Kitabı oku: «Das Tao der Gefühle», sayfa 5

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Falsche Vergebung und Perfektionismus

Du sollst nicht du selbst sein.

— Herbie Monroe

Die eigenen Unzulänglichkeiten zu erleben und trotzdem weiterzumachen, sind zwei der größten Errungenschaften des Erwachsenseins. Erfolg ist in vielerlei Hinsicht nicht so wichtig wie Misserfolg und wie man damit umgeht.

— Robert Hand

Perfektionismus ist der selbstzerstörerische Prozess unserer Selbstbewertung mit gottähnlichen Maßstäben. Oliver Wendell Holmes hat davor gewarnt, als er sagte: »Junger Mann, das Geheimnis meines Erfolges ist, dass ich schon in jungen Jahren entdeckt habe, dass ich nicht Gott bin.«

Die unerreichbaren Standards des Perfektionismus machen uns auf grausame und wenig hilfreiche Weise selbstkritisch. Ewiges Glück und unbeirrbare Spitzenleistungen sind weitverbreitete perfektionistische Erwartungen, die die meisten Amerikaner quälen. Diejenigen von uns, die mit diesen beiden heimtückischen Werten belastet sind, werden wahrscheinlich alle anderen Qualitäten ihres Seins und ihrer Leistung als beschämend unzulänglich beurteilen.

Perfektionismus ist in den Industriegesellschaften weit verbreitet. Er ist so sehr mit dem amerikanischen Leben verwoben wie das Geheimnis von Baseball und Apple Pie. Ich habe kürzlich eine Fernsehsendung gesehen, in der Drittklässler gebeten wurden, die fehlenden Teile verschiedener Sprichwörter zu ergänzen. Obwohl das Publikum sich vor Lachen nicht halten konnte, sahen einige so schockiert aus wie ich, als das Kind das Sprichwort »Wenn es Ihnen nicht auf Anhieb gelingt« in vollem Ernst so ergänzte: »… werden Sie für immer ein Verlierer und eine Last für die Gesellschaft sein.«

Der Perfektionismus wurde wahrscheinlich am Fließband geboren, wo die Arbeiter gezwungen sind, so emotionslos, effizient, bedürfnislos und störungsfrei zu sein wie die Maschinen, die sie bedienen. Industriegesellschaften produzieren bei fast allen, unterstützt durch die Kaderschmiede der Familie, perfektionistische, seelenzerstörende Erwartungen.

Perfektionismus entsteht automatisch bei Kindern, die übermäßiger Kritik und Bestrafung ausgesetzt sind. In der Hoffnung, die offensichtlichen Gründe ihrer Eltern für ihre Unzufriedenheit zu beseitigen, streben sie das unmögliche Ziel an, fehlerfrei zu werden. Aus Angst vor der Missbilligung ihrer Eltern verunglimpfen sie sich selbst für die kleinsten Fehler und kommen schließlich zu dem Schluss, dass viele ihrer normalen Bedürfnisse Schwachstellen sind, die beseitigt werden müssen.

Perfektionismus kann sich in einem Kind auch spontan als Reaktion auf Vernachlässigung manifestieren, als verzweifelter Versuch, die elterliche Liebe zu gewinnen. Wenn es nur fehlerfrei über sich hinauswachsen und vollkommen selbstständig sein könnte, wenn es nie neue Kleidung bräuchte und nie seine Milch verschütten würde, wenn es nur nicht krank würde und der Mutter nicht im Weg stehen würde, dann würden seine Eltern vielleicht liebevoll zu ihm sein! Und wenn nur ihre Nase etwas kleiner wäre, und wenn sie nur mehr wie das perfekte kleine Mädchen im Fernsehen wäre, und wenn sie nur daran denken könnte, dieses Lächeln dauerhaft auf ihrem Gesicht zu behalten, dann würden ihre Eltern sie vielleicht lieben!

Ich kann mich daran erinnern, dass ich in der Grundschule bei fast jedem Test nahezu perfekte Ergebnisse erzielte und dennoch kein einziges Wort des Lobes von meinem Vater bekam. Schließlich war ich mit neunundneunzig Prozent nicht mehr zufrieden und fixierte mich arbeitssüchtig auf die perfekten Ergebnisse, von denen ich hoffte, dass sie die verzweifelt ersehnte Anerkennung meines Vaters bewirken würden.

Mit der Zeit konzentrierte ich mich so sehr auf meine Fehler, dass ich mich mit ihnen identifizierte, bis ich in meinen eigenen Augen nur noch ein abstoßendes Gemenge von Fehlern war. Wie John Bradshaw betont, reagieren dysfunktionale Eltern auf die Fehler ihrer Kinder, als ob die Kinder selbst Fehler wären. Einige rügen ihre Kinder sogar mit solch bösartigen Aussagen, dass ihre Geburt ein Fehler war und dass sie eine Schande für den Familiennamen seien.

Viele Eltern benutzen die unschuldigen Fehler und harmlosen Schwächen ihrer Kinder als Vorwand, um sie zum Sündenbock zu machen. Sie lassen ihr Unglück und ihre Frustration regelmäßig an ihren Kindern aus und geben ihnen dann die Schuld für ihre eigene Unfähigkeit zu lieben: »Wer könnte solch ein Kind lieben?« Manche machen ihre Kinder verantwortlich für alles, was in ihrem Leben schiefläuft: »Ich habe mein Leben für dich aufgegeben. Ist das der Dank dafür?« »Es ist ein Jammer! Ihr Kinder habt mein Leben total ruiniert. Ihr bringt mich noch ins Grab!« »Wenn es euch nicht gäbe, hätte ich ________ (füllen Sie die Lücke aus)«.

Es ist für Eltern leicht, ihre Kinder davon zu überzeugen, dass sie dafür bestraft werden müssen, weil sie nicht perfekt sind. Eltern sind für ihre Kinder virtuelle Götter, die absolute Macht über sie haben. Sie können ihre Kinder so sehr manipulieren, dass sie glauben, selbst die grausamste Bestrafung sei »zu ihrem eigenen Wohl«. Alice Miller hat diesen Prozess in ihrem Buch Am Anfang war Erziehung, in dem sie sich mit der Verleugnung des Leidens in der Kindheit auseinandersetzt, eindringlich beschrieben.

Viele dysfunktionale Familien sind wie Mini-Sekten. Die Eltern schärfen ihren Kindern ihre Überzeugungen und Werte zu einer Zeit ein, in der sie vollkommen beeinflussbar sind. Danach bestrafen sie unnachgiebig jede Abweichung im Denken oder Verhalten.

Viele erwachsene Kinder sind in dieser sektenartigen Denk- und Verhaltensweise so stark indoktriniert worden, dass sie nicht in der Lage sind, sich davon zu befreien und das Recht auf ihre eigene, einzigartige Individualität beanspruchen. Auch wenn sie aus dem Familienverband ausziehen, bleiben sie ihrer Sekte lebenslang treu, egal wie feindselig ihre Führer ihrem Wohlergehen gegenüber sind. Immer wieder erlebe ich erwachsene Kinder in einer anhaltenden Unterwürfigkeit gegenüber ihren Eltern, welche sie mit erniedrigender Respektlosigkeit behandeln – die sie auf eine Weise verunglimpfen, die sie in keinem Moment von irgendjemand anderem tolerieren würden.

Eines meiner negativen Lieblingsbeispiele ist die archetypische Filmszene, in der der Held auf die Nachfrage bezüglich seiner Entscheidung vollmundig verkündet: »Weil mein Vater es so gemacht hat, deshalb!« Diese Antwort bringt es auf den Punkt, und alle anderen Figuren im Film fügen sich in offensichtlichem Respekt. Ich hoffe, dass eines Tages jemand einen Film mit einem neuen Verlauf dieser Szene macht. Wenn ich die Regie führen würde, würde ich eine Hauptfigur bestimmen, die diesem blinden Gehorsam z.B. mit folgender Antwort begegnet: »Wenn dein Vater Sandwiches mit Kuhscheiße essen würde, müssten wir das dann auch?«

Verleugnung des Perfektionismus

Die Tugend eines Menschen sollte nicht an seinen besonderen Leistungen gemessen werden, sondern an seinem alltäglichen Handeln.

— Blaise Pascal

Es gibt wahrscheinlich kein erwachsenes Kind, hinreißend oder extravagant, das nicht schon tausend Tode bei perfektionistischen Begegnungen mit dem Spiegel gestorben ist.

— Herbie Monroe

Erwachsene Kinder, die ihren Eltern vorzeitig verzeihen, werden vielleicht nie entdecken, dass sie zum Perfektionismus gedrängt wurden. Unrealistische Werte und unerreichbare Ziele können sie dazu bringen, ihre Psyche unaufhörlich in ein inneres Nagelbett zu verwandeln.

Wenn wir stark vom Perfektionismus belastet sind, haben wir so viel Angst vor Fehlern, dass wir nie etwas Neues versuchen. Wir übersehen, dass das Leben voller aufregender Gelegenheiten ist. Das wunderbare Geschenk des freien Willens reduziert sich bei uns darauf, verschiedene Wege zu wählen, um auf uns selbst herumzuhacken. Ein winziger Pickel, unerbittlich entfernt, wird zu einer großen infizierten Wunde.

Der Perfektionismus macht einige von uns zu verbohrten Pedanten. Wir zögern bei allem, was wir sagen. Oft beugen wir unseren Gedanken vor, damit sie nicht »unpassend« sind. Im schlimmsten Fall fühlen wir uns sogar schuldig und schämen uns für unsere Träume.

Ich war einst einer dieser blasierten Typen, die sich selbst zum Perfektionisten erklärten und so taten, als würden sie diese zerstörerische Angewohnheit infrage stellen. Gewöhnlich spielte ich die schädlichen Auswirkungen, die der Perfektionismus auf mein Leben hatte, herunter. Ich bezeichnete mich verschämt als »Perfektionist«, aber ich grinste gewöhnlich verstohlen, was deutlich machte, dass ich insgeheim stolz auf diese Dysfunktion war. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, war ich ein wenig wie die Person, die in diesem T-Shirt-Spruch zum Vorschein kommt:

Ich habe kein Problem mit Alkohol.

Ich trinke.

Ich verliere das Bewusstsein.

Ich kippe um.

Kein Problem!

Hätte ich eine entsprechende Version dieses T-Shirts getragen, hätte es heißen müssen:

Ich habe kein Problem mit dem Perfektionismus.

Ich strebe danach, perfekt zu sein.

Ich treibe mich unerbittlich an.

Ich verfalle in Selbsthass.

Kein Problem!

Perfektionismus tötet das Selbstwertgefühl, so wie Falschheit die Liebe tötet

Wir sind wie unsere Mütter oder Väter geworden oder zu dem Phantasiebild vom guten oder bösen kleinen Kind. Manchmal maskieren wir uns so gut, dass wir unsere eigenen Verkleidungen irgendwann nicht mehr erkennen.

— Susanne Short

Wir können uns die Zustimmung anderer Menschen sichern, wenn wir das Richtige tun und uns bemühen; aber unsere eigene ist hundert Mal wertvoller …

— Mark Twain

Kinder in dysfunktionalen Familien werden häufig in schreckliche Einsamkeit hineingeboren. Kinder, die »gesehen und nicht gehört« werden sollen, können nicht anders, als unter überwältigenden Gefühlen der Entfremdung und Ablehnung zu leiden. Viele Überlebende, die in der Kindheit durch die Regel »keine Diskussion« zum Schweigen gebracht wurden, leiden auch im Erwachsenenalter unter derselben Art stummer Einsamkeit. Sie müssen erst noch lernen, dass echte Verbindung und Zugehörigkeit von Menschen darauf basiert, dass man ungehemmt miteinander redet.

Perfektionismus verstärkt die zum Schweigen bringende, isolierende Wirkung der »keine Diskussion«-Regel. Viele von uns sind nicht in der Lage, etwas über sich selbst zu sagen, das nicht zu 150 Prozent hervorragend ist. Wir haben so viel Angst davor, als nicht perfekt angesehen zu werden, dass es wenig gibt, das wir sicher mitteilen können.

Bis fast zu meinem dreißigsten Lebensjahr bestanden meine Gespräche hauptsächlich aus Witzen und Gesprächen über Sport. Durch diese Oberflächlichkeit fühlte ich mich immer wieder einsam, obwohl man mich mochte, wenn ich irgendwo lange genug blieb und Leute kennenlernte.

Ich war wortkarg, weil meine Familie mich davon überzeugt hatte, dass es unklug sei, über sensible Themen zu sprechen, die eine Intimität zwischen Menschen entstehen lassen könnten. Bei mir zu Hause wurde das Reden über Gefühle, Bedürfnisse, Schwächen oder Enttäuschungen regelmäßig lächerlich gemacht. Ebenso betraf es Gespräche über Hoffnungen, Träume und Erfolge.

Dysfunktionale Eltern vereiteln gewöhnlich die natürliche Neigung ihrer Kinder zu begeisterter Selbstdarstellung und setzen sie gleichzeitig herab. Eine der unausgesprochenen Regeln meiner Eltern war es, dass ich nicht den geringsten Anflug von Stolz auf mich selbst zeigen durfte. Gleichzeitig war eine ihrer bevorzugten Missbilligungen: »Bist du denn gar nicht stolz auf dich?« Diese Art der Doppelbotschaft ist sehr typisch für die dysfunktionale Familie – verflucht, wenn man es tut, verflucht, wenn man es nicht tut.

Wann immer ich die unausgesprochene Regel meiner Eltern vergaß und andeutete, dass ich etwas Erstrebenswertes gesagt oder getan haben könnte, wurde ich herabgesetzt. »Steig von deinem hohen Ross, oder ich hole dich runter« war ein üblicher Refrain meiner Kindheit. Dies galt insbesondere, wenn ich eine persönliche Meinung äußerte. Meine Mutter reagierte auf meine Ansichten gern verächtlich mit Phrasen wie »Pssst! Mr. Neunmalklug hat etwas zu sagen« oder »Du hast ein Recht auf deine eigene Meinung … auch wenn du Mist erzählst« oder »Du hast keinen Stil«.

Nur wenn wir uns authentisch zeigen, können wir erfahren, dass wir von anderen wirklich geschätzt werden. Nur durch vollständige Offenheit können wir entdecken, dass wir in allen Facetten unseres Selbst liebenswert sind. Oft kann Einsamkeit durch eine offene und unzensierte Kommunikation geheilt werden. In dem Maße, in dem ich meine Erfahrungen mit ihnen teilen kann, fühle ich mich von ihnen wahrgenommen und geliebt. Selbstausdruck und Selbstwertgefühl hängen voneinander ab. Die Intimität, die durch aufrichtiges Mitteilen entsteht, gibt uns ein gutes Gefühl für uns selbst und ermutigt uns wiederum, immer offener zu werden. Mit den Worten von Merle Shain:

Freunde sind Menschen, die dir helfen, mehr du selbst zu sein, mehr die Person, die du eigentlich bist.

Eltern, die die Redseligkeit ihrer Kinder fördern, nähren ihr Selbstwertgefühl. Eltern, die ihre Kinder bis zur Schweigsamkeit herabsetzen, ersetzen ihr Selbstwertgefühl durch Perfektionismus.

Das Selbstwertgefühl kann nicht zurückgewonnen werden, solange der Perfektionismus vorherrscht. Selbstachtung ist in vielerlei Hinsicht das Gegenteil von Perfektionismus. Echte Selbstachtung löst sich nicht einfach wegen eines Schönheitsfehlers, eines heruntergefallenen Tellers oder eines Samstagabends ohne Verabredung auf. Echte Selbstachtung verflüchtigt sich nicht sofort, wenn wir uns traurig, wütend, schlecht oder einsam fühlen.

Unser Selbstwertgefühl ist so stabil wie unsere Fähigkeit, uns unter allen Umständen zu akzeptieren und zu respektieren, seien sie geprägt von Gesundheit oder Krankheit, Erfolg oder Misserfolg, Gemeinschaft oder Einsamkeit, Glück oder Trauer, Begeisterung oder Depression. Oscar Wilde sagte:

Nicht das Vollkommene, sondern das Unvollkommene bedarf unserer Liebe.

Wenn der Perfektionismus uns davon abhält, über unsere Schwierigkeiten zu reden, lernen wir nie das befreiende Geheimnis, dass jeder seinen gerechten oder ungerechten Anteil am Schmerz hat. Wir werden nie durch das heilende Mitgefühl getröstet, das spontan zwischen Menschen entsteht, die Anteil nehmen. Mitgefühl ist der uralte menschliche, in unserer Kultur kaum noch vorhandene Prozess, unsere Verletzungen und Frustrationen durch Gespräche zu lösen. Mitgefühl verleiht der Intimität in einer Weise Tiefe und Lebendigkeit wie nichts anderes.

Unser Bedürfnis nach Liebe und Unterstützung durch uns selbst und andere ist am größten, wenn wir mit unseren Schmerzen und Einschränkungen kämpfen. Wie traurig und unnötig, dass sich viele von uns immer noch in der Isolation ihrer Zimmer verstecken, wenn sie verletzt sind – so ohne Liebe und unbeachtet wie in unserer Ursprungsfamilie. Wenn wir das tun, ist es, als ob unsere Eltern wieder einmal unser Selbstwertgefühl zerfetzen, indem sie uns aus ihrer Gegenwart verbannen, bis wir »diesen Ausdruck aus unserem Gesicht entfernt haben«.

Alle Babys werden mit der Fähigkeit zum Selbstvertrauen geboren. Das Selbstvertrauen wächst und entfaltet sich im Laufe ihres Lebens, sofern ihre Ausdrucksfähigkeit willkommen ist. Ich habe das immer wieder in nichtindus-trialisierten Ländern beobachtet. Das Reden der Kinder wird in diesen Kulturen in der Regel begrüßt, und sie reifen normalerweise zu Erwachsenen heran, die selbstbewusst, warmherzig, emotional ganzheitlich sind – und in der Lage, ihre Persönlichkeit auszudrücken. Das Selbstwertgefühl der durchschnittlichen Mitglieder dieser Kulturen ist erheblich größer als das in unserer Kultur.

Solange wir nicht lernen, uns in weniger perfekten Zeiten selbst zu lieben, ist unsere Liebe zu anderen oberflächlich und sehr bedingt. Umstände, die wir bei uns selbst hassen, sind bei anderen schwer zu akzeptieren.

Der Perfektionismus entfremdet uns weiter von anderen, indem er uns entweder offen selbstkritisch oder auffallend wortkarg in Bezug auf unsere Probleme werden lässt. Beide Verhaltensweisen signalisieren eine implizite Warnung an andere, dass sie mit dem, was sie uns offenbaren, vorsichtig sein sollten.

Und selbst wenn wir (uns selbst oder anderen gegenüber) vorgeben, dass wir nicht bewertend sind, fühlen wir uns in Gesellschaft mit anderen aufgrund unserer unverändert perfektionistischen Maßstäbe in der Regel distanziert, zurückhaltend und unsicher. Der Perfektionismus verursacht bei uns endlose schmerzhafte Hirngespinste, dass andere uns ebenso unzulänglich finden wie wir uns selbst, und beraubt uns des unersetzlichen Vergnügens, in Gesellschaft ganz wir selbst zu sein.

Der Perfektionismus hindert uns auch daran, die Liebe von anderen zuzulassen, unabhängig davon, wie groß und authentisch sie ist. Wenn wir mit unseren Mängeln beschäftigt sind, nehmen wir die Zuwendung oft nicht wahr, die uns andere anbieten. Wie tragisch, dass so viele von uns davon überzeugt sind, dass uns nur dann Liebe zusteht, wenn wir glücklich sind oder überragende Leistungen erbringen. Vielleicht kann uns dieser Vers der Dichterin Mary Oliver ermutigen, unserem Perfektionismus abzuschwören.

Du musst nicht gut sein.

Du musst nicht auf den Knien

hundert Meilen durch die Wüste rutschen und Buße tun.

Du musst nur das zarte Lebewesen deines Körpers

lieben lassen, was es liebt …

Lassen Sie diese Liebe Ihr Selbst erfüllen. Selbstliebe ist ein natürlicher, gesunder menschlicher Zustand, der nicht zur Überkompensation des Egoismus verkommen muss.

Lassen Sie uns die Selbstablehnung gegen die Ablehnung des Perfektionismus austauschen, der uns aufgezwungen wurde, als wir zu jung waren, um ihn abzuwehren. Niemand kann die ganze Zeit glücklich und auf seinem Höhepunkt sein. Alle guten Dinge kommen und gehen. Veränderung ist das einzig Absolute im Leben, wie der mystische Dichter Ghalib wusste:

Der Weg der Veränderung liegt immer vor dir:

die einzige Spur, die die verstreuten Teile dieser Welt zusammenhält.

So verlockend und unwiderlegbar die Philosophie »Sei alles, was du sein kannst« beim ersten Hören auch klingen mag, sie ist doch lästig, wenn »alles« nur das Beste und das meiste bedeutet. »Sei alles, was du sein kannst« ist eine heimtückische Falle, die uns im Workaholismus und gnadenlosen Perfektionismus gefangen hält. Der Psychoanalytiker Theodore Rubin führt dies näher aus:

Wir müssen uns mit aller Kraft vor der Notwendigkeit von »Höchstleistungen« hüten und vorsichtig sein mit Erfolg, der nur um seiner selbst willen geschieht. Die Sucht nach Erfolg führt unweigerlich zu tiefem Selbsthass und zu Depressionen. Wie jede Sucht wird der Erfolg allzu oft zu einer inneren Forderung an das Selbst und stellt die Frage, »was man in letzter Zeit dafür getan hat«, da jeder Erfolg zum Zwang zu noch mehr Erfolgen wird.

Mann und Frau wurden nicht geschaffen, um die ultimative Maschine zu werden. Wir sind es uns selbst schuldig, dem Druck zu widerstehen, superproduktive, wartungsfreie Androide zu werden. Es gibt viele lohnende Leistungsebenen, die weniger sind als »sei alles, was du sein kannst«. Eine der erhabensten ist der herrliche, unauffällige, entspannte Zustand des einfachen Seins. Vielleicht hilft uns die folgende Textstelle, »einfach Nein zu sagen« zur Droge der unnötigen Hektik:

Jeder Tag ist voll von Gelegenheiten, mir selbst etwas zu geben. Jedes bisschen Zeit, das »verschwendet« wird, ist eine Chance, die Hegemonie der Produktivität, das Kernstück der Moderne, abzuschütteln. Jedes Projekt, das zu lange dauert, jede Aufgabe, die mehr Aufwand erfordert als geplant, jede Arbeit, die durch Fehler verlangsamt wird, ist eine wundersame Gelegenheit, Geduld und Selbstvergebung zu üben.

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