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Kitabı oku: «Onnen Visser», sayfa 43

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Nachwort

Auf der Veddel lagen die teilweise halbfertigen und wieder zerschossenen Schanzen einsam und verlassen neben zertretenen Äckern und niedergebrannten Bauernhäusern. Keine lebende Seele begegnete den Wanderern, das ganze Dorf schien ausgestorben, die Felder waren nicht bearbeitet, das Vieh getötet – kaum gelang es unseren Freunden, am Ufer des zweiten, breiteren Elbarmes einen Fährmann zu finden, der sie hinüberruderte.

Hier lag die stattliche Reihe der englischen und dänischen Kanonenboote; fast unter ihrem Schatten glitt die flache Fähre über das Wasser, umglänzt vom hellen Sonnenschein – auf der Reise nach dem Glücke, wie Onnen sagte. Er freute sich so sehr, er war so voller seliger Hoffnung, daß er einmal über das andere Hurra rief.

Und »Hurra!« wiederholten die Matrosen. »Hip, Hip, Hurra!«

Die blauen Wellen fluteten so hell, die Sonne lachte vom Himmel herab. »Friede! Friede!« widerhallte es in den Herzen aller.

Nach etwa zehn oder fünfzehn Minuten war die Fahrt beendet und in einigen Stunden Harburg erreicht. Überall Trümmer und zerschossene Bastionen, überall beschädigte Dächer und zerstampfte Gärten. Aber trotz dieser vielen größeren und kleineren Schäden war doch auch hier die Freude eingekehrt; Mikosch spielte seit langer Zeit zum erstenmal mit dem Bären wieder Karten, er bekam Belohnungen und konnte einiges für den Ledergurt beiseitestecken.

Kurz nach Mittag wurde die Wanderung wieder aufgenommen. Am Abend des nächstfolgenden Tages war voraussichtlich die Stadt Bremen erreicht, dann kam nur noch eine einzige Nacht, ein paar Stunden, zehn oder zwölf, auf einer Fischerbark – und Emdens Türme traten aus dem fernen Blau des Himmels deutlicher und immer deutlicher hervor. Welch ein Jubel, welch inniges Glück! —

Vorerst freilich mußte eine der ödesten, ärmsten Gegenden Deutschlands, die Strecke zwischen Harburg und Bremen durchmessen werden. Eine Fahrgelegenheit hatte sich nirgends gefunden, weil eben die Pferde damals fast zur Seltenheit geworden waren; die besseren ließ Marschall Davoust, wohin er kam, für den Bedarf der Armee requirieren, die schlechteren einfach töten, so daß in diesem Unglücksjahre die Bauern wegen Mangels an Zugtieren ihre Felder unbestellt lassen mußten. Weithin nach allen Seiten dehnte sich die unwirtliche, nur hier und da mit Zwerggebüschen bedeckte Heide. Nach der Mittagshitze der letzten Stunden hatte sich die Sonne mit einem Wolkenschleier umhüllt, der Himmel schien mehr grau als blau, und kein Hauch bewegte die Luft. Es war schwer, so über den öden Weg dahinzugehen und vor und hinter sich nichts zu entdecken als etwas verkrüppeltes Dorngebüsch. Die Heide blühte im sanften Rot, weiße sternenartige Kamillen und blaue Glockenblumen zogen sich wie ein Muster auf einfarbigem Grunde hindurch, aber kein Baum gab Schatten; kein Haus und kein Fluß waren in der Nähe – nur zuweilen gab es sumpfige Vertiefungen, in denen sich Wasser angesammelt hatte, ein schlechtes lauwarmes Getränk, das Menschen und Tiere mit Widerwillen genossen.

»Wir werden wieder einmal die Nacht im Freien verbringen müssen«, sagte mit behaglichem Lächeln der Zigeuner. »Mir gerade recht!«

»Uns auch!« riefen einstimmig die übrigen. »Laßt uns nur gleich Rast machen, Alter. Mundvorrat ist genug in unseren Tornistern, Kleider und Stiefel sind heil, eine Pistole steckt im Gürtel – was wollen wir noch mehr? Hurra, die Freiheit soll leben!«

Mikosch schüttelte lächelnd den Kopf. »Nicht so laut«, warnte er. »Hinterm Berge wohnen auch Leute, Herr, das darfst du nicht vergessen.«

»Aber es ist ja kein Franzose mehr im Lande! Wer soll uns also angreifen? – Sieh, hier gibt es eine gute Stelle, um zu lagern.«

Aber Mikosch ging weiter. »Laß es nur erst völlig finster geworden sein, du Ungeduldiger. Vielleicht treffen wir ja auch ein Bauernhaus.«

Er spähte nach allen Seiten, aber ohne Erfolg. Tiefer und tiefer sank der Abend herab, man konnte zuletzt die Entfernung von zehn Schritten nicht mehr überblicken. »Mikosch«, warnte Feiko, »wenn wir in einen Tümpel hineingerieten!«

»Das ist nicht anzunehmen, Herr, aber dennoch – dies Gebüsch oder ein anderes. Laßt uns speisen und schlafen.«

Er warf den Tornister ab und sich selbst daneben. »Wie wundervoll sich‘s nach so langer Entbehrung im Freien ruhen läßt!« rief er voll Vergnügen. »Ach, alle Federbetten der Welt verschwinden gegen das grüne Gras oder die Heide. Sieh, da kommt ein großer schwarzer Käfer! Guten Abend, Geselle, ich tue dir nichts zuleide.«

Er wollte nur ein wenig Wein trinken und allenfalls ein Stück Fleisch essen, die jungen Leute dagegen fielen begierig über den aus Altona mitgebrachten Vorrat her und probierten an dem Braten und den Butterbroten der Baronin ihre bewährte Leistungsfähigkeit. Auch einige kleine Flaschen mit Wein und kaltem Punsch fanden sich vor, etwas Rauchtabak und als Nachtisch ganz versteckt in der fernsten Ecke ein paar Pfund Kirschen; es war also für das leibliche Wohlergehen bestens gesorgt und demgemäß Mut und Hoffnung im Schwellen begriffen.

Onnen entzündete eine kleine Blechlampe, die den nächsten Umkreis erhellte. »Einige von den verachteten Federbetten würde ich mir doch gefallen lassen, Mikosch. Allerlei Gesindel kriecht einem in die Ohren oder läuft über die Stirn.«

Der alte Zigeuner lachte. »Ach, mir ist das Herz so weit, so weit!« sagte er mit dem Tone des Glückes. »Von hier geht‘s nach Ostfriesland und dann durch Preußen nach Posen, nach Warschau – nach Hause, nach Hause!«

»Alles zu Fuß?« fragte Georg.

»Nein, sobald ich euch abgeliefert habe und wieder in Emden bin, kaufe ich Wagen und Pferd. Freust du dich, Alexei?«

Ein paar Takte auf der Geige antworteten ihm. »Sehr, Alter, sehr – ich möcht‘, ich könnte so mit einem einzigen Satze hinüberspringen in die Zelte unseres Stammes.«

»Probiere es!« lachte Onnen, während er lang und behaglich in der blühenden Heide lag. »Gerade wie auf der Steppe hinter Odessa kommt mir‘s hier vor«, setzte er dann hinzu, »deshalb packt euch beide wohl so ein wenig Heimweh. Spielt ein Lied, etwas Lustiges – wir sind ja nun aus aller Drangsal glücklich heraus.«

»Still, Herr, still, solche Worte muß man niemals sprechen!«

Dann holte er die Geige hervor und begann zu spielen, begleitet von seinem jüngeren Genossen; erst übersprudelnd neckische und heitere Weisen, bald aber anders, ganz anders, daß sich die Augen der Zuhörer senkten und die Pfeifen unmerklich erloschen. Von Leid und heimlicher Sehnsucht sangen die Saiten, von aufblitzender Hoffnung und endlichem Wiedersehn – mit einem lauten jubelvollen Akkord schloß der Vortrag.

»Schön!« sagte hinter der Gruppe eine Männerstimme. »Aber wenn du noch einen Ton geigst, Zigeuner, dann nehme ich das Instrument und zerschlage es auf deinem Schädel in Splitter. Du rührst allerlei Gedanken auf – Sapristi! Gedanken, die zur Nacht nicht kommen dürfen, oder das Herz wird so heiß, so heiß, daß das Feuer darin bis zum Gehirn hinaufbrennt!«

Noch während der Unbekannte sprach, waren unsere Freunde sämtlich aufgesprungen und hatten nach ihren Pistolen gegriffen. Hinter ihnen stand eine sonderbare Erscheinung, ein junger, wohlgebauter Mann mit dunklem Haar und blitzenden schwarzen Augen, ein Soldat, der die französische Dienstmütze und darunter einen Bauernkittel trug. Sein Gesicht zeigte die Spuren eines gedrückten Herzens, es war blaß und vor der Zeit gealtert; die Lippen zuckten unruhig.

»Laßt eure Spielzeuge da nur beiseite«, sagte er. »Der Krieg ist ja vorläufig beendet – ich bin zu friedlichem Besuche hier.«

Mikosch sah ihn an, prüfend und furchtlos zugleich. »Dann sei willkommen«, sagte er. »Wer bist du übrigens? Wir sind arme Zigeuner, die ruhig ihres Weges ziehen.«

»Und ich bin ein Deserteur!« rief der Franzose. »Für mich gibt es keinen Ludwig den Achtzehnten; mein Kaiser heißt Napoleon und zu ihm gehe ich, wo er auch sein möge, ihm stelle ich mein Leben zur Verfügung. Wir alle – es sind noch mehr als fünfzig entschlossene Männer in der Nähe – haben uns aus Hamburg entfernt, weil wir keinem anderen Feldherrn den Eid der Treue leisten mochten.«

Mikosch schien zu erschrecken. »Fünfzig Männer sind hier?« fragte er, das letzte Wort besonders betonend.

»Ja. Eine lustige Gesellschaft, ich verspreche es euch. Kommt mit mir, Kameraden; wir sahen euer Licht und wollten uns überzeugen, wer ihr seid!«

Mikosch winkte den übrigen. »Viel Ehre«, sagte er gelassen. »Die Zigeuner nehmen es dankbar an, obwohl ihr ja, wie du behauptest, unser Spiel nicht zu hören wünscht.«

Der Franzose nickte. »Schlachtenlieder«, sagte er, »Tänze, Märsche, das lasse ich mir gefallen, aber nicht diese leisen Klänge. Es ist dabei, als ob – na, laßt‘s gut sein. Maurice Planchard ist ein flotter Gesellschafter, das werdet ihr schon sehen.« Onnen hob plötzlich den Kopf. »Planchard!« sagte er leise, »ich dachte es.«

»Kennst du ihn?« flüsterte Feiko.

»Ja. Erinnere dich jenes Tages, an welchem in Rußland ein Mann von unsrer Kompanie einen alten Herrn mit der bloßen Faust erschlug, weil ihm dieser den Zutritt zu einem Magazin von Lebensmitteln verweigerte. Es war Planchard.«

Georg nickte. »Ich erkenne ihn jetzt auch«, sagte er. »Die Gesellschaft scheint mir sehr wenig wünschenswert.«

»Aber doch dürfen wir hier diese Strauchdiebe nicht erzürnen, glaube ich. Morgen führt uns der Weg nach einer und sie nach der anderen Seite.«

Während des kurzen, leise geflüsterten Meinungsaustausches waren die jungen Leute dem vorangegangenen Mikosch gefolgt und sahen nun am Rande eines Gebüsches vor sich eine größere Gruppe fragwürdiger Gestalten, die zahlreiche kleine Laternen auf der Heide stehen hatten und sämtlich aus kurzen Pfeifen rauchten. Einige abgenagte Knochen und Brotrinden gaben Zeugnis von der stattgehabten Abendmahlzeit, außerdem lagen aber auch im Grase eine Menge leerer Flaschen, deren Inhalt ohne Zweifel in den Köpfen der Versammelten spukte und ihre Heiterkeit bis zu den Grenzen des ausgelassenen Tobens steigerte.

Über dieser Gruppe hing schwarz und undurchdringlich der Himmel. Die Luft war schwül, es schien, als müsse ein starkes Gewitter im Anzüge sein, als verkünde die unnatürliche Ruhe der Schöpfung den nahen Ausbruch des Sturmes.

Ein dröhnendes: »Willkommen!« klang den Kommenden entgegen. »Russische Zigeuner seid ihr? Wir waren auch in Rußland – nehmt Platz und seid willkommen, wenn es leider auch bei uns keinen Tropfen Branntwein mehr gibt!«

»Schweig von allem, was Rußland heißt«, rief Planchard; »Es hat uns Unglück gebracht, hat unserem Kaiser Land und Thron gekostet!«

Und dann hielt er plötzlich eine Laterne hoch empor. »So wahr ich lebe, ihr seid es«, rief er, »wir sind miteinander von Riga bis beinahe nach Witebsk marschiert, Seite an Seite – kennst du mich nicht, Georg? Du warst mein Vordermann!«

»Ich weiß es, Planchard, du hast ein gutes Gedächtnis. Onnen erkannte dich übrigens gleich!«

Der Franzose reichte allen dreien die Hand, sein ursprünglich sehr geringer Rausch mochte wohl infolge der inneren Aufregung immer mehr Ausdehnung gewinnen. »Ihr seid desertiert«, sagte er, »und ich bin es auch. Gut; jeder nach seinen politischen Meinungen. Ihr wollt den Napoleon womöglich in den Staub treten, ich dagegen bin bereit, mich für Seine Majestät den Allergnädigsten Kaiser jeden Augenblick in Stücke zerhacken zu lassen. Aber darum können wir doch gute Freunde bleiben. Wie lebtet ihr denn bisher?«

»Als Bärenführer, Wolfsjäger, Schanzarbeiter; wir schlugen uns durch, so gut es eben ging. Nun erzähle du, was nach unserer Entfernung beim Regiment geschah. Hat es im Feuer gestanden?«

Planchard lachte. »Du, Leonard, ob es im Feuer gestanden hat? – Hoho, wir gehören zu denen, welche über die Beresina entkommen sind, wir Einunddreißiger!«

»Laßt uns doch von angenehmeren Dingen sprechen, Kameraden. Den Tag an der Beresina vergißt keiner, der ihn mitmachte.«

Planchard stützte den Kopf in die Hand. »Zigeuner«, sagte er, »könnt ihr Träume deuten?«

»Vielleicht«, antwortete Mikosch. »Was hast du gesehen, mein Freund?«

Der Franzose schauderte. »Das Eisfeld«, sagte er halblaut; »den breiten Strom. Die Brücke gebrochen, die Menschen eingeklemmt zwischen Holz und Eis, zerrissen, blutüberströmt, die Schollen treibend, hier eine, dort eine – alle voll von Soldaten, flüchtenden Frauen und Kindern, alles ringsumher bedeckt mit Trümmern. Sapristi, ich war dabei, ich schwamm mit im eiskalten Wasser und wollte mich auf einen Eisblock schwingen, aber —«

»Planchard, laß doch die alten Geschichten!«

»Störe mich nicht, Leonard! – Ich wollte die Eisscholle erklettern, aber ein Knabe neben mir versperrte jedesmal den Weg, ein blutjunges Bürschchen, vielleicht siebzehn Jahre alt, er drängte sich vor, er störte mich und als ich ihn beiseite schob, da biß er kräftig in meine Hand! —

»Um die Brücke her krachte und donnerte es. General Beauharnais hatte schon einen ganzen Artilleriepark in die Luft gesprengt, es summte nur so vor den Ohren und blitzte vor den Augen – da fiel meine Hand in das Wasser zurück, der Knabe schwang sich auf die Scholle, ich verlor im Moment alle Überlegung. ›Komm her, Knirps‹, sagte ich und packte ihn und schlug seinen Kopf gegen das Eis, ›was willst du, Mücke?‹

»Das Blut aus seinen Schläfen überströmte mich, er war tot und ich gerettet. Jeder andere hätte ebenso gehandelt – aus dem Wege, was nicht weichen will – auch mein Oberst dachte darin wie ich. Kanntet ihr den Herrn? Oberst Honore Jouffrin! Er ist verschollen, ermordet, wenn ich wüßte von wem, so würde ich den Elenden erdrosseln.«

Mikosch und Onnen sahen einander an; der Zigeuner blieb vollkommen gelassen, er hörte immer an, was der Franzose hervorsprudelte, ohne ihm zu antworten, ohne irgendein Zeichen von Teilnahme zu verraten. Planchard hatte seine Träume völlig vergessen, er schüttelte den Kopf und seufzte.

»Der Kaiser kann nicht besiegt sein! Ich war mit ihm in Spanien und Italien – ach, das schöne, wonnige Leben! Oberst Jouffrin liebte die Freiheit, ich auch – und das sollte nun alles zu Ende gehen? Pah, es ist unmöglich!«

»Musik!« rief er dann in befehlendem Tone. »Ein Schlachtenlied, Zigeuner! Kann dein Bär nicht tanzen?«

Er stand auf und ergriff die Vordertatzen des gewaltigen Tieres. Mikosch sprach einige seinem Liebling bekannte Kommandoworte, worauf sich Ruff schwerfällig in Bewegung setzte und mit dem Franzosen zu tanzen begann. Die Heiterkeit erreichte ihren Höhepunkt, als später der Braune in Ermangelung des Blechtellers die Tatze ausstreckte und bei der Gesellschaft sammeln ging.

»Ein Haus weiter probiere dein Glück!« hieß es. »Arme Soldaten ohne Kaiser und Regiment haben nichts zu geben.«

Ruff brummte ärgerlich; das hatte er noch nie erlebt. Ganz erzürnt lief er zu seinem Herrn und zeigte ihm die leere Tatze, als wolle er sich beklagen.

Mikosch gab ihm die letzten Kirschen vom Abendbrot; alle diese buntscheckigen verkommenen Abenteurer, diese zusammengewürfelten Söhne jeder europäischen Nation lachten belustigt durcheinander, sie ließen den Bären seine sämtlichen Kunststücke vortragen und fragten die jungen Leute nach dem Woher und Wohin der Reise, bis endlich die Vernünftigeren meinten, daß es an der Zeit sei, sich schlafen zu legen.

Planchard wollte davon nichts hören. »Ich hasse den Schlaf«, sagte er. »Immer muß ich das Eisfeld sehen und den —«

»Spiele, Zigeuner, spiele!«

Die Geigen erklangen laut und lustig, Planchard schüttelte das Haar in den Nacken, warf die Pfeife fort und suchte sich eine Stelle, wo das Heidekraut ziemlich niedrig stand. »Aufgepaßt, meine Herrschaften, jetzt werden Sie ein Ballett sehen! – Hoho, ich habe meiner Zeit in den Theatern von Paris getanzt, als Engel – damals war ich ein kleiner unschuldiger Bube – es ist lange her, tausend Jahre, eine Ewigkeit!«

»En avant!« rief er dann plötzlich. »Zigeuner, einen Walzer!«

Die Hände erhoben, gestikulierend und mit großer Gewandtheit dem Takte folgend, flog er über den Boden dahin.

»Weshalb tanzest du nicht, Leonard? – Wir finden Frankreich und finden unseren Kaiser, wir schlagen ihn heraus und hielten die Feinde noch so gut Wache!«

Leonard schüttelte den Kopf. »Es ist zu Ende, Maurice. Ich hab‘ einmal eine Geschichte gelesen von einem, der zur Sonne fliegen wollte und hart auf den Boden fiel – so ist‘s mit dem Kaiser Napoleon. Das lustige Soldatenleben unter seinen Fahnen kommt nie wieder!«

Planchard tanzte schneller und immer schneller. »Es muß kommen, ich sage dir, es muß! Zum Bürgersmann bin ich verdorben, aber für meinen Kaiser schlage ich noch Hunderte, Tausende so zu Boden, wie damals den Alten in Rußland und den Knaben, der —«

»Da war es wieder!« rief plötzlich Alexei. »Ich glaubte schon vorhin, den Laut richtig zu beurteilen, aber jetzt weiß ich es gewiß. Da drüben bellt ein Hund.«

Die Musik schwieg plötzlich still, Planchard beendete seinen rasenden Wirbel – alles horchte. Der Wind ging etwas stärker über die Heide und am Himmel erschien ein mattes Wetterleuchten; die Schwüle war geradezu erdrückend.

Planchard trocknete den Schweiß von der Stirn. »Ich höre nichts«, flüsterte er.

Im nächsten Augenblick aber erkannten alle den Schall. Irgendwo in einiger Entfernung bellte lebhaft und anhaltend ein Hund.

»Es ist also irgendein Bauernhaus in der Nähe«, sagte Mikosch.

»Oder Kosaken!« rief Planchard.

»Pah, die führen keine Hunde mit sich!«

»Und überdies, mögen sie kommen! Der Krieg ist augenblicklich beendet!«

»Für mich nicht!« rief ungestüm der Franzose. »Wo ich den Feinden meines Kaisers begegne, da ist das Schlachtfeld – ich will keinen Frieden schließen, bis Napoleon selbst ihn diktiert.«

Der Hund bellte immer wütender, aber er blieb offenbar, ohne vorzurücken, an derselben Stelle. »Wahrscheinlich ein Schäferhund«, meinte Mikosch.

Diese Vermutung erregte eine allgemeine Freude; sämtliche Wegelagerer erhoben sich schleunigst, wie um die Beute zu erfassen, ehe sie etwa verloren gehen könnte. »Um so besser«, riefen sie, »dann werden wir die Herde schlachten.«

Es entstand ein Durcheinander, wie es jedem Aufbruch vorangeht. Die leeren Flaschen wurden eingesammelt, die Laternen an der Brust befestigt, dies oder jenes Besitzstück übergeworfen oder umgeschnallt, dann war die ganze Schar bereit, sich auf den Weg zu machen. »Ihr geht doch mit uns, Zigeuner?« fragten einige Stimmen.

Mikosch sah zum Himmel empor. Das Gewitter mußte sehr bald losbrechen, aber dennoch wäre er viel lieber zurückgeblieben, ja er war sogar dazu heimlich entschlossen, bis Planchard in seiner gebieterischen Manier die Frage entschied. »Gewiß begleiten uns die Zigeuner«, rief er. »Wenn der Kampf beginnt, soll Ruff ins Vordertreffen geschickt werden und Schafe und Menschen würgen.«

Die übrigen gaben ihren Beifall mit lauter Stimme zu erkennen. »Planchard ist doch ein geriebener Kerl, da hat er gleich den Vorteil entdeckt und festgehalten! Ein Bär als Avantgarde, besser kann man es nicht verlangen.«

Mikosch und seine Genossen sahen einander an. »Wir müssen einstweilen mitgehen«, flüsterte Feiko. »Dieser Franzose beherrscht die ganze Schar, wie es scheint.«

»Er spielte ja schon in Rußland den Anführer. Erinnert ihr euch an ihn nicht mehr mit der Frauenhaube und dem Teppich? In der Hand trug er einen großen Kochlöffel.«

»Und halbbetrunken war er zu jeder Zeit!«

Mikosch erhob keine Einwendungen mehr, er schüttelte nur heimlich den Kopf und lockerte in der Brusttasche die Pistole. »Wenn dieser Mensch glaubt, daß ich mein Tier für seine räuberischen Gelüste hergebe, dann —«

Und ein entschlossenes Nicken vervollständigte den Gedanken.

Der Wind fegte über die Heide, von fern begann der Donner ein immer mehr anschwellendes Rollen und Grollen; vorsichtig, aber so schnell wie möglich gingen alle diese Männer dem Orte des wütenden Hundegebells entgegen. Schon nach kaum zehn Minuten traten bei dem Schimmer eines Blitzes die Umrisse mehrerer niederer und langgestreckter Bauernhäuser deutlich aus dem Dunkel hervor. Das Vordergebäude diente als Wohnhaus, die übrigen mochten Stallungen sein, während hinter diesen die Schafhürden lagen, niedere hölzerne Einfriedigungen, zwischen denen eine nach vielen Hunderten von Köpfen zählende Herde ihr Nachtquartier gefunden hatte.

Mehrere Hunde bellten miteinander um die Wette; von Menschen war dagegen nichts zu entdecken.

»Aha«, murmelte Planchard, »da in dem Hause wollen wir schlafen und diese Tiere sollen uns ihr Fleisch als Braten liefern. Mille tonnerres, wie die Bestien toben – man muß ihnen, sobald man sie nur erst einmal sieht, eine Kugel vor den Kopf schießen.«

Er legte die letzten Schritte laufend zurück und trommelte mit beiden Fäusten gegen die vordere Tür. »Heda! Aufgemacht!«

Drinnen blieb alles still. Vielleicht übertönten der Donner und das Hundegebell die Stimmen der Menschen, vielleicht wollten es die Bauern darauf ankommen lassen und schwiegen einstweilen, jedenfalls drang bis zu den Wartenden kein Laut. Sie scharten sich alle um die Haustür, Planchard schlug nochmals mit geballten Fäusten gegen dieselbe. »Aufgemacht, oder wir brauchen Gewalt. Heda – aufgemacht!«

Mikosch und seine Genossen hielten sich im Hintergrunde; sie wären am liebsten ganz entfernt geblieben, aber die Plünderer besaßen Feuerwaffen, es ließ sich daher, sobald ihr Zorn gereizt wurde, wohl das Ärgste befürchten, und aus diesem Grunde mußte jeder Streit vermieden werden. Jetzt öffnete sich auch ein Fenster, im Rahmen desselben erschien der Kopf eines Bauern und dann fragte eine Stimme, was es gebe. »Wer seid ihr, Leute, was wollt ihr von uns?«

»Eine Nachtherberge«, klang es zurück. »Macht auf und bringt die Hunde zur Ruhe.«

»Dies ist hier kein Wirtshaus«, rief der Bauer. »Sucht ein anderes Unterkommen.«

Und das Fenster flog klirrend wieder zu.

Planchard lachte. »Vorwärts also! Nehmt Steine, Kameraden!«

Er begann die Tür zu zerschlagen, andere halfen ihm und binnen wenigen Minuten lag das widerstandslose Gefüge in Trümmern; der Eingang war frei.

Vor dem Backsteinherd standen fünf Männer, alle mit geladenen Kugelbüchsen; im Augenblick, wo die Plünderer das Haus betreten wollten, krachten fünf Schüsse, deren Donner indes das einzig Fürchterliche blieb – sämtliche Kugeln gingen hoch über die Köpfe der Eindringlinge hinweg.

»Hurra«, rief Planchard, »vortreffliche Schützen seid ihr! Her mit den Knallinstrumenten, das ist nichts für euch!«

Aber die Bauern setzten sich zur Wehr, sie schlugen mit den Kolben und einer sammelte aus der Asche auf dem Herd die eingescharrten Kohlen, welche er den Plünderern entgegenschleuderte. Es entspann sich ein kurzer Kampf, der mit einer vollständigen Niederlage der Bauern endete; sie wurden gebunden in den Winkel geworfen und dann durchstöberten die dreisten Gesellen das Haus vom Boden bis zum Keller. Planchard zog ein paar zitternde Frauen aus dem Versteck hervor, verbeugte sich einmal über das andere Mal und führte dann die Erschrockenen an den Herd. »Entzünden Sie das Feuer, meine Damen, und öffnen Sie Ihre Vorratskammern. Ist Branntwein im Hause?«

Die eine der Frauen brachte einen gefüllten Steinkrug herbei; Planchard hob mit beiden Armen das schwere Gefäß an die Lippen und tat einen tüchtigen Zug, dann gab er es weiter. »So, Frau, nun koche Sie Milch und Gemüse, den Braten werden wir uns selbst besorgen. Komm her, Simon, du bist ja von Hause aus ein Schlachter, nicht wahr?«

Einer der Deserteure antwortete mit lustigem Zuruf. »Verschaffe mir nur ein Messer, Maurice – und bringe die Hunde zum Stillschweigen.«

»Alle Wetter, die Hunde – das ist wahr!«

Und er ging hinaus in den Wirbelwind, der jetzt über die Heide fegte. Jede Hand hielt eine Pistole – er suchte die Hürde und die Stelle, wo im nächsten Augenblick die unbestechlichen Wächter ihre Treue mit dem Leben bezahlen sollten. Simon und Leonard begleiteten ihn, ebenso Moitty, der Spanier, welcher damals die Statue der heiligen Jungfrau beraubte. Diese Sippe war schon in manchem räuberischen Unternehmen zum Ziel gelangt; sie handelte eine Reihe von Jahren immer gemeinschaftlich.

Die drei großen Schäferhunde stürmten gegen das Holzgitter, um den Feind sogleich anzugreifen, aber mehrere Pistolenschüsse streckten sie zu Boden, das Gebell ging über in Winseln und verstummte dann gänzlich. Die Pforte flog auf, sämtliche Schafe liefen erschreckt und blökend durcheinander; Simon fing gleich das nächste auf und trug es davon. »Jetzt komm her, Wollträger, wir brauchen einen guten Braten!«

Auch die ändern suchten sich ihre Opfer und unter Simons Anleitung begann die abscheuliche Szene, bei welcher sechs oder acht arme Tiere mit den Taschenmessern der Plünderer umgebracht wurden. Das Geschrei der Schlachtopfer setzte die ganze Herde in Aufruhr; aus der offenen Pforte jagten mehr als fünfhundert der sogenannten Heidschnucken davon und liefen in die Finsternis hinaus, die einen hierhin, die anderen dorthin.

Mehrere der Plünderer hatten unterdessen Umschau gehalten und auf dem Hof ein Volk Hühner und eine Kuh entdeckt. Dem unglücklichen gefiederten Trupp wurden sofort die Hälse umgedreht und die Kuh von ungeschickten Händen gemolken; sie stieß darauf mit den Hörnern ihre Quäler von sich und trat mit den Füßen, bis endlich die übermütigen Gesellen Schaufeln und Heugabeln ergriffen und nach langer Hetzjagd das Tier im Stalle erschlugen.

So hatte man im feindlichen Lande immer gewirtschaftet, so war es die Gewohnheit langer Jahre – weshalb also hier eine Ausnahme machen?

Die Frauen standen händeringend am Herd und kochten und brieten unter bitteren Tränen, was ihnen in die Küche gebracht wurde. Überall im Hause wühlten in Kisten und Kasten, in jeder Ecke die fremden Eindringlinge – wenn sie auch noch das bare Geld fanden, dann war alles dahin, dann hatte dieser Tag die beiden unter dem niederen Dache lebenden Familien für immer zu Bettlern gemacht.

Eine Anzahl der Marodeurs schlief bereits. Draußen im Stall lag ja duftiges Heu, der Wind fegte um das alte Strohdach und sang an den Ecken leise heimliche Lieder – da schlummerte sich‘s süß, da träumte das Herz von neuer Beute, von einem Krieg, der allen Ländern und allem Besitz erklärt war, bei dem man umherzog und nahm, was gerade den Appetit reizte, bei dem man schonungslos niederstieß, was im Wege stand.

Mikosch und die Seinen lagerten verborgen in einem Winkel des Holzschuppens. Draußen schlugen in Zwischenräumen die heftigsten Gewitterregen gegen das alte Gemäuer, der Donner krachte und Blitz auf Blitz zuckte herab, aber dennoch war das Unwetter nicht vollständig zum Ausbruch gekommen; schwarze Wolken bedeckten den Himmel, nur spärlich und halbverhüllt dämmerte der junge Morgen durch all das Bleigrau und Schwarz des Horizontes.

»Es ist doch gut, daß wir ein Dach über uns haben!« meinte Onnen.

»Vielleicht gelingt es ja morgen, sich unter der Hand aus dem Staube zu machen! – Ach, aber man kann keinen Augenblick schlafen.«

»Horch, da singt Planchard!«

Es war ein Soldatenlied, das der kecke Franzose vortrug, dann schlug er mit dem Messer gegen seinen Teller. »Ist das Geld der Bauern gefunden, Simon?«

»Nein!« rief ein Chor von Stimmen, »diese geizigen Kerle müssen es vergraben haben!«

»Bringt einmal den Rädelsführer her, den Dicken mit dem Gesicht wie ein Vollmond – ich habe ihm ein Wörtlein zu sagen.«

Die Halbberauschten eilten fort und holten einen der fünf geknebelten Bauern herbei. Das Haar des alten Mannes stand buchstäblich zu Berge, sein Gesicht war fahl, die Augen starrten wie die eines Fisches, den man aus dem Wasser gezogen hat. »Herr«, stammelte er, »Herr, in deine Hände befehle ich meinen Geist.«

Planchard nickte. »Daran tust du wohl, Schafzüchter. Du stehst jetzt, wie dir bekannt sein dürfte, vor Gericht! Ich bin der, welcher über dein Schicksal entscheiden wird, Leonard und Simon sind die Ankläger – sie behaupten, kein Geld gefunden zu haben, wo steckt es also?«

»Ich besitze nichts«, stammelte der Bauer.

»Diese Behauptung ist ein erschwerender Umstand«, sagte mit gerunzelter Stirn Planchard. »Gestehe offen, Dicker, und dir soll kein Leides geschehen.«

Der Bauer öffnete den Mund, aber er sprach nicht, seine Augen traten fast aus den Höhlen hervor. Nur ein Ächzen kam über seine Lippen.

»Gestehe! Gestehe!« donnerte Planchard.

»Ich habe nichts.«

Der Franzose stand auf, seine Augen hatten einen teuflischen Glanz. »Ich weiß, was du denkst, Kerl«, rief er voll Wut. »Du willst das Geld deinen Kindern retten und lieber selbst sterben, als es herausgeben! – Holt doch einmal den jungen Burschen her, ich brauche ihn als Daumenschraube für den Alten!«

Ein halberwachsener Jüngling von vielleicht fünfzehn Jahren wurde aus dem Versteck hervorgezogen und zum Tische geschleift. Planchard legte die nervige braune Faust an den Hals seines Opfers. »Gestehst du, Bauer?«

»Jesus! Jesus! – Das Geld ist nicht im Haus!«

»Wo dann aber?«

»Im Kuhstall – ich will es holen. Lassen Sie mein Kind los!«

»Nicht eher, bis die Summe hier auf dem Tisch liegt Simon und Leonard, ihr geht mit dem alten Sünder!«

Der Bauer, seiner Fesseln entledigt, wollte eben, gefolgt von den beiden Franzosen, das Zimmer verlassen, als draußen ein gellender Pfiff erklang. Eine Hand zerschlug die einzige Fensterscheibe und eine Stimme rief: »Flieht! Flieht! Der Feind ist da!«

Planchard schlug auf den Tisch, daß Teller und Gläser klirrten. »Eine List!« schrie er. »Eine plumpe List! Marsch, hinaus!«

In diesem Augenblick wieherte draußen ein Pferd und der Franzose taumelte vor Schreck, seine Hand ließ die Kehle des jungen Menschen fahren. »Sapristi!« rief er. »Wenn es die Kosaken wären!«

Mehrere der Plünderer stürzten von der großen Diele her durch die Seitentür in das Haus. »Russen!« riefen sie, »Russen! Flieht um Gotteswillen!«

Aber es war schon zu spät. Die Kosaken hatten, auf dem Marsche nach Bremen des Weges ziehend, die verschiedenen Schüsse gehört und waren nähergekommen, um dem Grunde dieser Vorgänge nachzuforschen. Man wußte, daß französische Deserteure überall, wo es ihnen gelang, marodierten, und wollte diesem Treiben möglichst schnell ein Ende bereiten; die kleinen flinken Pferde flogen wie der Wind über die Heide, das Toben des Wetters verschlang den Schall ihrer Hufe und so hatten die Kosaken, bis an die Zähne bewaffnet, das Haus von allen Seiten umzingelt, ehe sich‘s die Franzosen träumen ließen, daß jetzt ihre Stunde schlagen würde. Eine Tür war nicht mehr vorhanden, das Herdfeuer leuchtete in den dämmernden Morgen hinaus und ganz nahe vor dem zerschlagenen Eingang blitzten die Lanzenspitzen der Kosaken. Mit einem lauten Jubelschrei stürzten ihnen die Frauen entgegen – wie jemand, der seines Verstandes beraubt ist, starrte Planchard.

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30 ağustos 2016
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