Kitabı oku: «Wie frei wir sind, ist unsere Sache», sayfa 3

Yazı tipi:

2. Der Wille ist kein innerlich auffindbarer Gegenstand

Kommen wir noch einmal auf Balaschow zurück. In Tolstois Darstellung erscheint er als verlässlicher Offizier. Er eignet sich als Beispiel für uns vor allem, weil sein Versagen für ihn unerwartet kommt, und weil der Erzähler über die möglichen Ursachen dieses Unerwarteten kaum mehr sagen kann, als dass es auf »ein verworrenes Gefühl« zurückging. Es sollte klar sein, dass jeder Person ein solches Versagen unterlaufen kann. Dies rechtfertigt eine weitreichende These: Niemand kann sich seiner personeigenen Freiheit zum tatsächlichen Ausführen aller Handlungen sicher sein, die er im Vorfeld einer beliebigen Situation für richtig oder verpflichtend hält und in diesem Vorfeld tun will. Es ist immer möglich, dass in der Situation selbst, unmittelbar vor der anvisierten Tat, unerwartet »verworrene Gefühle« oder Elemente ganz verschiedener Art eintreten und dazu beitragen, dass in Sekunden, ja Bruchteilen von Sekunden sich ein anderes Wollen bildet und dann ein anderes Tun erfolgt als zuvor entworfen. Über jene verschiedenen Elemente wird noch zu sprechen sein.

Die vorhin gegebene Deutung für das Versagen des Generals enthält eine Vorentscheidung, die ausdrücklich notiert werden soll. Es ist philosophische und auch juristische Konvention, dass wir zu menschlichem Handeln, wenn es den vollen Sinn des Wortes »Handeln« erfüllen soll, stets ein darauf gerichtetes Wollen oder einen darauf gerichteten »Willen« oder beides annehmen. Andernfalls würden wir von einer bloßen Körperbewegung ohne Absicht sprechen, vergleichbar etwa dem Lidschlagreflex, einem krankhaften Zucken, einer Fehlleistung im Freudschen Verständnis, oder ähnlich. Dergleichen liegt bei Balaschow aber nicht vor. Der General »wollte« eigentlich Bonaparte den Satz seines Zaren sagen, sagte aber unter dem Druck diverser Situationselemente einen anderen, der die relevante Einstellung des Zaren nur in schwächerer, weniger entschiedener Form übermittelte. Das kann nicht als Reflex, Zucken, Freud’sche Fehlleistung oder dergleichen aufgefasst werden. Da es als eine Handlung des Generals dargestellt wird, und da er seinem Zaren dafür rechenschaftspflichtig ist, deuten wir es als gewolltes Tun. Dieses Tun fiel unter dem Einfluss ungünstiger Faktoren wie Müdigkeit, Einschüchterung, Verblüffung über Napoleons Benehmen anders aus, als der General es im Vorfeld beabsichtigte. Man kann hier daran denken, dass es Willenshaltungen als Dispositionen gibt wie beim Hinleben und Hinarbeiten auf langfristige Ziele. Dann kann man sagen, dass Balaschow zwar in diesem Sinn zuvor die Willens-Disposition hatte, den richtigen Satz zu sprechen, dass im kritischen Augenblick sich aber ein anderes, jetzt handlungsführendes, aktuelles Wollen bildete, so dass er den schwächeren Satz sprach.

Die Ansicht, dass zu einer Handlung im vollen Wortsinn ein darauf gerichtetes Wollen gehört, dürfte philosophisches Gemeingut im westlichen Kulturkreis sein, wie immer die Wörter lauten mögen. Im Einzelnen haben menschliches Wollen und menschlicher Wille die Philosophen oft in Verwirrung gebracht und sind geeignet, auch weiterhin Verwirrung zu stiften. Deshalb ist im Vorfeld der kommenden Überlegungen sehr kurz über den Sprachgebrauch zu reden, so dass deutlich ist, was in diesem Buch »Wollen« einerseits und »Wille« andererseits heißen sollen.

Wenn wir in der Erinnerung eine beliebige, auf eine bestimmte Handlung hin orientierte Phase unseres Lebens wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit bringen, entdecken wir dabei nirgendwo eine Gegenständlichkeit, die wir »Wille« nennen könnten. Auch der Versuch, auf den gegenwärtigen eigenen Bewusstseinszustand in der sogenannten Präsenzzeit konzentriert zu achten, fördert nichts Gegenständliches oder Gegenstandsartiges zutage, wofür das Wort »Wille« sinnvoll stehen könnte. Allerdings befinden wir uns vor einer Handlung oft in einer seelisch-körperlichen Gesamtverfassung, in der wir statt etwas Gegenständlichem namens »Wille« etwas Zuständliches bemerken, das wir »Wollen« nennen können. Wenn ich zu einem bestimmten Zeitpunkt etwas will, z. B. jetzt dieses Kapitel hier zu schreiben, kann ich sagen, dass meine bewusste Person in merklicher Weise auf dieses Ziel hinstrebt. Ich spüre irgendwie, dass ich dieses Kapitel schreiben will. Ich habe das, was ich zum Thema sagen möchte, bislang erst unklar vor mir und strebe danach, es klar in Worte zu bringen. Selbst das, was ich hier »Streben« nenne, ist nur eine irgendwie zu spürende Besonderheit meines bewussten Gesamtzustandes, nicht aber eine klar abgegrenzte, isolierte Gegebenheit meines inneren Lebens. Ludwig Wittgenstein, der größte und scharfsinnigste Kritiker unserer herkömmlichen Bewusstseins-Sprache, schrieb über eine vergleichbare Situation: »Soll ich sagen, wer eine Absicht hat, erlebt eine Tendenz?«1 Wittgenstein deutete mit der in der Frage ausgedrückten Unsicherheit recht gut an, wie schwer es ist, das Erleben eigener Wollenszustände genau zu beschreiben. Unsere Sprache hat sich historisch für die Zwecke des Überlebens in der Außenwelt gebildet; für die genaue Erfassung des bewussten Inneren eignet sie sich herzlich schlecht. Aber obgleich wir unser Wollen schwer beschreiben können, haben wir doch, wenn wir jetzt und hier etwas wollen, selten Zweifel daran, dass wir es wollen. Eine Ausnahme wäre unbewusstes Wollen, z. B. im Freudschen Sinn, aber das ist hier nicht Thema.

Besonders deutlich erlebbar ist aktuelles Wollen, wenn es eine Ablehnung fremder Erwartungen darstellt, zum Beispiel sich auf etwas richtet, was die Person nicht mit sich geschehen lassen will. Wenn mich auf einer Party jemand aufdringlich mit einem Gerede überzieht, auf das ich eingehen soll, das ich aber leer, belanglos und öde finde, dann spüre ich deutlich: Ich will das nicht. Die gespürte Ablehnung, das ablehnende Wollen, wird über kurz oder lang in mir so stark, dass ich mich mit ein paar Worten von dieser Person löse und woanders hingehe. Ähnlich werden Menschen, die unangenehm berührt sind davon, dass ihnen jemand in aufdringlicher Form körperlich nahe kommt, sehr klar spüren, dass sie dies nicht wollen. Die dergestalt Bedrängten werden dann meist versuchen, sich zu entziehen, zu wehren, zu kämpfen, zu fliehen, vielleicht Hilfe zu holen. Wollen, in dem sich der eigene Widerstand gegen eine von außen kommende Zumutung geltend macht, gehört zum Deutlichsten, was sich in unserem spürenden Leben überhaupt kundtut. Trotzdem finden wir dabei nichts Gegenständliches oder Gegenstandsartiges, das wir »Wille« nennen könnten. Der Wille ist kein innerlich auffindbarer Gegenstand.

Wollen hingegen ist etwas innerlich Auffindbares. Zwar ist es gleichfalls kein innerer Gegenstand, wohl aber ein bemerkbarer Gesamt-Zustand der Person, ein konzentriertes Streben, das sich auf etwas Bestimmtes richtet. Wollen ist nicht gegenständlich oder gegenstandsähnlich, sondern auf übergreifende, vieles einfärbende Weise zuständlich. Es ist in dieser Hinsicht einer deutlich gespürten Freude oder einem ebenso gespürten Ekel vergleichbar. Deshalb ist »Wollen« im Gegensatz zu »Wille« auch kein Wort der bloßen Theorie, sondern bezieht sich im Fall aktuellen Wollens auf etwas, das die Person als einen Zug ihrer individuellen Wirklichkeit jetzt und hier spüren und in diesem Sinn buchstäblich als real erleben kann. Wir können sagen, das aktuelle, jetzt und hier sich geltend machende Wollen ist als etwas Wirkliches im Erleben der Person ausweisbar. Dadurch hat das Wort »Wollen« für mich als erlebende Person unzweifelhaft einen Realitätsbezug. Hingegen entdecke ich in meinem Erleben etwas, das ich wie einen inneren Gegenstand mit »Wille« ansprechen könnte, nicht. Einen unmittelbaren Realitätsbezug für dieses Wort, das grammatisch wie ein inneres Ding daherkommt, kann ich nicht feststellen. Die Sprache spielt uns Streiche.

Wohl aber lässt sich verstehen, dass die Menschen zur Erklärung bestimmter Erlebnisse, zum Beispiel des erlebten Wollens, sich in unserem Kulturkreis irgendwann eine Theorie gebildet haben, die heute zum Alltagsgut zählt. In ihr spielt der so genannte »Wille« die Rolle von etwas Größerem und Dauerhafterem, das sich im konkreten Fall als erlebtes Wollen äußert. Diese Tradition gebraucht »Wille« wie einen Begriff, der zu einer populären Theorie des Seelenlebens gehört und für etwas steht, das zum Kernbereich einer Person zählt, aber als solches nicht erlebt wird. Vielmehr zeigt der so verstandene Wille seine Wirksamkeit gleichsam auf einem Umweg in aktuell erlebtem Wollen sowie im zugeordneten Handeln. In diesem Kontext sprechen wir auch von »starkem Willen«, »schwachem Willen«, »gebrochenem Willen« und ähnlich.

Diese populäre Theorie des Willens geht auf ein Motiv zurück, das man leicht nachvollziehen kann. Es wäre nämlich ganz unplausibel, zu sagen, dass der General Balaschow während seines Rittes zu Napoleons Feldlager und seines dann tagelangen Wartens unablässig ein Wollen erlebt hätte, das sich auf das Erfüllen seines Auftrags richtete. Angemessener ist es hier, davon zu sprechen, dass Balaschow während seiner Reise und der Wartezeit eine zielgerichtete Grundeinstellung hatte, die nicht pausenlos in seinem Bewusstsein präsent war. Wohl aber leitete diese Einstellung seine Reise, indem sie sich in seinem bewussten Erleben immer dann geltend machte, wenn es darauf ankam, z. B. wenn an einer Weggabelung zwischen dem Weg zu Napoleon und dem Weg zu einem anderen Ort zu wählen war. Wir können hier das schon gebrauchte Wort »Disposition« wieder verwenden, indem wir sagen: Die Disposition, Napoleon die befohlene Botschaft zu überbringen, gehörte während Balaschows Reise zu den wichtigsten handlungsleitenden Zügen seines seelisch-körperlichen Zustands. Die Gesamtheit handlungsgerichteter Dispositionen einer Person können wir als ihren »Willen« bezeichnen. Der so verstandene Wille macht sich nicht ständig im Erleben der Person bemerkbar – wie sich die Disposition des Fensterglases, unter Stoß zu zerbrechen, nicht unablässig an diesem Glas bemerkbar macht.

Der Wille äußert sich jedoch in erlebtem Wollen und Tun der Person, wenn sie in eine Lebenslage kommt, in der solches Tun gefordert ist. Tolstoi erzählt, dass Balaschow im französischen Lager auf den General Murat trifft, den Napoleon zum König von Neapel gemacht hatte. In der Unterredung mit diesem phantasievoll geschmückten Herrn betont Balaschow die friedlichen Absichten des Zaren und weist die französische Unterstellung, dieser habe den Krieg begonnen, zurück. Wir können annehmen, dass sich in diesen Aussagen Balaschows Wille zur Geltung brachte, den Franzosen auftragsgemäß die friedliche Gesinnung seines Zaren zu verdeutlichen.

Das Wort »Wille« möge in unseren Überlegungen künftig als handlungsgerichtete, personeigene Disposition oder als die Gesamtheit solcher Dispositionen einer Person verstanden werden. Das Wort »Wollen« hingegen möge für einen konkreten Zustand des Erlebens stehen, in welchem eine Person sich strebend, begehrend oder ähnlich auf das Ausführen einer Handlung richtet. Durch das Erlebnis des Wollens manifestiert sich der als Disposition vorhandene Wille eines Menschen zeitweilig im Feld seines Bewusstseins.

Interessant mag sein, dass das Wort »Wollen« als Ausdruck für ein reales Erleben kaum zu einer hoch problematischen Operation verführt, die mit dem Wort »Wille« oft vorgenommen worden ist und große Probleme erzeugt hat. Diese Operation ist die Zuordnung des Adjektivs »frei«. Ich kann mich nicht erinnern, irgendwo von einem »freien Wollen« gelesen zu haben. Beim Begriff »Wille« hingegen, der sich nicht auf etwas konkret Erlebtes bezieht, sondern nur auf etwas, das für Zwecke der (Alltags-)Theorie als existent angenommen wird, stößt man auf geringere Widerstände, wenn man das Adjektiv »frei« hinzufügt. Im Reich theoretischer Ausdrücke kann man viele sprachliche Manöver vornehmen, ohne dass sogleich die Einlösung in der Münze bewusster Zustände gefordert würde. So kann man auch das Adjektiv »frei« dem Substantiv »Wille« zuordnen und versucht sein, diese Operation unproblematisch zu finden. Es wird ja in diesem Reich nicht sofort gefragt, wie wir den Gegenstand des Substantivs »Wille« mit der Eigenschaft »frei« tatsächlich erleben können. Denn es ist ein Reich der Denkprodukte.

3. Wir erleben unser Wollen als uns eigen, aber wir erleben es nicht als willentlich lenkbar

Wenn es um das mögliche Einwirken einer Person auf ihr eigenes Wollen geht, ist mit Nachdruck ein Sachverhalt zu erwähnen, der in Fragen der personeigenen Freiheit von entscheidender Bedeutung ist: Wir können unser Wollen nicht in der gleichen Weise wählen, wie wir unsere Handlungen wählen. Vielmehr kommen wir zu unserem Wollen, wenn überhaupt durch eigenen Einfluss, auf ganz andere Weise als zu unseren Handlungen. Und es ist ja vor allem unser eigenes Wollen in kritischen Situationen, von dem wir möchten, dass es mit unserem langfristigen Für-richtig-Halten übereinstimmt, nicht aber unter dem Druck temporärer Impulse davon abweicht. Ähnlich mit unserem dispositionalen Willen: Wir wählen uns nicht einen Willen, wie wir eine Handlung wählen können. Wir wählen unseren Willen gar nicht in dem üblichen Sinn von »wählen«. Möchten wir hier einen Einfluss haben, müssen wir zu indirekten Mitteln greifen.

Ähnliches gilt für unser aktuelles Wollen. Im Gegensatz zu Handlungen, die wir durch direktes Auslösen von Körperbewegungen ohne Umweg in Gang setzen, aber auch unterlassen können, zeigt unser Wollen oft etwas eigentümlich Faktisches und Widerständiges – sogar für die Person selbst. Es zeigt die typische Widerständigkeit einer Tatsache, die schlicht besteht – zumindest bis auf Weiteres. Das kann man sich gut an Fällen verdeutlichen, in denen eine Person stark und dauerhaft etwas will, zum Beispiel etwas, wovon ihre ganze Umgebung ihr abrät. Nehmen wir eine junge Frau, die Tänzerin werden will, aber nach dem Urteil sachkundiger Begutachter, etwa in der Vorklasse eines Studiengangs, dafür nicht sehr geeignet ist. Ihre Eltern mögen ihr sagen, es sei viel sinnvoller, einen Beruf zu wählen, der Aussicht auf ein stabiles Einkommen, relativen Schutz vor Arbeitslosigkeit und eine gute Altersversorgung bietet, sagen wir den Beruf der Lehrerin. Unsre junge Frau mit dem starken Interesse am Tanz wird es wahrscheinlich schwer finden, sich gemäß elterlichem Rat zügig auf ein Schulfach umzustellen. »Ich will einfach nichts anderes studieren«, könnte diese Frau sagen und damit bezeugen, dass sie ihr auf den Tanz gerichtetes Wollen wie ein inneres Faktum erlebt, das sich nicht nach Belieben wegschaffen lässt. Auch wenn die junge Frau nicht unablässig an den Tanz denkt, manifestiert sich doch ihr darauf gerichteter Wille in ihrem aktuell gegenwärtigen Bewusstseinsleben als konkretes Wollen, sobald die Eltern wieder einmal auf sie einreden. Ihre Ablehnung anderer Studienvorschläge könnte die Frau auch so ausdrücken, dass sie sagt: »Ich kann nicht. Ich kann mich einfach nicht auf etwas ganz anderes umstellen als auf das, was ich klar als mein Wollen erkenne. Und mein Wollen richtet sich auf eine Tanzausbildung, nichts sonst.« Dass ein klar sich geltend machendes eigenes Wollen im inneren Raum der Person wie etwas Faktisches erlebt wird, über das diese Person nicht einfach verfügen kann, ist für solches Wollen nicht ungewöhnlich, sondern typisch. Als klassisches Beispiel für ein Wollen, das als inneres Faktum erfahren wird, über welches die Person keine unmittelbare Verfügung hat, darf die Äußerung gelten, die Luther auf dem Reichstag zu Worms getan haben soll. Seine Worte sind offenbar nicht nur als Ausdruck einer stark ausgebildeten Überzeugung zu nehmen, sondern auch als Ausdruck des stark ausgebildeten Wollens, nach dieser Überzeugung zu sprechen und zu handeln: »Hier steh’ ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir.«

Unser Wollen als Phänomen des inneren Lebens hat mehrere Eigenschaften, die zu dieser jetzigen Beschreibung teils passen, teils ihr zu widersprechen scheinen. Zwei dieser Eigenschaften können angesprochen werden als Meinigkeit und Aktivitätsfärbung. Wir erleben unser Wollen als uns auf sehr enge Weise zugehörig. Wenn wir stark und deutlich etwas wollen, können wir uns selbst in dem betreffenden Zeitfenster nur schwer vorstellen ohne dieses Wollen. Es ist jetzt und hier eine unleugbare Eigenschaft der eigenen Person. Die Erwartung, wir mögen von einem Augenblick auf den nächsten stattdessen etwas ganz anderes wollen, erscheint wie die Zumutung, wir sollten jetzt und hier ein anderer Mensch werden. Diese Weise, in der eigenes Wollen auftritt, ist in der philosophischen Literatur wohl zu Recht mit dem Terminus »Meinigkeit« beschrieben worden.1 Es ist nicht nur Meinigkeit im Sinn des zufälligen Zugehörens zu mir wie die Augenfarbe oder die Form der Fingernägel, sondern viel stärker: Es ist Meinigkeit in dem Sinn, dass dieses Wollen im fraglichen Zeitfenster uns selbst, wie wir uns jetzt und hier erleben, auf entscheidende Weise mit ausmacht. Ein stark ausgebildetes Wollen wird häufig wie eine mitdefinierende Eigenschaft des eigenen jetzigen Selbst gesehen.

Zu dieser intimen, ja, traditionell gesagt, innigen Zugehörigkeit eigenen Wollens tritt die weitere Eigenschaft, dass wir uns in solchem Wollen, genauer: im Moment des Übergangs zu eigenem Wollen, als selbst aktiv erleben. Das eigene Wollen hat eine Aktivitätsfärbung. Wir erleben unser Wollen wie etwas, das im Modus unseres aktiven Optierens von der eigenen Person her sich auf mögliche Ziele oder einzelne Handlungen richtet. Dass wir uns im Übergang zu eigenem Wollen als selbst aktiv erleben, wird besonders deutlich, wenn wir es mit anderen Typen des Erlebens vergleichen, etwa mit einer Trauer. Wir sagen, die Trauer überfällt uns. Sie mag ausgelöst sein durch ein äußeres Ereignis, eine Nachricht, eine widrige Lebenssituation. Aber sie kommt auch gelegentlich ohne erkennbaren Auslöser. Der sehr auffällige Unterschied zum Wollen besteht darin, dass wir uns in der Trauer gerade nicht als aktiv empfinden. Wir fühlen uns dabei eher passiv, hinnehmend – weshalb die Trauer von alters her zu den passiones gerechnet wird, Seelenbewegungen, die wir erleiden.

Es ist vor allem die Aktivitätsfärbung, die es macht, dass wir versucht sein können zu meinen, unser Wollen unterliege unserem Belieben. Wenn sich ein bestimmtes Wollen gebildet hat, erinnern wir sein Auftreten nicht wie etwas, das über uns hereinbrach. Eher erinnern wir es wie einen Übergang, bei dem wir – auf freilich unklare Weise – aktiv waren. Ist jedoch ein bestimmtes Wollen einmal ausgebildet, widersteht es mit seiner charakteristischen Tatsächlichkeit dem Unterfangen, ihm nach Belieben eine andere Richtung zu geben.

Eine dritte Eigenschaft erlebten Wollens ist schwerer greifbar. Es erscheint sinnvoll, zu ihrer Beschreibung eine räumliche Metapher zu benutzen. Die Seele wird zwar traditionell als unräumlich vorgestellt, und sichere räumliche Koordinaten haben wir für unser Erleben als Erleben auch in der Tat nicht. Jedoch scheint unser Wollen, wenn es sich besonders deutlich geltend macht, zu einer Art Zentralbereich oder Zentrum unserer bewussten Wirklichkeit zu gehören. Es gibt für das Bewusstseinsleben als Ganzes die Metapher des »inneren Raumes«. Geben wir der Metapher qua Metapher ein begrenztes Recht, dann können wir die jetzt genannte Besonderheit erlebten Wollens als »Zentralität« ansprechen. »Zentralität« in diesem Sinn ist als Wortbildung zwar ungewohnt. Das Wort entspricht aber bei stark ausgeprägtem und deutlich sich geltend machendem Wollen der Weise, wie wir solches Wollen erleben. Das Wollen scheint von einem Zentrum des eigenen Bewusstseinsfeldes aktiv auszugehen. Wo die Ursachen für das liegen, was hier »Zentralität« genannt wird, bleibe dahingestellt. Generell gilt, dass wir beim Versuch, unser bewusstes Leben zu beschreiben, das dort Gefundene, wie George Eliot sagt, nur mit einer »dürftigen Garderobe von Begriffen«2 bekleiden können und nie sicher sind, ob die Stücke dieser Garderobe wirklich passen.

Vor allem Aktivitätsfärbung und Zentralität tragen dazu bei, dass wir glauben können und viele Philosophen auch geglaubt haben, wir wählten unser Wollen in der gleichen direkten Weise, wie wir unsere Handlungen wählen. Viele dieser Philosophen drückten das so aus, dass sie sagten, wir »bestimmen« unseren Willen unmittelbar selbst. Als Beispiel haben wir Immanuel Kant zitiert mit der These, die praktische Vernunft des Menschen bestimme den Willen unmittelbar. Viele Philosophen sprechen sinngemäß auch heute noch so, vor allem, wenn es um die These der Willensbestimmung durch vernünftige Gründe geht. Die zugeordneten Theorien sind im Detail recht verschieden. Einzelne Auffassungen dieser Art, die in der Gegenwart besonders wirkungsmächtig sind, werden wir noch kennenlernen.

Gegen den Gedanken der unmittelbaren Bestimmung des eigenen Willens ist in der Sache zu betonen: Unser Wählen eigener Handlungen einerseits und unser Einfluss auf eigenes Wollen bzw. den eigenen Willen auf der anderen Seite sind ihrer Struktur nach radikal verschieden. Darauf, dass diese elementare Verschiedenheit übersehen wird, gehen zahllose Wirrnisse philosophischen Nachdenkens, aber auch populärer Willensvorstellungen zurück. Das reicht bis zu folgenreichen Mängeln in der Weise, wie Recht und Gesetz unseren Einfluss auf eigenes Wollen dargestellt haben oder noch darstellen.

Das Hervorrufen unserer Handlungen erleben wir bei vorhandenem Wollen wie einen direkten Zugriff auf relevante Teile unserer Muskulatur mit dem Effekt, dass bestimmte Körperbewegungen eintreten, ggf. auch Bewegungen der Sprechorgane. Damit kommt die gewollte Handlung in der Welt zustande. Wie unser wollender Zugriff auf bestimmte Muskeln über das Zentralnervensystem erfolgt, stellt sich uns im Bewusstsein nicht dar. Gewöhnlich könnten wir auch die Muskeln gar nicht benennen, auf die wir zugreifen. Wir wollen eine bestimmte Körperbewegung, und wenn wir sie jetzt und hier wollen und keine Hindernisse, Lähmungen oder dergleichen bestehen, tritt die Bewegung ein. Entscheidend für den Unterschied zum stets nur indirekten Einfluss auf unser Wollen ist, dass wir das gewollte Auslösen einer Handlung als umweglosen Zugriff auf eigene Muskeln mit danach erfolgender Körperbewegung (auch Bewegung der Sprechorgane) erfahren.

Besonders deutlich lassen sich weitere Eigentümlichkeiten dieses direkten Übergangs vom Wollen zum Tun bei Handlungen erleben, die eine zeitliche Erstreckung haben, selbst wenn diese Erstreckung nur eine kurze Zeit währt. Eine vom Wollen in Gang gesetzte Handlung, z. B. die Bewegung einer Hand beim Zeichnen oder beim Führen eines Werkzeugs, können wir dank unserer kontinuierlichen Beobachtung in ihrem Verlauf Punkt für Punkt verfolgen. Wir können Fehler, die im Bewegungsablauf auftreten, durch Beobachtung oft schnell erkennen und oft auch noch in der Bewegung korrigieren. Sehr auffällig ist das bei Fehlern der Sprechorgane: Versprecher registrieren wir oft sofort und versuchen, uns zu verbessern. Wir wissen normalerweise auch in jedem Augenblick eines zeitlichen Verlaufs, wie weit die Bewegung, die wir ausführen wollen, gediehen ist. Das heißt, wir haben die kontinuierliche Kontrolle unseres willentlichen Tuns in seiner zeitlichen Erstreckung. Wenn die Gefahr droht, dass wir eine willentlich angefangene Handlung nicht zu dem gewollten Ende bringen können, wenn z. B. das ergriffene Werkzeug zu schwergängig ist, können wir die Handlung abbrechen und mit veränderter Handhaltung (oder anderen Veränderungen) neu ansetzen. Diese uns typischerweise gegebene, kontinuierliche Verlaufskontrolle beim willentlichen Handeln ist ein großer Vorzug des direkten Verhältnisses von Wollen zu Tun. Dieses direkte Verhältnis erlaubt es uns normalerweise, unser Tun in jeder Phase Schritt für Schritt, Punkt für Punkt wahrnehmend zu verfolgen – und gegebenenfalls zu korrigieren.

Vollkommen anders ist unser Verhältnis zum eigenen Wollen. Wir können unser Wollen nicht wie mit einem inneren Werkzeug dahin oder dorthin richten oder sonstwie geradewegs steuern. Auf unser Wollen können wir nicht zugreifen wie auf unsere Hand, unseren Zeigefinger, unsere Sprechorgane. Unser Wollen stellt sich dar mit Meinigkeit, Aktivitätsfärbung und Zentralität, aber auch, wenn es einmal ausgebildet ist, mit einer typischen Widerständigkeit gegenüber dem Versuch, es durch direkten Zugriff zu ändern. Wenn wir unser Wollen beeinflussen möchten, müssen wir zu Verfahren des indirekten Selbsteinflusses greifen, eines Einflusses, der vom willentlichen Auslösen eigener Körperbewegungen erkennbar verschieden ist. Dies ist eine wichtige und folgenreiche Erkenntnis: Unsere Handlungen wählen wir direkt, unser Wollen können wir nur indirekt beeinflussen.