Kitabı oku: «L'affaire de l'amour», sayfa 2
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September 2006
Die Einweisung der zukünftigen Studierenden ist vorbei. Andreas Staller, Doktorand am Institut für Applied Geophysics and Geothermal Energy (GGE) der Universität in Aachen, packt mit Hilfe seines Kollegen, dem Doktoranden Michael Faber, die letzten Unterlagen zusammen. Gemeinsam mit den zuständigen Professoren und Doktoren haben sie den Studienanwärtern für das nächste Semester die Pflichtkurse sowie die Wahlfächer nahegebracht.
„Das ist immer wieder erstaunlich, wie wenig in die Köpfe der Neuen hineingeht“, bekräftigt Michael Faber. „In ein paar Tagen stehen sie dann vor uns, weil sie nicht weiterwissen.“
„Ist es dir nicht am Anfang auch so gegangen?“ Andreas lächelt seinen Freund spöttisch an.
Michael wirft seinem Gesprächspartner nur einen mürrischen Blick zu, lässt aber den Kommentar unbeantwortet. Stattdessen erkundigt er sich bei Andreas: „Wie lange bist du noch dabei?“
„Nächsten Sommer habe ich noch ein Jahr. Viel früher werde ich es wohl auch nicht schaffen. Die letzten Aktivitäten haben mich einiges an Zeit gekostet. Wie ist es mit dir? Wann reichst du deine Doktorarbeit ein?“
„Wenn alles so läuft, wie ich es mir vorstelle, bin ich im nächsten April fertig“, enthüllt der neunundzwanzigjährige Michael dem Freund schulterzuckend. Die braunen Augen des 1,76 Meter großen schwarzhaarigen Doktoranden blitzen amüsiert auf. „So langsam muss ich mich ranhalten, wenn ich noch eine Familie gründen will. Immerhin werde ich bald dreißig.“
„Du findest dreißig alt?“ Der siebenundzwanzigjährige Andreas, sportliche 1,84 Meter groß, mit dichten schwarzen Haaren und grauen Augen, ist nicht minder gut anzusehen.
„Sicher. Stell dir einmal vor, du bekommst mit dreißig ein Kind, dann ist dein Nachkomme fünfundzwanzig, wenn du fünfundfünfzig bist. Da kannst du kaum noch mithalten. Mit jedem zusätzlichen Jahr wird es schwieriger. Außerdem gehen die dann studieren, bis du in Rente bist. Ich werde jedenfalls nicht mehr allzu lange warten.“
„Zuerst einmal musst du die passende Frau dafür finden.“
Verlegen starrt Michael seinen Freund an. „Eigentlich wollte ich dir das schon eine ganze Weile lang sagen, aber dann habe ich jedes Mal wieder einen Rückzieher gemacht.“
Alarmiert horcht Andreas auf. „Was wolltest du mir sagen?“
„Nun ja, also …“, druckst er herum, ehe er seinen ganzen Mut zusammennimmt. „Nicole und ich sind bereits seit ein paar Monaten zusammen.“
„Nicole?“ Irritiert mustert Andreas seinen Freund. „Welche Nicole?“ Als er begreift, von wem sein Freund redet, reißt er erstaunt die Augen auf. „Du meinst doch nicht etwa Nicole Droste?“
„Doch, genau die. Und ja, ich weiß, die Ex seines besten Freundes sollte eigentlich tabu sein. Aber ich mag sie, sogar sehr.“
„Mit welchem Ex-Freund hast du da Probleme?“
Jetzt ist es an Michael, verblüfft aufzuschauen. „Na, mit dir.“
„Wieso denn das? Nicole Droste und ich waren nie zusammen. Nicht einmal für fünf Minuten. Ich glaube, sie hat es am Anfang eine Weile versucht. Aber sie ist wohl von selbst darauf gekommen, dass sie einfach nicht mein Typ ist.“
„Nie?“ Erleichtert beäugt Michael seinen Freund.
„Indianerehrenwort!“, bekräftigt Andreas. „Bist du sicher, dass das gutgeht?“
„Ja, bin ich. Seit wir uns offen zueinander bekannt haben, ist sie vollkommen verändert, viel ausgeglichener. Bei Gelegenheit unternehmen wir etwas zusammen, dann kannst du dir ja selbst ein Bild machen.“
„Ich nehme dich beim Wort.“
Am gleichen Morgen, an dem die beiden Doktoranden die Neulinge der Universität in Empfang nehmen, findet sich Emma Wolf vor dem Düsseldorfer Polizeipräsidium ein. Heute ist ihr erster Tag an ihrem neuen Arbeitsplatz, den Konrad Schrader ihr besorgt hat.
Noch vor einer Woche war sie in Berlin für Wolfgang Keller, den Leiter der Abteilung Sechs im Bundeskanzleramt, als Beauftragte des Bundesnachrichtendienstes tätig. In seinen Aufgabenbereich fallen unter anderem die drei deutschen Nachrichtendienste, was ihn zu ihrem Chef machte. Sein Stellvertreter Konrad Schrader war für Emma nicht nur ein vorgesetzter Kollege, sondern ist der Patenonkel ihres Bruders Stefan, Konrads Frau Brigitte ihre Patentante. Keiner von ihnen war begeistert davon, dass Emma nach Düsseldorf wechseln wollte, aber sie verstehen ihren Wunsch, der darauf beruht, dem Mann, für den sie sich entschieden hat, nah zu sein. Dass Konrad ihr zudem eine Stelle beim hiesigen Landeskriminalamt in der Abteilung für Organisierte Kriminalität verschaffen konnte, wo sie aktiv mitarbeiten kann, erleichtert ihr den Umzug nach Düsseldorf ungemein.
Emma lässt ihre Augen über das eindrucksvolle Gebäude gleiten, von dem sie mittlerweile weiß, dass seine Grundsteinlegung am 12. 10. 1929 stattfand, es aber dann noch vier Jahre dauerte, bis die staatliche Polizei dort einzog. Seitdem wird dieser Standort von der Düsseldorfer Polizei als Dienststelle in Anspruch genommen.
Normalerweise besitzt das Landeskriminalamt NRW in Düsseldorf einen eigenen Standort, der aber in Kürze durch ein neues Gebäude ersetzt werden soll. Die laufenden Baumaßnahmen bewirken, dass die Mitarbeiter der zugehörigen Abteilungen bis zur Fertigstellung des Neubaus an verschiedenen Standorten in Düsseldorf und Neuss untergebracht wurden. Die Abteilung, deren Leiter Hauptkommissar Mark Sievers ist, wurde in der ersten Etage des Düsseldorfer Polizeipräsidiums untergebracht.
Das ist der Grund, warum die Beamtin nun vor den wachhabenden Pförtner tritt, der gemeinsam mit einem Kollegen unmittelbar hinter der Eingangstür seinen Dienst verrichtet. Sie geht davon aus, dass die Mitarbeiter in dieser Einrichtung einen separaten Eingang nutzen, aber die genauen Abläufe in diesem Haus sind ihr vorerst noch unbekannt, sodass sie lediglich, wie jeder andere Besucher, den überdachten Gang zwischen Säulen und Hauswand entlang gehen kann, bis sie über einige Treppenstufen den Haupteingang erreicht.
Emma muss schmunzeln, als die Sicherheitsanlage bei ihrem Hindurchgehen heftig zu blinken beginnt und der lautstarke Alarmton die geschäftige Stille unterbricht, die man bis dahin in dem großen Gebäude wahrnehmen konnte. Im Gegensatz zu den Polizeibeamten, die ihre Dienstwaffe in der ihnen zugeteilten Behörde erhalten, besitzt die ehemalige Geheimdienstagentin ihre eigene Waffe, die sie bei sich trägt. Das laute Piepen lässt nicht nur die beiden Wachposten am Eingang eiligst auf sie zukommen, sondern der rasche Knopfdruck eines der Pförtner sorgt zudem für sofortige Verstärkung der beiden Männer.
Noch ehe die sechsundzwanzigjährige Beamtin etwas sagen, geschweige denn weiter in die Vorhalle hineintreten kann, versammeln sich sechs weitere Polizisten in dem Eingangsbereich. Sie alle halten sich erst einmal in einem gewissen Sicherheitsabstand zu der jungen rothaarigen Frau, die Hände an ihren Waffen. Bei der geringsten Gefahr werden sie sofort zugreifen.
„Bleiben Sie stehen!“, fordert der erste Uniformierte sie laut auf. „Heben Sie die Arme hoch! Strecken Sie die Hände von sich!“ Langsam bewegt er sich auf die Frau zu. Was er sieht, darf ihn keinesfalls von der Gefahr ablenken.
Die ausnehmend gute Erscheinung der 1,79 Meter großen schlanken Frau wird unterstützt durch die strahlend grünbraunen Augen unter dichten Wimpern, die feinen ebenmäßigen Gesichtszüge mit hohen Wangenknochen, sowie einem vollen sinnlichen Mund. Die langen weichen Haare glänzen in einer Mischung aus tiefem Burgunderrot bis hin zu einem kräftigen Rotton, gemischt mit einem Hauch von Mahagoni. Er weiß, sie trägt eine Waffe. Nur ist ihm noch nicht klar, auf welcher Seite sie steht. Gut oder böse? Auf jeden Fall muss er ihr die Pistole entwenden, ehe sie diese benutzen kann.
Während sie die Hände hebt, lächelt Emma die zukünftigen Kollegen immer noch freundlich an, ohne einen Hauch von Angst zu zeigen. „Ich bin Hauptkommissarin Emma Wolf“, ruft sie den Männern vor sich eine Erklärung zu. „Ich werde jetzt meinen Ausweis aus der Tasche ziehen. Haben Sie bitte die Güte, mich nicht gleich zu erschießen.“
Mit der linken Hand greift sie in ihre Jackentasche, holt ihren Ausweis hervor, den der ihr am nächsten stehende Polizist entgegennimmt, um das Dokument genau zu prüfen, ehe er sich mit einem beruhigenden Nicken an seine Kollegen wendet: „Es ist in Ordnung.“
Noch bleiben die Männer um sie herum wachsam, entspannen sich aber ein Stück weit, während sie die weiteren Vorgänge rund um die Frau im Auge behalten, an die sich jetzt der Leiter der Sicherheitstruppe wendet: „Warum haben Sie sich nicht direkt zu erkennen gegeben?“
„Wie denn? Ich muss zugeben, Sie waren äußerst effizient. Meine Hochachtung.“
„Vielen Dank. Anscheinend gehören Sie aber nicht hierher, da Ihnen die hiesigen Abläufe fremd zu sein scheinen. Verraten Sie mir, was Sie hier wollen?“
„Ich möchte zu Hauptkommissar Mark Sievers. LKA, Dezernat 11.“
„Warum?“
„Er hat mich angefordert.“
Der Einsatzleiter ist noch nicht überzeugt. „Kommen Sie mit. Ich begleite Sie zu ihm.“ Er winkt zweien seiner Leute ihm zu folgen, dann machen sie sich zu viert auf den Weg nach oben zu den Büroräumen. Dafür durchqueren sie das Foyer, in dem sich Emma neugierig nach allen Seiten umschaut.
Das historische Treppenhaus im Foyer des Präsidiums gewährt durch das offene Rund in der Mitte den Blick nach oben auf eine Kuppel im Dach, sowie nach unten auf das Bodenmosaik im Foyer, das inmitten eines großen Polizeisterns einen preußischen Adler mit Stolz aufgerecktem Kopf zeigt, der als Zeichen der Macht Schwert und Blitzbündel in den Fängen hält. Fasziniert bleibt sie für einen Augenblick stehen, um den alten Paternoster1 zu betrachten, der anscheinend noch voll funktionsfähig seine Arbeit verrichtet.
„Sie haben sicher nichts dagegen, wenn wir die Treppe nehmen?“, verlangt der Einsatzleiter. „Ich bin kein Fan von diesem Ding!“, gesteht er entschuldigend. Ohne ihre Antwort abzuwarten, steigt er bereits die Stufen in das erste Obergeschoss hinauf, um in einen angrenzenden Gang einzubiegen, der mit einer Vielzahl von Türen gesegnet ist. Vor einer dieser Türen bleibt ihr Führer kurz darauf stehen, um sich durch Anklopfen bemerkbar zu machen.
„Ja, bitte.“
Erst auf die Aufforderung hin betritt der Beamte das Großraumbüro, in dem das Team von Mark Sievers seiner Arbeit nachgeht. Der Hauptkommissar befindet sich im Gespräch mit zwei seiner Kollegen, schaut aber beim Eintreten der Besucher neugierig auf. „Was gibt es denn?“, verhört er den Leiter der Sicherheitstruppe.
„Entschuldigen Sie die Störung, aber diese junge Dame hier behauptet, dass Sie sie erwarten.“ Damit tritt der Mann zur Seite.
Der Blick des blonden sechsunddreißigjährigen Abteilungsleiters wandert verstört zu der ausnehmend hübschen Frau. Er hat lange genug mit ihr zusammengearbeitet, um sie sofort zu erkennen. ‚Eine solche Frau kann man gar nicht vergessen‘, geht es ihm durch den Kopf. ‚Doch was macht sie hier?‘ „Emma? Emma Wolf?“, erkundigt sich der 1,82 Meter große Beamte überrascht.
„Hallo, Mark“, lächelt Emma. „Lange nicht gesehen.“
„Was machst du hier? Kommst du aus Berlin? Hast du hier einen Auftrag zu erledigen?“ Er kann es immer noch nicht fassen. Sie haben eine ganze Weile sehr gut zusammengearbeitet, doch als sie nach Berlin zu ihrem Vater wechselte ging er davon aus, dass er sie nie wieder sehen würde.
„Nein, nicht wirklich. Kannst du dir nicht denken, warum ich hier bin?“ Auf sein ratloses Kopfschütteln hin mustert sie ihn ernst. „Konrad Schrader schickt mich. Er sagt, du brauchst Unterstützung.“
Der Hauptkommissar reißt überrascht seine blauen Augen auf. „Du? Du bist das? Jetzt weiß ich, wieso Herr Schrader mich persönlich angerufen hat, obwohl meine Anfrage gar nicht in sein Aufgabengebiet gehört. Zudem wird mir gerade klar, warum er am Telefon so kurz angebunden war, er hatte Angst sich zu verplappern“, begreift er, Emma übermütig anlächelnd. „Deshalb hat er nichts gesagt! Na, die Überraschung ist ihm gelungen.“ Mark wendet sich an die Männer rund um sie beide. „Leute, ich hatte euch ja schon mitgeteilt, dass mein Antrag auf einen neuen Mann bewilligt wurde. Allerdings hätte ich nie damit gerechnet, dass ich die fähigste Kollegin bekomme, die ich mir nur wünschen kann. Das ist Kriminalhauptkommissarin Emma Wolf, unsere neue Kollegin. Von nun an meine Stellvertreterin und eure neue Vorgesetzte.“
Im Laufe des Vormittags ist Emma damit beschäftigt, sich in ihrer neuen Arbeitsstätte einzusortieren, sowie die vielen Kollegen kennen zu lernen. Mittlerweile sitzt sie gemeinsam mit Mark über den Dienstplänen.
„Übernächste Woche stehen die ersten Teile der regelmäßigen Leistungsprüfungen an.“ Bedauernd schaut der Kollege Emma an. „Du hättest dir besser noch zwei Wochen Zeit gelassen. Jetzt musst du gleich voll mit einsteigen.“
„Sind das immer noch die gleichen Standards?“
„Ja. Sporttest, bestehend aus Ausdauertraining, Hindernislauf, Belastungslauf und Konzentrationstest, dann geht es weiter mit Kampfsport beziehungsweise Nahkampf und zu guter Letzt kommt das Schießtraining. Hier im Haus haben wir einen Schießstand, der für unsere Abteilung zweimal im Jahr für sechs Stunden gebucht wird. Ich muss dich vorwarnen, unser Schießausbilder ist ein ganz scharfer Hund, der dir keinen Fehler durchgehen lässt.“
„Das macht mir keine Angst“, versichert Emma dem Kollegen.
„Einmal im Jahr finden wir uns auf einem der Trainingszentren ein, vorrangig, um den Geschicklichkeitstest zu absolvieren, aber auch, um reale Einsätze zu trainieren. Du weißt schon, terroristische Anschläge und so etwas. Das wird dir garantiert geläufiger sein als mir, schätze ich.“
„Schon möglich“, gibt Emma ausweichend zu.
„Ebenfalls einmal im Jahr muss jeder von uns zum PÄD, dem polizeiärztlichen Dienst, zum Checkup. Jetzt fehlen nur noch die typischen schriftlichen und mündlichen Abfragen, wie IQ-Test, PC-Test, Englisch und so weiter. Alles wie gehabt, das kennst du bereits.“
„Ja, da mache ich mir keine Sorgen. Wie ist das mit dir?“ Lächelnd tätschelt Emma ihrem Kollegen den rundlichen Bauch. „Was ist das hier? Daran kann ich mich gar nicht erinnern“, erklärt sie schalkhaft.
Mark streicht mit der Hand über die Wölbung. „Meine Frau kocht halt zu gut“, antwortet er ihr grinsend. „Seit unser Junior dabei ist landen auch vermehrt Süßigkeiten auf dem Tisch. Er wird bald vier Jahre und hat eine Vorliebe für jeglichen Süßkram. Ich kann doch nicht zulassen, dass der Junge das alles allein isst. Doch das hält mich nicht davon ab, euch zu zeigen, wie man richtig trainiert. Bisher kann ich noch gut mithalten. Du wirst wohl keine Probleme haben, bei deiner Vorausbildung.“
„Wahrscheinlich nicht, ich brauche nur die Termine.“
„Kein Problem, die können wir uns gleich zusammen ansehen“, verspricht Mark. „Apropos Termine. Ich würde sagen, die ersten zwei Wochen arbeiten wir gemeinsam. Danach teilen wir uns auf zwei Schichten auf. So können wir mindestens zwölf bis vierzehn Stunden am Tag abdecken. Das hilft ungemein! Du weißt sicher noch Bescheid, die üblichen einundvierzig Wochenstunden im Schichtdienst sind Grundlage. Es gibt zwar so etwas wie geregelte Arbeitszeiten, aber du weißt ja selbst, wie das funktioniert.“
„Ja. Gar nicht.“ Emma lächelt.
„Genau. Das Zauberwort heißt ‚Überstunden‘.“
„Es ist schön, wieder dabei zu sein.“
„Ich hätte nicht geglaubt, dass du noch einmal zurückkommst, schon gar nicht nach Düsseldorf. Was hat deinen Sinneswandel bewirkt?“, verhört Mark sie neugierig.
„Die Kurzfassung. Ich möchte so lange wie möglich bei den Menschen sein, die mir wichtig sind. Der Job ist es nicht wert, irgendwann dafür draufzugehen. Kein Job ist das.“
„Da gebe ich dir Recht. Lass uns essen gehen, die Kantine ist wirklich gut.“
Zehn Minuten später sitzen sie mit ihrem Essen an einem leeren Sechsertisch in der Kantine. Sie sind früh dran, weshalb es noch sehr ruhig in dem großen Speiseraum ist.
„Also, die Kurzfassung habe ich gehört. Jetzt die lange!“, fordert Mark. „Wer ist der Kerl, für den du ‚den tollsten Job der Welt‘ aufgibst? Erinnerst du dich? Das waren deine Worte.“
„Das war er auch“, stimmt die Beamtin ihm zu. „Aber es hat sich viel verändert in der letzten Zeit.“
„Ja. Ich habe davon gehört“, verrät Mark ihr, während er sich an die Berichte über die Ermordung von Emmas Vater erinnert. Richard Wolf war der Leiter der Abteilung Sechs im Bundeskanzleramt und somit Emmas oberster Vorgesetzter. Erst nach seinem gewaltsamen Tod übernahm Wolfgang Keller diesen Posten. „Tut mir leid um deinen Vater. Wie kommst du damit klar?“
„Ganz gut, meistens jedenfalls“, fügt Emma ehrlicher Weise hinzu. „Es ist jetzt etwa ein Jahr her, dass Vater während der Arbeit in seinem eigenen Büro erschossen wurde. Es hilft mir, dass wir die Verantwortlichen dafür überführen konnten, doch mittlerweile sehe ich den Job mit etwas anderen Augen. Der Mord an meinem Vater ist ein Grund, warum ich hierher gewechselt habe.“ Als sie von ihrem Essen aufschaut bemerkt Emma den Mann, der mit seinem Tablett in den Händen und einem unverkennbaren Grinsen im Gesicht auf sie zukommt. „Wo du gerade nach Kerlen fragst, das ist einer davon“, wendet sie sich lächelnd an Mark und zeigt mit der Hand auf ihren Bruder, der jetzt neben ihnen am Tisch erscheint.
„Stefan?“ Mark starrt den rotblonden 1,82 Meter großen Einzelkämpfer verdutzt an. „Sagt mal, hat jetzt die ganze Familie Wolf hier angeheuert?“
Die grünen Augen des achtundzwanzigjährigen durchtrainierten Beamten blitzen belustigt auf. „Irgendwer muss euch doch zeigen, wie man richtig arbeitet.“ Stefan klopft dem Kollegen auf die Schulter, plumpst neben diesem auf einen der freien Stühle, um sich anschließend an seine Schwester zu wenden: „Ich schätze, du hast noch fünf Minuten, bevor der Tisch um dich herum gänzlich bevölkert ist“, vermutet er.
„Wovon sprichst du?“
„Meine Truppe kommt auch gleich zum Essen. Was glaubst du, passiert, wenn die mich mit einer ihnen unbekannten Frau im Gespräch sehen?“ Stefan kann das Grinsen nicht unterdrücken, das sich bei dem Gedanken an die Neugier seiner Kollegen in ihm ausbreitet.
„Deine Truppe?“, verhört Mark den Bruder seiner Kollegin wissbegierig. Auch Stefan Wolf ist ihm durch die Zeit, die er beim Bundeskriminalamt mit Emma zusammengearbeitet hat, gut bekannt. „Wo bist du untergekommen?“
„Stefan ist der neue Truppenführer bei einem eurer Spezialeinsatzkommandos“, antwortet Emma ihm.
„Ich muss schon sagen“, staunt Mark. „Ihr zwei habt ganz schön Karriere gemacht. Es kommt selten genug vor, dass eine Frau einen leitenden Posten erhält, aber dass ihr beide in eurem Alter schon so weit seid, grenzt an ein Wunder.“
„Oder an Können“, spottet Stefan frech, woraufhin sie alle fröhlich auflachen.
Ihr Bruder hat nicht zu viel versprochen, in Kürze ist der Tisch durch die Kollegen aus Stefans Einheit regelrecht belagert. Die harte Arbeit hindert sie nicht daran, ausgiebig mit der bildhübschen jungen Frau zu flirten, über die sie neugierig alles wissen wollen.
Doch ihre Arbeit in Berlin gibt sie nicht preis, da dies der höchsten Geheimhaltung unterliegt. Jeder, der diesem Gespräch zuhört, geht davon aus, dass Emma Wolf in Berlin eine ähnliche Arbeit als Polizistin verrichtet hat, wodurch sie mit dem Posten der stellvertretenden Leitung hier ihre Karriere steigert. Dass sie in Berlin für ihren Vater, dem als Leiter der Abteilung Sechs im Bundeskanzleramt unter anderem der Bundesnachrichtendienst unterstand, als knallharte Geheimdienstagentin tätig war, wissen außer Mark Sievers nur noch einige wenige Vorgesetzte. Und auch nach Richard Wolfs Tod blieb sie unter dessen Nachfolger Wolfgang Keller weiterhin ihrer Arbeit treu, bis sie Gerd Bach kennenlernte.
1 Paternoster = historische Aufzug
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An dem darauffolgenden Montagmorgen fährt die leistungsstarke Limousine, ein Audi A6 TDI mit 3,0-Liter-Dieselmotor und einer Leistung von 286 PS, langsam auf der Abflugebene am Düsseldorfer Flughafen in eine der Kiss and Fly Parkbuchten, die lediglich für einen kurzen Halt zum Aussteigen und Entladen gedacht sind.
Während der Chauffeur sich in aller Eile um das Gepäck seiner Passagiere kümmert, steigt Peter Staller aus dem Wagen, um seiner Schwiegermutter aus dem Fond zu helfen. Galant streckt der gutaussehende achtundvierzigjährige Konzernchef ihr seine Hand entgegen, welche diese gern ergreift.
Dorothea Waldners blaugraue Augen leuchten belustigt auf. „Das kann ja nur eine wunderbare Reise werden, wenn ich schon vor ihrem Antritt so würdevoll behandelt werde.“
Auch Peter lächelt. Selbst die legere Kleidung verhindert nicht, dass man dem 1,86 Meter großen dunkelhaarigen Mann die Macht und den Einfluss ansieht, den seine Stellung als Unternehmer eines Großkonzerns mit sich bringt. Eilig umrundet er das Fahrzeug, um auch seiner Frau beim Aussteigen behilflich zu sein. Zu dritt finden sie sich am Heck des Wagens ein, um ihr Handgepäck von Jochen, dem privaten Chauffeur des Unternehmers, entgegenzunehmen. Das Reisegepäck wurde bereits am Vorabend aufgegeben.
„Vielen Dank für das Chauffieren, Jochen“, wendet sich Peter an seinen Angestellten.
„Keine Ursache, Chef. Ich wünsche Ihnen einen schönen Urlaub. Kommen Sie alle heil zurück.“
Die Unternehmers-Gattin Karola Staller ist Dozentin für Ernährungswissenschaften, die in ihrer selbstständigen Tätigkeit diversen Universitäten, Laboren und anderen Einrichtungen zur Seite steht. Überrascht schaut die 1,68 Meter große Frau mit dem modischen Kurzhaarschnitt und den grauen Augen in das lächelnde Gesicht des Chauffeurs. „Ich glaube, Sie verwechseln uns mit meinem Sohn und seinem Freund. Wir jedenfalls haben nicht vor, uns in ein gewagtes Abenteuer zu stürzen, sondern werden redlich ausspannen.“
„Ja, natürlich. So habe ich das gemeint“, erwidert Jochen ernst, während er mit dem Konzernchef einen amüsierten Blick tauscht. Sie alle wissen, dass sowohl Andreas Staller, der Sohn des Hauses, sowie dessen Freund Gerd Bach schon mehr als ein gewagtes Abenteuer hinter sich haben. „Gute Reise“, wünscht Jochen den Urlaubern, bevor er sich mit der Limousine auf den Rückweg macht.
Sie schauen dem Chauffeur kurz hinterher, dann begeben sich die drei Reisenden zu ihrem Check-in-Schalter im Abflugterminal.
Dorothea Waldner, die ehemalige Chefchirurgin eines Konstanzer Krankenhauses und mittlerweile geschätztes Mitglied des Aufsichtsrats, wird in den nächsten zehn Tagen in der Hauptstadt der Thailändischen Provinz Udon Thani helfen, die Pläne für die Modernisierung des dortigen Krankenhauses zu erstellen. In Kooperation mit ihrem Klinikum wird der Ausbau noch in diesem Jahr beginnen. Die Mittel dafür wurden bereits vom Aufsichtsrat und der Geschäftsführung freigegeben, so dass die Ärztin bestens auf ihre Aufgabe vorbereitet ist. Ihre Tochter Karola Staller und ihr Schwiegersohn haben sich entschlossen, die sechsundsechzigjährige Geschäftsfrau auf dieser Reise zu begleiten.
Nachdem alle Passagiere ihre Plätze in dem Airbus A320 der Fluglinie Lufthansa eingenommen haben, startet diese ohne weitere Verzögerung, der Anschlussflug von Frankfurt nach Bangkok mit einem Airbus A380 der Thai Fluggesellschaft geht über Nacht und die letzte Etappe vom Flughafen Bangkok-Suvarnabhumi nach Udon Thani legen sie mit einem Airbus A320 der Thai Smile Fluggesellschaft zurück. Nach einer Gesamtflugzeit von neunzehn Stunden landen sie an ihrem Zielflughafen Udon Thani in Thailand. Die Strecke bis zum Centara Hotel & Convention Centre Udon Thani, einem 4-Sterne-Hotel, legen Sie in fünfzehn Minuten mit dem Taxi zurück. Durch die Zeitverschiebung von sechs Stunden erreichen die Urlauber ihr Hotel erst am Dienstag zur Mittagszeit.
Um sich von der Strapaze des langen unbequemen Sitzens im Flugzeug zu erholen, entschließen sich die drei Familienmitglieder zu einer ersten Besichtigungstour, die sie nach einem leichten Mittagessen neugierig starten.
„Wo wollt ihr zuerst hin?“, erkundigt sich Peter bei den Frauen, die sich daraufhin mit schalkhaft blitzenden Augen ansehen.
„Shoppen!“, kommt die fröhliche Antwort von beiden gleichzeitig, bevor sie vergnügt loslachen.
„Warum frage ich auch?“, stöhnt der Konzernchef. „Das hätte ich mir eigentlich denken können. Aber ich mache euch einen Vorschlag. Laut meinem Reiseführer bieten sich für euch zwei Möglichkeiten. Gleich hier neben dem Hotel befindet sich die Central Plaza mit westlichen Kaufhäusern und einigen Händlern von ansässigen Marken. Ich könnte mir vorstellen, dass für euch ein Einkaufstripp auf den Posri Road reizvoller ist. Dort finden wir aneinandergereiht kleinere Boutiquen mit Kleidung oder handgefertigtem Kunsthandwerk, lokale Möbelbauer, Gold-Shops und Juweliere. Das ist zu Fuß gerade einmal eine Viertelstunde entfernt.“
„Hört sich doch gut an“, bewertet Dorothea die Aussage. „Worin besteht denn jetzt dein Vorschlag?“
„Im Reiseführer steht, dass sich das wirkliche Leben dort erst gegen Abend abspielt. Lasst uns die Einkaufstour bis nach dem Abendessen verschieben, stattdessen sehen wir uns einmal die Stadt an.“
„Was schwebt dir denn da so vor?“, will seine Frau wissen.
„Udon Thani hat eine rund sechstausend Jahre alte Geschichte vorzuweisen“, liest Peter aus seinen Unterlagen ab. „Die Stadt hat rund einhundertvierzigtausend Einwohner und ist eine der wichtigsten wirtschaftlichen und infrastrukturellen Knotenpunkte am Mekong-Zufluss Mae Nam Luang. Sie hat viele Sehenswürdigkeiten zu bieten, wie den Octagonal Pavilion, die Orchideenfarm Udorn Sunshine Nursery, dort bekommt ihr übrigens auch selbsthergestellte Parfüms, dann den Tempel Wat Pho Chai Sri mit der eintausendzweihundert Jahre alten berühmten Buddha-Statue Luang Pho Phra Sri, angeblich wurde sie bisher vier Mal gestohlen und kam doch immer wieder hierher zurück, faszinierend“, staunt Peter.
„Da gibt es sicher vieles, was sich anzusehen lohnt“, stimmt Karola ihrem Mann zu. „Wo möchtest du denn anfangen?“
„Ich würde gern den Nong Prajak-Park aufsuchen. Mit seinen üppigen Gärten und Seen bietet er sicher viel Platz, um sich die Beine zu vertreten. Allerdings brauchen wir bereits eine halbe Stunde, bis wir dort ankommen. Wenn ihr im Park eine Pause machen wollt, könnt ihr am See die Kois2 füttern. Was haltet ihr davon?“
„Gesessen haben wir für die nächsten Stunden wohl genug“, urteilt Karo. „Was ist mit dir, Mutter? Kommst du mit?“
„Natürlich. Schließlich wollen wir auch etwas von der Stadt zu sehen bekommen.“
„Sollen wir bis zum Park ein Taxi nehmen?“, erkundigt sich Peter fürsorglich bei seiner Schwiegermutter.
„Wieso?“, fragt sie mit einem übermütigen Lächeln. „Fühlst du dich schon so alt, dass du den Weg nicht zu Fuß schaffst?“
Unter vergnügtem Lachen machen sich die drei auf den Weg zu ihrem ausgewählten Ziel.
Im Gegensatz zu dem harmonischen Urlaubsantritt des Konzernchefs und seiner Begleiterinnen beginnt die Woche für Emma Wolf mit einem anstrengenden Ausdauertraining. Die durchtrainierte Polizistin hat keine Schwierigkeiten, mit ihren Kollegen Schritt zu halten. Nach einer kurzen Verschnaufpause muss sie sich auf dem Schießstand melden. Die Mitarbeiter aus ihrer Abteilung sind bereits vollständig erschienen, allerdings eher um zu sehen, wie sich die neue Kollegin macht.
Sie begibt sich von der Umkleide aus zum Schießstand, wobei sie ihre Dienstwaffe, eine HK-P2000 V4 von Heckler & Koch mit Browning-Verschluss und Kaliber 9 x 19 Millimeter bei sich trägt.
Als Emma auf ihre Kollegen zutritt, schaut Mark sie prüfend an. „Bereit?“ Auch ihm ist klar, dass seine Mitarbeiter wissen wollen, ob sie sich im Ernstfall auf die neue Kollegin verlassen können.
„Jederzeit“, bestätigt Emma ihm ruhig. Sie bekommt ihren Platz zugewiesen, setzt Schutzbrille und Ohrschützer auf und macht sich startklar.
„Sechs Schuss“, bestimmt Polizeioberkommissar Helge Rothmann, der Schießausbilder. Mit einem kurzen Nicken bestätigt Emma ihm, dass sie seine Anweisung verstanden hat, visiert ihr Ziel nur kurz an, um dann zügig alle sechs Schuss abzufeuern.
Während der Polizeioberkommissar sie nachdenklich mustert, beginnen ihre Kollegen schadenfroh zu lachen. Auf ihrer Zielscheibe erkennt man ein Einschussloch an der Nasenwurzel der abgebildeten Figur. Ein weiteres Loch ist nicht zu sehen.
„Immerhin, der eine Treffer ist spitze“, bemerkt Kommissar Malte Distler ironisch.
„Das war dann wohl der Zufallstreffer für diese Woche“, lacht auch Oberkommissar Gero Nadler.
„Das solltest du vielleicht noch einmal üben“, rät auch Mark ihr lächelnd.
„Warum?“, richtet sich der Polizeiausbilder an Emmas erstaunte Kollegen. „Wenn ihr das auch schafft, dann dürft ihr meckern, vorher nicht“, rügt er die Zuschauer. „Schaffen Sie das noch einmal?“, will er von der Beamtin wissen.
„Sicher.“ Emma ist beeindruckt von dem guten Einschätzungsvermögen des Schießausbilders. Sie macht sich bereit für einen zweiten Durchgang.
Der erste Schuss landet im Herzen, der zweite im Hals, die nächsten vier Einschüsse sind nicht zu sehen.
Durch die eigenartigen Treffer auf ihrer Zielscheibe macht sich bei ihren Kollegen erste Verwirrung breit.
Helge Rothmann nickt der neuen Kollegin zu. „Eine hervorragende Leistung. Wo haben Sie gelernt, so gut zu schießen?“
„In Berlin, bei einem Sondertraining“, antwortet Emma ihm vorsichtig. Das anerkennende Aufblitzen seiner Augen sagt ihr genug. ‚Der Mann weiß Bescheid!‘
„Wovon redet ihr da eigentlich?“, will Mark wissen.
Der Polizeioberkommissar zeigt auf die erste Zielscheibe. „Sieh dir das Einschussloch einmal genauer an. Die erste Kugel ist sauber über dem Nasenbein eingedrungen. Ein absolut tödlicher Schuss! Die nächsten fünf Kugeln gingen durch das gleiche Loch. Du erkennst es an dem ausgefransten Rand. Wie sich die sechs Schuss beim zweiten Durchgang verteilen, kannst du dir sicher denken.“