Kitabı oku: «Europäisches Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht», sayfa 10

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b. Koordination mitgliedstaatlicher Politiken

Literatur:

Eichenhofer (Hrsg.) Offene Methode der Koordinierung im Sozialrecht (2005); Marhold Das neue Sozialrecht der EU (2005); Eilmansberger/Herzig (Hrsg.) Soziales Europa (2009); Riesenhuber Europäisches Arbeitsrecht (2009); Eichenhofer Sozialrecht der Europäischen Union (5. Aufl. 2013); Fuchs/Marhold Europäisches Arbeitsrecht (4. Aufl. 2014); Fuchs Europäisches Sozialrecht (6. Aufl. 2013); Bieber/Epiney/Haag/Kotzur Die Europäische Union (12. Aufl. 2016) § 22: Sozialpolitik, 520 / § 29: Bildung, Kultur und Sport, 593 / § 31 B.: Gesundheitswesen, 615; Schiek Europäisches Arbeitsrecht (4. Aufl. 2016).

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Außerhalb der Bereiche, in denen die Union befugt ist, eigenständige Unionspolitiken zu formulieren und durchzusetzen, definiert Art. 6 AEUV eine Reihe mitgliedstaatlicher Politikbereiche, für die der Union nur die Aufgabe der Koordination, Unterstützung oder Ergänzung nach Maßgabe der besonderen Bestimmungen des AEUV übertragen worden ist. Die sog. „offene Methode der Koordinierung“ (OMK) nach dem Vorbild der Art. 148 und 149 AEUV kann allerdings durchaus dazu führen, dass die Union ihre Zuständigkeiten faktisch zur Formulierung eigenständiger Politiken nutzt.[46] Es handelt sich im Einzelnen um die Unionszuständigkeiten für


die Förderung der Koordinierung der Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Verstärkung ihrer Wirksamkeit durch die Entwicklung einer koordinierten Beschäftigungsstrategie (Art. 145–150 AEUV);
eine Sozialpolitik (Art. 151–161 AEUV) mit einem Europäischen Sozialfonds (Art. 162–164 AEUV);
einen Beitrag zu einer qualitativ hochstehenden allgemeinen und beruflichen Bildung sowie zur Entfaltung des Kulturlebens in den Mitgliedstaaten (Art. 165–166 AEUV);
einen Beitrag zur Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten (Art. 167 AEUV);
einen Beitrag zur Erreichung eines hohen Gesundheitsniveaus (Art. 168 AEUV);
Maßnahmen in den Bereichen Tourismus (Art. 195 AEUV) und Katastrophenschutz (Art. 196 AEUV).

Die Kompatibilität dieser Unionspolitiken mit dem Binnenmarkt ist indirekt dadurch gewährleistet, dass sich die mitgliedstaatlichen Politiken, die Gegenstand der Koordinierung, Unterstützung oder Ergänzung seitens der Union sind, ihrerseits an den Verkehrsfreiheiten und den Wettbewerbsregeln des AEUV, dh an den Erfordernissen offener und wettbewerbsorientierter Märkte, messen lassen müssen. Den einschlägigen Normen des AEUV lässt sich aber durchaus entnehmen, dass die Union bei der Ausübung ihrer Kompetenzen auch direkt an diese Erfordernisse gebunden ist:

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So ist die gemeinschaftliche Sozialpolitik (Art. 151 ff. AEUV) zwar dadurch legitimiert, dass die Union u.a. „auf sozialen Fortschritt“ abzielt (Art. 3 Abs. 3 UAbs. I S. 1 EUV), „soziale Gerechtigkeit und sozialen Schutz“ fördert (Art. 3 Abs. 3 UAbs. II EUV) sowie den „sozialen Zusammenhalt zwischen den Mitgliedstaaten“ gewährleistet (Art. 3 Abs. 3 UAbs. III EUV). Sie dient nicht zuletzt der Verwirklichung einer „sozialen Marktwirtschaft“ (Art. 3 Abs. 3 UAbs. I S. 2 EUV). Es erscheint aber weder geboten noch sinnvoll, diese Dimension gegen die wirtschaftliche Integration auszuspielen. Die Sozialpolitik der Union steht ausdrücklich unter dem Vorbehalt, dass ihre Verwirklichung nicht „die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft der Union“ beeinträchtigt (Art. 151 Abs. 2 AEUV). Die sozialpolitische Rolle der Union ist speziell auf die Förderung der Beschäftigung, die Verbesserung und Angleichung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, einen angemessenen sozialen Schutz, den sozialen Dialog, die Entwicklung des Arbeitskräftepotentials im Hinblick auf ein dauerhaft hohes Beschäftigungsniveau sowie die Bekämpfung von Ausgrenzungen ausgerichtet (Art. 151 Abs. 1 AEUV). Es wird jedoch ausdrücklich erwartet, dass sich die erwünschte sozialpolitische Entwicklung sowohl aus „dem eine Abstimmung der Sozialordnungen begünstigenden Wirken des Binnenmarkts als auch aus den in den Verträgen vorgesehenen Verfahren sowie aus der Angleichung ihrer Rechts- und Verwaltungsvorschriften“ ergeben wird (Art. 151 Abs. 3 AEUV). Die sozialpolitischen Ziele sollen also vor allem durch die Koordinierung der mitgliedstaatlichen sozialen Leistungssysteme erreicht werden, die auch für das Funktionieren des Binnenmarkts unerlässlich ist, zum anderen durch die Unterstützung nationaler Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigungsmöglichkeiten durch den Europäischen Sozialfonds (Art. 162 AEUV). Auch die Beschäftigungspolitik (Art. 145 AEUV) ist an der Funktionsfähigkeit des Binnenmarkts orientiert, denn es geht um Maßnahmen, mit denen die Fähigkeit der Arbeitnehmer gestärkt werden soll, sich dem wirtschaftlichen Wandel anzupassen, der durch die Marktintegration hervorgerufen wird. In dieselbe Richtung sollen die gemeinschaftlichen Maßnahmen zur Förderung der beruflichen Bildung (Art. 165 AEUV) wirken.

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In ähnlicher Weise sollen auch die gemeinschaftlichen Maßnahmen zum Gesundheitsschutz (Art. 168 AEUV) die Marktintegration stützen und fördern, indem sie durch die Internalisierung externer Effekte, die von Produkten oder Produktionsprozessen ausgehen, der Kompensation von Marktversagen dient. Die rein unterstützende Funktion der entsprechenden Gemeinschaftspolitiken wird für die Gesundheitspolitik noch dadurch betont, dass insoweit Maßnahmen zur Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften ausgeschlossen sind (Art. 168 Abs. 5 AEUV).

3. Fazit

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Als Fazit bleibt festzuhalten, dass die Union nach dem Text des AEUV auch bei der Ausübung ihrer Kompetenzen zur Steuerung der Wirtschaft im Interesse spezifischer wirtschaftlicher oder außerwirtschaftlicher Zielsetzungen weitestgehend an die Wahrung des Grundsatzes offener und wettbewerbsorientierter Märkte gebunden ist. So enthalten zahlreiche Normierungen von Unionskompetenzen – wie gezeigt – ausdrückliche Vorbehalte zugunsten der Funktionsfähigkeit des Binnenmarkts und des Systems unverfälschten Wettbewerbs. Dies gilt sowohl für die speziellen Normen zur Definition der diversen Unionspolitiken, als auch für die allgemeine Rechtsangleichungszuständigkeit der Union (Art. 114 AEUV). Die Union ist grundsätzlich nicht befugt, ihre Kompetenzen zur Errichtung neuer Marktzutrittsschranken oder zur Ausschaltung des Wettbewerbs zu nutzen.

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Allerdings lassen die angesprochenen Regelungen das tatsächliche Konfliktpotential der einzelnen Unionspolitiken im Verhältnis zur Binnenmarkt- und Wettbewerbspolitik nicht erkennen. Eine genauere Betrachtung der wirtschaftlichen Freiheiten und der Wettbewerbsregeln zeigt, dass im Kontext einzelner Normen Abwägungen zwischen den Zielen der Marktöffnung und des unverfälschten Wettbewerbs einerseits und den übrigen politischen Zielsetzungen der Union erforderlich sind.[47] Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Querschnittsklauseln zugunsten des Umwelt- und Verbraucherschutzes (Art. 11 und 12 AEUV). Es geht darum, dass die Union bei der Wahrnehmung ihrer politischen Kompetenzen ihr regulatorisches Ermessen so ausübt, dass ihre Maßnahmen sich im Einklang mit der ordnungspolitischen Grundentscheidung der Verträge – dh insbesondere mit der in den Normen des AEUV zum Ausdruck gebrachten Wirtschaftsverfassung – befinden. Es besteht ein Regel-Ausnahme Verhältnis zwischen dieser Grundentscheidung und einzelnen Eingriffen im Rahmen der speziellen Unionspolitiken. Das legt eine Beschränkung regulatorischer Maßnahmen auf die Kompensation von Marktversagen nahe. Es geht also insgesamt um die Optimierung der Kombination von Wettbewerb und Regulierung.

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Es handelt sich aber bei der Frage nach der Kompatibilität regulatorischer Maßnahmen der Union mit ihrer Wirtschaftsverfassung nicht allein um eine Frage der politischen Opportunität, sondern um eine im Prinzip justiziable Rechtsfrage, für deren Lösung der EuGH in seiner Rechtsprechung insbesondere das Verhältnismäßigkeitsprinzip entwickelt hat. Unionspolitische Maßnahmen sollen und dürfen also den Grundsatz offener Märkte mit freiem Wettbewerb im Interesse der Funktionsfähigkeit des Binnenmarkts nicht mehr als unbedingt nötig beeinträchtigen. Anderenfalls wird das Ziel, nämlich die Förderung des „Wohlergehens“ der Völker der Union, dh die Verbesserung des Lebensstandards der Menschen, die sich die Union vom Binnenmarkt und vom System unverfälschten Wettbewerbs verspricht, verfehlt.

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Dieses Postulat gilt insbesondere dort, wo im Rahmen des Binnenmarktrechts und des Systems unverfälschten Wettbewerbs selbst Relativierungen der ordnungspolitischen Grundentscheidung zugunsten anderer unionsrechtlich akzeptierter Ziele ausdrücklich angelegt sind. Gemeint sind hier die vom AEUV vorgesehenen und vom EuGH weiter entwickelten Rechtfertigungsgründe für Beschränkungen des zwischenstaatlichen Handels sowie diejenigen Bestimmungen des Wettbewerbsrechts, die geeignet sein können, das Verbot von Wettbewerbsbeschränkungen zugunsten anderer Ziele einzuschränken. So finden im Rahmen des Binnenmarktrechts schon nach dem Wortlaut des Vertrages (vgl. etwa Art. 36 AEUV), aber insbesondere auch nach der Rechtsprechung des EuGH[48] zwingende Allgemeinwohlinteressen der Mitgliedstaaten als Begrenzungen der wirtschaftlichen Verkehrsfreiheiten Berücksichtigung, die zugleich die Grundlage für etwaige Rechtsangleichungsmaßnahmen der EU gem. Art. 114 ff. AEUV und damit für die Wahrnehmung regulatorischer Kompetenzen zum Schutz außerwirtschaftlicher Ziele darstellen (siehe hierzu bereits oben Rn. 61 sowie hinsichtlich der Einzelheiten weiter unten Rn. 175 ff.). Auch im Rahmen der Wettbewerbsregeln sind – wenn auch mit unterschiedlicher Akzentuierung im Kartell-, Fusionskontroll-, Beihilfen- und Vergaberecht – außerwettbewerbliche Ziele zu berücksichtigen, soweit die jeweiligen Tatbestandsmerkmale dies nach ihrem Wortlaut bzw. nach der Auslegung durch den EuGH erlauben. Die Grenzen dafür sind bei den Verboten wettbewerbsbeschränkender Verhaltensweisen besonders eng gezogen (vgl. insoweit die Voraussetzungen für einer Freistellung vom Kartellverbot gem. Art. 101 Abs. 3 AEUV). Dagegen wird der Wettbewerbsschutz gem. Art. 106 Abs. 2 AEUV im Hinblick auf „Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ erheblich zurückgenommen, während im Rahmen der Beihilfenkontrolle die Förderung zahlreicher außerwettbewerblicher Politikziele gem. Art. 107 Abs. 2 und 3 AEUV ausdrücklich legalisiert ist (siehe zu den Einzelheiten die jeweils einschlägigen Erörterungen in Teil 3).

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Im institutionellen Gefüge der Union ist vor allem die Kommission – unter der rechtlichen Aufsicht der europäischen Gerichte – zuständig für die Sicherung der Kompatibilität ihrer regulatorischen Maßnahmen bzw. ihrer Rechtsanwendungsentscheidungen mit dem Grundsatz offener Märkte und freien Wettbewerbs. Sie ist das wesentliche Initiativorgan für die unionsrechtliche Regulierung und im Bereich des Wettbewerbsrechts zugleich das zentrale Rechtsanwendungsorgan. Die Mitglieder der Kommission, die als Kollektivorgan entscheidet, repräsentieren entsprechend ihren jeweiligen Ressorts die widerstreitenden Politiken der Union. Das Verhältnis der verschiedenen Unionspolitiken zur Binnenmarkt- und Wettbewerbspolitik muss daher ohnehin im Rahmen der Kommission ausbalanciert werden. Es ist in diesem Zusammenhang von eminenter Bedeutung, dass die Generaldirektion Wettbewerb der Kommission inzwischen Richtlinien für die Bewertung der Auswirkung von regulatorischen Maßnahmen der Gemeinschaft auf den Wettbewerb im Binnenmarkt (Guide to Competition Screening) veröffentlicht hat.[49] Darin bringt die Kommission selbst ihre Überzeugung zum Ausdruck, dass alle regulatorischen Maßnahmen der Union einem „Wettbewerbstest“ unterworfen werden sollten, in dessen Rahmen jeweils im Einzelfall zu erwägen ist, welche Beschränkungen eine Maßnahme für den Wettbewerb mit sich bringt und ob nicht weniger beschränkende bzw. marktkonforme Alternativen zur Verfolgung einer bestimmten Unionspolitik zu Verfügung stehen.[50] Auch im Hinblick auf die mitgliedstaatliche Regulierung sollte die Kommission entsprechende „Wettbewerbstests“ durchführen. Erste Schritte in diese Richtung sind bereits zu erkennen.[51]

III. Außenwirtschaftspolitik

Literatur:

Grabitz/v. Bogdandy/Nettesheim (Hrsg.) Europäisches Außenwirtschaftsrecht (1994); Kadelbach Die Außenbeziehungen der Europäischen Union (2006); Herrmann/Krenzler/Streinz (Hrsg.) Die Außenwirtschaftspolitik der Europäischen Union nach dem Verfassungsvertrag (2006); Metz Die Außenbeziehungen der Europäischen Union nach dem Vertrag über eine Verfassung für Europa (2007); Herrmann/Michl Grundzüge des europäischen Außenwirtschaftsrechts, ZEuS 2008, 81; Tietje Die Außenwirtschaftsverfassung der EU nach dem Vertrag von Lissabon (2009); Bungenberg Außenbeziehungen und Außenhandelspolitik, in: Schwarze/Hatje, Reformvertrag von Lissabon, EuR 2009, Beiheft 1, 195; Bungenberg/Herrmann (Hrsg.) Die gemeinsame Handelspolitik der Europäischen Union nach Lissabon, 2011; Müller-Ibold Die gemeinsame Handelspolitik nach Lissabon. Sekundärrechtsabhängigkeit der gemeinsamen Handelspolitik, in: Bungenberg/Herrmann (Hrs.) Die gemeinsame Handelspolitik der Europäischen Union nach Lissabon (2011) 75; Boysen Das System des Europäischen Außenwirtschaftsrechts, in: von Arnauld (Hrsg.) Europäische Außenbeziehungen [Enzyklopädie Europarecht, Bd. 10] (2014) § 9, 447; Tietje Außenwirtschaftsrecht, in: Ders. (Hrsg.) Internationales Wirtschaftsrecht (2. Aufl. 2015) § 15, 792; Bieber/Epiney/Haag/Kotzur Die Europäische Union (12. Aufl. 2016) § 33: Außenbeziehungen, 642; Bungenberg/Herrmann (Hrsg.) Die gemeinsame Handelspolitik der Europäischen Union. Fünf Jahre nach Lissabon – Quo Vadis? (2016); Herrmann/Müller-Ibold Die Entwicklung des europäischen Außenwirtschaftsrechts, EuZW 2016, 646.

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Außenwirtschaftspolitik betrifft die institutionelle Ausgestaltung und Steuerung des grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs mit Drittstaaten. Dabei lässt sich generell beobachten, dass Wirtschaftssysteme ihre im Inneren geltenden Grundsätze auch auf die wirtschaftlichen Außenbeziehungen anwenden: Planwirtschaften unterwerfen daher auch den Außenwirtschaftsverkehr staatlicher Lenkung (es gilt das Prinzip des Verbots mit Erlaubnisvorbehalt); Marktwirtschaften gestalten auch ihre Außenbeziehungen nach dem Prinzip des von staatlichen Interventionen freien Austauschs von Wirtschaftsgütern und öffnen sich dem externen Wettbewerb (es gilt das Prinzip der Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt). Dem entspricht im Grundsatz auch die Außenwirtschaftspolitik der EU. Sie steht gem. Art. 206 AEUV unter der Zielsetzung, einer „schrittweisen Beseitigung der Beschränkungen im internationalen Handelsverkehr und bei den ausländischen Direktinvestitionen“. Somit verfolgt auch die Außenwirtschaftspolitik der EU das Ziel der Marktöffnung und damit der Öffnung des Binnenmarktes für den internationalen Wettbewerb (siehe speziell zu diesem Aspekt unten Rn. 184 ff.).

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Allerdings behält sich die EU die Möglichkeit des Einsatzes handelspolitischer Instrumente zur Steuerung des Wirtschaftsverkehrs mit Drittstaaten durch Einflussnahme auf die Preise (insbesondere mittels Erhebung von Zöllen auf Einfuhren bzw. finanzielle Förderung von Ausfuhren) oder die Mengen (mittels Einfuhr- oder Ausfuhrverboten bzw. Maßnahmen gleicher Wirkung) vor. Von dieser Möglichkeit macht die EU Gebrauch, um sich beispielsweise Erleichterungen des Zugangs von Ausländern zum Binnenmarkt in Verhandlungen mit Drittstaaten durch entsprechende Marktöffnungsmaßnahmen des Auslands „erkaufen“ zu können (man denke etwa an wechselseitige Zollkonzessionen). Teils geht es aber auch um die Abwehr unfairer Handelspraktiken wie Dumping oder ausländische Exportsubventionen im Bereich des Warenhandels durch entsprechende Ausgleichszölle, oder um Maßnahmen zum Schutz des Funktionierens der Wirtschafts- und Währungsunion im Bereich des Kapitalverkehrs (Art. 66 AEUV). Darüber hinaus ist auch die EU nicht frei von politisch motivierten Beschränkungen des Außenwirtschaftsverkehrs. Das gilt etwa im Fall der Verhängung von Embargos als Kampfmittel gegen bestimmte Drittstaaten. Es gilt aber im weiteren Sinne auch für mancherlei protektionistische Regulierungen insbesondere auf mitgliedstaatlicher Ebene im Bereich der Dienstleistungen oder Niederlassungen von Drittstaatsangehörigen. Sie sind industriepolitisch motiviert und sollen bestimmte Wirtschaftszweige vor Wettbewerb schützen. Dies alles ändert aber nichts Grundsätzliches an der Freiheit des Außenwirtschaftsverkehrs zwischen der EU und Drittstaaten (sie impliziert die entsprechende Freiheit von Unternehmen und Konsumenten, sich am grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr zu beteiligen, dh auch: mit Marktteilnehmern von außerhalb der EU zu konkurrieren). Diese Freiheit ist der Grundsatz und die Regel, die durch spezifische Ausnahmen nur bestätigt wird.

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Außenwirtschaftsrechtliche Regelungen werden im Rahmen ihrer Kompetenzen teils autonom von den einzelnen Mitgliedstaaten bzw. von der EU – gem. Art. 207 Abs. 2 AEUV im Wege von Verordnungen – erlassen („autonome Handelspolitik“); solche Regelungen sind aber anderenteils auch Gegenstand bi- oder multilateraler völkerrechtlicher Übereinkommen, in denen sich die Mitgliedstaaten bzw. die EU (gem. Art. 207 Abs. 1 AEUV) – abweichend vom allgemeinen Völkerrecht – Drittstaaten gegenüber zu einer mehr oder weniger weit gehenden Marktöffnung durch Abbau bestehender Beschränkungen rechtsverbindlich verpflichten („konventionelle Handelspolitik“). Damit stellt sich die Frage nach der Zuständigkeit der EU bzw. der Mitgliedstaaten. Eine umfassende Vergemeinschaftung der Außenwirtschaftspolitik, die es der EU erlauben würde, im Außenverhältnis stets als Einheit aufzutreten, ist im Unionsrecht nicht angelegt. Vielmehr ergibt sich aus dem AEUV ein differenziertes System unionaler, gemischter und einzelstaatlicher Zuständigkeiten. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Handel (1.) und Investitionen (2).

1. Außenhandel

Literatur:

Arnold Außenhandelsrecht, in: Dauses (Hrsg.) Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts (Loseblatt) Abschnitt K.I.; Schwarze Europäisches Wirtschaftsrecht (2007) 181 ff.; Bungenberg/Herrmann (Hrsg.) Die gemeinsame Handelspolitik der Europäischen Union nach Lissabon (2011); Boysen Das System des Europäischen Außenwirtschaftsrechts, in: von Arnauld (Hrsg.) Europäische Außenbeziehungen [Enzyklopädie Europarecht, Bd. 10] (2014) § 9, 447; Weiß Vertragliche Handelspolitik der EU, in: von Arnauld (Hrsg.) Europäische Außenbeziehungen [Enzyklopädie Europarecht, Bd. 10] (2014) § 10, 515; Bieber/Epiney/Haag/Kotzur Die Europäische Union (12. Aufl. 2016) § 34: Handelspolitik und Entwicklungspolitik, 658.

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Zu den Tätigkeiten der Union gehört gem. Art. 207 AEUV seit jeher eine „gemeinsame Handelspolitik“. Art. 3 Abs. 1 lit. a und e AEUV weisen der Union dafür eine ausschließliche Zuständigkeit zu. Der unionsrechtliche Begriff der Handelspolitik im Sinne der ursprünglichen Art. 3 lit. b und 113 EWG [aufgrund des Vertrages von Nizza seit 2002: Art. 133 EG] umfasste nach der Rechtsprechung des EuGH[52] zunächst einmal den internationalen Warenverkehr. Der internationale Dienstleistungsverkehr war dem Warenverkehr hingegen nur insoweit gleichgestellt, wie er nicht mit dem Grenzübertritt von Personen, dh der Einreise von Drittstaatsangehörigen oder gar mit deren Niederlassung in der EG, verbunden war, weil Art. 3 lit. d EWG diesen Aspekt der Personenfreizügigkeit bzw. der Niederlassungsfreiheit von der Handelspolitik getrennt hielt. Auch der Schutz geistigen Eigentums fiel nicht in den Anwendungsbereich der gemeinsamen Handelspolitik.[53] Insoweit hatten also die Mitgliedstaaten ihre außenwirtschaftspolitische Autonomie behalten, vorbehaltlich allerdings der „AETR-Rechtsprechung“ des EuGH[54] zu den der Gemeinschaft stillschweigend verliehenen auswärtigen Kompetenzen (implied powers). Sie erstrecken sich auf diejenigen Rechtsgebiete, auf denen unionsintern eine Regelungszuständigkeit besteht, sofern sie auch tatsächlich ausgeübt worden ist. Um zu vermeiden, dass entsprechende unionsinterne Regelungen durch Verpflichtungen der Mitgliedstaaten gegenüber Drittstaaten beeinträchtigt werden, hat der EuGH eine stillschweigende ausschließliche Kompetenz der Union angenommen (siehe dazu jetzt die Kodifikation in Art. 3 Abs. 2 AEUV). Erst der Vertrag von Nizza von 2001 hatte den Art. 133 EG dahingehend ergänzt, dass die gemeinsame Handelspolitik auch den internationalen Dienstleistungshandel sowie die Handelsaspekte des Schutzes geistigen Eigentums erfasst, soweit sie nicht bereits von der bisherigen Regelung des Vertrages abgedeckt waren. Insoweit hat aber auch der Vertrag von Nizza der Gemeinschaft keine ausschließliche Kompetenz zugestanden; vielmehr behielten die Mitgliedstaaten eine konkurrierende Zuständigkeit, soweit die von ihnen abgeschlossenen Abkommen mit Drittstaaten „mit den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften und anderen einschlägigen internationalen Abkommen in Einklang stehen“ (Art. 133 Abs. 5 UAbs. 4 EG). Darüber hinaus hatte Art. 133 Abs. 6 UAbs. 2 EG für bestimmte (insbesondere kulturelle und audiovisuelle) Dienstleistungsbereiche ausdrücklich eine gemischte Vertragsabschlusskompetenz der EG und ihrer Mitgliedstaaten vorgesehen.

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Der Vertrag von Lissabon hat nun eine grundlegende Revision dieser tradierten Regelungen vorgenommen. Der Bereich der gemeinsamen Handelspolitik, der gem. Art. 3 lit. a und e AEUV von der ausschließlichen Zuständigkeit der EU erfasst wird, erstreckt sich nunmehr gem. Art. 207 Abs. 1 AEUV ausdrücklich sowohl auf den Warenhandel als auch auf den Dienstleistungshandel sowie den Schutz geistigen Eigentums. Erfasst sind also auch solche Formen von Dienstleistungen, die den Grenzübertritt (vor allem die Einreise) von Personen oder gar bestimmte Formen der Niederlassung implizieren wie es im Rahmen des WTO-Rechts für das GATS gilt, sowie die „Handelsaspekte des geistigen Eigentums“, die im Rahmen des WTO-Rechts vom TRIPS-Abkommen angesprochen werden. Beseitigt ist auch die für bestimmte Bereiche bislang aufrechterhaltene gemischte Kompetenz der EU und der Mitgliedstaaten. Insoweit sind also die Mitgliedstaaten nicht mehr berechtigt, Abkommen mit Drittstaaten abzuschließen bzw. sich an deren Abschluss zu beteiligen. Soweit Abkommen der EU mit Drittstaaten allerdings – wie häufig – auch Materien regeln, die nicht in den Bereich der gemeinsamen Handelspolitik fallen, richtet sich die Zuständigkeitsverteilung zwischen EU und Mitgliedstaaten weiterhin nach den oben erwähnten Grundsätzen der erwähnten „AETR-Rechtsprechung“ des EuGH zu den implied powers, die auch in Art. 3 Abs. 2 AEUV ihren Niederschlag gefunden hat.

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Es ist also auch in Zukunft nicht gewährleistet, dass die EU im Hinblick auf den Abschluss von Übereinkommen mit Drittstaaten, die über die Vereinbarung von Regelungen betreffend den Einsatz handelspolitischer Instrumente hinausgehen, ohne weiteres als Einheit auftreten kann. Man denke etwa an die neue Generation von „WTO-plus“-Abkommen, die auch Materien regeln, die weit über Fragen des Waren- und Dienstleistungshandels oder des Schutzes geistigen Eigentums hinausgehen (siehe zu diesen Abkommen unten Rn. 216).

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Sowohl im Hinblick auf ihre autonome als auch auf ihre konventionelle Handelspolitik sind die Union und ihre Mitgliedstaaten jedenfalls an die in Art. 206 AEUV niedergelegten primärrechtlichen „einheitlichen Grundsätze“ gebunden. Sie verpflichten die Union auf eine liberale Handelspolitik, dh auf eine weitestgehende Öffnung des Binnenmarkts gegenüber Drittstaaten. Dementsprechend ist die Einfuhr von Waren in die EU im Grundsatz ebenso frei[55] wie auch die Ausfuhr.[56] Hinsichtlich des Einsatzes beschränkender handelspolitischer Steuerungsinstrumente ist die EU an die Einschränkungen gebunden, die sich aus den von ihr abgeschlossenen völkerrechtlichen Übereinkommen bzw. aus ihrer Mitgliedschaft in Internationalen Organisationen ergeben. Hinsichtlich des Grades der jeweiligen Marktöffnung ist dabei völkerrechtlich auch weiterhin zwischen Waren-, Dienstleistungs- und Personenverkehr zu unterscheiden.

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Hervorzuheben ist die – bislang neben der eigenständigen Mitgliedschaft der einzelnen Mitgliedstaaten bestehende – Mitgliedschaft der EU in der WTO (siehe dazu Rn. 211).[57] Sie ist ebenfalls Vertragspartei der diversen WTO-Übereinkommen (insbesondere des GATT und des GATS sowie des TRIPS-Übereinkommens), die umfassende Bindungen bezüglich des Einsatzes handelspolitischer Instrumente enthalten und auf diese Weise im Bereich des Waren- und Dienstleistungsverkehrs ein erhebliches Maß der Marktöffnung gegenüber Drittstaaten sowie eine Beschränkung des Einsatzes handelspolitischer Instrumente (wie insbesondere von Antidumpingzöllen oder Ausgleichszöllen für unzulässige Exportsubventionen) verbindlich vorschreiben.[58] Dabei hat der EuGH dem WTO-Recht allerdings keine unmittelbare Anwendbarkeit innerhalb der EU zugesprochen.[59]

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Ein wesentlich intensiveres und umfassenderes wirtschaftliches Integrationsverhältnis ist die EU mit den EFTA-Mitgliedern Liechtenstein, Island und Norwegen durch die Gründung des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) eingegangen (siehe dazu Rn. 185 ff.).[60] Das EWR-Recht ist dem EU-Recht weitestgehend nachgebildet, insbesondere hinsichtlich der wirtschaftlichen Verkehrsfreiheiten und der Wettbewerbsregeln. Der Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb ist somit auch im Rahmen des EWR verwirklicht. Die Beziehungen zur Schweiz bleiben noch dahinter zurück, wenngleich die bilateralen Übereinkommen, welche die EG mit der Schweiz abgeschlossen hat, ebenfalls zu einer weitgehenden Marktöffnung beigetragen haben (siehe dazu Rn. 193 ff.). Im Übrigen hat die EU mit unterschiedlichen Gruppen von Drittstaaten Assoziierungsabkommen vereinbart, die teils eine künftige Mitgliedschaft vorbereiten sollen (Beitrittsassoziierungen gem. Art. 217 AEUV), teils die Nachbarschaftsbeziehungen regeln (Art. 8 EUV), teils der Entwicklungszusammenarbeit und der Steigerung des Handelsverkehrs mit afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten (AKP-Staaten) dienen (Entwicklungsassoziierungen gem. Art. 4 Abs. 4 AEUV iVm Art. 198 ff., 208 ff., 212 AEUV). Entsprechend unterschiedlich ist der in diesen Übereinkommen vorgesehene Grad der Marktöffnung und des Wettbewerbsschutzes (siehe dazu näher untern Rn. 189 ff., 202 ff., 206 ff.).