Kitabı oku: «Machtästhetik in Molières Ballettkomödien», sayfa 2
1.2 Antike und frühneuzeitliche Quellen der Gattung
Die historische Fragestellung darf bei einer Gattungspoetik nicht fehlen, denn sie eruiert die kulturellen Wurzeln und gattungshistorischen Traditionen, die unter dem Gesichtspunkt einer Gattungsfusion1 entscheidend für den Stellenwert der Innovation sind: Die Ballettkomödie stellt im Zeitalter der Querelle des Anciens et des Modernes die aristotelische Mimesis im Sinne einer auf Imitation basierenden Dichtkunst infrage, wenn sie mit einer selbstbewussten aemulatio antwortet. Die Neuartigkeit der Gattung für das französische Theater der Klassik betont Molière im Avertissement von 1661 explizit. Zugleich schränkt er seine Entdeckung ein, wenn er sich im Konjunktiv vage auf mögliche antike Autoritäten beruft: „[C]’est un mélange qui est nouveau pour nos Théâtres, et dont on pourrait chercher quelques autorités dans l’Antiquité […].“ (LF, 150) Charles Mazouer sieht in den fehlenden Angaben etwaiger antiker Autoritäten eine Witzelei Molières. Für ihn handelt es sich um den Spott eines Autors, der selbstbewusst der Regelbesessenheit der gelehrten Pedanten trotzt: „Ce genre tout moderne, apparu dans un contexte bien particulier et bien daté, n’a pas de référence dans l’Antiquité.“2 Wenn Molière tatsächlich eine Witzelei im Sinn gehabt hätte, so ist Mazouer darin zuzustimmen, dass diese auf die Pedanterie der Regelvertreter abzielen wollte. Jedoch schließt das Vorwortzitat mögliche Vorformen der Ballettkomödie nicht aus. Dass Molière selbstsicher die Innovation seines geschaffenen Genres nach außen tragen kann und nicht explizit auf antike Autoritäten zurückgreifen muss, um jenes als ‚neu‘ zu rechtfertigen, liegt unter anderem daran, dass bei aller Neuheit gewisse ästhetische, poetologische und gattungstypologische Regeln der gängigen doctrine classique im weitesten Sinne nicht verletzt werden.3 Ferner bekräftigt er stets die vernünftige Seite seiner Komödien, wie beispielsweise im Premier Placet au Roi von Le Tartuffe: „Le Devoir de la Comédie étant de corriger les Hommes, en les divertissant.“ (LT, 191)
Doch wo liegen die antiken Wurzeln, die Molière in konjunktivischer Form andeutet? In welche literaturgeschichtliche Gattungstradition ließe sich die Ballettkomödie einordnen? Antworten auf diese Fragen findet man zunächst im Ursprung der Komödie, bei den Feierlichkeiten um den Dionysos-Kult in der Stadt Megara im 6. und 5. Jahrhundert vor Christus.4 Der Gott des Weines und der Fruchtbarkeit wurde in den nach ihm benannten Dionysien mehrere Tage lang mit burlesken Prozessionen gefeiert, die mitunter Phallusdarstellungen, tanzende und singende Chöre, Satire- und Sketchspiele enthielten. Die Etymologie des griechischen Wortes κωμῳδία (kômôidia) bestätigt diesen Ursprung: Die kômôidoi sind ursprünglich die „Sänger des kômos“, das heißt der dionysischen Prozession, jene, die einen Text – Vorläufer des Komödientextes – interpretierten und improvisierten.5 Man erkennt in dieser vorliterarischen Form Elemente, die an die Ballettkomödien erinnern: Zu nennen sind Tanz, Musik, Satire, bacchantische Einlagen in den Zwischenspielen, der Improvisationscharakter der Situationskomik, das apotheotische Moment wie auch die kulturelle Funktion eines Festspiels. Letzteres dient am Hof von Ludwig XIV. dessen Repräsentationskultur mit größter Schauwirkung. Diese zunächst noch autonomen Bestandteile der Dionysien bestimmen das Wesen der Ballettkomödie, jedoch in einer in erheblichem Maße verfeinerten und strukturierteren Darstellung.
Die dramatische Struktur wird in der Alten Komödie besonders unter Aristophanes elaboriert und gefestigt.6 Es ist interessant und hinweisgebend für das Verständnis der Intermedientradition zugleich, dass die in der Alten Komödie integrierte Parabase7 bereits die Idee einer Intervention in die Hauptkomödienhandlung erkennen lässt. Die Chorinterventionen sind fester Bestandteil des attischen Theaters mit unterschiedlichen Funktionen: Der Chor ist Betrachter und Kommentator des Geschehens, an welchem er sich zugleich als Akteur beteiligt, indem sein Agieren oftmals eine Art Parallelhandlung zur Haupthandlung darstellt.8 Er interveniert ungleichmäßig in die Handlungsphasen des Dramas, das bis dato noch nicht in Akte unterteilt ist. Im Verlauf der Dramenentwicklung verringert sich seine dramatische und thematische Bedeutung, bis er in der Neuen Komödie auf Zwischenaktmusik reduziert wird.
Zu Beginn der hellenistischen Epoche erschließt sich aus der Alten Komödie eine weitere antike Quelle für die Ballettkomödie, die Neue Komödie von Menander. Sie überzeugt das zeitgenössische Publikum mit ihrem politiklosen Sujet, aber auch mit ihrer Struktur, wodurch sie sich von der Alten Komödie absetzt und eine neue Etappe in der europäischen Komödienentwicklung markiert. Die Neue Komödie charakterisiert sich durch das Verschwinden der Wettkämpfe und der Parabase sowie durch die Reduzierung der Chorinterventionen, die fortan nur noch aus kurzen gesungenen und getanzten Intermezzi zwischen den Akten bestehen und nicht mit der Komödienhandlung verbunden sind.9
Als Ausgangspunkt für das Intermedientheater kann das antike Theater aufgefasst werden. Die molièreschen Intermezzi lassen traditionelle Strukturen des antiken Chors erkennen, da jene ebenfalls eine dramatische und thematische Bedeutung haben und ein Aktionsmoment beinhalten. Dennoch unterscheiden sich die klassischen Intermedien von den antiken Chorinterventionen dahingehend, dass sie keine Reflexionsinstanz im Sinne der Parabase verkörpern und keine die Komödienfiktion sistierenden Interventionen darstellen. Sie bereichern durch Spiegelung, Parodierung, Kontrastierung und Weiterführung die Komödienhandlung. Darüber hinaus stellen sie unter formalem Aspekt eine Aktmarkierung dar. Das verbindende Moment zum antiken Chor muss sonach in einer ästhetischen Verschiebung der dramen- und sujetstrukturellen Relevanz der Intermedien gesucht werden. Molières Einheitsstreben führt insgesamt zu einem Gewinn an neuer dramatischer und thematischer Kontinuität und Konformität,10 womit er sich auch von der Neuen Komödie distanziert. Obschon Menander bereits Musik- und Tanzeinlagen als Bereicherung in seine Neue Komödie aufnimmt, erhebt dieser keineswegs den künstlerischen Anspruch Molières, die Dramen- und Sujetstruktur der Zwischenspiele mit der Komödienstruktur ästhetisch harmonisieren zu wollen. Dies hat zur Folge, dass sich die Ballettkomödie im Hinblick auf ihre Komikästhetik von den beiden antiken Komödientypen unterscheiden wird. Das Aktionspotenzial der Intermedien fließt sonach in die Komödienhandlung mit ein und führt zu einer dynamischen Gesamtdarstellung, die aus Ballett und Komödie synergetisch zusammengefügt ist. Die antiken Maßgeblichkeiten – wie man „autorités“ ebenfalls lesen kann – können aufgrund ihrer hybriden Struktur sowie ihrer inspirierenden Künstefusion für Molière als Referenzpunkt gegolten haben.11
Mit der commedia dell’arte wird die neue Ästhetik des französischen Autors überdies durch eine frühneuzeitliche Quelle inspiriert. Abgesehen davon, dass Molière von Tiberio Fiorelli, dem bekannten Schauspieler dieses auch in Frankreich praktizierten Theaters, einiges über seine später verwendete gestische Ästhetik lernt, interessieren im Zusammenhang mit der binären Struktur der Ballettkomödie vordergründig die lazzi. Die komischen Einlagen, die zum festen Bestandteil dieses Theatertypus gehören, werden immer dann ausgespielt, wenn der improvisierte Spielfluss zu stocken droht und das Hauptspiel neu organisiert werden muss.12 Angesichts des Umstandes, dass den Schauspielern der commedia kein vollständiger Rollentext zur Verfügung steht, sondern nur ein grobes Handlungsschema, ein canavaccio oder scenario, ist die Beherrschung der lazzi ein wichtiges Element des Schauspielerrepertoires. Die Akteure vermögen innerhalb ihrer Typenrolle die komischen Gags situationsbezogen einzusetzen wie auch zu variieren und können damit über Engpässe in der Haupthandlung hinwegtäuschen. Die Schlüsselidee liegt in der situationsbezogenen Integration theatralischer Elemente in den Handlungsverlauf des Hauptspiels, wodurch der Eindruck erweckt werden soll, dass sie tatsächlich dazugehören. Die zunächst unfreiwilligen lazzi erfreuen sich großer Beliebtheit und tragen maßgeblich zur Gattungsspezifik bei. In der commedia dell’arte findet man daher eine weitere Spielart von Handlungsinterventionen, die eher zufällig während der Aufführung entstehen und anders motiviert sind als bei Aristophanes und Menander, denn sie geben nicht Musik- und Tanzeinlagen Priorität, sondern Einlagen schauspielerischen Agierens.
Molière kombiniert die aus der antiken und frühneuzeitlichen Interludientradition der Komödie stammende Trias Musik, Tanz und schauspielerisches Agieren in seinen Interludien. Er verschafft ihnen ein starkes Aktionspotenzial, indem er die Musik- und Tanzeinlagen durch die Einbindung in die Dramen- und Sujetstruktur der Komödie dramatisiert wie auch theatralisiert und über das mimische Moment komisiert.
1.3 Vorklassische und klassische Einflüsse auf die Gattung
1.3.1 Das Französische Ballett
Ein weiterer kultureller wie auch struktureller Einfluss, der die Entstehung der Ballettkomödie begünstigt, ist im ballet de cour1 zu finden, der sich durch seine Mischung aus Musik und Gesang, Rezitativen und Tanz sowie spektakulären Umzügen am Hof auszeichnet:
Les ballets de cour se composaient d’entrées, de vers et de récits. Les entrées étaient muettes; on voyait s’avancer sur le théâtre des personnages dont le poëte avait disposé les caractères, les costumes et les mouvements, en leur donnant à figurer par la danse une espèce d’action. Le programme ou livre distribué aux spectateurs les mettait au fait de ce qu’étaient les danseurs et de ce qu’ils voulaient exprimer. De tout temps on y avait joint quelques madrigaux à la louange des personnes qui devaient paraître dans les divers rôles, et c’était là ce qu’on appelait les vers, qui ne se débitaient pas sur la scène, qui n’entraient pas dans l’action, qu’on lisait, ou des yeux ou à voix basse, dans l’assemblée, sans que les figurants y eussent part, sinon pour en avoir fourni la matière. Les récits, enfin, étaient des tirades débitées ou des couplets chantés par des personnages qui ne dansaient pas, le plus souvent des comédiens, et qui se rapportaient au sujet de chaque entrée.2
Gemäß Anaïs Bazins Definition ist dem ballet de cour nicht der Charakter eines dramatischen Werkes zuzuschreiben; häufig ist er lediglich ein Spektakel, das mit den diversen Künsten zu improvisieren scheint.
Das Hofballett wird mit dem Ballet Comique de la Reine (1581) von Balthasar de Beaujoyeulx im 16. Jahrhundert etabliert. Dieses Ballett dient der monarchischen Propaganda, denn der darin evozierte Aktualitätsbezug zur politischen Lage ist evident: Die Götter überwinden die Zauberin Circe ebenso glorios wie der französische König die Religionskriege. Die im 17. Jahrhundert verstärkte Weiterentwicklung des französischen Tanzspiels ist auf das politische Ereignis der Fronde (1648–1653) zurückzuführen. Inmitten der Regierungskrise repräsentiert der tanzende Dauphin – zum Beispiel im Ballet de la nuit (1653) als mächtiger Apollo – Stärke, Ordnung und Stabilität des monarchischen Systems, das den politischen Unruhen Einhalt gebieten sollte.3 Er gibt den Tanzrhythmus vor und weiß großmächtige Höflinge im Gesellschaftstanz wie auch auf der Bühne zu bändigen. Besonders begnadete Tänzer der Oberschicht haben die Ehre, aktiv auf der Bühne mitzuwirken. Die adeligen Tänzer sind der Inbegriff von Disziplin und dienen mit ihren Auftritten als Paradebeispiel einer vollendeten Systemanpassung und -unterwerfung: „Die Domestizierung und Unterwerfung des gesamten französischen Adels wird im ‚grand bal du roi‘ durch das Zeremoniell stets von neuem sichtbar gemacht und bestätigt.“4 In dieser Zeit setzt sich die Politisierung des Balletts in Frankreich zunehmend durch,5 symbolisiert es doch kulturpolitische Ansichten und legitimiert diese zugleich in ihrer Repräsentation.6 Die machtverklärende Funktion des ballet de cour ist in den comédies-ballets erhalten geblieben, sodass das Erbe der politischen Funktion im neuen Genre fortleben kann.
Zur Ausbildung einer edlen Bewegungsästhetik wird Ludwig XIV. bereits im Kindesalter in seiner, wie sich später zeigen wird, großen Passion für den klassischen Tanz gefördert. Es handelt sich um eine Leidenschaft machtverklärenden Ursprungs, die durch die Gründung der wissenschaftlichen Académie royale de danse im ersten Jahr seiner Selbstregierung institutionell ihren Ausdruck findet. Damit liegt der kulturellen Tanzpraxis erstmals eine wissenschaftlich abgestützte Organisation zugrunde. Die staatliche Verankerung der Tanzeinrichtung fordert die Professionalisierung des Tanztheaters und verstärkt die gesellschaftliche Bedeutung des Tanzes. Das Bestreben und die Entwicklung einer glorreichen Tanzkultur, „die stufenweise Wandlung des Tanzes von höfischer Unterhaltung und Vergnügung zu theatralischer Darstellung“7 unter Ludwig XIV., erklären die tiefe Verankerung des Balletts in der französischen Kulturgeschichte. Der Tanzlehrer Pierre Rameau hebt zu Beginn des 18. Jahrhunderts das Alleinstellungsmerkmal des schönen Tanzes der Franzosen im Vergleich zu den übrigen Europäern hervor:
Nous pouvons dire à la gloire de notre Nation, qu’elle a le veritable goût de la belle Danse. Presque tous les Etrangers loin d’en disconvenir, viennent depuis près d’un siécle admirer nos Danses, se former dans nos Spectacles & dans nos Ecoles; même il n’y a point de Cour dans l’Europe qui n’ait un Maître à danser de notre Nation.8
Im Zuge der Entwicklung des Tanztheaters ändert sich der Austragungsort der Ballette, die Bühne. Ab 1641 werden sie auf einer erhöhten Bühne aufgeführt, womit ein Perspektivenwechsel der Zuschauer einhergeht.9 Diese neue Bühnenkonstruktion sorgt für eine frontal und fluchtpunktartig auf den Herrscher ausgerichtete Choreografie, die den Tanz aristokratischer und pompöser wirken lässt.10 Dem Ballett wird auf diese Weise die gleiche Bühne wie dem Theater zuteil, eine Veränderung, die eine Kombination der beiden Gattungen im Sinne der Ballettkomödie favorisiert.
Da für die beiden Dynastien – Valois und Bourbonen – höfische Feste ein Kernpunkt ihrer politischen Strategie sind, wird die Beherrschung des Tanzes zu einem wichtigen Bestandteil des neuen Adelsideals. Der Tanz steigt zu einem signifikanten Element im System der repräsentativen Öffentlichkeit des Adels und der Selbstrepräsentation der Monarchie auf. Vermittels der Festchoreografie werden die soziale Rangordnung der Höflinge repräsentiert und die aristokratischen Zuschauer ihrerseits in das ideologische System integriert.11 Zudem wird die Tanzfertigkeit in der Ständegesellschaft als Mittel zur Distinktion gegenüber der avancierenden Bürgerschicht eingesetzt. Tanz zählt nach Nicolas Farets L’Honnête homme ou l’Art de plaire à la cour (1630) nebst anderen Bildungsidealen in allen Erziehungslehren zu den „exercices de galanterie“ der Höflinge, ebenso wie die musikalische Betätigung.12 Dergestalt stiftet das Ballett eine soziale und kulturelle Identität im 17. Jahrhundert.
Ferner lassen tanztheoretische Schriften13 aus der Zeit erkennen, dass der Tanz von gesellschaftlichem Vorteil ist, wenn die Tänzer die Harmonie und die Proportionen des Universums nachempfinden und ein Gefühl für Maß und Anstand entwickeln, wovon das soziale Gefüge profitiert.14 Die Ballettertüchtigung als Instrument zur Wesensverfeinerung begünstigt die Zurschaustellung der honnêtes gens am Hof in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Die Art der Selbstpräsentation, der Bewegung, der Gestik und Körperhaltung der honnêtes gens ist nur zu deuten, wenn man versteht, dass ihre Körper durch tägliche Tanzübungen geformt werden. Die daraus resultierende Eleganz trägt zu einem Prestigefetisch der verlorenen politischen Macht bei. Ziel dieser Tanzübungen ist es, die menschliche Natur zur vollkommenen Entfaltung zu bringen. Im damaligen Verständnis ist der Körper eine mechanisch-physikalische Substanz, die es zu modellieren gilt. Im Sinne dieser auf Descartes beruhenden rationalen Funktionalisierung des Körpers muss alles beseitigt werden, was sich dieser entgegensetzt.15 Für den Tanz bedeutet dies, dass Ordnung in die kleinsten motorischen Einheiten und die immer komplizierter werdenden Tanzschritte gebracht werden muss. Die Tanzkunst unterweist die Tanzschüler, eine artifizielle Bewegung so auszuführen, dass sie natürlich erscheint. Die Bewegungsästhetik des 17. Jahrhunderts versteht sich als eine natürliche, als eine der menschlichen Natur angemessene;16 sie wirkt im heutigen somästhetischen Empfinden beinahe paradox. Aufgrund dieses Ausdrucksempfindens ist es für die physische Präsenz in der Gesellschaft von äußerster Wichtigkeit, dass man nicht den Eindruck einer affectation entstehen lässt,17 einer verkrampften Geziertheit, sondern den einer natürlichen Perfektion des Körpers, die auf dem absolutistischen Ordnungsprinzip fußt. Das Ballett ist für seine strenge Formeinhaltung bekannt und spiegelt die strengen gesellschaftlichen Konventionen der Zeit in seinem künstlerischen Ausdruck wider. Es ist das ideale Medium von Herrschafts- und Selbstdarstellung, denn der Tänzer verinnerlicht die Gesellschaftsordnung und kehrt diese aus seinem individuellen Inneren als Selbstdarstellung erneut nach außen.18
Es ist an dieser Stelle festzuhalten, dass der ballet de cour im Komplex von künstlerischem Ausdruck und soziopolitischer Absicht die Funktion erfüllt, den Hof und die höfische Kultur in der Zeit Ludwigs XIV. zu definieren und dem europäischen Ausland Hochschätzung abzunötigen.19 Als bevorzugtes Genre dominiert der ballet de cour bis ins Jahr 1661 die Unterhaltung am Hof. Mit dem Antritt der Alleinregierung sollte sich zusätzlich die comédie-ballet etablieren und mit dem französischen Hofballett koexistieren.20 Der ballet de cour wirkt hinsichtlich seiner soziokulturellen Relevanz auf das Schaffen Molières und damit auf die Ballettkomödien ein. Dieser Einfluss zeichnet sich außerdem durch eine strukturelle Prägung ab, die sich in der hybriden Struktur der Ballettkomödie zu erkennen gibt. Molière gelingt es, im Gegensatz zu den – in Anbetracht mangelnder Synchronisierung von Ballett und Musik – bis dato oft inhaltslosen, unstrukturierten Aufführungen, eine ästhetisch fein abgestimmte Inszenierung zu geben. Die Ballettkomödien schreiben sich somit in die vierte Etappe der Entwicklung des ballet de cour ein, dem Ballett von Isaac de Benserade.21 In der Tat eröffnen Les Fâcheux eine Periode der Koexistenz und bisweilen auch Kooperation zwischen dem inhaltlich und strukturell kohärenteren Ballett von Benserade und den molièreschen Ballettkomödien, die vorherige Tanzkompositionen auf Dauer ersetzen. Dieses Hofballett sticht durch einen dreigliedrigen Aufbau hervor, eine Struktur, die auch in Molières Werken deutlich zu erkennen ist. Nobuko Akiyama fasst sie wie folgt zusammen: „un ou plusieurs récits (partie chantée pour servir à l’intelligence du sujet du ballet), plusieurs entrées (succession de défilés de personnages richement costumés), et le grand ballet final (réunion des personnages des entrées précédentes)“22. Eine ähnliche Beobachtung macht bereits 1641 ein anonymer Zeitgenosse, der in seiner Aussage eine Engführung von Ballett- und Komödienstruktur antizipiert: „Les ballets sont des comédies muettes; les récits séparent les actes, et les entrées des danseurs sont autant de scènes.“23 Über diese strukturelle Verwandtschaft hinaus macht er durch die Gleichsetzung des Balletts mit dem komischen Genre deutlich, dass das Ballett eine verstärkt komisch ausgerichtete Gesinnung haben kann. Neben diesen etablierten Aufführungsstrukturen des Hofballetts finden sich sowohl in den Komödien als auch in den Intermedien des Gesamtkunstwerkes Figuren und Themen des ballet de cour wieder.24 Gemäß der Klassifizierung des Hofballetts in den anonym erschienenen Règles pour faire des Ballets kommen für die Ballettkomödie insbesondere jene Figuren und Themen des galanten (style médiocre) wie auch burlesken (style bas) Stils infrage.25
Das Ballett bekommt in der Ballettkomödie die Funktion einer nonverbalen Sprache innerhalb des Dramentextes zugeschrieben. Man kann mitunter von einer Dramatisierung des Balletts sprechen, von einer Adaptierung des Tanzes an die Gesetzmäßigkeiten der dramatischen Gattung. Dieser Integrationsprozess bringt gleichzeitig eine Theatralisierung des Balletts mit sich, da durch diesen Zusammenschluss eine Vielfalt unterschiedlicher Zeichensysteme entsteht. Im Zuge der Umfunktionalisierung musikalisch begleiteter Balletttänze räumt Molière mit dem zeitgenössischen Dogma auf, dass Musik nur Affekte auszudrücken, aber keine essenziellen dramatischen und theatralischen Bindungen herzustellen vermöge.26 Die dramatische Theatralisierung von Tanz und Musik erzeugt einen semiotischen Mehrwert im Vergleich zum hauptsächlich auf Kostümierung und Bühnenbild ausgelegten frühen Hofballett, das zwar wirkungsvoll und artistisch glänzt, im Grunde aber ohne Handlung ist.27 Unter strukturellem Gesichtspunkt existiert das molièresche Ballett nicht nur im Sinne einer ars gratia artis, sondern ist fester Bestandteil der Komödienhandlung.
Eine zusätzliche Hervorhebung nonverbaler Ausdrucksweise gelingt Molière durch die Integration der in der italienischen Tradition der commedia dell’arte stehenden Pantomimen in den Tanz, womit er eine innovative Richtung in der Tanzkunst einschlägt.28 Der unverkennbare Charakter der Masken generiert ein hohes Maß an allgemeiner Verständlichkeit und zudem eine gewisse Formneutralität, die sich Molière geschickt zunutze macht, indem er das dramaturgische Gerüst des italienischen Erbes mit französischem Eigenleben besetzt.29 Wie bereits an anderer Stelle aufgezeigt, wird der Tanz nicht nur durch die Integration in die Dramen- und Sujetstruktur dramatisiert respektive theatralisiert, sondern insbesondere über das schauspielerische Moment des Agierens komisiert, woraus ein semiotischer und zugleich semantischer Mehrwert für die histoire der Komödie resultiert.