausführlich dem Phänomen der rhythmischen Pulsation als Merkmal von Lebensenergie (Reich 1971).

Der Biologe Max Hartmann beobachtete bei seinem Studium von Amöben, wie sie sich nach einigen Objekten ausstreckten und von anderen zurückzogen. Selbst im Ruhezustand sind in Amöben winzige, pulsierende Bewegungen zu beobachten (Boadella 1991). Einzeller wie die Amöbe können aus dem direkten Kontakt mit der Umwelt die Energie ziehen, die sie brauchen.

Mehrzellige Lebewesen benötigen dafür einen zirkulierenden Kreislauf. In der Embryonalentwicklung des Menschen entsteht der Blutkreislauf noch vor dem Herzen. Staguhn schreibt in seinem Buch Das Herz. Ein geheimnisvolles Organ: »Nicht das Herz bewegt das Blut, sondern das Blut bewegt das Herz (…) Der gesamte Organismus ist Herz (…) Damit ist der Organismus nichts anderes als verkörperter Rhythmus, verkörperte Pulsation« (Staguhn 1999).

Bereits bei wenigen Millimeter großen Embryonen beginnen jene Zellen, die später das Herz bilden werden, rhythmisch zu pulsieren. Sowohl die Herz- als auch die Skelettmuskulatur pendelt nun ein Leben lang zwischen den Polen der Anspannung und Entspannung, der Kontraktion und Streckung. Sie ermöglichen das Heben und Senken von Brustkorb und Zwerchfell wie auch die Pulsation der Atmung. Das nach der Geburt von der Nabelschnur getrennte Leben beginnt mit der ersten Einatmung (Inspiration) und endet im Sterben mit der letzten ­Ausatmung (­Exspiration). Folglich kann der ganze Lebenszyklus als eine große Pulsation verstanden werden.

Auch bei anderen physischen Prozessen stoßen wir auf dieses Prinzip des Lebendigen. Das peristaltische Pulsieren der Gedärme wird durch Signale der vegetativen Nerven gesteuert. Weiter tragen Hormone zum Pulsationsmuster des menschlichen Körpers bei, indem sie Erregung verstärken oder verringern.

Auf der individuellen Ebene sehen wir den Ausdruck der Pulsation besonders deutlich im Muskeltonus, da das Spannungsmuster von Muskulatur und Atmung dem »Schwingungsmuster« von Geist und Emotion entspricht (Lowen 1981). Ein gesunder Muskeltonus pulsiert zwischen Anspannung und Entspannung. So entsteht im Anschluss an eine Ruhephase Bewegungsdrang und nach längerer Aktivität das Bedürfnis nach Ruhe und Regeneration.

Gefühle, wie beispielsweise Angst, können dazu führen, dass sich unsere Muskulatur anspannt. Angst ist eine Warnung vor Gefahr und versetzt unseren Organismus in einen Zustand erhöhter Aufmerksamkeit und Reaktionsbereitschaft. Bei Wut, die ebenfalls zu einer Anspannung unserer Muskulatur führt, bereitet sich der Körper auf einen möglichen Kampf vor. Wenn wir uns hingegen erschrecken, ziehen wir uns zusammen und machen so unsere Angriffsoberfläche möglichst klein. Warme Freude entspannt uns, heiße Freude dagegen macht uns aufgeregt und impulsiv. Eine schlaffe Muskulatur kann der körperliche Ausdruck von Hoffnungslosigkeit sein, während Weinen unseren Körper schüttelt und ihn so von der Spannung starker Trauer oder tiefer Verzweiflung befreit.

Jedes Gefühl hat also einen entsprechenden körperlichen Zustand. Wir pulsieren folglich nicht nur nach den Mustern unserer vitalen Funktionen, sondern auch mit den Wellen unserer Gefühle (Lowen 1981).

Alles folgt einem Rhythmus, der zugleich mit dem der äußeren Welt interagiert. Wir leben im ständigen Wechsel von Tag und Nacht, der Jahreszeiten sowie von Leben und Tod. Bei den Gezeiten der Meere variiert mit Ebbe und Flut der Wasserstand, je nach Stellung von Sonne und Mond. Selbst die Sonne pulsiert in unterschiedlichen Frequenzen. Schwingungen aus ihrem Inneren bewegen die Fotosphäre auf und ab, jene Schicht, der das für uns sichtbare Licht entstammt. Pulsation ist ein universelles Prinzip, das uns von innen heraus bewegt und dessen Wellen uns zugleich mit der Welt verbinden. Dabei unterscheiden sich die verschiedenen Rhythmen durch die Länge, Ausdehnung und Intensität ihrer Schwingungen.

Vor diesem Hintergrund könnte man Gesundheit als ein System definieren, das fähig ist, auf innere Bedürfnisse und äußere Anforderungen ausgleichend zu reagieren (Franzkowiak 2018). So streckt sich der gesunde Körper wie die Amöbe nach dem aus, was ihm guttut, und zieht sich zurück von dem, was ihm schadet. Wenn ein Organismus nicht in der Lage ist, sich seiner Umgebung anzupassen, also angemessen auf sie zu reagieren, wird er krank. So muss er etwa fähig sein, auf Infektionen zu reagieren.

Bei der Pulsation geht es nicht um die Frequenz der einzelnen Schwingungen, sondern um die Spontaneität und Qualität, mit denen ein neuer Impuls erfolgen kann. Diese regulierenden Wellen sind Grundlage aller Lebensvorgänge und Essenz jeder lebendigen Körperlichkeit (­Keleman 1994).

Die Pulsation ist ein zentrales Prinzip der Yogapsychologie. Die pulsierenden Schwingungen sind Ausdruck unserer Lebensenergie (Prana). Wie können wir den Kontakt mit ihr pflegen, um stabil, resilient und gesund zu bleiben?

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