Kitabı oku: «Die Köln-Affäre», sayfa 3

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„Noch in Köln.“

„Haben wir Kontakt zu ihm?“

„Ja, Sir!“

„Okay. Soll erst mal da bleiben. Hat die Ermordung von Rush mit seinem Auftrag zu tun?“

„Eher nicht, Sir“, antwortete Bernardini. „Die beiden Agenten waren erst seit vier Tagen unten und hatten noch keinen Kontakt zu der Gruppe geknüpft. Sie waren noch bei den Vorermittlungen. Von daher glaube ich nicht …“

„Okay!“

Lead unterbrach ihn unwirsch.

„Was ist mit Warschau?“

„Warschau ist noch mysteriöser, unser … äh … fünfter Fall“, Sanders sonore Stimme füllte den Raum.

„Barbara Dudek, Agentin First Grade. Erfahrene Agentin, seit mehr als zwölf Jahren bei uns. Sie war in Warschau auf Urlaub. Wie Sie sicher wissen, stammen ihre Großeltern aus Krakau in Polen. Sie leben noch dort und Agentin Dudek hatte sie besucht. Sie war auf dem Rückweg und machte für zwei Tage Station in Warschau.“

„Also hatte sie dort keinen Auftrag?“

„Nein, Sir, wie schon gesagt, sie war dort auf Urlaub. Hätte gestern zurückkehren müssen. Auch die Polizei in Warschau tappt noch im Dunklen. Allerdings gibt es zwischen den beiden Taten einen erheblichen Unterschied.“

„Nämlich?“

Nun meldete sich der dritte Teilnehmer, der bisher schweigend dabei gesessen hatte.

Agent Herbert Collins war erst seit zwei Jahren bei der Agency, ein schlanker, aber kräftiger, gut aussehender Mann mit vollem schwarzem Haar, energischem Kinn und ausdrucksvollen Gesichtszügen. Er lehnte sich nach vorne, als wolle er die Aufmerksamkeit des Direktors gewinnen, die er ohnehin hatte. „Rush wurde mit einem großkalibrigen Gewehr aus relativ kurzer Entfernung erschossen, Peterson mit einer 9 mm Pistole, aber Dudek wurde vergiftet.“

„Ich habe es in der Akte gelesen. Aber vergiftet? Wie? Weiß man Näheres?“

„Ja, Sir. Mir liegt der Obduktionsbericht aus Warschau vor, die Kollegen waren sehr kooperativ. Bei der Obduktion hat man eine winzige Kapsel aus Platin und Iridium gefunden, die das Gift Rizin freigesetzt hat. Rizin gewinnt man aus dem Samen des Wunderbaums, man kann es aber auch chemisch herstellen. Es gehört zur Gruppe der Lektine, die aus einer zellbindenden und einer giftvermittelnden Komponente bestehen. Seine tödliche Wirkung wird auf eine Hemmung der eukaryotischen Proteinbiosynthese zurückgeführt.“

„Mensch, Collins. Können Sie das auch etwas einfacher darstellen?“

Lead verzog seine Mundwinkel mürrisch nach unten und klopfte mit seinem Füller auf den Tisch.

„Natürlich, Sir. Ich werde mich bemühen, aber es handelt sich um einen durchaus komplexen Vorgang.“

„Also?“

„Bei der Proteinbiosynthese handelt es sich um die Neubildung von Proteinen in Zellen, das ist der für alle Lebewesen zentrale Prozess der Genexpression, durch den die Proteine der Erbinformation gebildet werden. Wird dieser Prozess nachhaltig gestört oder gar verhindert, tritt der Tod ein.“

„So schnell?“

„Normalerweise tritt der Tod erst nach Stunden ein“, ergänzte Sanders nüchtern, „wenn der Tod so schnell eintritt, muss es sich um eine besonders hohe Dosierung gehandelt haben.“

„Dazu kommt, Sir, dass solche Mittel gewöhnlichen Kriminellen nicht zur Verfügung stehen, man kann so etwas weder im Drogeriemarkt kaufen noch im Internet noch nicht einmal im Darknet. Mit diesen Mitteln arbeiten nur wenige Geheimdienste. Wir haben äh … auch schon damit gearbeitet.“

„Welche Geheimdienste arbeiten sonst noch mit … Rizin?“, wollte Lead wissen.

„Nun, soweit wir wissen, waren das der FSB und sein Vorgänger KGB, früher die ostdeutsche Stasi, der bulgarische Geheimdienst DANS, der israelische MOSSAD und zu Zeiten Ghadaffis der libysche Geheimdienst Amn Al-Jamahirya, aber das ist vorbei. In Libyen gibt es, wie Sie wissen, keinen nennenswerten Geheimdienst mehr, nur noch Chaos.

Vom Einsatz bei anderen Diensten ist uns nicht bekannt. Vielleicht arbeiten auch die Chinesen …“

„Bloße Vermutungen bringen uns nicht weiter“, raunzte Lead. „Fassen wir zusammen: Zwei unserer Mitarbeiter wurden in Bern und in London ermordet, das ist ein halbes Jahr her und wir haben keine Ahnung, wer die Täter waren. Das ist höchst unbefriedigend! Wenn der Senat davon erfährt, haben wir ein Problem. Oder besser, ich habe ein Problem. Und dann wurden drei weitere unserer Agenten im Abstand von jeweils einer Woche ermordet, in Köln und in Polen und in Berlin, mit unterschiedlichen Methoden. Zwischen den Opfern und ihren Tätigkeiten scheint kein Zusammenhang zu bestehen und trotzdem glaube ich nicht an einen Zufall. Zudem weist die Tötungsart zumindest in einem Fall auf die Verwicklung eines anderen Dienstes hin. Wer will uns hier an den Karren pissen?“

Keine Antwort, die Männer schwiegen.

Lead schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.

„Verdammte Scheiße. Wir müssen das aufklären, und zwar bald. Dass Agenten im Dienst umkommen, ist normal, Berufsrisiko. Dass sie aber gezielt ermordet werden, ist nicht hinnehmbar, absolut nicht. Und die Öffentlichkeit ist auch schon informiert.

Hier, steht schon was in einer regionalen deutschen Zeitung, dem äh … Kölner Stadtanzeiger und es nur eine Frage der Zeit, bis sie das in der Post auch finden.

Er nahm eine Zeitung aus der Akte und knallte sie auf den Tisch:

Mysteriöser Mord auf der Domplatte

In den frühen Stunden des gestrigen Abends wurde auf der Domplatte ein mysteriöser Mord begangen. Ein Mann, etwa Mitte Dreißig, wurde aus kurzer Entfernung erschossen. Seine Identität ist der Polizei bekannt, wird aber aus ermittlungstaktischen Gründen noch verschwiegen. Wie wir aber aus gut informierten Kreisen erfahren haben, soll es sich bei dem Opfer um einen Mitarbeiter der amerikanischen CIA gehandelt haben. Was macht ein CIA-Agent am Dom und wer hat ein Interesse, ihn zu ermorden? Die Polizei tappt noch im Dunkeln. Zeugen werden gebeten, sich bei der Polizei unter 0221/ 229-0 zu melden.

„Die Sache hat höchste Priorität, meine Herren. Wir werden unter Ihrer Führung, Collins, eine Gruppe von fünf Agenten zur hausinternen Ermittlung daran setzen. Das alles schmeckt nach einem Maulwurf in unseren Reihen, das Schlimmste, was uns passieren kann. Ich höre schon, wie der Kongressausschuss mir seine peinlichen Fragen stellt, daran darf ich gar nicht denken!“

Er machte eine kurze Pause, um seine Worte wirken zu lassen, bevor er fortfuhr: „Also, höchste Geheimhaltungsstufe und ich erwarte sehr bald Ergebnisse. Berichte unmittelbar an mich und nur an mich! Außerdem werden wir dem Agenten Wills in Köln Verstärkung schicken. Prüfen Sie, Sanders, wer dafür in Frage kommt.“

Er machte eine kurze Pause und griff nach dem Teeglas, das er immer vor sich stehen hatte.

„Wo treibt sich eigentlich Agent Donelli rum?“

„Er ist zurzeit in Mailand und observiert eine Gruppe von Salafisten“, sagte Sanders.

„Ziehen Sie ihn ab, ich will ihn auch in Köln haben, soll was Ordentliches für sein Geld tun. Nehmen Sie für die Observation ein paar junge Nachwuchsagenten.“

„Okay, Sir.“

Lead fixierte seine Mitarbeiter mit einem scharfen Blick, was Komplikationen bedeutete und erhöhte Alarmbereitschaft hervorrief.

„Im Übrigen ist die NSA bereits involviert und wird ihre Kontakte zu anderen Diensten einsetzen und da ein terroristischer Hintergrund nicht auszuschließen ist, hat auch das FBI erste Ermittlungen aufgenommen. Und damit nicht genug, auch der Stabschef vom Weißen Haus sitzt mir im Nacken! Ich habe den Eindruck, die halbe Welt steht hier in Langley vor der Tür und wartet darauf, wie wir das Problem lösen. Die Sache bläht sich auf wie Ballon und wir müssen aufpassen, dass wir nicht mitten drin sitzen, wenn er platzt.

Fünf tote Agenten aus unserer Firma!

Ein Albtraum!

In zwei Tagen habe ich ein Meeting mit den zuständigen Abteilungsleitern von NSA und FBI und dem Stabschef. Und dann möchte ich nicht als nackter Mann dastehen.“

Die drei Mitarbeiter nickten. Das war verständlich, diese Peinlichkeit mussten sie ihrem Direktor ersparen.

Aber schon fuhr Lead fort:

„Und noch etwas, Kollegen: Der Präsident persönlich ist beunruhigt, für ihn ist die Sache eine Angelegenheit der nationalen Sicherheit. Sie wissen, was das bedeutet, meine Herren, also ab an die Arbeit!“

6. Kapitel
Köln/Südstadt

Viele, die bei Kindern sind, tun ihre Pflicht, aber das Herz ist nicht dabei. Das merkt das Kind. (Wilhelm von Humboldt)

Die Merowingerstraße liegt in der Kölner Südstadt, unweit vom mittelalterlichen Severinstor, das im Gegensatz zum Pantaleonstor den Abrisswahn überstanden hat und zum Mittelpunkt der Südstadt wurde. Die Straße verfügt über eine gemischte Bebauung, bei der schöne alte Häuser aus der Gründerzeit neben hastig errichteten, schmucklosen Bausünden aus der Nachkriegszeit stehen. Der türkische Dönerladen findet sich hier ebenso wie die alte kölsche Eckkneipe, der Kramladen neben der Edelboutique, und zu den vielen Wohneinheiten gehören auch etliche Sozialwohnungen für weniger solvente Mieter.

In einer solchen Sozialwohnung saß Pfarrer Markus Bassler am frühen Nachmittag und nippte an einem dünnen Kaffee. Nach einem langen Gespräch mit Frau Mundorf hatte er die Einladung angenommen und versprochen, mit Anne, dem Sorgenkind, zu sprechen.

„Ich kann nichts versprechen, aber ich will es versuchen.“

Frau Mundorf hatte ihm dankbar die Hand gedrückt.

Die Wohnung empfing ihn mit einem durchdringenden Nikotingeruch, ergänzt durch die letzte Mittagsmahlzeit, wahrscheinlich Erbseneintopf.

Bassler saß auf einer Couch, die schon bessere Zeiten gesehen hatte und eher zum Sperrmüll als in ein Wohnzimmer gepasst hätte und betrachtete die kitschigen, in goldene Kunststoffrahmen gepressten Bilder, die im Original vor langer Zeit von Spitzweg gemalt worden waren. Der „Arme Poet“ hing neben dem „Eremit“, daneben der „Sonntagsspaziergang“ und der „Antiquar“, offenbar liebte man in diesem Haus den Münchener Maler. Aber daneben hing auch ein Hochzeitsfoto der Wohnungsinhaber, auf dem zumindest die Braut einen weniger glücklichen Eindruck machte, und das Foto eines hübschen jungen Mädchens im Konfirmationskleid. Anne in besseren Zeiten.

Couch und Sessel waren ordentlich mit leicht vergilbten Spitzendecken verziert, die bunte Tapete mit großblättrigem Blumenmuster war auch in den 70er Jahren schon sehr beliebt gewesen und der kleine Wohnzimmertisch aus rustikaler Eiche mit Delfter Kachelmuster wies zahlreiche Kerben auf. Auf dem Tisch eine aufgeschlagene Fernsehzeitschrift und ein überquellender Aschenbecher.

Im Hintergrund lief im großformatigen Fernseher eine belanglose Talk-Show, der Ton war abgestellt. Die Teilnehmer schrien sich gerade lautlos an.

Gegen die ungeputzten Fenster klatschten dicke Regentropfen, die wir kleine Perlen herunterliefen, ansonsten beherrschte eine penible Sauberkeit den Raum.

Gegenüber saß schweigend das Ehepaar Mundorf. Eduard, der Mann, Mitte fünfzig, fast zwei Meter groß, grobschlächtig mit zauseligem Bart. Die Schultern breit, aber nicht weniger breit die Hüfte, ein ausgeprägter Bierbauch wölbte sich unter dem T-Shirt.

Zähne und Finger nikotingelb, eine dominante und kompromisslose Erscheinung.

Jemand, mit dem man eigentlich keinen Streit haben möchte. Er trug ein verblasstes T-Shirt mit dem Aufdruck Fortuna Köln und eine alte Jogginghose, die an mehreren Stellen geflickt war. Seine Füße steckten in nagelneuen Adidasschlappen.

Bassler musste an das Zitat des Modeschöpfers Lagerfeld denken, das er vor kurzem beim Friseur in einer Frauenzeitschrift gelesen hatte. (Wo, wenn nicht beim Friseur liest ein Geistlicher auch schon mal in der Freundin):

Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.

Vielleicht war das übertrieben, aber bei Mundorf schien es zuzutreffen und Bassler, der keine einzige dieser Hosen sein Eigen nannte, schüttelte sich innerlich bei dem Gedanken, so etwas tragen zu müssen.

Abrupt rief er sich zurück in die Gegenwart und fixierte Mundorf.

Seine kleinen Augen wirkten tückisch und drückten deutlich Missfallen aus, Missfallen über die Situation – und den Besucher. Seine narbige, rote Nase zeugte von erheblichem Alkoholkonsum.

Vor langer Zeit muss er einmal ganz gut ausgesehen haben, aber die Zeit und die Umstände haben ihn zu diesem Wrack gemacht, dachte Bassler. Mitleid regte sich in ihm. Es ist schon manchmal tragisch, wie das Leben den Menschen mitunter mitspielt. Wenn der Mann seine Arbeit nicht verloren hätte …

Mundorf drückte gerade seine Zigarette so intensiv aus, als wolle er eine lästige Fliege für alle Zeit beseitigen und warf immer wieder sehnsuchtsvolle Blicke auf den stummen Fernseher.

Daneben seine schmale, ängstlich wirkende Frau. Sie machte auf Bassler einen devoten Eindruck, schien ständig gebückt herumzulaufen und sich für ihr Dasein zu entschuldigen.

Gemeinsam warteten sie auf Anne, die „sich noch schnell fertig machen wollte“.

Und dann erschien sie – und Bassler erkannte sie nicht wieder.

Er hatte extra zu Hause ein Konfirmationsbild von vor zwei Jahren zur Hand genommen und Anne Mundorf herausgesucht, ein lebensfrohes Mädchen mit langem, braunem Haar, blitzenden, schalkhaften Augen und einer für ein vierzehnjähriges Mädchen gut entwickelten Figur.

Und jetzt?

Herein kam ein blasses Etwas mit grauem Kopftuch, darunter trug sie eine wald-grüne, bis auf den Boden reichende Shirt-Tunica, die den Körper und seine Formen völlig verhüllte, aber doch den Grad ihrer Abmagerung ahnen ließ. Nur die Augen blitzten noch so lebhaft wie vorher, allerdings weniger schalkhaft, mehr aggressiv.

Bassler reichte ihr die Hand, aber der Gruß wurde nicht erwidert.

Anne setzte sich auf den letzten freien Sessel und brachte etwas wie ein verkrampftes Lächeln zustande.

„Sicher sind Sie hier, um mich wieder auf den richtigen Weg zu bringen, oder?“

„Anne, sei nicht frech!“, polterte Eduard Mundorf und verzog angewidert seinen Mund.

Bassler hob seine Hand.

„Nein, Anne. Ich bin hier, weil mich deine Eltern darum gebeten haben und ich mich auch um meine Konfirmanden nach der Konfirmation zu kümmern pflege. Es kann mir nicht egal sein, wie sich meine Schützlinge weiter entwickeln. Wie ich sehe, machst du gerade eine Entwicklung durch, eine Entwicklung, die deine Eltern betrübt und die auch mich nachdenklich macht. Vielleicht kann ich helfen, dir und deinen Eltern.“

„Schützling? Helfen? Ich brauche keine Hilfe, meine Eltern vielleicht, ich nicht. Ich habe meinen Weg gefunden.“

In diesem Augenblick kam ein kleiner Junge herein, in der Hand trug er ein Schulheft.

„Kann mir jemand bei den Rechenaufgaben helfen?“

„Guido, lass uns bitte allein und geh wieder spielen.“

Kaum hörbar hauchte die Mutter das, aber es genügte, den kleinen Burschen sofort wieder verschwinden zu lassen.

„Was meinst du, wenn du sagst, du hättest deinen Weg gefunden, Anne?“, wollte Bassler wissen. Sein Ton war betont freundlich.

„Den Weg, den Gott mir gezeigt hat. Der einzig wahre Gott, Allah, der Allmächtige!“

„Blödsinn“, fauchte Vater Mundorf, „das haben wir alles dieser kleinen Moslemschlampe Samira zu verdanken. Das war kein Umgang für dich! Hab ich dir tausend Mal gesagt.

Jetzt ist sie abgehauen und bringt Schande über ihre ganze Familie.“

Elke Mundorf versuchte, ihren Mann zu beruhigen und legte ihre Hand auf seinen kräftigen, behaarten Arm, aber der Mann war nicht mehr zu bremsen und schüttelte die Hand ab.

„Und glaub nur ja nicht, dass du uns das auch antun kannst. Eher stecke ich dich in die Fürsorge, als dass ich so was zulasse.“

Anne hatte keine Ahnung, was die Fürsorge war, ein Begriff aus dem vorigen Jahrhundert, und schwieg. Sie blickte ihren Vater nur an. Aus ihren Augen sprach bodenlose Verachtung.

Mundorf nahm einen kräftigen Schluck aus der Bierflasche, die vor ihm stand. Es war 15.00 Uhr, genau die richtige Zeit für das dritte Bier. Er rülpste und sein saurer Atem verteilte sich im Raum.

„Wir sollten die Angelegenheit etwas sachlicher angehen“, versuchte Pfarrer Bassler vermittelnd einzugreifen. „Wie kommt es, dass du auf einmal so denkst. Ich habe dich im Konfirmationsunterricht anders kennengelernt, ganz anders.“ „Mag sein“, antwortete Anne und zupfte ihr Kopftuch herunter. Kein Haar war mehr zu sehen.

„Manchmal ist es eben so, dass sich die Augen für das Wahre erst später öffnen. Ja, es stimmt, Samira hat mir dabei geholfen. Aber sie ist keine Schlampe, sondern sie hat ihre Erleuchtung schon erhalten. Und sie hat mir geholfen zu erkennen, dass alles, was ich bisher getan habe, nichtig und ohne Sinn ist, oberflächlich, eitel, sinnlos. Der wahre Grund, weshalb wir hier sind, besteht darin Gott zu dienen.“

„Dagegen ist absolut nichts zu sagen“, meinte Bassler und nippte an seinem Kaffee, der inzwischen so kalt geworden war wie die Atmosphäre im Wohnzimmer, „aber du hattest einmal einen anderen Gott, einen Gott der Liebe und des Verzeihens, dessen Sohn Jesus Christus auf die Welt … “

Er konnte den Satz nicht beenden.

Anne Mundorf war aufgesprungen und deutete mit ihren Fingern auf den Geistlichen.

„Lüge! Alles Lüge! Der wahre Gott heißt Allah und Mohammed ist sein Prophet. Jesus war bestenfalls ein kleiner Prophet und wurde von euch als heiliger Popanz aufgebaut. Und der Lohn der Ungläubigen ist das Höllenfeuer.“

Ihre Augen blitzten und Speichel spritzte aus ihrem Mund. „Woher hast du das“, fragte Bassler tonlos.

„Sure 71“, kam die kühle Antwort, „und Ungläubige wie ihr werden in Scharen zur Hölle getrieben, Sure 72.“

„Anne, du versündigst dich“, hauchte Elke Mundorf und schlug die Hände vor den Mund.

Schlimmer war die Reaktion des Vaters.

Er stand auf, holte aus und schlug der Tochter mit der flachen Hand zweimal ins Gesicht, so heftig, dass Anne taumelte und in den Sessel zurücksank. Ihre Lippen bluteten.

„Steck dir deine gottverdammten Suren in den Arsch“, brüllte er wutentbrannt, „dir werd’ ich es zeigen, du gotteslästerliche Schlampe!“

„So geht das nicht“, rief Bassler empört und sprang auch auf. Er fiel dem Vater in die Hand und vereitelte einen dritten Schlag.

Anne sprang auf und verließ wortlos den Raum.

Die Mutter heulte, der Vater ließ sich in den Sessel sinken und griff schwer atmend nach Bier und Nikotin.

Bassler hatte verstanden, dass jedes weitere Wort sinnlos war. In dieser vergifteten Atmosphäre war ein sachliches Gespräch unmöglich. Er nickte den Eheleuten kurz zu und verließ die ungastliche Stätte.

7. Kapitel
Köln/Deutz

Die Architektur ist die Fortsetzung der Natur in ihrer konstruktiven Tätigkeit. (Karl Friedrich Schinkel)

Es ist zwei Jahre her, dass die Kölner Stadtväter beschlossen, durch eine fünfhundert Meter lange Freitreppe am Rhein der rechtsrheinischen Seite der Stadt eine neue touristische Attraktion zukommen zu lassen, den so genannten Rheinboulevard. Die Stadt hat sich dieses Projekt gut zwanzig Millionen Euro kosten lassen, aber wie die Akzeptanz in der Bevölkerung zeigt, war das eine gute Investition, auch wenn es, zumal in den Abendstunden, dort auch schon mal zu Randale und Ausschreitungen kommt und mehr Polizisten als Touristen aufmarschieren.

Die rechtsrheinische Seite Kölns ist eigentlich die falsche Seite und wird von den Kölnern, jedenfalls denen, die auf der richtigen Seite wohnen, leicht despektierlich Schäl Sick genannt. Der mundartliche Begriff soll aus der Zeit stammen, in der die Schiffskähne rheinaufwärts noch von Pferden gezogen wurden. Die Pferde auf der linken Rheinseite wurden demnach aufgrund der Spiegelungen der Sonne auf dem Fluss geblendet und manche wurden sogar auf einem Auge blind. Als man das erkannte, wurde den Pferden fortan immer auf dem Auge, welches dem Rhein zugewandt war, eine Scheuklappe angelegt. Dadurch waren sie schäl, was im kölschen Dialekt in etwa „schlecht sehen“ bedeutet. Und so hatte die „Schäl Sick“ ihren Ruf weg.

Der frühere Oberbürgermeister Kölns und spätere erste Bundeskanzler der Bundesrepublik soll einmal, als er über die Brücke fuhr und sich dieser Rheinseite näherte, die Gardinen seines Abteils mit dem Kommentar „in Deutz beginnt der Bolschewismus“ zugezogen haben. Aber das ist lange her und vielleicht nicht mehr als eine der zahlreichen Anekdoten, die sich um diesen großen Mann ranken.

Aber zurück zum neuen Rheinboulevard.

Auf den breiten Stufen dieses Boulevards konnte man herrlich sitzen, die Sonne genießen und dem Treiben auf dem mächtigen Strom zusehen. Riesige Lastschiffe, die sich in beiden Richtungen gemächlich begegneten, Jetski-Fahrer, die wagehalsig zwischen den Schiffen rasten, gelegentlich Ruderboote, die auf dem Fluss trainierten. Machte Spaß, das alles zu beobachten.

Und genau das tat der Mann auch.

Das Wetter hatte sich endlich gebessert, die Regenwolken waren nach Osten abgezogen und die Sonne überschüttete die Stadt mit ihren wärmenden Strahlen. Die Menschen waren wieder herausgekommen, saßen auf den breiten Stufen und genossen die Sonne des frühen Nachmittags.

Der Mann auch.

Er war gut, aber unauffällig gekleidet, maß fast 190 Zentimeter und war von schlanker, aber kräftiger Figur. Ein Beobachter hätte kaum vermuten können, dass sein Körper über eine Vielzahl gut trainierter Muskeln verfügte, weshalb er die Kleidung gern etwas größer trug. Heute trug er eine leichte, weiße Sommerhose, ein blaues Polohemd und darüber ein leichtes, hellbraunes Leinensakko. Sein struppiges, mittelblondes Haar zeigte an den Schläfen ein erstes zartes Grau und war in der Stirnmitte schon reichlich ausgedünnt, gleichwohl warfen ihm Frauen interessierte Blicke zu, wenn er auf den Straßen unterwegs war. Daran änderte auch die kleine rötliche Narbe nichts, die sein Kinn prägte und als Andenken an seinen Einsatz in Peru zurückgeblieben war.

Im Auftrag der Agency hatte er dort über Wochen einen sehr gefährlichen Mann beobachtet, den Kopf eines Drogenhändlerrings, der den Markt in den USA mit seinen todbringenden Artikeln überschwemmte und dabei vor allem Kinder und Schüler im Auge hatte. Am Schluss hatte er ihn auftragsgemäß liquidiert und war dabei fast draufgegangen. Bei einem mörderischen Gefecht mit den Leibwächtern des Drogenbosses war er getroffen worden und nur knapp dem Schicksal mancher seiner Kollegen entgangen.

Dieser Mann hieß Peter Wills und war Agent First Grade der CIA.

Dank seiner außergewöhnlichen Sprachkenntnisse, zu denen neben Grundkenntnissen in Arabisch auch Deutsch und Spanisch gehörten, hatte er jetzt Einsätze im Irak, im Sudan, in Deutschland und in Peru hinter sich. Immer war er für den Tod von Menschen verantwortlich gewesen, aber das hatte ihm weder Gewissensbisse verursacht noch seinen Schlaf nachhaltig gestört.

Die Opfer – das waren alles Menschen gewesen, die es verdient hatten. Drogenhändler, Verräter, feindliche Agenten, Terroristen.

Sie waren die Bösen.

Und er war einer von den Guten – und das hatte ihm seine Tätigkeit erleichtert und einen guten Schlaf ermöglicht.

Als er sich nach fünfjähriger Tätigkeit bei der Polizei von New York bei der Agency beworben hatte, was er ohne die ausdrückliche Empfehlung seines Commissioners wohl nie getan hätte, war ihm bewusst, dass seine neue Tätigkeit gefährlich sein würde. Aber neue Herausforderungen reizten ihn und so hatte er ohne Probleme das Aufnahmeverfahren in Langley durchlaufen und war inzwischen Agent First Grade.

Allerdings hatte sein Familienleben darunter sehr gelitten, er hatte keins.

Einige Affären, ja, aber keine Frau, keine Kinder. Zwei ernsthaftere Beziehungen, die in die Brüche gegangen waren, alles zum Wohle des Landes, das ihm seine Gehaltsschecks ausstellte.

Jetzt flogen seine Blicke über den Rhein und streiften die Besucher, die neben ihm auf der Freitreppe saßen. Er scannte seine Umgebung und versuchte, jede Form von Gefahr rechtzeitig aufzunehmen, ein Verhalten, das ihm in den Jahren, die er im Dienst der Agency verbracht hatte, in Fleisch und Blut übergegangen war.

Gelegentlich nippte er an einer Flasche Bitter Lemon, seinem Lieblingsgetränk. In der Hand hielt er eine zusammengerollte Zeitung.

Seine Gedanken wanderten zurück zu seinem letzten Auftrag, der ihn vor einem halben Jahr in die Domstadt geführt hatte. Es galt, an ein historisches Dokument zu kommen, das für seine Regierung von großer Bedeutung war. Im Laufe dieser Aktion hatte er hier in Köln einen alten Nazi getötet, ohne dass ihm diese Tat Gewissensbisse eingetragen hätte. Die Aktionen gegen den katholischen Pfarrer, wie hieß er noch gleich, ja … Diefenstein, hatten ihm weniger gefallen. Der Mann war ihm sympathisch gewesen und trotzdem hatte er ihn unter Druck setzen müssen.

Aber schließlich handelte er in nationalem Interesse, da darf man nicht zimperlich sein und so konnte er seinen Auftrag hier erfolgreich beenden. Wie das mit dem jetzigen Auftrag aussah, war noch nicht so klar.

Aber – Fuck – sein Kollege war erschossen worden.

Auf der Domplatte!

Vor der herrlichen Kathedrale!

Gordon Rush! Ein liebenswerter Kollege aus Chicago, verheiratet, zwei Kinder und Anhänger der Chicago White Sox, einem sympathischen Loserteam.

Jünger als er und erst seit fünf Jahren bei der Agency. Vielleicht hatte ihm noch ein wenig die nötige Härte gefehlt, die in diesem Job unausweichlich war. Er zeigte gerne die Bilder seiner hübschen Frau und der beiden Kinder, was in diesen Kreisen eher unüblich war.

Und jetzt war er tot!

Wer hatte ihn erschossen und warum?

Ihre Ermittlungen gegen die Waffenhändler waren noch in einem so frühen Stadium, dass von daher noch keine Gefahr drohen konnte.

Oder doch?

Wills schüttelte ratlos den Kopf.

Man hatte ihm aus Langley Hilfe zugesagt. Morgen schon sollte die eintreffen und er war gespannt, wer zu seiner Verstärkung kommen würde. Auch wenn ihm grundsätzlich das Gefühl von Furcht fremd war, konnte man in dieser Situation Hilfe gebrauchen.

Wills griff in sein Sakko und holte eine Packung Camel Filter heraus. Eigentlich hatte er mit dem Rauchen aufgehört. Eigentlich! Aber der Stress, den sein Job mit sich brachte, hatte ihn wieder nach den Glimmstängeln greifen lassen, auch wenn er wusste, dass das seiner Kondition abträglich war. Egal! Immerhin hatte er keine Partnerin, die ihn deswegen mit schiefen Blicken oder dummen Bemerkungen nervte.

Er zündete die Zigarette an, inhalierte tief und genoss die beruhigende Wirkung des Nikotins, die sich langsam in seinem Körper verbreitete.

Kleine Wölkchen stiegen wie kleine Rauchsignale auf, während er die Leute, die um ihn herumsaßen, eindringlich musterte. Touristen aus Asien, die auf den Rhein und den gegenüber liegenden Dom wiesen und in ihrer Sprache lachten und plapperten.

Andere standen mit dem Rücken zum Dom, machten wie verrückt Selfies mit einem Stick, und amüsierten sich dabei königlich.

Ein Eisverkäufer mit Wagen, der seine überteuerten Bällchen an naive Touristen verscheuerte.

Rentner im grauen Einheitsdress, die behaglich in der Sonne saßen und ihre alten Glieder wärmten, zwei Rollatoren standen in der Nähe. Ein Liebespaar, das sich in inniger Verzückung abschleckte. Ein paar Mädchen, die wie Hühner gackerten und sich gegenseitig Sprachnachrichten schickten, obwohl sie nebeneinander saßen. Ein persönliches Gespräch galt offenbar als extrem uncool. Flaschensammler, die aufmerksam das Territorium nach Beute absuchten. Ein Student, der weltverloren auf seinen Laptop hämmerte und zwischendurch Blicke in den Himmel warf, als könne von da die notwendige Erleuchtung kommen.

Auch einige Flüchtlinge, offenbar Araber, hatten den Boulevard entdeckt. Sie flüsterten miteinander und beobachteten aufmerksam die fremde Szenerie. Ihre Blicke wanderten zu den Mädchen in den kurzen Röcken und drückten abwechselnd Begehren und Missfallen aus. Alles normal und völlig unauffällig.

Und doch!

Ein Mann fiel ihm auf.

So durchschnittlich und unauffällig, dass er auffallen musste. Er saß etwa zwanzig Meter weiter. Der Mann trug einen breiten Sommerhut, war von mittlerer Größe und untersetzter Figur. Sein beigefarbener Leinenanzug war ein wenig zu groß und schlotterte um die schlanke, sehnige Gestalt. Er schien sich für seine Umwelt nicht zu interessieren und blätterte versunken in einem Reiseführer. Aber Wills hatte sofort bemerkt, dass er unter seiner Jacke ein Schulterhalfter trug, und die Ausbuchtung zeigte, dass es nicht leer war.

Wills trank die Flasche aus und ließ sie für die Flaschensammler stehen. Er drückte den Glimmstängel aus und sah sich um. Aschenbecher gab es hier nicht, und trotzdem war alles sauber. Keine Zigarettenreste auf dem Boden. Das machte Eindruck auf ihn und er versenkte die Kippe in der Flasche.

Langsam stand er auf und schlenderte in die entgegengesetzte Richtung. In Sichtweite war ein großes Hotel, auf das er zustrebte. Plötzlich ließ er seine Zeitung fallen, bückte sich und drehte sich ruckartig rum. Der Mann war weg. Wills spürte die Gefahr, seine Nackenhaare sträubten sich. In schnellen Schritten eilte er zu dem Hotel, kam gerade an einem Metallcontainer vorbei, als er das Geräusch hörte.

Das Geräusch einer Pistole, die durchgeladen wurde.

Er ließ sich fallen.

Keine Sekunde zu früh.

Der Schuss traf den Container, die abprallende Kugel streifte seinen Arm. Wills griff blitzschnell nach der SIG Sauer Scorpion, die er im Halfter unter der Jacke trug.

Er blickte vorsichtig über den Container, fand den Schützen aber nicht. Stattdessen eine weitere Kugel, die seinen Kopf nur um Haaresbreite verfehlte.

Er duckte sich und gab blind zwei Schüsse in die Richtung ab, in der er den heimtückischen Schützen vermutete.

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