Kitabı oku: «Lords of the Left-Hand Path», sayfa 3

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Historisch wurde der linkshändige Pfad des öfteren mit den Methoden identifiziert, von denen man glaubte, dass er sie anwendet, darunter Nekromantie (die Befragung der Toten für wahrsagerische Zwecke) und Sexualmagie (es scheint, dass der rechtshändige Pfad immer ein Problem mit Sexualität gehabt hat). Tatsächlich gibt es in den verschiedenen linkshändigen Traditionen des Ostens wie des Westens keine kategorischen methodischen Vorschriften. Methoden werden gewöhnlich aus rein pragmatischen Gründen gewählt. Wenn etwas funktioniert, wird es weiterhin angewandt. Es gibt oft eine starke antinomistische Tendenz in der magischen Methodologie des linkshändigen Pfades. Gegen den Kernbestand gesellschaftlicher Konventionen oder natürlicher Grenzen vorzugehen, wird oft als bewusste Prüfung der Göttlichkeit, welche der menschlichen Natur innewohnt, gesehen. Dieser Aspekt muss in einem sehr weiten Sinne verstanden werden, zumal einige Verhaltensweisen, die – wie die übermäßige Einnahme von Drogen – als antinomistisch bzw. gegen gesellschaftliche Übereinkünfte oder Anstandsregeln gerichtet erscheinen, von den meisten gebildeten Praktizierenden des linkshändigen Pfades im Westen abgelehnt werden. Die theoretische Grundlage dieser Ablehnung liegt darin, dass solche Gifte die Ausübung des freien Willens und die Ausbildung des eigenen Selbst beeinträchtigen, die beide zusammen aus der Sicht des linkshändigen Pfades die größten Potentiale darstellen. Von diesem Standpunkt aus wären Drogen eher geeignet, das Ziel der Selbst-Auslöschung im Sinne des rechtshändigen Pfades herbeizuführen.

Eine andere Weise, in der Schwarze Magie historisch manchmal von Weißer unterschieden wurde, ist die Klassifikation der Wesenheiten, von denen gesagt wurde, dass der Magier mit ihnen Umgang habe. Weiße Magier würden demgemäß nur „engelhafte“ Wesen anrufen, Schwarze hingegen „dämonische“. Selbstverständlich beruht diese Vorstellung auf den mittelalterlichen christlichen Angelologien und Dämonologien, und häufig findet man in den alten Grimoires beschrieben, wie dämonische Kräfte durch die Macht des Namens Gottes gezwungen wurden, alles zu tun, wozu der Magier sie aufforderte, was beinahe alles sein konnte. Engel können dazu gebracht werden, Dämonen zu verführen oder zu töten, um Weisheit zu erlangen oder um eine verborgene Wahrheit zu enthüllen. Aus der Sicht des linkshändigen Pfades selbst wird man eine solche Unterscheidung als Heuchelei betrachten. Das Augenmerk wird auch hier weniger auf das „Wie“ als vielmehr auf das „Warum“ gerichtet.

In dieser Hinsicht wurde die Schwarz-Weiß-Unterscheidung in der Geschichte manchmal auf Gutes bewirkende Magie bzw. auf Schadenszauber bezogen: Magie, die jemanden schädigt, ist schwarz; Magie, die dazu dient, zu heilen oder sonstiges Gutes zu tun, ist weiß. Diese Unterscheidung ist immerhin in einigen Aspekten gültig. Die einzigen Probleme aus Sicht des linkshändigen Pfades sind erstens, dass sie keine wesentlichen kosmologischen oder theologischen Fragen bezüglich der beiden Pfade anspricht, und zweitens, dass sie generell unrealistisch ist. „Weiße Magier“, haben, auf die Probe gestellt, gewöhnlich kein Problem damit, Gott oder die Engel zu bitten (oder zu zwingen), ihnen den Sieg über ihre Feinde zu verleihen und die „teuflischen Widersacher“ (d. h. jeden, der ihnen im Weg steht) zu vernichten. Der linkshändige Pfad sieht Magie als eine Technik oder Methodologie menschlichen Handelns an; an und für sich ist Magie neutral gegenüber moralischen Werten. Mit anderen Worten: Nicht Magie tötet Menschen, sondern der Magier tötet Menschen. Der Gebrauch Schwarzer Magie kann als geleitet von denselben ethischen Standards wie alle anderen Arten menschlichen Handelns betrachtet werden. Der Schwarze Magier lehnt es allerdings ab, sich in seiner Anwendung magischer Mittel einschränken zu lassen, einzig weil diese Tätigkeit zu einer Klasse von Verhaltensweisen gehört, die von orthodoxen Religionen gewöhnlich verdammt werden. Wenn ein Ziel mit irgendwelchen Mitteln schwer erreicht werden kann, dann ist völlig gerechtfertigt, Magie anzuwenden, wenn es denn nötig ist, dass Ziel zu erreichen. Wenn ein Krieg schwerlich zu gewinnen ist oder jemand triftige Gründe hat, sich gegen einen Angriff zu verteidigen, dann wird der Schwarze Magier kein Problem darin sehen, seinen Feind zu beseitigen. Er sieht also nichts als Heuchelei auf Seiten Weißer Magier, die aus denselben Gründen beten oder physische Mittel anwenden, während sie den Schwarzen Magier als böse verfluchen. Der Gebrauch Schwarzer Magie ist einfach nur eine logische Übertragung menschlicher Motive in den Bereich der Magie.

Schließlich gibt es die fundamentale Unterscheidung zwischen den beiden Pfaden, diejenige von Vereinigung versus Nicht-Vereinigung, die wir bereits behandelt haben. Auf dieser Grundlage können auch die anderen, fehlgeleiteten Unterscheidungen am besten verstanden werden. Vom Standpunkte magischer Unabhängigkeit aus ist der Schwarze Magier in der Lage, jede magische Technik ganz pragmatisch anzuwenden, wie es ihm beliebt, mit jeder Art von Wesenheit umzugehen (bzw. meistens eher, sich vom Umgang mit äußeren Entitäten zurückzuziehen), und jedes gewünschte Ziel zu verfolgen – in jeder Hinsicht von einem innerlichen Verständnis seiner Zwecke und seiner Verantwortung geleitet. Äußerste spirituelle Unabhängigkeit ist das wesentliche Merkmal des linkshändigen Pfades. Aus der Freiheit, die damit einhergeht, folgt die Möglichkeit unethischen Verhaltens. Das ist freilich der Preis der Freiheit.

Zwar ist im Einzelfall nicht leicht nachzuweisen, ob der linkshändige Pfad verfolgt wird, aber wenn seine Prinzipien erst einmal bekannt sind, dürfte allmählich deutlich werden, wie breitgefächert seine Philosophie ist. Im vorliegenden Buch konzentriere ich mich auf solche Schulen und Persönlichkeiten, die sich entweder selbst als Anhänger des linkshändigen Pfades (wie im Tantrismus, in der Church of Satan oder im Temple of Set) bekannt haben oder die von ihm wissen und ihn, aus der Perspektive des linkshändigen Pfades selbst betrachtet, praktiziert zu haben scheinen, auch wenn sie sich (zumindest öffentlich) von ihm distanziert haben (z. B. H.P. Blavatsky oder Aleister Crowley). Die grundlegenden Auffassungen des linkshändigen Pfades haben jedenfalls weit über den Bereich magischen und okkulten Handelns hinaus die Jahrhunderte durchdrungen. Viele antike Philosophien beruhten auf Prinzipien, die sie mit dem linkshändigen Pfad teilten, und es geschah erst mit dem Aufkommen des Christentums, dass diese Philosophien entweder unterdrückt oder soweit christlich umgedeutet wurden, bis sie genehm waren (vgl. den Kult Odins oder insbesondere die pythagoräische/​platonische Philosophie). In neuerer Zeit haben moderne philosophische Systeme und politische Ideologien wesentliche und fundamentale Prinzipien des linkshändigen Pfades vollständig übernommen, die fast alle zu allgemein akzeptierten Normen der westlichen Welt wurden. Es ist leicht verständlich, dass die Mächte des orthodoxen Christentums jeden Fortschritt in der Wissenschaft, der Politik oder der Religionsphilosophie bekämpften, da jeder Schritt zu mehr spiritueller Freiheit und jede Stärkung pluralistischer Interessen gegenüber den Kräften der Einheit in der Tat ein Sieg des Fürsten der Finsternis – des Prinzips der isolierten Intelligenz – über die monolithische, einzige Gewalt des göttlichen Gebotes ist.


KAPITEL 2
Die östlichen Traditionen

Ich beschaue in meinem Herzen die furchtlose Göttlichkeit leuchtender Dunkelheit.

Shivatoshini 1. 1. 14 –

Der linkshändige Pfad im Osten

Dem westlichen Leser wird eine Betrachtung des linkshändigen Pfades vor dem Hintergrund rechtshändiger religiöser Vorstellungen des Ostens sehr schnell und auf eine einzigartig objektive Weise zeigen, worin die eigentlichen strukturellen Merkmale dieses Pfades liegen. Sie hat den zusätzlichen Vorteil, sich dabei innerhalb eines Kulturkreises zu bewegen, der den Zielen und Motiven des linkshändigen Pfades gegenüber verhältnismäßig tolerant eingestellt war. Wenn wir uns dem linkshändigen Pfad zunächst aus der Perspektive östlicher Traditionen zuwenden, können wir außerdem schon einige Probleme lösen, die uns später noch beschäftigen werden. Eine Annäherung über den Osten wird einige der konfusen Argumentationsstränge entflechten, die dem zuweilen hoffnungslos verwirrten Gemenge der historischen Quellen des linkshändigen Pfades im Westen entstammen. Womöglich wird auch deutlich, dass die strikte Trennung „östlicher“ und „westlicher“ Traditionslinien einfach deshalb vorgenommen wurde, um bestimmte Ideen in einer klaren und geordneten Form präsentieren zu können. Der linkshändige Pfad ist eine immer wiederkehrende Antwort auf menschliche Fragen jenseits der Beschränkungen von Raum und Zeit.

Ich möchte hier diejenigen Traditionen als „östlich“ bezeichnen, die ihre Ursprünge im indo-iranischen Kulturkreis Süd- und Zentralasiens haben, d. h. Hinduismus, Buddhismus und Zoroastrismus.

Die Ost-West-Unterscheidung löst sich auf, wenn man die ursprünglich gemeinsamen Wurzeln beider Zweige erkennt, die im Substrat der indoeuropäischen Weltanschauungen liegen. Dadurch wird dann auch das kulturübergreifende Wesen des linkshändigen Pfades offensichtlich. Die Prinzipien, die die Trennung zwischen links- und rechtshändigem Pfad unterlaufen, finden sich über ein weites kulturelles Spektrum verteilt in der gesamten Weltgeschichte. Die wahren Herren des linkshändigen Pfades erwuchsen zu allen Zeiten an jedem Ort der Welt und können keiner bestimmten Epoche oder Region allein zugewiesen werden.

Die ältesten kulturellen Wurzeln der indo-iranischen (arischen) Religion und Philosophie sind nicht auf dem indischen Subkontinent selbst, sondern im Kaukasusraum sowie in den Steppen des heutigen südlichen Rußland zu finden. Es war aller Wahrscheinlichkeit nach diese Region, von der während des vierten Jahrtausends v.u. Z. die Migration dort heimischer Völker in mehreren Phasen ihren Ausgang nahm.1 Diese Bevölkerung ist unter dem umständlichen und wenig romantischen Namen „Indoeuropäer“ bekannt, was daraus folgt, dass sich die endgültigen Ziele der Wanderungsbewegungen dieser ursprünglich eine Einheit bildenden Stammesverbände von Westeuropa bis nach Indien und an die chinesischen Grenzen erstrecken.

Die ältesten Indoeuropäer waren ein halbnomadisches Volk, das in den weiten Steppen das Pferd zähmte, das Rad erfand (das für ihre Streitwagen und Anhänger so wichtig wurde) und lernte, so harte Metalle wie Kupfer zu schmelzen. Die Kombination von Pferd, Rad und Kupfer machte sie in der Schlacht fast unbesiegbar, so dass sie sich über weite Gebiete ausbreiten konnten. Allmählich eroberten und unterwarfen sie die lokalen Populationen und verschafften ihrer Sprache, Kultur und ihren religiösen Systemen in den besetzten Gegenden durch eine Verbindung von kriegerischer Härte und kulturellen Errungenschaften die Vorherrschaft. Daher gab es etwa zur selben Zeit, als die Städte Mesopotamiens zu gedeihen begannen und in Ägypten die Pyramiden gebaut wurden, tatsächlich eine weitere „Hochkultur“, die aus dem Norden kam und sich in den größten Teilen der bekannten Welt verbreitete. Während die Mesopotamier und Ägypter mit Stein bauten, errichteten die Indoeuropäer intellektuelle Monumente. Am meisten ragt wohl der Rig-Veda heraus, der seit der Zeit seiner Kodifizierung gegen Ende des zweiten Jahrtausends v.u. Z. bis zum heutigen Tage mündlich überliefert wurde. Dieses gewaltige geistige Bauwerk hat sich oft genug als dauerhafter als alle Steine anderer Kulturen erwiesen, so dass es diese gesamte Zeit hindurch lebendig, dynamisch und voller Sinn geblieben ist.

Das philosophische und religiöse Denken der antiken Indoeuropäer beruhte nicht auf einem einheitlichen Kultus, sondern auf einer in mehrere Ebenen geschichteten Struktur. Diese Ebenen – oder Funktionen – sind am gründlichsten von dem französischen Indogermanisten Georges Dumézil und seinen Schülern dargestellt worden.2 Die erste Schicht gehört dem Reich des – sowohl als Verstand als auch als Intuition begriffenen – Intellektes an. Im urtümlichsten indischen Religionssystem werden diese Aspekte des Intellekts von den Göttern Mitra und Varuna beherrscht; in der germanischen Welt werden dieselben Aufgaben von Tyr und Odin erfüllt. Die zweite Ebene entspricht dem Reich der physischen Kraft; über dieses waltet in den Veden der Gott Indra und in den nordischen Eddas Thor. Die dritte Schicht ist die der natürlichen Schöpfung oder Vitalität, die in Indien Ashvinau und in Germanien die wanischen Gottheiten Freyr und Freyja – als Herr und Herrin – repräsentieren. Diese mythische Ordnung spiegelt sich auch in der menschlichen Gesellschaft, die sich in eine geistige Klasse der Könige, Philosophen, Richter und Magier, in eine der Krieger und in diejenige der Bauern, Handwerker, Künstler usw. gliedert. Noch in Platons idealer Gesellschaft, die er in seiner Politeia („Der Staat“, ca. 350 v.u. Z.) diskutiert, findet sich eine Widerspiegelung dieser uralten Schichtung; dort expliziert er einen Staat der Händler oder Handwerker, der Krieger oder exekutiven Macht sowie der „Wächter“ oder Philosophen mit ihren jeweiligen Aufgaben in einer solchen durchorganisierten Gesellschaft.3

Besonders wichtig ist hier zu erkennen, dass die religiösen oder philosophischen Merkmale der ersten Hierarchie-Ebene grundlegend von denen der zweiten oder dritten unterschieden sind. Auf der ersten Ebene wird seit Urbeginn die Aufmerksamkeit auf den Intellekt, die Seele oder die Psyche des Menschen gerichtet. Selbst in den ältesten Texten des Rig-Veda findet sich die Aussage der Priester, dass sie „die Götter geschaffen“ hätten, was bedeuten soll, dass die Göttinnen und Götter in Wahrheit Ausdrucksformen der göttlichen Urbilder seien, wie sie in der intellektuellen oder psychischen Beschaffenheit menschlicher Wesen angelegt sind. Die zweite Funktionsebene betrifft die physischen Kräfte und deren Gebrauch, namentlich die Fähigkeiten des Kriegers. Die dritte beruht schließlich auf der Natur und den Zyklen des natürlichen und organischen Lebens: den Kräften des Hervorbringens und Fortpflanzens. Auf dieser externen Realität liegt der Fokus ihrer religiösen und philosophischen Begrifflichkeit. Wir sehen also, dass es schon auf dieser urtümlichsten Stufe eine gewisse Differenz zwischen denen gab, die das Selbst oder den Intellekt, und denen, die die „Natur“ verehrten. Gleichwohl gab es seit den Ursprüngen der indoeuropäischen Denkmuster genug Platz für beide religiösen Pole innerhalb eines schöpferischen Systems. In diesem Zusammenhang ging es nicht so sehr um eine horizontale Unterscheidung zwischen links- und rechtshändigem Pfad, sondern um eine vertikale, die sich in der „gesellschaftlichen Struktur“ von Göttern und Menschen spiegelt.

Wie oben bereits erwähnt, gab es weiterhin auch innerhalb der ersten Ebene eine ursprüngliche Unterteilung: Sie gelangt in der Unterscheidung von Mitra und Varuna bzw. Tyr und Odin zum Ausdruck. Mitra oder Tyr repräsentieren den rationalen, gliedernden Verstand, die Ordnung des Kosmos; Varuna und Odin entsprechen hingegen dem beweglichen, wahrsagenden Geist, der dynamischen Freiheit des chaotischen Fließens. Dieselbe Zuordnung wird später der deutsche Philosoph Friedrich Nietzsche vornehmen, wenn er die apollinischen und die dionysischen Tendenzen in der menschlichen Kultur unterscheidet.4 Beide sollen zwar, ähnlich unserer linken und rechten Gehirnhälfte, in einem ganzheitlichen Sinne zusammenwirken, aber dennoch lassen sich hier die psychischen Strukturen zum ersten Mal ausmachen, die in späteren Zeiten in die Begriffe des rechts- und linkshändigen Pfades gefasst werden.

Da die antiken Indoeuropäer bei ihren Wanderungs- und Eroberungszügen, bei ihrer Unterwerfung der indigenen Völker, vor allem Kräfte anwandten, die auf der ersten und zweiten Ebene verwurzelt waren, konnte sich die dritte in stärkerem Maße dem Einfluss religiöser und philosophischer Konzepte und Praktiken der Ureinwohner öffnen. Dennoch wäre es ein großer Fehler anzunehmen, dass das System ursprünglich keine Strukturen umfasst habe, die geeignet gewesen wären, die Einflüsse der nativen Religionen zu integrieren. Obwohl Historiker des indischen Tantrismus immer wieder die Herkunft vieler tantrischer Praktiken aus den unteren Bevölkerungsklassen und ihre antibrahmanische Ausrichtung betonen, muss doch darauf hingewiesen werden, dass der Tantrismus bereits im Rig-Veda selbst angelegt ist.5 Das nichtarische Element brachte dieses System nicht hervor, aber es beeinflusste in starkem Maße die Art und Weise, wie es später von Hindus praktiziert wurde.

Man hat daher hervorgehoben, dass der spätere „Vedische Weg“ des Hinduismus durchaus nicht unbedingt die Grundhaltungen der Veden selbst zum Ausdruck bringt, sondern dass das tantrische System paradoxerweise viel stärker und lebendiger als der heutige „Vedische Weg“ der spirituellen Haltung der Veden entspricht.6


Abb. 2.1. Indo-Europäische Funktionen

Rechtshändiger Pfad/​Linkshändiger Pfad

Der eigentliche Ursprung der Terminologie des rechtshändigen Pfades im Gegensatz zum linkshändigen liegt im Sprachgebrauch tantrischer Sekten Indiens. Deren zentrale Unterscheidung ist diejenige zwischen Dakshinachara, dem „rechten Weg“, und Vamachara, dem „linken Weg“. Die Unterschiede innerhalb dieser Sekten werden oben im Kapitel über den Hinduismus behandelt. Die mutmaßliche Entwicklung der Differenz zwischen rechtshändigem und linkshändigem Pfad ist ziemlich vielschichtig, aber sie entstammt den breitgefächerten Lehren vom natürlichen Fließen einer universalen Kraft durch den menschlichen Körper, die auf der linken Seite in diesen eintritt, ihn entlang einer Links-Rechts-Bahn durchströmt und rechts wieder aus ihm austritt. Auf kosmischer Ebene entspricht diesem Fluss ein Kraftstrom von Nord nach Süd. Man sagt, der kosmische Fluss verläuft in Harmonie zu dem Energiestrom im Körper eines Menschen, wenn dieser sich Richtung Osten orientiert, so dass seine linke Hand gen Norden, die rechte nach Süden zeigt.7 Hier findet sich der Schlüssel zu dem – innerhalb des Tantrismus des linkshändigen Pfades so verbreiteten – Antinomismus bzw. zu der Zurückweisung der üblichen Normen. Um das Schema des Verlaufs von links nach rechts, im Widerspruch zur Natur und zum kosmischen Gesetz, umzukehren, muss man die Stärke seines Willens schulen. Es handelt sich dabei um einen Aufstand gegen die Natur und die als göttlich angesehene Ordnung des Kosmos. In einer geradezu technischen Terminologie ausgedrückt, bewegt sich der Dakshinachara mit dem natürlichen Fluss und der Vamachara dagegen. Individuen, die „gegen den Strom schwimmen“, entwickeln und individuieren sich stärker in ihrem natürlichen Umfeld. Sie erreichen und behaupten Unabhängigkeit und Freiheit, und zuweilen streben sie sogar nach persönlicher Unsterblichkeit.

Man hat behauptet, dass das eigentliche Wesen des Tantrismus im Streben des so genannten Vamachara besteht und dass Begriff und Praxis des Dakshinachara erst später, nach einer Reform innerhalb des Tantrismus, eingeführt worden sind.8 Julius Evola bemerkt zu dieser Unterscheidung zwischen beiden Pfaden:

Der schöpferische und produktive Aspekt des kosmischen Prozesses wird durch die rechte Hand, die Farbe weiß und die beiden Göttinnen Uma und Gauri symbolisiert (in der Shakti als Prakashatmika, ‚die Helle und Offenbare’, erscheint). Der zweite Aspekt, derjenige von Abkehr und Umkehr (exitus, reditus), wird durch die linke Hand, die Farbe schwarz sowie durch die dunklen, destruktiven Göttinnen Durga und Kali ausgedrückt. Daher erfahren wir, gemäß dem Mahakala-Tantra, das Samsara, wenn sich linke und rechte Hand im Gleichgewicht befinden, aber wenn die rechte Hand obsiegt, finden wir die Befreiung.9

Eine weitere faszinierende Beschreibung der beiden Wege spiritueller Entwicklung im hinduistischen Kontext findet sich in der Unterscheidung zweier Richtungen, die die Seele auf ihrer Reise nach dem Tod einschlägt: Devayana ist der Weg der Devas (Götter), und Pitriyana ist der Weg der Pitris (Ahnen). Das Devayana ist der polare, vom Sommerhalbjahr bestimmte Weg, auf dem sich die Sonne Richtung Nordpol bewegt. Diejenigen, die sich nach dem Tod auf den Weg des Devayana begeben, sind erleuchtet, werden wie Götter und ihrem Willen entsprechend wiedergeboren. Wer hingegen das Pitriyana beschreitet – den äquatorialen Weg, den der Umlauf der Sonne im Winterhalbjahr beschreibt –, wird gemäß rein natürlicher Gesetzmäßigkeit, d. h. auf ewig nur in seinen reinkarnierten Ahnen, wiedergeboren.10

Alain Daniélou hebt hervor, dass der linkshändige Pfad mit einer „Tendenz zur Desintegration“ (tamas) einhergeht, die

die Kraft der Natur die Leidenschaften und Instinkte des Menschen verwendet, um mit deren Hilfe, die Welt der Sinne zu erobern […].

Dieser Weg führt unmittelbar aus dem Reich der Physik in das der Abstraktion, weil […] die absteigende Tendenz sich an beiden Grenzen der Erscheinungswelt zeigt. [Der linkshändige Pfad kann daher] Erotik und Trunkenheit als Mittel spirituellen Fortschreitens verwenden.11

Der linkshändige Pfad ist im Hinduismus eindeutig mit der Vorstellung einer Des-Integration (Trennung) sowie mit der Praxis des Antinomismus – gegen den Grundbestand der gesellschaftlichen Konventionen zu opponieren mit dem Ziel, spirituelle Macht zu erlangen – verbunden.

Mit den Sanskrit-Begriffen der indischen Schulsysteme gesprochen, sucht der rechtshändige Pfad eine Vereinigung oder Verbindung des Jivatman, des individuellen Selbst oder der Seele, mit dem Paramatman, der höchsten, allgemeinen Seele des Universums zu erlangen. Der linkshändige Pfad strebt lediglich danach, den Jivatman auszudifferenzieren: ihn zu entwickeln, in seiner Eigenart auszubilden und schließlich unsterblich zu machen, ohne je bewusst zu versuchen, ihn auf Dauer mit irgendetwas anderem zu vereinen.12

Von jemandem, der die Einheit mit seinem Jivatman erreicht erreicht habe, wird gesagt, er sei in den Zustand des Jivanmukti eingetreten, in einen Zustand individueller Befreiung. Die klassische Formulierung des Konzepts des Jivanmukti findet sich in einem Text aus dem vierzehnten Jahrhundert von Vidyaranya (gest. 1386), dem Jivanmuktiviveka.13 Womöglich wurde die Idee der „Befreiung schon während des Lebens“ der Sache nach bereits von Samkara (788 - 820) vertreten, und sie blieb ein wesentlicher Bestandteil in der Schule des Advaita Vedanta, der auf Samkaras Interpretationen der Upanishaden beruht. Der Trpti-dipika von Vidyaranya enthält auch Betrachtungen zum Leben von Jivanmuktas.