Kitabı oku: «Geheilt statt behandelt», sayfa 4

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Bei so vielen Problemen mit Polypharmazie und Extrakosten im stationären und ambulanten Bereich wundert man sich, warum sich die Krankenkassen nicht gegen diesen kostentreibenden Turbo wehren. Offenbar, weil viele Kassen selbst von ihm profitieren. Wir wissen das seit Herbst 2016, als dem Chef der Techniker Krankenkasse, Dr. Jens Baas, der Kragen platzte und er andere Kassen (gemeint – aber nicht explizit genannt – waren vermutlich die AOKs, die zu den einflussreichsten Playern im Gesundheitslobbyismus gehören) beschuldigte, sie hätten in den vergangenen Jahren bis zu eine Milliarde Euro in „Drückerkolonnen“ investiert, um Ärzte zu mehr und schwereren Diagnosen anzustiften. Das würde diesen Kassen ermöglichen, mehr Geld aus dem Risikostrukturausgleich abzugreifen.34 Einige Kassen, nicht jedoch alle, dementierten diese Beschuldigungen. Wie glaubwürdig diese Dementis sind, lässt sich an der Bereitschaft der Krankenkassen ablesen, Medikationsanalysen durch öffentliche Apotheken, die Verordnungskaskaden detektieren könnten, zu honorieren. Bislang Fehlanzeige.

Doch Polypharmazie, mehr Nebenwirkungen und dadurch bedingt gelegentliche Krankenhauseinweisungen sind letztlich die geringsten Probleme, die mit „chronisch krank“ assoziiert sind. Chronisch krank zu sein macht einsam, kostet Lebensqualität und Lebensjahre, sodass in einigen Ländern die Lebenserwartung zu sinken beginnt – nicht gerade das, was wir uns vom Fortschritt in der Medizin erhoffen …

KAPITEL 3
100 JAHRE UND NICHTS NEUES

Medizinisch gibt es für „chronisch krank“ oder „Chroniker“ keine einheitliche Definition. Noch nicht einmal die Dauer ist definiert.1 Ist man schon ab einem Jahr des Leidens chronisch krank? Oder doch schon ab sechs Monaten oder erst ab zwei Jahren? Eher stehen chronisch Kranke unter lebenslanger medizinischer Kontrolle und Behandlung.

Die meisten chronischen Erkrankungen – mit nur wenigen Ausnahmen – sind nicht übertragbar, also nicht ansteckend; es handelt sich damit nicht um Infektionskrankheiten. Ansonsten können ganz unterschiedliche Organe und Körperfunktionen betroffen sein: Gelenke (zum Beispiel Arthrose, Arthritis), Herz (zum Beispiel koronare Herzkrankheit, Herzinsuffizienz), Lunge (zum Beispiel Asthma, chronisch obstruktive Lungenkrankheit), Gehirn (psychische Störungen und Demenz), Niere (Diabetes) und im Prinzip alle Organe bei den verschiedenen Krebserkrankungen.

Krankheiten nicht ursächlich zu verstehen und sie dadurch dauerhaft zu machen, das heißt zu chronifizieren, hat weitaus mehr Implikationen, als dass Arzneimittel dauerhaft eingenommen werden müssen oder auch als die Probleme der Polypharmazie bei mehreren Arzneimitteln. Die Zahl chronisch Erkrankter und das Ausmaß an Multimorbidität – also dem dauerhaften Leiden an mehreren Krankheiten gleichzeitig – kosten Lebensqualität, verkürzen das Leben und bilden inzwischen eine der wesentlichen Grundlagen für Strukturentscheidungen in unserem Gesundheitssystem; dies allerdings mit wenig Erfolg. Der vermeintliche Zuwachs an Lebenserwartung stagniert, ja in einigen Industrieländern sinkt die Lebenserwartung bereits und „mehr Geld“ ist offensichtlich nicht die Antwort. Die Probleme und Ursachen scheinen fundamentaler zu sein.

Chronisch krank kostet Lebensqualität

Dramatisch sind für chronisch Kranke und deren Angehörige oft die sozialen und familiären Konsequenzen. Denn sie haben neben dem Arzt sehr unterschiedliche Berührungspunkte mit dem Gesundheitsund Versorgungssystem, von der Pflege bis zum Sozialgericht. Diese sind meist viel häufiger und auch unerfreulicher und belastender als die eines „normalen“ Kranken. Zwar können auch ein Zuviel an Therapie und ständig wechselnde Ansprechpartner im Versorgungssystem erheblich belasten, viel dramatischer sind aber die großen Defizite zum Beispiel bei der Unterstützung psychisch erkrankter Menschen. Der Trend, die an sich erstrebenswerte Deinstitutionalisierung (das heißt die Ausgliederung behinderter Menschen aus der Verwahrung und Separierung in Heimen und Anstalten hin zu einem betreuten Alltag) auch auf psychisch Kranke auszudehnen, dies aber bei einem gleichzeitigen fatalen Mangel an parallelen, unterstützenden Maßnahmen, führt unter anderem zu hohen Arbeitslosenquoten und im Extremfall durch die Verknappung billiger Wohnungen zu Obdachlosigkeit. So treten unter Obdachlosen psychische Erkrankungen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung sehr viel häufiger auf. 93,2 Prozent haben im Verlauf des Lebens die Kriterien für mindestens eine psychiatrische Diagnose (Persönlichkeitsstörungen ausgenommen) erfüllt.2 Das Projekt Seewolf untersuchte, ob die Obdachlosigkeit die psychische Erkrankung verursachte oder die psychische Erkrankung die Obdachlosigkeit. Bei zwei Dritteln der Befragten bestand das psychische Leiden schon, bevor sie ihr Dach über dem Kopf verloren, im Mittel 6,5 Jahre vorher. Dies legt nahe, dass schlecht versorgte psychisch Kranke überproportional in die Obdachlosigkeit abgleiten. Auch wenn dies ein Extrembeispiel ist, zeigt es, dass die Probleme chronisch Kranker weit über Krankheitssymptome, Medikation und sonstige Therapie hinausgehen.

Der Rest der Bevölkerung merkt hiervon allerdings wenig, denn chronisch krank zu sein macht einsam und Einsamkeit hält eine Erkrankung aufrecht oder verstärkt sie.3 Das Risiko der Vereinsamung und sozialen Isolation, zum Beispiel durch Krankheit, hat zudem vielfach ökonomische Ursachen beziehungsweise diese erhöhen das Risiko. Der Anteil an Personen mit wenigen oder keinen sozialen Beziehungen steigt mit fallendem Einkommen. Menschen im unteren Einkommensbereich sind sehr viel weniger in soziale Beziehungsnetzwerke eingebunden als die Durchschnittsbevölkerung.4 Chronische Erkrankungen haben also einen dramatischen bis existenziellen Einfluss auf Lebensqualität und Lebensfreude, was an sich inakzeptabel für unsere Solidargemeinschaft sein sollte – aber leider reichen die Auswirkungen noch weiter …

Chronisch krank verkürzt das Leben

Sie könnten sich fragen: Wieso verkürzt chronisch krank zu sein das Leben, wenn doch unsere Hightechmedizin so viel erreicht hat, insbesondere eine immer weiter steigende Lebenserwartung beziehungsweise sinkende Sterblichkeit? Darüber liest man doch allenthalben. In der Tat sind zumindest in relativ hoch entwickelten Ländern seit 1900 die Sterblichkeit deutlich gesunken und die Lebenserwartung gestiegen (Abbildung 6). Wir sind also gesünder und leben länger. Aber! Worauf ist dies zurückzuführen? Zum allergrößten Teil ist dies ein Ergebnis dessen, dass wir Infektionen vermeiden oder, wenn es zu einer Infektion gekommen ist, diese wirksam behandeln können. Hierzu haben drei Komponenten beigetragen:

1.bessere Hygiene,

2.die Möglichkeit, sich impfen zu lassen, und

3.im Falle einer Infektion Antibiotika.

Rechnet man den Anteil dieser drei Maßnahmen und Therapien heraus, bleibt nicht mehr viel übrig von medizinischer Innovation, eigentlich nichts. Einige Todesursachen haben an Bedeutung verloren, andere – insbesondere diejenigen, die durch chronische Erkrankungen verursacht sind – spielen dafür eine größere Rolle. Rechnet man den Effekt, Infektionen wirksamer vermeiden oder behandeln zu können, heraus, bleibt überraschenderweise seit 1900 keine Verbesserung der Sterblichkeit beziehungsweise Lebenserwartung übrig.5 Der Rückgang der Mortalität durch Infektionskrankheiten verlief parallel zum Rückgang der Gesamtmortalität in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Sterblichkeitsrate durch alle sonstigen, nicht infektiösen Ursachen ist erstaunlicherweise seit 1900 konstant, lediglich mit einigen kleinen Schwankungen von Jahr zu Jahr. Wann immer es einen Anstieg der Gesamtsterblichkeit gab, dann erfolgte er im Allgemeinen in denselben Jahren, in denen auch die Sterblichkeitsrate durch Infektionskrankheiten zunahm. Jetzt könnten Sie denken: Wenn Menschen älter werden, kommen neue Erkrankungen wie zum Beispiel Krebs oder Alzheimer hinzu, die dann auch wieder zur Sterblichkeit beitragen. Oder: Früher haben die Menschen keinen Krebs gehabt, weil sie gar nicht so alt wurden, um ihren Krebs zu erleben. Das stimmt jedoch nicht; die Form dieser Kurven ändert sich wenig, wenn die Daten altersbereinigt an die Bevölkerung des Jahres 2000 angepasst werden. Auch die Anpassung der Daten zur Berücksichtigung von Änderungen in der Krankheitsklassifikation (also zum Beispiel weniger Herz-Kreislauf-Erkrankungen, dafür mehr Lungenerkrankungen und Krebsarten) führt nur zu einer geringen Änderung der allgemeinen Form der Kurve.

Abb. 6: Die Sterblichkeitsraten für alle Ursachen (gestrichelte Linie), nicht infektiöse Ursachen (durchgehende Linie) und Infektionskrankheiten (gepunktete Linie) in den USA von 1900 bis 1996.

Die Mortalität durch Infektionskrankheiten ging in den ersten acht Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts von 1900 bis 1980 deutlich zurück. Der Rückgang wurde allerdings jäh durch einen katastrophal starken Anstieg der Sterblichkeitsrate unterbrochen, der durch die sogenannte Spanische Grippe von 1918 verursacht wurde. Von 1938 bis 1952 war der Rückgang der Sterblichkeit pro Jahr besonders rasant. Im gesamten 20. Jahrhundert waren Lungenentzündungen und Grippe (Influenza) für die Mehrzahl aller Todesfälle durch Infektionskrankheiten verantwortlich, nach 1945 aber kaum noch Tuberkulose und Lungenentzündungen und Grippe deutlich weniger. In den 1980er- und frühen 1990er-Jahren kam das Auftreten von AIDS hinzu; Ende 1997 erinnerte ein Ausbruch der Vogelgrippe in Hongkong durch den Virusstamm H5N1, von dem bisher nicht bekannt war, dass er Menschen infizieren könnte, daran, dass die pandemische Virusgrippe weiterhin eine Bedrohung darstellt.6 Während sich viele asiatische Staaten daraufhin auf einen ähnlichen Ausbruch mit Vorbeugungs- und Pandemiebekämpfungsszenarien vorbereiteten7, versäumten dies fast alle anderen Länder, was sich ab 2019 in der durch den SARS-CoV-2-Virus verursachten Covid-19-Pandemie rächen sollte.

Zur Prävention komme ich später. Zunächst möchte ich noch festhalten, dass trotz aller vermeintlichen Errungenschaften der Medizin seit 1900 die Sterblichkeit – mit Ausnahme der Todesfälle durch Infektionskrankheiten – nicht (!) gesunken ist. Einige Todesursachen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind in den Hintergrund gerückt, andere, wie Lungen- und Tumorerkrankungen, spielen nun eine größere Rolle; so resultiert im Mittel und als Endergebnis kein Gewinn an Lebenserwartung. Aber es kommt leider noch schlimmer, wenn man nämlich über den Zeitpunkt 1999 hinaus in das 21. Jahrhundert schaut …

Die Sterblichkeit steigt

Nicht nur, dass seit 2000 die Lebenserwartung stagniert, sie beginnt in einigen Industrieländern sogar zu sinken. Die USA und Großbritannien sind hierbei die unrühmlichen „Vorreiter“, aber es wird nicht lange dauern, bis diese Entwicklung auch andere europäische Länder einschließlich Deutschland treffen wird. In den USA ist die Lebenserwartung 2019 im dritten Jahr in Folge zurückgegangen.8 Diese Veränderung machte den jahrzehntelangen medizinischen Fortschritt bei der Verminderung der Sterblichkeit – auch wenn dieser im Wesentlichen auf das enge Gebiet der Hygiene bei Infektionskrankheiten, Impfungen sowie Antibiotika zurückgeht – zunichte.

Die Ursachen hierfür sind teilweise USA-spezifisch. Ein wesentlicher Grund für frühe Todesfälle dort ist nämlich die relativ einzigartige Krise durch die verantwortungslose Verschreibung stark wirksamer Schmerzmittel (die in Deutschland alle unter das Betäubungsmittelgesetz fallen und wesentlich besser reguliert sind), aber auch durch chronischen Alkoholmissbrauch, Selbstmorde, Fettleibigkeit, Diabetes, Bluthochdruck und andere chronische Erkrankungen. Die USA leisten sich zwar das teuerste Gesundheitswesen der Welt, die Bevölkerung ist aber nicht gesünder als anderswo. Im Gegenteil, bezüglich der Lebenserwartung sind die USA im Vergleich zu anderen Industrieländern unteres Mittelmaß.

Erstmals 2013 wurde in Großbritannien bemerkt, dass sich der Anstieg der Lebenserwartung zu verlangsamen begann. 2019 wurde zum ersten Mal in 100 Jahren beobachtet, dass Großbritanniens Einwohner früher zu sterben begannen. Großbritannien hat aktuell die schlechtesten Gesundheitstrends in ganz Westeuropa. Ältere Menschen, Arme und Neugeborene sind am stärksten betroffen. Männer im Alter von 65 Jahren werden mit 86,9 Jahren sterben, früher als bisher mit 87,4 Jahren; Frauen, die heute 65 Jahre alt sind, werden wahrscheinlich mit 89,2 Jahren sterben, ein Rückgang von den bisherigen 89,7 Jahren. Mit anderen Worten: Die Lebenserwartung von Menschen, die ins Rentenalter eintreten, ist um circa sechs Lebensmonate gesunken. Nun könnten Sie denken, dass die Menschen einfach den Höhepunkt ihrer Langlebigkeit erreicht haben. Man könne ja nicht erwarten, dass die Lebenserwartung ewig zunimmt. Den aktuellen Zahlen aus den USA und Großbritannien steht aber gegenüber, dass die Lebenserwartung an vielen anderen Orten der Welt, darunter zum Beispiel Hongkong, das chinesische Festland, Japan und Skandinavien, nicht sinkt und weit über dem Niveau Großbritanniens liegt.

Und Deutschland? Es gibt keinen Grund, sich als Deutscher beruhigt und stolz auf die Schulter zu klopfen. Innerhalb Europas hat Deutschland neben der Schweiz das teuerste Gesundheitswesen. Trotzdem nimmt Deutschland bei der Lebenserwartung im europaweiten Vergleich einen Platz im hinteren Drittel ein; und das gilt auch für die Gesundheit der Bevölkerung insgesamt.

Noch sind die Zustände in Deutschland nicht wie in den USA. Dort leben ja auch Millionen Menschen ohne Krankenversicherung und der Opiat-Skandal ist wohl einzigartig. Doch die soziale Dimension der Medizin und die Zusammenhänge von sozialem Status, Bildung und Gesundheit werden in Deutschland zu wenig beachtet. Die größte Gefahr für die Gesundheit geht schließlich von Armut und mangelnder Bildung aus, von Einsamkeit und unsicheren beruflichen Verhältnissen. Um diese wichtigen Aspekte des Wohlergehens kümmert sich die Gesundheitspolitik so gut wie nicht, auch die meisten Ärzte und Kliniken lassen die Menschen damit allein, können es qua Kompetenz auch gar nicht. Hier wären komplett andere Disziplinen gefordert: Sozialarbeiter, Psychologen, Coaches und Ernährungsberater, doch der Geldtopf für die Gesundheit scheint aufgebraucht. Aber ist es allein Geld, das den Unterschied macht …?

Mehr Geld allein ist nicht die Lösung

Nein, mehr Geld allein bedeutet nicht automatisch mehr Gesundheit. Die von Forschern der Beratungsfirma Boston Consulting Group anhand von Daten der Weltgesundheitsorganisation und der Weltbank für das Weltwirtschaftsforum zusammengestellte Grafik (siehe Abbildung 7) zeigt die gesundheitsbereinigte Lebenserwartung, also die erwartete Zahl der Jahre, die ein Mensch krankheitsfrei lebt, weltweit für verschiedene Länder auf der y-Achse und die jährlichen Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben auf der x-Achse.

Im Idealfall würden sich die Punkte der Länder alle im linken oberen Bereich der Grafik befinden, da hier die gesunde Lebenserwartung ohne einen wesentlichen Anstieg der Ausgaben zunimmt (als Ideallinie angedeutet). Viele auf dieser Linie, vor allem Entwicklungsländer (die weißen Kreise), erreichen offensichtlich mit relativ wenig Aufwand einen hohen gesundheitlichen Standard für ihre Bevölkerung. Aber diese Grafik zeigt auch, dass in weiten Teilen der Welt bei den Industrieländern (die schwarzen Kreise im oberen Bereich der Grafik) fast das Gegenteil eingetreten ist: Die gesunde Lebensspanne nimmt in diesen Ländern nicht weiter zu, obwohl bis zu zehnmal mehr Geld pro Einwohner für die Gesundheitsversorgung ausgegeben wird; weltweit jährlich rund acht Billionen Dollar sind es bei den angeblich entwickelten Nationen.

Abb. 7: Mehr Input bringt nicht mehr Output.9 Verteilung der Gesundheitsausgaben (in US-Dollar) pro Einwohner und der Effekt auf gesunde Lebensjahre (Stand 2015) in verschiedenen Ländern. Der wissenschaftliche Name lautet „Health-adjusted life expectancy“ (HALE) oder „gesundheitsbereinigte Lebenserwartung“ und ist ein umfassenderer Indikator als die Lebenserwartung, weil er über die bloße Lebenszeit hinaus auch Lebensqualität beurteilt. Es ist die Zahl der Jahre in voller Gesundheit, die ein Individuum unter den gegenwärtigen Bedingungen (Erkrankungshäufigkeit und Lebenserwartung) erwarten kann. Die einzelnen Kreise symbolisieren verschiedene Industrie- und Entwicklungsländer (die Position der USA ist markiert). Die Größe der Kreise zeigt die Gesundheitsausgaben in Prozent des Bruttosozialprodukts (Stand 2014).

Auffällig ist, dass die USA die höchsten Kosten pro Kopf und gemessen am Bruttosozialprodukt haben und dennoch von allen Industrienationen mit die niedrigste gesundheitsbereinigte Lebenserwartung. Amerikaner geben mehr als das Fünffache dessen aus, was zum Beispiel Chilenen ausgeben, obwohl die chilenische Bevölkerung tatsächlich länger lebt als die US-amerikanische.

Es gibt mehrere Aspekte, die dazu beitragen, dass die USA und Großbritannien (noch) Ausreißer im internationalen Vergleich sind, auch im Vergleich zu anderen reichen Ländern, gegenüber denen die USA dreimal so hohe Gesundheitsausgaben pro Kopf haben. Die Verwaltungskosten im Gesundheitssektor in den USA sind hoch. Auch große soziale Ungleichheiten bei den Gesundheitsausgaben scheinen ein Treiber zu sein. Eine wachsende Anzahl von Ausgaben wird nicht durch Krankenversicherungen abgedeckt, was dazu geführt hat, dass sich die Gesundheitsangebote stark auf die einkommensmäßig obersten fünf Prozent der Patienten konzentriert haben; diese machen fast die Hälfte der Ausgaben aus; die des obersten einen Prozents der Patienten fast 20 Prozent der Ausgaben.

Auch in Deutschland ist das Gesundheitssystem immer mehr von kommerziellen Interessen und Optimierungen getrieben. Zwar ist jeder krankenversichert und egal, ob privat oder gesetzlich, die Behandlung wird prinzipiell gleich gut sein. Dennoch gibt es falsche Anreize (siehe Kapitel 6) und entgegen allen Beteuerungen der Politik, dass dem nicht so sei, wächst die Bedeutung von Privatversicherten für die Finanzierung des deutschen Gesundheitswesens immer weiter. Da jedoch für Privatversicherte die Behandlungskosten ohne Budgetgrenzen erstattet werden, zahlen sie für viele medizinische Leistungen höhere Honorare. Im Jahr 2017 flossen 36 Milliarden Euro durch Privatpatienten ins System. Wären sie gesetzlich versichert, hätte das System 13 Milliarden Euro, also über ein Drittel davon, verloren. Im ambulanten Bereich ist der Mehrumsatz besonders hoch. Die Arztpraxen würden ohne die private Krankenversicherung jährlich über sechs Milliarden Euro einbüßen. Umgerechnet sind das durchschnittlich mehr als 54.000 Euro pro Jahr, die pro Arztpraxis im Vergleich zu heute fehlen würden. Das entspricht zum Beispiel 1,75 Sprechstundenhilfen, die eine Praxis dann nicht mehr beschäftigen könnte. Viele niedergelassene Ärzte geben unumwunden zu, dass sie ohne Privatpatienten ihre Praxis nicht am Leben halten könnten und schließen müssten. Kein Wunder, dass Privatpatienten bevorzugt werden, ob dies nun öffentlich ausgesprochen oder als politisch inkorrekt verschwiegen wird; es ist Fakt. Und wer würde nicht die beste Kundschaft, die essenziell für das Überleben der Praxis ist, bevorzugt behandeln? Im Krankenhausbereich ist der Anteil des Mehrumsatzes übrigens viel niedriger, was daran liegt daran, dass hier privat und gesetzlich Versicherte nach demselben Vergütungssystem abgerechnet werden, außer eventuell durch eine Unterbringung im Ein- oder Zweibettzimmer oder die Behandlung durch den Chefarzt – übrigens ein zweifelhafter Vorteil.

Geld allein macht also nicht gesund beziehungsweise zu wenig Geld erklärt nicht den hohen Anteil chronisch Kranker und den auch bei uns drohenden Verlust an gesunden Lebensjahren. Es bleibt festzuhalten, dass die Lebenserwartung der Menschen in den letzten 100 Jahren in vielen Teilen der Welt zugenommen hat, diese Zunahme aber nun stagniert und in einigen Industrieländern sich ins Gegenteil zu verkehren beginnt. Dabei wächst der Anteil der Lebenszeit, in der eine Person am Ende ihres Lebens mit Behinderung und Krankheit lebt, insbesondere bei Frauen. Betreiben wir also weiter Ursachenforschung …