Kitabı oku: «Wie frei wir sind, ist unsere Sache», sayfa 4

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4. Einladung zum Selbstversuch

Wenn Sie sich den Unterschied zwischen unserem Auslösen einer Handlung und unserem Verhältnis zu eigenem Wollen durch ein Probe-Erleben verdeutlichen möchten: Machen sie einen Selbstversuch. Machen Sie sich zunächst klar, welche Körperhaltung Sie gerade haben, wählen Sie eine andere Ihnen mögliche Körperhaltung, und führen Sie die Bewegung aus, die Sie in diese andere Körperhaltung bringt. Beachten sie im Rückblick: Wenn Sie eine Haltung gewählt haben, die für Sie im Bereich des Ausführbaren lag und keine Bedenken oder Sonstiges Sie zurückhielten, haben Sie die gewählte Bewegung ausgeführt. Ihre Wahl führte bei Abwesenheit hinderlicher Faktoren ohne weiteren Umweg zu dieser Bewegung. Sie konnten die gewählte Bewegung in ihrem Verlauf mit Ihrer Aufmerksamkeit Punkt für Punkt begleiten. Sie konnten gegebenenfalls sagen, wie weit Sie jetzt und hier mit dem Ausführen Ihrer Absicht gekommen sind, und Sie konnten Fehler, die Sie im Fall einer komplizierten Bewegung vielleicht gemacht haben, rasch erkennen und korrigieren, d. h. den Prozess nachsteuern.

Nun fragen Sie sich, was Sie in der näheren Zukunft (Tage, Wochen, Monate) ganz gewiss tun wollen, wozu Sie also, wie man im Alltag sagt, »fest entschlossen sind«. Wenn Sie eine Antwort auf diese Frage geben können, kommt der eigentliche Versuch: Versuchen Sie, ohne Einsatz weiterer Hilfsmittel (Argumente, neue Informationen, Reize und andere Wollens-Anreger bzw. -Störer), also unmittelbar, dieses Ihr fest ausgebildetes Wollen zu ändern. Lenken Sie es um auf ein Ziel, das mit Ihrem eben erkundeten Ziel unvereinbar ist, z. B. auf ein Gegenteil dieses Ihres Ziels. Sie werden bemerken, dass Sie Ihr klar ausgebildetes Wollen nicht nach Belieben umlenken können. Ein fest und klar ausgebildetes Wollen gehört jetzt und hier zu Ihrer Persönlichkeit, und Sie können auch nicht jetzt und hier, durch unmittelbaren Eingriff, eine andere Persönlichkeit werden.

Mit der Illusion, wir könnten auf unser Wollen direkt zugreifen und es bestimmen, wie wir auf die Muskeln zugreifen können, die eine Handlung auslösen, haben sich Philosophen schon früh auseinandergesetzt. So schreibt Gottfried Wilhelm Leibniz: »Was das Wollen selbst betrifft, so ist es unrichtig, zu sagen, dass es ein Gegenstand des freien Willens sei. Wir wollen handeln, sagen wir zu Recht, aber wir wollen keineswegs wollen, denn sonst könnte man weiterhin sagen, wir wollen den Willen haben zu wollen, und das würde ins Unendliche fortgehen. Wir folgen auch nicht immer dem letzten Urteil des praktischen Verstandes, indem wir uns bestimmen zu wollen – aber wir folgen immer, indem wir wollen, dem Ergebnis aller Neigungen, die kommen, sei es von Seiten der Gründe, sei es von Seiten der Leidenschaften, was oft ohne ein ausdrückliches Urteil des Verstandes geschieht.«1.

Die drastischsten Worte gegen die Idee, wir könnten unseren Willen willentlich unmittelbar bestimmen, finden sich wohl bei Schopenhauer. Der Leser sei auf seine Darstellung verwiesen: Über die Freiheit des Willens, Kap. III.2 Dort wird auch die eben angesprochene, enge Verbindung eines klar ausgebildeten Wollens mit der eigenen Persönlichkeit, wie sie jetzt und hier ist, hervorgehoben. Rufen wir uns noch einmal unsere junge Frau, die Tänzerin, aber keineswegs Lehrerin werden will, ins Gedächtnis. Es ist möglich, dass wir sie in der Diskussion mit ihren Eltern sagen hören »Ja, ich könnte Lehrerin werden, wenn ich wollte, aber das Problem ist, dass ich nicht will. Und mein Wollen kann ich nicht einfach so ändern, ich will eben Tänzerin werden, so bin ich nun einmal und nicht anders.« Das klar und intensiv erlebte Wollen gehört in so zentraler Rolle zur Person, dass der betreffende Mensch den Eindruck haben kann, sich als ganze Person ändern zu müssen, wenn er ein anderes Wollen ausbilden sollte.

So dramatisch muss es sich nicht immer darstellen. Aber ein Weiteres, worauf schon Leibniz hinweist, zeigt sich hier als zielführend. Er sagt, indem wir wollen, »folgen« wir dem Ergebnis aller Neigungen, die kommen, von Seiten der Leidenschaften wie auch der Gründe (»raisons«). Wenn wir das Wort »Neigungen, die kommen« durch etwas Umfassenderes ersetzen, z. B. »Faktoren, die bei unserer Willensbildung zusammenwirken«, gelangen wir auf eine aussichtsreiche Spur. Es kann sehr wohl geschehen, dass sich das Wollen der jungen Frau ändert – aber nicht durch direkten Zugriff wie auf die Muskeln ihrer Arme oder Beine, sondern durch das Auftreten mittelbar wirkender Faktoren. In unserem Beispiel kann es sich um das eigene Nachdenken der Frau handeln, aber auch um neue Argumente, die sie von ihren Eltern hört, die Nachricht vom traurigen Schicksal einer anderen Person mit gleichem Lebensziel, oder um Sonstiges wie das »verworrene Gefühl« beim General Balaschow. Soweit diese beispielhaft erwähnten Faktoren in der Tat auf die eigene Aktivität der jungen Frau zurückgehen, wie ihr eigenes Nachdenken, beeinflusst die Frau dadurch erfolgreich ihren Willen. Sie tut dies jedoch nicht durch inneren Befehl, Bestimmungsakt oder ähnlich, sondern sie wirkt auf indirektem Weg darauf ein. Mit ihrem Nachdenken und der Abwägung von Argumenten schafft sie einen Einflussfaktor, von dem sie im Vorfeld nur weiß: Er wird ihr aktuelles Wollen und/oder ihren als Disposition vorhandenen Willen möglicherweise verändern – möglicherweise aber auch nicht. Ob sie mit ihren Gedanken ihr Wollen im Sinn eben dieser Gedanken tatsächlich beeinflusst, weiß sie erst, wenn sie spürt, wie ihr Wollen sich ändert oder geändert hat. Jeder von uns dürfte Fälle in Erinnerung haben, bei denen das eigene Denken etwas Bestimmtes als richtig hervorhob, das eigene Wollen aber dem Denken nicht entsprach, sondern sich auf ein anderes Handeln richtete. Das können wir als persönliches Versagen deuten oder als irrationale Regung oder noch anders. Jedenfalls bezeugen solche Erlebnisse, dass unser Denken keinen unmittelbaren Zugriff auf das eigene Wollen hat, sondern allenfalls die Chance bietet, dass das eigene Wollen sich ihm gemäß bildet. Je klarer und überzeugender das eigene Denken ausfällt, desto wahrscheinlicher dürfte es sein, dass das Wollen ihm folgt. Ein umwegloser, direkt lenkender Zugriff entsteht dadurch nicht.

Es gibt etwas wie menschliche Selbstformung und ein Werden der Person zu sich. Es gibt beides aber nicht als unmittelbares Gestalten eigenen Willens, als sei der eine knetbare Masse, auf die wir nur innerlich zuzugreifen und sie nach eigener Vorstellung zu modellieren brauchten. Vielmehr ist jene Selbstformung ein Prozess, den wir allein durch Maßnahmen beeinflussen können, deren Wirken wir nicht Punkt für Punkt verfolgen und erst recht nicht sicher voraussagen können. Wir haben festgestellt, dass unser Wille auf innige Weise zu unserer Person gehört. Schon die Alltagserfahrung weiß, dass ein Verändern der eigenen Person bei weitem nicht so prompt und verlässlich erfolgt, wie es das Steuern mit einem sicher funktionierenden Mechanismus wäre. Vielmehr braucht es hier vor allem gute Kenntnis der für solches Verändern geeigneten Mittel und ein geschicktes, ausdauerndes, stets zu erneuter Anstrengung bereites Arbeiten mit klarem Denken und ruhiger Hand. So, wie wir unsere Person nicht unmittelbar austauschen, sondern nur über längere Zeit hinweg durch indirektes Einwirken verändern können, ist es auch mit unserem Willen: Wir können dieses zentrale Element unseres Personseins nicht in einem Akt machen, wie wir es haben möchten – so wenig wie wir uns als Person in einem Akt machen konnten.

II. In der Situation der Wahl müssen wir uns als freie Urheber unseres Tuns verstehen. Nach getaner Tat können wir die Dinge anders sehen

1. Notwendige Unbestimmtheit. Unsere Situation unabtretbarer Wahl

Der Mathematiker Hermann Weyl, Professor in Zürich, hatte 1923 einen ehrenvollen Ruf auf einen Lehrstuhl an der Universität Göttingen und musste sich entscheiden, ob er den Ruf annehme oder ablehne. Er zögerte die Entscheidung sehr lange hinaus, weil Für und Wider sich die Waage hielten, auch weil sehr vieles für seinen Lebenslauf von dem Ausgang der Sache abhing. Über den Tag, an dem die Entscheidung schließlich fiel, berichtet er: »Als sich die Entscheidung nicht länger aufschieben ließ, lief ich im Ringen darum mit meiner Frau stundenlang um einen Häuserblock herum und sprang schließlich auf ein spätes Tram, das zum See und Telegraphenamt hinunterfuhr, ihr zurufend: ›Es bleibt doch nichts anderes übrig als annehmen.‹ Aber dann muss es mir das fröhliche Treiben, das sich an diesem schönen Sommerabend um und auf dem See entfaltete, angetan haben; ich ging zum Schalter und telegraphierte eine Ablehnung.«1

Weyl ist kein zweiter Balaschow. Er hatte nicht über viele Tage hinweg eine klare Vorstellung von dem, was er tun wolle und werde, sondern suchte stattdessen über viele Tage, ja Wochen hin die rechte Entscheidung. Als er sie getroffen zu haben glaubte, hatte er sie doch noch nicht getroffen. Vielmehr entschied er sich buchstäblich im letzten Augenblick anders. Er ist ein sprechendes Beispiel für unsere Unfähigkeit, eigene Entscheidungen wirklich vor dem allerletzten Augenblick, dem Zeitpunkt des eigenen Handelns, als endgültig feststehend zu wissen oder gar vorauszusagen. Das gilt sogar noch für die begonnene Handlung selbst, wenn sie ein in der Zeit erstrecktes, gegliedertes Tun ist wie etwa das Sprechen eines Satzes oder mehrerer. Auch hier wissen wir nicht wirklich im Voraus, ob wir eine begonnene Sprachhandlung gemäß unserem Entschluss zu Ende bringen werden – oder ob wir wie Balaschow unterwegs vom zuvor gewollten Text abweichen und dann etwas anderes sagen als das zuvor Beabsichtigte.

Die Tätigkeit der Philosophen, die sich mit der Frage nach der Willensfreiheit befassten, war im Ganzen nicht nutzlos. Sie hat ungewollt auch für das Gesamtbild personeigener Freiheit Wichtiges beigetragen. Es kam nämlich im Kontext jener Arbeiten neben dem Mainstream metaphysischer Überhöhungen des Menschenbildes auch eine Erkenntnis zustande, die für unsere jetzigen Zwecke große Relevanz besitzt. Sie wurde unter explizit naturwissenschaftlichen Prämissen erworben. Ich meine den Nachweis, dass wir unsere Entscheidungen, die zu konkretem Tun führen, selbst nicht verlässlich voraussagen können. Auch eigenes Handeln können wir nicht verlässlich voraussagen. Sogar wenn wir uns vorstellen, wir seien mit Erkenntnisinstrumenten und -techniken bestmöglich ausgestattet, besser als jede gegenwärtige Phantasie es uns ausmalen kann, ändert sich an dieser Sachlage nichts. Das heißt, dass menschliches Entscheiden und Handeln aus der Erkenntnisperspektive des Handelnden selbst vor dem Zeitpunkt des aktuellen Geschehens unweigerlich als nicht endgültig festgelegt gelten müssen.

Der sachliche Kern des wichtigsten Arguments, welches zeigt, dass eigenes Wählen und Tun für jeden Menschen in einem strengen Sinn unvoraussagbar sind, lässt sich so wiedergeben: Jede Voraussage eigenen Entscheidens und jeder erlebte bzw. zur Kenntnis genommene Rechenvorgang, auf den sich eine solche stützt, sind bewusste Ereignisse in dem Subjekt, das eine Voraussage über eigenes künftiges Handeln macht. Sie können also auf dieses Subjekt und vor allem auf die Richtung seines Wählens und Tuns direkt oder indirekt einen Einfluss ausüben. Dieser Einfluss, der von einer Voraussage bzw. Vorausberechnung eigenen Entscheidens und/oder Tuns ausgehen kann, muss als möglicher kausaler Faktor in der besagten Rechnung und Voraussage wiederum berücksichtigt werden. Es wird also eine Überlegung oder Rechnung höherer Stufe erforderlich, die dies Berücksichtigen der ersten Voraussage-Rechnung leistet. Natürlich bildet diese Rechnung höherer Stufe einen weiteren möglichen Einflussfaktor, der seinerseits in das rechnerische Gesamtbild einbezogen werden muss. Und so fort ins Unendliche. Es ist prinzipiell und endgültig unmöglich, einen Einfluss voraussagender bzw. vorausberechnender Überlegungen einer Person auf eigenes künftiges Wählen und Handeln mit Sicherheit auszuschließen. Ob man hier von Rechnen spricht oder von anderen Weisen erkenntnisbegründender Voraussage, ist sekundär; der unendliche Regress ergibt sich in jedem Fall beim Versuch perfekter Selbst-Voraussage. Hermann Weyl konnte, als er nach stundenlanger Beratung mit seiner Frau auf die Straßenbahn sprang, um per Telegramm die Annahme des Göttinger Rufes zu erklären, unmöglich mit Sicherheit wissen, was genau er telegraphieren würde. Faktisch telegraphierte er das Gegenteil dessen, wozu er beim Sprung auf die Straßenbahn noch entschlossen war: eine Ablehnung.

Die Unvoraussagbarkeit aus der Perspektive des handelnden Subjekts bleibt auch erhalten, wenn man annimmt, es gebe einen äußeren Beobachter mit perfekter Erkenntnisfähigkeit, und dieser teile dem Subjekt seine »objektiv« gewonnene Voraussage mit. Zunächst gilt, dass es auch für den Beobachter Objektivität im strengen Sinn nicht gibt, denn er kann nie sicher sein, ob er etwa beim Sammeln seiner Daten auf den beobachteten Prozess eingewirkt und dessen Richtung verändert hat. Vor allem aber stellt jede Übermittlung von Beobachtungsergebnissen an die beobachtete Person unweigerlich einen Faktor dar, der potentiell, ja wahrscheinlich auf ihre Wahl einen Einfluss ausübt. Dieser Einfluss müsste wieder in einer höheren Kalkulation berücksichtigt werden. Würde man deren Resultat der Person mitteilen, könnte dies gleichfalls sie in ihrem Tun beeinflussen – und so fort ins Unendliche.

Die Kurzformel für diese folgenreiche Erkenntnis lautet: Wir können unsere Handlungen nicht sicher voraussagen, wir sind ihrer erst sicher, wenn wir sie getan haben. Und, auf die handlungsgerichtete Entscheidung bezogen: Wir können unsere Entscheidungen nicht sicher voraussagen, wir sind ihrer erst sicher, wenn wir sie getroffen und die zugeordnete Handlung ausgeführt haben.

Niemand, vor allem auch nicht ein vermeintlich allwissender äußerer Beobachter, sei er ein Gott, ein aus purer Theorie entsprungener Dämon, ein perfekter Wissenschaftler oder Sonstiges, kann menschliche Personen aus dieser charakteristischen Situation entlassen. Aus Sicht der Person selbst ist eigenes Wählen notwendig unbestimmt, solange die Wahl nicht unumkehrbar gefallen und durch fertige Handlung dokumentiert ist. Und aus Sicht der Person selbst ist auch der Verlauf einer Handlung notwendig unbestimmt, solange die Handlung nicht definitiv zu einem Schluss gekommen ist. Zusammenfassend gesagt: Unter den Erkenntnisbedingungen, die für die eigene Person vor eigenem Entscheiden und Tun gelten, stehen solches Entscheiden und Tun für diese Person selbst solange unter notwendiger Unbestimmtheit, wie sie nicht ihren Endpunkt erreicht haben.

Solange diese notwendige Unbestimmtheit besteht, müssen wir uns selbst und niemand sonst als die Instanz betrachten, aus der die Entscheidung hervorgehen und von der die Handlung getan werden wird. Wir können in der Situation notwendiger Unbestimmtheit nicht sagen: »Der allwissende Gott wird es schon lenken«, oder »mein vorherbestimmtes Schicksal wird es schon lenken«, oder »mein Gehirn wird es schon lenken«. Ein solches Abschieben der eigenen Wahl oder des eigenen Handelns auf fremde Instanzen war bereits der Antike als eine durchsichtige Form des Selbstbetrugs bekannt und trug den Titel »argos logos«, »faule Überlegung« oder »faule Vernunft«. Cicero schreibt über den zerstörerischen Effekt solcher Versuche, sich dem Erfordernis eigenen Entscheidens und Tuns zu entziehen: »Zu Recht trägt diese Art der Argumentation den Namen ›faul‹ und ›tatenlos‹, weil auf diese Weise jeglicher Impuls zur Tat aus dem Leben schwinden wird.«2 Schon Cicero hielt es für unabweisbar, dass wir in der Entscheidungssituation selbst aktiv werden und die Entscheidung treffen müssen oder sie verweigern (was auch ein Entscheiden bedeutet), handeln müssen oder das Handeln bewusst unterlassen (was auch ein Handeln darstellt).

Ich nenne das jetzt bezeichnete Erfordernis, selbst in eigener Person die Rolle des Urhebers übernehmen und ausfüllen zu müssen, die Situation unabtretbarer Wahl. Sie besteht im Vorfeld alles eigenen Entscheidens und Tuns. Wir sind aus Gründen der Erkenntnisbedingungen, unter denen wir in der Entscheidungs- bzw. Handlungssituation stehen, unabweisbar gehalten, uns selbst als die Instanz zu betrachten, aus der unser Entscheiden und Tun (oder entsprechendes Unterlassen) hervorgehen wird.3

Die philosophische Position, die sich aus der Erkenntnis prinzipieller Unvoraussagbarkeit des je eigenen Entscheidens und Tuns entwickelt hat, ist mit dem Begriff »Epistemischer Indeterminismus« bezeichnet worden.4 Das ist passend, weil Personen wegen der genannten Unvoraussagbarkeit ihre künftigen Entscheidungen und Taten aus ihrer eigenen Perspektive unter Normalbedingungen als erkenntnismäßig (»epistemisch«) nicht im Voraus bestimmt oder determiniert betrachten müssen.

Die Unvoraussagbarkeit eigenen Entscheidens und Tuns unter Erkenntnisbedingungen der handelnden Person selbst wurde schon von früheren Philosophen gesehen. In der Aufklärungszeit ragt mit einzelnen Andeutungen Leibniz, im 19. Jahrhundert mit einer anderen Begründungsidee Bergson hervor, im 20. Jahrhundert sind insbesondere Max Planck, aber auch Karl Popper und einzelne von dessen Gefolgsleuten wichtige Stationen.5 Die Unvoraussagbarkeit rechtfertigt zwar nicht den Hauptbestand individueller wie auch sozialer und rechtlicher Folgen nach geschehener Handlung, die man traditionell unter dem Titel »Verantwortung« zum Thema macht. Insofern ist diese Position für ein wichtiges Ziel herkömmlicher Überlegungen zur Freiheit menschlicher Personen nur begrenzt fruchtbar. Darauf werden wir im Schlussteil zurückkommen.

Abstrakt mag ich mir übrigens in einer Entscheidungs- oder Handlungssituation sagen, dass es in meiner Persönlichkeit selbst sowie ihrer Verbindung mit vielen weiteren Faktoren ein für mich undurchdringliches Zusammenwirken von Einflussgrößen gibt. Ich kann mir auch sagen, dass daraus jede meiner Handlungen unausweichlich hervorgeht. Aber dieser Gedanke gibt mir für mein Entscheiden und Handeln in konkreten Lebenslagen keinerlei Leitung. Der Gedanke ist für meine Orientierung sogar irreführend. Denn es ist mir in der konkreten Situation selbst unmöglich, jenes Zusammenwirken von Einflussgrößen als Ganzes zu überschauen und schlüssige Voraussagen über mein Tun sicher daraus abzuleiten. Es ist mir gleichfalls unmöglich, fremde Voraussagen für meine Erkenntnis bindend zu übernehmen. Vielmehr muss ich in der aktuellen Lage, in der ich bin, mich selbst, meine ganze Person hier und jetzt, als die Instanz betrachten, aus der mein Entscheiden, mein Handeln oder Unterlassen hervorgehen. Dies ist unsere Situation unabtretbarer Wahl bei eigenem Entscheiden und Handeln. Aus ihr können wir durch keine Theorie, Wissenschaft oder Macht entlassen werden.

Daraus ergibt sich als Nebenresultat auch die Widerlegung des Fatalismus in Fragen menschlichen Handelns. Fatalismus ist die Meinung, was ich tun werde, liege immer schon im Voraus fest; es sei sinnlos, mich für das Finden der richtigen Entscheidung oder das Ausführen der rechten Tat anzustrengen. Denn über das eigene Tun sei ja schon immer im Voraus verfügt. Gewöhnlich berufen sich Fatalisten heute auf die (eigentlich ins 19. Jahrhundert gehörende) Idee eines universellen Determinismus für alle Ereignisse in der Welt mit der vermeintlichen Folgerung, alles, was geschieht, sei von Anfang der Welt an festgelegt. Der Fatalismus berücksichtigt nicht die besonderen Erkenntnisbedingungen eines jeden Menschen, der vor einer zu treffenden Entscheidung bzw. auszuführenden Handlung steht. Aus dem Gedanken eines universellen Determinismus folgt nämlich in keiner Weise, dass ich mit gutem Recht sagen könnte: »Wie ich mich entscheiden werde und was ich tun werde, liegt sowieso schon fest. Alle Anstrengung ist hier sinnlos.« Im Gegenteil: Wenn ich vor einer möglichen Handlung stehe und nichts mich offenkundig hindert oder zwingt, bin unter den für mich geltenden Erkenntnisbedingungen ich selbst die Instanz, von der die Richtung meines Handelns abhängt. In diesem Sinn bin ich in diesem Zeitfenster für meine Erkenntnis frei, jede der sich jetzt bietenden Handlungsalternativen zu wählen. Gegen manche Handlungen mag ich Widerstände haben, zu anderen mag ich mich hingezogen fühlen, vor vielem mag ich mich fürchten, einiges mag ich verabscheuen, bestimmte Handlungen, die mir schwer fallen, mag ich als meine Pflicht erkennen: Solange nichts mich erkennbar und unüberwindlich zwingt oder hindert, muss ich mich unter den Bedingungen meiner Erkenntnisperspektive jetzt und hier so verstehen, dass mir jede Handlungsrichtung offensteht, für die ich nicht manifest bestehende, unüberwindliche Hindernisse erkenne.

Natürlich erstreckt sich meine Sicherheit, jede Handlung ergreifen zu können, die mir nicht offensichtlich unmöglich ist, nicht darauf, dass ich das gewählte Tun auch erfolgreich zu Ende bringe. Eine Handlung hat stets eine zeitliche Ausdehnung, auch wenn sie als Tun eines bloßen Augenblicks erlebt wird. Innerhalb dieses Zeitfensters, und sei es noch so winzig, können immer unerwartete Hindernisse auftreten und das Zu-Ende-Kommen meiner Handlung unmöglich machen. Diese Hindernisse können überraschend von außen her kommen und meinen Handlungsversuch verzögern, in andere Richtung lenken, zum Stillstand bringen oder es sonst wie machen, dass ich meine gewählte Tat nicht vollende. Die Hindernisse können auch von meinem Körper, meiner Psyche oder beidem herrühren und mein Handeln unvoraussagbar beeinflussen, so dass es fehlgeht oder zum Stillstand kommt. Bekannt ist das Beispiel der Pianisten, denen ein bestimmter Finger plötzlich nicht »gehorcht«, so dass sie etwas anderes spielen als beabsichtigt. Und jeder kennt das Eigentor des Verteidigers beim Fußball, der sich hinterher vor Scham krümmt und nicht verstehen kann, wie ihm das passieren konnte.