Kitabı oku: «Gestalttherapie in der klinischen Praxis», sayfa 19
4.1.1 Medikamente mit schneller vorübergehender Wirkung: Benzodiazepine-Anxiolytika
Benzodiazepine bewirken ein schnelles Nachlassen der Angst, die mit vielen psychischen Problemen einhergeht. PsychotherapeutInnen sollten diese Medikamente wohl bekannt sein, da sie bei den PatientInnen sehr beliebt sind und weil sie in manchen Fällen eine wertvolle Unterstützung der Psychotherapie darstellen können. Dies ist besonders in kurzfristigen Situationen der Fall, wenn die Spannung und die Angst bei einer PatientIn sprunghaft ansteigen (posttraumatische Zustände und Krisenzustände). Ein Nachteil bei einer langfristigen und regelmäßigen Einnahme ist, dass der Organismus auf Ebene des biologischen Funktionierens von diesen Medikamenten abhängig werden kann. Aus der psychotherapeutischen Prozess-Perspektive können diese Medikamente eine »Abkürzung« für manche PatientInnen darstellen, um mit ihren Problemen umzugehen, und können bewirken, dass diese sich von der Hilfe einer ExpertIn von außen abhängig machen.6
Abb. 4: Benzodiazepine-Anxiolytika – psychiatrische Anwendung
Die Wirkung von Benzodiazepinen setzt schnell ein und vergeht auch schnell wieder, sie hat starke Ähnlichkeit mit der Wirkung von Alkohol. Wenn eine PatientIn kurz vor einer psychotherapeutischen Sitzung Benzodiazepin-Anxiolytika nimmt, kann sie sich während der Sitzung entspannter und versöhnlicher fühlen und langsamer reagieren als ohne das Medikament. Benzodiazepine machen es ähnlich wie Alkohol einfacher, sich aus dem Kontakt zurückzuziehen und die »Erfahrung zu dämpfen«, daher tragen sie zum Abfedern unangenehmer Erfahrungen bei. »Es ist mir egal … Damit muss ich mich jetzt nicht auseinandersetzen …«. Auf diese Weise können sie vorübergehend die Vermeidung von allzu schmerzhaften Erfahrungen und damit auch das Vermeiden von existenziellen Begegnungen mit anderen Menschen, mit sich selbst und den Herausforderungen des Lebens fördern.
TherapeutInnen können mit der PatientIn ein Gefühl des »Pseudokontakts« erleben, so wie wir es von alkoholabhängigen PatientInnen kennen (Carlock / Glaus / Show 1992). Der Kontaktprozess scheint erst gut und einfach vonstatten zu gehen, doch der volle Kontakt lässt sich nicht erreichen.
Wir können die Einnahme von Benzodiazepinen als eine kreative Anpassung betrachten. Für die PatientIn stellen die Medikamente den bestmöglichen verfügbaren Weg dar, mit der schwierigen Situation umzugehen. Wenn wir den Effekt von Benzodiazepinen aus einer phänomenologischen Perspektive sehen, wird deutlich, dass sie den Kontaktzyklus verlangsamen und weicher machen. Sie haben nur eine kurzfristige Wirkung, doch sie können den Teufelskreis der Angst unterbrechen und die Selbstheilungskräfte der PatientIn aktivieren. Wir stellen mehrere Beispiele solcher Effekte vor:
• Manche Wahrnehmungen können so stark sein, dass sie zu einer massiven, die Bewusstheit blockierenden Angst führen. Wenn Benzodiazepine die Intensität der Wahrnehmungen herabsetzen, können sie der PatientIn helfen, zumindest teilweise achtsam und frei zu werden, um bewusste Entscheidungen zur Bewältigung der Situation zu treffen.7
• Sie reduzieren den Notfallcharakter der Situation und verlangsamen die Mobilisierung von Energie (z. B. Hyperventilation bei starker Angst) und können der PatientIn dadurch helfen, sich leichter für eine angemessene Reaktion zu entscheiden.
• Sie verringern die Alarmbereitschaft (zu fliehen oder zu kämpfen) des Organismus und helfen so dabei, die immer größer werdende Mobilisierung von Energie zu stoppen. So können sie es für die PatientIn leichter machen, einen Kontaktzyklus abzuschließen und sich zurückzuziehen (z. B. durch Schlaf). Gleichzeitig tragen sie zu einem Aufschub der Wahrnehmung eines neuen Bedürfnisses und dem Beginn eines neuen Kontaktzyklus bei.
Die vorübergehende Anwendung von Benzodiazepinen während einer akuten Krise ist sinnvoll. Sie bringt hier Ruhe, in deren Verlauf die Selbstheilungsprozesse des Körpers so aktiviert werden können, dass ein weiterer Einsatz von Medikamenten vielleicht gar nicht mehr notwendig ist. In der Psychotherapie ist es nützlich, sich Fertigkeiten anzueignen, die den Effekt eines potenziell abhängig machenden Medikaments schließlich ersetzen (z. B. verschiedene Arten von Entspannungstechniken oder funktionaler Deflexion). Die psychotherapeutische Unterstützung spielt also beim Festlegen des Zeitpunkts einer Dosisreduzierung oder des Absetzens von Benzodiazepinen eine erhebliche Rolle.
4.1.2 Langsame und langfristige Medikamente (Antidepressiva, Antipsychotika, Phasenprophylaktika)
Verglichen mit den schnell wirkenden Benzodiazepinen tritt die volle Wirkung dieser Medikamente erst nach längerer Zeit ein (nach Tagen, Wochen bis hin zu Monaten)8
4.1.2.1 Antidepressiva
Abb. 5: Antidepressiva – Psychiatrische Anwendung
Antidepressiva können das Erleben langfristig »weicher« machen. PatientInnen, die Antidepressiva einnehmen, beschreiben, dass das Erleben aus größerer Distanz zu kommen scheint, mit niedrigerer Intensität und Schärfe. Aus diesem Grund kann es unangebracht sein, in Fällen, in denen die Traurigkeit vom Tod einer nahestehenden Person ausgelöst wurde, automatisch Antidepressiva einzusetzen. Hier können Antidepressiva den natürlichen Trauerprozess nicht nur aufschieben, sondern manchmal sogar stoppen.
Im Falle einer Depression können Antidepressiva zu einer funktionalen Desensibilisierung beitragen. Die Gefühle von Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit werden von der PatientIn nicht mehr als so qualvoll erlebt. Die verringerte Intensität der schmerzvollen Erfahrungen befähigt die PatientIn paradoxerweise, in der Psychotherapie zu arbeiten und davon zu profitieren. Es kann der PatientIn helfen, solche »verpackten« Erfahrungen mit der TherapeutIn zu teilen statt damit allein zu bleiben. Auf diese Weise wird die fixierte Gestalt der Depression in der Therapie unterbrochen (siehe Kapitel 21 über Depressionen).
Antidepressiva können nicht nur zu einer funktionalen Desensibilisierung beitragen, sondern auch zur Mobilisierung von Energie. Im Fall von schwereren Depressionen können die Antidepressiva helfen, die Energiereserven langsam wieder aufzufüllen. Diese Energie lässt sich dann von der PatientIn für notwendige Handlungen mobilisieren. »Ich habe nicht an die Antidepressiva geglaubt … Aber nach ungefähr zwei Monaten konnte ich alltägliche Dinge wieder genießen. Und ich bin ein bisschen aktiver geworden …«
Antidepressiva mildern auch Angst. Verglichen mit Benzodiazepinen tritt ihr angstlösender Effekt langsamer und weniger offensichtlich ein, hält länger an und es besteht kein Abhängigkeitsrisiko.
4.1.2.2 Stimmungsstabilisier (Phasenprophylaktika)
Abb. 6: Stimmungsstabilisier – Psychiatrische Anwendung
Stimmungsstabilisierer sind Medikamente, die bei der Erdung helfen können. Sie reduzieren die Intensität und verlangsamen die »Hochphasen« des Kontaktzyklus (Mobilisierung von Energie und Handlung). Andererseits stärken sie die »Tiefphasen« des Kontaktzyklus (das Bewusstsein von Wahrnehmungen, die Integration von Erfahrungen und Rückzug). Sie reduzieren die exzessive Intensität einer Erfahrung und ermöglichen dadurch eine angemessene Handlung und eine Kontakterfahrung. Die Vorteile solcher Wirkungen sind offensichtlich, wenn das Medikament die vorherrschende Manie oder Depression »im Zaum« hält. Zwischen den Episoden, wenn die PatientIn gut »funktioniert«, wird die Verringerung der Energiemobilisierung und der Aktivität manchmal als unangenehm erlebt. Langfristiger Gebrauch des Medikaments ist dennoch normalerweise notwendig, um schwere Manien und Depressionen zu verhindern. Eine Psychotherapie ermöglicht eine Aussöhnung mit den Einschränkungen, die die Erkrankung und die Medikation mit sich bringen, und konzentriert sich darauf, die funktionierenden Bereiche im Leben der PatientIn zu unterstützen.
Bei PatientInnen mit instabilem emotionalen Erleben (diagnostiziert als Persönlichkeitsstörung) können Stimmungsstabilisierer als »innere Bestärkung« oder als ein »Rahmen« dienen, der es ermöglicht, das Erleben zu strukturieren und zu ertragen, ohne dass die unerträgliche Spannung durch impulsive Handlungen abgebaut werden muss. In diesem Fall hat die Psychotherapie eine ähnliche Aufgabe und kann schließlich theoretisch das Medikament ersetzen.
4.1.2.3 Antipsychotika (Neuroleptika)
Abb. 7: Antipsychotika – Psychiatrische Anwendung
Antipsychotika kann man als Medikamente betrachten, die helfen, die Grenze zwischen Körper und Umwelt zu klären und zu stärken. Ein Mensch in einer akuten psychotischen Phase erlebt sich selbst nicht als klar von der Umwelt abgegrenzt, im psychologischen Sinn hat er »keine Haut« (Spagnuolo Lobb 2003a, 264). Er kann sich durch Ereignisse, die mit ihm nicht in Verbindung stehen, bedroht fühlen, oder denken, dass sein eigenes Erleben die Macht hat, seine Umwelt direkt zu beeinflussen. Er lebt in einem Zustand, in dem er sich permanent bedroht fühlt, und die psychotischen Symptome stellen eine kreative Anpassung dar, die ihm helfen, diese schwierige Feldkonstellation zu überleben (für Details siehe Kapitel 20 über Psychosen).
Antipsychotika reduzieren die hinderlichen Inputs und helfen dabei, eine funktionale Abgrenzung zwischen Erfahrungen zu schaffen, die von der externen und der inneren Umwelt kommen, und tragen zur Integration bei. Wir können uns vorstellen, dass die Antipsychotika eine »Nilpferdhaut« machen (Rahn / Mahnkopf 2000, 204–214). Diese Funktion ist nützlich, wenn die PatientIn in einem akuten psychotischen Zustand ist. Wenn dieser jedoch abklingt, nimmt die PatientIn die allgemeinen Einschränkungen und die Starre und Steifheit, die mit der Einnahme von Antipsychotika einhergehen können, als unangenehm wahr. Eine langfristige Anwendung der Medikation ist eine wichtige Vorbeugung bei PatientInnen mit chronischen schizophrenen Erkrankungen, da diese die Häufigkeit und Intensität weiterer psychotischer Anfälle reduziert. Eine Psychotherapie kann die Wirkung des Medikaments wirkungsvoll ergänzen und hilft, das Gefühl einer dauerhaften, sicheren und zugewandten Basis und die Erfahrung einer stabilen Beziehung zu schaffen (Spagnuolo Lobb 2003a), was eine sichere Abgrenzung des eigenen Selbst und seiner Bedürfnisse ermöglicht.
Bei PatientInnen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung spielen die Antipsychotika eine stabilisierende Rolle, sie reduzieren die Impulsivität und stärken die Fähigkeit zur Selbstregulation. Sie ermöglichen PatientInnen, intensives und chaotisches Erleben zu strukturieren und zu integrieren. Es ist dann in der Therapie einfacher, daran zu arbeiten, sich die Impulse bewusst zu machen und sie zu kontrollieren. Es könnte dann leichter sein, die Mobilisierung von Energie bewusst zu verlangsamen und die Handlung wirkungsvoll zu steuern. Eine solche Handlung muss nicht in der zwanghaften Wiederholung einer fixierten Gestalt resultieren, die die unerträgliche Spannung vorübergehend dämpft, sondern es könnte stattdessen zu einer volleren Kontakterfahrung kommen. Dieser Effekt von Antipsychotika ist normalerweise hauptsächlich während einer Dekompensation nützlich, die sogar bis hin zu einem psychotischen Erleben reichen kann. Abgesehen von diesen Zeiten ist eine Psychotherapie unerlässlich, die darauf abzielt, eigene Fertigkeiten und Kompetenzen auszubilden, um mit sehr intensiven Erfahrungen und impulsiven Handlungen umzugehen.
4.2 Die PatientIn-Medikament-Beziehung
Die medikamentöse Behandlung ist in der Psychotherapie präsent, obwohl sie die meiste Zeit eher im Hintergrund steht. In Krisenzeiten oder bei »Durchbrüchen« in der Therapie können die Medikamente in den Vordergrund rücken. So kann eine PatientIn in einer Krise mehr Medikamente benötigen und dies in der Therapie ansprechen, oder sie fühlt sich besser und denkt darüber nach, wie es wäre, keine Medikamente mehr zu brauchen. Zu diesen Zeiten wird die Einnahme von Medikamenten eine Figur. Die Beziehung, die eine PatientIn zu ihren Medikamenten hat, beeinflusst das gesamte Feld. Aus diesem Grund ist es notwendig, dass die TherapeutIn auf eine nicht wertende, phänomenologische Weise dabei hilft, nicht nur ins Bewusstsein zu holen, wie die Medikamente die PatientIn beeinflussen, sondern auch, welche Beziehung die PatientIn zur medikamentösen Behandlung hat.
Die PatientIn kann zwei extreme Haltungen zur medikamentösen Behandlung einnehmen oder zwischen ihnen schwanken. Einerseits kann sie davon überzeugt sein, dass sie keine Medikamente will und dass eine Psychotherapie ausreichen sollte. Möglicherweise hat sie Angst, »wenn ich Medikamente nehme, dann ist es wirklich ernst, dann bin verrückt.« Sie kann unter dem Einfluss von Introjekten stehen, z. B. »Ich muss das alleine schaffen, Medikamente können mir das nicht abnehmen« oder »Ich kann es mir doch nicht einfach leichter machen.« Solche Introjekte können darauf hindeuten, dass es für die PatientIn schwierig ist, Unterstützung von der Umwelt anzunehmen. Das Ansprechen einer medikamentösen Behandlung im Zuge therapeutischer Arbeit und auch nur die Erwähnung einer solchen Möglichkeit kann die PatientIn unsicher und beschämt machen.9 Es könnte für manche PatientInnen eine wesentliche und neue Erfahrung sein, sich bewusst auf Hilfe von außen in Form eines Medikaments zu verlassen, die eigene Schwäche zuzugeben und sich selbst zu erlauben, diese Form der Unterstützung von außen zu akzeptieren.
Eine weitere extreme Haltung könnte man bei einer PatientIn antreffen, die die medikamentöse Behandlung wünscht und durch die Medikamente unangenehme Erfahrungen in der Psychotherapie reduziert oder vermeidet. Sie kann die Verantwortung für ihren Zustand und für Veränderungen ablehnen. Solche PatientInnen können sich selbst als hilfloses Objekt wahrnehmen, »die Depression verursacht die Probleme, es ist der Serotoninmangel.« Wenn sich ihr Erleben verändert und sie sich leichter fühlt, kann sie sagen: »Dieses Prozac (Fluoxetin), das ich jetzt nehme, ist hervorragend, es hat mich komplett verändert und ich schaffe jetzt wieder dasselbe wie früher.« Sie projizieren ihre eigenen Fähigkeiten und ihre eigene Verantwortung für die Veränderung auf das Medikament. Sie können sich daran gewöhnen, auf unangenehme Erfahrungen und bei jedem Anlass für Unmut mit der Einnahme von Medikamenten zu reagieren, besonders durch sofort wirkende Benzodiazepine. Das führt dazu, dass sie das Potenzial von Situationen nicht nutzen, in denen sie mögliche Quellen ihrer eigenen Selbstunterstützung entdecken könnten.
Psychotherapie kann als Prozess verstanden werden, in dem man in jedem Moment die Fähigkeit ausbildet, Selbstunterstützung und die Akzeptanz von äußerer Unterstützung in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen.
Im Laufe einer Psychotherapie erarbeiten sich PatientIn und TherapeutIn eine realistische Haltung (möglichst wenig von Introjekten belastet) bezüglich der Art und Weise, wie die medikamentöse Behandlung ihre Zusammenarbeit beeinflusst. So können beide lernen, die Medikamente als eine der äußeren Unterstützungs-Quellen hier und jetzt zu akzeptieren. In Zeiten, in denen der Druck steigt, wenn die Psychotherapie nicht verfügbar ist oder wenn die PatientIn erhebliche Schwierigkeiten erlebt, hat sie die Möglichkeit, sich Unterstützung durch das Medikament zu holen. Sie kann diese Option frei und bewusst in Betracht ziehen und eine kompetente Entscheidung treffen.
4.3 Die Therapeutln-Medikament-Beziehung
Während einer Psychotherapie, in der auch Psychopharmaka einen Platz haben, können bei der TherapeutIn folgende Fragen auftauchen: Welchen Effekt haben die Psychopharmaka genau jetzt auf den psychotherapeutischen Prozess – verlangsamen oder beschleunigen sie ihn? Welche Funktion haben die Medikamente in einer therapeutischen Beziehung und im gesamten Feld der therapeutischen Situation? Was bedeutet es für die PatientIn, die TherapeutIn und ihre Beziehung, wenn die Medikamentendosis im Lauf der Psychotherapie reduziert oder verstärkt wird, wenn Medikamente abgesetzt oder empfohlen werden?
Damit die PsychotherapeutIn und die PatientIn frei sind, Antworten auf diese Fragen zu finden, muss sich die TherapeutIn ihrer eigenen Beziehung gegenüber Psychopharmaka bewusst sein, die ins Feld der therapeutischen Situation gebracht werden. Eine PsychotherapeutIn, die nicht reflektiert und ihre Skepsis und ihre Aversion den Medikamenten gegenüber deutlich macht, schadet ihrer PatientIn genauso wie eine ÄrztIn, die sich ausschließlich auf die psychopathologischen Symptome in komplexen Erfahrungszuständen konzentriert, vorschnell Medikamente für jedes Unwohlsein verschreibt und damit den natürlichen Fluss des psychotherapeutischen Prozess verhindert (Fain et al. 2008, in Holub 2010).
Die Einstellung zu Psychopharmaka ist bei jeder PsychotherapeutIn individuell verschieden und sie entwickelt sich auch während ihrer Praxis, abhängig vom Arbeitskontext und der Auswahl der PatientInnen. Für eine TherapeutIn ist es wichtig, sich bewusst zu machen, welche Beziehung sie zu einem bestimmten Medikament einer PatientIn hat. Sie kann folgendes Experiment versuchen: Sie setzt das Medikament auf einen leeren Stuhl und spricht zu ihm. So kann sie z. B. sagen: »Medikament, ich bin froh, dass wir einander gut ergänzen. Dank deiner Hilfe muss ich mir weniger Sorgen um den Patienten machen.« Oder sie kann sagen: »Medikament, ich mag dich nicht, weil du meine Therapie störst. Der Patient ist abhängig von dir geworden und ich würde dich wirklich gerne aus der Therapie raus haben. Aber das kann ich nicht, weil der Patient dich will. Ich fühle mich machtlos, du machst mich wütend. Er mag dich lieber als mich. Dank dir macht der Patient Fortschritte.« Vielleicht merkt die TherapeutIn, dass sie nichts über das Medikament weiß, dass sie mehr Informationen über seine Merkmale braucht, darüber lernen muss und dann ihre Beziehung zu ihm weiter erforschen kann.
Die TherapeutIn muss auch ihre Beziehung zu Medikamenten im Allgemeinen untersuchen. So kann sie z. B. von einem Introjekt bestimmt werden: »Der Beweis für eine gute Psychotherapie ist, dass die PatientIn keine Medikamente braucht.« Sie kann den Eindruck haben, dass das Medikament ihre Arbeit und sie selbst in ihrer therapeutischen Rolle entwertet. »Wenn eine PatientIn Medikamente nehmen muss, bedeutet das, dass ich als TherapeutIn nicht gut genug für sie bin.« Solch ein konkurrenzbetonter Ansatz bei der TherapeutIn wird sich notwendigerweise auch auf den therapeutischen Prozess auswirken.
Wenn eine TherapeutIn ihre Beziehung zu Medikamenten erforscht, wird wahrscheinlich die Frage nach ihrer Haltung zum medizinischen Versorgungssystem, zu Diagnosen und zu PsychiaterInnen aufkommen. Die TherapeutIn muss sich bewusst machen, wie ihre Einstellung zu diesen Themen ihre Arbeit mit einer bestimmten PatientIn beeinflusst. Sonst besteht das Risiko, dass sie ihren Ansatz (missbilligend oder bewundernd oder abhängig usw.) auf das medizinische Versorgungssystem oder das Medikament projiziert, das eine PatientIn nimmt. Die TherapeutIn muss ihrer PatientIn nichts über ihre Haltung erzählen, aber es ist notwendig, dass sie sich bewusst ist, auf welche Weise diese Haltung die therapeutischen Interventionen und die gesamte therapeutische Situation beeinflusst. Es kann nützlich für die TherapeutIn sein, sich bestimmte Fragen zu stellen: Welche Ansichten habe ich zu Psychopharmaka und zum psychiatrischen System insgesamt? Habe ich oder jemand, der mir nahesteht, persönliche Erfahrungen mit Psychopharmaka? Wie sieht diese Erfahrung aus und wie beeinflusst sie meine Haltung zu Psychopharmaka? Die Antworten auf diese Fragen bilden das Vorverständnis der TherapeutIn, sie müssen ins Bewusstsein geholt und ausgeklammert werden, damit sie nicht den natürlichen Fluss des Kontakts mit der PatientIn blockieren.