Kitabı oku: «Carl Schmitts Gegenrevolution», sayfa 4
2. Berlin ist wieder Weimar? Regierungsbildungskrise 2017/18
Schmitt gilt heute mit seiner Verfassungslehre und seinen Interventionen vor allem als antiliberaler, parlamentarismuskritischer Totengräber Weimars und Apologet des Präsidialsystems und des Nationalsozialismus. Mit der Öffnung des Nachlasses und editorischen Erschließung zahlreicher privater Quellen (Tagebücher, Briefwechsel) wurde er seit den frühen 1990er Jahren verstärkt auch als Zeitzeuge, Akteur und Repräsentant der Weimarer Republik wahrgenommen. Die dogmatische Rekonstruktion und Aktualisierung seiner „Politischen Theologie“ und Verfassungslehre trat dagegen zurück. Die deutsche Forschung hatte die privilegierte Aufgabe,54 den Akteur zu erschließen. Schmitt wurde mit seinem „System Plettenberg“ dabei – u.a. durch Dirk van Laak55 – als Mentor einiger Vordenker der Bundesrepublik entdeckt. Zeithistorisch wichtiger noch war aber die Frage nach dem verfassungspolitischen Akteur im Präsidialsystem und Nationalsozialismus. Mit der Edition der (von 1912 bis 1934) erhaltenen Tagebücher zeigte sich zwar, dass Schmitts verfassungspolitische Beraterfunktion und Akteursrolle im Präsidialsystem recht beschränkt war: Es gab keine Beziehung zu Brüning; die Streitfrage der 1990er Jahre,56 ob er Papen oder Schleicher näher stand, ist heute aus den Quellen recht eindeutig zu beantworten: Nur mit Papen gab es gelegentliche, verfassungspolitisch wirksame Begegnungen. Bemühungen, Zugang zu Schleicher zu finden, strandeten dagegen im Vorhof des „Machthabers“. Von relevanter Kooperation kann deshalb eigentlich nur für den Herbst 1932 und die Verteidigung des „Preußenschlags“ vor dem Leipziger Staatsgerichtshof die Rede sein; entgegen der Vermutung Hubers57 war Schmitt am „Preußenschlag“ selbst nicht beteiligt und auch seine juristische Unterstützung Schleichers kam beim Kanzler nicht an, sodass die Akteursrolle im Präsidialsystem im Januar 1933 bereits ausgespielt war. Schmitt wirkte insgesamt mehr durch seine Schriften. Seine Apologie des Präsidialsystems hat heute aber wieder einige Aktualität.
Ganz grundsätzlich lässt sich Schmitt als Analytiker und Apologet der Erosion und Transformation einer liberalen und parlamentarischen Demokratie in eine antiliberale, plebiszitär-populistische und autokratische Exekutivstaatlichkeit auffassen. Schmitt gab dafür vor 1933 schon das Stichwort von der Wendung zum „totalen Staat“ aus, und sein Schüler Forsthoff zog verwaltungsstaatliche Konsequenzen, die weiter wirkten. Diese Transformationsanalyse ist auch jenseits der deutschen Geschichte exemplarisch lehrreich. Wir erleben heute nicht nur gravierende Erosionen der liberalen Kultur: einen Zerfall der politischen Mitte und dramatischen Wandel des Parteiensystems, sondern auch Regierungsbildungskrisen, eine labile Große Koalition und Szenarien von Misstrauensvoten, Vertrauensfragen und Neuwahlen bei ungewissem Ausgang und Zerfall der „Volksparteien“. Die Phase der Weimarer Präsidialsysteme begann bekanntlich 1930 mit einem Ausstieg der SPD aus einer Großen Koalition. Dieter Grimm schreibt dazu erneut, was in den 1950er Jahren schon geläufig war: „Der Regierungswechsel vom März 1930 war der Anfang vom Ende der Weimarer Republik.“58 Fortan gab es nur noch tolerierte Minderheitsregierungen, die vom Vertrauen des Reichspräsidenten abhingen. Dieses Szenario einer präsidial getragenen Minderheitsregierung war Ende 2017 erneut möglich und blieb virulent: Nach dem Scheitern der Koalitionsverhandlung einer „Jamaika“-Lösung (Union, Grüne und FDP) war ein Wiedereintritt der SPD in eine Große Koalition sehr umstritten und es drohten Neuwahlen oder – erstmals in der Geschichte der BRD – eine Minderheitsregierung. Weil Neuwahlen in 2018 aber voraussichtlich die politische Mitte schwächen und Ränder stärken würde, appellierte Bundespräsident Steinmeier an seine SPD, aus staatspolitischer Verantwortung erneut in eine Große Koalition zu gehen. Er dachte dabei ausdrücklich auch an die Lehren von „Weimar“ und die fatalen Folgen des Ausstiegs der SPD aus der parlamentarischen Regierungsverantwortung im Jahre 1930.
Am 23. Mai 2018 eröffnete Steinmeier eine Diskussionsrunde des Forums Bellevue zur „Zukunft der Demokratie“ mit der Erinnerung an das „Scheitern von Weimar“. Ausdrücklich meinte er: „Hat sich der Befund eigentlich historisch erledigt?“ Damit stellte er den alten Beschwörungsund Beschwichtigungstopos „Bonn ist nicht Weimar“ infrage. Aus dem Munde des Bundespräsidenten grenzte das an Tabubruch: In der Absetzung von den starken Befugnissen des direkt gewählten Reichspräsidenten steht sein Amt ja für den systemischen Unterschied zwischen der präsidialen und der parlamentarischen Demokratie und die Differenz zu Weimar. Nun erklärte er der Bundesrepublik, dass selbst sie vor Unregierbarkeit und Minderheitsregierungen nicht gefeit ist und ihre verfassungsrechtlichen Sicherungen – u.a. konstruktives Misstrauensvotum – nicht gänzlich gegen „Weimarer Verhältnisse“ immunisieren.
Schmitt argumentierte einst bei seinen Überlegungen zur „kommissarischen Diktatur“ für Papen und Schleicher, für den Erhalt des Minderheitsregimes und einen Aufschub von Neuwahlen, der vom Reichspräsidenten Hindenburg ebenso wie vom Zentrumsführer Kaas als verfassungswidrig abgelehnt wurde.59 Seine Argumentation gegen den Wortlaut für den „Sinn“ der „Substanz“ der Weimarer Verfassung wurde damals von vielen Juristen vehement abgelehnt. Das heutige Grundgesetz kennt keine Befristung von Minderheitsregierungen durch strikte Terminierung von Neuwahlen. Bei einem Ausstieg der SPD aus der Großen Koalition konnte eine Minderheitsregierung für die ganze Legislaturperiode im Amt bleiben, solange ein Regierungswechsel auf dem Wege eines konstruktiven Misstrauensvotums oder auch der Vertrauensfrage und Neuwahlen nicht erfolgte. Eine solche Minderheitsregierung wäre dann in ihren gesetzgeberischen Möglichkeiten zwar stark eingeschränkt gewesen, die historische Analogie und Parallele des Weimarer Präsidialsystems war in der vierten Amtszeit Merkel aber dennoch erneut lehrreich. Die Corona-Politik lieferte weitere krasse Parallelen: verfassungsrechtliche Bedenken, Einschränkung von Grundrechten und Parlamentsrechten, Stärkung der Exekutivstaatlichkeit und des Unitarismus, ruinöse Schuldenpolitik und anderes mehr. Für die Spitze des politischen Systems und die Regierungsbildungskrise zeigte sich seit dem Herbst 2017: Nie ähnelten die aktuellen Krisen derart Weimarer Verhältnissen. Nie zuvor hingen die Schatten des Endes von Weimar so über der Berliner Republik.
3. Quellenfrage
Hier soll die Weimarer Republik aber nicht weiter vom Ende her betrachtet werden, sondern von den Anfängen. Wie sah Schmitt sie 1918/19 und was bot er zur juristischen Beschreibung auf? Sah er den Systemwechsel bereits in den Kategorien seiner späteren Verfassungslehre und war er von Beginn an ein antiliberaler Gegner? Oder gab es vor 1923 einen anderen Schmitt, Vernunft- oder gar Herzensrepublikaner? 1940 publizierte Schmitt eine gewichtige Sammlung von Interventionen unter dem Titel Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar-Genf-Versailles. Grob gesagt deutete er die Weimarer Republik und den Genfer Völkerbund hier vom „Diktatfrieden“ von Versailles her. Weimar und Genf betrachtete er gleichsam als Systeme der Sieger von 1918/19. Schmitt beschloss diese Sammlung im August 1939 kurz vor Kriegsbeginn und datierte seinen Dreifrontenkampf auf die Jahre 1923 bis 1939. Zweifellos setzte er seinen Kampf gegen „Versailles“ auch nach 1939 fort. Seine Schrift Völkerrechtliche Großraumordnung proklamierte eine „Überwindung des Staatsbegriffs“ durch imperiale Großraumordnungen und reklamierte den mitteleuropäischen Großraum als hegemonialen Herrschaftsraum für das nationalsozialistische Reich. Eine fortdauernde kritische Betrachtung Weimars ist auch nach 1945 bei Schmitt offenbar.
Weitaus schwieriger ist aber die Antwort auf den Beginn dieses verfassungspolitischen „Kampfes“. Der „Kampf“ gegen Versailles, Genf und Weimar ist eigentlich erst ab 1923 publizistisch greifbar. Davor hat Schmitt keine eingehenden Analysen der Lage publiziert. Für die genaue Verortung in den Münchner Jahren 1915 bis 1921 oder gar der Umbruchzeit von 1918/19 fehlen nicht nur einschlägige Schriften, sondern auch aussagekräftige briefliche Zeugnisse und andere Quellen. Das Tagebuch bricht Ende 1915 ab und beginnt erst im Spätsommer 1921 wieder mit dem Wechsel nach Greifswald. Nur wenige Briefe aus Münchner Zeit sind bisher ediert. Dass diese Jahre nach wie vor im Dunklen liegen, hat mindestens einen starken persönlichen Grund: das Scheitern von Schmitts erster Ehe mit der legendären Halbweltdame und Hochstaplerin Carita Dorotić, die sich als Gräfin ausgab und fünf Jahre jünger machte. Im Zusammenhang mit diesem Ehedebakel und -skandal hat Schmitt wahrscheinlich Dokumente vernichtet. Erst mit der beruflichen Etablierung als Ordinarius in Bonn sind die biographischen Quellen reichlicher erhalten. Wer Schmitts Haltung zum Umbruch von 1918/19 rekonstruieren möchte, stößt also auf ein Quellenproblem, das die späteren retrospektiven Äußerungen nur zu bereitwillig übertünchten. Schmitt hat seine Biographie mit mancherlei Legenden verstellt. Zeitnahe authentische Zeugnisse sind eigentlich nur die großen Monographien Politische Romantik und Die Diktatur von 1919 und 1921. Von den früheren und späteren Schriften her ist aber klar, dass es beachtliche Positionswandel gab und der Schmitt von 1925, 1928 oder 1933 nicht mit dem Autor des Frühwerks zu verwechseln ist.
4. Rückblick 1928
Schmitts „dezisionistische“ Verfassungslehre argumentiert mit politischen Entscheidungen und „Grundentscheidungen“: Positive Verfassungsentscheidungen profilieren sich in „substanziellen“ Alternativen. Das Lehrbuch Verfassungslehre von 1928 führt die „grundlegenden politischen Entscheidungen“ Weimars eingehend aus:
„Dadurch charakterisiert sich das Deutsche Reich der Weimarer Verfassung als eine konstitutionelle Demokratie, d. h. als ein bürgerlicher Rechtsstaat in der politischen Form einer demokratischen Republik, mit bundesstaatlicher Struktur. […] Alles, was es innerhalb des Deutschen Reichs an Gesetzlichkeit und an Normativität gibt, gilt nur auf der Grundlage und nur im Rahmen dieser Entscheidungen. Sie machen die Substanz der Verfassung aus. Daß die Weimarer Verfassung überhaupt eine Verfassung ist und nicht eine Summe zusammenhangloser, nach Art. 76 RV. abänderbarer Einzelbestimmungen, welche die Parteien der Weimarer Regierungskoalition auf Grund irgendwelcher ‚Kompromisse‘ in den Text zu lanzieren verstanden, das liegt nur in dieser existentiellen Totalentscheidung des deutschen Volkes.“ (VL 24)
Schmitt schreibt 1928 auch:
„Die Weimarer Verfassung ist eine Verfassung, nicht nur eine Reihe von Verfassungsgesetzen. Sie enthält die grundlegenden politischen Entscheidungen für eine konstitutionelle Demokratie. Im übrigen aber findet sich sowohl in der verfassungsgesetzlichen Ausführung wie in einzelnen Anordnungen – insbesondere des zweiten Teiles unter der Überschrift ‚Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen‘ – ein Nebeneinander von Programmen und positiven Bestimmungen, dem die verschiedenartigsten politischen, sozialen und religiösen Inhalte und Überzeugungen zugrunde liegen. Bürgerlich-individualistische Garantien von persönlicher Freiheit und Privateigentum, sozialistische Programmsätze und katholisches Naturrecht sind in einer oft etwas wirren Synthese miteinander vermengt. Dabei ist zu beachten, daß zwischen den letzten Gegensätzen echter religiöser Überzeugungen, ebenso zwischen echten Klassengegensätzen ein Kompromiß im allgemeinen kaum möglich und jedenfalls sehr schwierig ist. Wenn es sich um eine Verfassung handelt, wird er nur dadurch möglich, daß der Wille zur politischen Einheit und das staatliche Bewußtsein alle religiösen und klassenmäßigen Gegensätze überwiegt, sodaß jene kirchlichen und sozialen Verschiedenheiten sich relativieren. Die unmittelbar mit der politischen Situation zur Entscheidung gestellten, grundlegenden politischen Fragen – im Jahr 1919 also die Frage: Monarchie oder Republik? Konstitutionelle Demokratie oder Rätediktatur? – konnten nicht umgangen werden und sind nicht umgangen worden.“ (VL 30)
Solche und ähnliche Formulierungen finden sich in der Verfassungslehre vielfach. Schmitts Kampf für eine systematische Auslegung der Verfassungsgesetze von den substantiellen „Grundentscheidungen“ her klingt aber im Zitat schon ebenso an wie eine leise Stigmatisierung der Rolle der Parteien, Kirchen und sozialistischen Bewegung bei der Formulierung des heterogenen Verfassungskompromisses. Es ist hier nicht weiter zu zeigen, wie Schmitt die Systematik des „bürgerlichen Rechtsstaats“ nach 1928 in Richtung auf einen „autoritären“ Exekutivstaat dekonstruierte und die tragenden „rechtstaatlichen Bestandteile“ der modernen Verfassung – den rechtsstaatlichen Gesetzesbegriff, Grundrechte und die liberale Gewaltenunterscheidung – der Reihe nach abbaute. Hier ist zunächst nur zu fragen, was er von der „existentiellen Totalentscheidung des deutschen Volkes“ im Jahre 1918/19 dachte.
5. Münchner Umbrucherfahrung
Schmitt lebte von 1915 bis 1921 in München. Er war 1915, nach Abschluss des 2. juristischen Staatsexamens, als Soldat und Verwaltungsjurist ins Stellvertretende Generalkommando München gewechselt und erlebte dort noch das Kriegsende sowie die Räterevolution bis zum Sommer 1919 als Heeresjurist. In München schlug hier für wenige Wochen und Monate die Stunde des „dritten Wegs“ und anarchistischen Experiments mit der Idee der unmittelbaren und „permanenten Demokratie“. In Memoiren wurde sie verspottet und verklärt, die Forschung idealisierte sie gerne demokratietheoretisch. Der Literaturkritiker Volker Weidermann60 dramatisierte die Ereignisse unlängst leicht fiktionalisierend und charakterisierte einige der Akteure – u.a. Eisner und Landauer, Toller und Oskar Maria Graf – dabei als politische „Träumer“, die in der zweiten Phase der Revolution, nach Eisners Ermordung, von den Kommunisten und Bolschewisten gestürzt und nach der Reichsexekution dann von der Gegenrevolution ermordet, hingerichtet oder ins Gefängnis gebracht wurden. Weidermann lässt Hitler als „Ersatzbataillonsrat“ und Erben der Revolution auftreten, der zwar „nicht offen gegen die Räteregierung opponiert“61 hatte, sich aber im Dunstkreis der Thule-Gesellschaft antisemitisch radikalisierte. Für die gegenrevolutionäre Wendung des Münchner Gefreiten Hitler hätte er auch auf Schmitt verweisen können, wie dies Nicolaus Sombart62 schon vor Jahrzehnten tat: Auch Schmitt war in München als Soldat vor Ort nachhaltig von den Erfahrungen des Systemumbruchs, von Revolution und Gegenrevolution geprägt.
Michael Brenner63 zeigte eindringlich, dass „jüdische Revolutionäre“ – Eisner, Landauer, Mühsam, Toller, Leviné u.a. – 1918/19 zwar tatsächlich zentrale Akteure waren; sie hatten überwiegend aber mit dem Judentum gebrochen, den jüdischen Messianismus zur Revolutionsutopie säkularisiert und waren für das Münchner Judentum keineswegs typisch. Das Münchner Judentum distanzierte sich zwar mehrheitlich klar von der Revolution, wurde dennoch für die Ereignisse verantwortlich gemacht. Die Räterepublik wurde als „jüdische Revolution“ denunziert und stigmatisiert. Bald nach der Niederschlagung der zweiten, radikalen Phase vom Frühjahr 1919 entstand eine Pogromstimmung, die zu Standgerichten, politischer Justiz und Ausweisungen führte. Diese extremistische Radikalisierung mündete über Gustav von Kahr in den Hitler-Putsch vom November 1923.
Für die Jahre von 1917 bis 1922 sind leider nur wenige Ego-Dokumente Schmitts bekannt. Erstaunlich selten äußerte sich Schmitt auch rückblickend zu seiner damaligen Lage und Wahrnehmung der Umbruchzeit. Aggressiv gegenrevolutionär empfand und agierte er damals vermutlich noch nicht. So ist beachtlich, dass er sich 1920 (TB 1921/24, 75) für die juristische Vertretung an den Rechtsanwalt Max Hirschberg wandte, 1922 aber dann den Rechtsanwalt wechselte (TB 1921/24, 87). Immerhin war er 1920 offenbar bereit, sich von einem jüdischen Anwalt vertreten zu lassen, der exponierte Akteure der Münchner Revolution, wie Felix Fechenbach, den Privatassistenten Eisners, energisch verteidigte.64 Nach dem Ausscheiden aus dem Militärdienst begann er damals zum Wintersemester 1919/20 seine erste feste Dozentur an der Münchner Handelshochschule. Sein Straßburger Mentor Fritz van Calker war inzwischen an die Technische Universität gewechselt, an der Universität lehrten damals u.a. Karl Rothenbücher und Hans Nawiasky. Die Rolle der Juraprofessoren im Systemumbruch lässt sich in München also gleich für drei Hochschulen untersuchen. Bei Stolleis65 ist knapp nachzulesen, dass die meisten Juraprofessoren die Geltung der Weimarer Verfassung damals klaglos akzeptierten. Vielleicht sollte man aber zwischen einem Establishmentdiskurs der etablierten Hochschullehrer und der Lage des akademischen Nachwuchses unterscheiden. Einige etablierte Hochschullehrer waren im Konstitutionalisierungsdiskurs des Systemwechsels engagiert. Sie beteiligten sich an der öffentlichen Diskussion und wirkten am Verfassungsprozess der Nationalversammlung und den Versailler Verhandlungen mit. Das gilt etwa für Weber, Preuß, Rothenbücher oder auch Moritz Bonn, der Schmitt als Direktor an die Handelshochschule geholt hatte. Schmitt dagegen hielt sich als junger Nachwuchswissenschaftler, der noch nicht an eine Universität berufen war, in der Formierungsphase der Republik mit Positionierungen zurück. Erst 1924 trat er in Jena auf der Tagung der Staatsrechtslehrervereinigung mit einem Paukenschlag aus seiner Deckung hervor: mit seiner extensiven Auslegung der Diktaturbefugnisse des Reichspräsidenten. Seine Positionierung von 1924 unterschied sich dabei von der späteren, noch extensiveren Auslegung im Präsidialsystem. Die verfassungshistorische Programmschrift Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches spricht 1934 dann mit nationalsozialistischem Akzent rückblickend von einem Sieg des Bürgers über den Soldaten. Nimmt man dies wörtlich, so lautet die simple Antwort auf die Frage nach der Revolutionserfahrung von 1918/19: Schmitt betrachtete den Systemwechsel aus der Perspektive des Münchner Soldaten als „Sieg des Bürgers“. Mit seinem Engagement für das Dritte Reich wünschte er ein soldatisches System irgendwie zu restaurieren.
So einfach liegt die Antwort allerdings nicht. Schmitt war niemals ein überzeugter Monarchist und Militarist gewesen. Seit 1915 führte er ein chaotisches Doppelleben zwischen Café und Kaserne. Er verkehrte mit expressionistischen Dichtern, religiösen Apokalyptikern und jüdischen Intellektuellen und war habituell alles andere als ein soldatischer Gegenrevolutionär. Er war allerdings, formelhaft gesprochen, ein „Etatist“ und Anwalt des „starken Staates“. Seine unmittelbare Revolutionserfahrung ist mit den Titeln der beiden großen Bücher treffend bezeichnet, die 1919 und 1921 im Münchner Verlag Duncker & Humblot erschienen: Politische Romantik und Die Diktatur: Diktatur versus Romantik! Das Thema des Belagerungs- und Ausnahmezustands wurde ihm 1915 zunächst dienstlich gestellt. Sein Vorgesetzter im Generalkommando war Hauptmann Christian Roth, ein exponierter Gegenrevolutionär, der 1920/21 bayerischer Justizminister unter Gustav von Kahr wurde. Es gibt also eine klare Kontinuitätslinie der Gegenrevolution, obgleich Schmitt 1920 in einem Leserbrief gegen Angriffe der Frankfurter Zeitung erklärte: „Die Abteilung Roth war kein Scharfmacherbüro und Dr. Roth alles andere als ein bornierter Militarist.“ (TB 1915/19, 519) Diese Solidaritätserklärung war zweifellos apologetisch und wird von Historikern schwerlich akzeptiert werden. Wie auch immer man aber die Diktaturpolitik des Militärs bewertet, steht doch eindeutig fest: Die Diktatur war seit 1915 Schmitts verfassungspolitisches Lebensthema, und sie begegnete ihm zunächst als militärischer Auftrag im Weltkrieg.
Seine damaligen Tagebücher zeigen eine krasse Diskrepanz von Wunsch und Willen, zivilem Habitus und militärischer Antwort. Schmitt war zwischen staatlicher „Autorität“ und Schwabinger „Anarchie“ hin und her gerissen und wusste oft selbst nicht genau, wo er stand. Am 6. September 1915 notierte er in sein Tagebuch:
„Um 8 Uhr war ich bereit, Selbstmord zu begehen, in der Welt der Nacht und in der Stille zu versinken, mit ruhiger Überlegenheit; dann dachte ich nur daran, in der Welt Karriere zu machen. Einige Stunden später war mir alles gleichgültig und ich wollte gerne Soldat werden – es ist zum Verrücktwerden, diese Zusammenhanglosigkeit; was soll ich tun? Ich werde mich in einer Stunde vor Wut über meine Nichtigkeit erschießen.“ (TB 1915/19, 125)
Einen Tag später notierte er dann:
„Nachmittags: Bericht über das Belagerungs-Gesetz machen. Begründen, dass man den Belagerungszustand noch einige Jahre nach dem Krieg beibehält. Ausgerechnet ich! Wofür mich die Vorsehung noch bestimmt hat.“ (TB 1915/19, 125)
Die Rede von „Vorsehung“ ist hier zweifellos ironisch. Dennoch lässt sich von einer momentanen Erfassung einer Lebensaufgabe sprechen. Schmitts ganzes Werk konstatiert und propagiert einen Verfassungswandel vom liberalen Rechtsstaat zum autoritären und diktatorischen Exekutivstaat. Schmitt beginnt damals auch sogleich mit Studien zur Begriffs- und Verfassungsgeschichte der Diktatur. Parallel schreibt er aber für die – von der befreundeten Hamburger Verlegerfamilie Eisler herausgegebene – Zeitung Die Hamburger Woche anonyme Artikel im Spiegel von Presseberichten: satirische Entlarvungen und Zeugnisse panischer Ablehnung des Krieges und des „Militarismus“. Seine Auslegung der Nordlicht-Dichtung des befreundeten expressionistischen Dichters Theodor Däubler schlägt apokalyptische Töne an. Damals kommt Schmitt mit dem bedeutenden Literaturkritiker Franz Blei in freundschaftlichen Kontakt, der bis 1933 anhält. In Bleis esoterischer Zeitschrift Summa publiziert er eine „scholastische Erwägung“ zur „Sichtbarkeit der Kirche“, die sich im Dualismus von Staat und Kirche, Macht und Recht, auf die Seite der Kirche zu schlagen scheint. 1919 folgt mitten in die Münchner Revolutionslage hinein das Buch Politische Romantik, das auf die revolutionären Gesinnungsethiker von 1918/19 zielt.
An der Handelshochschule las Schmitt damals über die Verfassung des deutschen Reiches und Geschichte der politischen Ideen, über Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht sowie das Betriebsrätegesetz. Intensiv setzte er sich mit Marxismus und Bolschewismus auseinander. Der Untertitel seiner Monographie von 1921 über das Rechtsinstitut der Diktatur lautet: „von den Anfängen des modernen Souveränitätsgedankens bis zum proletarischen Klassenkampf“. Dieser Untertitel ist antithetisch gedacht: Schmitt verteidigte den „kommissarischen“ Einsatz der Diktatur gegenüber der bolschewistischen Perversion des Rechtsinstituts zum selbstverständlichen Mittel des Klassenkampfes. Er unterschied Ausnahmezustand und Normalzustand und rechtfertigte politische Souveränität durch die Ordnungs- und Friedensfunktion, den Ausnahmezustand zu beenden und einen Normalzustand zu stabilisieren. Er verband Ausnahmezustand und Normalzustand mit Anarchie und Autorität und stellte sich in die „Gegenrevolution“. Die Gegenwart parallelisierte er mit der Lage um 1848 und identifizierte sich dabei – ab 1922, anstelle neuerer französischer Autoren – mit dem spanischen Gegenrevolutionär Donoso Cortés, der „von der Legitimität“ oder vom monarchistischen Legitimismus „zur Diktatur“ geschritten war und die Diktatur als antiliberale und gegenrevolutionäre Antwort bejaht hatte. Diese Maske oder Rolle des Gegenrevolutionärs hielt Schmitt in den folgenden Jahren fest. 1934 stilisierte er sich dann erneut als Soldat und Retter des Staates, als ein zweiter Bismarck hinter dem „Ersatzkaiser“, wenn er für die Epoche der Weimarer Republik konstatierte:
„Es ist der deutschen Reichswehr gelungen, unter der Führung des Reichspräsidenten und ihrer militärischen Leitung eine parteipolitisch neutrale Gewalt zu bilden und auf diese Weise, in Zeiten offenen oder latenten Bürgerkriegs, durch das gefährliche Stadium eines […] Pluralismus hindurch, den deutschen Staat zu halten. Von der staatsrechtlichen Seite her wurde das durch eine aus staatspolitischem Verantwortungsbewusstsein und klarer Erkenntnis der konkreten Verfassungslage entstandene staatsrechtliche Konstruktion des Reichspräsidenten als des Hüters der Verfassung ermöglicht, mit einer sinnvollen Auslegung sowohl des Verfassungsbegriffs wie der außerordentlichen Befugnisse des Art. 48. Wie damals während der Konfliktszeit der preußische König, so fand jetzt ein preußischer Generalfeldmarschall, aus seiner seinsmäßigen Verbundenheit mit dem preußisch-deutschen Soldatenstaat heraus, in schweigender Sicherheit den Weg, der einen Übergang zu anderen Verfassungszuständen eröffnete.“ (SZZR 47)