Kitabı oku: «50 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2 (Golden Deer Classics)», sayfa 5
Die vornehme Portugiesin, eine der Frauen, die es am wenigsten liebten, ihr Haus zu verlassen, war meist von ihren Nachbarn, den Chaulieus, den Navarreins und den Lenoncourts, umgeben. Oft kamen die hübsche Baronin von Macumer (geborene von Chaulieu), die Herzogin von Maufrigneuse, Frau d'Espard, Frau von Camps und Fräulein Des Touches, die mit den Grandlieus – sie stammen aus der Bretagne – verschwägert war, zu Besuch, wenn sie zu einem Ball gingen oder aus der Oper kamen. Der Vicomte von Grandlieu, der Herzog von Rhétoré, der Marquis von Chaulieu, der eines Tages Herzog von Lenoncourt-Chaulieu werden sollte, seine Frau, Madeleine von Mortsauf, die Enkelin des Herzogs von Lenoncourt, der Marquis von Ajuda-Pinto, der Fürst von Blamont-Chauvry, der Marquis von Beauséant, der Stiftsamtmann von Pamiers, die Vandenesses, der alte Fürst von Cadignan und sein Sohn, der Herzog von Maufrigneuse waren die Stammgäste dieses großartigen Salons, in dem man Hofluft atmete und in dem sich die Manieren, der Ton und der Geist dem Adel der Hausherrn anpaßten, deren große, aristokratische Haltung ihre napoleonische Knechtschaft schließlich in Vergessenheit gesenkt hatte.
Die alte Herzogin von Uxelles, die Mutter der Herzogin von Maufrigneuse, war das Orakel dieses Salons, zu dem Frau von Sérizy nie hatte Zutritt erlangen können, obwohl sie eine geborene von Ronquerolles war.
Von Frau von Maufrigneuse eingeführt, die ihre Mutter zu einer Aktion zugunsten Luciens bewogen hatte, da sie zwei Jahre lang wahnsinnig in ihn vernarrt gewesen war, hielt dieser verführerische Dichter sich dort dank dem Einfluß des Almosenpflegeramts von Frankreich und mit Hilfe des Erzbischofs von Paris. Freilich ließ man ihn erst zu, als er die Ordonnanz erhalten hatte, die ihm den Namen und das Wappen der Rubemprés zurückgab. Der Herzog von Rhétoré, der Chevalier d'Espard und ein paar andere, die auf Lucien eifersüchtig waren, nahmen den Herzog von Grandlieu von Zeit zu Zeit gegen ihn ein, indem sie ihm Anekdoten aus Luciens Vorleben erzählten. Aber die fromme Herzogin, die bereits von den Spitzen der Kirche umgeben war, und Klotilde von Grandlieu stützten ihn. Lucien erklärte jene Feindschaften übrigens durch sein Abenteuer mit der Cousine der Frau d'Espard, mit Frau von Bargeton, die seither Gräfin du Châtelet geworden war. Und da er empfand, wie notwendig es war, daß eine so mächtige Familie ihn aufnahm, zumal sein intimer Ratgeber ihn drängte, Klotilde zu verführen, so fand Lucien den Mut der Emporkömmlinge: er erschien an fünf Tagen von den sieben der Woche, schluckte artig die Beleidigungen des Neids hinunter, ertrug unverschämte Blicke und antwortete geistreich auf alle Spöttereien. Seine Beharrlichkeit, der Reiz seiner Manieren und seine Gefälligkeit stumpften schließlich die Bedenken ab und verringerten die Hindernisse. Als ein Mann, der mit der Herzogin von Maufrigneuse immer noch vortrefflich stand – die glühenden Briefe, die sie im Laufe ihrer Leidenschaft geschrieben hatte, bewahrte Carlos Herrera auf –, als Idol der Frau von Sérizy lernte Lucien, der bei Fräulein Des Touches gern gesehen wurde und zufrieden war, wenn man ihn in diesen drei Häusern empfing, von dem Abbé, in seinen Beziehungen die größte Vorsicht walten zu lassen.
›Man kann sich nicht mehreren Häusern zugleich widmen,‹ sagte ihm sein intimer Ratgeber. ›Wer über all hingeht, findet nirgends lebhaftes Interesse. Die Großen begönnern nur die, die mit ihren Möbeln wetteifern, die sie jeden Tag sehen und die für sie so notwendig zu werden wissen wie der Diwan, auf den man sich setzt.‹
Da Lucien sich daran gewöhnt hatte, den Salon der Grandlieus als sein Schlachtfeld anzusehen, so sparte er seinen Geist, seine Scherze, seine Neuigkeiten und seine Höflingsschmeicheleien für die Zeit auf, die er des Abends dort verbrachte. Er war einschmeichelnd und liebevoll, und Klotilde warnte ihn vor den Klippen, die er meiden mußte; so konnte er den kleinen Leidenschaften des Herrn von Grandlieu schöntun. Nachdem Klotilde zunächst die Herzogin von Maufrigneuse um ihr Glück beneidet hatte, verliebte sie sich sterblich in Lucien.
Da Lucien alle Vorteile einer derartigen Verbindung erkannte, so spielte er seine Liebhaberrolle, wie Armand, der letzte jugendliche Liebhaber der Comédie Française, sie gespielt hätte. Er schrieb Klotilde Briefe, die jedenfalls literarische Meisterwerke ersten Ranges waren, und Klotilde antwortete, indem sie danach rang, dieser wütenden Liebe auf dem Papier Ausdruck zu geben, denn sie konnte nur auf diese Weise lieben. Lucien ging jeden Sonntag in die Messe zu Saint-Thomas d'Aquin, er gab sich für einen glühenden Katholiken aus, er ergoß sich in monarchischen, religiösen Predigten, die Wunder wirkten. Er schrieb außerdem für die der Congregation ergebenen Zeitungen äußerst bemerkenswerte Artikel, ohne irgendeine Zahlung annehmen zu wollen und ohne sie anders als mit einem L zu unterzeichnen. Er verfaßte politische Broschüren, wie entweder König Karl X. oder das Almosenpflegeramt sie verlangte, ohne die geringste Belohnung zu verlangen. ›Der König‹, sagte er, ›hat schon so viel für mich getan, daß ich ihm mein Blut schuldig bin.‹
Daher war auch seit einigen Tagen die Rede davon, Lucien in der Eigenschaft als Geheimsekretär an das Kabinett des Premierministers zu fesseln; aber Frau d'Espard schickte so viel Leute gegen Lucien ins Feld, daß Karls X. Faktotum zögerte, diesen Entschluß zu fassen. Nicht nur Luciens Stellung war nicht klar genug, und die Worte: ›Wovon lebt er?‹ die, je höher er stieg, jeder um so öfter auf den Lippen hatte, verlangten eine Antwort, sondern auch die wohlwollende Neugier ging wie die boshafte Neugier in ihrem Forschen von Schritt zu Schritt weiter; und sie fand mehr als eine Lücke im Panzer dieses Ehrgeizigen. Klotilde von Grandlieu diente ihrem Vater und ihrer Mutter als argloser Spion. Vor ein paar Tagen hatte sie Lucien in eine Fensternische gezogen, um dort zu plaudern und ihn über die Einwände der Familie aufzuklären.
»Verschaffen Sie sich einen Landsitz im Wert von einer Million, und Sie erhalten meine Hand: das war die Antwort meiner Mutter,« hatte Klotilde gesagt. »Später werden sie dich fragen, woher dein Geld gekommen ist!« hatte Carlos zu Lucien gesagt, als der ihm dieses angebliche Ultimatum überbrachte. »Mein Schwager muß sein Glück gemacht haben,« bemerkte Lucien; »wir werden in ihm einen verantwortlichen Herausgeber finden.« »So fehlt also nur noch die Million,« rief Carlos aus; »ich werde darüber nachdenken.«
Luciens Stellung im Hotel Grandlieu erhellt am deutlichsten daraus, daß er nie dort gespeist hatte. Weder Klotilde noch die Herzogin von Uxelles noch auch die Frau von Maufrigneuse, die sich stets ausgezeichnet zu Lucien stellte, hatten diese Gunst von dem alten Herzog erlangen können, so hartnäckig hing der Edelmann an seinem Mißtrauen gegen den Herrn von Rubempré. Lucien fühlte, daß er unter der ganzen Gesellschaft dieses Salons nur geduldet war. Die Gesellschaft hat das Recht, anspruchsvoll zu sein, sie wird so oft betrogen. In Paris eine Rolle zu spielen, ohne daß man ein bekanntes Vermögen besitzt oder eine eingestandene Erwerbsquelle hat, das ist etwas, was sich vermöge keiner List lange durchführen läßt. Daher gab denn Lucien auch, je höher er stieg, dem Einwand: ›Wovon lebt er?‹ eine übermäßige Kraft. Er hatte bei Frau von Sérizy, der er die Stütze des Generalstaatsanwalts Granville und eines Staatsministers, des Grafen Octavius von Bauvan, des Präsidenten eines Obertribunals, verdankte, sagen müssen: ›Ich stürze mich in furchtbare Schulden.‹
Als er den Hof des Hotels betrat, in dem sich die Rechtfertigung seiner Eitelkeit befand, sagte er mit Bitterkeit, indem er an die Überlegung Herreras dachte, bei sich selber: ›Ich höre alles unter meinen Füßen krachen.‹
Er liebte Esther, und er wollte Fräulein von Grandlieu zur Frau! Eine seltsame Lage! Es galt, die eine für die andere zu verkaufen. Ein einziger Mensch konnte diesen Schacher vornehmen, ohne daß Luciens Ehre darunter litt: dieser Mensch war der falsche Spanier; mußten sie nicht der eine wie der andere gleich vorsichtig sein, der eine dem andern gegenüber? Man findet im Leben nicht zwei Pakte dieser Art, in denen jeder abwechselnd Herrscher und Beherrschter ist.
Lucien verjagte die Wolken, die sein Gesicht umdunkelten; heiter und strahlend trat er in die Salons des Hotels Grandlieu. Die Fenster waren eben offen, die Gerüche des Gartens durchdufteten den Salon; der Blumentisch, der die Mitte einnahm, zeigte dem Blick seine Blütenpyramide. Die Herzogin saß in einer Ecke auf einem Sofa und plauderte mit der Herzogin von Chaulieu. Mehrere Frauen bildeten eine Gruppe, die durch allerlei Haltungen auffiel, wie sie der verschiedene Ausdruck mit sich brachte, den eine jede unter ihnen einem gespielten Schmerz lieh. In der Gesellschaft interessiert sich niemand für ein Unglück oder ein Leiden, alles ist dort ein Wort. Die Männer gingen im Garten oder im Salon spazieren, Klotilde und Josephine waren um den Teetisch beschäftigt. Der Stiftsamtmann von Pamiers, der Herzog von Grandlieu, der Marquis von Ajuda-Pinto und der Herzog von Maufrigneuse spielten in einer Ecke ihren Whist. Als Lucien gemeldet wurde, durchschritt er den Salon und begrüßte die Herzogin, die er nach dem Grund der Betrübnis auf ihren Zügen fragte.
»Frau von Chaulieu hat soeben eine furchtbare Nachricht erhalten: ihr Schwiegersohn, der Baron von Macumer, der ehemalige Herzog von Soria, ist gestorben. Der junge Herzog von Soria und seine Frau, die nach Chantepleur gegangen waren, um ihren Bruder dort zu pflegen, haben das traurige Ereignis in einem Briefe gemeldet. Luise ist in einem herzzerreißenden Zustand.« »Eine Frau wird nicht zweimal in ihrem Leben so geliebt, wie Luise von ihrem Mann geliebt wurde,« sagte Magdalene von Mortsauf. »Sie ist eine reiche Witwe,« fuhr die Herzogin von Uxelles fort, indem sie Lucien ansah, dessen Gesicht seine Unbeweglichkeit bewahrte. »Die arme Luise!« sagte Frau d'Espard, »ich verstehe und beklage sie.«
Die Marquise d'Espard zeigte die versonnene Miene einer Frau von Seele und Herz. Obgleich Sabine von Grandlieu erst zehn Jahre alt war, hob sie das intelligente Auge zu ihrer Mutter empor, die ihren fast spöttischen Blick sofort mit einem strafenden niederschlug. Das nennt man seine Kinder gut erziehen.
»Wenn meine Tochter diesen Schlag überlebt,« sagte Frau von Chaulieu mit der mütterlichsten Miene, »so macht ihre Zukunft mir Sorge. Luise ist sehr romantisch.« »Ich weiß nicht,« sagte die alte Herzogin von Uxelles, »woher unsere Töchter das haben! … « »Es ist heutzutage schwer,« sagte ein alter Kardinal, »das Herz und die Konvention zu versöhnen.«
Lucien, der kein Wort zu sagen hatte, ging zum Teetisch, um dem Fräulein von Grandlieu sein Kompliment zu machen. Als der Dichter sich ein paar Schritte von der Frauengruppe entfernt hatte, neigte die Marquise d'Espard sich herab, um der Herzogin von Grandlieu ins Ohr flüstern zu können. »Sie glauben also, daß dieser Bursche Ihre teure Klotilde sehr liebt?« sagte sie zu ihr.
Wie heimtückisch diese Frage war, kann man erst begreifen, wenn wir Klotilde skizziert haben. Dieses junge Mädchen von siebenundzwanzig Jahren stand am Tisch. Ihre Haltung erlaubte dem spöttischen Blick der Marquise d'Espard, Klotildes dürre und dünne Gestalt zu überfliegen, denn sie glich ziemlich genau einer Spargel. Der Busen des armen Mädchens war so flach, daß er nicht einmal die Ersatzmittel möglich machte, die die Modistinnen falsche Brüste nennen. Daher ließ denn auch Klotilde, die wußte, daß sie in ihrem Namen genügende Vorzüge besaß, diesen Fehler, statt sich die Mühe zu machen und ihn zu verkleiden, heroisch hervortreten. Indem sie sich eng in ihre Kleider einschnürte, erreichte sie die Wirkung der starren und scharfen Zeichnung, die die Holzschnitzer des Mittelalters für ihre Figuren suchten; deren Profil hebt sich scharf vom Hintergrund der Nischen ab, vor die sie sie in den Kathedralen stellten. Klotilde war fünf Fuß und vier Zoll hoch. Wenn es erlaubt ist, sich einer familiären Wendung zu bedienen, die wenigstens das Verdienst hat, klar verständlich zu sein, so kann man sagen, sie war ganz Bein. Dieser Mangel an Proportion gab ihrem Oberkörper etwas Unförmliches. Sie hatte eine braune Gesichtshaut, hartes schwarzes Haar, sehr dichte Brauen, glühende Augen, die in schon gedunkelten Höhlen lagen, und ein Gesicht, krumm wie die Mondsichel im ersten Viertel und gekrönt von einer vorspringenden Stirn; so stellte sie die Karikatur ihrer Mutter dar, einer der schönsten Frauen Portugals. Die Natur gefällt sich in solchen Spielen. Man findet in vielen Familien eine Schwester von überraschender Schönheit, deren Züge bei dem Bruder zu vollendeter Häßlichkeit werden, obwohl alle beide sich ähneln. Klotilde trug auf ihrem stark eingezogenen Mund den stereotypen Ausdruck der Geringschätzung. Daher verrieten ihre Lippen mehr als jeder andere Zug ihres Gesichts die heimlichen Regungen ihres Herzens, denn die Liebe gab ihnen einen reizenden Ausdruck, der um so mehr auffiel, als ihre Wangen, die zu braun waren, um zu erröten, und ihre stets harten schwarzen Augen nie etwas sagten. Aber trotz so vieler Nachteile, trotz ihrer Bretterscheinung hatte sie durch ihre Erziehung und ihre Rasse etwas von Größe mitbekommen, einen stolzen Zug, kurz alles, was man mit so viel Recht ›jenes Etwas‹ genannt hat; vielleicht lag es an der Sicherheit ihres Kostüms, das die Tochter aus gutem Hause verriet. Sie machte sich ihre Haare zunutze, deren Stärke, Fülle und Länge für eine Schönheit gelten konnte … Ihre Stimme, die sie gepflegt hatte, übte einen Zauber aus: sie sang entzückend. Klotilde war eben das junge Mädchen, von dem man sagt: ›Sie hat schöne Augen!‹ oder ›Sie hat einen reizenden Charakter!‹ Irgend jemandem, der sie nach englischer Manier ›Euer Gnaden‹ anredete, erwiderte sie: ›Nennen Sie mich Euer Dünne.‹
»Weshalb sollte man meine arme Klotilde nicht lieben?« erwiderte die Herzogin der Marquise. »Wissen Sie, was sie gestern zu mir gesagt hat? ›Wenn man mich aus Ehrgeiz liebt, so übernehme ich es, daß man mich um meiner selbst willen lieben soll.‹ Sie ist geistreich und ehrgeizig; es gibt Männer, denen diese beiden Eigenschaften gefallen. Was ihn angeht, meine Liebe, so ist er schön wie ein Traum; und wenn er den Landsitz der Rubemprés zurückkaufen kann, so wird der König ihm uns zu Gefallen den Titel ›Marquis‹ verleihen … Schließlich war seine Mutter die letzte Rubempré.« »Der arme Junge, woher soll er die Million nehmen?« sagte die Marquise. »Das ist nicht unsere Sache,« erwiderte die Herzogin; »aber sicherlich ist er nicht imstande, sie zu stehlen … Und übrigens würden wir Klotilde keinem Intriganten und keinem unehrlichen Menschen geben, und wäre er auch noch so schön, wäre er auch Dichter und ebenso jung wie Herr von Rubempré.«
»Sie kommen spät,« sagte Klotilde, indem sie Lucien mit unendlicher Anmut zulächelte. »Ja, ich habe in der Stadt gespeist.« »Sie gehen seit einigen Tagen viel in die Gesellschaft,« sagte sie, indem sie Eifersucht und Unruhe unter einem Lächeln barg. »In die Gesellschaft? … « erwiderte Lucien. »Nein, ich habe nur durch den größten Zufall die ganze Woche hindurch bei Bankiers gespeist, heute bei Nucingen, gestern bei du Tillet, vorgestern bei den Kellers … «
Man sieht, daß Lucien es gut verstanden hatte, den geistreich unverschämten Ton großer Herren anzunehmen.
»Sie haben sehr viele Feinde,« sagte Klotilde zu ihm, als sie ihm – und mit welcher Liebenswürdigkeit! – eine Tasse Tee anbot. »Man hat meinem Vater gesagt, Sie genössen sechzigtausend Franken Schulden, und binnen kurzem würden Sie Sainte-Pélagie zum Lustschloß haben. Und wenn Sie wüßten, was all diese Verleumdungen mir eintragen … All das fällt auf mich zurück. Ich rede Ihnen nicht von dem, was ich leide – mein Vater hat Blicke, die mich kreuzigen –, sondern von dem, was Sie gesagt, in welche Gefahr sie mich gestürzt haben, indem sie erraten ließen, aus welcher Quelle ihm Auskünfte stammten. Der Herr Marquis d'Espard war ungeschickt genug, mir einen Besuch zu machen, weil er mich als die Ursache ansah, durch die er diesen niederträchtigen Prozeß gewonnen hat.« »Ich werde Sie von Frau d'Espard befreien,« sagte Klotilde. »Und wie?« rief Lucien. »Meine Mutter wird die kleinen Espards einladen; sie sind entzückend und schon recht groß. Der Vater und seine beiden Söhne werden hier Ihr Lob singen, und wir sind sicher, ihre Mutter niemals wiederzusehen … « »Oh, Klotilde, Sie sind anbetungswürdig, und wenn ich Sie nicht um Ihrer selbst willen liebte, so würde ich Sie um Ihres Geistes willen lieben.« »Das ist kein Geist,« sagte sie, indem sie ihre ganze Liebe auf die Lippen legte. »Adieu. Kommen Sie ein paar Tage lang nicht. Wenn Sie mich in der Kirche mit einer roten Schärpe sehen, so hat die Laune meines Vaters gewechselt. Sie finden eine Antwort am Rücken des Sessels, auf dem Sie sitzen; die wird Sie vielleicht trösten, wenn Sie uns nicht sehen … Tun Sie den Brief, den Sie mir bringen, in mein Taschentuch … «
Dieses junge Mädchen war offenbar älter als siebenundzwanzig Jahre.
Lucien nahm in der Rue de la Planche einen Fiaker, verließ ihn auf den Boulevards, nahm bei der Madeleine einen andern und befahl ihm, in der Rue Taitbout die Einfahrt öffnen zu lassen.
Als er um elf Uhr zu Esther kam, fand er sie ganz in Tränen, aber sie war angezogen, wie sie sich anzog, um ihm ein Fest zu bereiten! Sie erwartete ihren Lucien und lag auf einem Diwan aus weißem, mit gelben Blumen besticktem Satin, bekleidet mit einem entzückenden Hauskleid aus indischem Musselin mit kirschfarbenen Schleifen; sie war ohne Korsett, hatte die Haare einfach auf dem Kopf aufgesteckt, die Füße in hübschen Samtpantoffeln, die mit kirschfarbenem Satin gefüttert waren; alle Kerzen brannten, und der Huka war bereit; aber den ihren hatte sie nicht geraucht, er lag unangezündet vor ihr, als wollte er ein Symbol ihrer Lage geben. Als sie die Türen öffnen hörte, wischte sie sich die Tränen ab, sprang wie eine Gazelle auf und umschlang Lucien mit den Armen, als wäre sie ein Gewebe, das sich, vom Wind erfaßt, um einen Baum schlingt.
»Getrennt,« rief sie, »ist es wahr? … « »Bah! Auf ein paar Tage,« erwiderte Lucien.
Esther ließ Lucien los und fiel wie tot auf den Diwan zurück. In solchen Lagen schwätzen die meisten Frauen wie Papageien! Ah, wie sie einen lieben! … Nach fünf Jahren stehen sie noch wie am Morgen nach dem ersten Tage des Glücks da, sie können einen nicht verlassen, sie sind wundervoll in ihrer Entrüstung, ihrer Verzweiflung, ihrer Liebe, ihrem Zorn, ihrer Reue, ihrer Angst, ihrem Kummer, ihren Ahnungen! Kurz, sie sind schön wie eine Szene von Shakespeare. Aber, das beachte man wohl, diese Frauen lieben nicht! Wenn sie all das sind, wofür sie sich ausgeben, so machen sie es, wie Esther es machte, wie es die Kinder machen, wie es die wahre Liebe macht: Esther sagte kein Wort; sie lag da, das Gesicht in den Kissen, und weinte heiße Tränen. Lucien seinerseits mühte sich, Esther aufzuheben, und sprach auf sie ein.
»Aber, Kind, wir werden nicht getrennt … Wie! Nach vier Jahren des Glücks nimmst du eine Trennung so auf?« … ›Ach, was habe ich denn all diesen Mädchen getan? … ‹ sagte er bei sich selber, denn er entsann sich, daß auch Coralie ihn so geliebt hatte. »Ah, gnädiger Herr, Sie sind so schön!« sagte Europa.
Die Sinne haben ihr Ideal der Schönheit. Wenn sich mit dieser so verführerischen Schönheit die Sanftheit des Charakters und die Poesie verbinden, die Lucien auszeichneten, so kann man sich die wahnsinnige Leidenschaft jener Geschöpfe vorstellen, die für die äußeren Naturgaben so außerordentlich empfänglich und in ihrer Bewunderung so naiv sind. Esther schluchzte leise und verharrte in einer Pose, die höchsten Schmerz verriet.
»Aber, kleiner Dummkopf,« sagte Lucien, »hat man dir nicht gesagt, daß es sich um mein Leben handelt? … « Bei diesem Wort, das Lucien genau berechnet hatte, richtete Esther sich wie ein wildes Tier auf; ihr gelöstes Haar umgab ihr wundervolles Gesicht wie ein Laubwerk; sie sah Lucien mit starrem Auge an. »Um dein Leben! … « rief sie, indem sie mit einer Geste, die nur Dirnen in der Gefahr haben, die Arme hob und wieder fallen ließ. »Aber ja, der Brief dieses Wilden spricht von ernsten Dingen.« Sie zog ein elendes Papier aus dem Gürtel; aber sie erblickte Europa und sagte: »Laß uns allein, meine Tochter.«
Als Europa die Tür geschlossen hatte, fuhr sie fort: »Sieh, das hat er mir geschrieben,« und sie reichte Lucien einen Brief, den Carlos eben geschickt hatte und den Lucien mit lauter Stimme las:
»Sie werden morgen früh um fünf abreisen; man wird Sie zu einem Wildhüter im Herzen des Waldes von Saint-Germain bringen. Sie werden dort ein Zimmer im ersten Stock einnehmen. Verlassen Sie dieses Zimmer nicht, bis ich es Ihnen erlaube; es wird Ihnen dort nichts fehlen. Der Wildhüter und seine Frau sind zuverlässig. Schreiben Sie Lucien nicht. Gehen Sie während des Tages nicht ans Fenster; während der Nacht können Sie unter Führung des Wildhüters spazierengehen, wenn Sie Bewegung haben möchten. Halten Sie unterwegs die Vorhänge des Wagenschlags geschlossen: es handelt sich um Luciens Leben.
Lucien wird heute abend zu Ihnen kommen, um Ihnen Lebwohl zu sagen; verbrennen Sie dies vor seinen Augen.«
Lucien verbrannte das Billet sofort an der Flamme einer Kerze.
»Höre, mein Lucien,« sagte Esther, nachdem sie die Lektüre dieses Briefes angehört hatte, wie ein Verbrecher die seines Todesurteils anhört, »ich will dir nicht sagen, daß ich dich liebe, das wäre eine Dummheit … Jetzt scheint es mir seit bald fünf Jahren so natürlich, daß ich dich liebe, wie daß ich atme und lebe. Schon an dem Tage, an dem unter dem Schutz dieses unerklärlichen Wesens, das mich hier eingesperrt hat, wie man ein kleines merkwürdiges Tier in einen Käfig einsperrt, mein Glück begann, wußte ich, daß du dich verheiraten müßtest. Die Heirat ist ein notwendiges Element deines Schicksals, und Gott verhüte, daß ich der Entwicklung deines Glücks in den Weg treten sollte. Diese Heirat ist mein Tod. Aber ich werde dich nicht langweilen: ich werde es nicht wie die Grisetten machen, die sich mit Hilfe eines Kohlenbeckens töten. Davon habe ich mit einemmal genug bekommen; zweimal, das wird ekelhaft, wie Mariette sagt. Nein, ich werde weit fort gehen, aus Frankreich fort. Asien kennt die Geheimnisse ihres Landes, sie hat mir versprochen, mich zu lehren, wie man ruhig stirbt. Man sticht sich, Schluß! Alles ist getan. Ich verlange nur eins, mein angebetener Engel: nicht getäuscht zu werden. Ich habe meinen Anteil vom Leben gehabt: ich habe seit dem Tage, an dem ich dich zum erstenmal sah, im Jahre 1824, bis heute mehr Glück genossen, als das Dasein zehn glücklicher Frauen enthält. Nimm mich also als das, was ich bin, als eine Frau, die ebenso stark wie schwach ist. Sag mir: ›Ich verheirate mich.‹ Ich verlange nichts als einen zärtlichen Abschied von dir, und du wirst nicht mehr von mir hören.«
Nach dieser Erklärung, deren Aufrichtigkeit sich nur mit der Naivität der Gesten und des Tones vergleichen läßt, herrschte einen Augenblick Schweigen.
speist, auch sei; aber wie jeden Sonntag hatte Carême das Diner bereitet.«
Unwillkürlich verglich Lucien Esther mit Klotilde. Die Geliebte war so schön, so unablässig reizend, daß sie das Ungeheuer noch nicht hatte nahe kommen lassen, das die kräftigste Liebe verschlingt: die Sättigung.
›Wie schade,‹ sagte er bei sich, ›daß man seine Frau in zwei Bänden findet! Auf der einen Seite die Poesie, die Wollust, die Liebe, die Hingebung, die Schönheit, die Zartheit … ‹
Esther stöberte umher, wie die Frauen umherstöbern, ehe sie zu Bett gehen; sie lief hin und wider; sie flatterte trällernd wie ein Schmetterling. Man hätte sie mit einem Kolibri vergleichen können.
›… Auf der andern den Adel des Namens, die Rasse, die Ehre, den Rang, die Kenntnis der Gesellschaft! … Und keine Möglichkeit, sie in einer einzigen Person zu vereinigen!‹ rief Lucien.
Als der Dichter am andern Morgen um sieben Uhr in diesem reizenden rosa und weißen Zimmer erwachte, war er allein. Als er geschellt hatte, eilte die phantastische Europa herbei.
»Was wünscht der gnädige Herr?« »Esther!« »Die gnädige Frau ist um dreiviertel fünf fortgefahren. Nach dem Befehl des Herrn Abbé habe ich gratis und franko ein neues Gesicht empfangen.« »Eine Frau? … « »Nein, gnädiger Herr, eine Engländerin … eine jener Frauen, die nachts auf Tagelohn gehen; und wir haben Befehl, sie zu behandeln, als wäre sie die gnädige Frau: was will der gnädige Herr mit diesem Frauenzimmer beginnen? … Die arme gnädige Frau! Wie hat sie geweint, als sie in den Wagen stieg! … ›Nun, es muß sein! … ‹ rief sie. ›Ich habe den armen Liebling schlafend verlassen,‹ sagte sie, indem sie sich die Tränen abwischte; ›wenn er mich angesehen oder meinen Namen ausgesprochen hätte, so wäre ich geblieben, und hätte ich mit ihm sterben müssen!‹ Sehen Sie, gnädiger Herr, ich liebe die gnädige Frau so sehr, daß ich ihr ihren Ersatz nicht gezeigt habe; viele Kammerfrauen hätten ihr das auch noch angetan.« »Die Unbekannte ist da?« »Aber, gnädiger Herr, sie war in dem Wagen, der die gnädige Frau entführt hat; ich habe sie nach meinen Instruktionen in meinem Zimmer versteckt.« »Ist sie hübsch?« »So hübsch, wie eine Gelegenheitsfrau eben sein kann, aber es wird ihr nicht schwer werden, ihre Rolle zu spielen, wenn der gnädige Herr hilft,« sagte Europa, indem sie davonging, um die falsche Esther zu holen.
Am Abend zuvor hatte der allmächtige Bankier, ehe er zu Bett ging, einem Kammerdiener, der schon um sieben Uhr morgens den berühmten Louchard, den gewandtesten Schergen des Handelsgerichts, in einen kleinen Salon einführte, wohin der Baron im Schlafrock und in Pantoffeln kam, seine Befehle gegeben.
»Sie haben sich lustik kemacht ieber mich!« sagte er, statt den Gruß des Schergen zu erwidern. »Das konnte wohl nicht anders sein, Herr Baron. Ich hänge an meinem Amt, und ich hatte schon einmal die Ehre, Ihnen zu sagen, daß ich mich nicht in Dinge einlassen kann, die nichts mit meinen Obliegenheiten zu tun haben. Was habe ich Ihnen versprochen? Sie mit demjenigen unserer Agenten in Verbindung zu bringen, der mir am ehesten imstande schien, Ihnen zu dienen. Aber der Herr Baron kennt die Grenzen, die zwischen den Leuten verschiedener Berufe existieren … Wenn man ein Haus baut, läßt man nicht vom Zimmermann machen, was den Schlosser angeht. Nun, es gibt eine doppelte Polizei: die politische Polizei und die Kriminalpolizei. Niemals lassen sich die Agenten der Kriminalpolizei in Dinge ein, die die politische Polizei angehen, und umgekehrt. Wenn Sie sich an den Chef der politischen Polizei wendeten, so brauchte der eine Ermächtigung des Ministers, um sich mit Ihrer Angelegenheit zu befassen; und Sie würden es nicht wagen, sie dem Generalpolizeidirektor des Königreichs auseinanderzusetzen. Ein Agent, der auf eigene Rechnung Polizeidienste leistete, würde sein Amt verlieren. Nun ist die Kriminalpolizei genau so vorsichtig wie die politische Polizei. Daher arbeitet im Ministerium des Innern wie in der Präfektur niemand anders als im Interesse des Staates oder der Justiz. Handelt es sich um eine Verschwörung oder um ein Verbrechen, ja, mein Gott, da stehen Ihnen die Herren zur Verfügung; aber begreifen Sie doch, Herr Baron, daß sie ganz andere Dinge zu tun haben, als sich um die fünfzigtausend Liebeshändel von Paris zu kümmern. Was uns angeht, so dürfen wir uns nur mit der Verhaftung von Schuldnern befassen; und sobald es sich um etwas anderes handelt, setzen wir uns ungeheurer Gefahr aus, wenn wir die Ruhe irgend jemandes stören. Ich habe Ihnen einen meiner Leute geschickt, aber Ihnen auch gesagt, daß ich nicht für ihn bürgte. Sie haben ihm gesagt, er solle Ihnen eine Frau in Paris ausfindig machen, Contenson hat Ihnen einen Tausender ›abgeluchst‹, ohne sich auch nur zu rühren. Ebensogut könnte man eine Nadel im Fluß suchen, wie in Paris eine Frau, die verdächtig ist, in den Wald von Vincennes zu fahren, und deren Personalbeschreibung der aller hübschen Pariser Frauen glich.«
»Gondanzon«, sagte der Baron, »konnte doch sagen die Wahrheit, statt mir abzuluchsen ainen Tausender.« »Hören Sie, Herr Baron,« sagte Louchard, »wollen Sie mir tausend Taler geben? Ich will Ihnen einen Rat dafür geben … ihn Ihnen verkaufen.« »Is er wert tausend Taler, der Rat?« fragte Nucingen. »Ich lasse mich nicht fangen, Herr Baron,« erwiderte Louchard. »Sie sind verliebt, Sie wollen den Gegenstand Ihrer Leidenschaft entdecken, Sie dürsten nach ihr wie Lattich ohne Wasser. Gestern sind, wie mir Ihr Kammerdiener gesagt hat, zwei Ärzte bei Ihnen gewesen, die Ihren Zustand gefährlich finden; ich allein kann Sie in die Hand eines geschickten Menschen geben … Ja, zum Teufel, wenn Ihr Leben keine tausend Taler wert wäre … « »Sagen Se mir den Namen dieses keschickten Menschen, und zählen Se auf maine Großmut!« Louchard nahm seinen Hut, grüßte und ging. »Teifelsmensch!« rief Nucingen, »kommen Se! … Ta … « »Geben Sie wohl acht,« sagte Louchard, ehe er das Geld nahm, »daß ich Ihnen ganz einfach eine Auskunft verkaufe. Ich werde Ihnen den Namen und die Adresse des einzigen Menschen angeben, der Ihnen dienen kann; aber er ist ein Meister … « »Keht ßum Teifel!« rief Nucingen; »nur Varschilds Name ist wert tausend Taler, und auch nur, wenn er am Fuß aines Schaines steht … Ich biete tausend Franken.«
Louchard, ein kleiner Schlaukopf, der noch um keine Notars-, Gerichtsvollziehers- oder Verteidigerskonzession hatte unterhandeln können, schielte den Baron bedeutsam an. »Für Sie tausend Taler oder nichts; Sie haben sie an der Börse in wenigen Sekunden wieder eingenommen,« sagte er. »Ich biete tausend Franken! … « wiederholte der Baron. »Sie würden um eine Goldmine feilschen!« sagte Louchard, indem er grüßte und sich zurückzog. »Ich werde haben die Atreß fier einen Finfhündertfrankenschain!« rief der Baron, der seinem Kammerdiener befahl, ihm seinen Sekretär zu schicken.
Turcaret lebt nicht mehr. Heute entfaltet der größte wie der kleinste Bankier seinen Scharfsinn in den geringsten Dingen: er feilscht um die Künste, die Wohltätigkeit und die Liebe; er würde mit dem Papst um eine Absolution feilschen. Daher hatte Nucingen, während er Louchard zuhörte, sich schnell überlegt, daß Contenson als der rechte Arm des Exekutors die Adresse dieses Meisters der Spionage kennen müßte. Contenson würde für fünfhundert Franken hergeben, was Louchard nicht billiger verkaufen wollte als für tausend Taler. Diese rasche Überlegung beweist energisch, daß der Kopf dieses Menschen, wenn auch sein Herz von der Liebe überfallen war, noch der des Luchses blieb.