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3. Kapitel
Berlin/Nicolaiviertel (zwei Wochen vorher)

Rache ist keine Zierde für eine große Seele. (Lessing)

Das Nicolai-Viertel im Ostteil gilt als der historische Kern der Stadt, eine romantische Altstadt, schon zu DDR-Zeiten liebevoll restauriert, eine überraschende Oase der Ruhe in der Hektik der Großstadt. Hier findet man sorgsam restaurierte Häuser aus der Barockzeit, die älteste Kirche, die kürzeste Gasse, um die dreißig Gaststätten jeglicher Couleur, fünf Museen und vierzig Läden. In den verkehrsberuhigten Gassen kann man entspannt bummeln oder einkaufen oder am Ufer der Spree die Seele baumeln lassen. Und das alles nur wenige Minuten vom Alex entfernt, dem pulsierenden Alexanderplatz, der früheren Mitte Ostberlins, der Hauptstadt der DDR. Dieses Viertel ist nicht nur das älteste, sondern nach Ansicht vieler auch das schönste der deutschen Hauptstadt. Kein Schmutz auf den Straßen, keine Junkies, die herumhängen und Passanten belästigen. Ein Bild des Friedens – in der Hauptstadt eher ungewöhnlich.

Für all das hatte der Mann, der an diesem Abend seelenruhig auf seinem Bett in einem Hotel unweit vom Nikolaikirchplatz lag, keine Augen. Weder für das Wohnhaus des berühmten Dichters Lessing, der um die Ecke gewohnt hatte, noch für das Ephraim-Palais, einen beeindruckenden Bürgerpalast aus dem 18. Jahrhundert, der gegenüber lag oder den Gasthof Zum Nussbaum, der 1507 erbaut, später zerstört und originalgetreu wieder aufgebaut worden war. Immerhin hatte er dort schon gegessen und war von der Qualität angenehm überrascht. Das war nicht der übliche Touristenfraß, das war exzellente Küche.

Eisbein mit Sauerkraut und Klößen!

Die Hälfte musste er zurücklassen, köstlich aber zuviel! Das hätte seiner Figur geschadet, und die war für seinen Job wichtig, lebenswichtig. Er maß 180 Zentimeter, war schlank und durchtrainiert, sein markantes Gesicht zierte ein Oberlippenbart, sein blondes Haar war voll und dicht. Ein gut aussehender Mann.

Zum Schluss hatte er sich einen Calvados gegönnt und das Lokal hochzufrieden verlassen.

Aber der Mann war kein Tourist.

Er war Feldagent Second Grade der CIA und er war hier, um einen Job zu erledigen.

Und er hatte ihn erledigt.

Er hatte eine Liste besorgt, die man in Langley hocherfreut zur Kenntnis nehmen würde. Eine Liste von Agenten des russischen FSB, dem früheren KGB, die hier in Deutschland aktiv waren, und zwar so aktiv, dass sie auch seiner Regierung schaden könnten. Man würde sich um sich kümmern müssen. Der Kalte Krieg war zwar vorbei, nicht aber die Tätigkeit der Agenten auf beiden Seiten. Vieles hatte sich geändert und die Dienste waren heute oftmals mehr an wirtschaftlichen als an militärischen Informationen interessiert, trotzdem konnte es nicht schaden, wenn man wusste, wer da unterwegs war und mit welchem Ziel. Und es hatte ihn nicht einmal eine Kugel gekostet! Nein, für läppische zehntausend Dollar hatte er die Liste bekommen.

Ihr Wert? Sehr viel größer!

Und für diese Summe gab ein geldgieriger russischer ExAgent gerne mal Informationen, die er keinesfalls hätte geben dürfen. Wenn man das in Moskau wüsste, wäre das sein Todesurteil.

Oder zwanzig Jahre in einem Gulag, einem der berüchtigten Arbeitslager.

Wie auch immer!

In vier Stunden ging sein Flug nach Washington und er freute sich auf seine Familie, seine Frau Judith und den kleinen Dean. Er hatte ihm einen kleinen deutschen Polizeiwagen gekauft und Dean würde das kleine Mitbringsel lieben. Er liebte alles, was mit der Polizei zusammenhing, und ein Wagen aus Deutschland war etwas Besonderes.

Der Mann schloss die Augen. Noch ein Stündchen Ausruhen. Er hatte den Wecker in seinem Smartphone gestellt, er würde nicht verschlafen. Er dämmerte langsam ein. Seine Pistole lag griffbereit auf dem Nachttisch. Man konnte nie wissen, obwohl er sich hier sehr sicher fühlte.

Deutschland kam ihm sehr sicher vor, sauber, ordentlich und sicher.

Zu sicher?

Er ahnte nicht, dass zum gleichen Augenblick ein Mann langsam die Treppe heraufkam und vor seiner Tür stehen blieb. Unten in der Empfangshalle war der Teufel los. Die einen reisten ab, die anderen kamen an. In diesem Durcheinander war es kein Problem, sich unauffällig an der Rezeption vorbei zur Treppe zu schleichen.

Und unauffällig war der Mann auch. Unauffälligkeit war sozusagen sein Markenzeichen, sein zweiter Vorname. Der Mann war von untersetzter Figur, aber sehnig und schlank. Er trug einen schwarzen Regenmantel und Sportschuhe. Was an ihm vielleicht am meisten auffiel, waren seine grauen stechenden Augen. Augen, die Furcht einflößen konnten.

Der Mann holte aus seiner Tasche einen Dietrich und öffnete leise und problemlos die Tür, das gehörte zu den vielen Fertigkeiten, die sein Beruf mit sich brachte.

Behutsam betrat er den Raum, leise und geräuschlos wie ein Leopard beim Anschleichen an seine Beute. Er blickte sich um, alles war aufgeräumt, bereit zum Aufbruch. Aber dieser Gast würde nie mehr aufbrechen, dafür würde er sorgen.

Er sah sein Zielobjekt auf dem Bett liegen. Er schlief wie erhofft. Er hatte ihn den ganzen Tag beobachtet, hatte die Übergabe beobachtet und ahnte, dass sein Opfer jetzt müde sein würde.

Er schlief – zum letzten Mal und für immer! Seine Pistole lag neben ihm, aber die würde ihm nichts nützen.

Er holte aus seinem Mantel eine CZ 2075 Rami Pistole 9mm Luger, seine Lieblingswaffe. Leicht und handlich, eine subkompakte Pistole mit Leichtmetallgriffstück, fester Visierung und 10 Schuss Magazin, der Schalldämpfer war bereits aufgeschraubt.

Er nahm Maß.

Unerbittliche Augen richteten sich auf das Opfer.

Plopp! Plopp!

Zwei Schüsse in Stirn und Herz!

Das Opfer gab einen leisen Laut von sich, während sich Blut und Gehirnfetzen auf dem Kopfkissen verteilten. Der Schütze gab einen grunzenden Laut der Zufriedenheit ab. Dann zog er Handschuhe an und holte eine Brieftasche aus der Jacke des Toten.

Er schlug sie auf.

Phil Peterson, Central Intelligence Agency C34 Fieldagent, darüber das Siegel des amerikanischen Geheimdienstes mit dem grimmig guckenden Adler und dem roten Stern.

Außerdem achtzig Euro und zweihundertfünfzig Dollar in Scheinen und ein Flugticket der Deutschen Lufthansa, Flug LH 9233, Platz 34 C. Der Platz würde wohl leer bleiben!

Voller Befriedigung steckte er die Brieftasche zurück, an Geld hatte er kein Interesse.

Die brisante Liste, die daneben steckte, übersah er allerdings. Auftrag erledigt!

Yaakov Goodman hatte seinen Job getan. Diesmal war es kein Job seines Arbeitgebers, des Mossad, gewesen. Diesmal hatte er auf eigene Rechnung gehandelt, aber die Befriedigung war umso größer.

Still und unauffällig verließ er das Hotel, während in Amerika bald eine Witwe in Tränen ausbrechen würde.

4. Kapitel
Köln/Innenstadt

Das Leben ist voller Leid, Krankheit, Schmerz – und zu kurz ist es übrigens auch. (Woody Allen)

Genau da, wo einst das malerische Pantaleonstor als Teil einer mittelalterlichen Befestigung stand, das zusammen mit anderen Toren und Mauerabschnitten 1881 einem unseligen Abriss aus Gründen der Stadterweiterung zum Opfer fiel, steht heute die einzige altlutherische Kirche Kölns. Im Krieg wurde der schöne, neugotische Bau aus dem Jahre 1900 völlig zerstört und durch einen schmucklosen Neubau Anfang der fünfziger Jahre ersetzt.

Eine für Köln leider alltägliche Erscheinung! Andere Städte …, aber lassen wir das!

Die Kirche verfügt im Erdgeschoss über einen großen Raum, der für Gottesdienste genutzt wird, und im Obergeschoss über eine Dreizimmerwohnung, die der Pfarrer mit seiner Familie bewohnt.

In der Küche dieser Wohnung stand Doris Bassler und schnibbelte mit müden Händen an den Zutaten eines Salats. Von Zeit zu Zeit unterbrach sie ihre Arbeit, um mit ihren Händen über den Leib zu fahren. Schon seit Wochen wurde sie von Übelkeit und Erbrechen geplagt, Appetitlosigkeit und ständige Müdigkeit kamen dazu. Dazu kam ein steter Gewichtsverlust, eine Erscheinung, die sie in früheren Zeiten begrüßt hätte. Aber jetzt? Sie war kein ängstlicher Mensch, aber ihr desolater Zustand beunruhigte sie zunehmend.

Sie hatte Markus, ihrem Mann, diese Probleme bis jetzt verschwiegen, aber sie ahnte, dass ein Gang zum Arzt unausweichlich war, ein Gang, den sie höchst ungern hinter sich brachte. Ärzte waren ihr ein Gräuel. Beim Gedanken an ihren Mann nahm ihr Gesicht einen liebevollen Ausdruck an. Seit fast dreißig Jahren waren sie verheiratet und sie hatte die Verbindung mit dem jungen stürmischen Theologiestudenten nie bereut. Sie hatten sich auf einer landesweiten Protestdemo gegen die Erhöhung der Studiengebühren kennengelernt,

schnell verliebt und noch schneller geheiratet, auch wenn die Eltern zunächst mit dem bärtigen Revoluzzer, wie Vater ihn nannte, nicht einverstanden waren.

Leider blieb ihnen die Erfüllung ihres Kinderwunsches verwehrt, aber auch ohne diese Erfüllung, die ihnen als Höhepunkt ihrer Partnerschaft erschienen wäre, führten sie eine sehr harmonische Partnerschaft, eine Partnerschaft, ohne die ihr bester Freund, Monsignore Dr. Peter Diefenstein von der benachbarten Basilika St. Pantaleon, auskommen musste.

Es tat gut, einen solchen Mann zum Freund zu haben und sie pflegten diese Freundschaft über alle Konfessionsgrenzen hinweg schon seit Studienzeiten.

Doris Bassler hatte seinerzeit ihren Lehramtsabschluss in Theologie, Geschichte und Italienisch gemacht, ohne je ein Klassenzimmer betreten zu haben. Irgendwie war es nie dazu gekommen und sie fühlte sich als Frau eines Pfarrers mit all den Tätigkeiten, die das rege Gemeindeleben mit sich brachte, vollkommen ausgelastet.

Sie leerte das Brett mit den geschnittenen Tomaten, Gurken und Zwiebeln in eine Schüssel, gab Öl und Essig, Salz und Pfeffer dazu und durchmischte den Salat. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, dass Markus sicher bald von seinem Besuch bei einem schwer erkrankten Gemeindemitglied zurückkehren würde.

Es schellte.

Hat Markus etwa seinen Schlüssel vergessen?

Mit schweren Schritten eilte sie zur Tür, ihr Magen regte sich wieder.

Sie öffnete die Tür und hatte keine Ahnung, dass sich mit der jetzigen Begegnung ihr Leben für immer ändern würde.

„Ja?“

Vor der Tür stand eine verhärmte Frau, schlank, fast dürr, das lange, strähnige Haar zu einem Zopf gebunden. Sie trug ein verschlissenes Sommerkleid und ihre Hände klammerten sich an eine Louis-Vitton-Tasche, die so wenig zu ihr passte, wie eine Nerzstola zu einem Eisbär.

Ein billiger Fake aus China, durchzuckte es sie, während die Frau sie ängstlich ansah.

„Ich … ich bin Frau Mundorf, Elke Mundorf.

Doris Bassler blickte die Besucherin irritiert an. Wer ist das denn?

„Sie kennen mich nicht mehr, oder?“

Doris Bassler kramte in ihrem Gedächtnis. Irgendwo hatte sie die Frau schon mal gesehen. Aber wo?

„Ehrlich gesagt nicht. Und was kann ich für Sie tun? Oder wollen Sie zu meinem Mann?“

Die Frau versuchte sich in einem Lächeln und offenbarte ein krummes, stark pflegebedürftiges Gebiss.

„Ihr Mann, der Herr Pfarrer, hat meine Anne, das ist meine Tochter, konfirmiert. Vor zwei Jahren war das.“

„Aha.“

Doris Bassler war immer noch nicht klar, was die Frau wollte und sie hatte wenig Lust, sie hereinzubitten um das herauszufinden. Sie fühlte sich krank und die Frau war ihr wenig sympathisch.

„Probleme. Wir haben große Probleme mit Anne, und da haben wir gedacht … wir haben gedacht, mein Mann und ich, der Herr Pfarrer könnte uns vielleicht helfen. Er war doch damals so freundlich zu Anne … und zu uns.“

Unwillig gab Doris Bassler den Weg frei.

„Kommen Sie doch herein, Frau äh … Mundorf.“

Die Frau nickte erleichtert und hauchte ein Dankeswort, zögernd betrat sie die Wohnung.

„Ich störe Sie doch wohl nicht?“

Und wie!, dachte Doris Bassler, setzte aber ein Lächeln auf.

„Nein, keineswegs, bitte nehmen Sie Platz.“

Sie führte die merkwürdige Besucherin in das geschmackvoll eingerichtete Wohnzimmer und wies auf einen der bequemen Sessel.

„Kann ich Ihnen etwas anbieten?“

„Ein Glas Wasser vielleicht, wenn es keine Umstände macht.“

„Gerne.“

Doris Bassler stand auf, um kurze Zeit später mit einem Glas Wasser und einer Flasche zurückzukehren. Sie stellte es vor die Besucherin und schaute sie aufmerksam an. Ihr Unwillen und ihre Müdigkeit waren mit einem Schlag verflogen. Wenn Hilfe gebraucht wurde, war sie zur Stelle, das hatte sie in den vielen Jahren an der Seite ihres Mannes gelernt.

Die Frau nahm einen hastigen Zug aus dem Glas, nestelte nervös an ihrer gefakten Tasche herum und begann zögernd und mit leiser Stimme.

„Unsere Anne ist jetzt sechzehn Jahre alt. Vor zwei Jahren, als sie hier konfirmiert wurde, war alles mit ihr in Ordnung. Sie ging zur Realschule und hatte gute Noten, sie trieb sich nicht mit Jungs herum, half mir im Haushalt und guckte nach ihrem Bruder.“

Sie leerte das Glas in einem Zug und atmete tief ein.

„Sie müssen wissen, wir haben noch einen Sohn. Den Guido. Der ist jetzt sieben.“

Doris Bassler nickte ihr aufmunternd zu und füllte das Glas erneut.

„Aber jetzt hat sich alles geändert.“

„Wieso?“

„Wegen Samira!“

„Samira?“

„Anne hat in der Schule ein Mädchen kennengelernt. Aus dem Iran. Sie trägt ein Kopftuch und komische Kleider. Die anderen Kinder lachen sie oft aus, aber das macht ihr nichts aus. Die Eltern sind vor einem Jahr aus dem Iran geflohen, weil der Vater für eine Zeitung gearbeitet hat, kritische Kommentare über diese äh … Agatollas, oder wie das heißt, geschrieben hat. Mit der ganzen Familie sind sie geflohen, Hals über Kopf bei Nacht und Nebel. Sie sind eigentlich nicht besonders gläubig, nur die Tochter. Sie wollte ihr Kopftuch nicht ablegen, sie betet dauernd und sagt, Allah habe sie auserwählt.“

Sie brach ihre Rede ab, Tränen standen in ihren Augen. Ihre Finger fuhren fahrig über das Kleid. Sie trank hastig weiter und das Wasser rann aus ihrem Mundwinkel.

„Samira war ständig mit meiner Tochter zusammen und sie hat meiner Anne Flausen in den Kopf gesetzt. Auf einmal bestand Anne darauf, auch ein Kopftuch zu tragen und hat uns gesagt, sie wolle zum Islam konvertieren. Sie wolle einen Gebetsteppich und weigert sich in die Kirche zu gehen. Sie hat sich einen Koran gekauft, in dem sie dauernd blättert und uns Sachen vorlesen will. Sie lernt sogar Sachen auswendig. Uns nennt sie Ungläubige, die Allah strafen werde. Stellen Sie sich das vor. Vor zwei Jahren konfirmiert und jetzt zum Islam. Im Ramadan hat sie gefastet und vier Kilo abgenommen, und sie ist doch ehe schon nur Haut und Knochen. Mein Mann hat getobt und ihr den Umgang verboten, aber es hat nichts genutzt. Ständig hingen die Mädchen zusammen und haben getuschelt.

Und wenn sie nicht zusammen waren, hingen sie am Handy. Sie hat kaum noch für die Schule gelernt, keine anderen Freundinnen getroffen, Jungs spielten überhaupt keine Rolle.“

Sie seufzte laut auf.

„Dabei hat sie doch vorher für den Mark von nebenan geschwärmt, obwohl mein Mann das verboten hat. „Ist doch erst 16“, hat er gesagt, „mein kleines Mädchen.“

Schließlich hat mein Mann ihr das Handy weggenommen. Anne hat geweint, gefleht, getobt, dann hat sie es geschluckt. Ich habe aber den Verdacht, dass sie sich heimlich ein neues besorgt hat.“

„Ihr Mann ist wohl recht streng zu ihr?“

„Mein Mann? Er ist seit fünf Monaten arbeitslos. Sie haben ihn entlassen. Seitdem ist er … anders. Er ist nur noch zu Hause und er trinkt zu viel. Ja, er ist streng, aber er meint es nur gut mit Anne. Sie ist …“, sie stockte kurz, „sie war immer seine kleine Prinzessin!“

Es entstand eine kurze Pause, während Doris Bassler ihre Besucherin nachdenklich betrachtete.

„Und jetzt?“

„Jetzt ist sie weg!“

„Wer ist weg?“

„Samira! Seit einer Woche kommt sie nicht zur Schule und die Eltern haben keine Ahnung, wo sie ist. Sie waren bei der Schule, bei der Polizei, haben überall gefragt, aber keiner weiß was. Und ich habe Angst, dass Anne auch so was macht. Man kann doch dabei nicht zusehen, oder? Vielleicht kann Ihr Mann mit ihr sprechen. Den hat sie doch damals im Konfirmandenunterricht so toll gefunden. Cool sei er gewesen, hat sie damals gesagt, richtig cool. Aber das war, bevor sie mit dieser … Samira zusammen war!“

Sie schluchzte laut auf, griff nach ihrem Taschentuch und schnäuzte sich vernehmlich.

Bevor Doris Bassler antworten konnte, hörte sie, wie ein Schlüssel im Türschloss gedreht wurde.

Markus, Gott sei Dank!

Sie fühlte sich mit dieser Situation doch leicht überfordert und war froh, dass ihr Mann kam. Der würde eher wissen, was zu tun war.

5. Kapitel
Langley/Virgina CIA-Zentrale

Ein Spion am rechten Ort ersetzt 20.000 Mann an der Front. (Napoleon)

Langley/Virginia ist nicht nur ein Vorort von Washington D.C., sondern auch Sitz des wenig bekannten Turner-Fairbank Highway Research Centers, eines Forschungsinstituts der US-Straßenverkehrsbehörde und der noch weniger bekannten Claude Moore Colonial Farm, eines von privater Hand betriebenen Landschaftsparks der US-Nationalparkverwaltung. Außer diesen beiden Institutionen, die der amerikanischen Öffentlichkeit in etwa so bekannt sein dürften wie die Fortpflanzungsgewohnheiten südamerikanischer Faultiere, gibt es in Langley nichts, fast nichts.

Nichts? Ja gut, da wäre noch der Stamm- und Ausbildungssitz der Central Intelligence Agency, kurz CIA genannt, des berühmten, mitunter auch berüchtigten, wohl aber mächtigsten Auslandsgeheimdienstes der Welt, auch wenn er durch die Maßnahmen einiger Präsidenten der Vergangenheit zum Teil herbe Einbußen in seiner Machtausübung hinnehmen musste. Wenn man aber vor den ausladenden Gebäuden der Agency steht und genau hinsieht, kann man vielleicht immer noch den Schleier sehen, der die Gebäude zu umgeben scheint und den Insider gerne als die Aura der Macht bezeichnen.

Ihre häufig recht rigorosen Mitarbeiter werden wegen des besonderen Abhängigkeitsverhältnisses vom Präsidenten auch schon einmal die Bluthunde des Präsidenten genannt. Mit einem Etat von rund fünfzehn Milliarden Dollar jährlich, etwa zwanzigtausend Mitarbeitern intern und möglicherweise hunderttausend Mitarbeitern weltweit darf der Dienst dieses Attribut exklusiv für sich in Anspruch nehmen.

Der Dienst wird von Ausschüssen des Senats und des Repräsentantenhauses kontrolliert, aber es scheint nicht schwierig, pikante Aufträge vor diesen beiden Kontrollgremien zu verbergen, zumal die Agency im Gegensatz zu anderen staatlichen Behörden ihren Haushalt nicht veröffentlichen muss. Auf Weisung des US-Präsidenten, und nur auf dessen Weisung, darf die Agency durch geheime Operationen politischen und militärischen Einfluss in ausländischen Staaten ausüben, was der Öffentlichkeit freilich meist verborgen bleibt.

Der Sturz des iranischen Premierministers Mossadegh im Jahre 1953 darf dafür ebenso als Beispiel gelten wie der Sturz des Präsidenten Guzman von Guatemala im darauf folgenden Jahr oder die Ermordung Che Guevaras in Bolivien 1967.

In die Geschichtsbücher eingegangen ist auch die misslungene, desaströse Invasion in der Schweinebucht, die 1961 unter Präsident Kennedy die Revolutionsregierung Castros auf Kuba stürzen sollte und auch diverse misslungene Attentate auf den Revolutionsführer dürften auf ihr Konto gehen. Die CIA hat sich von solchen Rückschlägen in ihrer Aktivität nicht zurückhalten lassen, sondern mischt in aller Welt munter mit, und nur böse Gerüchte sagen, dass es mitunter auch ohne Weisung des Präsidenten geht. Allerdings besagte Erlass Nr. 12033 von Präsident Ford aus dem Jahre 1976, dass der Dienst keine Morde mehr begehen dürfe.

So what?

Daraus kann man zum einen schließen, dass dies vorher der Fall war, zum anderen wird von denen, die glauben, dass der Dienst sich daran hält, auch vermutet, dass sie die Erde für eine Scheibe halten.

Aber in manchen Fällen steht selbst die mächtige Agency vor einem Rätsel, einem Rätsel, das sie allerdings mit allen Mitteln zu lösen versucht.

DCI Francis D. Lead, der mächtige Direktor of Central Intelligence, der Chef der noch mächtigeren CIA war ein imposanter Mann. Er maß fast 190 Zentimeter, seine mächtigen Schultern zeugten von einer sportlichen Vergangenheit, sein markantes, glattes Gesicht wies am Kinn ein Grübchen auf, das in früheren Zeiten seine Wirkung auf das andere Geschlecht nicht verfehlt hatte. Sein Haar war voll und an den Seiten ergraut, er trug es jetzt etwas länger als früher und achtete auf einen akkuraten Seitenscheitel. Und da er auch jetzt noch regelmäßig Sport trieb, hatte er jede Gewichtszunahme vermeiden können und das Gewicht behalten, das er einst gehabt hatte, als er noch Zweisternegeneral im United States Marine Corps war. Als Major General hatte er im Irak an der Operation Desert Storm teilgenommen und die Mutter aller Schlachten mitgemacht. Nicht in der Etappe am Schreibtisch, sondern in vorderster Front, was seine Soldaten mit hohem Respekt quittierten.

Er wurde mit dem Silver Star und der Iraq Campaign Medal ausgezeichnet und kam unverletzt in die Heimat zurück.

Von da bis zum Chefposten bei der CIA war ein kurzer Weg gewesen, worum ihn einige der Sesselfurzer in Washington, die nie eine Waffe in der Hand gehabt hatten, sehr beneideten. Seine hübsche Frau Lorraine und zwei gut gelungene Jungs rundeten sein Glück ab, weshalb er auch in schwierigen Situationen wie der jetzigen stets gelassen und cool wirkte. Lead hatte in Besprechungsraum E 112 kurzfristig eine Versammlung zusammengerufen. Es gab Probleme, Probleme, die keinen Aufschub duldeten. Aber bevor er die Unterredung eröffnete, drückte er auf einen Knopf unterhalb seines Schreibtisches. Metallplatten schoben sich mit einem leichten Summton vor die Fenster und vor die Tür, selbst die Belüftungsschächte blieben von dieser Maßnahme nicht verschont. Die Anwesenden, die im Vorraum ihre Handys abgegeben hatten, wussten, was das zu bedeutet hatte. Der DCI hatte den Raum damit in eine SCIF, eine Sensitive Compartmented Information Facility verwandelt, einen Raum, der höchsten Ansprüchen der Geheimhaltung genügte und jede Form von ungebetener Beteiligung ausschloss. Das geschah nicht so häufig, und so schauten die Anwesenden ihren Chef mit einer Mischung aus Irritation und Erstaunen an.

„Ist absolut notwendig“, meinte Lead lapidar, „Sie werden schon sehen!“

Er klopfte auf den Tisch, aber er hatte auch ohne diese Geste die Aufmerksamkeit der anderen drei Gesprächsteilnehmer. „Mr. Sanders, Ihren Bericht bitte.“

Horacio Sanders räusperte sich. Er war der neue Direktor der SAD, der Special Activities Division, jener geheimen Abteilung der CIA, die verdeckte Operationen in aller Welt ausführte und im Bedarfsfall über paramilitärische Einheiten verfügte, was der Öffentlichkeit und sogar dem Kongress weitgehend unbekannt war, weil die Kosten meist aus anderen, völlig unverdächtigen Etats abgezogen wurden.

Sanders war der einzige Farbige in diesem Kreis, im Dienst ergraut, von schlanker, hoher Gestalt. Seine hohe Stirn und seine goldene Nickelbrille verliehen ihm etwas Professorales und sein scharfer Intellekt bestätigte den äußeren Eindruck nachdrücklich.

Er war ursprünglich Analyst gewesen, kein Agent, was seiner Beförderung einen gewissen Überraschungseffekt verlieh. Er hatte nie im Militär gedient, nie eine Pistole in der Hand gehabt, nie einen Gegner getötet. Seine Waffen waren Computer und ein messerscharfer Verstand und wenn seine Finger wie rasend über die Tastatur flogen, schauten die Umstehenden mit offenen Mündern zu. Vor kurzem war es ihm gelungen, gewaltige Finanzströme von Saudi Arabien zu einigen Terrororganisationen aufzudecken, was dem arabischen Ölstaat einigen Ärger und ihm erhebliche Meriten eingetragen hatte.

Einige dieser Ströme hatte er sogar auf Offshore-Konten der Agency umgeleitet, was die Saudis gehörig geärgert und dem Präsidenten ein Schmunzeln abgerungen hatte.

Da aber für die Saudis auch ein zweistelliger Millionenbetrag kaum mehr als Peanuts bedeutet und die guten Beziehungen zu den USA den Scheichs sehr viel wichtiger waren als ein paar Gelder, die ohnedies weg gewesen wären, hielt man sich im Wüstenstaat mit Nachforschungen oder verärgerten Reaktionen zurück und ließ die Sache auf sich beruhen.

Nicht zuletzt diese Erfolge hatten zu seiner überraschenden Beförderung beigetragen, bei der der Präsident persönlich mitgewirkt hatte.

Sein Vorgänger Philipp McAllister war vor kurzem über eine Affäre, insgeheim Marschbefehl-Operation genannt, gestolpert, die das Missfallen des Präsidenten erregt und McAllister einen vorzeitigen Ruhestand eingebrockt hatte, freilich bei vollen Bezügen. Und statt Agenten mit dubiosen Aufträgen durch die Welt zu schicken, stand er jetzt mit Vorliebe am Potomac River und angelte nach Barschen.

Sic transit gloria mundi!

Sanders sonore Stimme erfüllte den Raum.

„Nun Sir, wir haben mehrere ungeklärte Todesfälle unter unseren Agenten.“

„Ja, und ich möchte wissen, wer unsere Agenten jagt! Berichten Sie!“

„Beim ersten Fall handelt es sich um die nach wie vor ungeklärte Ermordung der Agentin Cathy Meywether in Bern. Obwohl wir hart daran arbeiten, haben wir immer noch keine Ahnung, was da passiert ist.“

„Die schwarze Cathy“, murmelte Lead, „Operation Marschbefehl, oder?“

„Ja, Sir.“

„Weiter!“

„Der zweite Fall betrifft die Tötung unseres Stationschefs in London.“

„Tom Brendan, nicht wahr? Und haben wir da wenigstens irgendwelche Erkenntnisse?“

„Nein Sir, wir sind auch da noch keinen Schritt weitergekommen, aber die Umstände lassen vermuten, dass der Täter ein Insider war. Der Täter kannte den Code und hat gewartet, bis die Sekretärin in ihre Mittagspause ging. Er kannte also die Abläufe dort genau.“

„Insider, ja? Ärgerlich, sehr ärgerlich. Aber das sind Altlasten, die Sie von Ihrem Vorgänger übernommen haben. Trotzdem, ich erwarte, dass das so schnell wie möglich aufgeklärt wird. Weiter!“

„Der dritte Fall betrifft den Feldagent Second Grade Phil Peterson. Er wurde vor drei Wochen in Ostberlin ermordet, in seinem Hotel erschossen. Wir arbeiten mit der deutschen Polizei zusammen, haben aber keinerlei Hinweise auf den Täter, aber immerhin konnte die Liste sichergestellt werden, die er von einem russischen Informanten besorgt hatte.“

Leads Augen blickten zornig, im Geist sah er vor sich, wie ein weiterer, goldener Namensstern an die Marmortafel im Eingangsbereich seines Gebäudes angebracht wurde.

„Was nutzt mir die Scheißliste, wenn sie einen weiteren Agenten gekostet hat. Der Mann war verheiratet, hatte ein Kind. Wie soll man das der Frau beibringen?“

„Nun, mit Verlaub, Sir, das gehört zum Berufsrisiko und die Frau wird es verstehen. Sie kriegt schließlich eine ansehnliche Witwenpension.“

„Sanders, werden Sie nicht zynisch!“

Lead bemühte sich, seinen Abteilungsleiter empört anzublicken. In Wahrheit teilte er dessen Meinung – jedenfalls bis zu einem bestimmten Grad.

„Weiter!“, sagte er mürrisch.

Sanders war nicht aus der Ruhe zu bringen. Er fuhr sachlich fort.

„Der vierte Fall betrifft den Tod des Agenten Second Grade Gordon Rush. Er wurde vor einer Woche in Köln erschossen, das liegt in Deutschland …“

„Ich weiß, wo Köln liegt“, meinte Lead unwirsch, „den Kölner Dom kennt ja schließlich jeder!“

Sanders ließ sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen.

„Natürlich, Sir. Und genau vor diesem Kölner Dom wurde er erschossen. Die Umstände sind noch ungeklärt, die Kölner Polizei hat noch keine Erkenntnisse über Täter oder Motiv weiß aber, dass das Opfer einer von uns war.“

„Weil …?“

„… er seinen Ausweis in der Tasche hatte!“

Lead nickte. Das war nicht ungewöhnlich und verstieß gegen keine Regel, solange er nicht verdeckt arbeitete. Das Bild des toten Agenten tauchte vor seinen Augen auf.

Sein volles schwarzes Haar, sein markantes Gesicht, seine kräftige Statur, seine offenen, ehrlichen blauen Augen. Erst seit drei Jahren bei der Agency, aber bald wäre eine Beförderung zum First Grade fällig gewesen.

Er hatte Rush gut gekannt und ihn wegen seiner sorgfältigen und gleichzeitig dezenten Arbeitsweise geschätzt. Eine dezente Arbeitsweise ist für eine Agency wie die ihre von höchster Bedeutung, egal, ob es sich dabei um eine Observierung oder eine angeordnete Liquidierung handelt.

Jetzt musste man seiner Frau Nancy und den beiden Kindern diese Nachricht beibringen – ein Scheiß-Job.

Okay, das würde Sanders machen, der kann so was. Eine angemessene Beisetzung in Arlington, kaum zwei Meilen von hier, mit Trompete, Salutschüssen und eingerollter, übergebener Fahne. Eine Pension für die Witwe und ein weiterer Name auf dem Messingschild im Eingangsbereich, auf der die im Einsatz umgekommenen Agenten verewigt waren. Das war alles, was von ihm bleiben würde.

Er zwang sich, in die Gegenwart zurückzukehren.

„Woran hat Rush gearbeitet?“

Tim Bernardini, sein Nebenmann, hob die Hand. Er war noch recht jung, ein untersetzter Mitdreißiger mit leichtem Bauchansatz, einer spitz gebogenen Nase und einer Schildplattbrille, die er gerne auf der Hand balancierte. Die Kollegen verglichen ihn gerne mit dem verstorbenen Schauspieler Robin Williams, ein Vergleich, den er gerne zur Kenntnis nahm. „Rush war zusammen mit Agent Wills auf eine Gruppe von Waffenhändlern angesetzt, die von Westdeutschland über Belgien und Holland Waffen in den Nahen Osten verschiebt, Adressat vermutlich IS-Gruppen im Libanon und in Syrien.“

„Wo ist Wills?“

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