Kitabı oku: «Machtästhetik in Molières Ballettkomödien», sayfa 3
1.3.2 Ballettmusik
Im 17. Jahrhundert wird Musik in drei unterschiedliche Stile klassifiziert – ecclesiasticus, cubicularius und theatralis.1 Letzterer bedarf – da für diese Arbeit besonders von Belang – einer genaueren Erfassung. Musik ist, wie Friedrich Böttger feststellt, zu Zeiten Molières fast immer in Verbindung mit Tanz aufgeführt worden.2 Auf diese Weise hält mit dem Aufkommen des Tanzes auch ein musikalisches Moment Einzug in die französische Kultur. Hans Hahnl drückt das komplexe Verhältnis von Ballett und Musik mit der Leidenschaftsmetaphorik zweier Liebender aus und akzentuiert damit die Tragweite ihrer symbiotischen Verbindung:
Die Musik befreit den Tanz zu sich selbst, sie entfesselt und sie bändigt ihn, sie gibt ihm Gesetze, mit denen er nach Belieben verfahren kann. Sie überwältigt ihn, um von ihm überwältigt zu werden […]; ein lebenslanger Kampf mit Vereinigungen [und] Versöhnungen.3
Die Beziehung zwischen den beiden Künsten manifestiert sich darin, dass musikalische Strukturen wie Rhythmik, Klangfarbe und Dynamik choreografisch materialisiert und vice versa choreografische Bewegungsformen akustisch realisiert werden können; Musik im Ballett kann eine stimulierende Funktion für die Bewegungsaktion, aber auch eine begleitende Funktion haben.4 Ferner korrespondiert jeder Balletttanz mit einem spezifischen Musikstück: „[T]he tempo and meter of the music determine the number of step-units per measure of dance, and the affect of the music by and large determines the affect of the dance.“5
Dieses Zusammenspiel ist von der neoplatonischen Lehre der Universumsharmonie bestimmt, die Musik und Tanz eine wohltuende Wirkung auf die Seele der Zuhörer oder Zuschauer zuspricht und trotz des zunehmend ästhetischen Anspruchs der Hoffeste und der damit verbundenen Ästhetisierung des ballet de cour noch bis ins 18. Jahrhundert Gültigkeit hat.6 Da Musik Leidenschaften auszudrücken vermag, kann sie auch die Seele von diesen reinigen.7 Jean Boiseul schildert die ethische Wirkung von Musik im Jahre 1606 wie folgt:
[L]a musique est un excellent don de Dieu, elle recrée, remet les esprits, chasse la melancholie, appaise la colere, arreste la fureur, esmeut les plus stupides, resveille les abestis, esleve à Dieu, esmerveille les hommes de sa beauté & exellence diverse en toutes sortes, & sa gravité & douceur retire du propos de mal faire, esteint les mauvaises conceptions, incite à la vertu.8
Sichtbar wird Musik in den Ballettbewegungen und kann sonach über zwei Vermittlungskanäle, durch das Ohr und das Auge, auf die Seele einwirken.9 Ihr Ziel ist, so Pierre Bardin 1638, „la continuité de l’harmonie“10, die allumfassende Eintracht. Der philosophischen Gesinnung der Musik geschuldet, wirkt sich diese positiv auf eine konfliktfreie staatliche Organisation aus, die den hohen Stellenwert der Musik dadurch legitimiert sieht, denn, wie der Musiklehrer in Le Bourgeois gentilhomme verkündet: „Sans la Musique, un État ne peut subsister […].“ (BG, 270) Mit der starren Ordnung des Kosmos und der daraus abgeleiteten Ordnung der Musik korrespondiert die statische Anschauung vom Menschen in der Gesellschaft,11 die sich in der absolutistischen Ständegesellschaft widerspiegelt. Der positive Einfluss der Musik auf die Gemütszustände der Rezipienten kann vom Staat als Machtmittel genutzt werden, um die Aspirationen seiner Mitglieder auf den richtigen Weg zu bringen.
Über die enge Verbindung zum Tanz hinaus ist Musik auch in eine nahe Beziehung zur Sprache zu setzen. Im Zuge der Bestrebungen nach Reinheit der französischen Sprache, die das Ziel haben, jeden Gedanken und jedes Gefühl in klarster und subtilster Form wiederzugeben, nähert sich die Musikästhetik den Prinzipien der literarischen Klassik jener Zeit an, denn der klare Ausdruck wird auch zu einem ihrer Grundprinzipien: „kein Klang ohne Sinn […], klare Linien, symmetrische Fakturen, echte Kontraste aus [sic] Ausdruck gegensätzlicher Gedanken oder Gefühle“12. Diese Eigenschaften perfektioniert Lully in seinen Kompositionen für das komische Genre, indem er die französischen Qualitäten des Rhythmus und der buffonesken Fantasie mit den musikalischen Qualitäten der Italiener kombiniert.13 Damit bereitet er die französische Barockmusik mit ihrer Formschönheit und ihrem erhabenen Klang für seine Opern vor, deren dichter Instrumentalsatz ein Spiegel des kompakten, aber dennoch klaren Satzbaus der französischen Sprache ist.14 Bevor Lully diese Symbiose zwischen Sprache und Musik umzusetzen vermag, die Einheit von Text und Ton für seine Musik beansprucht, scheint er zunächst noch den Ansichten der Theoretiker seiner Zeit unterworfen zu sein – insbesondere Bénigne de Bacilly –, die postulieren, dass die Musik keine Prosodie-, Rhythmus- und Akzentfehler in der Sprache hervorrufen dürfe.15 Diese Forderungen zeigen, wie Molière den maître de musique in Le Bourgeois gentilhomme sagen lässt – „Il faut […] que l’Air soit accommodé aux Paroles“ (BG, 269) –, dass sich die Musik den sprachlichen Besonderheiten fügen muss, der Musiker dem Poeten letztlich untergeordnet ist. Diese gattungsgeschichtlich begründete Hierarchie manifestiert die Vorrangstellung der Sprache in den Ballettkomödien und lässt nachvollziehbar werden, warum sich Lully künstlerisch weiterentwickeln wird.16
Darüber hinaus zeugen Molières prosaische Passagen in den Ballettkomödien von einem stark musikalischen Moment:
Elle [la prose, Anm. S.W.] a un caractère particulier, que c’est une prose presque toujours chantante et même, en certains passages, mesurée et rythmée. […] [I]l ne lui suffisait pas que sa prose eût la sonorité du verbe; il voulait qu’elle fût propre à faciliter et à soutenir le débit de l’acteur, qu’elle eût du ton d’une façon générale et continue. […] [I]l mêla à sa prose des vers isolés; c’était comme des clous brillants où s’accrochait le souvenir, comme des points lumineux […]. [U]n vers isolé au milieu de la prose frappe l’oreille du spectateur, réveille son attention et saisit son esprit.17
Molière integriert immer wieder isolierte Verse, zumeist Blankverse, in seine Prosa und verstärkt damit das lyrisch-musikalische Element seiner Texte. Dies hat den Effekt, dass der Wechsel des Schreibstils zwischen den dominant lyrischen Intermedien und der dominant prosaischen Komödie harmonischer, weil kohärenter wirkt. Molière appliziert dieses Kompositionsphänomen weitgehend auf seine Ballettkomödien und etabliert derart einen ästhetischen Übergang zwischen dem gesprochenen und dem gesungenen Wort, den der Zuschauer wohlwollend wahrnimmt: „[L]’oreille est surprise de trouver de la musique où elle n’en attendait pas, et du coup elle en met elle-même plus qu’il n’y en a …“18 Die ‚lyrische Klangprosa‘ bedingt nicht nur den einzigartigen Charakter der comédie-ballet, sondern bestimmt Molières ästhetisches Schaffen im Allgemeinen.
1.3.3 Barocke Dramentypen
Richelieus Umgestaltung Frankreichs in einen absolutistischen Staat bahnt dem neuen Genre frühzeitig den Weg. Seine Reformen beeinflussen insbesondere die Kulturpolitik, ist er sich doch der Wirkungsmöglichkeiten des Sprechtheaters bewusst. Er errichtet im zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts das schönste und größte Theater in Paris, den Palais Royal, und hebt per Dekret im Jahre 1641 die soziale Diskriminierung von Schauspielern auf.1 Bereits elf Jahre zuvor wurde eine institutionelle Voraussetzung geschaffen, die Richelieus Wirken begünstigte: Im Jahre 1630 etablieren sich mit dem Hôtel de Bourgogne, dessen Schauspieler sich auch comédiens du Roi nennen, und dem Théâtre du Marais zwei feste Bühnen in Paris, die der Wanderbühnentradition ein Ende setzen sollten. Im Zuge dieser Institutionalisierung des Theaters wandelt sich das Publikum von ungebildeten Provinzzuschauern zu einem sozial höhergestellten Publikum, zur literarisch-gesellschaftlichen Öffentlichkeit der Hochklassik,2 die sich ungefähr ab der Mitte des Jahrhunderts herauskristallisiert und mit la cour et la ville zusammenfällt. Unter diesem Begriff versteht man nach Erich Auerbach allgemein die aus etwa 6.000 Personen bestehende noblesse d’épée, noblesse de robe sowie einige Angehörige des Großbürgertums, welche die gesellschaftliche Elite und kulturtragende Schicht des 17. Jahrhunderts stellen.3 Das Publikum, an welches sich Molière primär mit seinem Dodekameron richtet, ist la cour. Das erwerbslose Bürgertum gleicht dem adligen Publikum im Bildungsideal und in seiner Funktionslosigkeit, sodass la cour et la ville zu einer geschlossenen Schicht verschmelzen.4 Daher kann davon ausgegangen werden, dass auch Vertreter der haute bourgeoisie den Erstaufführungen der Ballettkomödien beiwohnen. Angesichts des neuen Publikums halten es Richelieu und gelehrte Autoritäten wie Jean de La Bruyère und Jacques Bénigne Bossuet für unumgänglich, das Ende der Farce in Paris zu forcieren, da „bassesse et immoralité des sujets, grossièreté des gestes, saleté des propos“5 der honnêtes gens unwürdig seien. Die traditionelle Farce wird in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts allmählich durch die Komödie ersetzt, wobei gerade in Molières Gesamtwerk farceske Elemente unverkennbar weiterleben.6 Auf diesem neuen kulturellen Boden gedeiht das Sprechtheater. Es etabliert sich dabei eine klassische Theaterkultur und den Höhepunkt komischer Dramatik bilden hier zweifelsohne Molières Komödien.
Die aus Italien stammende Oper, die Mazarin bereits in den 1650er Jahren in Frankreich einführt, existiert in der Gründungszeit des neuen Genres und beeinflusst es in dem Unterfangen, unterschiedliche Künste miteinander kombinieren zu wollen. Im Gegensatz zur comédie-ballet sind die Opern aber in der Tradition der Tragödie geschrieben und unterscheiden sich von ihr durch eine stärkere Betonung der gesungenen Partien. Quinault und Lully experimentieren in dieser Zeit mit diversen Künsten unter den Bezeichnungen tragédie en musique und tragédie lyrique,7 die als erste Versuche einer französischen Oper zu betrachten sind: „[Ils] voulaient ‚marier‘ la poésie et la musique, reconnaissant entre ces deux arts une correspondance fondée sur une métrique commune.“8 Sie setzt sich noch nicht durch, da die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts verliehenen Theaterprivilegien diesen Versuchen ein Ende setzen sollten. Außerdem erlischt mit Mazarins Tod 1661 auch das Interesse an der italienischen Kultur in Frankreich.9 Somit kann mit dem politischen Umbruch im selben Jahr, der mit dem Regierungsantritt Ludwigs XIV. einhergeht, auch ein Umbruch in der dramatischen Kunst die Ära der Ballettkomödie einläuten, die nun bis zum Jahre 1672 unter der Direktive Molières aufblühen wird. Die politischen und kulturellen Umstände führen dazu, dass Molière zum offiziellen Repräsentanten der Ballettkomödie avanciert. Danach sollte sich das Blatt wenden und Lully das Kunstpatent der Académie royale de Musique zuteilwerden und die französische Oper die Ballettkomödie substituieren.10
Neben den rein tragischen Genres entwickelt sich zeitgleich die barocke Komödie, die sich stark an spanischen Vorbildern orientiert und sich wie diese für Musik- und Tanzeinlagen öffnet. In diesem Zusammenhang sind es Sallebray und Jean de Rotrou, die mit ihren Theaterstücken auf sich aufmerksam machen. Georges Forestier analysiert einige ihrer Werke als „comédie[s]-ballet[s] avant la lettre“11 und postuliert mit seiner These ein enges Verwandtschaftsverhältnis zu Molières Ballettkomödien, das hier genauer zu eruieren ist. Während sich Sallebray in der Tragikomödie La Belle Égyptienne (1642) damit begnügt, das Ballett ans Ende seiner Komödie zu setzen, um damit die anstehende Hochzeit der Heldin zu feiern, experimentiert Rotrou beispielsweise in La Belle Alphrède (1637) mit der Integration von Balletteinlagen innerhalb der Geschichte. Leider sind diese Versuche in La Belle Alphrède nicht immer geglückt, wie Jacques Scherer in Bezug auf die inkohärente Integration der zweiten Tanzeinlage (Akt V, Szene VI) in die Komödie konstatiert: „[Elle est] inadmissible si l’on prenait au sérieux la fiction théâtrale […].“12 Die thematische Untragbarkeit, die hier angeprangert wird, zeugt von einer dramatischen Autonomie, die auch in weiteren Handlungsepisoden dieser barocken Komödie zutage tritt.13 Selbst die Tatsache, dass die spärlich und zufällig eingestreuten Balletteinlagen nicht zwangsläufig zwischen den Akten erscheinen, unterscheidet diese barocken Vorläufer von der strukturierten klassischen Ballettkomödie, die auf eine Werkkohärenz hin komponiert ist. Des Weiteren integriert Molières Neuschöpfung unter dem klassischen Duktus der Schauspieleintracht anspruchsvollere wie auch umfangreichere Balletteinlagen. Dieses Alleinstellungsmerkmal weist den Intermedien ein zusätzliches Aktionspotenzial zu, das einen semantischen Mehrwert für die Gesamtdarstellung einbringt, wohingegen sich die barocken Zwischenspielkompositionen auf einen ornement zur Komödienhandlung beschränken, auf eine semiotische Bereicherung. Gemein ist den beiden Komödientypen des 17. Jahrhunderts der spektakuläre Charakter ihrer Balletteinlagen, den Molière aber durch den festlichen Aufführungskontext seiner Werke noch übertrumpfen wird. Trotz ihrer ästhetischen Unvollkommenheit sind sie Wegbereiter für Molières comédie-ballet und setzen ein erstes Zeichen in der französischen Kunst der Komödienkomposition.
1.4 Die Herausbildung einer neuen Intermedialität – der nouveau langage théâtral
Antike Strömungen, frühneuzeitlicher italienischer Einfluss, das französische Hofballett und barocke Dramentypen bestimmen in Abstimmung mit dem Zeitgeist der französischen Klassik das strukturelle Wesen der Gattung. Die meisten Mischgattungen entwickeln sich zur französischen Oper und forcieren die Musikalität, während sich Molières Hauptaugenmerk auf das Sprechtheater richtet – an erster Stelle steht bei ihm immer noch die Komödie – und er die beiden anderen Theaterformen als artistische Bereicherung integriert. Dieser Fokus initiiert eine noch nie zuvor dagewesene Ausdrucksform der französischen Komödie, letztlich eine neue Theatersprache:
Nous avons donc très clairement des éléments des trois domaines majeurs de toute langue, intégrés dans une fonction poétique qui trace de nouvelles dimensions. Tout ceci forme ce que je crois valoir le nom d’un nouveau langage théâtral.1
Dieser nouveau langage théâtral bildet sich durch die Integration der Intermezzi in die Dramen- und Sujetstruktur der Komödie heraus, sodass Musik und Tanz dramatisiert und theatralisiert werden können. Die beiden hauptsächlich in den Interludien eingesetzten Künste übersetzen das Darzustellende in die Semantik ihrer jeweiligen Sprachen; die Musik in Klänge, der Tanz in Bewegung.2 Dieser semiotische wie auch semantische Mehrwert des nouveau langage théâtral lässt ein gesteigertes Aktionspotenzial auf der französischen Bühne des 17. Jahrhunderts aufkommen, das eine neue, komische Lesart dieser nonverbalen Handlungselemente ermöglicht: Die für die Ballettkomödie spezifische Dramenstruktur weist in Richtung eines neuen ontologischen Komikverständnisses, denn zusätzlich können Musiker und Tänzer zu komischen Effekten beisteuern und neue Kommunikationsprozesse generieren. Patrick Dandrey spricht in diesem Zusammenhang von einem Wendepunkt in der Komödienentwicklung in der französischen Klassik:
Le genre de la comédie-ballet se serait […] offert opportunément pour incarner cette conception nouvelle du rôle de la dramaturgie comique, qui aurait à partir de là tourné le dos à l’esthétique du ridicule pour s’accommoder de la folie des hommes et la transcender en fantaisie débridée à la faveur des divertissements fantasques du ballet de cour.3
1.5 Zeitgenössische Reaktionen auf und poetologische Reflexionen über die Ballettkomödie
Zeitgenössische Äußerungen zum Fortschrittscharakter der Ballettkomödie sind im Gegensatz zu den meisten Lobeshymnen der Literaturkritiker heutigen Datums eher rar, weil noch wenig Sensibilität und Bewusstsein im Hinblick auf die Anerkennung der Ballettkomödie als eigenes Genre herrschte. Die Berichterstattungen des königlichen Sekretärs André Félibien sprechen neben diversen Artikeln zeitgenössischer gazettes in der Regel jedoch positiv von diesem Gesamtkunstwerk. Dementsprechend wurde beispielsweise die nach heutigem Empfinden schwierig zu erfassende Handlungseinheit der Ballettkomödie George Dandin von Félibien begeistert aufgenommen, obschon sie eine eigenständige Pastorale enthält:
[I]l est certain qu’elle [la pièce, Anm. S.W.] est composée de parties si diversifiées & si agreables qu’on peut dire qu’il n’en a guere paru sur le Theatre de plus capable de satisfaire tout ensemble l’oreille & les yeux des spectateurs. […] Quoy qu’il semble que ce soit deux Comedies que l’on jouë en mesme temps, dont l’une soit en prose & l’autre en vers, elles sont pourtant si bien unies à un mesme sujet qu’elles ne font qu’une mesme piece & ne representent qu’une seule action.1
Die Kombination aus Prosa- und Versdichtung scheint keinen negativen Einfluss auf die Wahrnehmung der Aufführung als Gesamtkunstwerk zu haben, denn das Zitat zeugt von einer empfundenen Eintracht seitens des Hofsekretärs. Ferner liest man in der gazette vom 12. Oktober 1669 einen Kommentar zur Premiere von Monsieur de Pourceaugnac, welcher bereits eine Sensibilität für die gattungstypologischen Eigenarten erkennen lässt, allerdings weder den Autor noch den Komödientitel erwähnt:
[Leurs Majestez] eurent celui d’une nouvelle Comédie, par la Troupe du Roy, entremeslée d’Entrées de Balet, & de Musique, le tout si bien concerté, qu’il ne se peut rien voir de plus agréable. L’Ouverture s’en fit par un délicieux Concert, suivi d’une Sérénade, de Voix, d’Instrumens, & de Danses: & dans le 4e Intermède, il parut grand nombre de Masques, qui par leurs Chansons, & leurs Danses, plurent grandement aux Spectateurs. La Décoration de la Scène, estoit, pareillement, si superbe, que la magnificence n’éclata pas moins en ce Divertissement, que la galanterie.2
Die Zeichenpluralität höfischer Feste, die mit Blick auf den Aufführungskontext der Ballettkomödie eine zentrale Rolle spielt, erschwert die Destillierung und Abgrenzung des Genres von rein karnevalesken Veranstaltungen. Das Zitat erweckt eher den Eindruck einer heterogenen Darbietung als einer durchstrukturierten Ballettkomödie. Die zeitgenössischen Unsicherheiten bei der Bewertung der Gattung rühren überwiegend daher, dass dem existierenden Signifikat kein entsprechender, offiziell gültiger Signifikant zuzuordnen ist; überdies sind Unsicherheiten bezüglich der Autorenschaft gegeben, die sich aus dem Zusammenwirken der unterschiedlichen Künstler ergeben. Die Beschreibung verweist des Weiteren ausschließlich auf die Intermezzi, die Komödienhandlung bleibt unerwähnt. So vage das zeitgenössische Empfinden für die Kennzeichnung des Gattungsgefüges ist, so einmütig zeigt sich die Begeisterung für die künstlerische Performance sowie die Wahrnehmung der Einträchtigkeit. Das Streben nach Einheit entspricht der poetologischen Intention des molièreschen Dodekamerons, das den goût der Zeit trifft und über den plaire seitens der Zuschauer als willkommenes Echo auf den Autor zurückstrahlt.
Neben Zeitzeugenberichten interessieren unter gattungspoetologischem Aspekt gängige Wörterbücher und Regelpoetiken des 17. Jahrhunderts, die im besten Fall Definitionen und ästhetisches Verstehen der Zeit liefern oder auch aufgrund von Desiderata aufschlussreich sein können. Allgemein lässt sich zu den theoretischen Abhandlungen der Komödie anführen, dass sie in jener Zeit lediglich peripher betrachtet werden.3 Von Molière gibt es überdies, wie erwähnt, keine ausgeführte Poetik zu seinem dramatischen Werk, ja er belustigt sich sogar in der préface zu Les Précieuses ridicules über die poetologischen Bestrebungen seiner Zeitgenossen:
[S]i l’on m’avait donné du temps, […] j’aurais pris toutes les précautions, que Messieurs les Auteurs, à présent mes confrères, ont coutume de prendre en semblables occasions. […] [J]’aurais tâché de faire une belle et docte Préface, et je ne manque point de Livres, qui m’auraient fourni tout ce qu’on peut dire de savant sur la Tragédie, et la Comédie, l’Étymologie de toutes deux, leur origine, leur définition, et le reste. (PR, 4)
Molières poetologische Intentionen sind meist nur kurzen Widmungsbriefen zu einzelnen Stücken, knappen Vorwörtern zu seinen Komödien oder metapoetischen Zitaten in seinem Primärwerk zu entnehmen. Unter Berücksichtigung der fehlenden Gattungsbezeichnung verwundert es zudem nicht, wenn Theoretiker und Kritiker in ihren Traktaten, im Gegensatz zu seinen anderen Komödien, den Ballettkomödien per definitionem keine Existenz einräumen.
Es gibt diverse Gründe, der Ballettkomödie die Anerkennung als eigenständige Gattung ab ovo streitig zu machen. Da wären die Bezeichnungsproblematik aufgrund der Hybridität der Gattung, die oft dazu führte, die Komödie ohne die Intermezzi zu beurteilen oder vice versa, der Auftragscharakter und die damit verbundene Institutionalisierung der Stücke, die häufig durch ihre vorgegebenen Rahmenbedingungen die Originalität der Künstler infrage stellte, das Zusammenwirken verschiedener Künstler und Kunstformen wie auch die damit einhergehende Autorenschaftsfrage, die Sujetheterogenität der Ballettkomödien sowie der Rahmen der königlichen Feste, in denen sie zwar eine Glanznummer waren, aber nicht alleinig für das Divertissement sorgten. Demgemäß lassen sich in den federführenden Wörterbüchern von César P. Richelet und Antoine Furetière aus jener Zeit keine Einträge zu den comédies-ballets oder zu anderen vergleichbaren, sich auf diese Kreation beziehenden Bezeichnungen finden.4 Dieser Mangel ist selbstverständlich hinderlich für die Erforschung einer Gattungsrezeption durch zeitgenössische Kritiker, sodass man nach weniger expliziten, aber trotzdem verbindlichen Hinweisen zur Eigentümlichkeit der Gattung suchen muss. Zu diesem Zweck können Abbé d’Aubignacs La pratique du théâtre von 1657 und Nicolas Boileau Despréaux’ Art poétique von 1674 herangezogen werden, spiegeln diese theoretischen Schriften doch wie keine anderen Werke das poetologische Verständnis des classicisme français wider. In diesen Traktaten können Hinweise auf geltende Regeln für die Komödie gesucht werden, die auch für die Ballettkomödie von Bedeutung sind.
Die klassische Ästhetik ist von einem „caractère anti-baroque“5 beeinflusst und setzt sich aus Rationalismus6, Harmoniebestrebungen durch Maßhaltung und Symmetrie, Schönheit sowie der Imitation der menschlichen Natur und antiker Vorbilder zusammen. Als Regelwerk der klassischen Literatur fasst die doctrine classique diese Ästhetik konkret zusammen. Sie beinhaltet für die Dramatik die Einheit der Zeit, des Ortes und der Handlung sowie die beiden Kriterien vraisemblance und bienséance. Die vraisemblance orientiert sich am aristotelischen Mimesis-Begriff. Roger de Piles sieht in der vraisemblance ein starkes Wirklichkeitsprinzip gegeben, ja spricht er diesem Konzept sogar eine Übersteigerung des Wahrheitsanspruches zu, denn: „[C]e beau vraisemblable […] paroît souvent plus vrai que la vérité-même […].“7 Der Begriff zeugt zudem von einem strukturellen Anspruch, indem er eine Kohärenz zwischen den unterschiedlichen, das Theater konstituierenden Elementen einfordert – die einträchtige Trias von Raum, Zeit und Handlung – und das Arbiträre ausschließt.8 Die vraisemblance-Forderungen bilden mit der Ergänzung und Modifizierung seitens der bienséance-Forderungen, welche eine Klassifizierung in die ästhetischen, moralischen und politischen Normen der Zeit beinhalten, die Basis für die nachgeordneten Regeln der drei Einheiten. Das poetologische Regelsystem des 17. Jahrhunderts zielt daraus resultierend auf eine sich an der aristotelischen Poetik orientierende Dichtungskonzeption ab – gegründet auf Ordnung und Vernunft –, welche die Dichtung so versteht, dass sie durch ästhetisches Vergnügen und emotionale Rührung zur sittlichen Besserung und Erziehung des Menschen beiträgt:9 „[L]e théâtre est aujourd’hui devenu une école de vertu et une censure du ridicule des hommes […].“10 Die aristotelische Poetik bildet die poetologische Basis für das gesamte klassische Theater in Frankreich.
In La pratique du théâtre widmet sich d’Aubignac in seinem dritten Buch im vierten Kapitel Des Chœurs dem strukturellen Element des Chors im antiken Theater. Hinsichtlich der Gattungsspezifik interessiert hierbei weniger dessen Funktion, sondern vielmehr seine inhaltliche wie auch strukturelle Verbundenheit mit der Komödie und deren Einschätzung durch den Theoretiker, um daraus eine hypothetische poetologische Legitimation für Molières neue Gattung ableiten zu können. Am Beispiel des antiken Komödiendichters Aristophanes lobt der Abbé die sujetkonforme Integration des Chors in die Komödienhandlung, da sie das Prinzip der vraisemblance aufs Höchste erfülle:
S’il [le chœur, Anm. S.W.] le faillait inventer, ils [les principaux acteurs, Anm. S.W.] le cherchaient toujours conforme à la nature du Sujet, et selon que plus vraisemblablement qu’il pouvait être. Ce qu’Aristophane a très ingénieusement observé dans la Comédie, ayant fait un Chœur de Grenouilles qui chantent, tandis que Bacchus passe le Styx dans la barque de Caron; un autre de Frelons, ou Mouches guêpes dans la maison de Philocleon, dont son fils le veut empêcher de sortir: Imaginations certes très ridicules, mais Comiques, et où la vraisemblance est bien gardée; il invente fort bien pour faire rire, et ne contrevient point aux maximes de son Art.11
Zugleich verweist der Abbé auf die aus den musikalischen Interventionen resultierende komische Wirkung und definiert somit indirekt die besondere Komikästhetik, die aus der Verbindung von musikalischen und sprachlichen Elementen hervorgeht und für die Interpretation von Molières Intermedialitätskonzept entscheidend ist. D’Aubignac scheint keinen Anstoß an der Parallelität von Chornebenhandlung und Komödienhaupthandlung zu nehmen, solange das Wahrscheinlichkeitsprinzip gewahrt bleibt. Er geht außerdem davon aus, dass es möglich sei, den Chor – „le plus superbe ornement du Théâtre“ –12 im Theater der Klassik wiederzubeleben, merkt aber an:
Il serait nécessaire d’avoir des Musiciens et des Danseurs capables d’exécuter les inventions des Poètes, à la façon de ses Danses parlantes et ingénieuses des Anciens; ce que j’estime presque impossible à nos Français, et très difficile aux Italiens.13
Schon vier Jahre nach der Publikation seiner Theaterfibel zeigt sich, dass d’Aubignac mit seiner Einschätzung daneben lag, weil das französisch-italienische Duo Molière und Lully diese alte Tradition im französischen Theater wieder etabliert, sie zu einer kulturspezifischen Dramenästhetik umformt und perfektioniert. Es wäre zu spekulativ, sich über d’Aubignacs Ansichten zur Ballettkomödie zu äußern, aber bezüglich der poetologisch für die Klassik verbindlichen Einheitsregel bleibt festzuhalten, dass Molière diese sowohl strukturell als auch im Sinne der vraisemblance weitestgehend erfüllt. Er lässt sich aber nicht zum Knecht der Regeln machen und entscheidet sich in seinen Ballettkomödien zugunsten der innovatio, die für das Publikum überraschende variatio.
Auch in Boileaus als Versepistel verfasster Poetik Art poétique ist ein zur Norm gewordener Hinweis auf die Komödienstruktur zu finden: „Les scènes toûjours l’une à l’autre liées [pour avoir, Anm. S.W.] son nœud bien formé.“14 Diese verpflichtende Regel, eingeleitet durch ein obligatorisches „il faut“15, lässt sich auf das neue Genre applizieren, denn sie kongruiert mit derselben Anforderung, die Molière in Anbetracht der dramatischen Verflechtung von Zwischenspiel und Komödie an sich selbst stellt; dahinter steckt das Prinzip der trois unités der doctrine classique. Trotz dieser die Dramenstruktur betreffenden Leitprinzipienkonkordanz ist es erstaunlich, dass Boileau Molière nicht nur aufgrund seiner menschlichen, sondern auch aufgrund seiner ästhetischen Qualitäten die freundschaftliche Treue hält.16 Er konfrontiert seinen Freund zwar öfters mit dem Vorwurf, zu sehr „ami du peuple“17 zu sein, also den demotischen Elementen der Farce und der commedia dell’arte zu große Spielräume in seinen Theaterstücken einzuräumen, mithin der ästhetischen wie auch moralischen bienséance nicht gänzlich nachzukommen. Gleichzeitig scheut Boileau nicht davor zurück, Molières Genie ausgiebig zu würdigen. So bekundet er in seinen Versen bewunderungsvoll:
Rare et fameux Esprit, dont la fertile veine
Ignore en écrivant le travail et la peine;
Pour qui tient Apollon tous ses trésors ouverts,
Et qui sçais à quel coin se marquent les bons vers.
Dans les combats d’esprit sçavant Maistre d’escrime,
Enseigne-moi, Molière, où tu trouves la rime.
On diroit, quand tu veux, qu’elle te vient chercher.18
Des Weiteren steht in Boileaus erstem Gesang das Stilprinzip der varietas an exponierter Stelle. Schließlich sei dies geeignet, die Kunst durch eine glückliche Mischung an Stilen zu bereichern, um somit dem literaturästhetischen ennui entgegenzuwirken:
Voulez-vous du public mériter les amours?
Sans cesse en écrivant variez vos discours.
Un stile trop égal et toûjours uniforme,
En vain brille à nos yeux, il faut qu’il nous endorme.19
Diesen Ratschlag richtet er an die Dichter seiner Zeit. Molière scheint die Publikumsliebe verdient zu haben, treffen doch der gemischte Charakter seines nouveau spectacle und die diesen charakterisierende Lebhaftigkeit den goût mondain der Zuschauer in einer durch die zeitgenössischen Uniformitätsbemühungen der Künstler immer eintöniger werdenden Kunstlandschaft. Zugleich zeigt sich hierbei implizit das ästhetische Prinzip der aemulatio, welches les modernes an Molière wertschätzen. Als Hintergrund und Quintessenz dieser poetologischen Emanzipation der Modernen kann folgendes Zitat Saint-Evremonds gelten: „Il faut convenir que la Poetique d’Aristote est un excellent ouvrage: cependant il n’y a rien d’assez parfait pour régler toutes les Nations & tous les siécles.“20