Kitabı oku: «Kreativität und Hermeneutik in der Translation», sayfa 3
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Kreativität beim Literaturübersetzen. Eine Bestimmung auf rhetorischer Grundlage
Rainer Kohlmayer (Mainz-Germersheim)
Abstract: The type of translational creativity identified in think-aloud-protocols of students is only of minor interest for literary translators. Creativity in literary translation has never been limited to the discovery of intelligent solutions for individual linguistic problems. The essay tries to widen the perspective by referring to the rhetorical method of producing oral or written texts. Rhetorically speaking, the translator’s task starts only at the third stage of text production (elocutio) whereas fully-fledged creative writers start out with finding a plot (inventio) and deciding on its structure (dispositio). On the other hand, the stage of elocutio (or style as it is called most of the time) may be considered to be the creative synthesis of any literary work, integrating not only the two preceding stages but also predetermining, or, at least, trying to influence the way a text is to be read aloud or performed silently in the future reader’s mind (pronuntiatio/actio). The German poet-philosopher Novalis (Friedrich von Hardenberg), a close friend of Friedrich and August Wilhelm Schlegel, considered style to be the rhetorical declamation inscribed into the text (“die schriftliche Stimme”), thus linking the traditional rhetorical approach with the modern age of anonymous readers. In the mainstream German tradition, starting with Herder, literary translators have consistently tried to imitate the “voice” of a text, combining a considerable amount of philological research with the creative art of coherent mental mimicry. The practical side of this approach is illustrated by examples taken from the well-known German translator Hans Wollschläger (1935–2007). Unfortunately, this great rhetorical tradition of literary translation has been ignored by most schools of modern translation theory, whether they were of structuralist, functionalist, or cognitivist origins. Small wonder, then, that literary translators often deny the usefulness of theory. There are, however, clear signs of a new and mutual learning process.
Keywords: Literary translation, creativity, rhetoric, written voice, mimesis.
1 Ist translatorische Kreativität ein punktuelles Phänomen?
Die Selbstverständlichkeit, mit der in der Gegenwart Kreativität angeboten und nachgefragt wird, hat etwas Diffuses, denn schließlich erlangte der Begriff erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ausgehend von den USA, seine unwiderstehliche Popularität.1 Unter dem Stichwort ‚Kreativität‘ findet man im Historischen Wörterbuch der Philosophie von 1976 noch folgende Merkmalbeschreibung:
Relative Übereinstimmung besteht, daß folgenreiche Produkte, die bezüglich des Erwartungssystems der sie auswertenden Gruppe neu sind und dieses Erwartungssystem modifizieren, Anspruch auf den Titel „kreativ“ haben. (Ritter/Gründer 1976, Bd. 4: 1194f.)
Aus der anspruchsvollen Merkmalliste – folgenreich, neu, systemverändernd – ist im heutigen Alltagsverständnis nur noch das Merkmal neu erforderlich, und zwar im Sinne einer Fähigkeit oder eines Produkts, auf einem x-beliebigen Gebiet Neues bzw. Innovatives zu bieten. Die schöpferische Kraft, die seit der Renaissance das ‚Genie‘ der großen Künstler und genialen Erfinder auszeichnete (und bis heute im nichtssagenden Klischee der ‚kongenialen‘ Übersetzung weiterlebt), ist – in kleiner Münze – zu einem festen Bestandteil unseres demokratischen Menschenbildes in der kapitalistischen Marktwirtschaft geworden. Habe den Mut, kreativ zu sein ist auch in der jungen Übersetzungswissenschaft zum Motto der Ausbilder geworden. Die bisherigen Wertmaßstäbe (Treue, Äquivalenz, Adäquatheit, Kompetenz usw.) wurden inzwischen vom pfiffigeren Leitbegriff Kreativität überholt. Hätte man in der obigen Merkmalbeschreibung von 1976 an Stelle von ‚Produkte‘ das Wort ‚Übersetzungen‘ eingefügt, wären höchstens ein Dutzend großer deutscher Übersetzungsleistungen in den Genuss des Prädikats ‚kreativ‘ gekommen, aber sicher keine schlauen Lösungen von Übersetzungsproblemen in Zeitungs- oder Fachübersetzungen, wie das heute (mit einem gewissen Recht) reklamiert wird. In seinem beliebten Ratgeberbuch Kreatives Übersetzen schreibt Kußmaul, die übersetzerische Kreativität, die er als besonderes Qualitätsmerkmal (und als Gegenbegriff zur bloßen Routine) versteht, zeige sich bereits dort, wo aufgrund der Sprachverschiedenheiten eine nicht-wörtliche Wiedergabe gewählt würde (Kußmaul 22007: 13); folglich sei das Übersetzen eine „höchst kreative Tätigkeit“ (Kußmaul 22007: 16). Kußmaul hat jedoch eine ausgesprochen punktuelle Vorstellung von übersetzerischer Kreativität.2 So zitiert er August Wilhelm Schlegels Übersetzung jener Stelle des Hamlet-Monologs, wo „sicklied o’er“ mit der Wortschöpfung „angekränkelt“ wiedergegeben wird, was ihm besonders kreativ vorkommt und den „Kern“ seiner Vorstellung von einer „kreativen Übersetzung“ betreffe (Kußmaul 22007: 30f.). Aber hat Schlegel gerade hier nicht besonders wörtlich übersetzt?3 Wie Shakespeare die Wortbildungsmöglichkeiten des Englischen ausreizt, so beutet Schlegel die Wortbildungsmittel des Deutschen aus und kreiert analog zum Wortbildungsmuster von angegilbt, angeglichen, angegraut, angeheitert, angewärmt usw. sein „von des Gedankens Blässe angekränkelt“. Wird aber wirklich der „Kern“ der literatur-übersetzerischen Kreativität erfasst, wenn der Übersetzer punktuell eine analoge Wortbildung wählt? Hätte Schlegel eine andere lexikalische Lösung gewählt oder kreiert (infiziert, angesteckt, angeschminkt, angebleicht, angeschwächelt usw.), wäre dann seine Hamlet-Übersetzung weniger kreativ?
Die Literaturübersetzer gehen mit dem positiven Prädikat ‚kreativ‘ (bisher) etwas zurückhaltender um. Symptomatisch ist da vielleicht der untertreibende Buchtitel Gutes Übersetzen. Neue Perspektiven für Theorie und Praxis des Literaturübersetzens, hrsg. von Albrecht Buschmann (2015).4 Dass gutes/kreatives Übersetzen von Literatur keinesfalls nur mit einzelnen schwierigen Stellen und punktuellen Lösungen, wie Kußmaul sie in unermüdlicher Genauigkeit bespricht und Bayer-Hohenwarter sie in aufwendigen Verfahren misst und sortiert, gleichzusetzen ist, kommt mir als Literaturübersetzer und Übersetzungstheoretiker offensichtlich vor. Kreatives Literaturübersetzen hat auch mit lebendiger Mündlichkeit, mit Performanz, mit Einfühlungsvermögen, mit ästhetischer Kompetenz, mit Mimesis, mit Kunst zu tun, mit Gesichtspunkten jedenfalls, die bei Kußmaul und Bayer-Hohenwarter, die sich ja auf die Auswertung von Think-aloud-Protokollen ihrer Studierenden beschränkten, gar nicht vorkommen können.5 Im Folgenden soll daher über die kreativen Spielräume beim Literaturübersetzen weniger punktuell nachgedacht werden, wobei wir uns von der Rhetorik leiten lassen.
Dass Rhetorik und Übersetzen seit Ciceros „ut orator“ enge Verwandte sind, ist allgemein bekannt;6 aber der Begriff ‚Kreativität‘ oder ‚Originalität‘ spielt in der Rhetorik keine Rolle; das Stichwort fehlt daher auch im zwölfbändigen Historischen Wörterbuch der Rhetorik. In der deutschen Literatur der Neuzeit wurde die Rhetorik niemals mit Originalität und Innovation assoziiert, eher mit dem Gegenteil, also mit klischeehaften und einengenden Vorschriften, die man bei der Herstellung einer Rede oder eines Textes zu beachten hätte. Die Schubladen und Schemata der rhetorischen Mittel und Techniken schienen die kreativen Einfälle eher abzuschrecken als aufzuwecken. Man braucht nur an die Rebellion des Sturm-und-Drang zu denken, als in einer antirhetorischen Kulturrevolution der traditionelle lateinische Rhetorikunterricht kulturpatriotisch abgewertet wurde, und zwar unter Berufung auf Natürlichkeit und Originalität (wie man dies in der gefälschten Ursprünglichkeit des Ossian zu erkennen glaubte). Dass der damals als naturwüchsiger Barde gepriesene Shakespeare schon bald als Rhetorikexperte entdeckt wurde, zeigt jedoch, dass Rhetorik und Originalität keine Gegenbegriffe sind. Die kurze antirhetorische Rebellion des 18. Jahrhunderts beruhte auf einem gravierenden Missverständnis. Man deutete das rhetorische System als einengendes System von Vorschriften, woran in vielen Fällen die Drill-Methoden des damaligen lateinischen Rhetorikunterrichts schuld gewesen sein könnten. Fragen wir also, wo im Rahmen der gegenwärtigen Rhetorik die damals geforderte ‚Originalität‘ bzw. die heute erforderliche ‚Kreativität‘ angesiedelt sein könnte, wobei es uns letztlich um die spezifische Kreativität beim Literaturübersetzen geht. Wo liegen die Möglichkeiten der Übersetzer‚ ‚Innovatives‘, ‚Neues‘, ‚Kreatives‘ zu produzieren?7
2 Rhetorische Textproduktion und Kreativität
Die Rhetorik ist vor allem ein System von Textproduktions-Möglichkeiten. Dass die Rhetorik Türe und Wege nicht verschließt, sondern Spielräume öffnet und offeriert, sieht man am leichtesten bei der Lehre von den fünf Stufen der Redeherstellung: inventio, dispositio, elocutio, memoria, actio/pronuntiatio. Auf jeder Stufe sind spezifische Möglichkeiten für Kreativität (im Sinne der Herstellung von ‚Neuem‘) gegeben. Freilich ist zu beachten, dass diese ‚Stufen‘ keineswegs dem zeitlichen Verlauf des Textproduktionsprozesses entsprechen müssen. Es sind vielmehr didaktisch-analytische Abstraktionen, die das ‚Bauen‘ eines Textes als räumliches Modell darstellen, das für den Textproduzenten in jedem Augenblick die Gleichzeitigkeit eines flexiblen Bauplans hat. Die tatsächliche zeitliche Ausarbeitung wird dem räumlichen Nacheinander niemals genau entsprechen, wie jeder erlebt, der einen wissenschaftlichen oder literarischen Text produziert. Selbst bei der Herstellung von Kriminalromanen weiß der Autor oft erst nach dem Schreiben mehrerer Kapitel, wem er das Verbrechen letzten Endes anlasten soll.1 Obwohl Vorüberlegungen über das Speichermedium und die geplante Performanz (Stufen 4 und 5) schon auf den ersten drei Stufen der Produktion eine enorme Rolle spielen können (z. B. bei Fragen wie: Vers oder Prosa, episch oder dramatisch, mono- oder dialogisch usw.), gehe ich bei der Suche nach den Spielräumen der Kreativität jetzt nur die ersten drei Stufen etwas genauer durch.
2.1 Inventio
Bei der ‚kreativen‘ (Er-)Findung des Stoffes entsteht ein neuer Plot mit neuen Figuren und neuen Situationen. Die Suchformeln der Rhetorik können als Aufforderungen zur kreativen Erfindung benutzt werden. Denn man braucht ja die Fragen „quis“ oder „quid“ usw. nur auf die eigene Person oder Gegenwart oder auf eine Zeitungsmeldung zu beziehen1 – und schon hat man den ersten Schritt zur Erfindung nie zuvor literarisierter Personen und Ereignisse getan. Beispiele für besonders neue und folgenreiche Plots sind etwa Goethes Werther oder Wedekinds Frühlings Erwachen. Dass sich Werther aus Liebe ausgerechnet an Weihnachten (dem Fest der Liebe) selbst tötet, war eine ungeheure literarische Tat – etwas radikal Neues, wozu Goethe anscheinend durch den Selbstmord eines juristischen Kollegen und seine eigene Liebe zu Lotte, deren Namen er sogar unverschlüsselt stehenließ, angeregt wurde. Wedekinds Frühlings Erwachen präsentierte sexuell erwachende Kinder als Opfer einer verknöcherten Gesellschaft, was als schockierend empfunden wurde; auch Wedekind verarbeitete unter anderem einen Selbstmord aus seiner Schulzeit.
Die (Er-)Findung einer Geschichte, von Figuren und Situationen gehört zweifellos zum kreativen Kerngeschäft der Schriftsteller. Wer Literatur produzieren will, muss in einem ganz einfachen Sinn etwas Neues zu bieten haben, auch wenn das Muster der Fabel (Ödipus, Odyssee usw.) als Palimpsest mehr oder weniger deutlich erkennbar ist.2 Dass dabei selbst in der radikalsten Innovation immer auch Konventionelles und Traditionelles beibehalten und weitergegeben wird, ist selbstverständlich. Nicht alles kann neu sein, sondern nur bestimmte Züge des Werkes. Goethes Werther bleibt im konventionellen Rahmen des Briefromans; ebenso bleibt Wedekinds Kinder-Tragödie in mancherlei Hinsicht ein konventionell gebautes Drama. Man darf behaupten, dass man vom typischen Schriftsteller Innovatives auf der Ebene der inventio (Thematik, Plot, Raum, Zeit, Personen) erwartet. Vom typischen Übersetzer dagegen nicht. Das unterscheidet ihn vom Schriftsteller und vom Bearbeiter. Der Übersetzer braucht auch – trotz aller Empathie – nicht die Konflikte und Strapazen zu erleiden, die den biografischen Hinter- oder Untergrund vieler literarischer Werke bilden. Der Autor ‚übersetzt‘ Erlebtes und Erfundenes in Sprache, der Übersetzer übersetzt Gelesenes einfühlsam in eine andere Sprache.
2.2 Dispositio
Als kreativ würde man hier die Innovation der üblichen Gliederung/Struktur/Reihenfolge bezeichnen. Die erwartbare zeitliche Abfolge eines Genres oder eines Texttyps wird vom ‚kreativen‘ Innovator nicht befolgt, sondern die Reihenfolge wird auf überraschende Weise neu gestaltet. Ein gutes Beispiel für dispositorische Innovation ist Laurence Sternes Tristram Shandy. Der Ich-Erzähler ist als sympathischer, exzentrisch zerstreuter Plauderer angelegt, der die Reihenfolge der Zeit willkürlich und unwillkürlich durcheinanderwirbelt. Er schreibt angeblich eine Autobiografie, die aber nicht einmal über die früheste Kindheit des Helden hinauskommt. Oder Goethes Roman Wahlverwandtschaften: eine chemische Formel, über die am Anfang gesprochen wird, wird zum geheimen Bauplan der Schicksale der beteiligten Personen. Man kann auch hier getrost verallgemeinern: zur typischen literarischen Kreativität kann auch ein gewisses Maß an Innovation auf der Ebene der dispositio gehören. Vom typischen Übersetzer dagegen erwartet man die lineare Einhaltung der Reihenfolge des Originals. Auch darin unterscheidet er sich vom Schriftsteller und vom Bearbeiter.
2.3 Elocutio
Kreativität wird hier gesehen als Innovation der Sprech- oder Erzählweise. Dies ist wohl die wichtigste Baustelle der schriftstellerischen Kreativität. Erst durch die stilistisch gute oder innovative Schreibweise wird der Plot und seine jeweilige Struktur zu einem starken Text. Der eigene, womöglich unverwechselbare Stil ist nicht nur eine der Besonderheiten der großen Schriftsteller, sondern auch das Wunschziel aller literarisch Schreibenden. Dieser eigene Ton des Erzählers oder die präzise herausgearbeiteten Stimmen der Roman- oder Dramen-Figuren sind die Synthese des gesamten kreativen Schreibprozesses, weil hier auch schon die letzte Stufe des rhetorischen Produktionsprozesses – die actio und pronuntiatio des Lesens – möglichst vorauskalkuliert wird.1 Auf dieser Stufe der Ausarbeitung wird die eigentliche literarische Arbeit geleistet. Ein Plot ist relativ leicht zu finden; kann doch bereits ein aufwühlendes Ereignis oder eine Zeitungsnachricht die wichtigsten Anhaltspunkte liefern (wie oben bei Goethe, Wedekind, Dörrie angemerkt). Die Innovation der genretypischen Gliederung kommt vermutlich seltener vor, da die Gattungen hier oft recht starre Muster vorschreiben. Am schwersten ist es sicher, auf der synthetischen Stufe der elocutio den Erzähler oder die Figuren lebendig und unverwechselbar, d. h. auf dem literarischen Markt als neu erscheinen zu lassen, wie man aus Stoßseufzern von Schriftstellern weiß (siehe z. B. „nerve-wracking“ in Fußnote 8). Die Mühsal des Formulierens ist die Stufe, wo sich der eigentliche kreative Anspruch des Schriftstellers bewähren muss. Und hier ist auch die Stufe erreicht, wo man von übersetzerischer Kreativität sprechen kann, darf oder gar muss.
Dagegen lassen sich mindestens zwei Einwände erheben. Einmal ist jede Übersetzung in einem trivial-materiellen Sinn ein neues Produkt, und absolut jeder Übersetzungsvorgang ist ein Beweis für die sprachliche Kreativität des Menschen.2 Ich bezweifle aber, dass man schon für jede sprachliche Transferleistung den Begriff ‚kreativ’ als positives Qualitätsmerkmal (als Werturteil im Sinne von gut/originell usw.) verwenden sollte, weil der Begriff damit auch auf banalste Routineformeln zuträfe, z. B. auf die Ersetzung von „Bonjour“ durch „Guten Tag“. Es gibt sogar literarische Übersetzungen, die so weit hinter dem ästhetischen Anspruch des Originals zurückbleiben, dass man ihnen keine Kreativität zuerkennen sollte, auch wenn darin einzelne Übersetzungsprobleme durchaus kreativ gelöst wurden; wie es umgekehrt vorkommt, dass eine Übersetzung insgesamt ästhetisch gelungen ist, auch wenn sie einzelne Fehler und Mängel enthält. Hier liegt einer der Stolpersteine einer relevanten literarischen Übersetzungskritik.3 Kurzgesagt: Es kommt beim Literaturübersetzen gerade nicht nur auf die Lösung punktueller Schwierigkeiten an, sondern auf das Konzept des Ganzen. Literaturübersetzen ist, auch wenn es anscheinend nur die lineare Abfolge der elocutio-Stufe betrifft, eine synthetisch-ganzheitliche Tätigkeit.
Der zweite Einwand könnte von Fachübersetzern vorgebracht werden: Die Arbeit der Sach- und Dokumenten-Übersetzer beginnt nicht erst auf der Stufe der elocutio. Führerscheine, Gebrauchsanweisungen, Geschäftsbriefe, Zeugnisse, Kochrezepte usw. haben oft in der Ausgangs- und in der Zielsprache ein unterschiedliches Format. Sie sind bereits auf der Ebene der dispositio, womöglich auch schon auf der der Fakten (Topik) anders zu übersetzen, als der Blick auf das Originaldokument suggeriert. Hier liegen oft fach- oder kulturspezifische Text-Muster vor, die zu erfüllen sind. Aber diese unterschiedlichen Textsortenerfordernisse (Änderungen des Briefkopfes, der Reihenfolge der Informationen usw.) würde ich auch nicht als kreative Herausforderung bezeichnen, da es ja nur um die intelligente Erfüllung normativer Textmuster geht. Wenn der Zweck oder die Angemessenheitskriterien routinemäßig vorgegeben sind, bleibt meines Erachtens nur genau jener punktuelle Spielraum für kreative Lösungen, wie Kußmaul und Bayer-Hohenwarter sie aus ihren Ton-Dokumenten herausdestillieren und analysieren.
Die literarischen Übersetzer erfinden keine neuen Geschichten, keine neuen Figuren, Situationen oder Gliederungen: Sie übernehmen die fertigen Texte samt ihrer Gliederung als Übersetzungsauftrag. Ihre kreative Arbeit beginnt und endet in der Regel (also abgesehen von präzisen Änderungswünschen des Verlags) auf der Ebene der elocutio.4 Gregory Rabassa formuliert das etwas drastischer:
The translator, we should know, is a writer too. As a matter of fact he could be called the ideal writer because all he has to do is write; plot, theme, character, and all the other essentials have already been provided, so he can just sit down and write his ass off. (Hier zitiert nach Wright 2016: 53)
Jeder Literaturübersetzer weiß jedoch, dass der tatsächliche Übersetzungsprozess weder mit dem Drauflosschreiben beginnt noch darin besteht.