Kitabı oku: «Oberhausen: Eine Stadtgeschichte im Ruhrgebiet Bd. 4», sayfa 4

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Die 1960er Jahre: Bevölkerung, Wirtschaft, Infrastruktur

Am Ende des ersten Nachkriegsjahrzehnts wurde allenthalben Bilanz gezogen. Das Statistische Amt der Stadt Oberhausen kam nach einer Sonderauszählung vom Sommer 1959 zu überraschenden Ergebnissen: Durch wachsende Geburtenzahlen seit Kriegsende verjüngte sich die Bevölkerung der Stadt sehr rasch. In der graphischen Darstellung ergab sich daraus eine Bevölkerungspyramide mit immer breiterer Basis – beneidenswert aus heutiger Sicht, da die Bevölkerungs-„zwiebel“ unten immer schmaler und oben bei den Senioren immer breiter wird. Niemanden hat es überrascht, dass bei der Kriegsgeneration – und dazu gehörten in Deutschland alle vor 1930 Geborenen – die Männer in der Minderheit waren. Umso erstaunlicher war aber der Männerüberschuss in den Jahrgängen danach. Der Grund wurde klar benannt: Oberhausen bot viele Arbeitsplätze für Männer an, und als Folge dessen waren seit Mitte der 1950er Jahre viele junge, unverheirateter Männer aus dem Ausland nach Oberhausen gekommen.80 Vor allem im Bergbau hatten sie Arbeit gefunden. Der aber steckte seit 1958 in einer Absatzkrise.

Ging es zunächst nur ab und zu um Feierschichten, so war ab 1960 immer öfter von Stilllegungen ganzer Zechen die Rede. Noch hieß es, dass die Arbeitsplätze nicht verschwinden, sondern nur auf andere Zechen verlagert würden. Aber auf den städtischen Ämtern wurde zum ersten Mal ein Rückgang der in Oberhausen gemeldeten Ausländer registriert: Von 5.264 im Jahr 1959 auf 4.419 ein Jahr später.81 Während es im Bergbau für alle unübersehbar schon seit zwei Jahren kriselte, brummte 1960 die Produktion in der Stahlindustrie wieder. Wegen des Stahlarbeiterstreiks in den USA, vor allem aber wegen der anhaltend guten Baukonjunktur in Deutschland verzeichnete die HOAG im Geschäftsjahr 1959/​60 einen Produktionsrekord nach dem anderen.82

1961 war schon wieder von einer „Ausländerinvasion“ die Rede. Das Statistische Amt zählte im März bereits 6.752 Ausländer, pro Jahr kamen in den frühen 1960er Jahren rund tausend weitere hinzu. Die meisten waren Italiener, gefolgt von Niederländern, Spaniern, Österreichern, Polen, Griechen und Jugoslawen. Noch hießen die Einwanderer „Fremdarbeiter“. Und auch wenn betont wurde, dass die meisten sich gut „anpassten“, so wurde die Oberhausener Öffentlichkeit doch auch ausführlich über die Ausnahmefälle informiert: „Heißblütigen Südländern, denen das Messer allzu locker in der Tasche sitzt, die der Oberhausener Weiblichkeit allzu temperamentvoll ihre Verehrung zeigen oder dazu gar – wie es leider in Ausnahmefällen vorgekommen ist – zu sehr massiven, um nicht zu sagen kriminellen Mitteln greifen“, konnten abgeschoben werden. 65 derartige Fälle wurden bis zum Sommer 1961 registriert.83 Die Anwerbung ging in der Hochkonjunktur Anfang der 1960er Jahre überwiegend noch von der traditionellen Schwerindustrie aus. Auf den fünf Zechen in Oberhausen gab es Ende der 1950er Jahre noch 20.000 Arbeitsplätze.84 Seitdem Oberhausen 1963 die Höchstmarke mit 260.220 Einwohnern erreicht hatte, wuchs die Stadt nicht mehr weiter. Nur etwas mehr als die Hälfte (53 Prozent) der Oberhausener war in Oberhausen geboren. Hintergrund dessen waren die Flüchtlingsströme am Ende des Zweiten Weltkrieges und danach.85 47 Prozent der Oberhausener hatten also einen „Migrationshintergrund“, noch bevor der Zustrom der „Gastarbeiter“ in den 1960er Jahren richtig einsetzte!

Hochhäuser und Schnellstraßen

Von hohem Symbolwert war es, als Anfang 1959 das letzte Flüchtlingslager der Stadt geräumt wurde: Das Lager Zementwerk an der Osterfelder Straße auf dem heutigen Marina-Gelände, das im Krieg schon zur Unterbringung von Zwangsarbeitern gedient hatte.86 Als Folge des stürmischen Wohnungsbaus wurde es Ende des Jahres 1959 immer schwerer, im Stadtbild noch Kriegsruinen zu finden. Trotz der vielen aus dem Osten zugezogenen Flüchtlinge und trotz des rasanten Wachstums der Einwohnerzahlen gab es nach offizieller Darstellung keine Wohnungsnot mehr.87 Als richtungweisend galten die Wohnhochhäuser im Knappenviertel: In einer Stadt mit stürmisch wachsender Bevölkerung könne man es sich nicht mehr leisten, nur ein- oder zweigeschossig zu bauen. Spitzenreiter war das Hochhaus für HOAG-Angehörige, mit 18 Stockwerken das neue Zuhause für 150 Familien mit 500 Personen: „Wohnraum für ein mittleres Dorf“.88 Die Wohnhochhäuser entsprachen ganz den Vorstellungen der Verkehrsplaner, wonach große Flächen für den Straßenbau reserviert werden mussten. Der rasant zunehmende Autoverkehr könne nur durch neue Stadtautobahnen bewältigt werden. Selbst der Verkehrsminister Seebohm war mit dem Ratschlag zur Stelle, die Mülheimer Straße zur „Hochstraße“ auszubauen. Die Verkehrsplaner glaubten aber nicht, dass das reichen würde. Eine zweite Schnellverkehrstraße über das Brücktorviertel durch den Oberhausener Osten zur Rolandhalde sei notwendig, und zwar „unabhängig von den Kosten […] und ohne Rücksicht darauf, ob hundert oder noch mehr Häuser niedergelegt werden müssen“.89 Diese rabiaten Planungen sollten aber bald in der Schublade verschwinden, nicht weil die Verfechter der „autogerechten Stadt“ ein Einsehen gezeigt hätten, sondern weil die Großindustrie ihr Veto einlegte.

Nicht alle großen Wohnungsunternehmen folgten übrigens dem Trend zum Hochhausbau. Nicht weit vom Knappenviertel, im Schönefeld, errichtete die Concordia Bergbau AG im gleichen Jahr 1959 insgesamt 144 Werkswohnungen in zweigeschossigen Häusern. Das neue Wohnviertel lag „im Schatten der Rolandhalde“ auf dem Gelände der vor 30 Jahren stillgelegten Zeche Roland. Deren Grubenfeld hatte seinerzeit die Concordia übernommen, diese nutzte auch weiterhin den Roland-Schacht als Seilschacht für ihre Bergleute, von denen jetzt viele ganz in der Nähe wohnten.90

Die stürmische Stadtentwicklung wurde in den einzelnen Stadtteilen ganz unterschiedlich wahrgenommen: Während der Bürgerring Alstaden sich über die Ausgestaltung des Ruhrparks freute und dort schon die „Riviera Oberhausens“91 entstehen sah, beklagten sich die Königshardter auf einer Bürgerversammlung bitter über die „elendsten Straßen von Oberhausen“: „Wenn auf dem Höhenweg eine Auto käme, dann müssten die Fußgänger in die Gräben flüchten.“ Wenn nicht bald etwas für die Entwässerung getan würde, dann würden die Königshardter „die schwarze Flagge“ hissen. „Auf der Köngishardter Straße brenne mittags das Licht, in der Nacht sei es dunkel. […] Für die Stadthalle hätte man Geld, aber keines für die Sicherheit der Bürger.“ Der Journalist wusste schon, warum er in seinem Bericht sorgfältig im Konjunktiv formulierte: Ganz so dramatisch wird es wohl nicht gewesen sein! Die bei der Bürgerversammlung anwesenden Stadtverordneten waren redlich bemüht, die aufgeheizte Stimmung zu beruhigen. Immerhin konnten sie auf rund eine Million DM verweisen, die im neuen Etat für Königshardt vorgesehen waren.92


Abb. 9: „Wohnraum für ein mittleres Dorf“, Wohnhochhäuser im Knappenviertel, GA vom 18. September 1959

Der Mangel an Bauland bei weiter wachsenden Einwohnerzahlen war nicht nur die Ursache für Bodenspekulation und Preiswucher93, sondern auch der Nährboden für manche seltsame Blüte in der Vorstellungswelt von Stadtplanern. Es wurde ernsthaft über eine Einwohnerzahl von 280.000, im äußersten Fall sogar 300.000 nachgedacht. Neue „Trabantenstädte“ für so viele Menschen hätten auf dem Oberhausener Stadtgebiet keinen Platz mehr. „Es bliebe also als letzte und einzige Möglichkeit der Sprung über unsere nördliche Grenze, in den Nachbarkreis Dinslaken hinein. Hier sind noch beträchtliche Grundstücksreserven. Und der kommunalpolitische Oberhausener Blick ginge, wenn er sich landhungrig nach Dinslaken richten sollte, in eine traditionelle Richtung.“ Schon vor dem Krieg hätten Oberhausener Kommunalpolitiker „wenigstens hinter vorgehaltener Hand“ über die Notwendigkeit gesprochen, Teile von Dinslaken einzugemeinden. „Man nährte Hoffnungen im Busen und tut es wohl auch heute noch.“ Der Kommentator des „Generalanzeigers“ ging in sarkastischem Ton mit derartigen Träumen ins Gericht. Durch die Ansiedlung der größten Ölraffinerie der Bundesrepublik sei Dinslaken zu einer „Goldgräberstadt“ geworden: „Hier dürften für Oberhausen keine Eroberungen mehr zu machen sein. […] Vor einer Oberhausener Trabanten- und Satellitenstadt auf dem – heutigen – Dinslakener Kreisgebiet steht mehr als ein Eiserner Vorhang.“94

Nicht weniger naiv, oder zumindest kurzsichtig, als die Träume von Eroberungen im Norden waren manche Prognosen für den Bergbau, am Ende der 1950er Jahre immer noch eines der beiden Standbeine der Oberhausener Industrie. Zwar war schon von der „Bergbaukrise von morgen“ die Rede, aber mit einer höchst erstaunlichen Begründung: „In drei Jahren, wenn es kein Problem mehr sein wird, von einer Zechenwohnung in eine Wohnung des freien Marktes zu wechseln, könnte sich im Oberhausener Bergbau eine ungleich größere Krise als die heutige ergeben, im Sinne eines Mangels an gelernten und erfahrenen Bergleuten nämlich, der größer sein könnte als jemals zuvor!“95 Zu dieser optimistischen Einschätzung der Kohle-Zukunft passte es gar nicht, dass gleichzeitig das Schaubergwerk auf der Zeche Oberhausen geschlossen wurde. Es war dem Nachfolgekonzern der GHH, der Bergbau AG „Neue Hoffnung“, mit jährlich 600.000 DM zu teuer geworden.96 Hier passten die Dinge doch wieder zusammen: Der eklatanten Fehleinschätzung der Zukunft des Bergbaus entsprach die Blindheit für den Wert dieses Schaubergwerks als touristische Attraktion. Was wäre Bochum heute ohne das Bergbaumuseum? Im Gegensatz zum Bergwerk dort waren auf der Zeche Oberhausen die früheren Originalarbeitsplätze unter Tage zu besichtigen.

Die Holland-Autobahn

Der Bau von Wohnungen und Schulen war wichtig für die „Lebensqualität“ – diesen Begriff prägte Willy Brandt in den 1960er Jahren – der Menschen in der Stadt, die einzelnen Projekte waren jedoch weit weniger spektakulär als die Verkehrsprojekte, mit denen für alle sichtbar eine neue, moderne, technikbegeisterte Zeit ihren Lauf nahm. Aber es gab nicht nur begeisterte Befürworter. Heftig umstritten war das größte aller Bauprojekte auf Oberhausener Boden: der Zubringer zur Hollandautobahn. Der städtische Anteil an diesem gigantischen Projekt wurde auf mehr als 200 Millionen DM veranschlagt. Die STIG – offenbar wusste damals jedes Kind, was sich hinter dieser Abkürzung verbarg – bündelte den Widerstand der Sterkrader gegen das Autobahnprojekt des Landschaftsverbandes Rheinland. Der Sterkrader Norden, so die Befürchtung der STIG, würde durch den Autobahnbau „von der Innenstadt abgeriegelt“, wobei nicht klar ist, ob die Sterkrader oder die Oberhausener „Innenstadt“ gemeint war. Der Schmachtendorfer Heimatverein, schon damals vertreten durch Karl Lange, hatte sich wohl damit abgefunden, dass die grundsätzliche Entscheidung längst gefallen war, und forderte konkret zusätzliche Fußgängerunterführungen. Vor allem aber wollte der Heimatverein die Ausfahrt Dinslaken Süd, unmittelbar nördlich der Brinkschule, wo Karl Lange als Lehrer tätig war, verhindern.97 Am 27. Mai 1959 wurden rund 60 Einsprüche bei einer Anhörung hinter verschlossenen Türen diskutiert. Von den 21 Einsprüchen der Stadtverwaltung konnten 17 geklärt werden. Die sehr viel weitergehenden Einsprüche der STIG, z. B. gegen das „Berliner Kreuz“ im Sterkrader Wald, wurden jedoch abgeschmettert. Die STIG könne sich ja mit ihrem Gegenplan, dem sogenannten „Wasser-Plan“, direkt an den Verkehrminister von Nordrhein-Westfalen wenden. Der Presse war der genaue Inhalt der diversen Einsprüche verborgen geblieben. Es war nur durchgesickert, dass selbst die Kirchengemeinde St. Bernardus, Sterkrade, ihre Bedenken aktenkundig gemacht hatte. Nach der geheimen Anhörung wurde gemunkelt, dass die kämpferische STIG die meisten anderen Kritiker um ihre Fahnen scharen konnte.98


Abb. 10: Das Goggomobil, GA vom 5. November 1959

In den folgenden Jahren wurde die Hollandautobahn Stück um Stück realisiert. Im April 1965 durchschnitt Verkehrsminister Seebohm gemeinsam mit seinem niederländischen Kollegen das weiße Band für das letzte Teilstück Emmerich-Hamminkeln. Mit Genugtuung wurde registriert, dass damit eine direkte Autobahnverbindung von Hoek van Holland (mit Fährverbindung nach England) bis in die Schweiz und nach Österreich bestand.99

Die Gegner und Kritiker des Autobahnprojektes vertraten wohl nicht die Mehrheit, denn die Motorisierung rollte. Es war keineswegs nur eine dünne Schicht der Wohlhabenden, die sich 1959 das eigene Auto leisten konnte. Viele Arbeiter motorisierten sich zunächst mit den populären Kleinwagen: Goggomobil, Lloyd, BMW-Isetta (oder der Viersitzerausführung BMW 600), oder auch mit dem Messerschmitt Kabinenroller. Als unbekannte Täter das Goggomobil eines Bergmannes beschädigten, war das den Lokalzeitungen mehrere Artikel wert: „Vor längerer Zeit hatte er sich ein Goggomobil gekauft, dafür eine entsprechende Garage gebaut und sich an seinem Besitztum erfreut.“ Unbekannte Täter hatten das gute Stück in der Nacht mit einem Beil völlig demoliert. Ein großes Bild zeigte das Goggo-Wrack mit den Einschlägen ins Blech.100 Im Frühjahr 1962 waren in Oberhausen bereits 19.108 PKW angemeldet. 7.580 Arbeiter waren stolze Besitzer eines eigenen Autos, erst an zweiter Stelle folgten die Beamten und Angestellten mit 5.598 Privatwagen.101 Man darf annehmen, dass die rasant wachsende Gruppe der Autobesitzer mehr Sympathien hatte für den Bau der Hollandautobahn als für die Einsprüche dagegen.

Es war noch offen, wie die Auto-Lawine vom Südpunkt der Hollandautobahn in Sterkrade bis zum Anschluss an den Ruhrschnellweg im Süden gelenkt werden sollte. Die HOAG, der Industriegigant in der geographischen Mitte der Stadt, legte ihr Veto ein gegen die im Rathaus favorisierte Trasse durch das Brücktor- und Knappenviertel. Für die Realisierung dieser Route hätte die HOAG einige Grundstücke abgeben müssen. Das lehnte sie kategorisch ab und drohte mit der Abwanderung in eine Küstenstadt, falls man ihren Wünschen nicht folgen sollte. Die HOAG verlangte eine Streckenführung entlang der Emscher nach Osterfeld und von dort in südlicher Richtung entlang der östlichen Stadtgrenze zum Ruhrschnellweg.102

Die gute alte Straßenbahn

Noch stellte niemand die Straßenbahn in Frage, als die leitenden Herren der Städtischen Verkehrsbetriebe kurz vor der Auslieferung die neuen Großraumwagen 1959 in der Waggonfabrik in Köln besichtigten: Künftig konnten ein Fahrer und ein Schaffner 220 Personen in einem Wagen befördern.

„Die neuen Wagen haben modernste windschnittige Form. […] Die drei an jeder Seite symmetrisch angeordneten Falttüren werden elektrisch betätigt. […] Die farbliche Kombination ist eindrucksvoll: Sitzplätze in warmem Holzton, Seitenwandverschalung in Sperrholz mit grüngemusterter Kunstledertapete. […] Zum Komfort gehören die Beleuchtung mit Leuchtstoffröhren und die moderne Ausrufanlage mit Verstärkern. Jeder Fahrgast kann aber auch durch einen Druck auf einen Knopf dem Schaffner anzeigen, dass er den Wagen an der nächsten Haltestelle verlassen möchte. […] Das Fahrsignal wird beim Fahrer erst sichtbar, wenn die vom Schaffner zu betätigenden Türen geschlossen sind. […] Es wird wirtschaftlich stark zu Buch schlagen, dass man in Zukunft für den gleichen Nutzraum nur noch einen Schaffner benötigt, statt bisher (für Triebwagen und Anhänger) zwei!“103

Die Zeit war nicht mehr fern, wo man den Schaffner ganz einsparen und dem Fahrer das Wechselgeld in die Hand drücken würde! Doch in Zeiten der Vollbeschäftigung schien die Personaleinsparung niemanden zu beunruhigen.

An der ewig geschlossenen „Glückauf-Schranke“ (da hast Du „Glück“, wenn sie „auf“ ist) wurde der Schaffner (oder die Schaffnerin!) aber noch eine Zeit lang gebraucht. Das Verkehrsärgernis Nummer eins in Oberhausen an der Emschertalbahn wurde erst im Herbst 1965 durch eine Brücke ersetzt. Kurz vor der Eröffnung, im Bundestagswahlkampf 1965 fuhr Luise Albertz in einer offenen schwarzen Mercedes-Limousine an der Seite von Willy Brandt über die neue Trasse. Ab Februar 1966 war die Brücke auch für die Straßenbahn offen. Zum letzten Mal hielt ein alter Straßenbahntriebwagen an der geschlossenen Schranke und rumpelte dann über die Bahngleise, nachdem die Schaffnerin sich vorschriftsmäßig vergewissert hatte, dass kein Zug mehr im Anmarsch war, um dann auf die langsam fahrende Straßenbahn wieder aufzuspringen.104


Abb. 11: Luise Albertz in einer offenen schwarzen Mercedes-Limousine an der Seite von Willy Brandt bei der Einweihung der neuen Straßenbrücke über die Emschertalbahn, GA vom 3. September 1965

Zweieinhalb Jahre später ging das Straßenbahnzeitalter in Oberhausen zu Ende. Am Sonntag, dem 13. Oktober 1968, fuhr die Linie 1 zum letzten Mal von der Broermann-Realschule (heute Anne-Frank-Realschule) zum Bahnhof Holten. Wer wollte, konnte auf dieser wehmütigen letzten Fahrt umsonst mitfahren. Am 3. April 1897, vor 71 Jahren, war die erste „Elektrische“ vom Oberhausener Bahnhof bis zur Essener Straße gerumpelt, wo die Leitung der GHH für die Ehrengäste eine Runde kühles Pils ausgab. Oberhausen konnte stolz für sich in Anspruch nehmen, als erste deutsche Stadt seit 1897 einen elektrischen Straßenbahnbetrieb voll in kommunaler Regie zu betreiben. Jetzt waren die Stadtoberen der Meinung, dass Busse schneller und wirtschaftlicher seien. Argumente des Umweltschutzes spielten damals noch keine Rolle.105 Dass das Intermezzo ohne Straßenbahn gerade mal drei Jahrzehnte dauern würde, ahnte in den 1960er Jahren noch keiner. Dem Auto gehörte die Zukunft. Personen- und Güterverkehr wurde überall von der Schiene auf die Straße verlagert. Öl verdrängte die Kohle als wichtigster Energieträger.

Wetterleuchten in der Arbeitswelt

In der Mitte des Jahrzehnts brummte die Wirtschaft wieder wie in den besten Jahren des deutschen Wirtschaftswunders. Das Flaggschiff der Oberhausener Industrie, die HOAG, konnte im zweiten Quartal 1964 einen neuen Produktionsrekord vermelden: Erstmals waren in einem Monat mehr als 200.000 Tonnen Rohstahl erzeugt worden.106 Die Ruhrchemie kündigte eine Großinvestition an, den Bau einer neuen Salpetersäurefabrik. Wie in der gesamten chemischen Industrie wurde Öl zum wichtigsten Grundstoff. Die Verwendung von Kokereigas, das in riesigen Röhren in das Werk in Holten transportiert wurde, lief aus.107 Die Babcockwerke konnten bei der Jahreshauptversammlung Anfang 1965 stolz darauf verweisen, dass sie als eines der ersten Unternehmen in Deutschland die Nutzung der Atomenergie in ihr Programm aufgenommen hatten. Für das Forschungsschiff „Otto Hahn“ lieferte Babcock den Reaktor. Nur einen Schönheitsfehler hatte die Jahreshauptversammlung: Sie fand nicht in Oberhausen, sondern in Duisburg statt.108

Hauptproblem bei der HOAG, wie bei der Oberhausener Industrie insgesamt, schien der Mangel an Arbeitskräften zu sein. In der Metallindustrie von Oberhausen fehlten im Herbst 1964 mehr als 3.000 Arbeitskräfte. Auch die Bauindustrie suchte dringend Facharbeiter. Selbst im Bergbau gab es viele offene Stellen. Die Bilanz des Oberhausener Arbeitsamtes für das Jahr 1964 sah so aus: In 14.400 offene Stellen wurden 10.100 Arbeitskräfte vermittelt, darunter 3.280 Frauen und 3.250 Ausländer. Die Hälfte der Männer, die einen neuen Arbeitsplatz bekamen, waren also Ausländer.

Die meisten „Gastarbeiter“ bei der HOAG stammten aus Spanien (437 neben 213 Griechen und 140 Türken von insgesamt noch 11.754 Arbeitern). Für sie stellte die Wohnbaugesellschaft Dümpten, eine Tochter der HOAG, Anfang 1965 im Knappenviertel ein achtgeschossiges Wohnheim fertig. Dadurch schienen für die Spanier alle Probleme erst einmal gelöst. Erstmals wurden ab Herbst 1964 auch Gastarbeiter aus Portugal angeworben. Und noch eine Premiere gab es im Frühjahr 1965: Auf der Zeche Concordia wurde ein italienischer Bergarbeiter in den Betriebsrat gewählt.109

Im Quartalsbericht des Arbeitsamtes war aber kurz danach schon davon die Rede, dass man die Anwerbung von Gastarbeitern abbremsen müsse. Im Bergbau ging die Nachfrage nach Hauern und Schleppern zurück. Als erstes sollte sich die neue Situation für die „Ferien-Bummelanten“ schmerzhaft auswirken. Einige Zechen würden die Arbeiter, die zum Ferienende nicht pünktlich wieder antraten, nicht wieder einstellen.110 Das ist ein erstaunlicher Hinweis: Hieß das, dass ihre Arbeitsverträge ausliefen, wenn sie zum Urlaub in ihre Heimatländer fuhren?

Anders als bei der Metallindustrie oder der Großchemie waren beim Bergbau die Absatzprobleme auch im Boom-Jahr 1965 nicht zu übersehen. Ab 1966 verschlechterte sich auch die Auftragslage bei Metall und Chemie. Die erste echte Konjunkturkrise der Nachkriegszeit schlug in diesem Jahr voll zu: Feierschichten im Bergbau, Flaute in der Eisen- und Stahlindustrie, Rückgang der Einwohnerzahl und als Folge Rückgang der Kaufkraft und sinkender Wohnungs- und Straßenbau – vor diesem Hintergrund mussten die Stadtväter jetzt einen Haushalt zurechtzimmern. Bei einem Schuldenstand von 200 Millionen DM versuchten sie, wenigstens noch die Seniorenwohnanlage der Elly-Heuss-Knapp-Stiftung zu retten. Zum ersten Mal erschien am Horizont das Gespenst des Staatskommissars, der der kommunalen Selbstverwaltung den Garaus machen würde.111

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22 aralık 2023
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1310 s. 235 illüstrasyon
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