Kitabı oku: «Integrative Psychotherapeutische Diagnostik (IPD)», sayfa 8

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Konflikt und Ambiguität

Von Beginn des Lebens an sind die Bedürfnisse des Subjekts, sein Verlangen nach Sicherheit, Liebe und Anerkennung Anlass für Ambiguität und Konflikte. Im Phänomenbezirk subjektiver Erfahrungen ist der Wunsch danach an den Anderen gerichtet, seine Erfüllung erscheint ,exogen‘. Dies gilt jedenfalls für das Kind, das auf Beantwortung und Resonanz seiner Caregiver angewiesen ist. Sind Liebe und Anerkennung reziprok – Liebe der Eltern, Idealisierung des Kindes –, entstehen weder Konflikte noch Ambiguität in ätiologisch relevantem Ausmaß. Erwachsene, die fähig sind, „als Erste zu lieben“ (Marion, 2013, 70), werden weniger Konflikte und Ambiguität erleben als jene, die lebenslang ,von anderswoher‘ geliebt werden wollen.

Konflikte im sozialen Zwischenraum entstehen dort, wo Bedürfnisse, Abhängigkeit und Notwendigkeit aufeinandertreffen (Bonacker, 2008), wo Unterschied wahrnehmbar wird. Am Punkt der Fehlbarkeit, Verwundbarkeit und Angewiesenheit auf den Anderen bricht sich der Lichtstrahl der Autonomie des Subjekts, bricht sich Willensfreiheit an der Nichtverfügbarkeit, das Subjekt kann sich nicht unendlich im Anderen kontinuieren. Unabhängig davon, ob es sich um Bedürfnisse, Meinungen, Interessen oder Strategien, um Status, Macht oder Legitimation handelt, um Ressourcen, Strategien oder Werte, immer ist es die Andersheit des Anderen, die den eigenen Vorstellungen Grenzen setzt und Anlass zu Konflikten gibt. Der Andere kann dabei ein Subjekt sein, eine Gruppierung, ein Staat, das Andere kann die Welt sein, eine unerwartete Situation, ein Ereignis, ein innerer Widerstreit. Wo noch Streit und Auseinandersetzung möglich sind, wo man mit jemandem um etwas kämpft, gibt es Aussicht auf Modifikation, auch dort, wo die Revolte noch vielversprechend erscheint. Wo dies nicht mehr der Fall ist, entsteht Ambiguität (Bauer, 2011).

Ohne Zweifel entstehen Konflikte auch im Binnenraum des Subjekts, als sich widersprechende Gefühle, Handlungsimpulse, Bedürfnisse und als Gewissens- oder Schuldkonflikte. Aber die Psychoanalyse hat den Konflikt allein in das Individuum hinein verlagern wollen. Alle soziologischen Machtverhältnisse (Foucault, 2005), alle Überwachung und Disziplinierung durch die Gesellschaft, die Gouvernementalität und Biopolitik politischer und militärischer Unvernunft (ders., 1977), alle Kolonialisierung von Leiblichkeit und Lebenszeit des Subjekts (Petzold & Schuch, 1992), alle Entfremdung und Verdinglichung, die totale Verwaltung und Verwertung jeder einzelnen Lebensbewegung (Zima, 2014; Honneth, 2015), alle Entmündigung durch die positivistischen Wissenschaften (Böhme, 1985) wurden auf die individuelle Bewältigung unbewusster Konflikte reduziert. Dass das Subjekt in der Gesellschaft in höchster Vieldeutigkeit einer Übermacht von repressiven und entfremdenden Institutionen gegenübersteht, sollte allein Problem des Individuums sein, das im Kampf zwischen den übermächtigen Sexual- und Aggressionstrieben seines Es und den archaischen Gerichtsbarkeiten seines Gewissens bestehen muss oder zerrieben wird. Das ist Sozialdarwinismus der ersten Stunde (Spencer, 1864), dessen Ignoranz sich über einhundert Jahre gegen alle soziologischen Wissenschaften, gegen alles existenzialistische, strukturalistische und dekonstruktivistische Denken der Gegenwart hinweg durchsetzen konnte (Laing, 1965).

Konflikte sind weder bloß intrapsychisch noch sind sie bloß bipolar. Umgekehrt sind sie auch nicht nur interpersonell. Das Leibsubjekt erlebt eine Vielzahl von Konflikten nicht nur mit oder in sich selbst oder mit anderen, es ist auch einer Welt der Mannigfaltigkeit ausgesetzt, die nie bis zum Rand ausgedeutet oder erklärt werden kann (Petzold, 2003b). Der Andere ist niemals so, wie ich ihn haben will, die Welt ist nicht so, wie ich sie haben will, nicht einmal ich selbst bin so, wie ich mich haben will. Vielmehr ist alles so, wie es ist, von mir als Subjekt zunächst einmal hinzunehmen. Es ist ein allzu menschliches Verlangen nach Komplexitätsreduktion, Konflikte allein bipolar und allein intra- oder interpersonell zu definieren (Lewin, 1953). Das Subjekt steht in Konfliktverhältnissen zwischen Innen und Außen, darüber hinaus auch immer wieder zwischen (wenigstens) zwei von außen kommenden Anforderungen (Waldenfels, 1976). Das natürliche Vorkommen phänomenaler Konflikthaftigkeit ist meist multipolar und von komplexen Variationen innerer und äußerer Ansprüche gekennzeichnet. Das gilt eben genau nicht nur für eine (höchst fragwürdige) frühkindliche oder „ödipale Situation“, sondern für Erfahrung des Subjekts über die gesamte Lebensspanne. Dies ist die Ausgangssituation der Ambiguität (Abbagnano, 1957; Bauer, 2011).

Leben ist vielgestaltig und so gut wie nie bis zum Grund definiert. Konflikte entstehen auf natürliche Weise durch Differenz, sie sind Phänomen, daher nicht vom Ursprung her destruktiv. Sie stellen die Herausforderung dar, Räume, Grenzen und Intentionen mit Anderen auszuhandeln. Den Konflikt mit dem oder der Anderen zu suchen, ist auf der einen Seite oft genug eine unreife Revolte gegen die Limitierungen, die das Leben setzt. Die Bereitschaft, sich der Vieldeutigkeit einer Situation zu stellen, erfordert dagegen Kraft und Mut. Selbst eine schnelle Lösung im Konfliktfall zu suchen, kann eine Vermeidung des Wesentlichen darstellen. Inmitten der Vielgestaltigkeit stehen zu bleiben, sich zu spüren, sie nicht nur auszuhalten, sondern sich in der Tiefe und Weite chaotischer Mannigfaltigkeit (Schmitz, 2007) inspirieren zu lassen heißt, Ambiguität in ihrer Potenzialität in vollem Umfang zu erkennen. In dieser Sicht ist auch die „Ambiguitätstoleranz“ keine Lösung, denn es ist die Vielgestaltigkeit an sich, die sich dem Subjekt als eine Herausforderung stellt, die, wenn sie angenommen werden kann, sein unverzichtbares „Entwicklungsfluidum“ darstellt (Forst, 2003). Es besteht daher immer auch die Ambiguität, ob man einen Konflikt eingehen soll oder nicht und wie der Austrag des Konflikts gestaltet werden soll.

Auch führen Versuche von „Konfliktlösungen“ allzu leicht in verwaschene Konfluenz oder sie sind Resultat der Verwaltung von Dominanz (Haessig & Petzold, 2006). Die Interpretation von Situationen, seien es intrapsychische, intersubjektive oder solche in der Welt, erfordert Engagement. Subjekte aber sind desillusionierbar, der Verdacht, hintergangen und manipuliert worden zu sein, wird gerne verdrängt, wenn die Muthaftigkeit, den Durchgang von Konflikten zu nehmen, fehlt. Der Antrieb im Kampf um Anerkennung ist eine vitale Kraft (Honneth, 2010). Kommt er nicht zum Einsatz, wird die Möglichkeit der Wiederherstellung von Sinn im Selbst- und Weltbezug leichtfertig vergeben (Ricœur, 2010). Es macht einen Unterschied im Selbstvertrauen des Subjekts, ob es flüchtet und sich unterordnet oder um Positionen, Kompromisse und Konsens kämpft. Selbst wenn dieser Konsens nur darin besteht, dass man Dissens konstatieren muss, wird dabei Differenz noch aufrechterhalten (Petzold, 1993b). Es spielt gar keine Rolle, ob dieser Kampf innerlich mit ethischen und weltanschaulichen Fragen stattfindet, in generationalen Verhältnissen der Familie oder in Wirtschafts- oder Wissenschaftszusammenhängen. Vermeidung und Verdrängung, Unterdrückung und Tabuisierung ziehen immer einen ernsthaften Verlust von Vitalität und Potenzialität nach sich. Die handelsüblichen Kosten dafür sind passive Aggressivität, Depression, Angst.

Konflikte und Ambiguitäten finden also nicht nur im Individuum statt. Sie besitzen weite Ausdehnung ins Gesellschaftliche und Politische. Schwangerschaftsabbruch, Sterbehilfe, Gentechnologie, Folter und Terrorismus, Krieg mit der Inkaufnahme weitreichender Kollateralschäden, soziale Medien, gesellschaftliche Transparenz sind Schauplätze kollektiver, kulturell-gesellschaftlicher Konflikthaftigkeit. Hier gibt es signifikante Übergänge in schwere Destruktivität. Vom Augenblick an, in dem Subjekte oder Gruppen nicht mehr miteinander um etwas kämpfen, wird man mit einer gewissen Klarheit und Strenge vom Versuch der Vernichtung sprechen, das heißt, unter hegemonialen Dominanzansprüchen die Differenz, das Andere nicht mehr gelten lassen zu wollen (Baberowsky, 2018).

Beteiligte an Konflikten sind entsprechend nicht immer gleichzeitig die Betroffenen. Bei einem Konflikt der Eltern etwa sind die Kinder betroffen, bei einem Konflikt zwischen Staaten und Regierungen Bürgerinnen und Soldaten. Konfliktbeteiligte sind des Weiteren auch nicht immer die Verursacher. Ein Vater schlägt seine Kinder, weil er Ärger im Job hat, Soldaten im Krieg stehen im Humankonflikt, aber sie handeln unter dem Befehl ihrer Vorgesetzten. In solchen Ambiguitäten befinden sich Subjekte und müssen ihre Kreativität, ihre Ressourcen und Resilienzen bemühen, um die Sinnhaftigkeit ihres Tuns zu rechtfertigen. Dies sind Herausforderungen an die Souveränität des Subjekts.

Souveränität

Kant (1798) hat in seiner Anthropologie den Menschen idealistisch als autonomes Vernunftwesen entworfen. Er hat sich dabei so sehr für die Kultivierung und gegen die „Tierheit“ im Menschen abgesetzt, dass er das „Andere der Vernunft“, gegen das er sich absetzte (das Triebhafte, das Sinnliche, das Leibliche, aber auch das Kontingente, Irrationale des Lebens), aus dem Blick verlor (Gloy, 2001): „Der aufrechte Gang des autonomen Menschen [Kants] gleicht dem eines Blinden, der den Boden nicht sieht, über den er geht“ (Böhme & Böhme, 1983; Einfügung durch Autor). So wenig, wie das Bewusstsein ohne Berücksichtigung des Unbewussten gedacht werden kann, das Wissen ohne seine Differenz zum Sein, die Vernunft ohne das Irrationale, so wenig kann das Autonome ohne die Abhängigkeit vorgestellt werden (Böhme, 1985). Die Liebe oder die Konflikte, in ihren Herausforderungen, wie sie eben dargestellt wurden, das sind zwei Beispiele von vielen Lebensbereichen, in denen Menschen Souveränität unter Beweis bringen können.

Fehlbarkeit, Verwundbarkeit und Angewiesenheit des Menschen radikalisieren das Dasein immer wieder als eines der „absoluten Teilhabe“ (Ricœur, 1971a; Czapski, 2017; Utz, 2005). Weil Menschen diese Attribute besitzen, greifen sie ineinander ein und aufeinander aus, begehren und verletzen sich und sind in der Erneuerung ihrer Bezüglichkeit aufeinander angewiesen. Auch in der Liebe können wir das Ganze des Lebens nur mit dem Anderen realisieren (Han, 2017). Das Programm der Autonomisierung des Ich isoliert den Menschen und kapselt ihn von der Teilhabe ab. Der Andere ist einerseits begehrenswert, andererseits stellt er eine Bedrohung der Unabhängigkeit dar: „Der autonome Mensch zeigt ein angestrengtes Gesicht, gezeichnet von der ständigen Furcht, seines Selbstbesitzes verlustig zu gehen“ (Böhme, 1985, 286). Auf diese Weise weist Autonomie zu viel zurück.

In Totalität angewiesen ist der Mensch ja nur entweder in der Kindheit von seinen Eltern oder als Schwerverwundeter und Kranker. Eine defizitäre oder verstörende Erfahrung früher Abhängigkeit kann den Hintergrund für rigide Vorstellungen von Autonomie beim Erwachsenen darstellen. Jenseits solcher Verstörungen aber würde zeitgemäße Selbsterkenntnis beim Erwachsenen bedeuten, anzuerkennen, dass wir kulturell und gesellschaftlich schon ein derart hohes Maß an Disziplin und Selbstbeherrschung ausgebildet haben, dass es nun wieder geboten wäre, zu partizipieren, ja, sich auszusetzen. Das Andere (das Tierhafte, die Leiblichkeit, das Fremde), das Unbestimmte und Ausgegrenzte wieder als das Andere von uns selbst, das eigene Andere anzuerkennen (ebd., 285; Kristeva, 1990). Derrida (2012, 2013) dekonstruiert noch einen Schritt weiter, er diagnostiziert die „Erfindung des Anderen“ (da draußen) als Flucht vor dem Anderen in uns. Die Aufhebung dieser Ablehnung skizziert einen Weg, wie wir zu der „Natur, die wir selbst sind“ (Böhme, 2019), zurückfinden könnten.

Diese Prozesse der Anerkennung des Anderen, des Fremden, des Unbewussten, des Ausgegrenzten, dieses Sich-aussetzen-Könnens, auch der Angewiesenheit auf den Anderen, sei es in der Liebe oder aufgrund der eigenen Fehler oder Verwundbarkeiten, diese Akzeptanz setzen Souveränität voraus (Lévinas, 1998). Das ist eine Haltung, aus der heraus man nicht über alles herrschen muss, aus der heraus es möglich ist, sich etwas widerfahren zu lassen – Frustrierendes, aber auch Glückvolles –, die Möglichkeit, teilzuhaben oder Teil von etwas zu sein, das größer ist als man selbst, und sich bei all dem nicht kleiner fühlen zu müssen. Die Bereitschaft zu einem Dasein in Partizipativität kann auch die Rücknahme der Tendenz bedeuten, mit dem eigenen Willen und den eigenen Vorstellungen überall hinreichen zu wollen, somit sogar unter Verzicht auf die eigene Souveränität sich der Souveränität des Anderen zu unterwerfen, auch, wenn dafür Schmerz hinzunehmen ist. Man muss auch verlieren können.

Der souveräne Mensch ist nie so weit mit einer bestimmten Erscheinungsform identifiziert – sei es seine Rolle als Vater, die im Beruf oder die Macht, mit der er für eine bestimmte Funktion ausgestattet wurde –, dass er sich selbst als Person nicht mehr in den Blick nehmen oder humorvoll mit sich selbst sein könnte. Auch, wenn er auf Expertenwissen angewiesen ist, wird er kritisch prüfen, sich nicht vorschnell anderen überlassen (Petzold, 2014 e, f). In der Liebe wird er wissen, dass er kapitulieren muss, den Anderen zulassen muss, wenn er die Wirklichkeit zu zweit gewinnen will, – und dass er unweigerlich Scham und Schuld erleben wird (ders., 2003e). Das erfordert Mut und die Bereitschaft, Unsicherheiten und Schmerz auszuhalten. Er weiß, dass er nicht alles versteht, und kann sich auf die Kontingenzen (Rorty, 1991; Utz, 2005) des Lebens einlassen. Auch das Nicht-Wissen (Hogrebe, 2006), das Nicht-Haben (Fromm, 1978) oder der Verlust (Osten, 2017a) sind ihm ein Wert. Er kann sich etwas schenken lassen. Das schließt Hingabe ein (Czapski, 2017). So wird er nicht unnötig um sein Ich bangen, den Leib nicht als Instrument seines Willens betrachten, seine Gefühle nicht als Attribute seiner ,Seele‘ missverstehen, und er wird auch nicht unsinnig mit Autoritäten kämpfen, sondern im Wechselspiel von Bestimmen und Bestimmtwerden kreativen Umgang suchen (Seel, 2014). Und er wird wissen, dass seine Souveränität, wenn sie stabil bleiben will, in jedem Augenblick von anderen mitgetragen sein muss. Das schließt Akzeptanz der Souveränität des Anderen mit ein.

Bildung und Förderung

Eine der wichtigsten anthropologischen Fähigkeiten des Menschen ist seine Lernfähigkeit. Dies ist nicht erst seit der Entdeckung der Neuroforschungen bekannt (Aristoteles, 2009). Schon das Kind beeindruckt mit seiner Neugierde und seiner Lust, den eigenen Körper, den Anderen und die soziale Welt zu erkunden. In einzigartig individueller Weise verarbeitet jeder Mensch die phänomenologische Selbst- und Welterfahrung im Rahmen seiner Innerlichkeit hochproduktiv (Sedmak, 2013). Beim Kind umso mehr, wenn es in dieser Hinsicht gefordert und gefördert wird. Neues und Fremdes in sich aufzunehmen, um sich damit zu bereichern, den eigenen Horizont erweitert zu bekommen, ist eine Herausforderung der Selbstöffnung. Daher ist das Lernen auch nicht nur die trockene Frage nach der Motivation; den Geist im eigenleiblichen Spüren für Neues zu öffnen, ist pure Erotik. Dies ist die originäre Aufgabe von Bildung, wenn ihr Ziel das souveräne Subjekt sein soll.

Interessanterweise findet sich in keiner anderen europäischen Sprache eine Entsprechung für das Wort „Bildung“, mit dieser Verbindung zu Wort und Bedeutung vom „Bild“. In der Bildung machen wir uns Vorstellungen von uns selbst und der Welt, davon, was an Wissen über den Menschen und die Welt angesammelt wurde, wir projizieren Wünsche, wie wir oder die Welt und die Beziehungen zu anderen Menschen sein sollten, bilden damit uns selbst und unsere Persönlichkeit aus. Somit ist Bildung nicht nur eine geistige Angelegenheit, sondern eine zutiefst leibliche Selbst- und Welterfahrung. Mit Bildung ist in diesem Zusammenhang jede Form der Schulbildung, Ausbildung, universitären Bildung, Erwachsenenbildung oder Weiterbildung gemeint, denn zu keiner Zeit steht die Bildung der Persönlichkeit mit der Ausbildung zu bestimmten Fähigkeiten in Widerspruch (Nida-Rümelin, 2013; Sieper & Petzold, 2002). Insofern als Bildung damit nicht nur Kulturtechniken oder berufliche Fähigkeiten vermittelt, sondern Persönlichkeit, leibliche Wahrnehmung und Weltanschauung fördern will, stellt sie eine der Megaressourcen des Menschen in unserer Gesellschaft dar. Sie ist ein Programm gegen Entfremdung, Instrumentalisierung und Perpetuierung von Unselbständigkeit.

In der Bildungstheorie Jean-Jacques Rousseaus (1762) zeigt sich die Vorstellung, dass das Kind nicht ,abgerichtet‘, sondern in seinen natürlichen Anlagen gefördert werden sollte. Damit stellt Bildung schon in der Geschichte einen Zugang zur Welt dar, der meist nicht mehr von Personen der Primärgruppe vermittelt wird, sondern von Sozialisationsinstanzen der Gesellschaft und Kultur. Die Etablierung moderner Institutionen der Bildung stand in engem Zusammenhang mit der Entstehung moderner Staatensysteme und moderner Ökonomie (Eidam & Hermenau, 2003). Gleichwohl forderte die universalistische Idee der Bildung eine Zueignung von Kultur und Ethik, von Engagement und Verantwortung, von Überzeugungen und Orientierungswissen, das Freiheit und Gestaltungsmöglichkeiten einschloss, und somit auch die Bildung von Weltanschaulichkeit (Jaspers, 1919; Scheler, 1929).

Schulen, Fachhochschulen und Universitäten fühlen sich heute diesen Bildungsidealen nur noch programmatisch verpflichtet. Die Wirtschaft diktiert, welche Inhalte Bildung zu vermitteln hat, und das hat mit universalistischer Allgemeinbildung, mit geistiger oder Bildung der Persönlichkeit nur mehr wenig zu tun. Bildungswillige und -fähige Menschen werden rücksichtslos zu dem Material (human resources) herangebildet, welches das kapitalistische Getriebe in Gang halten soll, ungeachtet der Werte, die es vertritt. Wer über den Tellerrand dieses wirtschaftlichen Utilitarismus hinausschauen will, ist in persönlichem Mut und Engagement angefragt. Gleichzeitig wird bestimmten Gesellschaftsgruppen, die hohe Potenzialität ausweisen könnten – Menschen in prekären Lebenslagen, Migrantinnen und Migranten –, der Zugang zu Bildung verwehrt (do Mar Castro Varela, 2007). Die ökonomisch orientierte Politik westlicher Staaten setzt damit Wert und Potenz ihrer Bildungssysteme leichtfertig aufs Spiel.

Bildung stellt eine der größten Verwirklichungschancen im Sinne des Gerechtigkeitsbegriffes des Sozialphilosophen Amartya Sen (2012) dar. Diese Ressource sollte allen Menschen zugänglich sein, damit geistige Selbstöffnung und Zukunftsperspektiven erschließbar werden. Sie darf nicht Wohlbegüterten vorbehalten bleiben (Neuenschwander, Sieper & Petzold, 2018). Das birgt Gefahren des „Schwachen Denkens“ (Arnold, 2018), mit dem wir in der Gegenwart konfrontiert sind, etwa des Populismus, des Fundamentalismus, des Radikalismus. Bildung also, egal, wo und auf welchem Niveau sie ansetzt, trägt zur Bildung persönlicher Souveränität, zu sozialem und letztlich gesellschaftlichem und politischem Engagement bei. Die Differenzierung weltanschaulicher Fragen ist eine Quelle der mentalen Öffnung des Menschen zur Welt hin. Psychotherapie hat neben allen ihren anderen Obliegenheiten die Aufgabe, ihren Klienten diese Ressource taktvoll nahezubringen.

Arbeit, Geld, Besitz

Eine kapitalistische Verblendung der Moderne stellt in Aussicht, dass die Souveränität des Menschen vor allem unter den drei großen Themen der Arbeit, des Geldes und des Eigentums in Herausforderung gebracht wird. Dass dies eine Verkürzung ist, macht schon die Nähe der Gegenstände zu den Themen „Kapital“, „Macht“ und „Herrschaft“ deutlich (Han, 2015a, 94f.). Die Souveränität des Menschen zeigt sich vor allem im ausgewogenen Navigieren zwischen den folgenden fünf großen Themen: Rechte, Pflichten, Freiheit, Verantwortung und ethisches Handeln. Arbeit, Geld, Besitz sollen demgemäß hier als Partialthemen nur in ihrem engen Zusammenhang kritisch beleuchtet werden.

Als anthropologische Kategorie wird die Arbeit vor allem unter ihrem Aspekt der Selbsterhaltung des Menschen unter den jeweils gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen dargestellt. In Agrargesellschaften ist die Arbeit an die direkte Erfahrung ihrer Produktivität gebunden. Der soziale Zusammenhang früher Gesellschaften wurde aber weniger über die Arbeit an sich, sondern mehr über die Gabe und den Tausch hergestellt (Mauss, 1990). Die Erfindung der Münze, für die man arbeitet und Besitz erwerben kann (Eckl & Ludwig, 2005), hatte eine lange Geschichte, die nach Türcke (2015) ihre Wurzeln in der archaischen Erfahrung von Schuld hat und erst viel später eine Transzendierung als Lohn für Arbeit und ihre Hybridisierung als immaterielles und virtuelles Handels- und Zahlungsmittel in Form von Geld erfuhr.

Arbeit kann nicht ohne das „Andere der Arbeit“ verstanden werden (vgl. Böhme & Böhme, 1983; Gloy, 2001). Historisch wurden der Arbeit in unterschiedlicher Weise Antagonisten gegenübergestellt. Aristoteles verstand die Poiesis als zweckgebundenes Handeln, als basale Tätigkeit, die die eigentliche Praxis des Lebens (Muße, Kunst, Kontemplation) erst ermöglichte (Cürsgen, 2012). Hannah Arendt (2007) unterschied die vita activa von der vita contemplativa. Habermas (2011) bestimmte den Menschen durch Arbeit und Interaktion und Martin Seel (1995) stellte der Arbeit drei Komplementäre an die Seite: die soziale Interaktion, die Muße (das intentionsfreie Tun) und die Kontemplation (die Transzendierung der anderen drei Bereiche). Da der postmoderne Mensch unter dem Druck zeitepochaler Verblendungen zweckfreies Handeln größtenteils entwerten muss, gerät ihm jede Tätigkeit zur Poiesis, Zeit für das eigentliche Leben‘, die Praxis nach Aristoteles, wird retardiert, auf Räume ,nach Arbeit und Leistung‘ prokrastiniert, in seiner Bedeutung marginalisiert: Nur Reiche können sich das leisten.

„Herrschende Klassen werden, wo immer sie können, sich vom Zwang der Arbeit zu befreien versuchen, d. h. die Tätigkeit für die Erhaltung ihrer eigenen Subsistenz anderen aufbürden“ (Böhme, 2008, 153). Nur freie Tätigkeiten wie Politik, Spiel und demonstratives Nichtstun werden in Agrar- und Arbeitergesellschaften als schicklich angesehen (Bourdieu, 1992b). Erst viel später, in den Industriegesellschaften, besitzt der Verkäufer von Arbeitskraft den Status einer Rechtsperson (Schmidt am Busch, 2017) und bekommt durch den Lohn auch eine Legitimationsbasis zum Erwerb von Besitz (Locke, 1690) und Zugangsmöglichkeiten zu Eigentum (vgl. Böhme, 2008, 157). Diese historische Entwicklung der Gesellschaft zur Arbeits-, Produktions- und Dienstleistungsgesellschaft ist der Hintergrund, dass Arbeit in der Form, wie wir sie heute erleben, zur anthropologischen Grundbestimmung des Menschen werden konnte. Dem Zwang zur Arbeit steht heute das Recht auf Arbeit gegenüber.

Karl Marx (1859) unterschied die lebendige von der entfremdeten Arbeit unter kapitalistischen Produktionsverhältnissen. In lebendigen Arbeitsverhältnissen steht der arbeitende Mensch in direkt erlebtem Zusammenhang mit dem, was er produziert, die Verwertung der Arbeitsergebnisse erfolgt unmittelbar durch ihn selbst. Demgegenüber kann der Kapitalist von der gekauften Ware „Arbeitskraft“ in der Form Gebrauch machen, dass diese einen Mehrwert produziert, an dem er den Arbeiter nicht mehr zu beteiligen braucht. Der Arbeiter wird instrumentalisiert, das Werk seiner Hände ist in komplexen Produktionsabläufen nicht mehr sein Werk, und er arbeitet nicht mehr für das konkrete Allgemeine der Gesellschaft, sondern nur noch für seinen Lohn, der nur noch seinem Subsistenzerhalt dient. Das Kapital des Mehrwertes dagegen wird angehäuft und tritt ihm fremd und beherrschend gegenüber. So entsteht, was Marx die Ausbeutung der Arbeiter bezeichnet hat und was das Selbstbewusstsein des Arbeiters als Entfremdung unterläuft.

Nach Marx soll der Mensch sich mit seiner Arbeit identifizieren und sich selbst durch seine Arbeit als Mensch mit seinen Fähigkeiten und Qualifikationen realisieren können; dazu gehört auch, sich als Mitglied einer Gesellschaft nützlich und wertvoll zu fühlen. Auch nach Hegel (1807) kann das Selbstbewusstsein entweder in der Anerkennung durch das andere Subjekt oder in der Verwirklichung des Objektes der Arbeit realisiert werden. Allerdings „bleibt das Marx’sche Subjekt aufgrund seiner Herkunft ein Arbeitssubjekt. Auch wenn es nicht arbeitet, ist es nicht zu einer ganz anderen Tätigkeit fähig. Außerhalb [davon ist es] höchstens ein Konsument“ (Han, 2015, 99; Einfügung durch Autor). Kants Pädagogik (1803) geht einen Schritt weiter. Hier werden drei ineinandergewobene Persönlichkeitsaspekte hervorgehoben, von denen der erste die Arbeit betrifft: „Das frei handelnde Wesen vermag sich selbst zu erhalten, es ist ein Glied der Gesellschaft und es hat für sich selbst einen inneren Wert“ (Höffe, 2015, 108). Somit stellt Arbeit einen zentralen Faktor im Zusammenhang mit personaler Freiheit, Souveränität und subjektiver Selbstachtung dar.

Menschen wollen heute durch ihre Arbeit nicht nur ihres Subsistenzerhalts wegen Geld verdienen, sondern vor allem subjektive Formen von Freiheit verwirklichen können und Zugang zu Konsum und öffentlichen Gütern haben. Darunter werden verschiedene Sinndimensionen subsummiert, Identifikation mit der Arbeitsleistung bzw. dem Produkt, angemessene Herausforderung der persönlichen Qualifikationen und Potenziale, die Erfahrung von Selbstwirksamkeit, Karrieremöglichkeiten, Statusverbesserung und Anerkennung (Ricœur, 2006; Honneth, 2010). Des Weiteren die Teilhabe an Interaktions- und Kommunikationsprozessen, die Entwicklungen auf innovativer, wissenschaftlicher Ebene ermöglichen, aber auch an politischen, gesellschaftlichen und sozialen Prozessen – idealtypisch gesprochen die Erfahrung von Fülle oder sogar Erfüllung (Honneth, 2015). Parallel dazu rückt, mit zunehmender Digitalisierung, die unmittelbare Erfahrung dessen, was mit der Arbeit produziert wird, in immer größere Ferne. So wie die virtuelle Arbeit vor Bildschirmen in die Nähe von Verwaltungsakten rückt, werden diejenigen Menschen, die aus der digitalen Rationalisierung herausfallen, auch nur noch verwaltet und drohen durch das Selbstverständnis der Kapitalgesellschaft in eine mindere Kategorie des Menschseins abgedrängt zu werden.

Obwohl die Verbreitung der Geldwirtschaft Menschen Vorteile eingebracht hat – die Überwindung des Feudalismus und die Entwicklung moderner Demokratie sind nur zwei wichtige Beispiele –, nimmt sie destruktiven und entfremdenden Einfluss auf Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und das Individuum, für das sie schon in der Moderne die Stellung des Selbstwertgefühls ersetzt hatte. Entgrenzte Vorstellungen der Profitmaximierung gehen eine fragile Hybridisierung mit entgrenzten und sinnentleerten Konsumvorstellungen von Bürgern und Bürgerinnen ein; alles sinnlich Wahrnehmbare tritt schließlich in eine Assoziation mit Konsum und Geld ein (Simmel, 2009).

Auf diese Weise wurde Geld zum Selbstzweck, Basis für die Errichtung einer neuen Feudalität – jener der Banken, Brokerinnen und Spekulanten –, und erfährt so in der Postmoderne eine neue Hybridisierung von virtuellem Spiel und Verdienst, in der die individuelle Gier die einzige und soziale Verantwortung keine Rolle mehr spielt. Die Banken- und Finanzkrise ab 2007 hat gezeigt, dass mit korrupter Geldwirtschaft auch demokratische Grundwerte unterlaufen werden und dass dies zu einem neoliberalen Staatsbankrott führen kann (Türcke, 2015); der spekulative Kapitalismus führte sich selbst ad absurdum. Das Mysterium der Kaufkrafterschaffung kennt scheinbar keine Grenzen, weder von Seiten der Erfinder noch ihrer Nutzer, Bitcoins und andere Erzeugungen von Kunstgeld in Internetwelten sind ein lebendiges Beispiel für diese aus der Balance geratenen Prozesse. In unserer Zeit ist Geld daher ein zentrales Anthropologicon (etwas, das unbedingt zum Menschen gehört), eines, das von einem Hof von Stolz oder Scham umgeben ist, das sich im Ungesehenen wie ein Geschwür ausbreiten kann, weil es gesellschaftlich vollkommen tabuisiert wird (Han, 2016).

Geld ist deshalb für den Menschen so zentral, weil es Zugang zu Besitz und Eigentum gewährt, dem dritten Punkt in dieser kurzen Abhandlung. Obwohl es fraglich ist, ob es in der Frühzeit individuelles Eigentum gab – der Erwerb erfolgte wahrscheinlich durch Aneignung und Tausch herrenloser Güter –, gehen die meisten Urheber von Eigentumstheorien von einem Recht auf Eigentum aus (Hume, 1739–1748; Locke, 1690). Besitzstandsansprüche haben sich daher vermutlich historisch entwickelt.

Aus Besitz werden unterschiedlichste subsidiarische Ansprüche abgeleitet, die anthropologisch Bedeutung haben. Besitz an sich kann transzendieren und Machtansprüche entstehen lassen. Das betrifft Ländereien, Naturalien, Dienstleistungen, aber auch der Absolutismus und Feudalismus der Frühen Neuzeit haben das gezeigt (Anter, 2012). John Locke publizierte 1690 (anonym) eine erste Streitschrift gegen die Besitztumsmacht des Königs von England zugunsten des Bürgertums, in der er sich für eine liberale Nutzung des Eigentums und die individuelle Bildung von Reichtum aussprach. Die Rechte auf Leben, Freiheit und Eigentum binden bei Locke die Staatsgewalt (ebd.). Auch für Jean-Jacques Rousseau (1755), der eigentlich eine kritische Haltung zum Besitz einnahm, war Eigentum hinsichtlich menschlicher Freiheit unverzichtbar.

Die Industrialisierung brachte vollkommen neue soziale Probleme mit sich (Schichtenbildung, Pauperisierung), die es nötig machten, über das Problem des Eigentums neu nachzudenken (Gamm, 1997). Mit John Rawls (1979), der das Recht auf Besitz als eine der Grundfreiheiten betrachtete, wurde die Frage des Eigentums in Verbindung mit der Frage der Gerechtigkeit gebracht und konzeptuell zunehmend in die gesellschaftliche Gesamtdynamik eingebunden (Luhmann, 2001; Bourdieu, 1993). Besitz und Eigentum schließen seither Vorstellungen des Gebrauchs, der Ertragsnutzung und der Verwaltung ein. Staatsrechtlich hat der Besitzer Anspruch auf die Verteidigung seines Eigentums durch die Rechtsstaatlichkeit; dafür allerdings muss er dem Staat gegenüber für seinen Besitz entsprechende Abgaben bezahlen. Besitz ist zeitlich nicht eingeschränkt und er kann vererbt werden, er darf verändert oder veräußert werden. Umgekehrt verpflichtet Eigentum auch, man kann es unter bestimmten Umständen nicht zum Schaden anderer gebrauchen und es kann gepfändet werden. Allerdings, geistiges Eigentum, eine Errungenschaft unter anderem der Säkularisation und der Errichtung von Universitäten, ist davon ausgeschlossen.