Kitabı oku: «Das verlorene Seelenheil», sayfa 4

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Frühlingserwachen

Brac marschierte mit Amanoue auf seinen Armen über den Hof und blieb vor dem U-förmigen Bauwerk stehen. „Also nur noch mal zur Erklärung, die Soldatenunterkunft besteht aus drei Langhäusern, die miteinander verbunden sind. Links von uns, wohnt die erste Abteilung, also Herriks Männer, die zweite, also wir, sind in der Mitte untergebracht, aber das weißte ja eh schon und das rechte Gebäude wird von Ulrichs Leuten bewohnt. Jedes Langhaus besitzt fünf Schlafräume à zehn Mann und noch eines für die Unteroffiziere, allerdings penn ich lieber bei meinen Jungs! Ich hab mir eh ein anderes Bett anschaffen müssen, das in der Offizierskammer war ein bissel zu kurz für mich und viel zu schmal“, meinte er augenzwinkernd. „Außerdem gibt’s noch einen Gemeinschaftsraum, da wo wir immer rumhocken, den kennst du ja auch zur Genüge und direkt dahinter sind unsere Schlafräume. Die Hauptleute sind in einem eigenen Trakt untergebracht, selbstverständlich im Schloss“, sagte er etwas spöttelnd.

Amanoue nickte leicht. „Lässt du misch bitte runter? Isch würde lieber auf meine eigene Füße reingehen“, bat er leicht verlegen.

„Kannste denn gehen?“, fragte Brac abschätzend und Amanoue nickte erneut.

„Klar doch, die paar Schritte schaffe isch schon“, meinte er bestimmt und so setzte Brac ihn vor sich ab. Amanoue schnaufte tief durch, was einem schweren Seufzer gleichkam. „Und wo schlafe isch?“

„Na bei uns! Wir stellen dir einfach noch ein Bettchen rein! Ach nee, brauchen wir ja gar nicht, Alecs Bett ist eh noch unbesetzt, wenn`s dir nix ausmacht?“

Amanoue schüttelte kurz den Kopf. „Nein, gar nischds und außerdem kann isch in meine Situation wohl eh keine Ansprüsche stellen“, seufzte er zu ihm hoch.

Brac grinste auf ihn hinab und tätschelte ihm aufmunternd die Schulter. „Na dann, lass uns reingehen und ein erstes Bierchen auf dein neues Zuhause schlürfen!“

„Oje, was die Jungs wohl dasu sagen werden?“, murmelte Amanoue befürchtend, doch Brac schob ihn schon sachte an.

„Na was wohl, die werden sich freuen! Wie immer, wenn sie dich sehen, naja, außer Benny vielleicht. Der wird wohl nich ganz so erfreut darüber sein, aber du musst ja zum Glück nicht direkt neben ihm pennen. Alecs Bett steht ganz hinten und Bennys ziemlich weit vorne, auf der anderen Seite und an seine dummen Sprüche bist du doch eh schon gewöhnt“, winkte Brac lässig ab.

„Ja, schon“, seufzte Amanoue wieder und zog den Umhang enger um seine schmale Gestalt. „Wirklisch saukalt, brrr“, machte er und Brac lachte.

„Dann Abmarsch mit dir, rein ins Warme“, sagte er drängend und beide betraten rasch das Wachgebäude.

Wie immer war der Aufenthaltsraum gut gefüllt, wenn nicht sogar überfüllt und wirklich jeder Tisch und Sitzplatz war besetzt. Brac schob Amanoue weiterhin vor sich her und nicht wenige der Soldaten grüßten freundlich, als sie deren Tische passierten, um an ihren Stammplatz zu gelangen.

Natürlich waren die Jungs erstmal baff als sie erfuhren, dass Amanoue bei ihnen einziehen würde und Benny verschränkte auch gleich abschätzend die Arme vor der Brust. „Was hast du denn jetzt wieder angestellt?“, fragte er, die Augen maßlos übertrieben verdrehend.

„Er hat gar nichts angestellt!“, antwortete Brac sogleich. „Seine Majestät meinten nur, dass es dem Kleinen mal guttun würde, wenn er als sein Adjutant auch das echte Soldatenleben kennenlernt!“

„Wer`s glaubt“, raunte Benny höhnisch und Brac hob drohend eine seiner riesigen Pranken. „Ist ja schon gut“, wiegelte Benny schnippisch ab, „man wird ja mal fragen dürfen! Herrje, was bist`n so schlecht drauf!“

„Halt deine vorlaute Klappe, Benny! Oder ich lass dich `ne extra Wache schieben und zwar draußen“, drohte Brac ihm nochmals nachdrücklich an und sein jüngster Rekrut wandte sich beleidigt ab.

„Du hast ja wahnsinnig abgenommen!“, sagte er dafür wieder übertrieben staunend zu Amanoue. „Wie hast`n das geschafft, bei der Wampe, die du hattest?“

Amanoue zuckte nur die Achseln und wich seinen musternden Blicken aus, was Benny noch mehr Zunder zu geben schien. „Also die Fastenkur musst du mir echt mal verraten oder lag es daran, dass du dich seit Wochen hier nicht mehr hast blicken lassen? Wo hast`n gesteckt?“

„Mir ging es eine Seitlang nischd so gut“, antwortete Amanoue verhalten und Benny klatschte in die Hände.

„Wusste ich`s doch! Wir haben uns nämlich alle schon gewundert, wegen der eigens zu deiner Bewachung abgestellten Leute“, platzte es aus ihm heraus. „Nun erzähl schon, was war wieder los?!“

Auch die anderen am Tisch sahen Amanoue neugierig an und so blickte der hilfesuchend zu Brac. „Lass ihn in Ruhe, Benny! Ihr alle!“, brummte ihr Vorgesetzter. „Holt uns lieber mal einer von euch Knilchen `n Bier!“, verlangte er und Finn nickte.

„Da war doch wieder was, zwischen dir und seiner Majestät“, ließ Benny einfach nicht locker und endlich sah ihn Amanoue direkt an.

„Wir sind nischd mehr susammen, alles klar jedsd? Seine Majestät hat misch rausgeworfen, endgültig! Und wenn ihr den Grund dafür auch noch wissen wollt, isch habe ihn betrogen, mit eine Frau“, sagte er und senkte durchschnaufend wieder seinen Blick.

Alle am Tisch starrten ihn an. „So, jetzt wisst ihr es und nun kein weiteres Wort mehr darüber“, zischte Brac sie drohend an. „Der Kleine wird erstmal hier bei uns unterkommen und im Frühjahr wird sich zeigen, wie es weiter geht, aus, ende!“

Finn stand schluckend auf, holte zwei Bier und stellte sie vor ihnen hin. „Scheiße Mann“, sagte er zu Amanoue und der nickte seufzend.

„Das kannst du laut sagen!“

„War sie`s wenigstens wert?“, fragte Matto grinsend.

„Nein, nischd wirklisch“, antwortete Amanoue genervt. „Sie war nur eine von diese willige Weiber, wie du immer sagst, isch habe sie einfach flachgelegt und das wars!“

Bernard hob die Augenbrauen. „War sie wenigstens hübsch? So wie die Kleine in Averna?“

„Ja! Und noch viel `übscher!“, zischte Amanoue zu ihm hin.

„Na dann, c`est la vie, mon ami“, meinte er und stieß mit ihm an.

„Du hattest schon mal was, mit `ner Frau?“, piepste Benny entsetzt.

„Stell dir vor! Und, nischd nur mit diese! In Averna waren es sogar swei!“, antwortete Amanoue angekratzt und unwillkürlich lachten einige auf.

„Die fette Lola!“, prusteten Finn und Matto los und auch Brac musste grinsen.

„Ach haltet doch die Klappe“, zischte Amanoue sie beleidigt an und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ich fasse es nicht“, murmelte Benny schockiert, „kein Wunder, dass ER dich rausgeschmissen hat! Also ich, würde seine Majestät ja nie…“

„Halt die Klappe, Benny!“, kam es aus den Mündern seiner Kameraden und Benny ruckelte beleidigt mit dem Kopf.

„Na denn, Prost“, meinte Matto und hob seinen Krug. „Willkommen, bei unserem Haufen!“

***

Henry schlug die Decke zurück, küsste sich zärtlich über die linke Pobacke nach oben und Amanoue rekelte sich lächelnd. Er blickte ihn über seine linke Schulter hinweg an und Henry küsste ihn auch darauf. „Isch liebe disch“, flüsterte Amanoue und Henry sah ihn liebevoll an. Doch dann begann sich dessen Gesicht zu verändern, zerfloss wie schmelzendes Wachs und wurde mehr und mehr zu einer entstellten Fratze.

„Ich hasse dich“, kam es aus dem verzerrten Mund und Amanoue wachte schreiend auf.

„Wieder mal ein Albtraum?“, nuschelte es von Finn herüber.

„Ja“, antwortete Amanoue und setzte sich halb auf. „Und es ist immer die gleische…“

„Oh Mann, halt die Klappe“, kam es genervt von weiter vorn. „Jede Nacht das Geschreie, von dir! Wie soll man da schlafen?! Du musst ja nicht frühmorgens aufstehen“, meckerte Benny.

„Isch kann doch auch nischds dafür“, verteidigte Amanoue sich betreten. „Entschuldige, bitte.“

„Hättest halt deinen Schwanz besser unter Kontrolle halten sollen“, brummte Matto.

„Wahnsinn, dass wir beide mal einer Meinung sind“, sagte Benny zynisch. „Ich habe doch glatt, gerade das gleiche gedacht…“

„Ruhe!“, bellte Brac herüber und alle legten sich wieder hin.

Amanoue starrte eine Weile vor sich hin, bis wieder die üblichen Schlafgeräusche der anderen erklangen. Brac schnarchte vor sich hin, Finn seufzte leise im Traum, ein anderer nuschelte irgendetwas unverständliches und irgendwer furzte langgezogen. Stöhnend zog er die Decke über seinen Kopf und versuchte vergeblich wieder einzuschlafen, nur um eine Stunde später doch aufzustehen. Leise zog er sich an, schnappte sich noch den Umhang und schlich sich hinaus, so wie er es in den letzten Nächten oft getan hatte.

Der Schnee glitzerte wie eine blaue, mit Diamanten übersäte Decke und Amanoue atmete tief durch. Die Nachtluft war kalt, aber nicht mehr so eisig wie noch vor zwei Wochen, als er sein Gemach verlassen hatte. Seitdem verlief jeder Tag gleich, Amanoue wanderte die halbe Nacht ruhelos umher, legte sich erst bei Sonnenaufgang wieder hin und schlief dann bis mittags. Danach aß er etwas und suchte sich anschließend irgendeine Arbeit. Als erstes hatte er sich ihren Schlafraum vorgenommen und der erstrahlte seitdem in einem nie dagewesenen Glanz. Auch hatte er es sich zur täglichen Aufgabe genommen fortan die Betten der Jungs zu machen und so war deren Schlafraum mittlerweile zu dem wahrscheinlich ordentlichsten der ganzen Garde geworden. Nach dem Abendessen vertrieb er sich die Zeit im Gemeinschaftsraum, würfelte mit den Jungs oder unterhielt sich mit Marius, der ihn wie versprochen, regelmäßig aufsuchte. Doch der konnte ihm jedes Mal auch nur immer das gleiche berichten, nämlich so gut wie gar nichts. Da noch immer keine öffentlichen Audienzen stattfanden, vergrub sich der König weiterhin in seinen Gemächern oder saß mit seinem Onkel und seinem Bruder im kleinen Saal herum.

Die einzige Abwechslung war hin und wieder Satory, der ihn ebenfalls ab und zu besuchte, doch auch der wusste ihm nichts Neues zu erzählen, da Henry sich auch ihm gegenüber abschottete.

Und so verliefen die nächsten Wochen alle im selben Trott und vergingen zäh wie Leim. Der Februar kam und brachte zum Ende hin endlich milderes Wetter, der Schnee schmolz und das Schloss schien damit wie aus einem Dornröschenschlaf zu erwachen. Der König begann wieder Audienzen zu halten und somit mussten die Gardisten ebenfalls wieder ihren regelmäßigen Dienst in der großen Halle aufnehmen, was zur Folge hatte, dass Amanoue immer häufiger alleine herumsaß.

Am ersten März, seinem neunzehnten Geburtstag, schien die Sonne bereits wieder warm vom strahlend blauen Himmel und da seine Freunde allesamt zur Wache eingeteilt waren, verließ er gleich nach dem Mittagessen den Gemeinschaftsraum.

Eine Weile schlenderte er gelangweilt im hinteren Teil des riesigen Innenhofes umher, bis er schließlich vor dem großen, zweiflügeligen Tor stand. Nachdenklich blickte er auf den dicken, langen Querbalken, der es neuerdings noch zusätzlich verschloss und trat heran. Damals hatte er es nur mit Richards Hilfe geschafft, das schwere Tor zu öffnen und so seufzte er erst einmal. Wie wohl der Garten jetzt nach dem harten Winter aussah? Hatten die jungen Bäume überlebt? Stand der Pavillon überhaupt noch oder war er den schweren Herbststürmen zum Opfer gefallen? Was war aus dem Springbrunnen geworden? Oder hatte Henry vielleicht sogar tatsächlich alles wieder abreißen lassen und damit seine Drohung wahrgemacht…

Allein würde er den Querbalken niemals heben können, da war er sich hundertprozentig sicher und doch versuchte er es. Zaghaft legte er seine zierlichen Hände auf die Unterseite und drückte nach oben. Nichts bewegte sich, der Balken rührte sich keinen Millimeter breit und so versuchte er es noch einmal. „Na komm schon“, murmelte er vor sich hin, stemmte sich mit aller Kraft dagegen, das Holz knirschte verdächtig und, gab plötzlich nach. Wie von unsichtbaren Kräften unterstützt, hob Amanoue den zentnerschweren Balken hoch und warf ihn auf die Seite. „Puh!“, machte er durchschnaufend, schob den Riegel zurück und zog eine Flügelseite des Tores auf. Gerade soweit, dass er durch einen Spalt hindurchschlüpfen konnte und sah sich staunend um. Die ersten zarten Triebe zeigten sich an den jungen Obst- und Zierbäumen, grüne Sprosse der Lilien durchbrachen gerade das feuchte Erdreich, die Rosenbüsche zeigten die ersten rötlichen Blattknospen, hunderte blühende Schneeglöckchen säumten den Kiesweg rechts und links davon, einige vorwitzige Gänseblümchen hatten ihre kleinen Blütenköpfe dazwischengeschoben und hier und da blühten sogar schon einige Anemonen.

Amanoue wurden unwillkürlich die Augen feucht bei diesem unverhofften Anblick und die Erinnerung an die Erschaffung des Gartens ließ ihn leise schluchzen. Wie sehr hatten er und die Jungs geschuftet und sich abgerackert, monatelang unermüdlich daran gearbeitet und dann hatte alles ein so jähes Ende genommen…

Er schlenderte den Weg entlang, entdeckte voller Freude die von ihm gesetzten Erdbeerpflänzchen, die sich ebenfalls anschickten den Frühling zu begrüßen und sogar schon die ersten kleinen Blütenknospen in ihren Herzen bargen. Einige Bienen flogen bereits in der Hoffnung auf Nektar herum, ein erster Zitronenfalter gaukelte noch etwas steif wirkend über die ehemalige Wiese, die bald ein Blütenmeer werden würde und Amanoues Blick folgte ihm lächelnd, bis er ihn aus den Augen verlor. Langsam spazierte er weiter, genoss jeden einzelnen Atemzug der lauen, zart duftenden Frühlingsluft und hinter der sanften Biegung tauchte das Kernstück des Gartens auf. Sein Meisterstück! Genau in der kreisrunden Mitte des von ihm erschaffenen kleinen Paradieses, thronte der steinerne, dreistufige Springbrunnen, mit den antiken Götterstatuen drumherum. Er lief zwar nicht, aber dennoch war sein Anblick geradezu imponierend in seiner majestätischen Schönheit und Amanoue brach endgültig in Tränen aus.

Weinend ließ er sich zu Boden sinken und verbarg sein schönes Gesicht hinter seinen Händen. Wie stolz war er gewesen, wie sehr hatte er sich gefreut, darauf gefreut, dies alles Henry zeigen zu können und nun war alles aus und vorbei.

Was war er nur für ein Narr gewesen, eben, ein dummes Ding, wie Sebastian ihn so oftmals bezeichnet hatte und die Erinnerung an den alten Mann brachte ihn noch mehr zum Weinen. Völlig aufgelöst saß er heulend da, bis endlich keine Tränen mehr kamen und so raffte er sich schließlich auf.

Was würde nun aus ihm werden? Brac hatte ihm ja schon bei seinem Umzug eindeutig zu verstehen gegeben, dass er hier nicht länger als nötig erwünscht wäre, höchstens bis zum Frühling und der stand unmittelbar vor der Tür. Aber wo sollte er hin?

Er war völlig mittellos. Irgendwie, musste er zu Geld kommen, denn alles, was er besaß, trug er am Körper, einen Körper, den er verkaufen konnte…

***

„Eure Majestät, es ist mir eine Ehre“, bedankte sich der Graf von Lothringen mit einer tiefen Verbeugung, als er die Einladung zum abendlichen Bankett aus dem Munde des Königs erhalten hatte.

„Und mir eine außerordentliche Freude“, entgegnete Henry mit einem aufgesetzten Lächeln. „Wir sehen uns also später, Ihr und Euer Sohn werdet Euch sicher noch etwas frischmachen wollen.“

Der hohe Adlige deutete erneut eine Verbeugung an und gab seinem Spross einen leichten Stoß. Der junge Mann wirkte recht unbeeindruckt und blickte gelangweilt, wenn nicht sogar unverschämt hochnäsig, umher. Nach der unmissverständlichen Aufforderung seines Vaters sah er sich jedoch genötigt, seine Aufmerksamkeit wieder dem König zu widmen und so verbeugte auch er sich mit einem frechen Lächeln. Er war hübsch, ohne Frage, auffallend hellhäutig und seine vorwitzige Stupsnase zierten unzählige rötliche Sommersprossen. Sein Haar war blond, ebenfalls mit einem kupfer-rötlichen Schimmer und einige Fransen hingen ihm keck in die Stirn, was ihm zusätzlich noch ein unverschämt freches Aussehen verlieh. Die ungewöhnlich bernsteinfarbenen Augen hielten den König einen Moment länger als nötig fest und zwangsläufig stahl sich auch auf dessen Lippen ein kleines Lächeln. Oh ja, dieser Frechdachs war ganz nach seinem Geschmack, wäre es zumindest früher gewesen, als er noch ein Beuteschema gehabt hatte und sein Herz noch funktionierte. Aber jetzt war es wie taub, alles in ihm war taub geworden und, verbittert.

Der Graf hatte sich längst mit seinem Sohn zurückgezogen, als Wilhelm ihn am Arm packte und derart fest zudrückte, dass Henry fast aufschrie. „Sie sind weg! Du kannst aufhören, Löcher in die Luft zu starren!“, raunte er verständnislos und Henry sah ihn an.

„Willst du diese Rotzgöre tatsächlich als deinen nächsten Knappen in deine Dienste nehmen?“, fragte Richard beinahe erzürnt.

Henry atmete gelassen durch und zuckte die Schultern, als würde ihn das alles nichts angehen. „Was bleibt ihm anderes übrig? Der Graf von Lothringen ist ein enger Verbündeter und er würde ihm mit einer Ablehnung wohl unnötig vor den Kopf stoßen“, erwiderte Wilhelm ebenfalls recht barsch und beide sahen zu Henry hin, der noch immer irgendwie recht unbeteiligt wirkte. „Also, was wirst du tun?“

„Keine Ahnung, ist mir auch gleich, entscheidet ihr“, antwortete Henry und stand auf. „Ich muss mich umziehen“, meinte er und schlenderte davon.

„Verdammt!“, zischte Wilhelm und schnaufte wütend durch. „So geht das nicht weiter! Er wirkt wie eine Marionette! Nickt nur oder lächelt starr vor sich hin, wie ein Idiot!“

Auch Richard entkam ein Schnauben, allerdings klang es eher verzweifelt. „Wenn wir ihm doch nur helfen könnten! Wenn irgendwer, ihm doch nur helfen könnte“, sagte er kopfschüttelnd und Wilhelm verengte die Augen.

„Dieser kleine rothaarige Bastard eben, hast du gesehen, wie er Henry angesehen hat? Als würde ein Jäger ein Wild anvisieren“, raunte er grübelnd und grinste plötzlich. „Vielleicht ergibt sich da bald ganz etwas wie von selbst“, meinte er verschwörerisch. „Lass mich nur machen, diese kleine Rotznase werde ich mir heute noch genauer ansehen und, einer eingehenden Befragung unterziehen!“, meinte er und sein Onkel seufzte geschafft.

„Sag mir wenigstens, was du vorhast“, flehte er.

„Wenn ich mit meiner Beobachtung recht liege, dann wird uns dieser Kleine vielleicht helfen können und damit Henry bald auf andere Gedanken bringen“, antwortete sein Neffe verheißungsvoll und schritt davon.

Richard sah ihm mit einer schrecklichen Vorahnung hinterher und konnte nur noch den Kopf in beide Hände stützen.

***

Das Bankett, dem auch Sybilla notgedrungen beiwohnte, entpuppte sich als außerordentlicher Erfolg. Jedenfalls was Wilhelms Bemühungen anbelangte. Gleich nach dem Abendessen nahm er sich zuerst den Jungen vor und danach führte er ein ausführliches, selbstverständlich vertrauliches, Gespräch mit dessen Vater. Der Graf schien Anfangs nicht gerade erbaut von Wilhelms Vorschlag, stimmte dann aber doch mit einem bedauerlichen Nicken zu, als Wilhelm ihn mit eindeutig zweideutigen Bemerkungen auf die Vorlieben seines Sohnes ansprach. Ganz wie nebenbei erwähnte er noch eine erst kürzliche Hinrichtung eines wegen Sodomie angeklagten Bürgers und der Graf senkte augenblicklich den Blick vor ihm. Der Mann wäre zuvor noch vor aller Augen auf einen Pfahl aufgespießt worden und hätte geschrien wie ein Schwein auf der Schlachtbank bevor er auf dem Scheiterhaufen landete, erzählte er dem Grafen anschaulich weiter und der schien endlich die versteckte Drohung darin zu erkennen. Wilhelm versprach ihm zu schweigen, aber natürlich nicht ohne Gegenleistung und so kamen sie überein, dass der missratene Spross der angesehenen Adelsfamilie als des Königs neuer Knappe bleiben durfte. Wie üblich sollte er zuerst ein Dienstjahr absolvieren, um Gehorsam und Demut zu erlernen und der Graf wünschte Henry daraufhin seufzend viel Glück und Geduld, wenn auch in dessen Abwesenheit. Wilhelm lachte nur und meinte, dass gerade dies eine besondere Herausforderung für seinen Bruder darstellen würde und der schon mit so manch andere, aufmüpfige Adelssprösslinge fertig geworden wäre. Der Graf solle nur dafür sorgen, dass sein Söhnchen ihren traurigen König endlich wieder auf andere Gedanken bringen würde, wie auch immer. Die beiden schlugen wie nach einem Viehhandel ein und so erhielt der König einen neuen Pagen. Und was für einen!

Eine Woche später reiste der Graf ohne seinen Sohn Laurin wieder ab und der zog zu Kai in die Kammer der königlichen Diener. Nach der ersten Einweisung setzte der Junge sich auf sein ihm zugewiesenes Bett und überprüfte mit dem Gesäß auf und ab hüpfend die Beschaffenheit der Schlafunterlage. „Darauf soll ich schlafen?“, fragte er höhnisch und stand wieder auf. „Ist mir zu hart! Das geht gar nicht, hol mir gefälligst eine weichere Matratze“, sagte er in einem unverschämt arroganten Tonfall und Kai sah ihn an wie ein Kalb wenn`s donnert.

„Ich glaube, du hast es noch nicht ganz kapiert, hm? Du bist jetzt nichts anderes mehr als ich! Ein einfacher Diener seiner Majestät und noch weniger sogar, da ich über dir stehe!“, antwortete er ebenso spöttisch. „Also wirst du tun, was ich dir sage und zwar ohne Widerspruch, verstanden?!“

Der Grafensohn drehte sich mit einem gelangweilten Schnauben um und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du denkst doch nicht im Ernst, dass ich den Nachttopf seiner Majestät leere“, raunte er beinahe fassungslos.

„Genau das wirst du als erstes machen! Danach säuberst du die Schüssel gründlich und bringst sie zurück ins königliche Schlafgemach“, erwiderte Kai genüsslich. „Und jetzt komm, ich zeige dir den Weg!“

Der junge Mann stieß genervt die Atemluft aus und folgte ihm die Augen verdrehend. „So habe ich mir das nicht vorgestellt“, murmelte er brummig und schlurfte ihm hinterher.

„Wirst dich schon daran gewöhnen!“, meinte Kai nur und führte ihn hinüber in Henrys Gemächer.

„Wie sieht`s hier denn aus?“, entkam es Laurin erstaunt. „So viel Geschmack hätte ich dem alten Griesgram gar nicht zugetraut! Ist der eigentlich immer so schlecht gelaunt?“, fragte er, sich wie selbstverständlich auf eine der römischen Liegen setzend und streckte sich der Länge nach darauf aus.

„Was machst du da?! Steh sofort wieder auf!“, entkam es Kai empört, doch Laurin dachte gar nicht daran. Er verschränkte gelangweilt die Hände hinter dem Kopf und blickte trotzig in die andere Richtung.

„Ich glaube, hier könnte ich es eine Weile aushalten“, sagte er wie zu sich selbst.

„Mach sofort, dass du da runterkommst! Bevor ich dir in deinen aristokratischen Hintern trete!“, herrschte Kai ihn jetzt doch langsam wütend werdend an und der Junge schenkte ihm einen genervten Blick.

„Hör zu, ich werde hier keinen Finger krumm machen, jedenfalls nicht mehr als unbedingt nötig und deinen blöden Nachttopf kannst du dir sonst wohin stecken! Ich, werde den Dreck ganz sicher nicht wegmachen, auch nicht, wenn es sich um den Dreck des Königs handelt“, erwiderte er schnippisch und Kai konnte nur noch den Kopf schütteln über so viel Frechheit.

„Das werden wir noch sehen“, murmelte er und marschierte ins Schlafgemach.

Laurin rührte tatsächlich keinen Finger und blieb eiskalt liegen, bis sich sein knurrender Magen meldete. „Ich habe Hunger“, meinte er, stand auf und stolzierte hinaus.

Wenig später betrat Henry seine Gemächer und setzte sich geschafft. „Eure Majestät“, begrüßte ihn Kai mit einer tiefen Verbeugung und zog ihm ohne besondere Aufforderung die Stiefel aus.

„Wo ist denn der neue?“, fragte der König wie beiläufig, denn es interessierte ihn nicht wirklich.

Kai seufzte erst einmal. „Mit Verlaub, Eure Majestät, aber ich denke nicht, dass er die richtige Wahl für einen neuen Diener ist! Der ist noch um einiges schlimmer als es Benedicto zu Anfang war“, meinte er und Henry hob tatsächlich die Augenbrauen.

„Und weshalb?“, fragte er.

Kai verzog mürrisch das Gesicht. „Dieser Wicht ist nicht nur stinkfaul, sondern auch noch rotzfrech!“, platzte es aus ihm heraus.

Henry wirkte jetzt doch überrascht. „Du wirst schon mit ihm fertig werden“, meinte er dann jedoch wieder eher uninteressiert.

„Ja, wenn ich Sebastian wäre“, brummte Kai ärgerlich. „Wann kommt er eigentlich wieder?“

Der König zuckte die Schultern. „Was weiß ich“, war alles was er antwortete, als die Türe aufflog und besagter Nichtsnutz hereinplatzte.

„Eure Majestät sind schon da?“, überfiel er den geradezu übermäßig erfreut und stürmte auf ihn zu. Ohne irgendwelche höfische Etikette zu wahren, ließ er sich zu Henrys Füßen nieder und küsste ihm einfach die rechte Hand. „Ich kann gar nicht sagen, was es mir bedeutet in Eurer Nähe sein zu dürfen! Und ich war vollkommen hingerissen von diesem antiken Interieur! Ich liebe die altrömische Kultur und Geschichte! Waren die Römer nicht einfach wunderbar? Was sie alles erschufen und uns brachten! Wart Ihr schon selbst dort? In Rom? Oh, habt Ihr das Kolosseum gesehen? Ich war regelrecht ergriffen von diesem Anblick!“, rief er begeistert aus und Henry nahm verdutzt den Kopf zurück.

„Du warst in Rom?“, fragte er ungläubig und war für einen Moment einfach nur sprachlos. Damit hätte er wirklich nicht gerechnet und so zwinkerte er auch noch verstört, als Laurin eifrig zu ihm hochnickte.

„Oh ja! Ich durfte vor drei Jahren meine Eltern auf eine Pilgerfahrt dorthin begleiten und war restlos überwältigt von dieser wundervollen Stadt! All diese großartigen Bauwerke zu sehen, mit meinen eigenen Augen und auch noch betreten zu dürfen! Ich fühlte mich wie Cäsar selbst, in diesem herrlichen Augenblick, als ich auf die Stadt herabblickte! Ich kann Euch gar nicht sagen, wie ergriffen ich war, als ich sie betrat und kann es nur schwerlich in Worte fassen! Ich habe die Engelsburg besucht und Kaiser Hadrians Grab gesehen!“, brach es überwältigt aus dem Jungen heraus.

„Nun, also, ich muss sagen, ich bin wirklich überrascht“, brabbelte Henry blinzelnd. „Nicht einmal ich, war schon dort“, meinte er verwirrt.

„Eure Majestät müssen unbedingt die Heilige Stadt besuchen! Oh, wie wäre es wundervoll, wenn wir es zusammen, tun würden! Es wäre mein größter Traum!“, erwiderte Laurin voller Inbrunst und senkte kurz den Blick. „Ich habe ein Geschenk für Eure Majestät mitgebracht, wenn Ihr erlaubt?“, fragte er mit einem unverschämt koketten Augenaufschlag und sah ihn durch seine langen rotbraunen Wimpern an. Ohne eine Antwort abzuwarten, stand er auf, flitzte hinaus und kam wenige Augenblicke mit einem Päckchen in seinen Händen zurück. Wieder ließ er sich zu Henrys Füßen nieder und hielt ihm das Präsent schüchtern lächelnd hin.

Der König nahm es beinahe vorsichtig und wickelte das doch recht schwere Geschenk behutsam aus. Es war eine kleine Götter Skulptur, gerade mal so groß, dass sie der Länge nach in Henrys ausgestreckte Hände passte. Ein wunderschön filigran gearbeiteter Jüngling, aus weißem Marmor und, nackt. „Ähm, ich bin in der Tat, sprachlos“, kam es wieder irritiert aus seinem Mund.

„Gefällt sie Euch?“, fragte der kleine Frechdachs zu seinen Füßen erwartungsvoll und Henry nickte.

„Doch, schon, sie ist sehr hübsch“, raunte der, weil er nun wirklich nicht mehr wusste, wie ihm geschah.

„Ich habe sie mir heimlich auf einem Markt in Rom gekauft und bis jetzt versteckt gehalten, aber als ich diesen wundervollen Raum sah, wusste ich wohin sie von nun an, gehört“, grinste er spitzbübisch. „Ihr könntet sie dorthin stellen!“, zeigte Laurin auf die freie Stelle im Regal und Henry kniff die Augen zusammen, da dort einst die kostbaren römischen Gläser ihren Platz besessen hatten.

„Ähm, ja, warum nicht“, meinte er trotzdem.

Laurin sprang auf, nahm ihm die Statue weg und ging wiegenden Schrittes zu besagtem Regal. „Wie dafür gemacht“, sagte er und stellte sie hämisch grinsend auf, da ihm dabei Kais fassungsloser Blick begegnet war. „Oh ich liebe dieses Gemach!“, rief er, sich wieder zu Henry umdrehend. „Sind diese Pergamentrollen etwa echt? Darf ich?“ Erneut wartete er keine Antwort ab und schnappte sich eine der antiken Aufzeichnungen.

Das war dann doch zu viel. „Vorsicht!“, rief Henry, rasch aufstehend und war mit wenigen Schritten bei ihm. „Sie sind sehr alt und dementsprechend wertvoll! Es sind unter anderem Briefe von römischen Feldherren und einer ist sogar von Kaiser Konstantin selbst verfasst!“, sagte er und nahm ihm die Rolle wieder ab.

„Darf ich sie vielleicht irgendwann einmal sehen? Mit Eurer Majestät zusammen?“, säuselte Laurin zu ihm hoch und Henrys linke Augenbraue wanderte nach oben.

„Du bist mir ja so einer“, brummte er und gab ihm mit der Schriftrolle einen leichten Hieb auf die Nase, bevor er sie wieder zurücklegte.

Laurins Lächeln war mittlerweile zu einer offenen Einladung geworden und sein herausfordernder Blick besagte mehr als tausend Worte. Er hatte den König um den Finger gewickelt, da war er sich inzwischen mehr als sicher und er würde hier ganz gewiss nicht einen einzigen Nachttopf leeren…

***

„Isch hätte eine Bitte“, sagte Amanoue zu Marius, der ihn gerade noch einmal untersucht hatte. Mit den Fingerspitzen strich der gerade noch einmal über die kaum noch sichtbare Narbe und sah ihn an.

„Wenn ich dich nicht selbst aufgeschnitten hätte, würde ich es nicht glauben“, meinte er, ohne auf Amanoues Anfrage einzugehen. „Vor drei Monaten war da noch eine riesige Wunde und jetzt ist kaum noch was davon zu sehen, bis auf diesen dünnen Strich!“

„So ist es doch immer, bei mir“, nuschelte Amanoue etwas unwohl und zog sich das Hemd wieder über. „Außerdem habe ich regelmäßig Gregorius` Wundersalbe aufgetragen, die hat schon immer gut gegen Narbenbildung geholfen“, sagte er achselzuckend.

Marius legte den Kopf schief. „Aber gewiss nicht, so! Dein Bauch müsste eigentlich für den Rest deines Lebens in zwei Hälften gezeichnet sein!“

„Ist doch egal, jedsd“, winkte Amanoue ab. „Außerdem ist es ja auch schon siemlich lange her, eben, drei Monate, wie du sagtest! Das war genug Seit, um heilen su können und eigentlich hat es diese Mal eh viel su lange gedauert“, brummte er und Marius nickte nachdenklich.

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