Kitabı oku: «Jean Genet und der revolutionäre Diskurs in seinem historischen Kontext», sayfa 5

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Während Foucault die Entwicklung der Funktion des Autors und des literarischen Eigentums diskursanalytisch determiniert, tritt in Genets Stellungnahme stärker die Charakteristik der Forderung nach der Auflösung der Autoreninstanz in Hinblick auf seine persönliche Stellung in der Öffentlichkeit in den Vordergrund. Der Autorenname hat eine autoritäre Funktion und indiziert die Bedeutung des Werks für die Gesellschaft vermittels seiner beschreibenden Charakteristik, so Foucault:

Quand on dit ‚Aristote‘, on emploie un mot qui est l’équivalent d’une description ou d’une série de descriptions définies, du genre de: ‚l’auteur des Analytiques‘, ou: ‚le fondateur de l’ontologie‘, etc. Mais on ne peut pas s’en tenir là; un nom propre n’a pas purement et simplement une signification; quand on découvre que Rimbaud n’a pas écrit La Chasse spirituelle, on ne peut pas prétendre que ce nom propre ou ce nom d’auteur ait changé de sens.36

Der Name als Äquivalent einer Zuschreibung einschlägiger, aus dem Leben oder dem literarischen Werk des Autors geschöpfter Merkmale, birgt die Gefahr der Deformation in sich und gleicht zudem für Genet einem die künstlerische Bedeutung einschränkenden Qualitätssiegel. Im Vordergrund seiner Reflexionen steht der Verzicht auf die dem Namen des Autors eingeschriebene Autorität, welcher er durch die Distanzierung von seinem literarischen Werk Rechnung trägt.

Die Autorität resultiert stets aus einer gesellschaftlich erworbenen Anerkennung, welche auch zu jenen Grundmerkmalen gehört, die eine intellektuelle Intervention ermöglichen. Problematisch erscheint daher die Ablehnung der durch den Namen gesicherten Autorität in Hinblick auf Genets Eintreten in das intellektuelle Feld und seine öffentliche Funktion als Sprachrohr bestimmter revolutionärer Gruppierungen wie beispielsweise der Black Panthers oder der palästinensischen Freiheitsbewegung. Denn sein Einsatz in der Öffentlichkeit lässt die Möglichkeit eines Verzichtes auf den Gebrauch der eigenen Reputation fraglich erscheinen. Sein Misstrauen gegenüber der medialen Öffentlichkeit und ihrer Prozesse der Instrumentalisierung zeichnet sich somit bereits in seinen frühesten politischen Stellungnahmen ab. Tatsächlich repräsentiert auch Genets erster politischer Artikel jenen medienkritischen Standpunkt, wobei die Kritik an den Deformationsmechanismen der Öffentlichkeit in diesem Text nicht autoreferentiell, sondern in Hinblick auf Daniel Cohn-Bendits medial konstruiertes Image geäußert wird.37 Durch die Einschreibung des eigenen Namens in den medialen Diskurs wird der Name mit Bedeutung und Autorität aufgeladen, wodurch es zu seiner Verselbständigung und Deformation kommt, ein Prozess, der an Barthes’ Konzept des Mythos erinnert.38 In einem unveröffentlichten Text von 1976 mit dem programmatischen Titel „J’ai peur de mon nom“ zeigt sich, dass diese Thematik der medialen Defiguration auch weiterhin von Genet reflektiert wird.39 Die sich in Genets Kritik an der Einschreibung des Eigennamens in den medialen Diskurs abzeichnende Reflexion über die eigene Position in der Öffentlichkeit kann grundsätzlich als für das intellektuelle Feld der 1960er und 1970er Jahre symptomatisch eingestuft werden, in dem die Intellektuellen aufgrund der sozialen Umwälzungen zu einem kritischen Überdenken ihrer eigenen Autorität und Funktion in der medialen Öffentlichkeit sowie ihres Verhältnisses zu den revolutionären Gruppierungen veranlasst wurden.

2.2 Intellektuelle Handlungsentwürfe

Genets Verortung im intellektuellen Feld orientiert sich an jenen beiden Persönlichkeiten, die dieses Feld in den 1960er und 1970er Jahren in Frankreich maßgeblich bestimmt haben und zu denen Genet in einem ambiguen Verhältnis stand: Jean-Paul Sartre und Michel Foucault. Daher soll bei der Analyse die Interdependenz zwischen Genet, Foucault und Sartre im Vordergrund stehen. Genets Verhältnis zu den beiden Philosophen kann als unstet und problematisch bezeichnet werden. Während Genets Beziehung zu Sartre auf die Anfänge seiner eigenen literarischen Schaffensphase zurückführt, beschränkt sich seine Beziehung zu Foucault auf jene kurze Zusammenarbeit in dem von Foucault gegründeten Groupe d’information sur les prisons in den frühen 1970er Jahren sowie im Rahmen anderer politischer Aktionen für die Rechte der Immigranten in Frankreich, an denen auch Sartre beteiligt war. Trotz der offenen Distanzierung von den beiden Philosophen müssen sie als Bezugsgrößen betrachtet werden und sollen nicht einfach als Negativfolie zur Bestimmung der Stellung Genets im intellektuellen Feld dienen. Aufgrund der Solidarität in gemeinsamen militanten Aktionen sowie der Erfahrung derselben historischen Ereignisse und Begebenheiten einerseits und der impliziten, teilweise auch expliziten Bezugnahme zueinander andererseits lassen sich thematische und motivische Parallelen herausfiltern. Unter Berücksichtigung der interpersonalen sowie intertextuellen Dialogizität werden thematische Schwerpunkte untersucht, die sich als besonders relevant auszeichnen und welche die Basis jenes gemeinsamen diskursiven Bezugssystems bilden, das nicht auf Konsens abzielt, sondern Freiraum für jenen offenen Dissens lässt, den Sylvain Dreyer als prototypisch für Genets politische Positionierung herausstellt.1 Ursprung dieses Dissenses ist allerdings, wie Dreyer in seinem Beitrag behauptet, nicht alleine Genets Engagement für die Befreiung der palästinensischen Gebiete, wodurch er sich bewusst von Sartres pro-israelischer Haltung distanziert, sondern tatsächlich vor allem die grundsätzliche Poetisierung des Politikverständnisses, welche Genet beispielsweise im palästinensischen Kampf realisiert glaubt. Die Bedeutung und Funktion des Intellektuellen in der Öffentlichkeit, die damit verbundenen Handlungsmuster sowie die Kritik am Rechtssystem bilden die drei thematischen Hauptachsen. Die Herausbildung einer gemeinsamen diskursiven Formation der Kritik an der Rechtsstaatlichkeit kennzeichnet sich durch spezifische Diskursobjekte und -konzepte, die in einem weiteren Schritt näher beleuchtet werden.

2.2.1 Genet und Sartre: Der Poet und der Philosoph

Gemäß Edmund Whites biographischer Rekonstruktion traf Genet im Mai 1944 Sartre zum ersten Mal im Café Flore und war dem Philosophen als letzte Entdeckung Jean Cocteaus bekannt.1 Gemeinsam mit Cocteau, durch dessen Beziehungen Genet bereits einmal einer lebenslangen Gefängnisstrafe entgangen war, richtete Sartre 1948 ein Gesuch an den französischen Präsidenten, um eine erneute Inhaftierung aufgrund einer noch nicht abgesessenen Strafe abzuwenden.2 Sartre beschreibt seine Beziehung zu Genet stets in Abgrenzung zu Cocteau: „[N]os rapports à l’égard de Genet étaient très différents; moi je l’encourageais à être seul, comme j’étais, seul; je ne veux pas dire abandonné de tous, mais ne cherchant aucun parrain pour entrer dans la littérature, alors que Cocteau l’aurait volontiers parrainé.“3 Die Beziehung zwischen Genet und Sartre ist durch einen gegenseitigen geistigen Austausch über Literatur und Kunst geprägt, wie White betont: „They shared an interest in all literary forms (theatre, cinema, fiction), although Sartre was no poet and Genet no biographer.“4 Von diesem offenen Dialog zeugen beispielsweise auch die gegenseitigen Textwidmungen sowie der Schriftwechsel über die Konzeption der Homosexualität, eine Frage, die Sartre in besonderem Maße faszinierte.5 Der intensive Austausch zwischen Sartre und Genet ist in jener historischen Phase zwischen 1945 und 1956 zu situieren, die mit Annie Cohen-Solal als die „années Sartre“ zu bezeichnen sind, in welcher der Philosoph sein Konzept des literarischen Engagements ausarbeitet.6 Er kulminiert in Sartres monumentaler, existentialistisch-psychoanalytischer Biographie Saint Genet, comédien et martyr7, die von Sartres Interesse an Genets Leben und Persönlichkeit Zeugnis ablegt und für die weitere Beziehung ein richtungsweisendes Fundament darstellt. Sartre erinnert sich, dass Genet selbst ihn um ein Vorwort zur in Planung befindlichen Gesamtausgabe seiner Werke bei Gallimard bat.8 Ursprünglich als Vorwort gedacht, bildet sie schließlich den ersten Band der Gesamtausgabe und übersteigt mit ihren rund 600 Seiten die Leseerwartungen eines Vorwortes. Sartre interpretiert Genets negative Reaktion auf das Werk als Effekt eines Spiegels, der ihn auf sich selbst zurückgeworfen habe:

[Q]uand j’ai eu fini, je lui ai donné le manuscrit, il l’a lu, et une nuit, il s’est levé, il est allé jusqu’à une cheminée et il a pensé le jeter au feu. Je crois même qu’il a jeté des feuilles et qu’il les a reprises. Ça le dégoûtait parce qu’il se sentait bien tel que je l’avais décrit.9

Sartres Biographie, „objet bâtard, obèse, énorme, monstrueux“10, wie Cohen-Solal affirmiert, beschließt eine Kanonisierung des Werks und erhebt Genet zum Protagonisten seiner existentialistischen Philosophie: „Et Jean Genet sera enfermé, entre ces pages, dans le rôle du plus sartrien des personnages sartriens, du héros sartrien par excellence.“11 Genet selbst betont die sterilisierende Wirkung des Werks in einem 1964 entstandenen Interview mit Madelaine Gobeil:12 „[J’]ai mis un certain temps à m’en remettre. J’ai été presque incapable de continuer d’écrire. […] Le livre de Sartre a créé un vide qui a permis une espèce de détérioration psychologique.“13 Tatsächlich erkalten die Beziehungen zwischen Sartre und Genet im Folgenden. Zu einem späteren Zeitpunkt bestreitet Genet, das Buch jemals bis zum Ende gelesen zu haben, da es ihn langweile.14 Auch Genets Wertschätzung für den Philosophen bleibt zwiespältig, wie sich bereits im Interview von 1964 zeigt: „Sartre se répète. Il a eu quelques grandes idées et les a exploitées sous diverses formes. En le lisant, je vais souvent plus vite que lui.“15 Hier jedoch zollt er Sartre eine gewisse Sympathie und Anerkennung, indem er betont: „J’aime Sartre parce qu’il est drôle, amusant, et qu’il comprend tout.“16 Das hier nur implizit zu Tage tretende Konkurrenzverhältnis erstarkt in den Jahren des politischen Engagements und insbesondere durch den Dissens in Hinblick auf den Nahost-Konflikt, welcher, wie Winock herausstellt, das linke Lager mehr als jede andere Krise in Frankreich spaltete.17 So erinnert sich auch Edward Said, dass nicht so sehr Sartres monumentale Biographie Unfrieden gestiftet habe, die Genet mit den ironischen Worten kommentiert habe: „If the guy wanted to make a saint of me, that’s fine.“18 Vielmehr sei es aufgrund der pro-israelischen Haltung Sartres zu einem Zerwürfnis zwischen den beiden gekommen, wie die Wiedergabe des nachfolgenden Zitates von Genet belegen soll: „He’s [Sartre, S.I.] a bit of a coward for fear that his friends in Paris might accuse him of anti-Semitism if he ever said anything in support of Palestinian rights.“19 Möglicherweise ist das Spannungsverhältnis auch darauf zurückzuführen, dass Genet, so White, seinen politischen Aktivismus an Sartres Modell ausrichtete: „Although he [Genet, S.I.] did not turn actively to politics until the late 1960s, he certainly modelled his political activism on Sartre’s.“20 Dabei erscheint vor allem Genets Negation seines eigenen Status als Intellektueller bemerkenswert und es muss hinterfragt werden, inwieweit sich diese gegen Sartres Modell richtet. Die Distinktion zwischen der Rolle des Poeten und des Philosophen beschäftigt Genet bereits zum Zeitpunkt der Publikation von Saint Genet, comédien et martyr, wie Sartre in seinen Erinnerungen evoziert: „Il [Genet, S.I.] se prenait pour le poète et me prenait pour le philosophe et il a beaucoup usé de cette distinction qui n’était pas dite, mais on la sentait; il disait des choses sur le poète, il disait des choses sur le philosophe […].“21 Während der Phase seines politischen Aktivismus beansprucht Genet dann den Status des Poeten in Abgrenzung zur Funktion des Intellektuellen.

In Genets Verständnis bedeutet ‚Poet‘, wie Alexandre Romanès betont, neben der religiös-ethischen Figur des Heiligen, des saint, die höchste Auszeichnung, welche Genet wenigen Auserwählten – beispielsweise Albert Einstein – zuteilwerden ließ.22 Etymologisch aus dem Griechischen stammend bezeichnet poïétès den Schöpfer bzw. Erfinder. Bei Aristoteles wird seine Aufgabe von der des Geschichtsschreibers unterschieden, insofern letzterer in seinem in Prosa verfassten Geschichtswerk das wirklich Geschehene mitteilt, wohingegen der Dichter in Versform kommuniziert, was geschehen könnte.23 Darüber hinaus grenzt er mit seinen Werken zur Poetik und Rhetorik die Dichtkunst und die Redekunst gegeneinander ab und wendet sich mit seiner Poetik gegen Platons Verurteilung der Dichtung, wie dieser sie insbesondere im zehnten Buch seiner Ausführungen über den Staat verlautbart.24 Über gattungsspezifische Kontrastierungen hinaus begründet Platon seine Vorstellung einer traditionellen Feindschaft zwischen Philosophie bzw. Wissenschaft und Poesie, jenes „alte[n] Streit[s] zwischen Philosophie und Dichtung“25 unter Rekurs auf die ästhetischen und gesellschaftspolitischen Ansprüche beider Disziplinen. Während der Philosoph die Wahrheit sucht und Ideenkonzepte bildet, schafft der Poet entsprechend der platonischen Ideenlehre nur Illusionen und Trugbilder, indem er nämlich stets nur das Abbild eines Abbildes hervorbringt. Auf dieser Logik wird eine dichotome Struktur begründet, innerhalb welcher sich Wahrheit und Imagination bzw. Täuschung, Vernunft und Emotion, Wesenhaftigkeit und Abbilder einander gegenüberstehen. Platon fundiert in Ion und Politeia seine Vorstellung des Dichters als „inspiré des dieux, et donc en tant que tel, porteur d’images incontrôlables, sources des mouvements passionnels violents“26 und „fauteurs de désordre potentiels“27, den es aus seinem Idealstaat zu vertreiben oder zumindest durch die Philosophen zu kontrollieren gilt. Genets bewusste Anknüpfung an die Funktion des Poeten und nicht des Philosophen oder Intellektuellen entpflichtet ihn von jener gesellschaftspolitischen Verantwortung, die mit dieser Rolle traditionell verbunden ist, und distanziert ihn von Sartres Modell des literarischen Engagements. Bereits zum Zeitpunkt der Entwicklung jenes Konzeptes in Qu’est-ce que la littérature?28 zeichnet sich ab, dass Sartre sein Verständnis von Kommunikation als sprachlich realisierte Beziehung zum Anderen durch den gattungsspezifischen Kontrast zwischen Prosa und Poesie kennzeichnet. Die Möglichkeit eines poetischen Engagements schließt er aus.29 Ziel des engagierten Autors nach Sartre ist die Enthüllung der Welt und des Menschen, um den Prozess der Bewusstwerdung und die Übernahme der Verantwortung des Individuums in der Gesellschaft voranzutreiben: „[L’]écrivain a choisi de dévoiler le monde et singulièrement l’homme aux autres hommes pour que ceux-ci prennent en face de l’objet ainsi mis à nu leur entière responsabilité.“30 Dieser enthüllenden Funktion von Literatur und Sprache stellt er die autoreferentiellen Literatur- und Kunstformen gegenüber, zu denen für ihn die Poesie zählt. Sartre klassifiziert die Poesie als negative Kunstform, insofern sie niemals Teil einer Aktion sei, sondern sich selbst genüge. Daraus resultiert seine Kritik an der gesellschaftlichen Abgeschiedenheit und Einsamkeit des Dichters, welche durch jene negativen Charakteristika der Nichtmitteilung und des Narzissmus determiniert werden, die Sartre der Lyrik auch noch Mitte der 1960er Jahre attestiert.31 Nur die Prosa werde durch ihre Öffnung zur Gesellschaft hin jenem ethischen Imperativ gerecht, den Sartre in seiner Kongruenz zu dem von ihm erhobenen ästhetischen bzw. prosaischen Imperativ als Grundlage des literarischen Engagements versteht. Benoît Denis definiert den engagierten Autor in diesem Verständnis zu Recht als „celui qui a pris, explicitement, une série d’engagements par rapport à la collectivité, qui s’est en quelque sorte lié à elle par une promesse et qui joue dans cette partie sa crédibilité et sa réputation.“32 Die kontextuelle Unmittelbarkeit des literarischen Engagements schafft eine historisch fundierte Interaktion zwischen dem Autor und seinen Zeitgenossen, wobei der Autor die Funktion eines Mediators einnimmt: „L’écrivain est média­teur par excellence et son engagement c’est la médiation.“33 Im Unterschied zu Roland Barthes unterscheidet Sartre daher auch nicht zwischen „Écrivains et écrivants“34, also zwischen Schriftsteller und Schreibendem, als welchen Barthes den Intellektuellen bezeichnet, sondern untermauert die Kongruenz jener beiden Standpunkte des Schriftstellers und des Schreibenden bzw. des Intellektuellen aufgrund der identischen Funktion als gesellschaftlicher Mediator vermittels eines ethischen Gebrauchs von Sprache.35 Für Sartre repräsentiert der Schriftsteller die Funktion des Intellektuellen „par essence“36.

Die Mediatorenfunktion kennzeichnet folglich auch Sartres Konzept des universellen Intellektuellen, dessen funktionellen Wandel er bereits 1965 konstatiert, der dann jedoch mit Mai ’68 seine vorläufige Vollendung findet.37 Sartres Definition des Intellektuellen basiert auf der Unterscheidung zwischen Experten und Intellektuellen, wobei er jedoch jeden so genannten „technicien du pouvoir pratique“ als potentiellen Intellektuellen betrachtet, insofern er nämlich seinen Kompetenzbereich überschreitet.38 Eigentümlich sei daher für den Intellektuellen das ständige Spannungsverhältnis zwischen spezifischem und universellem Wissen, wobei jedoch für Sartre der Intellektuelle seine Funktion erst als „technicien de l’universel“ erfüllt.39 Wenn auch Sartre die Inkarnation jenes ‚universellen Intellektuellen‘ repräsentiert, so lässt sich im Nach-Mai gerade auch ein Transformationsprozess seiner Vision des intellektuellen Engagements konstatieren, welcher sich in seinem Bestreben äußert, „[de] nier le moment intellectuel pour tenter de trouver un nouveau statut populaire.“40 Er postuliert die Auflösung des klassischen universellen Intellektuellen durch die Hinwendung zu dem, was er in seiner Einleitung zum Plädoyer für den Intellektuellen als „compagnon radicalisé des forces populaires“41 und in einem Interview von 1970 als universelles Konkretes, als „universel concret“42, bezeichnen wird:

Il faut d’abord qu’il [l’intellectuel, S.I.] se supprime en tant qu’intellectuel. Ce que j’appelle intellectuel donc c’est la mauvaise conscience. Il faut qu’il mette ce qu’il a pu retirer des disciplines qui lui ont appris la technique de l’universel directement au service des masses. Il faut que les intellectuels apprennent à comprendre l’universel qui est désiré par les masses, dans la réalité, dans le moment, dans l’immédiat.43

Sartre argumentiert, dass der klassische bzw. universelle Intellektuelle sich als Theoretiker des praktischen Wissens stets in einem Spannungsverhältnis zwischen dem Universellen und dem Spezifischen befand44 und dass sein Universalitätsanspruch nur noch durch seine Verbindung zur universellen Gesellschaft, nämlich den Massen, gesichert werden könne:45

[I]l faut que ceux d’entre eux [les intellectuels, S.I.] qui ont vraiment changé se rendent compte qu’il n’y a plus d’autre possibilité d’avoir une fin universelle que de se mettre en liaison directe avec ceux qui réclament une société universelle, c’est-à-dire avec les masses. Mais ça ne veut pas dire qu’ils doivent, comme les intellectuels classiques, ‚parler‘ au prolétariat, bref faire de la théorie, soutenue par les masses dans l’action.46

Sein Verständnis des Intellektuellen basiert folglich auf einer Kooperation des Intellektuellen mit den Massen, die jedoch dessen Rolle als Sprachrohr bestimmter Gruppierungen überschreitet. So lehnt Sartre auch die Ansprache an die Arbeiterschaft ab und befürwortet stattdessen den kommunikativen Austausch. Diesen sieht er in La cause du peuple, dem Presseorgan der maoistischen Gauche prolétarienne (GP), dessen Herausgabe er 1970 auf Anfrage Pierre Victors nach der Inhaftierung der Herausgeber Le Dantec und Le Bris wegen Verbrechen gegen die Staatssicherheit nominell übernimmt, durch die journalistische Zusammenarbeit der Intellektuellen mit der breiten Masse realisiert.47 Sartre beschreibt seine veränderte Wahrnehmung und Vorstellung der gesellschaftlichen Funktion des Intellektuellen als einen seiner Zusammenarbeit mit den Maoisten entspringenden inhärenten Prozess:

Les premiers temps, je ne faisais pas grand-chose au journal, mais si j’avais voulu y écrire, ils m’auraient ouvert les pages. On a travaillé davantage ensemble, et petit à petit, je me suis gauchi, en ce sens que le travail avec eux m’obligeait – sans qu’ils fassent la moindre pression sur moi – à me contester comme intellectuel. L’intellectuel en partie bourgeois, que le P.C. acceptait sans le changer comme compagnon de route-potiche, ne pouvait pas travailler avec les maos sans découvrir ses contradictions et sans vouloir en sortir. Il ne fallait pas que l’intellectuel se prît pour un conducteur du peuple, mais qu’il regagne au plus vite, la place qui l’attendait dans le peuple.48

Dennoch betrachtet er sein fortgeschrittenes Alter als Hindernis für die Vollendung des Transformationsprozesses des Intellektuellenmodells, wonach der Intellektuelle in der Masse aufgehen soll. Denn als „victime de la division du travail“, so die marxistische Auslegung der Maoisten, müsse der Intellektuelle zusätzlich eine handwerkliche Arbeit verrichten.49 Für Sartre koexistieren daher beide Modelle, das des klassischen Intellektuellen und das jenes neuen, „polyvalenten“ Intellektuellen in ihm:

Ma contradiction profonde en tant que j’écris L’Idiot de la famille, c’est que celui qui écrit est un intellectuel classique qui se casse les os de la tête pour vous suivre et qui, déjà, sur certains plans, quand il va chez Renault caché dans un camion, ou qu’il fait irruption dans l’immeuble des Câbles de Lyon, se rapproche un peu de l’intellectuel polyvalent que vous imaginez […]. Les deux types d’intellectuel coexistent chez moi, et, d’une certaine façon, ils se contredisent et, en même temps s’appuient l’un sur l’autre.50

Während Sartre in Reaktion auf die zeitpolitischen Ereignisse seine Funktion in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit zu redefinieren versucht, hält Genet trotz seiner Distanzierung vom literarischen Feld an seiner Denomination als Poet fest. Dabei postuliert er jedoch niemals die Aktionsform eines Engagements, das durch die literarische Gattung der Poesie vermittelt würde. Genets Verständnis von Poesie umfasst vielmehr eine über die Gattungsspezifizität hinausgreifende Form der öffentlichen Kommunikation und Positionierung, die an die tradierte Vorstellung der gesellschaftlichen Ungebundenheit anknüpft und sich dadurch von Sartres Konzept der littérature engagée distanziert. Wie sich auch in Genets Misstrauen gegenüber einer medialen Vereinnahmung seines Namens und damit seines im literarischen Bereich erworbenen gesellschaftlichen Prestiges widerspiegelt, macht Genet durch das Festhalten an seiner Rolle als Poet jenen von Winock als „transfert de notoriété“51 bezeichneten Überschreitungsprozess vom literarischen zum intellektuellen Feld unkenntlich. Trotz dieser offenkundigen Distanzierung vom intellektuellen Feld weist Genets Interventionsform in der Praxis Analogien zu Sartres Verständnis des Engagements auf, die im Anschluss analysiert werden sollen.

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