Kitabı oku: «Sentry - Die Jack Schilt Saga», sayfa 12

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„Immerhin gibt es Vögel.“ Krister deutete auf einen flatternden Punkt, der aus den Dünen auf uns zuflog. Zunächst maß ich dem wenig Bedeutung bei. Doch der Punkt nahm rasant schnell an Größe zu. Und sein Kurs stand unbeirrbar fest.

„Was zum...“ entfuhr es mit, als das aufgeregte Tier mit einem Höllenkreischen und wild um sich schlagenden Flügeln nur eine Handbreit über unseren Köpfen schwebte. Sein langgezogener spitzer Schnabel hieb dabei mit erstaunlicher Präzision auf beide Blondschöpfe ein, die die Arme hochrissen, um den unerwartet hartnäckigen Angreifer zu verscheuchen. Tatsächlich entfernte sich der entengroße Vogel daraufhin auch ein Stück und umkreiste das Objekt seiner Rage in gewisser Distanz.

„Hab ab, du blödes Vieh!“ schrie ich ihm zu.

„Qui wieh, qui wieh“, kam die unmissverständliche Antwort, was wohl so viel wie „Verpisst euch von hier!“ heißen sollte.

„Typisches Brutverhalten“, meinte Krister. „Wir müssen wohl in sein Revier eingedrungen sein. Womöglich ist ganz in der Nähe sein Nest.“

Wir tauschten zwei Blicke aus und wussten auch schon, das gleiche zu denken. Ich sah mich schon eine mächtig große Portion Rührei verschlingen – und Mamma Vogel gerupft am Spieß über kleiner Flamme. Aus dem Nichts tauchten angelockt von dem Lärm noch weitere schwarze Punkte auf, die sich schon von weitem mit ohrenbetäubendem „Qui wieh!“ ankündigten. Noch bevor wir wussten wie uns geschah, schwirrte ein halbes Dutzend wildgewordener Elternvögel schnabelhackend über unseren Köpfen. Und es wurden stetig mehr. Wir hatten nicht viel Auswahl: flüchten oder angreifen. Ich entschied mich für letzteres. Der Gedanke an knuspriges Brathuhn ließ nicht mehr los. Jetzt zahlte es sich aus, Pfeil und Bogen mitgeführt zu haben. Ich ging in die Knie. Nun bildete allein Krister eine hervorragende Angriffsfläche, und der mittlerweile auf ein Dutzend Exemplare angewachsene Sturmtrupp attackierte ihn nach Belieben von allen Seiten.

Anlegen – spannen – loslassen. Die einzige Gefahr bestand darin, aus Versehen Krister zu verletzen. Doch er vertraute auf was ich im wahrsten Sinne des Wortes abzielte und beschränkte sich darauf, den Kopf mit übereinandergeschlagenen Armen zu schützen und ansonsten reglos zu verharren. Noch bevor die Krachmacher realisierten, zu Gejagten geworden zu sein, hatte ich zweimal getroffen. Ein dritter Pfeil verfehlte sein Ziel knapp. Das erstickende Kreischen der zu Boden gestürzten, tödlich verwundeten Tiere verfehlte seine Wirkung nicht. Innerhalb von Sekunden war der flatternde Spuk vorüber. Weiterhin laut protestierend stellten die Vögel den Angriff ein und zogen ab. Kein Wunder, ihre Verluste waren furchtbar.

Eines der Tiere lag bereits tot da. Das zweite hingegen zeigte sich noch verblüffend lebendig trotz des tief in der Körpermitte steckenden Pfeils. Nicht mehr flugfähig versuchte es mit ruckartigen Bewegungen aus der Gefahrenzone zu hüpfen. Doch dagegen hatte Krister etwas. Wie ein Schraubstock schlossen sich seine kräftigen Hände um den schlangenförmigen Hals. Sein Gezeter erstickte unverzüglich. Einmal nur knackte es, dann war alles vorbei.

Ich schloss die Augen. Es würde mir wohl niemals gelingen, kein Bedauern gegenüber der Kreatur zu empfinden, das durch mein Zutun sein Leben verlor. Für einen Moment spürte ich Traurigkeit, den Tod dieser beiden furchtlosen Geschöpfe verantwortet zu haben. Aber es musste sein. Und schon einen Wimpernschlag später tröstete mich der Gedanke an gebratenes Geflügel darüber hinweg.

„Ich hätte nicht gedacht, dass uns das Mittagessen entgegenfliegen würde.“ Krister begutachtete die ihm beigebrachten blutigen Schrammen an beiden Armen. Es sah jedoch schlimmer aus, als es tatsächlich war. „Sehr gut gemacht, Jack. Hungers werden wir heute nicht sterben.“

Die beiden erlegten Vögel wogen gut und gern zehn Pfund. Nach Abzug von Knochen und Fett bedeutete das rund fünf Pfund frisches Fleisch, was für den Rest des Tages mehr als genügen sollte. Zufrieden machten wir uns an den Abstieg. Der Ausflug ins Innere Zadars hatte sich gelohnt. Luke würde Augen machen!

Doch zunächst sollten wir Augen machen. Streng unseren Fußspuren folgend ging es zielstrebig zurück in Richtung Küste. Wir ließen die Dünenlandschaft hinter uns und erreichten abermals bewachsenes Terrain. Annähernd den halben Rückweg bewältigt, blieben wir wie angewurzelt stehen. Irgendetwas hatte in der Zwischenzeit unsere Fährte gekreuzt. Und dieses Irgendetwas hinterließ Spuren, die meine Nackenhaare dazu veranlassten, sich steil aufzurichten.

„Was zum Teufel ist das?“ Krister ging in die Knie. Im Fährtenlesen machte ihm so schnell keiner etwas vor, auch wenn seine Erfahrungswerte jetzt versagten. „Das nenne ich eine Bodenverwundung! Und eine äußerst frische dazu. Spuren dieser Art habe ich noch nie gesehen. Sieht aus wie eine Klaue mit nur einer Zehe. Oder einer Kralle. Sehr merkwürdig.“

„Mich beunruhigt eher die Größe dieser Klaue.“ Unbehaglich sah ich mich nach allen Seiten um. „Das dazugehörige Tier muss riesig sein! Wie weit mag es entfernt sein?“

Krister richtete sich auf. „Nicht all zu weit“, meinte er und prüfte die Windrichtung. „Westwind. Und die Spur führt nach Osten.“

„Lass uns verschwinden.“ Zu meinem Befremden sah ich Jagdfieber in Kristers Augen glimmen. „Am Ende sind das hier die Spuren eines Opreju. Krister, keine Dummheiten jetzt! Luke ist alleine beim Boot!“

Mein Freund sah mich unentschlossen an. Dann siegte die Vernunft auch bei ihm. Den restlichen Weg zur Küste legten wir im Sprint zurück.

Atemlos brachen wir endlich durch das Buschwerk auf den Strand zu. Noch nie waren mir ein paar hundert Meter so lange vorgekommen! Da lag das Boot – aber keine Spur von Luke.

„Luke!“ Kristers Rufen verriet die Sorge um den Bruder. „Luke, wo bist du?“

„Luke!“ schrie nun auch ich. Rückwärts langsam auf das Boot und damit die schützende See zusteuernd, sahen wir uns nach allen Seiten um.

Nichts.

„Wo kann er nur stecken? Hier sind seine Spuren. Sie führen vom Boot fort.“ Und schon hastete Krister, den Blick auf den Erdboden geheftet, los. Ich zwang mich zur Ruhe. Mit Sicherheit war Luke nicht in Gefahr. Was auch immer sich auf dieser Insel herumtrieb, es handelte sich bestimmt nur um eine harmlose, großgewachsene Tierart. Wahrscheinlich ein Pflanzenfresser. Wäre uns diese Kreatur bösartig gesinnt gewesen, würde sie beim Anblick unserer Fußspuren die Verfolgung aufgenommen oder uns zumindest aufgelauert und aus dem Hinterhalt angegriffen haben. Nichts davon war jedoch geschehen. Das mysteriöse Wesen hatte stur seinen Weg fortgesetzt, der eindeutig von uns wegführte. Den Impuls unterdrückend, Krister hinterherzulaufen, hielt ich noch kurz inne und handelte dann. Das Boot flott zu machen besaß höchste Priorität. Sollte ein schneller Rückzug von der Insel erforderlich sein, musste es abreisebereit sein. Und das war es augenblicklich nicht. Mit allen mir zur Verfügung stehenden Kräften zerrte ich den Kahn zurück ins Wasser. Endlich bekam es den nötigen Auftrieb. Hurtig kletterte ich an Bord, ergriff die Ruder und brachte es in tieferes Gewässer. Von weitem musste es aussehen, als wollte ich Zadar fluchtartig verlassen. Alles war jetzt bereit zum Aufbruch – nur fehlten noch zwei Passagiere, die allerdings nicht lange auf sich warten ließen. Wenige Augenblicke später erschienen sie auf der Bildfläche. Ich rief erleichtert ihre Namen, doch hatten sie mich schon längst erspäht und näherten sich.

„Wo warst du?“ fragte ich Luke in vorwurfsvollem Ton. Es klang schärfer als beabsichtigt.

„Wasser holen!“ Erst jetzt bemerkte ich die beiden prall gefüllten Beutel über seinen Schultern. Fürsorglich half ich ihm sogleich, die Last abzulegen. Wie es ihm gelungen war, auf dieser staubtrockenen Insel überhaupt welches zu finden, interessierte zunächst nur zweitrangig. Vielmehr war ich froh, ihn wohlbehalten wieder um mich zu wissen.

„Sehr gut gemacht, Luke!“ Lobende Worte Kristers gehörten eher zu den selteneren Äußerungen, die er von sich gab. „Mann, wir haben uns ganz schön aufmischen lassen. So Hals über Kopf habe ich noch nie den Schwanz eingezogen.“

„Ich bin heilfroh, wieder auf See zu sein“, gab ich zu, mich in keinster Weise meiner Furcht schämend. „Hier sind wir zumindest sicher.“

„Klarer Fall von Überreaktion. Alleine das Wort ‚Opreju’ genügte, uns in Panik ausbrechen zu lassen. Das zeigt, wie wenig wir eigentlich auf das vorbereitet sind, was uns erwarten dürfte. Wenn wir künftig auch so feige reagieren, werden wir nicht weit kommen.“

Von dieser Warte aus betrachtet musste ich ihm uneingeschränkt Recht geben. Wir beabsichtigten immerhin, in das Land der Opreju vorzudringen. Wie komfortabel ich ihre Existenz ins Reich der Phantasie abgedrängt hatte! Zum ersten Mal begann ich wahrhaftig zu realisieren, auf was wir uns hier einließen. Meiner Angst vor dem Unbekannten war es mühelos gelungen, die Oberhand zu gewinnen. Die Zuversicht, das Richtige zu tun, erfuhr eine heftige Erschütterung. Umso mehr überraschte mich Lukes Reaktion. Er stand achtern neben mir am Ruder und warf sehnsüchtige Blicke zurück.

„Nicht einmal die Spuren habe ich gesehen!“ Es klang wie ein Jammern. Kein Hauch von Furcht. Nüchtern betrachtet war er der einzige gewesen, der nicht den Kopf verloren hatte.

„Meinst du wirklich, es waren Spuren eines Opreju?“ fragte ich Krister. Der zuckte nur mit den Schultern.

„Ich weiß es nicht. Wir sollten davon ausgehen.“

Der Vorfall führte mir endlich vor Augen, wo ich wirklich stand. Der romantische Hauch von Abenteuer, der über allem geschwebt hatte, war spätestens jetzt verflogen.

Nach dieser Erfahrung zog es uns naturgemäß nicht mehr nach Zadar zurück. Mit geändertem Kurs näherten wir uns wieder dem Festland und folgten seinem Küstenlauf, bevor uns gnadenloser Hunger an Land trieb. Die Zubereitung der beiden Vögel, die so lecker duftend über dem Lagerfeuer schmorten, brachte uns auf andere Gedanken. Mit gut gefüllten Bäuchen und dem Wissen, wieder „zuhause“ zu sein, scherzten wir umeinander, als wäre nichts geschehen. Doch die unbeschwerte Leichtigkeit war unwiederbringlich verflogen. Vielleicht zur rechten Zeit.

Über Nacht hatte der Wind gedreht und wehte nun kräftig aus nordöstlicher Richtung. Mit ihm zogen dunkle Wolken heran, doch regnete es nicht. Diese Wetterlage verlangte etwas mehr Aufmerksamkeit als das simple Vor-dem-Wind-fahren der letzten Zeit. Ich schickte das Boot windwärts auf Kreuzkurs, und wir segelten zunächst auf Backbordbug vom Festland fort. Als die Große Barriereinsel wie ein Geist aus dem Dunst stieg, fuhr ich eine ausgedehnte Wende und ging auf Steuerbordbug.

So kreuzten wir den lieben langen Tag in mehr oder weniger östlicher Richtung hin und her. Krister hatte wie immer die Angelschnüre ausgeworfen und fing über Stunden hinweg völlig versunken in seine Tätigkeit einen Fisch nach dem anderen. Luke dagegen saß bewegungslos am Bug und starrte auf das Meer hinaus. Ab und zu wandte er sich um, als wollte er sich vergewissern, ob wir anderen noch da waren. Stets sah ich dabei ein schwer zu beschreibendes Lächeln auf seinem Gesicht, das mich mehr als nur einmal an das verklärte Grinsen eines Schwachsinnigen erinnerte. In diesen Momenten bemerkte ich, wie wenig ich ihn doch kannte, wie fremd er mir zuweilen immer noch vorkam. Krister zerrte derweil den dritten Sargan aus seinem natürlichen Element. Ein Prachtexemplar von einem guten Meter Länge. Längst befand sich mehr Fisch an Bord, als wir in den nächsten beiden Tagen würden vertilgen können.

Am späten Nachmittag leitete ich die letzte Wende ein und nahm wieder Kurs Festland. Trotz des widrigen Windes waren wir gut vorangekommen und durften uns gut und gerne auf halber Strecke zwischen Sawyer Bay und Fisk Bay befinden. Der Skelettfluss befand sich also günstigstenfalls nur noch anderthalb, höchstens zwei Tagesreisen entfernt. Beim Gedanken daran spürte ich das Blut in meinem Kopf rauschen. Oder war es nur der mir um die Ohren pfeifende Fahrtwind?

Die Reste vom Vorabend reichten nicht aus, die Mägen dreier erwachsener Männer zu füllen. Wir beschlossen deshalb, den Tag ausklingen zu lassen und an Land zu gehen und den Fisch zu verwerten.

Unterdessen hatte sich Aotearoa spektakulär verändert. Obwohl ich noch nie im Leben diesen Teil meiner weiten Heimat gesehen hatte, wusste ich doch, wo ich mich befand. Wir hatten unverkennbar Ergelad erreicht, das Hügelland zwischen Lake Sawyer und den Kupferbergen.

Vom Meer aus bot sich uns ein faszinierendes Naturschauspiel. Das der See zugewandte Bergland präsentierte sich in glanzvollen Rottönen, das kurzzeitige Geschenk eines farbenprächtigen Sonnenuntergangs. Die Küstenlinie erinnerte wieder mehr an Avenors Norden, wild zerklüftet, felsig, von kleinen strandlosen Buchten durchzogen.

In eine dieser Buchten steuerte ich das Boot auf der Suche nach einer geeigneten Anlegestelle. Es boten sich einige Möglichkeiten, die mir allerdings nicht sicher genug erschienen. Ich verwarf sogar einen kanalartigen Einschnitt, der wie aus dem Fels herausgehauen wirkte und regelrecht zum Festmachen einlud. Zu riskant! Freilich hätte sich das Boot dort vertäuen lassen, sogar von zwei Seiten. Dennoch fürchtete ich die Gefahr zunehmenden Wellengangs, vor allem bei der gegenwärtig unsicheren Wetterlage. Ein paar hohe Wogen würden genügen, um das kleine Boot – festgezurrt oder nicht – gegen die Felsen zu schleudern. Am liebsten hätte ich es wie sonst einen sicheren Strand hochgezogen. In dieser Hinsicht zeigte sich Ergelad jedoch von seiner sparsamen Seite.

Allmählich drängte es. Die Nacht brach an und wir hatten noch nicht einmal Holz fürs Feuer gesammelt, geschweige denn einen Lagerplatz gefunden. Meine Unentschlossenheit stellte die Geduld der hungrigen und müden Gefährten auf eine harte Probe.

„Was war an dem Platz eben nicht in Ordnung, Jack?“ fragte Krister gereizt. Er hatte sich lange zurückgehalten und machte endlich seinem Unmut Luft.

„Der Kanal? Nein, viel zu eng. Ein paar hohe Wellen würden ausreichen, um das Boot an den Felsen zerschellen zu lassen.“

„Aber doch nicht wenn wir es ordentlich vertäuen“, widersprach mein Freund. „Außerdem sieht es nicht nach Sturm aus. Wieso sollte der Wellengang zunehmen?“

„Ich bin eben vorsichtig“, verteidigte ich mich schwach. „Nicht auszudenken, wenn dem Boot etwas passierte.“

Womöglich hatte Krister aber Recht. Der Kanal verlockte in der Tat zum Anlegen. Eine bessere Alternative würde sich angesichts der fortschreitenden Dämmerung wahrscheinlich auch nicht finden lassen. Ich lenkte schließlich ein. Im Dunkeln irgendwo zu landen behagte mir noch ein ganzes Stück weniger. Krister nickte beipflichtend als ich wendete und das Boot mit gerefftem Segel und unter Zuhilfenahme der Ruder in die schmale Rinne manövrierte. Sorgfältig machten wir es an zwei Seiten fest. Es bedurfte schon wirklich eines Unwetters, um es loszureißen. Einigermaßen beruhigt ließ ich es leise schaukelnd zurück.

Etwas höher gelegen stieß Luke auf der Suche nach essbarem Grünzeug auf einen dicht mit Moos bewachsenen Felsvorsprung. Einen besseren Schlafplatz konnten wir uns nicht wünschen. Das weiche Moos bildete eine ideale Unterlage, bequemer noch als Sand. Einen Nachteil jedoch galt es hinzunehmen: Von dort aus gab es keine direkte Sicht auf das Boot. Die Felsen, die es an drei Seiten umgaben, versperrten jeden Blick. Ich war jedoch bereit, auch diesen Umstand hinzunehmen. Bei der augenblicklichen Bewölkung versprach die Nacht sowieso eine tiefdunkle zu werden. Selbst wenn ich direkt davor säße, würde ich das Boot nicht mehr sehen können. Es war also müßig, sich darüber Gedanken zu machen.

Wir brieten jeden einzelnen der gefangenen Fische und aßen hemmungslos. Luke hatte die silbrigen Bäuche mit frischen Kräutern gefüllt, was ihren Geschmack noch verfeinerte. Was nicht sofort in unseren Mägen landete, verschwand als Vorrat für den morgigen Reisetag in den Rucksäcken. Wohl genährt und hundemüde legten wir uns nieder. Das Lagerfeuer brannte leise knisternd herunter und erlosch.

Mitten in der Nacht wachte ich auf. Ich hätte schwören mögen, Kies unter besohlten Schuhen knirschen zu hören. War es dieses Geräusch gewesen, das mich hatte hochschrecken lassen?

Ich lauschte.

Nichts außer dem sanften Lied des Windes und dem ewigen Rauschen der niemals ruhenden See. Mein himmelwärts gerichteter Blick fand nur tiefste Schwärze. Kein Stern zeigte sich.

Schläfrig sank ich alsbald wieder auf das weiche Lager zurück und schloss die Augen. Ich hatte wieder von Rob geträumt. Er war auf einem Schiff, umgeben von tosenden Wellen, die es nach Belieben hin und her warfen. Ich näherte mich ihm unter vollem Segel mit dem größtmöglichen Risiko in meines Vaters Boot, froh und glücklich, ihn endlich gefunden zu haben. Doch noch ehe ich ihn erreichte, löste es sich unter den Füßen auf und verschwand. Der gleiche Traum wie immer, nur in etwas abgewandelter Form. Stets verlor ich Rob aus den Augen, sobald er zum Greifen nahe war. Wie ein flatternder Vogel im Sturm trieb ich durch die Lüfte von ihm fort. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich widerstandslos den Elementen hinzugeben. Wie sehr ich diesen deprimierenden Traum verabscheute, in dem ich immerfort den Kürzeren zog! Die Variante mit dem verschwindenden Boot stellte nur eine weitere Spielform einer Aneinanderkettung von Niederlagen dar. Rob blieb unerreichbar, was ich auch anstellte, wie nah ich ihm auch immer kam. Kurz bevor ich wieder einschlief, schalt ich mich einen Narren, die Sorge um unser Boot so dominierend werden zu lassen, dass sie mich sogar in meine Träume verfolgte. Wie berechtigt diese Sorge war, sollte ich erst am anderen Morgen so richtig erfassen.

Der neue Tag begann mit dem herbsten Rückschlag seit Beginn der Reise. Ein Alptraum wurde wahr. Wie die begossenen Pudel standen wir an genau der Stelle, an der ich gestern Abend das Boot festgemacht hatte. Mit der Ausnahme, dass es sich dort nicht mehr befand.

Es war fort.

Ungläubig schaute ich mir die Augen aus dem Kopf. Mein erster Gedanke galt dem Naheliegendsten: Die Taue hatten sich aus irgendeinem Grund gelöst, und die Gezeiten das ungesicherte Boot aus dem Kanal hinaus in die Bucht gezogen. Es konnte also nicht weit sein, musste irgendwo in der Nähe angetrieben liegen. So dachte ich. Wie gehetzt jagte ich das Kliff hinunter an die Küste, halb erwartend, mein Boot irgendwo in der Nähe auf den Wellen hüpfen oder zumindest angespült zu sehen. Aber es war nicht da. So sehr ich auch suchte, es blieb verschwunden.

Krister hatte sich inzwischen auf eine Klippe geschwungen, die einen guten Blick über die gesamte Bucht ermöglichte. Flehentlich sah ich zu ihm empor, auf ein positives Signal wartend, einen ausgestreckten Arm, der auf die See zeigte, einen Schrei, irgendetwas. Doch er stand schon viel zu lange reglos suchend da. Mein verzweifelter Blick fiel auf Luke, der wie ein Häufchen Elend auf den Kanal starrte, als befände sich unser Gefährt versunken auf seinem Grund. Mein Magen begann zu realisieren, was geschehen war. Er brannte wie Feuer. Warum sprach niemand ein Wort? Wieso holte mich niemand aus diesem furchtbaren Traum?

„Wo ist es?“ rief ich endlich laut aus. „Wo ist das Boot?“

Ich drückte mich an einem immer noch in den Kanal gaffenden Luke vorbei und untersuchte die Felsen, an denen es vertäut war. Keine Spur von den Tauen. Nirgendwo. Ich lachte irr.

„Das gibt es nicht! Ich würde ja einsehen, wenn sich ein Tau warum auch immer gelöst hätte. Das kommt vor. Aber beide? Unmöglich!“ Mir fielen die Geräusche der letzten Nacht ein. War ich nicht wach geworden, weil ich glaubte, Schritte gehört zu haben?

„Jemand muss das Boot gestohlen haben, als wir schliefen!“ rief ich Krister zu, der niedergedrückt angetrottet kam.

„Nein, das glaube ich nicht“, meinte er nach kurzer Überlegung. „Hier ist außer uns niemand.“

„Aber ich habe Schritte gehört heute Nacht!“ beharrte ich. Luke sah mich von der Seite an, bevor er den Blick wieder abwandte. „Hast du auch Schritte gehört, Luke?“

Er schüttelte den Kopf, ohne mich wieder anzusehen. „Das schöne Boot“, sagte er stattdessen tonlos. Ich verachtete ihn dafür, schon resigniert zu haben. Oh nein, so schnell nicht. Nicht mit mir!

Ich rannte los, die Bucht hinunter. Krister rief mir etwas hinterher, was ich nicht verstand. Vielleicht wollte ich auch nur nicht verstehen. Fest entschlossen, jeden Winkel in der näheren Umgebung abzusuchen, machte ich mich ans Werk. Aufgeben kam nicht in Frage!

Wir suchten bis in den Nachmittag hinein. Vergeblich. Irgendwann sank ich erschöpft nieder, bereit, das Unvermeidliche zu akzeptieren. Es war fort, verschwunden, verloren. Das Boot war nicht mehr.

Tiefe Resignation machte sich breit und erfüllte mein Inneres bis in den letzten Winkel. Bittere Tränen verschleierten meinen Blick, als ich das komplette Scheitern der ganzen Unternehmung ahnte.

Welch ein Idiot ich doch war!

Wie bescheuert, zu glauben, ein paar lumpige Träume und Ahnungen würden mir den Weg zu Rob zeigen. Ich hatte mich und die anderen nur unnötig in Gefahr gebracht. Nun war auch noch das Boot verloren. Gerade diese Tatsache traf am härtesten. Hatte ich Luke nicht extra mitgenommen, damit er es sicher wieder nach Hause bringen konnte, falls ich Vollidiot meinen Bruder entgegen aller „Visionen“ nicht in Hyperion auffand? Oh, wie dumm und naiv mir die Überzeugungen von gestern jetzt im Licht der knallharten Realität vorkamen. Mein Vater hatte voll und ganz Recht gehabt. Nur ein Wahnsinniger würde aufgrund eines simplen Verdachts das Tabu brechen wollen. Ganz so weit war es ja nun nicht gekommen. Nicht einmal in die Nähe des Tabus hatte ich es geschafft.

Lange Zeit saß ich einfach nur da, mit leerem Blick auf die Tethys hinausstarrend, unfähig, meinen Gedanken eine neue Richtung zu geben. Nur eine Überzeugung setzte sich allmählich durch: es war vorbei. Selbst wenn wie durch ein Wunder das Boot nun direkt vor mir auftauchte, ich hätte die Reise in diesem Moment nicht mehr fortsetzen können.

Nach der Rückkehr ins Lager teilte ich den anderen meinen Entschluss mit. Einen Lidschlag lang sah es so aus, als wollte Krister widersprechen. Dann nickte er nur stumm. War er bereits zu ähnlicher Erkenntnis gekommen, fürchtete sich aber davor, sie zu offenbaren?

„Das beste wird sein, wir schlagen uns durch die Wälder nach Westen in Richtung Lake Sawyer durch“, sagte ich ganz pragmatisch. „Irgendwann müssen wir auf die alte Straße treffen, die von Wynyard nach Van Dien führt. Von dort aus ist es ein Kinderspiel. Ich hoffe nur, das Hügelland hier ist einigermaßen passierbar. Wir werden ja sehen. Es bleibt uns auch nichts anderes übrig.“ Ich versuchte, entschlossen zu wirken, was bei weitem nicht der Fall war.

Luke hatte der Entwicklung bisher wortlos und mit gesenktem Blick beigewohnt. Doch jetzt, wo die Rückkehr feststand, meldete er sich zu Wort. Mit unerwartetem Einsatz.

„Was ich da höre kann ich einfach nicht glauben“, sagte er kopfschüttelnd. „Du willst also wirklich aufgeben, ja? Einfach so. Nur weil es einen Rückschlag gab? Ich dachte bisher, es ging um deinen Bruder, Jack, und nicht um ein Boot.“

Er traf eine mächtig verwundete Stelle. „Sei still! Du weißt nicht, was du sagst.“

„Ach?“ Zu meinem Befremden grinste er, was mich nur noch mehr gegen ihn aufbrachte. „Ich glaube eher, du bist derjenige der nicht weiß was er sagt. Mit dem Boot steht und fällt also das Ganze. Interessant. Soviel ich weiß, wolltet ihr anfangs bis Hyperion laufen. Dann erst kam die Idee, den Seeweg zu nehmen. Soweit so gut. Warum gehen wir jetzt nicht einfach zu Fuß weiter?“

Ich wünschte mir dringend, Krister würde seinem Stiefbruder den Mund verbieten. Doch er tat es nicht. Wollte er am Ende die Diskussion über den Umweg Luke weiterführen?

„Es ist entschieden“, resümierte ich müde. „Wenn du nach Hyperion gehen magst, dann geh. Ich halte dich nicht auf. Und jetzt Schluss damit! Ich will nichts mehr hören!“

Kraftlos erhob ich mich. Luke sah herausfordernd herüber. Auf seinen Lippen lagen eine Vielzahl Worte, die er sich wohlweißlich verkniff. Jedoch war es der Spott in seinem Gesicht, der mich am meisten verwunderte. Wieso setzte er sich so vehement für die Fortführung der Reise ein? Sie hätte für ihn unter normalen Umständen sowieso in wenigen Tagen geendet. Das machte alles wenig Sinn... und ich verfügte momentan nicht über die Kraft, mir darüber auch noch den Kopf zu zerbrechen.

Mutlos entfernte ich mich wie ein gebrochener Mann von meinen Gefährten, wollte alleine sein. Den Rest des Tages verbrachte ich an einem geschützten Platz an der Wasserlinie, apathisch auf das Meer hinausschauend. Ein nicht unterzukriegender Teil in mir erwartete immer noch, das Boot jeden Augenblick irgendwo auf den Weiten der See zu erblicken. Das Loslassen gestaltete sich äußerst schwierig. Noch war ich nicht völlig bereit dazu.

Krister und Luke verstanden meine Verzagtheit und ließen mich in Ruhe. Irgendwann am frühen Abend gewahrte ich Krister neben mir. Der Gute brachte etwas zu essen, größtenteils Reste vom vergangenen Tag, aus einer Zeit, die mir so viel unbeschwerter erschien. Warum verdammt noch mal klammerte ich mich so sehr an das Boot? Wieso gelang es nicht, die Tatsachen hinzunehmen und nach vorne zu sehen? Weswegen machte ich es mir selbst so schwer?

„Du musst etwas essen.“ Ich sah kurz zu ihm hoch und bedankte mich leise, während er in die Hocke ging. „Ich wollte dir sagen, wie sehr es mir um das Boot leid tut. Ich gebe mir einen beträchtlichen Teil der Schuld an seinem Verschwinden.“

Das überraschte. „Aus welchem Grund?“

„Immerhin bin ich es gewesen, der dich gestern Abend drängte, es in diesem Kanal festzumachen.“ Er wich meinem Blick aus. „Womöglich hätten wir eine bessere Anlegestelle gefunden, wenn ich nur geduldiger gewesen wäre.“

„Nein, nein, dich trifft keine Schuld“, wehrte ich umgehend ab. „Es ist einfach passiert.“

„Vielleicht tröstet es dich ein wenig, wenn du weißt, dass ich alles tun werde, um es ersetzen zu helfen. Meine wenigen Schwarzperlen reichen bei weitem nicht aus, aber...“

Unangenehm berührt bedeutete ich ihm zu schweigen.

„Jetzt müssen wir erst einmal den Weg nach Hause finden. Dann sehen wir weiter.“

Krister nickte. „Jetzt iss! Mal sehen, ob ich nicht noch etwas für morgen fange. Ein wenig Proviant werden wir schon brauchen. Zum Glück hat Luke die Angeln gestern noch aus dem Boot geholt.“

Damit stand er auf und marschierte zur Küste hinunter. Lange sah ich ihm nach. Unvermittelt verachtete ich mich für meine negative Art, die Entwicklung der vergangenen Stunden zu betrachten. Sah so aus, als akzeptierte ich allmählich den Verlust. Das Boot war verloren. Gut. Daran gab es nichts mehr zu ändern. Hatte Luke nicht Recht? Hing unser aller Schicksal wirklich an einem Haufen Planken? Wohl kaum.

Gedankenverloren aß ich von dem kalten Fisch und beobachtete Kristers dunkle Silhouette beim Fischfang. Kurz darauf stand ich auch schon neben ihm im hüfthohen Wasser und nahm ihm die zweite Fangleine ab. Mein Freund nahm es wohlwollend zur Kenntnis und nickte mir anerkennend zu. Zum Abendessen gab es abermals Fisch satt. Und wenn auch die Stimmung gedämpft blieb, sah ich zumindest wieder ein Stück zuversichtlicher in die Zukunft.

Anderntags brachen wir auf. Noch länger zu bleiben machte keinen Sinn. Wir beschlossen, solange an der Küste entlang in nordwestlicher Richtung zu marschieren, bis sich der Hauch eines erkennbaren Tierpfades ins Hinterland fand. Hohe, unpassierbare Klippen verwehrten uns zunächst den Durchlass. Die felsige Küstenlinie entlang zu stolpern gestaltete sich auch nicht eben einfach. Tief ins Land einschneidende Lagunen zwangen uns zu zeitraubenden Umwegen. Die Umrundung einer Bucht nahm enorm Zeit in Anspruch. Wie oft ich mich in diesen Stunden nach allen Seiten umsah, das Boot hinter jeder Biegung angetrieben vermutete, lässt sich nicht in Zahlen ausdrücken. Was, wenn es nach Osten abgedriftet war und jetzt irgendwo in der Gegenrichtung lag? Aber nein, das konnte nicht sein. Seit zwei Tagen wehte strammer Ostwind. Wenn überhaupt musste es westlich von hier liegen.

Doch sollte es verschollen bleiben.

Endlich zogen sich die Klippen zurück, wurden flacher und zugänglicher. Es hieß Abschied von der See zu nehmen... und endgültig auch Abschied von meinem Boot. Schweren Herzens schickte ich einen letzten Blick hinaus auf die tiefblaue, im Sonnenlicht gleißende Tethys. Wir würden sie, die uns seit vielen Tagen zu einem vertrauten Begleiter geworden war, für die nächste Zeit nicht mehr sehen. Diese Tatsache stimmte mich zusätzlich traurig. Letztlich wandte ich mich ab, keinen Blick mehr zurückwerfend.

Die nur dürftig bewachsene Küstenlandschaft setzte nicht viel Widerstand entgegen. Wir kamen leidlich gut voran. Bei einer ersten Rast konsultierte ich leichtsinnigerweise die Karte. Luke sah sie zum erstenmal und war entsprechend hingerissen. In seinen Augen leuchtete das gleiche Licht der Begeisterung wie in Robs, wie ich einigermaßen irritiert feststellte.

„Das ist ja eine tolle Landkarte“, rief er eifrig. „Sie sieht verdammt alt aus. Wo hast du sie her?“

„Mein Vater besitzt einen Haufen altes Zeug“, tat ich es ab. „Wir dürften ungefähr hier sein.“ Mein Zeigefinger schwebte auf halber Länge zwischen der Sawyer und der Fisk Bay. „Wenn wir uns südwestlich halten, müssten wir in ein paar Tagen Lake Sawyer oder zumindest die Straße dorthin erreichen.“

Luke indes verschlang die Karte mit den Augen. Ich ließ ihn wenn auch ungern gewähren. „Seht mal!“ rief er plötzlich. „Hier ist eine Brücke über den Algon eingezeichnet.“

„Was redest du denn da?“ fuhr Krister seinen Stiefbruder unwirsch an. „Wo siehst du eine Brücke?“

„Hier!“ Luke deutete auf einen schmalen, verwischten Federstrich nahe des Zusammenflusses der Ströme Algon und Angara, an der Westgrenze Aotearoas in Richtung Cimmeria. Bei genauem Hinsehen – und wirklich nur dann – erkannte ich tatsächlich eine Art Struktur darin. Mit etwas Phantasie sogar eine Brücke.