Kitabı oku: «Tanz der Finanzen», sayfa 2
»Du lieber Himmel, was wurde und wird denn hier gespielt?« Die Denkfalten in Barbara Kohlers Gesicht vertieften sich um einiges.
»Ja, Frau Kohler, mir dämmert auch erst so langsam die ganze Dimension unseres Kampfes mit Gerd Brauner und seiner Meinebank. Wir sind da offenbar zwischen die Mühlen der zwei mächtigsten Nationen geraten. Aber was jetzt viel wichtiger ist, ist die Frage, wie geht es weiter.« Er machte eine vielsagende Pause, bevor er tief in Barbara Kohlers Augen sah. »Frau Kollegin, ich habe einen sehr ambitionierten Plan, um diese Bank zukunftsfähig neu auszurichten. Ich werde dazu für einen längeren Zeitraum ein hochrangiges Team zusammenstellen müssen, das verschwiegen und absolut loyal mir zuarbeitet.« Er machte wieder eine kurze Pause. »Werden Sie mir dafür zur Verfügung stehen?«
»Aber was für eine Frage, selbstverständlich werde ich das. Wieso fragen Sie das überhaupt?«
»Weil«, und wieder eine kleine Pause, »weil ich nicht weiß, wie lange Sie noch bei uns sind.«
Barbara Kohler durchströmte es heiß und kalt, ihre Lippen zuckten kurz.
»Ihr Vertrag läuft noch ein Jahr, glaube ich.« Der Mistkerl, dachte sie, das weiß er doch ganz genau. »Hat Herr Fieber schon einmal mit Ihnen über eine Verlängerung gesprochen?«
»Nein, noch nicht. Ich dachte, das sei nur eine Formalität.«
Angesichts ihrer leicht zittrigen Stimme war jetzt die Zeit für das Zuckerbrot gekommen. Seine Stimme hatte ein betont gütiges Timbre. »Ist es sicherlich auch.« Er widerstand dem Impuls, ihre Hand zu nehmen. »Da muss ich unserem Herrn Aufsichtsratsvorsitzenden wohl mal einen Hinweis geben. Üblicherweise werden Verträge zwölf Monate vor Ablauf erneuert. Dafür sind dann aber noch umfangreiche Gespräche nötig, die sind auch nicht in wenigen Tagen abgeschlossen. Ich sehe Herrn Fieber vermutlich heute Nachmittag und werde ihn in Marsch setzen. Ich würde mich jedenfalls sehr freuen, wenn Sie bei uns bleiben.«
»Danke, Herr Nehmer, ich fühle mich auch sehr wohl in dieser Bank, und in München sowieso. Und ich werde loyal an Ihrer Seite stehen, darauf können Sie sich verlassen. Darf ich fragen, wie Ihr ambitionierter Plan für diese Bank in seinen Grundzügen aussieht? Völlig vertraulich, versteht sich.«
Nehmer beugte sich mit verschwörerischer Miene vor. »Es fällt mir nicht leicht, aber ich muss wohl meinen Traum von einer internationalen Bankenallianz begraben. Ich plane, unser Haus noch stärker auf das Asset Management auszurichten.«
»Das würde unserem Risikoexposure sicherlich guttun. Sie wissen ja, ich war aus Sicht des Risikomanagements immer skeptisch gegenüber dem internationalen Geschäftsmodell. Immer, wenn zusätzliche Geschäftspartner ins Spiel kommen, steigen auch die Risiken. Man ist schließlich auf Gedeih und Verderb an die Ertragsentwicklung des Partners gebunden, hat aber auf dessen Geschäftspolitik kaum Einfluss, schon gar nicht, wenn er im Ausland residiert. Wird er insolvent, haben auch wir ein Problem. Im Asset Management dagegen handelt es sich ja um Zug-um-Zug-Geschäfte, du gibst mir und gleichzeitig gebe ich dir. Von daher sind hier Kontrahentenrisiken so gut wie nicht vorhanden.«
Er nickte zustimmend. »Ja, in der Tat. Bleibt nur die Frage, wie wir zusätzliches Asset-Management-Geschäft kreieren.«
»Vielleicht können wir dazu unsere exzellenten Beziehungen in Regierungskreise nutzen. Die brauchen doch Vermögensverwalter, jetzt, wo die Milliarden aus den Atomrückstellungen der Elektrizitätsversorger professionell in einem Staatsfonds gemanagt werden.«
Donnerwetter, die Kollegin hatte er ja wohl gründlich unterschätzt. »Eine sehr gute Idee, das werden wir in der Arbeitsgruppe ausführlich zu diskutieren haben. Ich hätte da noch die eine oder andere kleine Ergänzung, über die wir aber jetzt nicht reden können, dafür fehlt uns die Zeit. Wir können unsere Kollegen nicht noch länger warten lassen.«
Peter Nehmer geleitete mit einem hochzufriedenen Gesichtsausdruck Barbara Kohler aus seinem Büro.
ABSCHNEIDEN
Er liebte Washington DC. Die Stadt hatte das Flair einer Machtmetropole, war aber gleichzeitig noch irgendwie beschaulich. Man konnte alles zu Fuß erreichen, es gab wunderbare Museen, erstklassige Restaurants und sehr viele geschichtsträchtige Denkmäler. Ihn persönlich zog es vor allem zum Vietnam-Memorial. Stundenlang konnte er auf den Namen seines Bruders starren, der dort inmitten der Namen vieler anderer Gefallener eingraviert war, als ob der dadurch wieder lebendig würde. Er war so ziemlich der einzige Mensch, zu dem er eine tiefere emotionale Beziehung gehabt hatte.
Heute allerdings hatte er schnurstracks den Weg zu seinem Büro am Woodland Park eingeschlagen. Er hatte ein volles Programm und vor allem musste er die leidige Affäre Konrad Pair entscheiden. Natürlich hatte der nur deswegen eine amerikanische Identität bekommen, damit er besser aus dem Weg geräumt werden konnte. Max Snyder ließ bei seinen Aktivitäten niemals lose Enden zurück. Und hier in den Staaten konnte er bei einem überraschenden Tod von Pair massiven Einfluss auf die polizeilichen Ermittlungen nehmen. Dadurch war sichergestellt, dass sie im Sande verlaufen würden. In Deutschland wäre so etwas nur äußerst schwierig zu bewerkstelligen gewesen.
Er wollte gerade die Treppe zum Eingang des unscheinbaren Gebäudes hochgehen, in dem sich seine nur Spezialisten bekannte Behörde befand, als sein Handy vibrierte. »Ja?«
»Max?«
»Ja.«
»Jerry hier, ich muss dich sprechen. Wo bist du?«
»Bin gleich in meinem Büro. Ist es dringend?«
»Mega.«
»Dann komm gleich, nachher bin ich im Stress.«
Er beendete das Gespräch und machte sich auf den Weg in sein Büro. Was hatte denn seinen Nachrichtenspezialisten nur so aufgescheucht? Der war doch sonst die Ruhe selbst. Und da war er auch schon, er hatte doch tatsächlich noch vor ihm sein Büro erreicht.
»Komm rein, Jerry. Was gibt es?«
»Du hattest mir doch ein Foto von diesem John Norton in die Hand gedrückt und mich gebeten, meine Lauscher aufzustellen. Hattest du dabei etwas Bestimmtes im Sinn?«
»Eher eine Ahnung. Nennen wir es Instinkt. Bist du über etwas gestolpert?«
»Gestolpert ist gut, gefallen trifft es eher. Schau dir das mal an. Ist das unser Kandidat?«
»Das ist er.« Max Snyder sah Jerry Darkin scharfan. »Woher stammen diese Aufnahmen und wer ist der Typ neben Norton auf dem Bild?«
»Das haben wir noch nicht raus.« Darkin hob die Hände. »Aber wir arbeiten daran. Diese Bilder stammen von einer Überwachungskamera im Frankfurter Flughafen. Wie du weißt, durchsuchen wir regelmäßig die uns von der deutschen Polizei überlassenen Filme nach verdächtigen Personen. Wenn du uns nichts gesagt hättest, wären uns die beiden nicht aufgefallen.« Darkin sah ihn bewundernd an. »Kein Wunder, dass du so gut bist.«
»Geschenkt. Jerry, schick mir Liam rein. Aber bitte unauffällig. Und ich will schleunigst wissen, wer der Typ neben Norton ist.«
Nachdem Darkin sein Büro verlassen hatte, ließ sich Snyder in seinen Sessel fallen. Dieser Mistkerl von Pair! Er sollte doch jeden Kontakt vermeiden. Nicht auszudenken, was der alles erzählt hatte. Er schlug mit der flachen Hand auf seinen Schreibtisch. Das war es dann ja wohl, Herr Norton. Damit hast du dein Todesurteil besiegelt. Max Snyder griff zum Telefon.
»Ilan, Max hier.«
»Hallo, Max. Was treibt dich um?« Die Stimme von Ilan Silberstein, dem nominellen Chef der Investmentfirma Silberstein und Partner in New York, klang wie fast immer sehr distinguiert.
»Wir hatten ja schon über unseren deutschen Freund gesprochen und die finale Möglichkeit erörtert. Jetzt sind neue Fakten aufgetaucht, die uns bestätigen und die Dinge beschleunigen. Ich schicke ihn zu dir nach New York. So etwas lässt sich in einer Millionenstadt besser bewerkstelligen.«
Trotz der aus Sicherheitsgründen unscharfen Ausdrucksweise verstand Silberstein perfekt, wovon Snyder sprach.
»Wen hast du ausgewählt? Liam?«
»Ja, Samuel steht ja nicht mehr zur Verfügung.«
»Gut, ich werde John Norton nach Ankunft bei mir mit Arbeitspapieren ausstatten und ihn dann in unsere Dependance auf Staten Island setzen. Da ist er ungestört und kann in Ruhe seinen Aufgaben nachgehen. Liam kann ihm dort assistieren.«
»Danke, Ilan.« Snyder trat ans Fenster und schaute nachdenklich in die Senke des Woodland Park hinab. Plötzlich schnippte er mit den Fingern und griff erneut zum Telefon.
»Jerry, habt ihr schon etwas?«
»Nein, Max, die deutschen Freunde haben unsere Anfrage noch nicht beantwortet.«
»Vergiss die, da kommt ohnehin nichts. Zapf die Fotodateien der Immigration-Jungs an. Alle Ausländer, die ESTA, Global Entry oder die Greencard beantragt haben, sind dort mit Passfotos festgehalten. Vielleicht ist unser Mann auch dabei.«
»Superidee, machen wir.«
Alles muss man selber machen, dachte Snyder. An alles muss unsereiner denken. Was machen die bloß, wenn ich mal nicht mehr da bin? Dabei war Jerry noch einer seiner besten Leute, aber auch ihm mangelte es manchmal an Fantasie. Bevor er sich noch tiefer in seinen Frust hineindenken konnte, betrat Liam Waggoner den Raum und setzte sich auf einen Wink vor seinen Schreibtisch.
Wortlos schob ihm Snyder die Fotos zu und wartete, bis Waggoner die Aufnahmen studiert hatte. Der ließ sich Zeit und sah sich jedes Bild mehrmals genau an. Er schien jedes gezeigte Detail in sich aufzusaugen. Dann zeigte er mit dem Finger auf Konrad Pair und sah Max Snyder an. Der nickte.
»Ganz richtig, unser neuer Kollege John Norton. Ich denke, Sie sollten seinen Arbeitsvertrag vorzeitig beenden. Am besten in New York, da fällt ein Toter mehr oder weniger kaum auf. Ich schicke ihn zu Silberstein, und die werden ihn im Büro auf Staten Island platzieren. Da haben Sie freie Bahn.«
»Können Sie mir ein paar Informationen über Norton geben? Ich weiß ganz gern, über welche Fähigkeiten mein Gegenspielerverfügt. Das erspart unliebsame Überraschungen.«
»Nun, er war zwar in Diensten unserer deutschen Freunde, aber nicht sehr aktiv. Die meiste Zeit hat er den Chefvolkswirt einer deutschen Bank gemimt. Ich glaube kaum, dass er Ihnen auch nur annähernd ebenbürtig ist.«
»Irgendwelche Jahre in der Armee, irgendwelche Spezialausbildungen?«
»Ach, Liam, jetzt hören Sie auf. Gut, er kann mit einer Waffe umgehen, das hat er ja kürzlich erst unter Beweis gestellt. Aber darüber hinaus traue ich ihm eigentlich nichts Besonderes zu.«
»Ist er etwa bewaffnet?«
»Natürlich, wie jeder hier hat er seine Standardausrüstung bekommen.«
»Na super. Was für eine Schulbildung hat er, wie ist seine Fitness, hat er Freunde in den Staaten, irgendwelche Angewohnheiten, Besonderheiten und dergleichen?«
»Was weiß ich, ich kenne den Mann ja kaum. Was ist bloß mit Ihnen los?«
»Sie kennen den Mann kaum, das genau ist das Problem, Herr Snyder. Ich kenne ihn überhaupt nicht, ich habe ihn nur einmal ganz kurz gesehen. Dieser John Norton stellt eine Unwägbarkeit dar, und Unwägbarkeiten mag ich in meinem Geschäft gar nicht. Wenn dieser Mann Chefvolkswirt war, dann hat er ein Hochschulstudium absolviert. Dann ist er nicht dumm, und das allein macht ihn zu einem Risiko. Mit welcher Begründung werden Sie ihm seinen Transfer nach New York schmackhaft machen?«
»Na, wie denn wohl? Plötzlich auftretende personelle Engpässe in New York bei der Analyse der aus Deutschland hereinkommenden Meldungen. Wir haben sonst niemanden, der Deutsch spricht. Das wird er wohl schlucken.«
Liam Waggoner schüttelte seinen Kopf, aber auch ohne diese Geste drückte seine Körpersprache Zweifel aus. »Wenn er das mal glaubt. In unserer Branche werden plötzlich auftretende Ereignisse grundsätzlich mit Misstrauen betrachtet. John Norton dürfte da keine Ausnahme sein.«
»Na, wenn schon, Sie werden das schon machen. Und jetzt muss ich Sie hinauskomplimentieren, ich habe mich auch noch um andere Dinge zu kümmern.«
VERKRÜMELN
Nicht, dass er sonderlich überrascht gewesen wäre, und natürlich hatte er kein Wort von dem geglaubt, was ihm da als Erklärung angeboten wurde. Von wegen Personalengpass in New York, lächerlich. Der gute Max Snyder wollte keinerlei Risiko eingehen und ihn aus dem Weg haben. Seine Organisation konnte es sich nicht leisten, irgendwelche Spuren zu hinterlassen. In Washington schien ihnen offenbar das Risiko bei seinem plötzlichen Tod zu groß, das war mit Sicherheit in New York kleiner. In solch einer Riesenmetropole wurden jeden Tag viele Menschen umgebracht. Einer mehr oder weniger fiel da nicht ins Gewicht, schon gar nicht angesichts einer notorisch unterbesetzten Polizei.
Bestätigt in seinen Überlegungen hatte ihn der Schatten, der ihm seit seinem gestrigen Gespräch mit Snyder folgte. Er hatte ihn sofort erkannt. Er wusste zwar seinen Namen nicht, aber mit Sicherheit war der ihm in der Organisation schon über den Weg gelaufen. Warum wollten die ihre eigenen Leute überwachen? Dafür gab es nur eine Erklärung. Sein Entschluss war daher schnell gefasst. Er würde nach Deutschland zurückgehen. Schließlich hatte er noch seine deutschen Papiere, seine Wohnung in München, seine Kreditkarten und seine ordnungsgemäße Entlassungsbescheinigung aus dem Gefängnis. In Deutschland kannte er sich aus, und mit diesem Aas von Kaminski würde er schon fertig werden.
Er hatte seinen unscheinbaren Duffle Bag aus abgewetztem Leder aus dem Schrank geholt und die Moleskinhose und - jacke sowie das großkarierte Baumwollhemd eingepackt. Hinzu kamen neben Unterwäsche und Socken noch seine aus weichem Rindsleder gefertigten Stiefel. Jeder Soldat hätte ihn um diese beneidet.
In Washington musste er aber zunächst seinen Schatten loswerden. Er hatte sich im Taxi zum Reagan Airport fahren lassen, schließlich hatte ihm Snyder einen Flug bei Delta Airlines gebucht, und er musste zumindest so tun, als ob er diesen auch nehmen würde. Dann war er in das mit Leuten vollgestopfte Terminal gegangen. Als er seinen Schatten ebenfalls aus seinem Taxi steigen sah, verließ er das Gebäude durch einen Seiteneingang. Wieder im Taxi hatte er sich zur Union Station fahren lassen und die ganze Zeit auf den rückwärtigen Verkehr geachtet.
Sein kleiner Trick hatte offenbar funktioniert, weit und breit war von einem Verfolger nichts zu sehen. In der Union Station erstand er eine Fahrkarte für den Amtrak nach New York. Als er drei Stunden später in der Pennsylvania Station in New York den Zug verließ, hatte sein Äußeres nichts mehr mit John Norton alias Konrad Pair gemein. Er trug jetzt die Moleskinsachen, das Baumwollhemd und seine Stiefel. Eine Baseballkappe komplettierte sein Outfit als Holzfäller. Dafür war er aber selbst für Manhattan ziemlich markant, schließlich liefen hier nicht allzu viele dieser Typen herum. Aus diesem Grund hatte er auf ein Taxi verzichtet und es vorgezogen, den langen Weg zu den Port Authorities, dem Startpunkt der Greyhound-Busse, zu Fuß zurückzulegen. Schließlich sollten die Silbersteins es nicht so leicht haben, seine Fährte aufzunehmen.
In der Nähe des Union Square angekommen gönnte er sich eine Pause in einem mexikanischen Restaurant mit einem kleinen Außenbereich. Dort bestellte er erst einmal ein Corona und studierte die Speisekarte. Seine letzte Mahlzeit lag eine Weile zurück und die Fahrt mit dem Greyhound sollte ungefähr neun Stunden dauern. Da war es gut, vorher noch einmal anständig zu essen.
Die Würfel waren ja gefallen, und bis jetzt hatte alles ganz gut geklappt. Er war in den Amtrak gekommen, ohne seine Identität preisgeben zu müssen, und auch im Zug selbst war das Personal mehr als nachlässig gewesen. Jetzt musste er es nur noch beim Greyhound schaffen, aber das dürfte wohl schwieriger werden. Schließlich würde der Bus auf dem Weg nach Montreal die Grenze passieren, und in solchen Fällen wurden üblicherweise bereits beim Erwerb der Fahrkarte die Personalien aufgenommen.
Spätestens aber die kanadischen Grenzbehörden wollten mit Sicherheit seinen Ausweis sehen. Innerlich zuckte er mit den Schultern. Na wenn schon, dann würde er sich halt wieder in Konrad Pair verwandeln und seinen deutschen Pass hervorzaubern. Wichtig war es vor allem, in New York seine Identität geheim zu halten. In Montreal selbst würde er den Flughafen ansteuern und mit seiner Konrad Pair-Kreditkarte einen Flug nach Paris buchen. Von dort könnte er mit einem Mietwagen bequem nach Deutschland fahren. Damit dürfte es jeder sehr schwer haben, seinen Weg nachzuverfolgen.
Seine Gedanken wurden von einer Stimme unterbrochen. »Entschuldigen Sie, mein Herr, hätten Sie wohl etwas Geld für mich?«
Konrad Pair schaute von seinem Tisch auf und sah sich einem ungefähr 25-jährigen Mann gegenüber, der in respektvoller Entfernung von seinem Tisch verharrte.
»Wofür?«
Die Antwort war entwaffnend ehrlich. »Ich habe Hunger.«
Er musterte sein Gegenüber. Intelligentes Gesicht, wache Augen und nicht ungepflegt. Vermutlich ein Student, dachte er. »Sie haben Hunger? Dann setzen Sie sich und bestellen sich etwas. Ich lade Sie ein.«
»Kein Scherz?«
»Nun machen Sie schon oder wollen Sie da noch ewig herumstehen?«
Das ließ der junge Mann sich nicht zweimal sagen und hatte im Nu Enchiladas und eine Cola bestellt. Dann sah er ihn verlegen an.
»Ich bin übrigens Daniel. Ich habe seit zwei Tagen nichts mehr gegessen und kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich bin. Die meisten Menschen hätten mich bestenfalls einfach nur mitleidig angesehen.«
»Was ist Ihr Problem?«
»Ein ganz banales. Ich bin Student und meine Eltern sparen sich meine Studiengebühren vom Mund ab. Ich muss also für meinen Lebensunterhalt selbst sorgen, und nun habe ich letzte Woche meinen Nebenjob als Bartender verloren. Die Bar musste schließen. Ein neuer Job ist schwer zu finden, eine Erfahrung, die nahezu alle meine Kommilitonen ebenfalls machen. Jeder ist auf einen Nebenverdienst angewiesen. Deswegen bin ich heute zum Union Square gekommen, in der Hoffnung, in einem der vielen Restaurants hier etwas zu finden. Leider Fehlanzeige, aber ich versuche es nachher weiter.«
Konrad Pair lächelte ihm aufmunternd zu. »Nicht aufgeben, Sie finden bestimmt etwas.«
»Darf ich fragen, was Sie in New York machen? Vom Akzent her würde ich Sie in Deutschland oder Holland verorten.«
»Da liegen Sie ziemlich richtig. Ich bin in der Tat aus Holland. Amsterdam, um genau zu sein.«
»Und was machen Sie hier in New York, sind Sie Tourist?«
Die Kellnerin, die just in diesem Moment das Essen servierte, enthob ihn einer Antwort. Er nickte Daniel zu. »Na, dann wollen wir uns das mal schmecken lassen. Genießen Sie es.«
Die Geschwindigkeit, mit der die Enchiladas vertilgt wurden, war rekordverdächtig. Konrad Pair konnte nicht umhin, den korrekten Umgang mit Messer und Gabel bei seinem Gast zu registrieren. Offenbar stammte er aus einem guten Haus und hatte Tischmanieren gelernt, ganz im Gegensatz zu den barbarischen Essgewohnheiten, die er sonst bei Amerikanern sah. Während des Essens nahm in ihm eine zuerst vage Idee immer mehr konkrete Gestalt an. Da bot sich ihm vielleicht die Gelegenheit, seinen Häschern ein Schnippchen zu schlagen.
»Das hat Ihnen offenbar geschmeckt«, sagte er. Und nach dem bestätigenden Nicken: »Möchten Sie noch eine Cola?«
»Nein, danke, ich bin Ihnen schon genug zur Last gefallen.«
»Aber ganz und gar nicht, es war mir ein Vergnügen. Wenn Sie erlauben, würde ich Ihnen gern noch einmal helfen. Ich gebe Ihnen hier eine Kreditkarte. Mit der gehen Sie jetzt in den Publix dort hinten und kaufen für sich Lebensmittel ein. Damit kommen Sie dann einige Tage über die Runden. Ich trinke hier noch ein Bier und warte darauf, dass Sie mir die Karte zurückbringen. Was meinen Sie?«
»Oh, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Warum tun Sie das alles?«
»Sagen wir mal, ich war auch mal Student und kann mich ziemlich gut in Ihre Situation hineinversetzen.«
Immer noch ungläubig nahm Daniel zögernd die ihm gereichte Kreditkarte entgegen und machte sich auf den Weg zum Supermarkt. Konrad Pair winkte die Kellnerin heran und beglich die Rechnung. Als Daniel im Publix verschwunden war, stand er auf und machte sich eiligen Schrittes auf den Weg zur Port Authority. Durch den Einkauf würde Daniel eine falsche Spur legen, falls die Kreditkarten-Aktivitäten eines John Norton nachverfolgt wurden. Und er war sich sicher, dass dies geschehen würde. Wenn ihn der Student nach seiner Rückkehr nicht mehr vorfand, würde er die Kreditkarte entweder wegwerfen oder weiter benutzen. Letztere Variante wäre perfekt, denn sie würde suggerieren, dass er sich immer noch in New York aufhielt. Er pfiff vor sich hin. Seine neuen Kollegen hatten da eine schöne Nuss zu knacken.
Bei den Port Authorities angekommen, war er doch ein wenig platt. Sein Alter prädestinierte ihn nicht gerade für diese Art von Gewaltmärschen. Obwohl er mit 50 noch ziemlich fit war, hatte ihn doch sein, insbesondere seit dem Union Square, hohes Tempo ganz schön aus der Puste gebracht. Er hatte keine Mühe, die Abfahrtsplattform für den Bus nach Montreal zu finden. Dankenswerterweise fuhr der erst in einer guten Stunde los, so dass ihm noch genügend Zeit blieb, sich für die lange Fahrt mit Getränken und Sandwiches einzudecken.
Zunächst jedoch ging er zum Fahrkartenschalter. Der übergewichtige Mann in dem Glaskasten sah ihn kurz an, wobei sein schwarzes Gesicht eigentlich nur Langeweile verriet. »Fahrkarte?«
»Ja, nach Montreal bitte.«
»Hin und zurück?«
»Nein, nur hin.«
Nun schaute der Schaffner doch etwas interessierter. »Aha«, wobei sich das bedeutungsschwere Aha auf alles Mögliche beziehen konnte, »das macht 86 Dollar.«
»Okay.« Konrad Pair fingerte einen 100 Dollar-Schein aus der Hosentasche.
»Pass.«
Da hatte er es, dieser schläfrig wirkende Typ hatte nicht nach dem in den USA üblichen Führerschein gefragt, sondern den Pass angemahnt. Sein Akzent hatte ihn wohl gleich als Ausländer entlarvt. Konrad Pair fingerte einen weiten Hunderter aus der Hose und legte ihn auf den Counter. Der Schaffner zeigte keinerlei Reaktion, stempelte das Ticket ab und ließ den Geldschein verschwinden. Dann reichte er ihm die Fahrkarte und sah ihn mit einem unlesbaren Gesichtsausdruck an.
»Ich habe Sie nie gesehen. Gute Fahrt.«