Kitabı oku: «Woanders am Ende der Welt», sayfa 6

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»Also, was hast du vor, in deinen vacances?«

Florian mochte diesen Mann, den er kaum kannte. Plötzlich verspürte er ein starkes Bedürfnis danach, ihm alles über Katharina anzuvertrauen. Aber dass er Olivier mit dem Duzen überfallen hatte, war wohl vorerst genug.

Sie unterhielten sich über belanglose Dinge, genossen ihr Cassoulet und ihren Wein. Es war erst gegen Ende des Essens, dass Florian schweigsam und nachdenklich wurde, bis der Gendarm, dem nichts entging, ihn fragte, was los war. Und so erklärte Florian ihm, dass seine Großmutter im Krieg auf Crozon stationiert war und dass sie hier, in Telgruc, gewohnt hatte.

»Wie interessant«, rief Olivier aus. »Du weißt, wo?«

»In etwa. Es muss hinter dieser Brasserie liegen, gegenüber vom Kirchturm.«

»Ah ça …« Der Gendarm sah auf die Tischplatte, auf die seine Finger trommelten.

»Wollen wir nachher nach dem Haus suchen?«, fragte Florian.

»Aber zuerst, ein Kaffee!«


Der Kirchplatz war umfasst von einer niedrigen Mauer mit einem höheren Rundbogentor, durch das sie traten. Florian musterte die Kirche vor sich. Sie war relativ groß und langgestreckt, mit schlankem Turm. Sie bestand ganz aus Granit; aber etwas damit stimmte nicht. Florian fing einen Seitenblick Oliviers auf. »Was denkst du, als Architekt?«, fragte der Gendarm, dem Florian beim Essen gesagt hatte, was sein Beruf war.

»Etwas stört mich. Diese Kirche ist nicht genügend verwittert. Entweder, man hat sie zu gründlich gereinigt, alle Patina entfernt; oder …«

»Oder?«, fragte Olivier, während sie das Eingangsportal fast erreicht hatten.

Da fiel Florians Blick auf eine Informationstafel. Er studierte die Reproduktion des alten Fotos und er nickte. »Diese Kirche ist nach dem Krieg neu aufgebaut worden«, sagte er. »Sie war ja fast komplett zerstört … und alles um sie herum auch. Aber das würde ja heißen …«, Florian wandte sich nach links.

Der Gendarm folgte seinem Blick und zuckte die Achseln. »Ich wollte es nicht sagen. Ich befürchtete schon, dass das Haus, das du suchst, nicht mehr existiert.«

Florian nickte enttäuscht. Da, wo er das Haus vermutet hätte, auf der Rückseite der Brasserie und einer angrenzenden Bäckerei, erstreckte sich ein Parkplatz. »Schade«, sagte er. »Sehr schade.«

»Es gibt andere Orte mit vielen Spuren des Krieges, weißt du«, hob Olivier an. »Wenn du Hilfe brauchst, für deine Recherchen, rufe mich an. Ich gebe dir die Nummer von meinem Handy.«

»Recherchen? Ich hatte nicht vor … Andererseits, warum nicht …« Florian verstummte. Aber ja, natürlich. Katharina drohte ihm mit der Scheidung; seit gestern Abend trug er diese Last mit sich herum, die ihn lähmte. Aber er würde nicht zu ihr zurückfahren, um seinen Teil dazu zu tun, die Scheidung noch zu beschleunigen. Vielleicht wollte Katharina keine Auszeit; aber er wollte genau das, für sich selbst und für sie! Er würde hierbleiben, für eine Weile, sich und Katharina Zeit geben, alles gründlich zu durchdenken. Überstürzt handeln war niemals gut. Nein; er würde in der Bretagne bleiben, und die Suche nach den Orten, an denen seine Oma gewesen war, würde ihm eine Aufgabe geben. Denn verdammt, er konnte nicht immer und ununterbrochen gedanklich um seinen Liebesschmerz kreisen! »Was für Spuren des Krieges hast du konkret gemeint?«, fragte er Olivier.

»An den Küsten findest du überall Kriegsanlagen der Deutschen. Ich kenne sogar welche, die heute geheim sind. Versteckt, unter der Erde«, das letzte hatte Olivier mehr geflüstert.

Ein Anflug von Misstrauen überkam Florian. »Olivier, warum sprichst du eigentlich so gut Deutsch?«, fragte er wie beiläufig.

»Oh, meine Schwester lebt in Essen, seit vielen Jahren. Ich habe sie oft besucht.«

»Ach so. Und was dein Kollege gesagt hat, stimmt das wirklich? Begeisterst du dich für alles, was deutsch ist?«

»Für alles? Nein. Aber für deutsche Autos!« Olivier lachte. »Und ich interessiere mich auch für deutsche Bunker etcetera, denn Geschichte fasziniert mich. Wenn ich studiert hätte, ich hätte Geschichte studiert. Aber mein Abitur war nicht gut genug, wegen Mathe …« Olivier schnitt eine Grimasse.

»Dann freue ich mich darauf, mit dir diese unterirdischen Bunker anzusehen, wenn du sie mir zeigen willst. Und deine Idee mit den Recherchen, die finde ich überhaupt gut. Ich habe gesehen, dass der Mann am Nachbartisch mit seinem Notebook im Internet war; offenbar gibt es in der Brasserie Internetzugang …«

»WIFI, ja, es stand an der Wand über den Fenstern.«

»Schön. Mein Notebook in Gießen ist uralt; ich denke, ich könnte ein neues gebrauchen. Ich muss ohnehin einkaufen. Wo finde ich ein Notebook, am besten in der Nähe von Lebensmitteln?«

»Du hast Glück, mein Freund, mich getroffen zu haben«, verkündete Olivier.

»Das denke ich auch.«


Wieder in Mengleuff, luden Marie und Pierre mit einiger Mühe die Couch aus dem Bus und stellten sie an ihren künftigen Platz. Außer Atem, aber glücklich ließ Marie sich auf ihr Kuschelmöbel fallen – jetzt war die Wohnecke am Kamin wirklich ihre! Als Pierre sich neben sie plumpsen ließ, sprang sie schnell wieder auf. »Komm, lass uns Elodies Bett abbauen und die Sache hinter uns bringen, ja?«

»Sklaventreiberin«, lachte Pierre, folgte Marie aber ins Schlafzimmer.

Später entsorgten sie Elodies auseinandergenommenes Bett und den brummenden Kühlschrank und fuhren danach zum zweiten Mal zu Maries alter Wohnung. Ihr Bett dort war bald auseinandergebaut; neben die Einzelteile passte noch gerade der große Kühlschrank in den VWBus. Damit war die Wohnung bereit für die Rückgabe.

Es war merkwürdig, noch einmal zum Abschied durch die leeren Räume zu wandeln. Sie wirkten ohne die Einrichtung kleiner. Da war das Bücherregal gewesen, da der marokkanische Couchtisch; da die Couch selbst, bis noch vor kurzem. Auf der Couch hatten sie, Sylvain und Marie … Sie hatten eigentlich überall mal. Es war so eine leidenschaftliche Liebe gewesen. Affäre. Liebe – Marie ging zur Balkontür und öffnete sie. Sie brauchte Luft. Pierre trat hinter ihr auf den engen Balkon und stellte sich neben sie an das Geländer.

»Das sind aber keine harmlosen Küchenkräuter, die dein Kev da unten anbaut«, bemerkte er.

»Ich weiß«, sagte Marie und sah gleichfalls auf Kevs mit Topfpflanzen vollgestellten Balkon. Sie sah wieder auf – und erstarrte. Sylvain. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Er stand da und schaute zu ihr nach oben. Der Wind strich ihm die rebellische Haarsträhne in die Stirn. Ihre Blicke fanden sich. Marie zwinkerte. Der Gehweg dem Haus gegenüber war leer. – Was sollte sie tun, wenn Sylvain sie jetzt schon als Halluzination verfolgte?! Marie sah plötzlich nichts mehr. Heiß rann es ihr die Wangen hinab. »Marie«, hörte sie Pierre erschrocken flüstern und sie spürte seinen Arm um ihre Schulter. Sie ließ sich gegen seine Brust fallen und verlor gänzlich die Fassung.


Florian und Olivier landeten in einer Mall bei Quimper. Dort fanden sie alles, was Florian brauchte, vom Notebook zu Lebensmitteln und vom Französisch-Deutsch-Wörterbuch bis zu wander- und schwimmtauglicher Kleidung. Das Tüpfelchen auf dem i war für Florian aber das Gartencenter.

»Du musst Hortensien in der Bretagne nicht düngen, wirklich nicht! Sie wachsen hier ganz alleine. Und warum arbeitest du in deinen vacances? Es ist nicht dein Garten!«, protestierte Olivier noch immer, als sie den großen gelben Sack schon im Auto verstaut hatten. Aber Florian lächelte nur stumm vor sich hin.

Bis sie in Mengleuff vor Maries Haus standen. Hier kamen sie nicht weiter, denn der schrottreife VW-Bus des Womanizers versperrte die alte Straße und damit den Weg zu Boris’ Hof. Florian hupte. Niemand kam, um den Bus wegzufahren. Hoffentlich war das Teil nicht liegengeblieben. Aber dann sah Florian, dass die seitliche Schiebetür offen stand. Das sah eher nach einer Ausladeaktion aus. Da kam endlich der Womanizer aus Maries Haus gesprungen und zerrte ein sperriges weißes Objekt aus dem Bus – eine Matratze. Ehebettformat, deutlich über eins vierzig breit.

»Wer ist das?«, wollte Olivier wissen. Nun war Marie herausgekommen, um dem Womanizer tragen zu helfen.

Florian zuckte entnervt die Achseln. »Die Nachbarin, sie heißt Marie. Wie er heißt, weiß ich nicht.«

Olivier sah ihn scharf von der Seite an, dann lachte er leise.

»Was?«, fragte Florian gereizt.

»Was habe ich dir gesagt, hein? Schön, aber zickig. So sind die Bretoninnen. Und oft schon vergeben.«

»Ich will nichts von der, keine Sorge.« Er drückte nochmals auf die Hupe.

»Er fährt schon, er fährt«, sagte Olivier beschwichtigend, und wirklich hatte der Womanizer die Karre gestartet und blies ihnen stinkendes Abgas zu.

Auf Boris’ Hof bremste Florian scharf und stoppte den Motor.

»Du willst wissen, wie du mit ihr umgehen musst?«, fragte Olivier.

»Nein.«

Olivier grinste breit. »Hör zu, mon ami. Ich gebe dir Unterricht. Du musst lernen de draguer. Kennst du das Wort? Draguer. Merke es gut. Es ist wichtig.«

»Für mich nicht, danke.«

Doch Olivier fuhr unbeirrt fort: »Draguer, es heißt herangehen an die Frau, du verstehst?«

»Du meinst anmachen; aber dazu hat sie schon einen, der kann das sicher super gut.«

»Hör zu, so machst du es: Du siehst sie an, du sprichst sie an, und du berührst sie. Nicht zu viel, sonst wird sie böse. Eine Hand hier hin«, Olivier zeigte auf Florians Hüfte, »eine Hand an die Schulter, und die Finger natürlich, nur un peu, du verstehst?«

»Sag mal, geht’s dir zu gut? Und überhaupt, gleich berühren? So ein Blödsinn, wenn man jemanden kaum kennt!«

»Si, si, die Franzosen machen das so. Die Frauen erwarten das. Sonst sehen sie nicht, dass du sie willst«, raunte Olivier verschwörerisch.

»Klasse. Das ist noch atemberaubender als Boris’ übliche Ratschläge.«

»Wichtig ist: Der Mann muss ergreifen die Initiative!«, schärfte Olivier ihm nun auch noch ein.

Florian verdrehte die Augen, dieser Mann hier war jedenfalls nicht zu stoppen. »Wieso überhaupt der Mann?«, protestierte Florian aus Prinzip, »kann das nicht auch mal die Frau tun? Was ist denn das für eine veraltete Vorstellung, die ihr habt, in der Bretagne?«

»Bien sûr der Mann! Es geht nicht anders!«

»Ach.« Florian hob ironisch eine Augenbraue. Damals hatte Katharina die Initiative ergriffen. Aber das war nicht das richtige Thema. »Wollen wir die Sachen ausladen und das Notebook ausprobieren?«, fragte er.

»D’accord, on y va, aber ich habe heute nicht mehr viel Zeit«, antwortete Olivier überraschend bereitwillig und sprang aus dem Porsche.

»Gut, ich habe nachher auch noch etwas zu erledigen«, murmelte Florian für sich.


Marie ließ sich auf ihre Kuschelcouch fallen. Ihre bequeme Herumlümmelcouch!

Pierre setzte sich neben sie. »Na, wie haben wir das gemacht?«

»Perfekt«, lächelte Marie. Der Kühlschrank stand an seinem Platz; das Bett oben war aufgebaut, danach hatte sie Pierre schnellstmöglich aus dem Schlafzimmer gelotst, er war ja heute so seltsam … Obwohl Pierre natürlich ein Gentleman war. Er würde ihren Schwächeanfall vorhin auf dem Balkon bestimmt nicht ausnutzen, um später … Nein, nein. Zufrieden dehnte und reckte sie sich. Und fing einen intensiven Seitenblick von Pierre auf, allzu intensiv. Schnell fragte sie: »Einen Kaffee?«

»Nein«, Pierre schüttelte den Kopf. Er sah sie noch immer unverwandt an.

»Ein Glas Wein?«, fragte Marie. »Wir könnten uns auch etwas zu essen machen. Ich hasse es, das Mittagessen zu überspringen, und sterbe vor Hunger!«

Pierre sagte nichts. Er sah sie nur an. Dann war sein Gesicht plötzlich vor ihrem, seine Hand an ihrer Wange, seine Lippen drückten sich auf ihren Mund, seine Zunge drängte sich zwischen ihre Zähne, doch das war genug!

Sie wusste nicht, wie sie sich aus seiner Umarmung befreit hatte, aber als sie wieder klar denken konnte, stand Marie bebend vor der Couch, auf der Pierre saß und schuldbewusst zu ihr hochsah. »Was sollte das?«, fuhr sie ihn an.

»Entschuldige Marie, aber ich dachte …«

»Du dachtest was? Weißt du, was das für ein Schock war? Das war Vertrauensbruch, verdammt!«

Pierre war blass geworden.

»Entschuldige«, Marie strich sich fahrig die Haare zurück. »Entschuldige, Pierre«, sagte sie noch einmal, setzte sich wieder und legte ihre Hand an seine Wange. Pierre ließ den Kopf auf ihre Schulter sinken. Er tat ihr ja leid. Doch die tröstliche Geste war ein Fehler gewesen. Pierres Lippen suchten ihren Hals.

»Nein«, sagte Marie erschrocken und drückte seinen Kopf mit beiden Händen von sich.

»Warum nicht?«, fragte Pierre mit sehnsüchtigem Blick.

Marie konnte es ihm nicht sagen. Diese Welle des Widerwillens, die sie eben überkommen hatte, als seine Zunge nach der ihren suchte. Jetzt überkam sie diese Regung erneut. Sie ging schnell zum Wasserhahn und trank ein paar Schlucke. Sie wischte sich über den Mund. Pierre sah sie an. Er erwartete eine Antwort.

»Du bist mein bester Freund«, hob Marie an, »ich habe immer den besten Freund in dir gesehen, verstehst du?«

»Ich weiß, du hast Jahre lang nicht viel anderes gesehen als Sylvain und deine hoffnungslose Liebe für ihn. Sonst hättest du es bestimmt bemerkt. Dass ich dich liebe.« Pierre verstummte.

Oh nein. Er hatte es gesagt. Marie ging nervös im Raum auf und ab. Pierre fuhr fort. »Ja, ich liebe dich, und nicht erst seit gestern. Aber weil ich dich liebe, wollte ich dein Glück. Und wenn Sylvain dich glücklich gemacht hätte, hättest du niemals ein Wort von mir über meine Gefühle gehört. Die ganze Zeit, solange du darauf gehofft hast, dass ihr noch einmal offiziell zusammenkommt, habe ich durchgehalten, war einfach nur als Freund für dich da, obwohl ich davon überzeugt war, dass es mit euch nichts würde. Der Mann hat dich nicht verdient, Marie. Ich weiß, wie sehr du jetzt leidest, aber es war Zeit, dich von Sylvain zu befreien.«

»Aber wenn du weißt, wie es mir jetzt geht, dann musst du auch wissen, dass ich mich nicht von heute auf morgen neu verlieben kann. Auch nicht …« Sie verstummte. Die Finger des Deutschen, die sanfte Zufallsberührung, das geradezu elektrische Kribbeln … Für den Bruchteil eines Augenblicks war das plötzlich wieder da gewesen, im Gedächtnis ihres Körpers. Verwirrt sah sie um sich, wie jemand, der aus einem déjà vu erwacht. Ihr Blick fiel auf Pierre.

»Dann werde ich warten«, sagte er schlicht.

Marie sah ihn betroffen an. Sie konnte ihm keine Hoffnung machen. Etwas sagte ihr, dass sie ihn niemals lieben könnte – nie anders als einen Freund. Aber sie fühlte sich erschöpft, dermaßen erschöpft … Dann klopfte es an der Tür. Schicksalsergeben ging sie hin und öffnete.

»Hallo«, grüßte Florian, und als er den Womanizer hinter Marie sah, zu diesem: »Bonjour!«

Pierre zog die Augenbrauen hoch und deutete ein Nicken an; Marie schaute entnervt vom einen zum anderen.

»Ich wollte nur etwas abgeben«, wandte Florian sich an Marie und reichte ihr einen schweren, gelb-grünen Sack. »Für Ihre Hortensien.« Perplex nahm Marie den Sack entgegen. Düngemittel, las sie. Auf

so eine Idee konnte auch nur dieser Deutsche kommen. »Et bien, vielen Dank«, sagte sie hastig. Sie spürte förmlich, wie Pierres Blicke sich ihr in den Nacken bohrten. »Wie geht es der Hand?«, fragte sie trotzdem.

»Ganz in Ordnung soweit. Sie tut weh, aber der Verband hält.«

»Wenn sie anschwillt, können Sie sie kühlen. Mit Eiswürfeln in einem Tuch. Nicht zu lange, vielleicht zehn Minuten, zwei-, dreimal am Tag.«

»Okay, alles klar. Nochmals vielen Dank. Und schönen Abend noch, Ihnen beiden.« Er nickte, hob linkisch die verbundene Hand und ging schnell nach draußen.


»Schönen Abend noch, Ihnen beiden. Klasse Spruch. Fein gemacht, Florian, ganz hervorragend. Wollen Sie nicht das Ehebett ausprobieren? Peinlich, peinlich hoch zehn«, beschimpfte Florian sich selbst, während er langsam in Boris’ Haus zurückging. Er war nur froh, dass Olivier nicht mehr da war, um die Schmach als Zeuge mitzuerleben.


»Du hast gesagt, du kennst den Typ kaum«, brach es aus Pierre heraus, kaum dass die Haustür hinter dem Deutschen geschlossen war.

»Das stimmt auch«, trumpfte Marie auf. »Er hat meine Hortensien angefahren, wir haben uns gestritten und jetzt kauft er mir Düngemittel, na und?« Sie ließ den Sack Dünger neben der Tür auf den Boden fallen.

»Und seine Hand? Hast du die verbunden?«

»Dir ist klar, Pierre, dass man dazu verpflichtet ist, erste Hilfe zu leisten? Natürlich habe ich ihn verarztet. Er ist vom Dach gefallen und hat einen miesen Schnitt im Handballen!«

Pierre holte tief Luft. Dann stieß er hervor: »Mal ehrlich, Marie –

macht er dich an, der schöne boche

Entgeistert starrte Marie ihren Freund an. »Dass du, mein bester Freund, solche Ausdrücke in den Mund nimmst, das hätte ich nie gedacht! Boche! Das ist Kriegsvokabular! Ich meine, unsere Großeltern haben den Weltkrieg mitgemacht; wenn noch jemand aus deren Generation verbittert gegen die Deutschen ist – aber wir, wir sind doch eine andere Generation! Ich bin mit dem Schulaustausch in Deutschland gewesen, mehrere Male, ich fand es schön da und immer wurde ich herzlich aufgenommen!«

Pierre war blass geworden. »Scheiße, du hast was mit diesem Deutschen«, stieß er aus.

»Was?« Marie meinte, sich verhört zu haben.

»Ja, klar, wenn du die Deutschen so verteidigst.«

»Was ist das denn für eine Logik, das ist ja absurd!« Marie kochte vor Wut.

»Na gut, das ging zu weit«, räumte Pierre ein, »aber warum regst du dich dann so auf? Das mit dem boche ist mit nur so rausgerutscht. Außerdem beschönigst du die Tatsachen. Die Leute, die dich in Deutschland aufgenommen haben, mochten Franzosen, na gut; aber es gibt auch andere. Hast du nie von diesem Kriegstourismus gehört, der gerade boomt? Da kommen Touristen in die Bretagne und in die Normandie, nur weil sie scharf darauf sind, Nazi-Bunker und so etwas zu sehen! Zu sehen, und zu filmen, und zu fotografieren …« Marie schüttelte unwirsch den Kopf. »Ich habe davon gehört, ja. Soweit ich weiß, gibt es verrückte Engländer und Amerikaner, die so etwas machen. Von Deutschen habe ich so etwas noch nicht gehört, und diesen Florian zu so einem abzustempeln, geht zu weit, auch wenn ich ihn nicht leiden mag. Pierre, du hast mir heute enorm geholfen, aber ich bekomme gerade Kopfschmerzen und es ist besser, du gehst.«

Pierre sah sie ungläubig an. »Du wirfst mich raus?«

»Nicht böse gemeint, aber ja.«

Pierre stand auf. »Darf ich dich noch einmal in den Arm nehmen?«, bat er, als er schon an der Tür stand.

Es war Marie, die Pierre an sich zog. Sie hasste Streit, auch wenn manchmal ihr hitziges Temperament dazu führte, dass sie damit anfing. Sie standen eine Minute da, eng umschlossen, dann beendete Pierre abrupt die Umarmung. Marie ließ die Tür hinter ihm in das Schloss fallen. Ihr Blick fiel auf den Sack Blumendünger. Sie hob die Hand an den schmerzenden Kopf.

6. Folgen des Lambig

Florian fühlte, er würde keine Ruhe finden, obwohl er vollkommen fertig war. Aber was sollte er tun, so ganz allein tun? Es gab nur einen Menschen, von dem er sich vorstellen konnte, freundlich aufgenommen zu werden. Kurz entschlossen schnappte er sich das neue Wörterbuch und die Packung Rocher, die er für Yvonne Le Roux gekauft hatte, und ging sie besuchen.

Er fand die alte Dame vor ihrem Haus auf der Bank sitzend. Sie strickte.

»Bonjour«, grüßte Florian vom Gartentor aus.

Yvonne sah auf. »Tiens, c’est vous. Alors, elle va comment, votre main? Ar hleñved kuit; Gand al louzaouer ez a ar gounid3

Florian begriff, dass die alte Dame nach seiner verbundenen Hand fragte, und sagte: »Alles gut – très bien! À propos: Merci, pour vous«, und er hielt ihr die Rochers hin.

Verblüfft, aber erfreut nahm die alte Dame die Süßigkeiten entgegen. »Vous voulez un apéritif?«, fragte sie dann.

Warum nicht? Florian nickte.

»Alors venez«, lud Yvonne ihn ein, ihr in ihr Haus zu folgen.

Ein enger Korridor, links und rechts jeweils zwei Türen; geradeaus die Treppe zum ersten Stock; unter dem Treppenabsatz eine weitere Tür, bestimmt zur Toilette. An den Wänden des Flurs eine großgeblümte Tapete, grün-weiß. Florian folgte Yvonne durch die erste Tür rechts und stand in der Küche.

»Asseyez-vous«, forderte die alte Dame ihn auf, und er setzte sich auf einen der vier Stühle an den rechteckigen Tisch. Während sie aus einem mit gedrechselten Säulen, Schnitzereien und Nägeln verzierten Küchenbüffet zwei geschliffene Gläser holte, ließ er den Blick weiter durch den kleinen Raum schweifen. Und staunte. Der hohe Kühlschrank mit dem verchromten Griff sah nach fünfziger Jahren aus. Das emaillierte Spülbecken daneben wirkte eher älter als jünger, auch wenn der Wasserhahn darüber neu war. Ein einfacher Gasherd und eine schöne alte Standuhr aus rötlichem Holz vervollkommneten die Einrichtung.

Nun stellte Yvonne eine Flasche auf den Tisch, dessen Platte durch eine gewachste Decke geschützt war. Man sah genau, wo Yvonne zu sitzen und zu essen pflegte, denn da war die einst blaue Decke mit ihren gelben Blumen ausgebleicht vom regelmäßigen Sauberwischen.

»C’est du Lambig breton«, erklärte Yvonne stolz, schenkte ein und schob ihm ein Glas zu. Sie setzte sich, hob ihres und rief aus: »Yehermat!«

»Yehermat«, wiederholte Florian, nahm einen Schluck und hustete.

»An tamm hag al lomm, A ra dezañ kaoud lamm.4 C’est fort, mais c’est bon«, sagte Yvonne, zufrieden schmatzend. Sie hatte ihr Glas auf einen Zug geleert.

»Jaja, sehr gut«, sagte Florian mit rauer Stimme. Er hatte nur nicht mit etwas so Scharfem zum Aperitif gerechnet. Er nahm die Flasche und las: »Lambig. Eau de vie de Cidre. 40%.«

»Encore un?«, fragte Yvonne, sobald auch Florian sein erstes Glas Cidre-Schnaps geleert hatte.


Auf dem kurzen Rückweg zu Boris’ Haus schwirrte Florian der Kopf und Mengleuff schien ein wenig zu wanken. Der Lambig war gut gewesen und das neue Wörterbuch war gut gewesen, denn jetzt wusste Florian, dass Yvonne Witwe war. Sie hatte zwei Kinder, Colette und Gilbert. Colette lebte in Paris und Gilbert in Quimper. Gilbert – Quimper. Das reimte sich, Florian kicherte. Enkel und Urenkel hatte Yvonne auch. Ganze sieben, Florian hatte Fotos gesehen.

Er fummelte den Schlüssel in das Schloss. Endlich bekam er die Haustür auf. Drinnen ließ er sich auf die Couch fallen. Wie viele Gläser von dem Zeug hatten sie noch gekippt? Es war jedenfalls Zeit, schlafen zu gehen. Aber warum war es dann noch so hell? Nein, da konnte man noch nicht ins Bett! Er rappelte sich von der Couch auf, ging in die Küche und drehte den Wasserhahn voll auf. Das kalte Wasser über dem Kopf brachte ihn ein wenig zu sich.

Mit dem Küchentuch rubbelte Florian sich die Haare ab, während er zurück in den Wohnraum ging und sich erneut auf die Couch fallen ließ. Sein Blick fiel auf das Tagebuch seiner Oma.

Schwungvoll blätterte er die Kladde auf. Er fand den Eintrag über das Haus der Madame Keroas wieder, wo die junge Marlene einquartiert worden war – das Haus, das noch im Krieg zerbombt worden war – und dann las er den nächsten Eintrag, vom 8. September 1942 …

»Obs stüürmt ooder schneit«, singt Traute, aber Gisela protestiert. Sie wollen ein Wanderlied singen, also Das Wandern ist des Müllers Lust. Marlene fällt mit ein, und zuletzt schließt auch Traute sich ihnen an.

Der Pfad ist zu eng, um nebeneinander zu gehen. Marlene führt den Zug an, ihr folgt Gisela, und Traute, die Langsamste, bildet das Schlusslicht. Jetzt wird der Pfad aber noch steiler, und Traute ruft von hinten: »Halt! Ich kriege keine Luft mehr!«

»Das Atmen ist der Traute Frust«, singt Marlene, und Gisela schüttelt sich vor Lachen.

»Habt ihr schon einmal etwas so Schönes gesehen?«, fragt Marlene ihre Freundinnen und lässt sich auf einen Felsbrocken sinken. Weit, weit unter ihnen liegt das Meer, und seine Farbe ist türkisblau.

»Ein echter Sommerfrischetag!«, ruft Gisela aus.

»Aber lasst uns weitergehen, zum deutschen Dorf«, drängelt Traute.

»Du hast doch gesagt, du kriegst keine Luft mehr beim Wandern«, bemerkt Gisela. Sie und Marlene wechseln einen Blick. Traute wollte unbedingt mitkommen bei ihrem Wanderausflug, dem ersten richtigen Ausflug, den sie machen. Dabei wandert Traute nicht gern, und manchmal ist sie ja so ein Spielverderber.

Marlene steht auf. Sie können auch weitergehen, wenn Traute das will. Gisela sagt, dann soll Traute auch vorgehen. Die gibt zurück, dass sie dann auch das Lied aussuchen will. Also singen sie doch das Panzerlied, aber nur einmal. Marlene weiß sowieso, warum Traute das singen will: weil ihr Bruder in der Wehrmacht und ein Held ist, behauptet Traute. Giselas Bruder ist in der Luftwaffe. Nur Marlene hat weder Bruder, noch Schwester, und kann da nicht mitreden.

Mit dem Schatten der Pinienhaine ist es bald vorbei, vor ihnen erstreckt sich baumlose Heidelandschaft.

»Könnt ihr irgendwo eine Ziege sehen?«, fragt Gisela, wegen des lustigen Namens des Südkaps von Crozon, Cap de la Chèvre.

»Nö«, sagt Marlene. »Nur Heidekraut, Farne und Brombeerranken. Und den Himmel und das Meer.«

»Aber das Dorf, das muss gleich kommen, oder?«, beharrt Traute.

»Jaaa«, sagen Marlene und Gisela im Chor.

Als Marlene sie auf das Summen der Bienen aufmerksam macht, meint Gisela, das gebe Heide-Honig. Die Bemerkung macht den Freundinnen Appetit und sie rasten, um ihre Stullen zu essen. Traute hat hartgekochte Eier mit, die sie teilen, und Marlene drei Äpfel. Was für ein Festessen! Wie schön ist es, Freizeit zu haben! Heute merkt man gar nichts vom Krieg. Heute ist es, wie Gisela gesagt hat: ein echter Sommerfrischetag!


Nach dem Essen haben sie Durst, aber kein Wasser mehr. Das Dorf taucht noch immer nicht auf, auch nicht nach einer Dreiviertelstunde weiterwandern. Das neue Dorf oder das deutsche Dorf, wie es genannt wird, ist ihnen zur Einkehr empfohlen worden. In Windeseile wurde es als Unterkunft für ihre Soldaten gebaut; was die zum Leben gebraucht haben, wurde angesiedelt. Jetzt ist es ein richtiges Dorf, und es wächst weiter.

Traute meint, vielleicht sind sie schon an dem Dorf vorbei, aber Marlene sagt, das kann nicht sein, sie sind immer die Steilküste entlang gegangen. Eben, erwidert Traute, das Dorf liegt bestimmt nicht so nah am Abgrund. Also schlagen sie sich nach rechts in die Heide. Tatsächlich geraten sie bald auf einen richtigen Feldweg, und dann sehen sie ein einsames Haus. Als sie näherkommen, lesen sie auf einem roten Schild über der Tür: Chez Gégé.

»Da können wir etwas trinken«, freut sich Gisela. Sie waren noch nie in einem einheimischen Lokal, ein echtes Abenteuer!

Drinnen müssen sich ihre Augen erst daran gewöhnen, dass es hier so viel dunkler ist. Ein Tresen, fünf oder sechs Tische. Nur ein alter Mann sitzt allein an einem Tisch. Sonst niemand.

»Es ist komisch hier, lasst uns zum Dorf weitergehen«, murmelt

Traute.

»Ach, papperlapapp!« Gisela setzt sich an einen Tisch, Marlene neben sie.

Der Wirt, den sie gar nicht gesehen hatten, kommt auf sie zu. »Bonjour, les demoiselles. Vous voulez boire quelque chose?«

»Cidre, s’il vous plaît!«, ruft Gisela aus.

»Du willst Alkohol trinken, am Nachmittag?«, fragt Traute entgeistert, als der Wirt gegangen ist.

»Wir sind nicht im Dienst, oder?« Gisela lacht.

Der Wirt kommt mit zwei Flaschen und drei Trinkschalen aus glasierter Keramik. »Trois bolées, du Doux et du Brut. Pour goûter«, der Wirt zwinkert ihnen zu.

Gisela schenkt ein. Sie stoßen an und sind überrascht: Der Apfelwein ist süß und süffig. Sie haben Durst, die Flasche ist schnell geleert. Sie haben nicht den Eindruck, viel Alkohol getrunken zu haben. »Deshalb hat er gleich zwei Flaschen hingestellt«, meint Marlene und schenkt aus der zweiten Flasche nach. Aber das ist ein anderer Cidre, herber als der erste. Sie streiten sich darüber, welcher der bessere ist.

Unterdessen hat sich die Bar gefüllt. Nach und nach sind immer mehr Leute gekommen. Alles nur Männer. Sie werden verstohlen von allen Seiten beobachtet, stellt Marlene fest; verstohlen und misstrauisch.

Aber der Wirt ist freundlich. »Alors, c’est bon, le Cidre?«, ruft er ihnen von hinter dem Tresen zu.

Die Freundinnen nicken und strahlen ihn an.

»Vous voulez goûter autre chose?«

»Was will er?«, fragt Traute, die nicht so gut Französisch kann.

»Er bringt uns noch etwas anderes zum Trinken«, erklärt Gisela. Auf dem Tablett des Wirts stehen drei kleine Gläser und zwei neue Flaschen. Er stellt alles vor ihnen auf den Tisch und schenkt aus der dunkelgrünen Flasche zuerst ein. Die Flüssigkeit in den Gläsern ist goldbraun.

»Das ist was Starkes«, sagt Traute misstrauisch.

»Komm schon, probiere«, sagt Marlene und hebt ihr Glas.

Ein Mann mit Mütze nickt ihr zu. »C’est bon, le Chouchenn«, ruft er. Marlene probiert. Sehr süß, und sehr stark, wie Traute gesagt hat.

»Schmeckt nach Honig«, sagt Gisela.

»Schmeckt nach Medizin«, sagt Traute und verzieht den Mund. Ein paar Einheimische lachen.

»Et après, le Lambig«, sagt der Wirt und zeigt auf die andere Flasche.

»Oh nein, tut es nicht, Mädels«, warnte Florian.

»Ich werde betrunken, wenn ich so viel und schnell trinke«, kichert

Marlene.

»Siehste, Oma.«

»Auf ex!« Gisela trinkt erst einmal das Glas mit dem Honigschnaps leer.

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