Kitabı oku: «Aleister Crowley & die westliche Esoterik», sayfa 7

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Crowley denkt hier sicher an den Abschnitt über Yoga in James’ Varieties of Religious Experience.51 In Wahrheit äußert sich James in diesem Abschnitt alles anders als eindeutig zur Rolle von Samâdhi – oder gleichartiger mystischer Erfahrungen – im Leben religiöser Führer, doch ist dieses tatsächlich ein Thema, das in anderen Teilen des Buches mehrfach wiederkehrt, wenn auch nicht notwendigerweise so, wie Crowley es wiedergibt. Crowley hatte das Thema bereits ausführlich am Anfang von Book Four behandelt, in dem Teil, der dem Yoga gewidmet war und der erstmals 1912 veröffentlicht wurde.52 Es ist wichtig, zu verstehen, dass Crowley auf jenen Seiten nicht nur seine eigene besondere magische Lehre entwickelt, sondern seine Interpretation der mystischen Erfahrung auch als Grundlage für ein vergleichendes Verständnis religiöser Phänomene anbietet. Indem er das tut, baut er klar auf seiner Lektüre von James auf.

Laut Crowley verbringen alle Stifter von Religionen eine Zeit ihres Lebens in der Zurückgezogenheit oder in einem Versteck. Wenn sie wieder auftauchen, sind sie im Besitz der Energie, die nötig ist, um eine neue Religion zu begründen. Was geschieht während der Zurückgezogenheit? Nach Crowley war das, was Moses, Jesus, Mohammed, Buddha und allen anderen Religionsstiftern widerfahren ist, eine mystische Erfahrung, die dem gleichkommt, was in der Yogatradition Samâdhi genannt wird. In anderen Traditionen, wie der christlichen Mystik, spricht man davon als einer „Einheit mit Gott.“53 Wenn diese religiösen Führer ihre Erfahrungen auf unterschiedliche Weise geschildert haben, so liegt das an ihren unterschiedlichen kulturellen Hintergründen; das Phänomen selbst war jedoch immer und überall dasselbe. Darum sprach zum Beispiel Mohammed mit dem Erzengel Gabriel, gelangte Buddha zur Erleuchtung, und traf Moses Gott auf dem Berge Sinai.

Die Konsequenzen von Crowleys Überlegungen sind nicht schwer zu erkennen: Wenn die religiösen Führer alle dieselben Phänomene erlebt haben und diese mit Samâdhi gleichgesetzt werden können, dann bietet Yoga (oder eine ähnliche Methode wie beispielsweise die Zeremonialmagie) potentiell eine durch Erprobung bestätigte Technik, „willentlich“ Inspiration und – in letzter Konsequenz – die Fähigkeit zu erlangen, eine neue Religion zu begründen. Zwar zieht Crowley diesen Schluss nicht explizit, doch ich denke, es ist offensichtlich genug. Crowley hat selbst – nach eigener Aussage – Samâdhi erreicht, und das hat ihn legitimiert, eine neue Religion zu gründen. Dies ist genau das, was Crowley behauptete, getan zu haben, nachdem er den Text von The Book of the Law von einer Wesenheit empfangen hatte, die er als übermenschlich bezeichnete – nur wenige Monate nach seiner Begegnung mit Maudsley auf seiner Reise nach Ägypten. In Book Four scheint Crowley auch die Notwendigkeit einer übernatürlichen Erklärung für dieses Erlebnis und alles, was daraus folgt, zu bestreiten:

Zusammenfassend bestätigen wir eine geheime Energiequelle, die das Phänomen des Genius erklärt. Wir glauben nicht an übernatürliche Erklärungen, doch wir bestehen darauf, dass diese Quelle im Folgenden ohne eindeutige Regeln erreicht werden kann; der Grad des Erfolges hängt von der Fähigkeit des Suchenden ab und nicht von den Vorlieben irgendeines göttlichen Wesens. Wir behaupten, dass das entscheidende Phänomen, das den Erfolg bestimmt, ein Ereignis im Gehirn ist, das im Wesentlichen durch die Vereinigung von Subjekt und Objekt geprägt ist.54

Crowleys Einstellung zur Magie in Bezug auf geistige Wesenheiten

Mit der willentlichen Erschaffung des Genius und der daraus folgenden Macht, der Menschheit einen neuen Glauben aufzuerlegen, befinden wir uns an der Wegkreuzung von Yoga und Magie, denn aus Crowleys Sicht können beide Pfade zu diesem außergewöhnlichen Ergebnis führen. Darum werde ich mich jetzt auf Crowleys Einstellung zur Magie konzentrieren, besonders auf die Beschaffenheit der Wesen, mit welchen der Magier mutmaßlich mithilfe magischer Rituale kommuniziert.

Wie ich bereits ausgeführt habe, würde eine umfassende Erörterung aller komplexen Aspekte von Crowleys Beziehung zur Magie, sowohl von der theoretischen, als auch von der praktischen Warte aus betrachtet, den Rahmen dieses Aufsatzes übersteigen. Es wird jedoch sinnvoll sein, zumindest einige bestimmte grundsätzliche Punkte anzusprechen. Aleister Crowleys ganzes Leben war auf diese Beziehung hin ausgerichtet, die daher, wenn es darum geht, diesen Mann und seine Ideen zu verstehen, von essentieller Bedeutung ist. Man kann sagen, dass die Beschäftigung mit Magie, gerade im okkulten Kontext, vor Crowley eine überwiegend intellektuelle Angelegenheit war und nicht der Mittelpunkt, an welchem eine Person ihr ganzes Leben mit all seinen Aspekten orientiert. Für viele, die sich mit Okkultismus befassten, war dieser nicht viel mehr als eine exzentrische Freizeitbeschäftigung, und so schien es auch bei vielen Mitgliedern des Hermetic Order of the Golden Dawn der Fall gewesen zu sein.55 Für Crowley wird die Magie zu einer Aktivität, die alles vereinnahmt, zum Brennpunkt aller Sehnsüchte und Ambitionen, die ein Mensch je in seinem Leben haben mag. Es ist ein Weg der spirituellen Suche, der nicht nur den ganzen Lebenslauf umfasst, sondern auch eine vollständige Hingabe erfordert. Erfolg in Angelegenheiten des Alltags kann daher nicht als Maßstab für das Fortkommen auf dem spirituellen Weg genommen werden.56 Im Prinzip sollte man sich darauf vorbereiten, alle seine Neigungen und irdischen Interessen aufzugeben, um die höchsten Stufen auf der Einweihungsleiter zu erreichen.57 Crowley hat mehrmals behauptet, dass er genau das in seinem Leben getan habe, und dass dieses auch der Hauptgrund gewesen sei für den Verlust seines Vermögens, das er von seiner Familie geerbt hatte, wie auch für seine anderen persönlichen Missgeschicke.58 Dadurch wird eine, vielleicht unerwartete, Form der Askese in Crowleys magisches System eingebracht, die nicht nur dem überbordenden Hedonismus von Thelema zu widersprechen scheint, der in The Book of the Law deutlich zum Ausdruck kommt, sondern auch mit Crowleys explizit verkündeter Absicht, die Magie der Masse zugänglich zu machen.59

Anders als einige seiner Vorgänger, wie etwa Eliphas Lévi oder H. P. Blavatsky, die die Magie in einer ähnlichen Sprache beschrieben, jedoch nicht unbedingt immer die praktischen Konsequenzen gezogen hatten, betrachtete Crowley die Magie nicht als eine rein theoretische Angelegenheit, sondern auch als eine, die bis in ihre extremsten Konsequenzen existentiell erfahrbar ist. Außerdem verlangte er – ebenfalls anders als seine Vorgänger – von seinen Schülern und Anhängern dieselbe absolute Hingabe an die Magie, mit der er ihr sich auch selbst gewidmet hat. Wie wohlbekannt ist, war eine logische Folge dieser Radikalisierung der Idee der Magie die Gründung einer „magischen“ Gemeinde: der berühmten Abtei von Thelema in Cefalù auf Sizilien 1920, wo Crowley glaubte, seiner Vision von einer neuen Gesellschaft, die auf Magie und auf Thelema gründet, Leben einhauchen zu können.60 Hier verband er die Vorstellung von einer magischen Selbstverwirklichung mit einer Art Rückzug von der Welt – etwas, das im Zusammenhang mit Okkultismus ein ziemliches Novum war.

Anderseits ist Crowley unter den englischen Okkultisten derjenige Autor, der am stärksten bestrebt ist, eine vollständige „Philosophie“ der Magie auszuarbeiten, bei der das Augenmerk vor allem auf deren erkenntnistheoretischen und psychologischen Aspekten liegt. Wie wichtig die Jahre, die Crowley in Cambridge verbrachte, für seine intellektuelle Entwicklung waren, habe ich bereits angesprochen. Damit ist er, auch wenn es ihm letztlich nicht darauf ankam, einen akademischen Grad zu erlangen, einer der wenigen Okkultisten, die eine höhere Ausbildung im offiziellen Sinne erhalten hatten. Viele Autoren haben die Ungenauigkeiten und die Oberflächlichkeit hervorgehoben, die Okkultisten – zum Beispiel in geschichtlicher oder sprachwissenschaftlicher Hinsicht – in ihren Werken oft zeigen, während sie seltsamerweise behaupten, in allen Bereichen menschlichen Lernens im Besitz des höchsten Wissens zu sein.61 Zweifellos gibt es gesellschaftliche Gründe, warum das so war, einschließlich der Tatsache, dass die meisten unter ihnen – anders als Autoren der Renaissance, wie etwa Marsilio Ficino und Pico della Mirandola – nur ihre Freizeit mit Magie und Okkultismus verbringen konnten und weder die Muße noch die Mittel für vielseitige Ausbildungen in Human- oder Naturwissenschaften hatten. Auch aus diesem Grunde markiert Crowley, sowohl wegen seiner intellektuellen Begabung als auch wegen seiner zahlreichen Werke, die ausdrücklich der Magie gewidmet sind, einen besonders bedeutenden Moment in der Geschichte des Okkultismus. Zeit seines Lebens blieben seine kulturellen Interessen außerordentlich breit gefächert und vielschichtig. Er zog Inspirationen und Ideen aus vielen unterschiedlichen Quellen, westlichen wie östlichen, und schmolz sie zu seinem ureigenen, eigentümlichen System zusammen.

Im Allgemeinen war Magie für Crowley ein passender Begriff, seine Lehre als ganze – einschließlich Thelemas, der Religion, die er gegründet hatte – zu definieren. Im engeren Sinne verstand Crowley unter Magie vor allem zwei Wege, die beide in der okkultistischen Literatur nicht ungewöhnlich sind. Der erste ist im Wesentlichen ein pragmatischer und begreift die Magie als eine Methode, bestimmte Ziele zu erreichen mit Mitteln, die zwar nicht wissenschaftlich erklärbar sind, deren Ergebnisse sich jedoch (zumindest theoretisch) empirisch nachprüfen lassen. Eine beachtliche Menge Geld zu erhalten oder die mühelose Aneignung umfangreicher Kenntnisse auf einem bestimmten Gebiet sind klassische Beispiele dafür. In Magick in Theory and Practice, wo seine ausgereiften Gedanken über Magie zusammenfassend dargestellt werden, präsentiert Crowley seine berühmteste Definition von Magie, die später von einer Vielzahl von Autoren übernommen wurde: „Magick ist die Wissenschaft und Kunst der Verursachung von Veränderung, um in Übereinstimmung mit dem Willen vorzukommen.“62 Nach dieser Definition könnte jede absichtliche Handlung als magisch definiert werden, und dies würde natürlich die Spezifität der Magie als ein besonderes Aktionsfeld reduzieren. In Wirklichkeit hatte Crowley, wenn er sich in diesem Kontext auf Magie bezog, eine ziemlich genaue Reihe von Praktiken und Vorstellungen im Sinn, die größtenteils auf der traditionellen zeremoniellen Magie basieren. Die Grundlagen dazu hatte er während seiner Mitgliedschaft im Golden Dawn erlernt, und durch seine anschließenden Erlebnisse konnte er sie beachtlich weiterentwickeln.

In späteren Jahren führte seine Entdeckung der Sexualmagie dazu, dass Crowley sein magisches Verständnis und seine Praktiken erheblich veränderte; in der Tat wurde durch die Sexualmagie ein Großteil des Instrumentariums der zeremoniellen Magie überflüssig. Bei sexualmagischen Übungen, die auf der Vorstellung einer feinen Physiologie gründen und zum großen Teil östlichen Lehren (besonders dem Hatha Yoga) entlehnt sind, ist der Körper des Magiers das einzige magische Werkzeug; die Notwendigkeit äußerer Hilfsmittel wie eines „Tempels“ (eines heiligen Raumes, in dem der Magier arbeitet) oder der traditionellen „Waffen“ der zeremoniellen Magie entfällt. Das Ziel der Magie in diesem Sinne ist nicht zwangsläufig materieller Natur: Magie kann ebenso eingesetzt werden, um mit geistigen Wesenheiten zu kommunizieren oder um mittels Astralreisen die „astrale Ebene“ zu erkunden, wie es Crowley beim Golden Dawn gelernt hatte. Die Botschaften, die er durch diese magischen Praktiken empfing, waren oft von besonderer Bedeutung für seine eigene spirituelle Entwicklung (doch konnten sie oft auch die Entwicklung der gesamten Menschheit betreffen, wie im Fall von The Book of the Law). Andererseits dachte Crowley daran, durch diese Praktiken seine Kenntnisse des Netzwerks der symbolischen Korrespondenzen zu verbessern, mit welchen sich eine vereinigende Verbindung zwischen allen Teilen des Universums herstellen lässt. Es ist erwähnenswert, dass Crowley, insbesondere im Zusammenhang mit dieser ersten, pragmatischen Vorstellung von Magie, für sich eine wissenschaftliche, rationale Annäherungsweise reklamierte – wiederum etwas, das in der Okkultliteratur nichts Außergewöhnliches ist.

Die andere Weise, in der Crowley Magie verstand, wurde von ihm selbst sicherlich als die wichtigste angesehen, wobei sie auch als eine Ergänzung zur ersten betrachtet werden kann. Nach dieser zweiten Auffassung ist die Magie nicht so sehr an direkten Ergebnissen orientiert, sondern eher an der Erlangung dessen, was für Crowley das übergeordnete Lebensziel war: der spirituellen Verwirklichung. Die Magie verliert dabei ihren instrumentellen Charakter und wird stattdessen zu einer weltanschaulichen Praxis, die alle Lebensbereiche einer Person umfasst. Alles in allem liegt der Unterschied weniger in der Art der angewandten Techniken als in deren Interpretation. Traditionelle Zeremonialmagie und Sexualmagie können aus Crowleys Sicht beide sowohl für unmittelbare Zwecke als auch als Mittel zur Erreichung ultimativer spiritueller Verwirklichung eingesetzt werden. Im letztgenannten Fall sollte sich das Individuum, wie oben angesprochen, vollkommen diesem Ziel hingeben und bereit sein, dafür alle irdischen Besitztümer und Neigungen zu opfern. Crowley verwendet verschiedene Formulierungen, um das Ziel der Magie in diesem spirituellen Sinne zu definieren. In manchen Passagen vergleicht er es mit der mystischen „Vereinigung mit Gott.“ In Magick in Theory and Practice beschreibt er, was er für das ultimative Ziel magischer Praxis hält:

Es gibt eine einzige Hauptdefinition für das Ziel aller magischen Rituale. Es ist die Vereinigung des Mikrokosmos mit dem Makrokosmos. Deshalb ist das höchste aller Rituale die Anrufung des Heiligen Schutzengels, oder – in der Sprache der Mystiker – die Vereinigung mit Gott.63

Wir haben gesehen, dass Crowley diese Auffassung auch mit Samâdhi gleichsetzt. Im Zusammenhang mit dem Golden Dawn wurde dieselbe Vorstellung als „Vereinigung mit dem Höheren Selbst“ bezeichnet.64 Doch in seiner wahrscheinlich bekanntesten Definition spricht er vom „Wissen um und der Konversation mit dem Heiligen Schutzengel“, einem Begriff aus dem berühmten Book of the Sacred Magic of Abra-Melin, einem magischen Text, den S. L. MacGregor Mathers in der Bibliothèque de l’Arsenal in Paris entdeckt und 1898 editiert hatte, im selben Jahr, als Crowley dem Golden Dawn beitrat.65 In diesem Buch, dessen Ursprünge bis in das sechzehnte oder siebzehnte Jahrhundert zurückreichen, wird ein System ritueller Praktiken beschrieben, die darauf abzielen, den Kontakt zum individuellen Schutzengel herzustellen – damit ist das Engelwesen gemeint, das sich bei einer Person aufhält, um diese zu beraten und zu beschützen, wenn sie in Schwierigkeiten steckt. Daher ist das Ziel dieses magischen Systems das „Wissen um und die Konversation mit dem Heiligen Schutzengel.“66 Unter den Mitgliedern des ursprünglichen Golden Dawn (vor 1900) war Crowley sicherlich derjenige, der von diesem Buch (welches, wie wir uns erinnern, nie zu den offiziellen Lehrbüchern des Ordens gehört hatte) am stärksten beeinflusst wurde. Vermutlich ist er auch der Einzige unter den Mitgliedern des ursprünglichen Ordens, der wirklich versucht hatte, die Instruktionen darin in die Praxis umzusetzen.67 1906 behauptete Crowley, das in dem Buch beschriebene Ziel erreicht zu haben – was bestimmt ein sehr wichtiger Schritt in seiner spirituellen Laufbahn war.

Doch wer war dieser Schutzengel? Die Bedeutung, die dieser Wesenheit im Zusammenhang mit magischen Praktiken zugemessen wird, dürfte nicht überraschen. Am Ende insistiert die traditionelle Zeremonialmagie, wie sie in einer Vielzahl von Grimoires gelehrt wird, ausnahmslos darauf, dass es für den praktizierenden Magier notwendig sei, mit nichtmenschlichen oder übermenschlichen Wesen zu kommunizieren, deren Aufgabe es ist, dem Magier zu helfen oder ihm zu Diensten zu sein. Damit sind natürlich hauptsächlich Engel oder Dämonen gemeint, doch manchmal auch andere Wesenheiten, wie (zum Beispiel in der Nekromantie) die Geister der Toten oder der Elemente. Dem Schutzengel scheint jedoch in diesem Heer unsichtbarer Geschöpfe eine besondere Rolle zuzukommen, da er eine ganz spezielle, einzigartige Beziehung zum Magier hat.68

Diese Beziehung war für Crowley mit der mystischen Erfahrung verwandt, die für ihn eines der essentiellen – wenn nicht gar das essentielle – Ziel der Magie war. Doch bevor wir uns Crowleys diesbezügliche Vorstellungen näher ansehen, ist es vielleicht noch interessant, einen Blick auf seine grundsätzliche Einstellung gegenüber den Wesenheiten zu werfen, mit denen der Magier während seiner magischen Handlungen in Kontakt treten soll. Dies ist vor allem in Bezug auf Crowleys rationalisierende Annäherung an spirituelle Angelegenheiten relevant, die ich bereits angesprochen hatte.

1904 veröffentlichte Crowley eine Version der Goetia, eines Teils aus einem berühmten Grimoire, The Lesser Key of King Solomon [Der kleinere Schlüssel König Salomons] (oder Lemegeton).69 Mathers, mit dem Crowley inzwischen zerstritten war, hatte eine Überarbeitung (die nicht wirklich als Übersetzung bezeichnet werden kann) in modernem Englisch vorgelegt. Mathers’ Bearbeitung und Veröffentlichung dieser alten magischen Texte kann als Teil jener magischen Synthese verstanden werden, die seit der Gründung des Golden Dawn zu dessen Hauptanliegen gehörte.70 Das zuvor bereits erwähnte Buch Abramelin war ebenfalls ein Ausdruck dieses Versuchs einer Synthese. Das erklärt, warum verschiedene Ideen, die aus diesen Texten abgeleitet sind, zu einem schlüssigen theoretischen Rahmenkonzept für die magischen Aktivitäten der Mitglieder des Golden Dawn zusammengefügt werden konnten. Als ein Beispiel dieses magischen Synkretismus kann man die Anwendung eines Rituals anführen, das aus einem griechisch-ägyptischen Papyrus aus der hellenistischen Epoche stammt und üblicherweise als das „Bornless Ritual“ bezeichnet wird.71 Nach Crowleys Interpretation sollte das in diesem Text enthaltene Ritual Zugang zum „Höheren Genius“ oder „Höheren Selbst“ gewähren – ein Begriff, der in den Lehren des Golden Dawn von großer Bedeutung ist und auf den ich noch zurückkommen werde.

Als Crowley Mathers’ Bearbeitung der Goetia veröffentlichte, fügte er einen kurzen einführenden Aufsatz mit dem Titel „The Initiated Interpretation of Ceremonial Magic“ hinzu, in welchem er die Beschaffenheit der Wesenheiten, die in dem Grimoire beschrieben werden, und die Wirkmacht der Magie ansprach.72 Er brachte in diesem Text die Ansicht zum Ausdruck, dass es nicht nötig sei, diese Geister und Dämonen als „real existent“ – damit ist gemeint, vom Selbst des Magiers unabhängig existierend – anzunehmen. Im Gegenteil, sie können auch als „Teile des menschlichen Gehirns“ angesehen werden.73 Durch die Anrufung eines dieser Geister werde ein bestimmter Teil des Gehirns des Magiers stimuliert, der mit diesem besonderen Geist korrespondiert. Bei Crowley wird diese Vorstellung so beschrieben:

Wenn ich mit Salomon sage: „Der Geist Cimeries lehrt Logik“, meine ich damit: „Diese Teile meines Gehirns, die den logischen Fähigkeiten dienen, werden angeregt und entfalten sich durch den Prozess, der als ‚Anrufung von Cimeries’ bezeichnet wird.“ Und dieses ist eine rein materialistische, rationale Aussage.74

Aus diesem Zitat scheint deutlich zu werden, dass Crowley, zumindest in bestimmten Zusammenhängen, beabsichtigte, die Wirkungen der Zeremonialmagie und die Wesenheiten, die traditionell damit verbunden sind, in rein physiologischen (nicht einmal psychologischen) Begriffen zu interpretieren. Magische Phänomene werden aus einer streng materialistischen Perspektive heraus erklärt: sie finden einfach im Gehirn statt, und dadurch entsteht als Nebeneffekt die illusionäre Wahrnehmung geistiger Wesenheiten. Natürlich ist dies eine Art reduktionistische Erklärung für die Magie, die sicherlich selbst jemand wie Maudsley im Zusammenhang mit Crowleys Ausführungen über Yoga bemerkenswert gefunden hätte. Und wieder scheint es – wie auch bezüglich Yoga – offensichtlich, dass diese Annäherung von dem Wunsch genährt wird, traditionelle spirituelle Praktiken in einem modernen, weltlichen Zusammenhang zu verstehen, um sie so mit einer positivistischen und naturalistischen Denkweise in Einklang zu bringen.

Diese naturalistische Interpretation von Magie verfasste Crowley in den frühen Jahren seines spirituellen Werdeganges (interessanterweise wurde sie 1904 veröffentlicht, im selben Jahr, in dem Crowley von Aiwass den Text von The Book of the Law empfing). Dennoch scheint es, dass er diese Sichtweise – obwohl sie von einer intellektuellen Warte aus gesehen sicher wichtig für ihn gewesen ist – nicht durchgängig angenommen hat oder ihr in den folgenden Jahren nicht ganz treu geblieben wäre. Tatsächlich haben wir eine Fülle von Beispielen in Crowleys magischem Studienplan, in welchen er mit Wesenheiten Kontakt aufnimmt, die er keineswegs nur als „Teile seines Gehirns“ oder als Aspekte seines Unbewussten (an das er durch seine Entdeckung der Psychoanalyse geglaubt haben mag) wahrnimmt. Interessant daran ist auch, dass Crowley die ersten Kontakte zu diesen Wesenheiten meistens mithilfe eines hellsichtigen Partners, sehr oft einer Frau, herstellte. So verhielt es sich im wohl spektakulärsten Fall, nämlich der Evokation von Aiwass durch seine Ehefrau Rose und der daraus folgenden Offenbarung des Book of the Law. Doch auch bei den Kontakten zu „niederen“ Wesenheiten wie Amalantrah und Ab-ul-Diz war es nicht anders.75 Anscheinend hat Crowley diese Wesenheiten generell nicht als Produkte seines Unbewussten oder seines Gehirns (bzw. dessen seiner Partnerin) betrachtet. Sie waren keine – wenngleich auch spirituell bedeutenden – Erfindungen; sie waren unabhängige, übermenschliche Wesen mit eigenständigen Persönlichkeiten und Existenzen. Der Umstand, dass all diese Wesenheiten einer sorgfältigen Prüfung unterzogen wurden, ist ein deutliches Indiz dafür.76 Bei den Prüfungen ging es nicht allein darum, die Identität der Wesen festzustellen (um damit die Möglichkeit auszuschließen, dass es sich um ein getarntes bösartiges Wesen handelt), sondern auch ihre Unabhängigkeit von der Persönlichkeit des Magiers und/​oder Sehers. In diesem Sinne ähneln Aiwass und seine Verwandten den mysteriösen „Geheimen Oberen“ des Golden Dawn oder den schwer fassbaren „Mahatmas“ der Theosophischen Gesellschaft, die als erleuchtete Meister verstanden werden, die eine sehr hohe Stufe der Einweihung erreicht haben, aber dennoch auf diesem Planeten leben.77

Andererseits war die Idee vom „Heiligen Schutzengel“ in Crowleys Interpretationen dieselbe wie die vom „Höheren Selbst“ (oder dem „Höheren Genius“).78 Im Golden Dawn stellte Crowley sich vor, dass die Magie dem Magier eine Methode bietet, sein (oder ihr) „Höheres Selbst“ zu entdecken, und diese Vorstellung prägte ihn merklich. Der unmittelbare Ursprung dieser Idee ist in den Schriften von Madame Blavatsky und der Theosophischen Gesellschaft zu finden.79 Unter spiritueller Verwirklichung wurde die Reintegration eines göttlichen oder erhabenen Anteils des Selbst verstanden, der unter normalen Bedingungen unbekannt und unzugänglich bleibt.

Dem Vorkommen des Schutzengels in der esoterischen, speziell der magischen Literatur des Westens gebührt gewiss eine nähere Aufmerksamkeit, zumal diese Thematik kaum wissenschaftlich erforscht ist. Einer der Gründe dafür ist sicherlich, dass die traditionelle Vorstellung von einem Schutzengel im Kontext der westlichen Esoterik, selbst in ihren mehr magisch orientierten Strömungen, weniger hervortritt, als die anderer Wesen. Sicher kann man in der Neuzeit viele Beispiele für magische oder theurgische Praktiken finden, in denen Engel, bisweilen gar Hunderte von ihnen, sehr präsent sind. Man denke dabei nur an die henochischen Anrufungen von John Dee, die theurgischen Handlungen von Martinez de Pasquallys Elus Coëns, oder an Cagliostros Ägyptischen Ritus.80 Doch in keinem dieser Beispiele scheint der Schutzengel als besondere Wesenheit gegenwärtig zu sein.

Eine Ausnahme könnte die Gruppe der Illuminés d’Avignon sein, die während der 1780er Jahre von Dom Antoine-Joseph Pernety geführt wurde.81 In den Lehren dieser Gruppe finden wir eine Reihe spiritueller Praktiken (welche interessanterweise nicht als „magisch“ bezeichnet werden), die zum Ziel haben, den Schutzengel einer Person erscheinen zu lassen.82 Die nötigen Anweisungen dazu werden offenbar von der „Sainte Parole“ übermittelt, einem mysteriösen Orakel, dessen Antworten die Aktivitäten und Taktiken der Gruppe bestimmten.83 Es hat den Anschein, dass die Botschaften der Sainte Parole in Wirklichkeit von Johann Daniel Müller (1716 bis nach 1785) stammten, einem Esoteriker, der im Umfeld des deutschen Illuminatentums unter dem Pseudonym „Elias Artiste“ bekannt war. Man mag sich fragen, aus welchen Quellen Müller seine Lehren bezüglich des Schutzengels speiste, und ob er den Text des Buches Abramelin gekannt hat, dessen mutmaßliche Ursprünge – wie weiter oben erwähnt – in Deutschland liegen und das dort gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts erstmals veröffentlicht wurde. Um diesen Punkt zu erhellen, wird weitere Forschung vonnöten sein.

Wie dem auch sein mag: wichtig ist zu bedenken, dass es – schon lange vor der Gruppe um Pernety – eine Überlieferung spezieller Manuskripte gegeben hat, in welchen Schutzengel eine sehr wichtige Rolle im Zusammenhang mit magischen Praktiken spielten. Diese Überlieferung scheint gegen Ende des Mittelalters entstanden zu sein und kam der Ars Notoria nahe. Die Schriften des Eremiten Pelagius von Mallorca, die Jean Dupèbe und Julien Véronèse studiert hatten, gehörten ebenso dazu wie The Book of the Sacred Magic of Abra-Melin.84 Wenn wir den Ausnahmefall der Illuminés d’Avignon außen vor lassen, können wir daraus schließen, dass die Wiederbelebung einer lange in Vergessenheit geratenen magischen Tradition im neunzehnten Jahrhundert zu einem Großteil Mathers’ Veröffentlichung zu verdanken war.

Das Buch Abramelin schrieb einen sechsmonatigen Rückzug in die Einsamkeit vor, welcher von einem System aus Beten und Fasten begleitet war. Es liegt klar auf der Hand, dass diese Form der Praxis für Personen, die ein normales soziales Leben führten, nicht einfach umzusetzen war. Das war bei vielen Mitgliedern des Golden Dawn der Fall. Der interessante Aspekt des Buches Abramelin, der in diesem Kontext, zuerst bei Mathers, auftauchte und dann später von Crowley weiterentwickelt wurde, ist die Identifikation des Schutzengels, wie er darin beschrieben wird, mit dem Gedankenkonzept von einem „Höheren Selbst“ oder dem „Höheren Genius“, wie es sich in der Literatur der Theosophischen Gesellschaft und den Lehren des Golden Dawn findet.85 Offensichtlich ist auch, dass Crowley recht schnell zu dieser Identifikation kam, denn wir finden sie im Text eines magischen Eides, den er 1900 leistete, als er erstmals versuchte, die Handlungen aus dem Buch Abramelin durchzuführen, und kurz vor Beendigung seiner Mitgliedschaft beim Golden Dawn.86 Einen weiteren Hinweis auf diese Identifikation liefert seine Interpretation des Bornless Rituals, das für ihn zum wichtigsten Ritual der Kontaktaufnahme mit dem Höheren Selbst wurde.

1904 gab Crowley an, von Aiwass The Book of the Law empfangen zu haben, welches in seinem Leben noch eine tragende Rolle spielen würde.87 Das Buch wurde letztlich zur Grundlage für Crowleys neue Religion Thelema. Offensichtlich sah er sich selbst als Verkünder dieser neuen religiösen Offenbarung, die alle bisher existierenden Religionen ablösen sollte. Auf Einzelheiten zu den philosophischen und ethischen Prinzipien dieses Systems möchte ich an dieser Stelle nicht eingehen, weil ich damit zu weit vom Thema dieses Kapitels abschweifen würde;88 die Offenbarung in Kairo sollte jedoch angesprochen werden, da sie wichtig ist, das Wesen von Aiwass zu verstehen. Nahm Crowley Aiwass als seinen Heiligen Schutzengel wahr, so wie er im Buch Abramelin beschrieben steht? Darauf eine eindeutige Antwort zu geben, fällt schwer, da Crowleys Vorstellungen sich diesbezüglich mit der Zeit gewandelt hatten. Als Crowley das Buch empfing, und auch noch in den unmittelbar darauf folgenden Jahren, schien es keinerlei Identifikation von Aiwass mit Crowleys eigenem Schutzengel gegeben zu haben. Wie wir gesehen haben, nahm Crowley Aiwass durchgängig als eine individuelle Persönlichkeit wahr, die vollkommen eigenständig existierte. Aus psychologischer Sicht ist es leicht nachzuvollziehen, warum Crowley von diesem Standpunkt nie abgerückt ist. Wahrscheinlich hatte Crowley Schwierigkeiten mit der Vorstellung, Aiwass einfach als eine Manifestation seiner eigenen Psyche zu begreifen, ob sie nun „das Unbewusste“ (mit psychoanalytischen Worten), das „Höhere Selbst“ (in der Sprache der Okkultisten) oder anders genannt wurde. Dieses hätte in der Tat den religiösen Universalitätsanspruch von Thelema untergraben. Die Quelle der Offenbarung sollte eine metaphysische (oder zumindest übermenschliche) Dimension haben, die von Crowleys individueller Persönlichkeit völlig getrennt war. Wie konnte er behaupten, dass seine Botschaft das Schicksal von Millionen Menschen für die kommenden Jahrhunderte verändern würde, wenn seine letztendliche Quelle einfach sein eigener unbewusster (oder eben höherer) Verstand war? Für Crowley war Thelema eine Botschaft der Götter, die ihm durch ihren auserwählten Boten Aiwass übermittelt wurde. Darum gehörte Aiwass, wie oben erwähnt, zur selben Gruppe von Wesenheiten wie Ab-ul-Diz und Amalantrah und wie die Mahatmas der Theosophischen Gesellschaft.89 Wenn Crowley andererseits aber Aiwass als seinen Schutzengel wahrgenommen hätte, dann hätte er den Empfang von The Book of the Law als das „Wissen um den Heiligen Schutzengel und das Gespräch mit ihm“ interpretiert, wie im Buch Abramelin beschrieben steht. Doch dergleichen hat Crowley nie behauptet. Er interpretierte das Wissen und das Gespräch stets als eine mystische Erfahrung, die ihren Bezugsrahmen in den Lehren des Golden Dawn und in William James’ psychologischen Theorien hatte. Dieses wird verdeutlicht durch die Tatsache, dass Crowley erst im Jahre 1906 angab, des Wissens und des Gesprächs teihaftig geworden zu sein (und den mit dieser Erfahrung einhergehenden Einweihungsgrad erlangt zu haben) – also zwei Jahre nach der Offenbarung des Book of the Law. Das bedeutet, dass er, in seiner eigenen Wahrnehmung, dieses Ziel noch nicht erreicht hatte, da er den Kontakt zu Aiwass nicht als das Wissen um und den Austausch mit seinem Schutzengel deutete. Interessant ist, dass er das Ritual, mit dem er 1906 das letzte Ziel der Magie von Abramelin erreichte, „Augoeides“ nannte – dies ist eine ausdrückliche Bezugnahme auf die Konstellation von Prinzipien (Heiliger Schutzengel, Höheres Selbst/​Genius, Augoeides, Adonai), die er seit seiner Zeit im Golden Dawn aus unterschiedlichen Quellen zu vereinheitlichen bestrebt gewesen ist.90