Kitabı oku: «Jean Genet und der revolutionäre Diskurs in seinem historischen Kontext», sayfa 3

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In einem abschließenden Kapitel liegt der Schwerpunkt schließlich auf der Entwicklung einzelner diskursiver Konzepte, die in Genets letztem Werk Un captif amoureux von 1986 eine literarische Aufarbeitung erfahren und in einem metatextuellen Verweissystem transformiert werden. Es soll die These aufgestellt werden, dass seine im Kontext des revolutionären Diskurses entstandenen Interventionen innerhalb literarischer Rahmenbedingungen metaisiert werden. Voraussetzung ist dabei die zeitliche Distanz zu den eigenen politischen Aktivitäten, welche aus einer rückblickenden Perspektive bespiegelt werden. Durch werkexterne Verweise auf textuelle Interventionen werden Konzepte aus dem politischen Kontext kommentiert und umgeschrieben. Mit dieser literarischen Bilanz seines eigenen Engagements besiegelt Genet seinen Austritt aus der politischen Öffentlichkeitssphäre.

1.2 Korpus

Das Korpus der vorliegenden Untersuchung umfasst vornehmlich zwischen 1968 und 1986 redigierte, veröffentlichte sowie unveröffentlichte Schriften Jean Genets und konstituiert die analytische Grundlage für seine Situierung im intellektuellen sowie im gegenkulturellen Feld dieser Zeit. Dabei wird auch eine Vielzahl bislang kaum beachteter Texte und Manuskripte erschlossen. Daneben wird auf die inzwischen zum Kanon der politischen Untersuchungen zu Genet gehörenden Werke L’Ennemi déclaré1 und Un captif amoureux2 rekurriert. L’Ennemi déclaré wurde 1991 zum ersten Mal publiziert und versammelt als sechster Band der bei Gallimard erschienenen Werkausgabe Genets zwischen 1964 und 1985 entstandene politische, aber auch literaturkritische Artikel, Schriften und Interviews. Diese ist in jedem Fall der Vollständigkeit wegen der 2010 anlässlich des 100-jährigen Jubiläums bei Gallimard erschienenen Taschenbuchausgabe vorzuziehen.3 In einem Anhang enthält diese umfassende Ausgabe beispielsweise zwei wichtige, nur noch im Englischen existierende und daher ins Französische rückübersetzte Artikel Genets, die zusätzlich in der englischen Fassung betrachtet werden sollen. Die in L’Ennemi déclaré vereinten Texte unterscheiden sich nicht nur entsprechend ihrem politischen Entstehungskontext, sondern weisen auch stilistische Differenzen auf. Pragmatische Texte alternieren mit literarischen Texten, journalistischen Berichterstattungen und Interviews, die alle eine differenzierte Lektüre verlangen, da ihnen unterschiedliche Kommunikationssituationen und -strategien zugrunde liegen.

Der vermutlich Mitte der 1970er Jahre entstandene, erst 2010 unter dem Titel La Sentence4 bei Gallimard veröffentlichte Text repräsentiert eine weitere wichtige und noch kaum interpretierte Textquelle. Dieser ursprünglich titellose Text wird in einer Gegenüberstellung des Originalmanuskripts als Faksimile und seiner transkribierten Fassung illustriert. Es handelt sich bei La Sentence um einen fragmentierten Text, der bereits einige Textpassagen inkludiert, die Genet später in Un captif amoureux integriert. Er ist daher sehr aufschlussreich für die schriftstellerische Methode und Herangehensweise sowie für die im dritten Teil der Arbeit analysierte literarische Rekontextualisierung von politischen Diskursobjekten.

Weitere zu Genets Lebzeiten unveröffentlichte Artikel bzw. Briefe oder Essays befinden sich als Faksimiles in dem anlässlich des 20-jährigen Todestages von Jean Genet publizierten Ausstellungskatalog.5 Es handelt sich hier teilweise um politische, teilweise um kunst- bzw. literaturkritische Reflexionen, die ebenfalls Eingang in die nachstehende Analyse finden werden.6

Die vom IMEC publizierte Dokumentensammlung zum G.I.P., dem von Foucault initiierten Groupe d’information sur les prisons, in dem sich auch Genet für eine kurze Zeitspanne engagierte, hält drei weitere kaum rezipierte, teilweise zu Lebzeiten des Autors nicht veröffentlichte Schriften bereit.7 Diese erweisen sich gerade für die intertextuelle Aufarbeitung der komplexen Relation zwischen Genet und Foucault als äußerst gewinnbringend.

Als Analysegrundlage fungiert ebenfalls eines der unveröffentlichten, im IMEC befindlichen Drehbücher mit dem Titel Le Langage de la muraille aus dem Jahre 1981. Dieses nicht publizierte Werk markiert einerseits Genets Distanzierung von einer literarisch-künstlerischen Werkproduktion in der Folge von Mai ’68, nimmt aber andererseits in Hinblick auf die Aufarbeitung des diskursiven Bezugssystems und der Positionierung im intellektuellen Feld eine Schlüsselstelle ein. Aufgrund der komplizierten Autorenrechte müssen Inhalte dieses Werks vor allem paraphrasiert werden.8

Bei der Auswertung des hier präsentierten Korpus muss zum einen die jeweilige Textgattung berücksichtigt werden. Zum anderen muss dem Anspruch Rechnung getragen werden, wonach auch die journalistischen Schriften Genets ein poetisches Potential besitzen. Diese stehen jedoch zugleich im Kontext bestimmter editorischer Zielsetzungen und erschließen einen spezifischen Leserkreis. So müssen beispielsweise die politischen Leitlinien der jeweiligen Zeitung, ihre Adressaten und der Entstehungskontext bei der Deutung bemessen werden. Die gesamten politisch intentionierten Publikationen lassen sich zudem als öffentliche Interventionen charakterisieren. Unabhängig von ihrer Funktion als Reportage, persönlicher Kommentar oder themenorientierter Essay liefern sie nicht einfach einen Beitrag zu bestimmten zeithistorischen Ereignissen oder Fragestellungen, sondern tragen vor allem zu ihrer diskursiven Konstruktion bzw. Dekonstruktion bei. Darunter thematisieren einige Artikel die spezifische Verknüpfung von Poesie und Politik und nehmen daher eine Schlüsselposition ein.

Neben den pragmatischen und journalistischen Interventionen finden auch die als literarisch zu klassifizierenden Texte Betrachtung. Grundsätzlich voneinander zu unterscheiden sind dabei Genets bewusst unveröffentlichtes Drehbuch und das kurz nach seinem Tod erschienene Werk Un captif amoureux. Während Le Langage de la muraille eine teilweise fiktionale, teilweise dokumentarische Bedeutung zukommt, ist das Genre seines letzten Werks hingegen nur schwer zu benennen. In seiner gattungsspezifischen Hybridität zwischen autobiographischem Roman über das Zusammenleben mit den Palästinensern, literarischer Reportage über die politischen Ereignisse und Ziele ausgewählter revolutionärer Gruppierungen, symbolischem Reisebericht in Form einer Odyssee durch das politische Zeitgeschehen und Liebesgedicht eines Barden der palästinensischen Revolution vermischen sich unterschiedliche Erzählhaltungen und -stile. Durch die retrospektive Erzählperspektive wird nicht nur auf Sujets und Fragestellungen einzelner journalistischer Texte rekurriert, sondern die politischen Stellungnahmen selbst werden zugleich implizit reflektiert. Diese metadiskursive Betrachtungsweise lässt sich als konstitutive Komponente dieses letzten Werks von Jean Genet beschreiben und greift ein Vorhaben auf, das der Autor hinsichtlich der Publikation ausgewählter politischer Schriften und Reden seiner letzten Lebensjahre 1984 bei Claude Gallimard vorbrachte und das in einem kurzen Vorwort in L’Ennemi déclaré erläutert wird:

Une fois rassemblés et redactylographiés la plupart de ces écrits ou de ces interventions orales, dont la publication s’était échelonnée sur une vingtaine d’années, son intention était d’opérer un choix et, en quelque sorte, de les refondre sans tenir compte de la chronologie, pour mettre en lumière les réflexions et convictions qui avaient orienté ses prises de position. Plutôt que le ralliement à une idéologie, référant à une morale politique, il évoquait plus volontiers le hasard et la curiosité. Jean Genet n’a jamais donné une forme définitive à ce projet. Mais d’y avoir songé l’a sans doute incité à chercher la composition originale d’une œuvre où viendraient s’inscrire, comme les pièces d’un puzzle, les notes prises durant ses voyages et ses longues périodes de solitude, inspirées de ses observations, de ses rencontres et de sa perception, lucide, d’un monde en mouvement; d’où son dernier ouvrage, Un captif amoureux […].9

Nicht nur die Idee einer strukturellen Vernetzung einzelner Textfragmente spielt jedoch eine entscheidende Rolle, sondern auch die rückblickende Betrachtung seiner politischen Interventionen. Der Faktor der zeitlichen Distanz repräsentiert dabei das Fundament eines autoreferentiellen und selbstkritischen Kommentars, anhand dessen der Wandel des revolutionären Diskurses fassbar wird.

1.3 Forschungsstand

Grundsätzlich handelt es sich bei der Aufarbeitung des politischen Engagements von Jean Genet um einen verhältnismäßig jungen Untersuchungsgegenstand, der sich mit Erscheinen der beiden Werke Un captif amoureux 1986 sowie L’Ennemi déclaré 1991 entwickelt.

Neben einigen frühen Untersuchungen zu essentiellen – stilistischen und motivischen – Leitgedanken der politischen Schriften1 kristallisiert sich vor allem die Frage nach der Situierung dieses letzten Werks von Jean Genet innerhalb seines Gesamtwerks heraus. Dabei liegt der Schwerpunkt zunächst vornehmlich auf der Relektüre des bereits etablierten Roman- und Dramenwerks, ausgehend von den noch wenig erforschten politischen Werken. In diesem Sinne sind die Studien zum Motiv der Revolution in Genets Werk bzw. vor allem in seinen Dramen2 und zu seiner Strategie des Betrugs zu lesen, die Fredette vermittels der vergleichenden Lektüre von Un captif amoureux und Pompes funèbres beschreibt.3 Auch die in einer Spezialausgabe des Esprit créateur vereinten Beiträge zur Tagung „Jean Genet, littérature et politique“ verfolgen diese Zielsetzung und wählen daher eine zwischen den politischen Texten und ausgewählten Dramen und Romanen vergleichende Perspektive, wie der Herausgeber Patrice Bougon betont:

It seems today, that such posthumous texts will allow us to reread Genet’s complete work under a different light. If the majority of the contributions in this issue concern Un captif amoureux and L’Ennemi déclaré, other texts are also called upon where their political and ethical dimensions are seen as dominant.4

Auch die Sonderausgabe der Yale French Studies zum Thema Genet: In the language of the Enemy verfolgt einen ähnlichen Ansatz, wobei jedoch hier der Stellenwert der politischen Schriften in einzelnen Beiträgen stärker untermauert wird.5 Mehr noch gilt dies für den im selben Jahr erschienenen Sammelband Flowers and Revolution, der zudem einige Reden, Interviews und einen Brief von Genet an Allen Ginsberg beinhaltet,6 sowie für die Untersuchung von Pascale Gaitet mit dem Titel Queens and Revolutionaries7. Obwohl sich eine allmähliche Ausdifferenzierung der literaturwissenschaftlichen Untersuchung des Spätwerks nachzeichnen lässt, repräsentiert auch die Annäherung zwischen Spätwerk und Dramen einerseits bzw. Romanen andererseits in Hinsicht auf die Politik weiterhin einen wichtigen Forschungsschwerpunkt.8 Grundsätzlich lässt sich das gesamte Werk Jean Genets in verschiedener Hinsicht als politisch einstufen, wobei jedoch für die vorliegende Untersuchung insbesondere jene Studien von Bedeutung sind, die den Fokus auf Genets Spätwerk legen. Dies schließt natürlich nicht die Rezeption prägnanter Studien zu Teilaspekten aus, die sich eher dem Frühwerk widmen, jedoch auch einen Gültigkeitsanspruch für das zu untersuchende Korpus haben. Exemplarisch zu nennen wäre hier das Werk des Foucault-Spezialisten Didier Eribon, das wichtige Hinweise für die Inbezugsetzung Foucaults und Genets offenbart.9

Hinsichtlich der politischen Schriften im engeren Sinne sind die nachfolgenden Untersuchungen hervorzuheben. Eine eigentümliche Verquickung biographischer, historiographischer und literaturwissenschaftlicher Gesichtspunkte prägt Hadrian Laroches zunächst 1997 unter Leitung Jacques Derridas geschriebene und veröffentlichte Dissertation, die 2010 in der Reihe Champs Biographie in einer überarbeiteten Fassung neu aufgelegt wurde.10 Laroche beschreibt Jean Genets politisches Engagement chronologisch innerhalb des historischen Kontextes unter Bezugnahme auf die politischen Grundsätze der revolutionären Bewegungen der Black Panthers in den USA und der Palästinenser, welche Genet unterstützte. Allerdings handelt es sich nicht um eine Biographie, sondern vielmehr um eine leitmotivische Aufarbeitung bestimmter, für Genets Engagement paradigmatischer Charakteristika. Somit trägt Laroche der Singularität des Werks Rechnung, ohne seine historische Bedingtheit zu ignorieren. In Hinblick auf eine Situierung Jean Genets im politischen Zeitgeschehen ist Hadrian Laroches Werk im Vergleich zu anderen Studien mit einem analogen Konzept herausragend. Eine wesentlich kürzere, kaum berücksichtigte Untersuchung von Gourgouris Stathis verfolgt einen ähnlichen Ansatz, wobei die historische Situierung stärker auf geschichtstheoretischen Grundlagen basiert und dadurch einen Perspektivwechsel eröffnet.11 Eine überzeugende Untersuchung einzelner politischer Texte in Hinblick auf das Motiv des Reisens realisiert Jérôme Neutres, obgleich seine sich auf Genets Gesamtwerk stützende Studie eine prozessuale Entwicklung seiner nationalen Entfremdung zum Ausgangspunkt nimmt.12 Neutres bezieht sich darin auch auf die unveröffentlichten Drehbücher und leistet damit einen wichtigen Beitrag in Hinblick auf die Analyse dieser schwer zugänglichen Texte. Negative Kritik an Genets politischen Schriften übt Éric Marty. Seine umstrittene Abhandlung über Genets vermeintlichen Antisemitismus13 gibt Anlass zu einer weiteren umfassenderen Studie, in der Marty Genet die Unmöglichkeit einer positiven politischen Haltung attestiert, die nicht mit dem traditionellen Nihilismus der Intellektuellen zu verwechseln sei.14 Marty kritisiert Genets Versuch, Ethik und Verantwortung durch die Poesie zu substituieren und kontrastiert seine Haltung mit der Sartres und Camus’.

Malgorns Einschätzung, „[l’]année du centenaire apporte peu de révélations“15, muss in Anbetracht der Vielzahl erschienener Publikationen und Veranstaltungen sicher relativiert werden. Zur publikationsnahen Rezeption von Un captif amoureux ist 2010 unter Leitung von Agnès Fontvieille-Cordani und Dominique Carlat die sehr hilfreiche Zusammenstellung einer Art Pressespiegel entstanden, der eine wichtige Auswahl kritischer Kommentare des Werks bereithält,16 und beispielsweise eine rezente Studie zur kaum untersuchten gattungstheoretischen Einordnung dieses Werks angeregt hat.17 Anzuführen ist vor allem auch Balcázar Moreno, der mit einer Fokussierung der Trauerarbeit und der Erinnerungspolitik in Genets Gesamtwerk eine originelle Annäherung an das Politische und das Poetische gelingt.18 Ihr Forschungsansatz richtet sich sowohl gegen eine Entpolitisierung von Genets Werk zugunsten einer rein ästhetischen Deutung, als auch gegen eine zu starke Gewichtung des politischen Engagements und versucht die Kategorie des Politischen als eine spezifische Form von Gemeinschaft umzudeuten. Diese Umdeutung des Politischen in einem spezifisch Genet’schen Sinne stellt, unabhängig von der Thematik des Todes und der Erinnerung, einen gewinnbringenden Anstoß dar. Auch die Initiative der Reevaluierung der politischen Schriften unter Rekurs auf die ästhetischen Schriften konstituiert einen innovativen Ansatz. Der Gedanke einer Zusammenführung von Politik und Poesie beherrscht auch das unter Leitung von Albert Dichy und Véronique Lane organisierte Symposium von 2010 mit dem Titel „Jean Genet politique, une éthique de l’imposture“, welches die sich auch auf rhetorisch-literarischer Ebene abzeichnende Strategie des Verrats und Betrugs zum Schlüsselmoment eines näheren Verständnisses des politischen Engagements erhebt. Die Vorträge kennzeichnen sich vornehmlich durch Reflexionen zur Problematik von Ethik und Politik. Betont werden muss, dass die Verquickung von Politik und Poesie keine grundsätzlich neue Erkenntnis darstellt,19 aber den gegenwärtigen Forschungstenor bestimmt. Davon zeugt auch der unter der Herausgeberschaft von Ralph Heyndels erschienene Sammelband, welcher die Bereiche der Ästhetik und Politik unter dem Leitgedanken der Passion zusammenführt und eine Vielzahl interessanter Untersuchungen zur übergeordneten Thematik einer Politik des Verlangens bei Genet vereint.20

Die anlässlich des Jahrestages 2010 veranstaltete Tagung „Jean Genet und Deutschland“ legt einen Schwerpunkt auf die rezeptionsgeschichtliche Aufarbeitung von Genets Werk in Deutschland.21 Insbesondere die Beiträge zu Genets Artikel über die Rote Armee Fraktion sowie zu seinem Interview mit Hubert Fichte 1975 werden in der vorliegenden Untersuchung an entsprechender Stelle berücksichtigt werden. Dies gilt auch für weitere sehr nutzbringende Artikel zu einzelnen für die Analyse relevanten Fragestellungen.22 Daneben sollen hier noch einige kürzlich publizierte Werke näher Betrachtung finden. Zum intellektuellen Engagement in Frankreich vor dem Hintergrund der Revolutionen in Kuba, Vietnam und Palästina liefert Sylvain Dreyer einen wichtigen Beitrag, obgleich er sich in seiner Untersuchung zur literarischen und filmischen Aufarbeitung dieser Revolutionen auf ein umfangreiches Korpus, bestehend aus einer Vielzahl von Werken unterschiedlicher Autoren und Regisseure, stützt.23 Genet wird bei ihm im Kontext des palästinensischen Freiheitskampfes im Lichte von Un captif amoureux rezipiert, wohingegen die übrigen politischen Schriften von Jean Genet nicht zum Korpus zählen. Innerhalb seiner Untersuchung kommt Un captif amoureux insofern ein bedeutender Stellenwert zu, als Dreyer das Werk als Endpunkt einer Entwicklung des literarischen Engagements in Frankreich bewertet, die sich in einer allmählichen Abkehr von Sartres Modell als selbstkritische Form des Engagements herausbildet. Seine Unterscheidung zwischen den in der Tradition Sartres benannten „œuvres engagées“ und dieser neuen Form der „œuvres engagées critiques“ wird in dem sich anschließenden analytischen Teil diskutiert.24 Genannt werden muss auch die Arbeit von Tang mit dem vielversprechenden Titel May 68 and French Literary Production: A Periodization of Modern Revolutionary Writing in the Works of Conrad Detrez, Monique Wittig, and Jean Genet25. Tang betont die Bedeutung von Mai ’68 im Werk dieser drei Persönlichkeiten, konzentriert sich bei Genet aber ebenfalls vornehmlich auf Un captif amoureux, das allerdings aus einer rückblickenden und distanzierten Haltung verfasst wird. Da Tang damit argumentiert, dass die revolutionären Schriften aus dem Zeitgeist von Mai ’68 erwachsen, sich in Un captif amoureux aber vielmehr ein Umschwung nachzeichnet, ist Dreyers Ansatz dahingehend kohärenter und kann daher für die nachfolgende Analyse besser nutzbar gemacht werden.

Erwähnenswert für die Forschung über Genet ist auch der kürzlich von Marie-Claude Hubert herausgebrachte Dictionnaire Jean Genet26. Die vielseitigen und facettenreichen Einträge behandeln beispielsweise auch einzelne politische Texte, die bislang kaum aufgearbeitet wurden, und bieten daher innerhalb der Analyse einige wichtige Impulse. Eine umfassende historisch determinierte und diskursspezifische Kontextualisierung gerade der politischen Texte und Reden von Jean Genet liegt bislang nicht vor. Die Tatsache, dass gerade in den jüngsten wissenschaftlichen Veröffentlichungen, wie beispielsweise von Mairéad Hanrahan und von Alex Lussier,27 zu spezifischen journalistischen Texten Einzelanalysen vorgenommen werden, zeigt die Notwendigkeit und Relevanz einer näheren Betrachtung dieses heterogenen Textkorpus. Dabei ist auch das gegenwärtige Forschungsdesiderat einer Annäherung von Poesie und Politik in Genets Spätwerk von Bedeutung, da sich innerhalb dieses Spannungsbereichs Genets politischer Sonderweg konturieren lässt. Die diskursive Einordnung des Spätwerks ausgehend von einer Gegenüberstellung von Genet und Michel Foucault sowie Jean-Paul Sartre einerseits und der amerikanischen Autoren Allen Ginsberg sowie William S. Burroughs andererseits soll aufzeigen, dass Genets politische Texte innerhalb eines bestimmten Möglichkeitsfeldes bzw. diskursiven Bezugssystems zu situieren sind. Diese Inbezugsetzung ist bislang weitestgehend unerforscht. Genets Rückschau auf die eigene Positionierung bzw. die metadiskursive Betrachtung seines eigenen politischen Diskurses in Un captif amoureux erweisen sich zudem auch in gattungsspezifischer Hinsicht als Erkenntnis bringend.

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