Kitabı oku: «Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 4», sayfa 3

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Wachablösung im Oberhausener Rathaus

Bei den Wahlen am 28. Oktober 1956 ging es aus Sicht der SPD um nicht weniger als die „Wachablösung im Oberhausener Rathaus“. Kein Geringerer als der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Fritz Steinhoff, eröffnete den Kommunalwahlkampf beim Unterbezirksparteitag der SPD im Kaiserhof in Sterkrade. Die Kommunalpolitik spielte in seiner Rede aber nur eine Nebenrolle, stattdessen attackierte er Bundeskanzler Adenauer, der seiner Meinung nach viel mehr für die deutsche Wiedervereinigung hätte tun müssen.45 Aus diesen Attacken spricht auch ein Stück Ratlosigkeit über die Welle der Popularität, auf der Adenauer schwamm. Bei den Bundestagswahlen 1957 und 1961 holte Martin Heix jeweils vor Luise Albertz, die nur über die Liste in den Bundestag kam, das Direktmandat für die CDU. 1957, als Adenauer mit der CDU die absolute Mehrheit im Bundestag errang, betrug der Stimmenanteil der CDU in Oberhausen 54,6 Prozent gegenüber den mageren 36,1 Prozent der SPD! Vier Jahre später war der Vorsprung der CDU auf zwei Prozent geschrumpft. Auch bei der Landtagswahl 1958 gewann die CDU beide Direktmandate für Oberhausen. 1962 war aber der Umschwung vollzogen: Beide Landtagsdirektmandate fielen jetzt an die SPD.46 In der Kommunalpolitik aber dominierten ab Mitte der 1950er Jahre die Sozialdemokraten.

Die SPD „eroberte“ am 28. Oktober 1956 tatsächlich das Rathaus. Die Zeitgenossen konnten damals nicht wissen, dass die Sozialdemokraten die Mehrheit im Rat bis ins einundzwanzigste Jahrhundert verteidigen und ununterbrochen den Oberbürgermeister stellen würden. Dass mit der Niederlage des Zentrums, vor dem Krieg jahrzehntelang die bestimmende Kraft im Oberhausener Rathaus, eine Ära zu Ende ging, war ihnen schon bewusst.


Tabelle 3: Ergebnis der Kommunalwahl in Oberhausen vom 28. Oktober 1956 47

Der „Generalanzeiger“ merkte zu Recht an, dass der SPD vermutlich die 5.000 Stimmen der verbotenen KPD zugute kamen. Das erklärt aber nicht den Zugewinn von mehr als 20.000 Stimmen; von den ehemaligen Zentrumswählern müssen viele nicht zur CDU, sondern ins Lager der SPD übergewechselt sein. Neben lokalpolitischen Themen wirkte sich für das Wahlergebnis sicher auch die Bundespolitik, vor allem der leidenschaftliche Kampf um die Wiederaufrüstung, aus. Auf der Liste der Stadtverordneten standen, neben der überragenden Gestalt der Nachkriegsjahre, Luise Albertz, die Namen Willi Haumann, Wilhelm Meinicke, Josef Kornelius und Elfriede Pusch für die SPD, Martin Heix für die CDU und Hugo Baum für das Zentrum.48

Bei der konstituierenden Sitzung des Rates am 12. November 1956 nominierte die SPD erwartungsgemäß Luise Albertz für das Amt des Oberbürgermeisters bzw. der Oberbürgermeisterin, einer damals noch gänzlich ungebräuchlichen Bezeichnung. Die Presse ließ keinen Zweifel daran, dass sie aufgrund ihrer Lebenserfahrung und aufgrund ihrer Leistungen in der Lokalpolitik und im Bundestag hervorragend für dieses Amt geeignet war. Der „Generalanzeiger“ stellte in seinem wohlwollenden Porträt aber auch Fragen, die zeigen, wie ungewohnt es für die Mehrheit noch sein musste, eine Frau in diesem Amt zu sehen: „Man kann und darf wohl die Frage stellen, ob für eine Stadt wie Oberhausen ein weiblicher Oberbürgermeister eine vertretbare oder gar eine ideale Lösung ist. Unsere Stadt hat nüchterne, selbst harte Züge, entsprechend der Härte des täglichen Arbeits- und Berufslebens. Es wäre eigentlich logisch, sie durch einen Mann repräsentieren zu lassen, der um die Härte dieses Lebens aus eigener Erfahrung weiß. Bringt Luise Albertz Eigenschaften mit, die einen ausreichenden Ersatz dafür bieten könnten? Ihr Leben gibt eine Antwort darauf.“49

Luise Albertz erhielt in geheimer Wahl 45 von insgesamt 46 Stimmen. Die einzige Stimmenthaltung kam vermutlich von ihr selbst. Wilhelm Jansen von der CDU wurde als ihr Stellvertreter mit 41 von 45 Stimmen zum Bürgermeister gewählt. Kontrovers war nur die Wahl eines zweiten Bürgermeisters. Josef Kornelius (SPD) konnte sich nur auf die 24 Stimmen seiner Partei stützen; die 17 Stimmenthaltungen kamen vermutlich von der CDU, vier der fünf Nein-Stimmen wohl vom Zentrum. In der Öffentlichkeit wurde aufmerksam registriert, dass die Stadtverordneten des Zentrums weder bei Wilhelm Jansen noch bei Josef Kornelius Beifall klatschten.50 Das Abrutschen in die Bedeutungslosigkeit mussten die vier Männer des Zentrums, von 1919 bis 1933 in Oberhausen unangefochten die führende Macht, erst noch verarbeiten.

Luise Albertz bekannte sich in ihrer Antrittsrede „als Kind dieser Arbeiterstadt Oberhausen“ zu ihren Ursprüngen, „der Gedankenwelt des Sozialismus“. Sie betrachtete auch weiterhin die sozialen Aufgaben als den Kern der Kommunalpolitik, registrierte aber auch stolz, dass die Arbeiter sich den Zugang zu den kulturellen Einrichtungen erkämpft hatten, dass sie als Teil „der Kulturgemeinschaft […] am Sonntag kaum von anderen Schichten des Volkes [zu] unterscheiden seien“. Deshalb trete die Unterstützung des Theaters gleichberechtigt neben die sozialen Aufgaben der Stadt:

„Die heiße Sehnsucht, Mensch zu sein und die geistigen Kräfte in der Gemeinschaft betätigen zu können, das ist der tiefere Sinn der Arbeiterbewegung. Alles andere ist nur Vorweg dazu, die Hebung des Lebensstandards, der Kampf um die Kürzung der Arbeitszeit und um die sozialen Rechte.“

Das waren mutige Worte, die ihr damals – so wie heute – gewiss nicht bei allen Genossen ihrer Partei Beifall eintrugen. Niemanden hat wohl überrascht, dass die neue Chefin im Oberhausener Rathaus schon damals auf die unzureichende finanzielle Ausstattung der Gemeinden hinwies und vom Bund, dessen Kassen angeblich überquollen, Unterstützung forderte. „Graue Haare“ wuchsen ihr vor allem wegen der Lasten, die durch das neue Luftschutzgesetz auf die Städte zuzukommen drohten. Dabei war sie sich, in diesen Tagen des Volksaufstandes in Ungarn und der Suezkrise, der bedrohlichen weltpolitischen Situation durchaus bewusst:

Luise Albertz

Geboren am 22. Juni 1901 in Duisburg, gestorben am 1. Februar 1979 in Oberhausen. Tochter des im KZ Bergen-Belsen ermordeten preußischen SPD-Landtagsabgeordneten und Vorsitzenden der SPD-Fraktion im Rat der Stadt Oberhausen Hermann Albertz (1877 – 1945). Besuch der Volks- und Handelsschule, Lehre bei der Stadtverwaltung Oberhausen, Buchhalterin, 1921 bis 1933 Filialleiterin der Zeitung Neueste Nachrichten. 1934 bis 1939 Devisenbuchhalterin, 1939 bis 1945 als Sachbearbeiterin für die Stadtverwaltung Oberhausen dienstverpflichtet.

1945 Sekretärin des Oberbürgermeisters, 1946 bis 1948 und von 1956 bis zu ihrem Tode 1979 Oberbürgermeisterin von Oberhausen. Erste Oberbürgermeisterin einer deutschen Großstadt. Seit 1915 war Albertz Mitglied der SPD und zunächst auch der Sozialistischen Arbeiterjugend. Ab 1945 beteiligte sie sich am Wiederaufbau der SPD in Nordrhein-Westfalen. 1947 bis 1950 für die SPD Abgeordnete des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Mitglied des Deutschen Bundestags 1949 bis 1969, dort war sie von 1949 bis 1959 Vorsitzende des Petitionsausschusses. Wegen ihres großen Einsatzes in dieser Position wurde sie „Mutter der Bedrängten“ genannt. Im Kampf um den Erhalt der Zeche Concordia 1968 erwarb sie sich den Namen „Mutter Courage des Ruhrgebiets“.

Abb. 6: Luise Albertz

„Am 6. November 1956 hing unser aller Schicksal an einem seidenen Faden. Wir hatten den Frieden schon wieder als etwas Selbstverständliches hingenommen, während er auch heute noch in keiner Weise gesichert ist.“51

Das Dauerthema: Die städtischen Finanzen (Teil 1)

Obwohl Oberhausen finanziell eigentlich besser dastand als die meisten Nachbarstädte, schien die Oberbürgermeisterin schon bei ihrer Antrittsrede 1956 zu ahnen, dass die Haushaltssorgen in der Zukunft alle kommunalen Projekte überlagern würden. Sechs Jahre zuvor hatte ein Vergleich mit anderen Großstädten noch das überraschende Ergebnis erbracht, dass die Oberhausener Bürger zur Finanzierung städtischer Aufgaben wie der Unterhaltung der Krankenhäuser oder des Theaters pro Kopf in weit geringerem Maße herangezogen wurden als die Menschen in Köln und Düsseldorf oder in den benachbarten Ruhrgebietsmetropolen Essen und Duisburg. Auch bei den Personalkosten der Verwaltung, wieder pro Kopf der Bevölkerung gerechnet, gehörte Oberhausen zu den sparsamsten Städten! Fünf Jahre später setzte das statistische Landesamt Oberhausen hinsichtlich des Steueraufkommens auf den zehnten Platz der Ruhrgebietsstädte, hinsichtlich der Pro-Kopf-Verschuldung aber schon auf den siebten Rang. Die sich daraus ergebenden Risiken, vor allem, weil auch keinerlei Rücklagen vorhanden waren, wurden im November 1955 im Rat der Stadt diskutiert. Trotzdem meinte man in der Öffentlichkeit noch, dass Oberhausen der „‚Krösus‘ unter Bettlern“ sei. Umso erstaunlicher mutet es an, dass ein halbes Jahr später im April 1956 auf Antrag der SPD gegen den zähen Widerstand des Oberstadtdirektors und des Kämmerers die Getränkesteuer abgeschafft und die Hundesteuer gesenkt wurde. Zwar war der Haushalt über 107 Millionen DM insgesamt noch ausgeglichen, der Stand der Verschuldung blieb aber hoch. Die Mehrheit der Stadtverordneten verließ sich ganz offensichtlich auf eine anhaltend gute Konjunktur und plante, unter diesen Rahmenbedingungen die Großindustrie künftig stärker zu belasten.52

Die Ratsherren und -frauen blamierten sich mit ihren Haushaltsbeschlüssen, vor allem mit der Senkung der Getränkesteuer, gründlich, denn vier Wochen später verweigerte der Regierungspräsident dem Haushalt die Zustimmung. Er verwies darauf, dass die Stadt rechtswidrig keinerlei Rücklagen gebildet habe, und ordnete an, die Steuersenkungen rückgängig zu machen.53 Dies war der Hintergrund der Haushaltssorgen, die die neue Oberbürgermeisterin schon bei ihrer Antrittsrede zum Ausdruck brachte.

Es hatte zumindest indirekt mit den gestiegenen Grundstückspreisen zu tun, wenn das Bundeskabinett in Bonn Oberhausen im Mai 1956 in die Ortsklasse S aufstufte. Ob es wirklich „überall“ in Oberhausen mit „Genugtuung“ registriert wurde, dass die Beamten wegen der gestiegenen Lebenshaltungskosten mit ihrem Gehalt jetzt den höchsten Ortszuschlag erhielten? Der Kämmerer jedenfalls musste sich auf einen Anstieg der Personalkosten um mehrere hunderttausend Mark einrichten.54 Es war Ausdruck der Aufbruchstimmung in diesen Wirtschaftswunderjahren, auch des gestiegenen Selbstbewusstseins, wenn der Verkehrsverein 1958 einen Ideenwettbewerb ausrief für den besten Werbespruch der Stadt. Ein erster Preis von 100 DM war in diesen Tagen noch genügend Anreiz für zahlreiche Einsendungen. „Oberhausen – Wiege der Ruhrindustrie“ wurde von vornherein als „nicht zweckmäßig“ verworfen. „Die Stadt im Grünen“ war schon an Buer vergeben. „Oberhausen – das Paris des Ruhrgebiets“ wurde eher als Scherz aufgefasst. Aber so ganz sicher war sich der „Generalanzeiger“ mit dieser Einschätzung nicht.55

Im November 1958 standen die Oberbürgermeisterin und ihre beiden Stellvertreter zur Wiederwahl an. Luise Albertz und die beiden Bürgermeister Wilhelm Jansen (CDU) und Josef Kornelius (SPD) wurden dieses Mal fast einstimmig in ihren Ämtern bestätigt. Sehr wohl registriert wurde das traditionelle Übergewicht Alt-Oberhausens in der Riege der Stadtoberhäupter: Seit 1945, als wieder demokratisch gewählt werden konnte, stammten alle Oberbürgermeister und drei der sechs Stellvertreter aus dem Süden. Nur drei Bürgermeister hatten ihren Wohnsitz im Norden: Große-Brömer (Osterfeld), Laufenberg (Sterkrade) und Jansen (Holten).56

Am Tag vor Heiligabend legte der Kämmerer seiner wiedergewählten Chefin den Haushaltsplan für 1959 auf den Gabentisch. Er enthielt nicht „alles das, was man sich als braves Wirtschafts-Wunderkind erträumt hatte“. Der Kämmerer rechnete mit geringeren Einnahmen aus der Gewerbesteuer, den Finanzzuweisungen des Landes und selbst aus der Vergnügungssteuer, weil die Menschen nicht mehr soviel ins Kino gingen. Die Gesamtverschuldung werde auf über 105 Millionen DM steigen, wofür ein Schuldendienst von 6,8 Millionen DM in den Haushalt einzusetzen sei. Damit gerate Oberhausen spätestens 1961 „tief in die Gefahrenzone“- für den „Generalanzeiger“ Anlass für die dramatisierende Schlagzeile: „Die ‚7 fetten Jahre‘ vorüber?“.57 Bei der Einbringung des Haushalts in den Rat der Stadt nannte der Kämmerer bereits eine Gesamtverschuldung von 108 Millionen DM. Der Oberstadtdirektor malte das Gespenst einer „Bürgersteuer oder auch Negersteuer“ an die Wand, wenn es im Frühjahr keine Konjunkturbelebung gebe. Und da sah es für Oberhausen schlecht aus, weil die HOAG nicht ausschließen wollte, dass im Frühling bei weiter flauer Konjunktur der erste Hochofen ausgeblasen würde. Trotzdem versprachen die Chefs der Verwaltung hoch und heilig, dass es keinen Baustopp bei den Großbauten (neuer Rathausflügel, Handelslehranstalt, Stadthalle) geben würde.58 Genau an diesen Projekten setzte jedoch die Kritik der Opposition an: Der Bau der Stadthalle könne zugunsten des viel dringenderen Schulbaus zurückgestellt werden. Nebenbei nutzte der Fraktionsvorsitzende der CDU die Haushaltsdebatte, um die erschreckende Zunahme der Kriminalität in der Stadt zu beklagen und um neben mehr Polizisten auf den Straßen auch die Wiedereinführung der Todesstrafe für Schwerstverbrechen zu fordern.59

Wenige Jahre später, als der Geldmangel sich überall schmerzhaft bemerkbar machte, würde man sich wehmütig an die fetten Jahre erinnern, in denen ein Großprojekt wie die Stadthalle noch realisiert werden konnte. Kurz nach der Eröffnung am 1. September 1962 wusste der „Generalanzeiger“: „Hätte man sie nicht bereits, man würde heute nicht mehr an ihre Errichtung zu denken wagen – und morgen auch nicht. […] Sie war ein Meilenstein im Aufbau des Oberhausener Kultur- und Gesellschaftslebens, aber gleichzeitig auch ein Schlussstein.“60

Neue Schulen braucht die Stadt

Mit dem Plädoyer für den Schulbau rannte der Oppositionsführer bei der Stadtverwaltung natürlich offene Türen ein. Renovierungsarbeiten und Schulneubauten waren seit Jahren in der Planung bzw. Ende der 1950er Jahre im Gang. Im Jahr 1959 wurde an nicht weniger als 14 Schulen gebaut. Die Liste der Bauplätze und der investierten Summen ist so eindrucksvoll, dass man es nicht bei einer pauschalen Zusammenfassung belassen sollte (siehe Tabelle 4 auf der folgenden Seite).

Die umfangreichen Baumaßnahmen waren für die Presse Anlass für die jubelnde Schlagzeile: „Es wächst in diesem Jahr heran: Ein Wald von Richtbäumen!“62 Rückblickend bewundert – und beneidet! – der Historiker die gewaltigen Investitionen in den Bereich Bildung, gleichzeitig beschleicht ihn jedoch die bange Frage, ob in den vor fünfzig Jahren errichteten Schulgebäuden nicht zuweilen mehr für die Instandhaltung hätte geschehen können. Immerhin sind diesbezüglich seit der Jahrtausendwende kontinuierliche Anstrengungen und der gute Wille der Stadt als Eigentümerin spür- und sichtbar.


Schule Bausumme
Sternhilfsschule im Uhlandpark 1.047.000 DM
Emscherschule 851.000 DM
Concordiaschule 710.000 DM
Peterschule 760.000 DM
Antoniusschule 1.022.000 DM
Naturwissenschaftliches Gymnasium 1.075.000 DM
Herbartschule 1.560.000 DM
Hegelschule 830.000 DM
Melanchtonschule 1.056.000 DM
Realschule Sterkrade 3.240.000 DM
Schule auf dem Freitagsfeld 1.530.000 DM
Zentrale Hilfsschule Osterfeld 1.765.000 DM
Schillerschule 1.924.000 DM

Tabelle 4: Schulbauprojekte in Oberhausen 1959 61

Der Bau der Berliner Mauer als historischer Wendepunkt

Der Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 schweißte am Anfang des neuen Jahrzehnts alle (West-)Deutschen im Widerstand gegen die Diktatur in Ostdeutschland – die Bezeichnung DDR war damals noch verpönt – zusammen. Die Oberbürgermeisterin Luise Albertz wurde in diesen angespannten Tagen von Willy Brandt persönlich nach Berlin eingeladen: „Komm und sieh es dir an.“ Luise Albertz war vor Ort, als US-Vizepräsident Johnson in Berlin von den Menschenmassen umjubelt wurde. Nach ihrer Rückkehr fand sie im Rat volle Unterstützung bei allen Parteien, als sie für die Aufnahme zusätzlicher Berlinflüchtlinge, weit über das Aufnahmesoll der Stadt hinaus, plädierte. Als besonderes Zeichen der Verbundenheit mit Berlin brachte die CDU-Fraktion den Antrag ein, den Bahnhofsvorplatz „Berliner Platz“ zu taufen.63 In der Ablehnung des kommunistischen Regimes in der DDR gab es also keinen Dissens zwischen SPD, CDU und den anderen Parteien im Rat. Schon zwei Jahre zuvor hatte sich Luise Albertz mehrfach geweigert, eine offizielle ostdeutsche Delegation aus Weißenfels im Rathaus zu empfangen. Gespräche mit Kommunisten kamen für sie nicht in Frage, solange „aufrechte Sozialdemokraten“ in der DDR noch im Gefängnis saßen.64 Diese klare Haltung der Oberbürgermeisterin schien der CSU-Innenminister Höcherl wenige Jahre später vergessen zu haben, als er sich weigerte zum „roten Filmfestival“ nach Oberhausen zu kommen.

Patt im Rat – die städtischen Finanzen, Teil 2

Wie in der Abwehrhaltung gegen die Bedrohung aus dem Osten so demonstrierten die Ratsherren und –frauen auch bei der Hundertjahrfeier im Februar 1962 die Einigkeit der Demokraten. Bei den praktischen Problemen der Kommunalpolitik jedoch war Anfang der 1960er Jahre von harmonischem Zusammenwirken nicht mehr viel zu spüren. Die Kommunalwahl vom März 1961 hatte im Rat eine Pattsituation verursacht: Den 24 Stimmen der SPD stand die gleiche Zahl von Oppositionsstimmen der CDU und der FDP gegenüber. Um bei der Oberbürgermeisterwahl einen rechtlich möglichen Losentscheid zu vermeiden, schlossen die Parteien im April 1961 einen „Vertrag“, wonach Luise Albertz nach zwei weiteren Amtsjahren durch den CDU-Bürgermeister Dr. Rohe abgelöst werden würde.65 Diese Vereinbarung kündigte die SPD aber nach der Etatdebatte vom Februar 1963 auf.


Abb. 7: Neue Hallenbäder – hier der Neubau in Osterfeld von 1971

Rückblickend aus heutiger Sicht klingen die in der Haushaltsdebatte vorgetragenen kritischen Anmerkungen erstaunlich aktuell. 70 Millionen DM zusätzlicher Darlehen würden den jährlichen Schuldendienst auf 15 Millionen DM hochschrauben. Damit war für die CDU die Grenze der vertretbaren Verschuldung überschritten; sie lehnte den Bau der Sporthalle am Vincenzhaus, der dreieinhalb Millionen DM kosten sollte, ab. Die SPD dagegen wollte die Strategie des Wiederaufbaus noch nicht auslaufen lassen und trat weiter für umfangreiche Bauinvestitionen ein. Zwei Hallenbäder, weitere Schulbauten und ein großzügiger Ausbau der Straßen und des Kanalsystems standen noch auf dem Programm. Nach einem heftigen Schlagabtausch im Ratssaal verursachte die CDU ein lokalpolitisches Erdbeben, indem sie den Etat ablehnte. Sie glaubte damit sicherlich, große Teile der Öffentlichkeit hinter sich zu haben, denn der „Generalanzeiger“ kommentierte unter Hinweis auf die ungünstigen Konjunkturerwartungen: „Dann [beim Ausbleiben einer Konjunkturerholung] werden die Spendierhosen, die jetzt immerhin noch die (Finanz-)Blöße bedecken, wirklich ausgezogen werden müssen – es sei denn, es käme wirklich zu einer Neuverteilung der Steuern zwischen Bund, Ländern und Gemeinden.“ Dies sei aber eine „Illusion […], die gerade dazu taugt, die roten Zahlen im Etat mit einem Fragezeichen zu schmücken!“66


Abb. 8: Elly-Heuss-Knapp-Stiftung

Die SPD reagierte empört, vor allem auch, weil ein zur Sparsamkeit mahnender Brief des Regierungspräsidenten in die Öffentlichkeit lanciert worden war. Auch aus Kreisen der FDP wurden die Vorwürfe des Regierungspräsidenten als „Zerrbild unserer Arbeit“ zurückgewiesen. „Durch solche Einmischung wird die kommunale Selbstverwaltung ausgehöhlt. Wir haben keine Luderwirtschaft getrieben.“67

Die SPD nahm die Ablehnung des Haushalts und die Indiskretion, die sie auch der CDU zur Last legte, zum Anlass, das Abkommen über die OB-Wahl von 1961 aufzukündigen. Die Delegierten des Unterbezirksparteitags der SPD standen einstimmig hinter dieser Konfliktstrategie. Zusätzlich angeheizt wurde die Stimmung zweifellos durch die „Spiegel-Affäre“ des Winters und durch die von der Adenauer-Regierung vom Zaun gebrochene Diskussion über „Notstandsgesetze“. Der Unterbezirksparteitag verabschiedete eine Entschließung gegen Grundgesetzänderungen dieser Art.68 Auf einer Funktionärskonferenz der SPD wurde der Ton weiter verschärft. Der CDU wurden „Obstruktion, Intoleranz, Fehlentscheidungen, Querschießen in einer Form, wie man es kaum je erlebt“ habe, vorgeworfen. Als Beispiele wurden die Entscheidungen über die Elly-Heuss-Knapp-Stiftung und über die Kurzfilmtage angeführt. Die SPD-Funktionäre brachten jetzt auch das nicht zu widerlegende Argument ins Spiel, dass Luise Albertz eine Direktwahl des Oberbürgermeisters durch das Volk zweifellos gewinnen würde. Unterbezirksvorsitzender Willi Haumann dazu: „Es bleibt dabei, Oberbürgermeister wird ‚die Alte’.“69

Am 8. April 1963 setzte sich „die Alte“ tatsächlich mit 25 zu 22 Stimmen durch. Ein Stadtverordneter aus den Reihen der CDU oder der FDP musste für sie gestimmt haben. Die CDU quittierte das Ergebnis mit dem Auszug aus der Ratssitzung.70 Die Oberhausener Öffentlichkeit verfolgte das Spektakel im Rathaus ziemlich erschrocken. Man fühlte sich an die unmittelbare Nachkriegszeit erinnert, „in der der Bürger oft fassungslos die Brandungswellen parteipolitischer Hemmungslosigkeit und oft auch der Exzesse über sich ergehen ließ“. Gleichzeitig wurde eine Änderung der Gemeindeordnung angemahnt: Die Legislaturperiode des Rates und die Amtszeit des Oberbürgermeisters müsse synchron laufen. Und um Losentscheide auszuschließen, müsste im Stadtparlament immer eine ungerade Zahl von Volksvertretern sitzen.71

Der Kommunalwahlkampf im Herbst 1964 wurde überlagert von einem Streit über einen törichten Kommentar des damaligen Bundesinnenministers Höcherl (CSU) zu den Westdeutschen Kurzfilmtagen. Höcherl hatte im Frühjahr gesagt, dass er nicht auf das „rote Festival“ in Oberhausen gehe, da sich dort die „sowjetzonale Prominenz der Filmfunktionäre ein Stelldichein“ gebe. Es entspann sich ein langer Briefwechsel zwischen Luise Albertz, die Höcherls unqualifizierte Attacke natürlich zurückwies, und dem Minister. Im September war Höcherls rhetorischer Fehlgriff über das „rote Festival“ Thema einer kleinen Anfrage im Rat der Stadt. Der Bundesinnenminister aus Bayern meinte es ernst: Im Februar 1965 lehnte er den beantragten Zuschuss von 40.000 DM ab. Noch im Vorfeld der nächsten Kurzfilmtage im Frühjahr 1965 wurde heftig über die Höcherl-Äußerungen gestritten.72

Am 27. September 1964 wurden bereits nach der geänderten Gemeindeordnung 49 Stadtverordnete in den neuen Rat gewählt, unter ihnen insgesamt sechs Frauen: Für die SPD Luise Albertz, Elfriede Pusch, Elly Kuchenbecker und Waltraud Richter, für die CDU Barbara Diestelkamp und die spätere Landtagsabgeordnete Hildegard Matthäus.73 Die Mehrheitsverhältnisse waren jetzt ganz klar: Die SPD erhielt mit 54,8 Prozent der Stimmen 28 Sitze, die CDU mit 40,9 Prozent 21 Sitze. Die FDP konnte mit 4,2 Prozent die Fünf-Prozent-Hürde nicht nehmen. Der Hausfrieden im Ratssaal war wieder hergestellt: In trauter Gemeinsamkeit wählten die beiden einzigen Fraktionen im Rat Luise Albertz wieder zu Oberbürgermeisterin und Franz Sörries von der CDU zum Bürgermeister.74

Nachdem der neue Haushalt im Januar 1964 ähnlich kontrovers diskutiert worden war wie im Vorjahr, beruhigten sich die Gemüter nach der Kommunalwahl auch bei der Diskussion um die vertrackten Geldfragen. Allen Stadtverordneten steckte wahrscheinlich noch die böse Schelte der IHK Essen in den Knochen: Obwohl mehrere Großprojekte schon gestrichen worden waren – so die Erweiterung der Feuerwache und der neue Rathausflügel – stand nach Darstellung der Industrie- und Handelskammer die Stadt Oberhausen in der Verschuldungsrangliste unter den 38 Städten und Kreisen Nordrhein-Westfalens an vierter Stelle. Eine Pro-Kopf-Verschuldung von 750 DM sei entschieden zuviel. Etwas kleinlaut erbat sich der Oberstadtdirektor bei der Etatdebatte wenigstens einen anderen Ton.75 Die CDU machte sich dagegen die Vorwürfe der IHK zu eigen und lehnte den Etat wie schon ein Jahr zuvor ab.76 Als der übernächste Haushaltsplan im November 1965 in den Rat eingebracht wurde, war unstrittig, dass es Großinvestitionen vorerst nicht mehr geben würde. Der tiefere Grund dafür war, dass die Einwohnerzahl bei 260.000 stagnierte, große Bau-Investitionen, selbst im Schulbereich, daher nicht mehr vertretbar schienen.77

Bei den Bundestagswahlen im September 1965 marschierte der „Genosse Trend“ stramm weiter zugunsten der SPD. Zum ersten Mal gewann Luise Albertz das Direktmandat in Oberhausen, und zwar gleich mit der absoluten Mehrheit von 52,6 Prozent. Die CDU landete bei 42,3 Prozent, alle anderen Parteien blieben in Oberhausen unter fünf Prozent. Willy Brandts persönliche Unterstützung für die Oberbürgermeisterin hatte sich also ausgezahlt. Dagegen kam auch ein solches Schwergewicht wie Franz Josef Strauß trotz seines furiosen Auftritts in der Oberhausener Stadthalle nicht an.78 Noch deutlicher wurde das Übergewicht der SPD bei der Landtagswahl im Juli 1966: Mit 58,4 Prozent der Stimmen mauserte sich Oberhausen zu einer echten SPD-Hochburg. Dr. Heinz Nerlich und Wilhelm Meinicke erhielten die Direktmandate. Die CDU landete abgeschlagen bei 36,8 Prozent.79

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22 aralık 2023
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