Kitabı oku: «50 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2 (Golden Deer Classics)», sayfa 4
Lucien hatte zuviel Zukunft und echte Überlegenheit, als daß nicht die jungen Leute, die seine Rückkehr nach Paris und sein unerklärlicher Wohlstand in Schatten stellten, entzückt gewesen wären, ihm einen schlimmen Streich spielen zu können. Lucien, der wußte, daß er viele Feinde hatte, übersah die arge Gesinnung seiner Freunde nicht. Daher warnte denn auch der Abbé seinen Adoptivsohn in ausgezeichneter Weise vor der Verräterei der Welt und der Unvorsichtigkeit, die der Jugend so verhängnisvoll wird. Lucien mußte dem Abbé jeden Abend die kleinsten Ereignisse des Tages erzählen und tat es stets. Dank den Ratschlägen dieses Mentors wich er der geschicktesten Neugier aus, der der Gesellschaft. Geschützt durch einen englischen Ernst, gedeckt durch die Schanzen, die die Umsicht der Diplomaten aufführt, gab er niemandem das Recht oder die Gelegenheit, einen Blick in seine Angelegenheiten zu werfen. Sein junges und schönes Gesicht war schließlich in der Gesellschaft so reglos geworden wie das einer Prinzessin während einer Zeremonie. Gegen Mitte des Jahres 1829 war von seiner Heirat mit der ältesten Tochter der Herzogin von Grandlieu die Rede, die damals nicht weniger als vier Töchter zu versorgen hatte. Niemand zweifelte daran, daß der König bei Gelegenheit dieses Bündnisses Lucien die Gunst erweisen würde, ihm den Titel ›Marquis‹ zu verleihen. Die Heirat sollte Luciens politisches Glück entscheiden, denn wahrscheinlich sollte er an einem deutschen Hofe zum Botschafter ernannt werden. Seit drei Jahren war Luciens Leben unangreifbar vorsichtig gewesen; daher hatte auch von Marsay dieses merkwürdige Wort über ihn gesagt: ›Dieser Bursche muß einen sehr starken Menschen hinter sich haben.‹
So war Lucien fast zu einer Persönlichkeit geworden. Seine Leidenschaft für Esther hatte ihm übrigens viel dabei geholfen, seine Rolle eines ernsten Mannes zu spielen. Eine derartige Gewöhnung schützt die Ehrgeizigen vor sehr vielen Dummheiten; da sie an keiner Frau festhalten, so lassen sie sich nicht durch die Reaktionen des Körperlichen auf das Geistige fangen. Was das Glück angeht, das Lucien genoß, so war es die Verwirklichung der Träume aller hellerlosen Dichter, die in einer Bodenkammer fasten. Esther, das Ideal der verliebten Kurtisane, erinnerte Lucien an Coralie, die Schauspielerin, mit der er ein Jahr lang gelebt hatte; aber sie löschte sie vollständig aus. Alle liebenden und hingebenden Frauen erfinden von neuem die Abschließung, das Inkognito, das Leben der Perle auf dem Meeresboden; aber bei den meisten unter ihnen ist es nur eine jener reizenden Launen, die einen Gesprächsgegenstand bilden, einen Beweis der Liebe, von dem sie nur träumen und den sie nicht geben; während Esther, die immer gleichsam am Morgen nach der ersten Seligkeit stehen blieb und in jeder Stunde unter Luciens erstem zündenden Blick lebte, in vier Jahren keine Regung der Neugier empfand. Ihren ganzen Geist verwandte sie darauf, in den Grenzen des von der Schicksalshand des Spaniers vorgezeichneten Programms zu bleiben. Ja, noch mehr, mitten unter den berauschendsten Entzückungen mißbrauchte sie nicht die unbegrenzte Macht, die geliebten Frauen die wiedererwachenden Begierden eines Liebhabers geben, um Lucien eine Frage über Herrera zu stellen, der sie übrigens immer noch beängstigte: sie wagte nicht an ihn zu denken. Die klugen Wohltaten dieses Mannes, dem Esther auf jeden Fall ihre Klosterzöglingsanmut, ihr Benehmen als anständige Frau und ihre moralische Wiedergeburt verdankte, erschienen dem armen Mädchen als Vorschüsse der Hölle. »Ich werde für all das eines Tages zahlen,« sagte sie sich voll Grauen.
Während all der schönen Nächte fuhr sie im Mietswagen aus. Sie fuhr mit einer Schnelligkeit, die ohne Zweifel der Abbé anbefohlen hatte, in einen der entzückenden Wälder, die Paris umgeben: nach Boulogne, Vincennes, Romainville oder Ville d'Avray, oft mit Lucien, bisweilen allein mit Europa. Sie ging dort furchtlos spazieren, denn sie wurde, wenn Lucien nicht dabei war, von einem großen Leibjäger begleitet, der gekleidet war wie die elegantesten Leibjäger, bewaffnet mit einem wirklichen Weidfänger, und dessen Physiognomie und dürre Muskulatur auf einen furchtbaren Athleten deuteten. Dieser weitere Wächter war nach englischer Mode mit einem Stock bewaffnet, den man ›bâton de longueur‹ nannte, der den Stockfechtern wohlbekannt ist und mit dem sie mehreren Angreifern standhalten können. Gemäß einem Befehl, den der Abbé erteilt hatte, durfte Esther mit diesem Jäger niemals ein Wort wechseln. Europa stieß, wenn die gnädige Frau Formel: ›Sie waren glücklich!‹ für sie noch vielsagender als in den Feenmärchen, denn sie hatten keine Kinder. So konnte Lucien in der Gesellschaft kokettieren, sich seinen Dichterlaunen und – sagen wir es – dem Zwang seiner Lage überlassen. Er leistete während der Zeit, in der er langsam seinen Weg machte, ein paar Politikern heimliche Dienste, indem er an ihren Arbeiten mitwirkte. Er war darin sehr verschwiegen. Er besuchte viel den Salon der Frau von Sérizy, mit der er sich nach den Reden der Gesellschaft ausgezeichnet stand. Frau von Sérizy hatte Lucien der Herzogin von Maufrigneuse entführt, die, wie sie sagte, keinen Wert mehr auf ihn legte: ein Wort, durch das sich die Frauen wegen eines Glückes rächen, das ihren Neid erweckt. Lucien stand sozusagen im Angelpunkt des Almosenpflegeramts, und er war intim mit einigen Frauen, die mit dem Erzbischof von Paris befreundet waren. Als bescheidener und verschwiegener Mann harrte er geduldig. Daher enthielt denn auch das Wort von Marsays, der sich damals verheiratet hatte und der seine Frau zwang, das Leben Esthers zu führen, mehr als eine Anmerkung. Aber die unterseeischen Gefahren der Lage Luciens werden im Verlauf dieser Geschichte deutlich genug hervortreten.
So standen die Dinge, als in einer schönen Augustnacht der Baron von Nucingen vom Landgut eines in Frankreich ansässigen ausländischen Bankiers, bei dem er gespeist hatte, nach Paris zurückkam. Das Landgut liegt in der Brie, acht Stunden von Paris. Da nun der Kutscher des Barons sich gerühmt hatte, seinen Herrn mit seinen eigenen Pferden hin und zurück zu fahren, so nahm sich dieser Kutscher die Freiheit, als die Nacht gekommen war, langsam zu fahren. Beim Eintritt in den Wald von Vincennes waren Tiere, Leute und Herr in folgender Lage. Der Kutscher, dem man in der Küche des berühmten Geldautokraten freigebig zu trinken gespendet hatte, war vollständig Schreckens ihren Schleier. Der Jäger stieß einen heisern Schrei aus, dessen Sinn der Kutscher sofort verstand, denn der Wagen schoß wie ein Pfeil davon. Der alte Bankier war in furchtbarer Erregung: das Blut, das ihm aus den Füßen emporwallte, trieb ihm das Feuer in den Kopf, sein Kopf schickte Flammen ins Herz hinein; die Kehle schnürte sich ihm zu. Der Unglückliche fürchtete eine schlechte Verdauung, und trotz dieser großen Befürchtung erhob er sich auf seine Füße.
»Kalopp! Elländes Vieh, wer schläft!« rief er. »Hündert Franken, wänn de einholst d'n Wagen.«
Bei den Worten ›hündert Franken‹ erwachte der Kutscher; der Diener hinten hörte sie zweifellos noch im Schlaf. Der Baron wiederholte den Befehl; der Kutscher trieb seine Tiere zum Galopp, und es gelang ihm auch am Throntor, einen Wagen einzuholen, der jenem, in dem Nucingen die göttliche Unbekannte gesehen hatte, einigermaßen ähnlich war; aber der erste Kommis irgendeines reichen Kaufhauses spreizte sich darin mit einer ›anständigen Frau‹ der Rue Vivienne.
Dieser Irrtum schlug den Baron nieder. »Wänn ich hätt mitkenommen den Schorsch (sprich Georg) und nich dich, dann hätt er kefunden die Frau,« sagte er zu dem Diener, während die Zollbeamten den Wagen visitierten. »Ach, Herr Baron, ich glaube, der Teufel saß als Heiduck hinten auf, und er hat mir diesen Wagen untergeschoben.« »Teifel, gibt nix Teifel,« sagte der Baron.
Der Baron von Nucingen gab damals sechzig Jahre zu; die Frauen waren ihm völlig gleichgültig geworden, vor allem seine eigene Frau. Er rühmte sich, nie die Liebe des Hauses hatten der Baronin zu verstehen gegeben, daß ein Mann wie Nucingen nicht unversehens sterben dürfte; seine ungeheuren Geschäfte erforderten Vorsichtsmaßregeln, man müßte unbedingt wissen, an was man sich zu halten hätte. Diese Herren wurden zu dem Diner eingeladen; ebenso der Graf von Gondreville, der Schwiegervater Franz Kellers, der Chevalier d'Espard, Des Lupeaulx, der Doktor Bianchon, derjenige unter Despleins Schülern, den er am meisten liebte, Beaudenord mit seiner Frau, der Graf und die Gräfin von Montcornet, Blondet, Fräulein Des Touches und Conti; schließlich auch Lucien von Rubempré, für den Rastignac seit fünf Jahren die lebhafteste Freundschaft empfand, wenn auch auf Befehl, wie man im Affichenstil sagt.
»Den da werden wir nicht so leicht loswerden,« sagte Blondet zu Rastignac, als er Lucien schöner als je und entzückend gekleidet in den Salon treten sah. »Es ist besser, man macht ihn sich zum Freunde, denn er ist zu fürchten,« sagte Rastignac. »Der?« sagte von Marsay. »Ich erkenne als furchtbar nur die Leute an, deren Stellung klar ist, und die seine ist eher unangegriffen als unangreifbar! Lassen Sie sehen, wovon lebt er? Woher hat er sein Vermögen? Ich bin überzeugt, er hat an die sechzigtausend Franken Schulden.« »Er hat in einem spanischen Priester einen sehr reichen Gönner gefunden, der ihm wohl will,« erwiderte Rastignac. »Er heiratet die älteste Fräulein von Grandlieu,« sagte Fräulein Des Touches. »Ja, aber«, sagte der Chevalier d'Espard, »man verlangt, daß er einen Landsitz von dreißigtausend Franken Rente kauft, um das Vermögen sicherzustellen, das er seiner Zukünftigen zuerkennen muß, und dazu braucht er eine Million, die man unter dem Fuß keines Spaniers findet.« »Das ist teuer, denn Klotilde ist recht häßlich,« sagte die Baronin.
Frau von Nucingen nannte Fräulein von Grandlieu aus Affektiertheit bei ihrem Vornamen, als verkehrte sie, eine geborene Goriot, in dieser Gesellschaft.
»Nein,« erwiderte du Tillet, »die Tochter einer Herzogin ist für uns Männer niemals häßlich; besonders dann nicht, wenn sie uns den Titel ›Marquis‹ und einen diplomatischen Posten mitbringt; aber das größte Hindernis für diese Heirat ist die sinnlose Liebe der Frau von Sérizy zu Lucien: sie muß ihm viel Geld geben.« »Es wundert mich nicht mehr, daß ich Lucien so ernst sehe; denn Frau von Sérizy wird ihm sicherlich keine Million geben, damit er Fräulein von Grandlieu heiratet. Er weiß gewiß nicht, wie er sich aus der Verlegenheit ziehen soll,« sagte von Marsay. »Ja, aber Fräulein von Grandlieu betet ihn an,« sagte die Gräfin von Montcornet, »und mit Hilfe des jungen Mädchens wird er vielleicht bessere Bedingungen erlangen.« »Was wird er mit seiner Schwester und mit seinem Schwager in Angoulême machen?« fragte der Chevalier d'Espard. »Aber«, erwiderte Rastignac, »seine Schwester ist reich, und er nennt sie heute Frau Séchard von Marsac.« »Wenn auch Schwierigkeiten vorhanden sind, so ist er doch ein recht hübscher Bursche,« sagte Bianchon, indem er aufstand, um Lucien zu begrüßen. »Guten Tag, lieber Freund,« sagte Rastignac, indem er einen warmen Händedruck mit Lucien tauschte. Von Marsay grüßte kühl, nachdem er zuerst von Lucien begrüßt worden war.
Vor dem Diner erkannten Desplein und Bianchon, die den Baron von Nucingen untersuchten, während sie mit ihm scherzten, daß seine Krankheit rein seelischer Natur war; aber niemand konnte die Ursache erraten, so unmöglich schien es, daß dieser tiefe Politiker der Börse verliebt sein sollte. Als Bianchon keine andere Erklärung für den leidenden Zustand des Bankiers mehr fand als die Liebe und als er Delphine von Nucingen ein paar Worte darüber sagte, lächelte sie wie eine Frau, die seit langem weiß, woran sie sich bei ihrem Manne zu halten hat. Als man jedoch nach dem Diner in den Garten hinunterging, umringten die Intimen des Hauses den Bankier; denn da sie Bianchon behaupten hörten, Nucingen müßte verliebt sein, so wollten sie diesen außerordentlichen Fall aufklären.
»Wissen Sie, Baron,« sagte von Marsay zu ihm, »daß Sie beträchtlich abgemagert sind? Und man hat Sie in Verdacht, daß Sie die Gesetze der Finanznatur vergewaltigen.« »Nimmals,« sagte der Baron. »Doch,« erwiderte von Marsay. »Man wagt die Behauptung, Sie seien verliebt.« »Recht hat mer,« erwiderte Nucingen jämmerlich. »Ich seifze um aine Unpegannte.« »Sie sind verliebt, Sie? … Sie sind ein Geck!« sagte der Chevalier d'Espard. »Wenn mer ist verliept in mainem Alter, ist mer lächerlich; kanz kewiß; aber was wollen Se! S'is so!« »In eine Frau aus der Gesellschaft?« fragte Lucien. »Aber«, sagte von Marsay, »der Baron kann nur durch eine hoffnungslose Liebe so abmagern; er hat die Mittel, alle Frauen zu kaufen, die sich verkaufen wollen und können.« »Kenn'n tu ich se nich,« erwiderte der Baron. »Und jetzt kann ich es Ihnen sagen, denn Frau von Nischinguen ist im Salon: ich hab noch nie kewußt, was die Liebe ist. Die Liebe? … Ich glaube, davon wird mer mager.« »Wo sind Sie dieser jungen Unschuld begegnet?« fragte Rastignac. »Im Wagen, nachts, im Wald von Vincennes.« »Ihre Personalbeschreibung?« sagte von Marsay. »Ain Schabot aus weißer Kase, rotes Klaid, weißer Kürtel, weißer Schlaier … Ain Kesicht, piplisch einfach! Feieraugen, orientalischer Täng.« »Sie haben geträumt!« sagte Lucien lächelnd. »Recht haben Se, ich schlief wie ain Sack … ain voller Sack,« verbesserte er sich, »denn ich kam von ainem Tiner auf dem Landgut maines Freindes … « »War sie allein?« fragte du Tillet, indem er den Luchs unterbrach. »War se,« sagte der Baron mit leidender Stimme; »nur hintern Wagen ain Heiduck und aine Zofe.« »Lucien sieht aus, als kenne er sie,« rief Rastignac, da er ein Lächeln des Liebhabers der Fräulein Esther auffing. »Wer kennt nicht die Frauen, die imstande sind, um Mitternacht auszufahren und Nucingen zu begegnen?« sagte Lucien, indem er sich im Kreise umdrehte. »Auf jeden Fall ist es keine Frau, die in die Gesellschaft geht,« sagte der Chevalier d'Espard, »denn dann hätte der Baron den Heiducken wiedererkannt.« »Ich hab se kesehen noch nirgendwo,« erwiderte der Baron; »und ich laß se suchen seit anderthalb Monaten von der Bolißei, die se nich findet.« »Lieber soll sie Sie ein paar hunderttausend Franken kosten, als das Leben; und in Ihrem Alter ist eine Leidenschaft, die keine Nahrung findet, gefährlich,« sagte Desplein; »man kann daran sterben.« »Ja,« gab Nucingen Desplein zur Antwort; »was ich esse, ernährt mich nicht, die Luft schaint mir tötlich; ich fahre in den Wald von Vincennes, um ßu sehn die Stelle, wo ich se kesehen habe! … Un das is main Leben! Ich hab nich können mich kimmern um die letzte Anlaihe: ich hab mich missen verlassen auf maine Kollägen, die hatten Mitlaid mit mir … Um aine Million möcht ich die Frau kennen lernen; ich würd noch kewinnen daqei, denn ich keh nich mehr an die Pörse … Fragen Se ti Dilet.« »Ja,« bestätigte du Tillet, »er hat einen wahren Abscheu vor den Geschäften; er wird anders, das ist ein Vorzeichen des Todes.« »Ein Szeichen von Liebe,« erwiderte Nucingen; »für mich ist das ain und dasselbe!«
Die Naivität dieses Greisen, der kein Luchs mehr war und der zum erstenmal in seinem Leben etwas Heiligeres und Geweihteres erkannte als das Gold, rührte diese Gesellschaft blasierter Leute: die einen tauschten ein Lächeln aus, die andern sahen sich mit einem Ausdruck an, als wollten sie sagen: ›Ein so starker Mensch, und dahin zu kommen!‹ Dann kehrten alle in den Salon zurück, indem sie von diesem Ereignis plauderten. Es war in der Tat ein Naturereignis, das die größte Sensation erregen mußte. Frau von Nucingen brach in Lachen aus, als Lucien ihr das Geheimnis des Bankiers entdeckte; aber als der Baron die Spöttereien seiner Frau hörte, nahm er sie am Arm und führte sie in eine Fensternische.
»Knädige Frau,« sagte er, »hab ich je kesagt ein spöttisches Wort ieber Ihre Laidenschaften, daß Sie sich machen lustik ieber maine? Aine kute Frau wirde helfen ihrem Mann, daß er sich ßieht aus der Verlegenheit, ohne ßu spotten, wie Sie es tun … «
Nach der Schilderung, die der alte Bankier entworfen hatte, erkannte Lucien seine Esther. Da er sich schon ärgerte, weil er sah, daß man sein Lächeln bemerkt hatte, so benutzte er den Augenblick allgemeinen Geplauders, während man den Kaffee servierte, um zu verschwinden.
»Wo ist denn Herr von Rubempré geblieben?« fragte die Baronin von Nucingen. »Er bleibt seiner Devise ›Quid me continebit?‹ treu,« erwiderte Rastignac. »Was ganz nach Belieben heißt: ›Was kann mich halten?‹ oder ›Ich bin unbezähmbar‹,« fuhr von Marsay fort. »In dem Augenblick, als der Herr Baron von seiner Unbekannten sprach, entschlüpfte Lucien ein Lächeln, aus dem ich schließen möchte, daß sie ihm bekannt ist,« sagte Horace Bianchon, ohne zu ahnen, wie gefährlich eine so natürliche Bemerkung war.
›Kut!‹ sagte der Luchs vor sich hin.
Wie alle verzweifelt Kranken griff der Baron nach allem, was eine Hoffnung zu sein schien; und er nahm sich vor, Lucien von andern Leuten überwachen zu lassen als denen Louchards, des gewandtesten Exekutors der Handelsgerichte, an den er sich vor vierzehn Tagen gewandt hatte.
Ehe Lucien sich zu Esther begab, mußte er ins Hotel der Grandlieus gehen, um dort die zwei Stunden zu verbringen, die Klotilde Friederike von Grandlieu zum glücklichsten Mädchen des Faubourg Saint-Germain machten. Die Klugheit, die das Verhalten dieses jungen Ehrgeizigen charakterisierte, riet ihm, Carlos Herrera alsbald darüber zu unterrichten, welche Wirkung das Lächeln gehabt hatte, das ihm entschlüpft war, als der Baron von Nucingen Esthers Bild entwarf. Die Liebe des Barons zu Esther und der Gedanke, der ihm gekommen war, sie durch die Polizei suchen zu lassen, waren übrigens als Ereignisse wichtig genug, um sie einem Menschen mitzuteilen, der unter der Soutane Zuflucht gesucht hatte, wie ehedem die Verbrecher in den Kirchen Zuflucht suchten. Und von der Rue Saint-Lazare, wo der Bankier damals wohnte, bis zur Rue Saint-Dominique, in der sich das Hotel Grandlieu befindet, führte Luciens Weg ihn bei seiner Wohnung auf dem Quai Malaquais vorbei. Lucien traf seinen furchtbaren Freund, wie er sein Brevier rauchte, das heißt eine Pfeife anbräunte, ehe er zu Bett ging. Dieser eher fremdartige als fremdländische Mensch hatte auf spanische Zigarren verzichtet, weil er sie zu milde fand.
»Das wird ernst,« erwiderte der Spanier, als Lucien ihm alles erzählt hatte. »Der Baron, der sich Louchards bedient, um die Kleine zu suchen, wird auch Geist genug haben, um dir einen Schergen auf die Fersen zu setzen, und alles würde bekannt. Die Nacht und der Morgen sind nicht zuviel, um die Karten für die Partie zu studieren, die ich gegen diesen Baron spielen will, um ihm vor allem die Ohnmacht der Polizei zu beweisen. Wenn unser Luchs jede Hoffnung aufgegeben hat, sein Lamm zu finden, so mache ich mich anheischig, sie ihm um den Preis zu verkaufen, den sie für ihn wert ist … « »Esther verkaufen?« rief Lucien, dessen erste Regung stets ausgezeichnet war. »Du vergißt unsere Lage!« rief Carlos Herrera.
Es handelt sich um unsere Tugendlivree, um unsere Mäntel der Ehrlichkeit, um den Windschirm, hinter dem die Großen all ihre Infamien verbergen … Es handelt sich um mein fürtreffliches Ich, um dich, der du nie beargwöhnt werden darfst. Der Zufall hat uns einen bessern Dienst geleistet als mein Denken, das seit zwei Monaten im Leeren arbeitete.«
Während Carlos Herrera diese furchtbaren Sätze einen nach dem andern hinwarf, zog er sich an und machte sich zum Ausgang bereit. »Du freust dich sichtlich,« rief Lucien; »du hast die arme Esther nie geliebt, und du siehst mit Wonne den Augenblick kommen, in dem du dich ihrer entledigen kannst.« »Du bist der Liebe zu ihr nie müde geworden, nicht wahr? … Nun gut, ich bin es nie müde geworden, sie zu verfluchen. Aber habe ich nicht immer gehandelt, als hinge ich aufrichtig an diesem Mädchen, ich, der ich durch Asien ihr Leben in der Hand hielt? Ein paar schlechte Champignons in einem Ragout, und alles wäre getan gewesen … Aber Fräulein Esther lebt! … Sie ist glücklich! Weißt du, weshalb? Weil du sie liebst! Spiele nicht das Kind. Seit vier Jahren warten wir jetzt auf einen Zufall, der für oder wider uns ist; nun, es gilt, mehr als bloßes Talent zu entfalten, um das Gemüse auszuzupfen, das das Schicksal uns heute hinwirft: in diesem Rouletteschlag liegt Gutes und Schlimmes, wie in allem. Weißt du, woran ich in dem Augenblick dachte, als du eintratest?« »Nein … « »Daran, mich hier wie in Barcelona mit Hilfe Asiens zum Erben einer reichen Frömmlerin zu machen … « »Ein Verbrechen?« »Mir blieb nur noch dieser Ausweg, um dein Glück zu sichern. Die Gläubiger regen sich. Wärst du erst von den Gerichtsvollziehern verfolgt und aus dem Hotel Grandlieu verjagt, was wäre da aus dir geworden? Für den Teufel wäre der Tag des Verfalls gekommen.«
Carlos Herrera malte durch eine Geste den Selbstmord eines Mannes, der sich ins Wasser wirft; dann heftete er einen jener starren und durchdringenden Blicke auf Lucien, die dem Willen der Starken Eingang verschaffen in die Seele der Schwachen. Dieser Zauberblick, der die Wirkung hatte, daß er jeden Widerstand brach, verriet, daß Lucien und seinen Ratgeber nicht nur Geheimnisse um Leben und Tod verbanden, sondern auch Empfindungen, die ebenso hoch über den gewöhnlichen Empfindungen standen, wie dieser Mensch über der Gemeinheit seiner Stellung.
Er war gezwungen, außerhalb der Welt zu leben, in die wieder einzutreten das Gesetz ihm auf ewig verbot, das Laster und wütender, furchtbarer Widerstand hatten ihn erschöpft, aber er war mit einer Kraft der Seele begabt, die an ihm nagte; und so lebte diese unedle und große, obskure und berühmte Persönlichkeit, verzehrt vor allem von fieberhaftem Lebensdrang, im eleganten Körper Luciens wieder auf, dessen Seele die seine geworden war. Er ließ sich im sozialen Leben von diesem Dichter vertreten, dem er seine zähe Kraft und seinen ehernen Willen lieh. Für ihn war Lucien mehr als ein Sohn, mehr als eine geliebte Frau, mehr als eine Familie, mehr als sein Leben: er war seine Rache; und da starke Seelen mehr an einer Empfindung festhalten als am Dasein, so hatte er ihn durch unlösliche Bande an sich gefesselt.
Nachdem er in dem Augenblick, als der verzweifelte Dichter einen Schritt zum Selbstmord tat, Luciens Leben gekauft hatte, hatte er ihm einen jener Höllenpakte vorgeschlagen, die man fast nur aus Romanen kennt, deren furchtbare Möglichkeit aber durch berühmte Justizdramen oft vor Gericht erwiesen wurde. Indem er alle Freuden des Pariser Lebens über Lucien ausschüttete, indem er ihm bewies, daß er sich immer noch eine schöne Zukunft schaffen konnte, hatte er aus ihm sein Werkzeug gemacht. Kein Opfer fiel übrigens diesem seltsamen Menschen schwer, sobald es sich um sein zweites Selbst handelte. Trotz all seiner Kraft war er den Launen seines Geschöpfes gegenüber so schwach, daß er ihm schließlich seine Geheimnisse anvertraut hatte. Vielleicht war diese rein moralische Mitschuld nur ein Band mehr zwischen ihnen! Seit dem Tage, an dem Esther entführt worden war, wußte Lucien, auf welcher furchtbaren Grundlage sein Glück ruhte.
Die Soutane des spanischen Priesters verbarg Jakob Collin, eine der Berühmtheiten des Bagno, die vor zehn Jahren unter dem bürgerlichen Namen Vautrin im Hause Vauquer wohnte, in dem auch Rastignac und Bianchon in Pension waren. Jakob Collin, genannt ›Betrüg-den-Tod‹, der aus Rochefort fast unmittelbar nach seiner Wiedergefangennahme ausgebrochen war, machte sich das Beispiel des berühmten Grafen von Sankt Helena zunutze, doch vermied er alles, was an der verwegenen Aktion Coignards fehlerhaft gewesen war. Sich selbst an die Stelle eines ehrlichen Mannes setzen und dabei das Leben eines Sträflings fortführen, das ist eine Aufgabe, deren beide Ziele zu widerspruchsvoll sind, um nicht eine verhängnisvolle Entwicklung zu nehmen, vor allem in Paris; denn wenn ein Verurteilter sich in eine Familie verpflanzt, so verzehnfacht er die Gefahren dieser Unterschiebung. Muß man sich nicht, um vor jeder Forschung sicher zu sein, eine Stellung hoch über den gewöhnlichen Interessen des Lebens suchen? Ein Mann der Gesellschaft ist Zufällen ausgesetzt, die selten auf den Leuten lasten, wenn sie nicht mit der Gesellschaft in Fühlung sind. Deshalb ist die Soutane die sicherste Verkleidung, wenn man sie durch ein exemplarisches, einsames und tatenloses Leben ergänzen kann. »Ich werde also Priester werden,« sagte sich dieser bürgerlich Tote, der durchaus unter einer sozialen Gestalt wiederaufleben wollte, um Leidenschaften zu befriedigen, die ebenso unheimlich waren wie er.
Der Bürgerkrieg, den die Verfassung von 1812 in Spanien entfachte, wohin dieser Mann der Tatkraft sich begeben hatte, lieferte ihm die Gelegenheit, den wirklichen Carlos Herrera in einem Hinterhalt zu töten. Dieser Priester, der Bastard eines großen Herrn, seit langem von seinem Vater im Stich gelassen, war von König Ferdinand VII., dem ein Bischof ihn empfohlen hatte, mit einer politischen Mission in Frankreich betraut worden. Der Bischof, der einzige Mensch, der sich für Carlos Herrera interessierte, starb, während dieser verlorene Posten die Reise von Cadiz nach Madrid und von Madrid nach Frankreich machte. Glücklich über die so lange ersehnte Begegnung mit dieser Individualität, die obendrein ein Amt bekleidete, wie er es wollte, brachte Jakob Collin sich auf dem Rücken Wunden bei, um die verhängnisvollen Brandmale auszulöschen; und sein Gesicht verwandelte er mit Hilfe chemischer Reagenzien. Indem er sich so vor dem Leichnam des Priesters entstellte, ehe er ihn vernichtete, konnte er sich einige Ähnlichkeit mit seinem Doppelgänger geben. Um diese Verwandlung, die fast ebenso wunderbar war wie jene in dem arabischen Märchen, wo der Derwisch die Macht erlangt hat, mit Hilfe magischer Worte in einen jungen Leichnam einzudringen, vollkommen zu machen, lernte der Sträfling, der spanisch sprach, genau so viel Lateinisch, wie ein andalusischer Priester wissen mußte. Als Bankier der drei Bagnos war Collin reich, da man alle Depositen seiner bekannten Ehrlichkeit anvertraut hatte, die übrigens auch erzwungen war: denn unter solchen Partnern wird ein Irrtum mit Dolchstichen bezahlt. Mit diesen Geldern vereinigte er die Summe, die der Bischof Carlos Herrera gegeben hatte. Ehe er Spanien verließ, konnte er sich in Barcelona des Schatzes einer frommen Frau bemächtigen, der er die Absolution erteilte, indem er ihr versprach, die Summen zurückzuerstatten, die sie mit Hilfe eines von ihr begangenen Mordes gestohlen hatte und aus denen das Vermögen seines Beichtkindes stammte. So war Jakob Collin Priester geworden und mit einer geheimen Mission betraut, die ihm die einflußreichsten Empfehlungen in Paris eintragen mußte; er war entschlossen, nichts zu tun, was den Charakter, den er sich umgehängt hatte, kompromittieren konnte, und überließ sich also den Zufällen seines neuen Daseins, als er auf der Straße von Angoulême nach Paris Lucien traf. Dieser Junge schien dem falschen Abbé ein wundervolles Werkzeug der Macht zu sein; er rettete ihn vor dem Selbstmord, indem er zu ihm sagte: ›Überantworten Sie sich einem Manne Gottes, wie man sich dem Teufel überantwortet, und Sie sollen alle Aussichten eines neuen Lebens haben. Sie werden leben wie im Traum, und das schlimmste Erwachen ist höchstens der Tod, den Sie sich geben wollten … ‹
Das Bündnis dieser beiden Wesen, die nur eins ausmachen sollten, beruhte auf dieser kraftvollen Gedankenreihe, die Carlos Herrera übrigens noch durch eine schlau herbeigeführte Mitschuld besiegelte. Da er mit dem Genie des Verführers begabt war, so vernichtete er Luciens Ehrlichkeit, indem er ihn in grausame Zwangslagen brachte und ihn daraus erlöste, indem er ihn stillschweigend in schlimme oder ehrlose Handlungen einwilligen ließ, bei denen er jedoch in den Augen der Welt stets rein, offenherzig und edel dastehen blieb. Lucien war der soziale Glanz, in dessen Schatten der Fälscher leben wollte. ›Ich bin der Verfasser, du sollst das Drama sein; wenn du keinen Erfolg hast, so wird man mich auszischen,‹ sagte er ihm an dem Tage, als er ihm die Kirchenschändung seiner Verkleidung anvertraute.
Seiten unter scheinbarer Freundschaft die Furcht verbarg. Im Augenblick der Gefahr hätte Rastignac offenbar mit größtem Vergnügen den Wagen geliefert, der Betrüg-den-Tod zum Schafott führen sollte. Jeder wird jetzt erraten, von welcher finstern Freude Carlos ergriffen wurde, als er von der Liebe des Barons von Nucingen erfuhr, denn er erkannte mit einem einzigen Blick, welchen Nutzen ein Mann seiner Art aus der armen Esther ziehen konnte.
»Geh,« sagte er zu Lucien, »der Teufel schützt seinen Almosenpfleger.« »Du rauchst auf einem Pulverfaß!« »Incedo per ignes!« erwiderte Carlos lächelnd, »das ist mein Beruf.«
Das Haus Grandlieu hat sich um die Mitte des letzten Jahrhunderts in zwei Zweige gespalten: erstens das herzogliche Haus, das dem Erlöschen geweiht ist, weil der gegenwärtige Herzog nur Töchter hat; zweitens die Vicomtes von Grandlieu, die Titel und Wappen ihrer älteren Linie erben werden. Der herzogliche Zweig führt im roten Felde drei in einer Reihe angeordnete goldene Streitäxte mit dem berühmten ›Caveo non timeo‹, das die ganze Geschichte dieses Hauses enthält. Der Schild der Vicomtes ist gevierteilt und zeigt im roten Felde den zinnenbesetzten goldenen Balkenstreifen; er ist bekrönt mit dem Ritterhelm; die Devise lautet: ›Grands faits, Grand lieu!‹ Die gegenwärtige Vicomtesse, die seit 1813 Witwe ist, hat einen Sohn und eine Tochter. Obwohl sie aus der Verbannung fast ruiniert zurückkam, hat sie doch infolge der Ergebenheit eines Anwalts, Dervilles, ein ziemlich beträchtliches Vermögen zurückgewonnen.
Der Herzog und die Herzogin von Grandlieu waren 1804 nach Frankreich heimgekehrt, und sie wurden alsbald zum Gegenstand der Koketterien des Kaisers; Napoleon gab denn auch, als er sie an seinem Hofe sah, durfte, um dann ›Herr von Rubempré‹ melden zu hören, und zwar in dem großen Salon im Stil Ludwigs XIV., der zur Zeit Ludwigs XIV. nach dem Muster derer von Versailles eingerichtet worden war, und in dem sich jene auserlesene Gesellschaft, die ›Crème‹ von Paris befand, die man damals, ›le petit Château‹ nannte.