Kitabı oku: «Ein verhängnisvoller Wunsch», sayfa 2
„Mein Gott, es ist ja schon fünf!“, entfuhr es ihr aufgebracht. Sie hatte doch tatsächlich bis zum Nachmittag geschlafen.
Schnell zog sie sich an und lief zum Fenster, zog die Schalosie hoch, scheinbar die einzige, die sie herunterzulassen geschaffte hatte, und öffnete das Fenster. Es regnete etwas und es war viel zu warm für diese Jahreszeit.
Ohne zu wissen, warum, glitt ihr Blick suchend über die gegenüberliegende Häuserreihe. Gerade als ihr das bewusst wurde und sie sich umdrehen wollte, weil sie nicht so recht wusste, was sie eigentlich sucht, fiel ihr Blick auf die blaue Spitzenunterwäsche und ihr teures Kleid zu ihren Füßen. Erschrocken sah sie wieder zu der Häuserreihe hinüber und ihr Blick blieb an einem bestimmten Fenster hängen.
Es war also kein Traum gewesen. Sie hatte das tatsächlich getan.
Schnell drehte sie sich vom Fenster weg und drückte sich an die Wand. Von der schnellen Bewegung wurde ihr schwindelig und sie fasste sich an den Kopf, um das Rotieren in ihren Schläfen zu besänftigen. Dabei versuchte sie sich zu beruhigen.
Das konnte doch nicht wahr sein! Das konnte sie doch unmöglich getan haben! Bitte, lass es nur ein Traum gewesen sein.
Sie bückte sich und lief in dieser Haltung unter dem Fenster her. Erst am anderen Ende stellte sie sich wieder hin und lugte noch einmal, durch die an dieser Seite des Fensters herabfallende Gardine, zu dem gegenüberliegenden Haus hinüber. Dort war aber niemand zu sehen.
Mein Gott, wie peinlich! Wer sie wohl letzte Nacht alles gesehen hatte?
Jedem Nachbarn aus der Straße wird sie ab jetzt nur noch mit Schamröte im Gesicht begegnen können, und die Frauen halten sie bestimmt für ein Flittchen. Wenn sich das herumspricht!
Sie sah sich niedergeschlagen um, einen Augenblick von dem Gefühl überwältigt, aus dieser schönen Wohnung unter diesen Umständen ausziehen zu müssen.
Dann dieser Kerl, von dem sie genau weiß, dass er sie beobachtet hatte. Hoffentlich sah er das nicht als Einladung an, um sich vor ihrer Tür einzufinden.
Sie sah sich schon einem alten Kerl mit Hosenträgern über dem Unterhemd und abgetragener Jogginghose gegenüber, der sie mit lüsternem Blick aus einer versoffenen Trinkervisage angrinste.
Jetzt wurde Isabel wieder bewusst, warum sie immer auf ihr Gewissen hören sollte. Es schützte sie vor so unliebsamen Erkenntnissen am nächsten Tag.
Unglücklich und niedergeschlagen schlurfte sie in die Küche und schüttete sich einen Kaffee ein. Im selben Moment klingelte es an der Tür.
Erschrocken über die noch eben in ihrem Kopf rotierenden schrecklichen Gedanken ging sie beunruhigt in den winzigen Flur. Sie sah durch den Türspäher und fand das kleine, kahle Treppenhaus leer. Es hatte also unten an der Haustür geschellt.
Sie drückte den Türöffner und öffnete beunruhigt die Wohnungstür. Wenn sie durch das Treppenhaus nach unten spähte, konnte sie vielleicht erkennen, wer da kam und die Gelegenheit nutzen, um die Tür wieder zuzuschmeißen und zu verriegeln.
Noch bevor sie die Tür ganz geöffnet hatte, prangte ihr ein Strauß roter Rosen von ihrer Fußmatte entgegen, und das Treppenhaus war von einem angenehmen Duft durchdrungen. Langsam nahm sie ihn hoch und sah sich nochmals um. Aber da war niemand.
Schnell ging sie in die Wohnung zurück und suchte in dem Strauß nach einer Karte.
„So schöne Rosen! Sind die wohl von Hardy? Will er sein schlechtes Gewissen damit beruhigen?“, fragte sie sich dabei und wollte ihm schon wieder alles verzeihen.
Sie fand nur eine nicht unterschriebene Karte von einer Blumenhandlung, mit einem Spruch. „Zwölf neue Monate, zwölf Mal Glück, Freude und Gesundheit“, und stellte die Rosen in eine Vase auf den Tisch. Es waren zwölf Stück. Wunderschön anzusehen. Ein netter Neujahrsgruß.
Eigentlich sollte sie sie sofort in den Müll werfen. Schließlich hatte Hardy sie tief verletzt und sie brauchte keinen Neujahrsgruß von ihm, der ihr wenig persönlich vorkam. Hätte er wenigstens eine Karte mit heißen Liebesschwüren drangemacht und sie darin angefleht, ihr zu verzeihen, dann hätte sie ihren Ärger herunterschlucken können. Aber er hatte nichts dergleichen getan.
Er ist verheiratet und hatte nie vor, dich mehr in sein Leben zu lassen. Er wollte nur ein wenig Spaß. Mehr nicht.
Die Rosen waren trotzdem zum Wegwerfen zu schade. Aber Isabel schwor sich, dass Hardy bei ihr nicht mehr antanzen musste. Die Feiertage waren vorbei. Nun kehrte wieder der Alltag ein und sie brauchte keinen Tröster mehr. Sie hatte diese schreckliche Zeit der trostlosen Einsamkeit, in der sie glaubte, das einzige, einsame Wesen auf der weiten Welt zu sein, überstanden. Auch ohne Hardy oder Charly oder Martin oder Jürgen … oder oder oder. Sie hatte es geschafft und konnte sich nun endlich wieder in die Arbeit stürzen. Sie brauchte niemanden mehr. Konnte sie nicht richtig stolz auf sich sein?
Nein, konnte sie nicht. Immer noch nagte die Einsamkeit an ihren Knochen und wie schon so oft las sie erneut in der alten Tageszeitung vom Vortag die Kontaktanzeigen durch.
Das ist alles erstunken und erlogen. Oder glaubst du wirklich, dass es irgendjemanden gibt, der lieb, nett und gutaussehend ist und trotzdem solo? Dass sind bestimmt alles Verbrecher, Schläger oder Mittellose, die eine reiche Frau suchen.
Jaja!
Ärgerlich knüllte Isabel die Zeitung zusammen und warf sie mit einem gekonnten Treffer in den Papierkorb.
Sie trank ihren Kaffee aus und knabberte an dem trockenen Zwieback, der ihr als erste Mahlzeit nach so einer Nacht als das Richtige erschien.
Doch ihr Magen bäumte sich dennoch auf und Isabel sprang vom Stuhl auf, rannte zur Toilette und übergab sich.
Der Kaffee, vermischt mit Magensäure und Bröckchen vom Zwieback, hinterließ ein Brennen im Hals. Erschöpft und elend setzte Isabel sich neben die Kloschüssel und lehnte ihren Kopf in ihre Hände.
Verdammt, wieso hatte sie nur so viel getrunken? Warum hatte Hardy ihr den Abend versaut … und wieso konnte er nicht wenigstens seine Blumen persönlich überbringen und sie dann tröstend in die Arme schließen?
Bist du verrückt? Der Kerl soll bloß bleiben, wo der Pfeffer wächst. Wie alle Kerle! Ich weise dich nicht gerne darauf hin, aber One-Night-Stands sind wirklich besser, wenn man in deiner Situation ist.
Was für eine Situation? Ihr wollte nicht richtig aufgehen, was diesen Gedanken ausgelöst hatte.
Isabel stemmte sich hoch und schlurfte in ihr Schlafzimmer zurück. Ohne sich dessen bewusst zu sein, fand sie sich plötzlich vor ihrem Fenster wieder und suchte erneut die Fenster im gegenüberliegenden Haus nach einer menschlichen Regung ab. Doch sie sah nicht nur in der Wohnung gegenüber niemanden, sondern in allen Wohnungen schienen die Menschen ausgeflogen zu sein.
Ihr Blick fiel auf die Straße, auf der im Nieselregen ein paar Kinder in den Überresten der Raketen wühlten, um sich noch etwas Brauchbares herauszupicken.
Isabel schlurfte zu ihrem Bett und setzte sich auf die Bettkante. Ihr Blick fiel auf den großen Spiegel. Ihre langen braunen Haare wirkten erschreckend kraftlos, ihre blauen Augen trüb und ihre schmalen, blassen Wangen regelrecht eingefallen. Selbst ihre vollen Lippen schienen heute die Mundwinkel nicht am freien Fall hindern zu können.
„Es ist keiner für dich da. Niemand!“, sagte sie leise zu ihrem Spiegelbild und ließ sich rücklings auf das Bett fallen. Langsam und mühevoll zog sie die Decke unter sich hervor und deckte sich zu. „Niemand!“
Sie musste noch etwas schlafen. Morgen sah dann hoffentlich alles besser aus. Dann konnte sie endlich wieder arbeiten gehen und gleichzeitig ein neues Jahr einläuten. Dann hatte sie drei Tage, bevor erneut ein Wochenende ihren Alltag zerstückelte.
Ach, was hasste sie die Wochenenden, Feiertage und Urlaube. Alles Tage der Einsamkeit, des Nichtstuns und des Unnütz seins. Wieso musste ausgerechnet nach diesem Silvester eine angebrochene Woche folgen? Sie hätte gerne 30 Tage am Stück draufgesetzt. Warum wurde sie nur so hart bestraft?
Isabel drehte sich um und schloss die Augen. Bloß nicht mehr daran denken.
Ihr musste etwas Nettes einfallen. Dann könnte sie bestimmt einschlafen.
Isabel wühlte in ihrem Gedächtnis. Sie sah sich am Schreibtisch in dem großen Büro sitzen, der erhellt von gleißendem Sonnenschein warm und gemütlich ihr Herz erwärmte. Die Tür ging auf und ihre Chefin kam herein. „Hallo Isabel! Ich hoffe du hattest erholsame Feiertage. Wir müssen aber noch unbedingt über die Sache sprechen, die dir da letzte Woche so dumm widerfahren ist.“
Isabel warf sich im Bett herum. Nein, bloß nicht daran denken.
Etwas anderes musste her. Es musste doch etwas Nettes zu denken geben!
Isabel sah sich vor dem Fenster stehen und nach draußen in die tiefe Nacht sehen. Plötzlich sah sie jemanden am gegenüberliegenden Fenster und sie fing an, sich auszuziehen …
„Nein!“ Isabel setzte sich auf. Das ist ja nicht auszuhalten. An ihren Auftritt vor dem perversen Lustmolch will sie nie wieder denken.
Sie stand auf und schlich mit ihrer Decke unter dem Arm ins Wohnzimmer. Dort ließ sie sich auf das Sofa fallen und drückte an der Fernbedienung den Fernseher an. Hier wollte sie sich einlullen lassen, bis sie einschlief. Das schien ihr die einzige Medizin gegen hemmungslos plagende Gedanken zu sein, auch wenn das hieß, die Nacht auf dem Sofa zu verbringen. Sie würde sie schon irgendwie überstehen und Morgen begann ein neuer Tag, ein neues Jahr und ein neues Leben. Sie musste sich nur überlegen, wie sie es ausfüllte.
Ihr fiel der Gedanke mit den One-Night-Stands ein, die ihre Situation bereinigen könnten. Und jetzt wurde ihr auch klar, was „die Situation“ ist, die sie damit bereinigen könnte. Sie hatte in den letzten Jahren immer wieder daran gedacht. Was wäre, wenn sie von so einem One-Night-Stand schwanger wurde? Ein Kind nur für sich.
Sie hatte sich das manchmal gewünscht, wenn der Typ nicht ganz so ein arrogantes Arschloch war und die Nacht nicht ganz so ätzend. Aber meistens gingen die One-Night-Stands erschreckend unbefriedigend aus. Irgendwie musste Isabel feststellen, dass sie so schnelle Nummern nicht mochte und ein Minimum an Gefühl für den Menschen, der einem die Klamotten vom Leib riss, schon vorhanden sein sollte. Aber sie hatte dennoch einige Male, wenn der Zeitpunkt passend war, genommen, was sich anbot. Dummerweise sind die Männer von heute nicht mehr so gutgläubig. Sie nehmen Kondome, auch wenn sie ihnen schwor, dass sie nicht nur regelmäßig ihre Pille nahm, sondern ihre Gebärmutter auch noch eine Mütze trug und sie gesundheitlich ein Unbedenklichkeitszertifikat aufweisen konnte. Sie hatte sogar schon mehrmals eine Allergie gegen Kondome ins Feld geführt, was aber keinen der Herren interessiert hatte.
Isabel versuchte weiter einzuschlafen und die Gedanken zu verdrängen. Aber sie konnte erneut den Erinnerungen über die vielen Desaster in ihrem Leben nicht entfliehen. Sie hatte nie Glück. Weder mit ihren Beziehungen noch mit den One-Night-Stands noch mit sonst etwas.
Während sie die Erinnerungen an ihre Verflossenen an sich vorbeiziehen ließ, wurde ihr klar, dass die letzten eigentlich nur noch einen Zweck erfüllen sollten. Und das erschreckte sie ein wenig. Sie hatte sich das noch nie eingestanden. Aber in den letzten Jahren verhütete sie nicht mehr und versuchte fast schon krampfhaft einen Mann dazu zu bringen, zum richtigen Zeitpunkt ohne Kondom mit ihr zu schlafen. Aber sie war nicht mehr ausnahmslos jung und schön und die Männer wirklich vorsichtig. Vielleicht war ihnen klar, dass sie eine von den Gebärfreudigen mit letzter Chance war.
Isabel warf sich auf dem kleinen Sofa erneut auf die andere Seite. Sie musste den Gedanken an ein Kind wirklich begraben oder sich künstlich befruchten lassen.
Oh mein Gott! stöhnte ihr Gewissen entsetzt auf. Auch dazu brauchst du einen Mann. Dann schaff dir doch besser ein Haustier an. Dafür brauchst du nichts weiter als dich selbst. Für dich ist der Zug echt abgefahren.
Isabel liefen Tränen auf ihr Sofakissen. Aber wenn sie in Selbstmitleid versank und herumheulte, dann ließ ihr Gewissen sie wenigstens in Ruhe, und auch die bösen Gedankenattacken. So kann sie vielleicht doch endlich einschlafen. Sie wollte doch nichts weiter als ein wenig Ruhe. Morgen begann ein neuer Tag in einem neuen Jahr. Ab Morgen würde dann alles anders werden.
Am nächsten Tag parkte Isabel ihren weißen Beetle auf dem großen Parkplatz vor dem imposanten Gebäude der Möbel Altwerna Werke. Sie arbeitete seit neun Jahren dort und würde ihre rechte Hand für diesen Betrieb geben.
Schon an der Tür wurde sie mit freundlichen Neujahrsgrüßen empfangen und erwiderte sie fröhlich. Sie hatte sich fest vorgenommen, dieses Jahr zu ihrem Jahr zu machen. Es reichte, dass sie den ganzen Neujahrstag in Selbstmitleid zerfließend und mit ihrem Schicksal hadernd vor sich hin sinniert hatte, bis sie endlich auf dem Sofa eingeschlafen war.
Als sie am Morgen erwacht war, hatte sie die Sinnlosigkeit ihres sich selbst zerfleischenden Selbstmitleids erkannt und sich überlegt, dass es so mit ihr nicht mehr weitergehen konnte. So hatte sie beim Frühstück beschlossen, ihrem Leben eine neue Wendung zu geben und sich nicht mehr so runterziehen zu lassen. Sie hatte schließlich einen tollen Job, verdiente gut, hatte eine schöne Wohnung und war gesund. Das wollte sie sich vor Augen halten und nichts anderes.
Außerdem beschloss sie, dass sie sich nicht mehr von ihrer biologischen Uhr und ihrer Familie bedrängen lassen durfte.
Als ihre Schwester Karin ihr erstes Kind bekam und ihr langsam bewusstwurde, dass sie selbst bald eine alte Schachtel war, begann sie mit Männern zu schlafen, um schwanger zu werden. Und dann, nach ihrem vierunddreißigsten Geburtstag, als ihr plötzlich nach einer Liebesnacht mit einem gutaussehenden jungen Mann auffiel, dass er nicht im geringsten Anstalt machte, sich ihr für weitere Treffen aufzudrängen, wurde ihr bewusst, dass sie ihre besten Jahre hinter sich hatte und es nicht leichter für sie wurde. Er hatte vor dem Sex ein ganzes Arsenal Kondome ausgepackt und sie war sich nicht sicher, ob er nicht sogar drei übereinander stülpte, weil es ewig dauerte, bis er endlich bereit war. Der Sex war zwar prickelnd gewesen, weil er göttlich gebaut war und so süß mit Grübchen lächelte, aber auch erschreckend kurz und nichts, um auch nur in die Nähe eines Orgasmus zu kommen. Danach war er aufgestanden, hatte noch einmal höflich gelächelt und war gegangen. Kein: „Können wir uns noch einmal treffen?“ Kein: „Ich glaube, ich habe mich in dich verliebt! Wollen wir zusammenbleiben?“ Gar nichts!
Nicht, dass sie darauf eingegangen wäre. Gott bewahre! Aber so gar keine Möglichkeit zu haben, dem Mann der letzten Nacht noch einen Tritt in den Allerwertesten zu geben, nachdem man gnädig lächelnd über seinen Anflug von romantischen Liebesbeteuerungen hinweggesehen hatte, war nicht leicht zu verkraften. Und einzusehen, dass er nicht der Vater des Wunschkindes werden würde, war bedrückend, aber erst noch kein Drama. Aber diese Fälle häuften sich und sie war bald so weit, von sich aus die Männer zu fragen, ob es vielleicht eine Zukunft geben könnte, nur um sie noch öfters ins Bett zu kriegen. Schleichend und fast unbemerkt war aus ihr das weinerliche, einsame Mäuschen geworden, das sich aufdrängte und die Männer um mehr anbettelte, nur um ihre biologische Uhr zu übertölpeln und der Einsamkeit ein Schnippchen zu schlagen. Aber die Männer waren nie um Ausreden verlegen.
Das war der Punkt, an dem sie wusste, dass alles zu spät war und sie es nur noch mit größter Mühe schaffen konnte, einen Mann für sich zu gewinnen, der zur rechten Zeit seinen Freund am rechten Ort platzierte. Von einem Mann für eine gemeinsamen Zukunft ganz zu schweigen. Mit reiner Überredungskunst war da nicht mehr viel zu gewinnen.
Gut, es gab Anwärter, die wollten sie und waren bestimmt zu allem bereit. Aber was sollte sie mit dem kahlen Nerd aus der Entwicklungsabteilung, der mit seinem Computerprogramm umgehen konnte, aber ansonsten offensichtlich weit entfernt von jeglicher Realität war. Isabels Gewissen mahnte beständig, dass der Vater ihres Kindes unbedingt ein Minimum an Intelligenz, Charakter und Schönheit mitbringen und vor allem Gefühle bei ihr auslösen sollte, um etwas zu haben, an dass man sich gerne erinnerte. Das war ihr wichtig. Sie wollte das Kind ansehen und sich daran erinnern, was sie mit dessen Vater verbunden hatte. In dem Punkt kam zumindest Isabels romantische Ader durch, die sich den Traumprinzen aber schon abgeschminkt hatte. Genauso wie den Traum von dem schönen, unglaublich süßen und lieben Kurztrip ins Glück, der wissentlich mit ihr ein Kind zeugte, weil er sie für die unglaublichste Frau in seinem Leben hielt und wert genug, um seine wertvollen Gene weiterzuverbreiten.
Aber vielleicht wollte ihr Körper kein Kind mit einem Unbekannten, der keine Gefühle in ihr auslöste. Vielleicht waren Gefühle der Erfolgsgarant für eine Schwangerschaft. Irgendwelche Gefühle. Es mussten schließlich nicht alles niederringende, große, romantische Gefühle sein. Sie wäre schon froh, wenigstens etwas zu fühlen. Aber auch das fiel ihr immer schwerer. Wahrscheinlich steuerten ihre Hormone allmählich schon die Talfahrt an und begannen den Wunsch nach zwischenmenschlichen Freuden zu reduzieren.
Das war ein erschreckender Gedanke, den Isabel lieber verdrängte. So versuchte sie sich auf das zu konzentrieren, was sie hatte: ihren Job. Und sie musste sich zusammenreißen und den wieder meistern, wie sie es all die Jahre gemacht hatte.
Leider war ihr dahingehend in den letzten Monaten etwas der Elan abhandengekommen. Sie hatte dummerweise einige Böcke geschossen, die sie nur durch die Gutmütigkeit ihrer Chefin überstanden hatte. Aber die wusste noch nicht den neusten Clou ihrer einst besten Mitarbeiterin, die sich auf den Bereichsleiter der Logistikabteilung namens Hardy Meiners eingelassen hatte. Cornelia wird ihr bestimmt nicht gerade hoch anrechnen, dass die sich mit einem verheirateten Mitarbeiter der Firma eingelassen hatte. Ihre Chefin mochte so etwas gar nicht.
Niemals, in all den vergangenen Jahren, hatte Isabel damit gerechnet, dass sie dermaßen in eine Kurzschlusspanik verfallen könnte und sich damit sogar geschäftsschädigend verhalten würde. Und Hardy und ihre missratene Beziehung mit ihm waren der Höhepunkt einer langen Reihe dummer Fehlentscheidungen.
Aber jetzt hatte sie beschlossen, das neue Jahr zu ihrem werden zu lassen. Mit dem Beginn des neuen Jahres, und ihren Vorsätzen, sah sie sich in der Lage, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Wer brauchte schon eine nervende Beziehung und eine Familie mit quengeligen Kindern, wo man doch einen tollen Job hatte, der einen hoffentlich genug stresste, um jeglichen Anfall von Trübsal blasen im Kein zu ersticken.
„Hallo, ja, Ihnen auch ein schönes, neues Jahr. Klar habe ich schön reingefeiert“, verkündete Isabel einige Male, bevor sie den Fahrstuhl erreichte. Dabei warf sie ihre langen, braunen Haare nach hinten und ging erhobenen Hauptes durch das riesige Gebäude.
Sie fuhr mit dem Lift nach oben und betrat das obere Stockwerk. Hier war zum größten Teil die Chefetage, und Isabel steuerte das große, helle Büro an. Ihr riesiger Schreibtisch mit Blick auf den kleinen See, der auch zu dem Grundstück gehörte, erwartete sie, und ihre neue Aussicht auf einen arbeitsreichen Beginn des neuen Jahres. Doch noch bevor sie ihren Schreibtisch erreichte, schwang die Tür hinter ihr auf und ihre Chefin trat ein.
„Guten Morgen und ein schönes neues Jahr wünsche ich dir!“, rief sie freudestrahlend und gutgelaunt.
Isabel legte ihre Tasche an die Seite und ließ sich von der blonden, schlanken Frau umarmen.
„Das wünsche ich dir auch, Cornelia.“
„Dann wollen wir das neue Jahr mal anlaufen lassen. Ich hoffe, es wird so erfolgreich wie das vergangene.“ Lächelnd lief sie zu einer weiteren Tür, die fast an Isabels Schreibtisch angrenzte. Sie stieß sie auf und verschwand dahinter, als im gleichen Moment auch schon das Telefon auf Isabels Schreibtisch läutete. Isabel hörte Cornelia noch rufen: „Ich bin noch nicht im Haus!“, bevor ihre Tür zuschlug und die andere Tür vom Flur her sich öffnete.
Isabel griff über ihren Schreibtisch hinweg zum Hörer und meldete sich. Während sie dem Anrufer lauschte, schaltete sie den Computer an.
„Nein, tut mir leid. Frau Albers ist noch nicht im Haus. Aber wenn sie Sie zurückrufen soll, dann werde ich ihr das ausrichten. Sie können mir aber auch sagen, worum es sich handelt.“
Isabel spürte heißen Atem an ihrer Schulter und sah auf.
Hardy stand lächelnd hinter ihr.
Sie sah ihn fassungslos an. Es war das erste Mal, dass er sich von seinem entfernten Stützpunkt in die Chefetage verirrte. Dabei versuchte sie zu erfassen, was der Telefonteilnehmer am anderen Ende ihr mitteilte.
„Hm, das ist in der Tat etwas seltsam. Ich werde das gleich überprüfen und Frau Albers ausrichten. Sie wird sie dann verlässlich zurückrufen. Und ich werde Ihnen die nötigen Unterlagen zusenden“, versuchte sie den Kunden zu beruhigen und fühlte sich schon am ersten Tag des neuen Jahres überfordert. Sie warf Hardy einen düsteren Blick zu und sah zu dem freien Schreibtisch hinüber, der noch auf seinen Einsatz wartete, und zu Cornelias Tür, die gottseidank verschlossen war.
„Das tut mir wirklich leid. Ich werde sehen, was da schiefgelaufen ist und wir melden uns dann bei Ihnen so schnell es geht. Auf Wiederhören!“
Isabel warf den Hörer auf das Telefon und fauchte Hardy an: „Was willst du hier? Dass du dich noch unter meine Augen traust!“
„Aber Mäuschen! Es tut mir schrecklich leid wegen Silvester. Ich wollte gerade zu dir, als meine Eltern überraschend vorbeikamen. Ich konnte ihnen doch nicht sagen, dass ich noch auf Silvester ausfahre, während meine Frau mit den Kindern Zuhause bleibt. Versteh doch! Meine Eltern sind in solchen Dingen echt spießig. Bitte verzeih mir. Ich mache alles wieder gut.“
Isabel war einen kurzen Moment versucht, ihm wirklich zu verzeihen. Doch dann hörte sie wieder das Gelächter und die laute Musik, die sie gehört hatte, als sie fast schon früh am Morgen bei ihm angerufen hatte. Sie glaubte ihm kein Wort.
„Verschwinde! Ich möchte nicht mehr, dass wir uns treffen. Hast du verstanden?“ Sie wollte ihrer Stimme etwas mehr Nachdruck und einen bösen Unterton verleihen, aber sein verletzter Gesichtsausdruck ließ ihre Stimme nur traurig und niedergeschlagen klingen. So setzte er auch gleich an, es noch einmal zu versuchen. Doch Isabel winkte ab: „Vergiss es. Es ist mir wirklich ernst. Ich brauche keinen von euch Trotteln. Ihr seid es doch alle nicht wert, sich mit euch einzulassen.“
Puh, das klang gar nicht nett. War sie in der letzten Nacht etwa zu einer emanzipierten Frau herangereift, die wirklich meinte, was sie sagt?
Irgend so ein hirnloses Männchen in ihrem Inneren schrie: „Vergib ihm! Sonst bist du wieder völlig allein und deine vielleicht letzte Chance ist vertan.“
Nur mit Mühe konnte sie diese Stimme überhören. Die Sache mit der starken Frau gefiel ihr.
Geschlagen drehte Hardy sich um und ging langsam zur Tür. Bevor er sie hinter sich zuschlagen ließ, drehte er sich noch einmal um. Sein Blick war herzerweichend.
„Trotzdem Danke für die schönen Rosen. Aber es ist besser so“, rief sie ihm hinterher und setzte sich an den Schreibtisch.
Über sein Gesicht schob sich einen kurzen Moment lang ein überraschter Ausdruck. „Welche Rosen?“ Doch als Isabel schnell abwinkte, ging er.
Also waren die Rosen nicht von ihm.
Wieder wurde die Tür aufgerissen und Tanja kam im Eilschritt herein. „Hallo. Ein frohes Neues wünsche ich dir! Ich hatte doch glatt einen Platten … und das im neuen Jahr. Das fängt ja gut an.“
Sie hing ihre Jacke auf und setzte sich an den Schreibtisch, um den Computer hochzufahren.
„Was wollte dieser Kerl denn hier drinnen?“ Sie wies mit dem Kinn auf die Tür, hinter der Hardy kurz vorher verschwunden war. „Du hast doch nichts mit dem, oder?“
Isabel schüttelte den Kopf und erwiderte aufgebracht: „Wie kommst du denn darauf? Der ist doch verheiratet!“
„Ich meine nur. Was ich von dem schon alles gehört habe. Naja, ist auch egal. Ist die Chefin schon drinnen?“
„Ja, aber wir sollen noch keine Gespräche durchstellen. Aber … was … was hast du denn von dem gehört?“ Isabels Hand wedelte in Richtung Tür, hinter der Hardy verschwunden war, als wäre das eigentlich gar nicht von Belang. Aber ihr Herz begann unruhig zu schlagen.
Tanja sah noch einmal prüfend in einen Spiegel, den sie in ihrer untersten Schreibtischschublade immer bereitliegen hatte, und strich sich das kurze, blonde Haar zurecht. Dann sah sie ihre Tischnachbarin an. Sie machte eine wegwerfende Handbewegung und packte den Spiegel zu den anderen Schminkutensilien. „Ach, das ist so ein Weiberheld. Trotz Frau und Kinder. Der kriegt jede! Das behauptet er zumindest, der Spinner. Der ist sowas von eingebildet, hält sich für den Größten und Schönsten und ist dabei ein völliges Arschloch. Und er macht einen beschissenen Job, habe ich gehört. Wenn er Pech hat, ist er bald seinen Posten als Logistikleiter los, weil er ständig irgendeinen Scheiß fabriziert.“
„Ach so“, schaffte Isabel nur zu erwidern und starrte auf die vielen Zahlen und Adressen, die der Computer ausspuckte, ohne wirklich etwas zu sehen. Sie wusste nur zu gut, wie es um seinen Einsatz für die Firma stand. Sie selbst hatte den einen oder anderen Fehler von ihm in den letzten vier Wochen ausgebügelt. Aber damit war jetzt Schluss. Und wenn er auch nur einem verriet, dass sie sich von ihm erweichen lassen hatte, dann wird sie sogar selbst dafür sorgen, dass er nicht mehr länger in dieser Firma tätig ist.
Sie sah in Tanjas blaue Augen, die sie herausfordernd musterten, als sie nichts weiter dazu sagte. Wahrscheinlich wusste sie sowieso schon Bescheid. Wahrscheinlich wussten alle Bescheid!
Am liebsten würde Isabel sich verkriechen. Warum machte sie sich in den letzten Jahren nur immer wieder zum Gespött der Menschen? Was war nur los? Konnte sie denn wirklich nicht mehr Gut von Böse unterscheiden? War sie nicht mehr in der Lage, vernünftig zu denken? Nah, das wird sich jetzt ein für alle Male ändern.
Eine blecherne Stimme meldete sich. „Isabel, es können jetzt Gespräche durchgestellte werden. Gab es heute Morgen schon etwas Wichtiges?“
„Ja, ein Herr Sachser von der Firma Mellcopp fragte nach, warum die letzte Lieferung ausgeblieben ist und wieso noch kein Katalog für dieses Jahr zugesandt wurde. Ich habe ihn erst einmal vertröstet und suche jetzt die Unterlagen heraus. Ich bringe sie dir dann rein.“
Cornelia bedankte sich nachdenklich und die Verbindung wurde beendet.
„Weißt du etwas darüber, dass die Firma Mellcopp die letzte Lieferung nicht bekommen hat und warum an die Firma keine neuen Kataloge geschickt wurden? Die haben wir doch schon Anfang Dezember verteilt. Da muss etwas schiefgelaufen sein.“ Isabel sah Tanja fragend an, die aber nur unwissend die Schultern hochzog.
Ein ungutes Gefühl beschlich sie. Hatte sie die Sache vielleicht verbockt?
„Mellcopp, Mellcopp …“ Ihr wollte nichts so recht zu dem Namen einfallen. Doch sie war sich darüber im Klaren, dass es durchaus möglich sein konnte, dass sie die Firma irgendwie aus dem Computer gekickt hatte. Auch jetzt fand sie nichts in ihren Listen und sie ging zu dem großen Aktenschrank, um in den alten Karteikarten nachzusehen.
„Tatsächlich. Da ist sie!“ Isabel wurde blas. Das war eine Firma aus ihrem Ressort. Sie ging mit der Karte in der Hand zu ihrem Schreibtisch zurück und gab die Daten neu ein. Der Computer zeigte ihr an, dass diese Firma in einer anderen Rubrik abgespeichert war. Isabel sah nach und fand sie bei den Importeuren wieder.
Das konnte doch nicht sein! In welchem seltsamen Wahn hatte sie denn das verbockt?
„Hast du etwas gefunden?“, fragte Tanja, während sie ihre Finger über die Tastatur jagte, um die Inventur für das vergangene Jahr abzuschließen. Sie musste das bis zehn Uhr dem Chef vorlegen.
Es war Isabel etwas peinlich. Sie war seit fast zehn Jahren hier und solche Fehler durften ihr eigentlich nicht passieren. Dazu kam, dass sie in den letzten Monaten öfters falsche Eingaben gemacht hatte. Das hatte zum Teil verheerende Auswirkungen gehabt. Dazu kamen noch andere Patzer.
„Ich glaube schon. Ich meine, ich weiß es. Es ist wohl mein Fehler. Ich habe das verbockt.“ Isabel seufzte betroffen und fing sich einen beunruhigten Blick von Tanja ein. Sie wusste, dass Isabel im letzten Jahr einige Fehler gemacht hatte, die nicht alle im Verborgenen gehalten werden konnten.
Das kommt nur wegen der Männer. Du läufst schon seit Monaten mit einem Brett vor dem Kopf durch die Welt und hast wirklich lange gebraucht, endlich etwas zu begreifen.
„Jaja!“
„Was sagst du?“, rief Tanja mit einem seltsamen Blick.
„Ach nichts!“ Isabel winkte schnell ab.
Das Telefon läutete und sie nahm den Hörer in die Hand, der tonnenschwer war, und meldete sich. Nach einem kurzen Gespräch stellte sie zu ihrer Chefin durch.
Für sie stand fest, dass sie Cornelia noch am selben Vormittag ihren Patzer beichten musste. Sie schluckte schwer. Diese Fehler kamen in letzter Zeit einfach zu häufig vor. Sie wusste schon, was dann kommen wird …
„Ich glaube, du hast ganz dringend einen längeren Urlaub nötig. Seit vier Jahren lässt du dir das meiste davon ausbezahlen, ohne wirklich mal länger auszuspannen. Das kann doch nicht gut gehen. Sieh das doch mal ein!“
Isabel hasste das Wort Urlaub. Das hieß morgens aufstehen, nichts mit seinem Tag anfangen zu können, herumzulungern, traurig, überflüssig und nutzlos zu sein.
Sie brauchte diese Firma. Sie brauchte die Menschen hier und die Arbeit. Zuhause war sie nur einsam. Sie hasste diese Einsamkeit, diesen Frust. Es reichte ihr schon, dass sie am Samstagnachmittag oft früh nach Hause gehen konnte und sonntags frei hatte. Sie traf sich dann zwar mal mit Freunden oder ging abends zu einer Geburtstagsparty. Aber ihr Bekanntenkreis bestand immer mehr aus Ehepaaren, die zum Teil schon Kinder hatten, Pärchen, die schon ewig zusammen waren oder den wenigen Singles, bei denen sich das, wie bei ihr, nie ändern wird. Manchmal beneidete sie diese verheirateten, verlobten, verliebten. Doch wie oft wurde sie schon Zeuge von Tragödien. Es hatte schon bitterböse Scheidungen gegeben und Zänkereien. Sie mochte diese Traurigkeit bei anderen nicht, weil sie dann immer mitlitt.