Kitabı oku: «Die Stimme als Zeitzeugin – Werberhetorik im Hörfunk», sayfa 5

Yazı tipi:

3 Stimme und Sprechstil als Vertreter ihrer Zeit

Die Idealvorstellung vom Sprechen ändert sich und unterliegt Moden und Trends, Vorlieben und gesellschaftlichen Ansprüchen. „Sprechstil bedeutet auch die Sprechmode einer Generation oder Epoche; Sprechstile verändern sich im Laufe eines Lebens, aber auch im Laufe der Geschichte“ (Eckstein, 2009, S. 4). Was vor 100 Jahren als Modell galt, ist es heute nicht mehr. Gibt es folglich so etwas wie eine „Medien-Stimme“Medien-stimme, eine „Radio-StimmeRadio-stimme“? Was sagt die Stimme im Radio über ihre Zeit aus?

Ein historischer Exkurs mit einem Abriss zu diversen Vortragsformaten soll im Folgenden den Hintergrund für die Stimm- und SprechtraditionenSprechtradition im Hörfunk erleuchten. Der Idealvorstellung der FrauenstimmeStimmeFrauenstimme wird sodann besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Neben der ästhetischen Dimension der StimmeStimme und Sprechweise wird schließlich auch nach Normen und Moden der Aussprache gefragt, die die unterschiedlichen Zeiträume jeweils charakterisieren.

3.1 Vortragsformate und Sprechkunst

Abhandlungen über die Sinne generell, über Stimme, Ton und Gehör im Speziellen, gehen weit zurück; in seiner Geschichte der Stimme beginnt Karl-Heinz Göttert (1998) bei seinen Ausführungen über die Funktion der Stimme in der europäischen Kulturgeschichte bei der Antike und skizziert ihre Position im Theater, im Gericht, in der Liturgie und politischen Propaganda über 2000 Jahre.1 Sowohl im Alltag als auch in diversen Berufssparten lassen sich Moden von Stimme und Sprechweise und unterschiedliche Gattungen und Formen der VortragskunstVortragskunst unterscheiden, wie das Deklamieren, Rezitieren, Zitieren, Vorlesen bis hin zum Singen oder dem Sprechgesang.

VortragsformateVortragsformate (wie Dichterlesung, Virtuosenvortrag, Dramenvorlesung, episches Vorlesen, humoristische Abende, schulische Rezitation, Rundfunklesung, Sprechchor und Poetry-Slam) sind komplexe Typen mündlicher Darbietung, die aufgrund ihrer relativ konstanten und wiederholbaren Elemente einen Erwartungsrahmen für Akteure und Zuhörer bilden, auch wenn sie geschichtlichen Veränderungen unterliegen. (Meyer-Kalkus, 2019, S. 8)

Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts galt die antike RhetorikRhetorikantike als Vorbild, auch im Hinblick auf den Gebrauch der Stimme, die für die rhetorischen Ziele eingesetzt wurde und das Publikum bewegen sollte. Die folgenden zwei Jahrhunderte kann man schließlich nach Meyer-Kalkus (2019, S. 22–24) in fünf Etappen stilbildender Schulen der VortragskunstVortragskunst unterteilen, die an den unterschiedlichen Vortragsformaten festzumachen sind: (1) Die Zeit der SprechkunstbewegungSprechkunst-bewegung und eine mediengeschichtliche Veränderung dank der „Buch-Revolution“ ab 1800; (2) zeitgleich die Deklamationsveranstaltungen als parallele Programme zum Theater; (3) um 1900 die privaten DichterlesungenDichterlesung mit Abkehr vom Theatralischen; (4) seit den 1920er Jahren die VortragskunstVortragskunst vor dem Mikrofon in den Medien, v.a. dem Rundfunk; (5) ab den 1980er Jahren (seit der Verbreitung mobiler Geräte) neue Formate wie Hörbücher, Live-Veranstaltungen etc. Einige markante Vertreter und Einschnitte seien im Folgenden erwähnt.

Die Diskussionen um die Ästhetik der SprechkulturSprechkultur in der zweiten Hälfte des 18. und im 19. Jahrhundert betrafen sowohl das TheaterTheater als auch die RednerbühneRednerbühne. Was sich im ausklingenden 18. Jahrhundert hauptsächlich zu ändern begann, war, dass nun das laute DeklamierenDeklamieren, bei dem die Stimme jeder Natürlichkeit entbehrte, in Frage gestellt wurde. Diese Form des Sprechens war oft nur GeschreiGeschrei gewesen, von gekünstelter GestikGestik begleitet. Man wandte sich jetzt einem Sprechstil zu, der sich im Theater als Ausdruck des Dichters verstand. Es ging um Sprechkunst, die mehr Natürlichkeit und Lebensnähe verkörpern sollte, und die sich von der Rhetorik als purem Mittel zur Überredung abzuwenden suchte. Es entstanden rege Diskussionen über die Techniken des Vortrags im Theater, über die Unterscheidung des RezitierensRezitieren vom DeklamierenDeklamieren, über den Gebrauch der Stimme beim Sprechen und Singen.2

Der Österreicher und an bedeutenden deutschen Bühnen tätige Schauspieler Joseph Kainz (1858–1910) war wohl eine der Schlüsselfiguren für das TheaterTheater, dem eine absolut gekünstelte VortragsstimmeVortragsstimme zu eigen war, so dass Meyer-Kalkus (2001, S. 251–263) ihn als „Sprechsänger“ bezeichnet. Generationen von Schauspielern folgten seinem Vorbild des emphatisch-hysterischen Sprechstils, der extreme Tonhöhenbewegungen und gedehnte Akzentsetzungen aufwies, sodass sein Stil gern als „singend“ beschrieben wurde bzw. wird. Weiter ist Hermann Kolb zu nennen, der vormalige Rundfunkintendant während des NationalsozialismusNationalsozialismus und großer Bewunderer von Joseph Kainz. Er formulierte für das HörspielHörspiel Richtlinien und Grundsätze, die auf einen SprechausdruckSprechausdruck zielten, der die Einbildungskräfte stärken und die Öffnung von einem „inneren Vorstellungsraum“ schaffen sollte (Meyer-Kalkus, 2001, S. 370).3

Dem Schauspieler stellte sich die Figur des Redners gegenüber, dem Deklamieren das Rezitieren, wobei eine Reihe an Dichtern und Schriftstellern unbedingt zu nennen sind, denn sie haben einen entscheidenden Beitrag für den aufkommenden neuen Sprech- und RezitationsstilRezitationsstil geleistet, der bis in die NachkriegszeitNachkriegszeit den Rede- und Vortragstypus prägte: Ludwig Tieck, Wilhelm Jordan und Emil Palleske. Letzterer sei es laut Göttert (1998, S. 394) gewesen, der bei

der Frage der Anwendung der SprechkunstSprechkunst im Leben […] ausdrücklich auf Politik, Wissenschaft und Kirche“ verwiesen habe, also den Blick auf weitere Vortragssituationen lenkte, weg von der Bühne. Für Palleske war „übermäßige Lautheit […] ein Greuel, weil dann die Schönheit leide, die nur bei mittlerer Stimmmlage und mäßiger Anstrengung zustandekomme. (ebd.)

Die regen Diskussionen um SprechstilSprechstil, Rezitationsformen und Vortragskunst begünstigten in Deutschland die Entwicklung einer neuen wissenschaftlichen Disziplin. Um 1900 wurden an verschiedenen deutschen Universitäten die ersten Lektorate für SprecherziehungSprecherziehung eingerichtet, aus denen sich die späteren Institute herausbildeten. In diesen Lektoraten wurde „Vortragskunst, StimmbildungStimmbildung, Redekunst usw. auf wissenschaftlicher Grundlage kontinuierlich praktisch gelehrt“ (Pabst-Weinschenk, 2004, S. 254). Die Entwicklung der Disziplin zur eigenen Wissenschaft folgte dem Dreischritt in der Fachbezeichnung SprecherziehungSprecherziehung, SprechkundeSprechkunde und SprechwissenschaftSprechwissenschaft; Papst-Weinschenk spricht von „Lebensaltern“ (2004, S. 254). Das Standardwerk des Begründers Erich Drach, Sprecherziehung. Die Pflege des gesprochenen Wortes in der Schule (1922) gilt bis heute als Pflichtlektüre des Studiums der Sprechwissenschaft und Sprecherziehung.

Der NationalsozialismusNationalsozialismus setzte dem Fach Sprecherziehung in der Hinsicht zu, dass er die SprechkunstSprechkunst bzw. Wortkunst in seine Dienste stellte. „Aber man kann auch deutliche Unterschiede zwischen einzelnen Fachvertretern, Distanzierungsversuche und Widersprüche erkennen“ (Pabst-Weinschenk, 2004, S. 256). Ewald Geißler postulierte etwa in den 1930er Jahren die WortkunstWortkunst als Rassepflicht, stellte sie in die Pflicht der Verherrlichung Hitlers und des Nationalsozialismus. „Geißlers ‚kreuzzug‘ gegen den ‚sprachverfall‘ entwickelt im laufe der jahre immer fanatischere züge, bis schließlich aus der sprachpflege eine rassenpflicht wird“4 (Roß, 1994, S. 37).

Nach dem Krieg waren es die Fachvertreter Fritz Schweinsberg, Christian Winkler und Maximilian Weller, die die Sprecherziehung wieder belebten und an die Errungenschaften vor der dunklen Zeit des NationalsozialismusNationalsozialismus erinnerten.5 Dem manierierten SprechduktusSprechduktus während des Dritten Reichs folgte also Zurückhaltung und Rückbesinnung. Im Gegensatz zum jahrelang vertrauten emotional-pathetischen, stimmlich eher überhöhten Sprech-HabitusSprech-Habitus der NS-Zeit zeichnete sich nun eine neue Ästhetik der Stimme und SprechweiseÄsthetikder Stimme und Sprechweise durch ruhigen Ton und sparsame Akzente aus. Epping-Jäger (2015a, S. 86) spricht von einem „Pathos der Nüchternheit“ und davon, dass die Rede- und Stimmordnungen „nicht nur im Raum öffentlicher, sondern auch in dem semi-öffentlicher Kommunikation tief greifend irritiert waren.“

Der marktschreierische Stil der alten VortragsformateVortragsformate wich einem natürlicherem, gepflegtem SprechausdruckSprechausdruck, der von Krech (1991, S. 218) auch als „sachlich unterkühlte sprecherische Wiedergabe“ beschrieben wird, wenn auch Spuren des salbungsvollen SprechduktusSprechduktus noch einige Zeit nach dem Krieg zu erkennen waren. So wurde die Vortragskunst im Rahmen der Sprecherziehung neu bewertet und eine Reihe an deutschen Sprechwissenschaftlern befasste sich in den ersten Nachkriegs-Jahrzehnten des Faches mit StilgeschichteStilgeschichte und der Kunst des Sprechens bzw. Vortragens. Heute ist die SprechkunstSprechkunst, oder Ästhetische KommunikationKommunikationästhetische, Studien- und Prüfungsfach eines Studiums in Sprechwissenschaft und SprecherziehungSprecherziehung.6

3.2 Fragen der Stimm- und Sprechästhetik
3.2.1 Sprechprofile im Hörfunk

Die StudiotechnikStudiotechnik gab und gibt bestimmte Bedingungen vor, so dass man sagen kann, die SprechweiseSprechweise habe sich der Technik im Laufe der Zeit angepasst bzw. anpassen müssen. Die unter 3.1 skizzierten Vortragsformate sind in den Sprechprofilen im Hörfunk wiederzuerkennen. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts galt als Richtlinie im Aufnahmestudio, maximale DeutlichkeitDeutlichkeit bei großer ArtikulationsschärfeArtikulationsschärfe zu erzielen. Dieses damals ungeschriebene Gesetz ruft im heutigen Hörer den Eindruck von Unnatürlichkeit und gekünsteltem, alltagsfernen KommunikationsstilKommunikationsstil hervor. Trotz der schon fortschrittlichen RadiotechnikRadio-technik sah die Realität in den Studios im Nachkriegsdeutschland noch immer dürftig aus; so galt in den 1950er Jahren aufgrund der einkanaligen Aufnahmetechnik immer noch das Prinzip, bei der Aufnahme im Tonstudio sämtliche Störgeräusche abzuschotten, um die Sprecher in größtmöglicher Deutlichkeit wahrnehmen zu können. Der „hier verwendete SprechgestusSprechgestus dürfte also im Streben nach maximaler Deutlichkeit von großer artikulatorischer Präzision, relativ hoher Sprechspannung und eher geringer Geschwindigkeit geprägt gewesen sein“ (Runkehl, 2012, S. 278).

Im Hörfunk kann man zwei grundlegend unterschiedliche Ausdrucksarten in der ersten Hälfte und noch in der Mitte des 20. Jahrhunderts unterscheiden. Die eine hat ihre Ursprünge in der politischen RedeRede, politische und PropagandaPropaganda, die andere in der Literatur und im HörspielHörspiel. Was erstere betrifft, so bezeichnet Göttert (1998, S. 448) die Rhetorik, die in der Tradition des NationalsozialismusNationalsozialismus stand, schlichtweg als „[e]xaltierte Gestik und Geschrei“; dieser Stil charakterisierte die Redetechnik trotz des Einsatzes von MikrofonMikrofon und Lautsprecher noch über Jahre hinaus und zwar nicht nur die politische Rede, sondern den Sprechstil generell, auch im Radio und in der Radiowerbung. Der Glaube, dass „das Vertreten einer Meinung an Auftreten gebunden“ sei, habe in Deutschland nicht zuletzt dazu beigetragen, dass man die Lernprozesse und Fortschritte, „die man im Ausland mit dem neuen Medium machen konnte, in Deutschland aber dank des nationalsozialistischen Mißbrauchs verpaßt hatte“ (Göttert, 1998, S. 453).

Der in dieser Tradition stehende Sprechstil zeichnete sich folglich durch weite Melodiespektren, willkürliche Pausengestaltung und extremes Artikulieren aus. Trotz der Gegenbewegungen nach dem Krieg ist die Mode von damals noch in den 1950er und bis in die 1960er Jahre spürbar:

Das Sprechen unter Hochdruck, das in Schreien mündet, die dynamisch gespannten SprechmelodieSprechmelodien, das mit der Zungenspitze gerollte R – dieser expressive Sprechstil klingt heute allerdings wie falsches Pathos, wie übersteigerter „Schillerton“. Vor allem wegen seines politischen Mißbrauchs durch die Nazi-Rhetorik sind wir dagegen allergisch geworden. Eine „sparsamere, verhaltenere Sprechweise“, die Züge privaten Sprechstils kultiviert, ist seit den 60er Jahren an seine Stelle getreten, im Theater wie im öffentlichen Leben. (Meyer-Kalkus, 2001, S. 261–262)

Wie anhand der exemplarischen Untersuchungen der HF-Werbespots in Kapitel 5 zu sehen sein wird, ist die hier angesprochene pathetische Sprechweise noch in den 1950er Jahren anzutreffen,1 wenngleich wir hier von einem „Transitraum zwischen 1945 und 1952“ sprechen können, in der „die Reedukationspolitik der Westalliierten – viel mehr, als es auf den ersten Blick den Anschein haben mag, – Medienpolitik [betraf]“ (Epping-Jäger, 2015b, S. 63). So trugen die in Ost und West eingerichteten RundfunkschulenRundfunk-schulen zur Etablierung einer neuen Stimmkultur bei; sie verfolgten das Ziel, sich möglichst deutlich von den emotional-affektiven Stimmführungen der NS-Zeit abzusetzen und „Stimmgesten zu vermeiden, die für die NS-StimmkulturNS-Stimmkultur charakteristisch gewesen sind“ (Epping-Jäger, 2015a, S. 78).

Nicht nur die Abkehr des Sprechstils der NS-Vergangenheit und folglich das „Bedürfnis nach Einfachheit, Natürlichkeit und Echtheit [und die] Reaktion auf das Hohl-Pathetische der vorangegangenen Zeit“ (Krech, 1991, S. 217–218), auch die Technik im Rundfunk und Fernsehen begünstigte dank Mikrofon und Lautsprecher eine Rückbesinnung auf stillere Töne, auf mehr Aufmerksamkeit auf die Stimme und eine Hinwendung zum literarischen Werk. Das kennzeichnet die zweite Ausdrucksart, die sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Gegenbewegung auf den pathetischen Sprechstil ausbreitete.

So gab es auch im Rundfunk schon in den 1920er und frühen 1930er Jahren – beeinflusst durch die ReformpädagogikReformpädagogik – Gegenbewegungen, die sich von der politischen PropagandaredePropaganda-rede distanzierten und sich vielmehr mit literarischen Sendungen befassten, wie beispielsweise dem HörspielHörspiel. Damals setzten sich vor allem die Schriftsteller und Autoren selbst für einen neuen Duktus am Radio-Mikrofon ein, einer „neuen StimmästhetikStimmästhetik fürs Sprechen vor dem Mikrophon“ und forderten einen veränderten Gebrauch der Stimme.2

Ein Verteidiger dieses „anderen“ Sprechstils sei beispielhaft hervorgehoben. Rudolf ArnheimArnheim gilt als Vertreter der GestalttheorieGestalttheorie und unterstrich in den Jahren um 1930 die Zusammengehörigkeit von Sprechkunst und Hörkunst.3 Diese Auffassung vertrat er mit absoluter Konsequenz bis zur Auffassung, Radio müsse blind gehört werden, um die „absolute“ HörkunstHörkunst zu erleben, in der die Stimmen als reine Funktionsträger fungierten. In seinen Ausführungen der 1930er Jahre gab er klare Vorschläge für das Sprechen im Hörfunk, wobei er sich der für den Gesang üblichen Bezeichnungen bediente (Bass, Bariton, Tenor, Sopran, Alt) und auf die Begrifflichkeit der Vokalcharaktere/des Vokalcharakters von Instrumenten zurückgriff. Die Wirkungen beliebter Redner und Vortragender würden „nicht so sehr durch das, was sie sagen, als durch den zu Herzen gehenden Ton, in dem sie es sagen, zünden“ (Arnheim, 1933; publiziert in 2001, S. 50).

Seine Ausführungen fanden nach dem Krieg in der Gruppe 47 eine Fortführung und sind bis heute bedeutend, da Arnheims Gedanken für die Werbung schon damals wesentliche Grundsätze erkannte: Im Hörfunk werde der HörsinnHörsinn angesprochen, der alle anderen Sinne aktivieren könne, wenn die mit diesem Medium zur Verfügung stehenden Mittel Stimme, Musik und Geräusche richtig eingesetzt würden. So würde eine sanfte Stimme und entsprechend ruhige Musik beim Anpreisen eines Weichspülers sozusagen den Tastsinn aktivieren, sodass man den weichen Pullover förmlich fühlen könne. „Klangäußerungen unserer Welt [sind] so mannigfaltig, daß man durchaus von einem akustischen Weltbild sprechen kann“ (Arnheim, 1933; publiziert in 2001, S. 19).

Arnheim beschrieb technische Kunstgriffe der RundfunkdramaturgieRundfunk-dramaturgie, die zwar heute durch die Stereotechnik überholt sind, die damals jedoch als fortschrittlich galten und die tonästhetischen Möglichkeiten des Radios absteckten: Effekte des Raumhalls und der Raumwirkung, des Nebeneinanders und des Nacheinanders, Richtung, Abstand, Bewegung, Raum, Klangqualität oder auch der Einsatz von Geräuschmotiven zur Kennzeichnung von Menschen.4

Chorsprechen oder der Einsatz von Reimen, also eher konzeptionell schriftlicheSchriftlichkeit, konzeptionelle Formen von Werbetexten, waren typische „Modeerscheinungen“ der 1950er, 1960er und teilweise auch der 1970er Jahre (vgl. Kap. 5.4.2.2) und ein beliebtes Mittel, um die Aufmerksamkeit zu wecken, den Produktnamen und die Werbebotschaft im Gedächtnis zu verankern.5

Gereimtes ist auffällig, verleiht den so ausgedrückten Inhalten Nachdruck und bleibt tendenziell lange im Gedächtnis haften. Aus diesem Grunde haben Sprichwörter, Merkverse, volkstümliche Wetterregeln und eben auch Werbesprüche oft eine gereimte Form. […] [D]ie mit einem gereimten Werbespruch oder Werbelied ausgedrückte Wertebotschaft wird dank der Reimform hervorgehoben, prägt sich leicht ein und gewinnt – vor allem bei attraktiven Werbeliedern – eher die Sympathie der Rezipienten. (Golonka, 2009, S. 226)

Die stimmlich-sprecherische Wirkung von Reimen (vor allem Endreimen) und Chorsprechen bedeutet jedoch eine Abnahme an Natürlichkeit, die vielleicht zur Zeit der Ausstrahlung der Werbespots der 1950er bis 1970er Jahre gar nicht das primäre Ziel war. Dass es die Sympathiewirkung weniger nachteilig, vielleicht sogar positiv beeinflusst, zeigen auch die Ergebnisse der Online-Befragung (Kapitel 5.5.4.1). Ab der Digitalisierung in den Hörfunkstudios (seit den 1980er Jahren) nahm diese Form der WerbekommunikationWerbekommunikation drastisch ab.

Einen großen Einfluss auf Stimm- und Sprechstile im Hörfunk in der Mitte des vorigen Jahrhunderts hatte auch die Übertragungstechnik (siehe 2.1.1). Vor und während des Zweiten WeltkriegsWeltkrieg, Zweiter war über Amplitudenmodulation (AM) auf Mittelwelle übertragen worden, was Einschränkungen im Frequenzspektrum bedeutete und die Tradition des „rufenden Sprechgestus“ mitbedingte, der in Spuren erhalten blieb, auch als ab Ende der 1940er Jahre und bis in die 1960er die UKW-Sender implementiert wurden. Es war „ein Gestus […], der auf Deutlichkeit, eher langsamem Tempo, eher hoher Stimmfrequenz und hoher Sprechspannung basiert[e]“ (Falk, 2019, S. 43).

Mit der UKWUKW-Übertragung wurden Frequenzmodulationen auch in den höheren Tonfrequenzen6 möglich und gingen mit einer Reduzierung der Grund- und Hintergrundgeräusche einher. Allein in Bezug auf die VerständlichkeitVerständlichkeit des Gesprochenen waren überdeutliche Artikulation und Sprechspannung nicht mehr nötig. Diese Voraussetzungen erklären die Tatsache, dass Stimme und SprechweiseStimmeund Sprechweise im Hörfunk ab den 1960er Jahren eine Art Modernisierung nicht nur technischer Art, sondern auch vom Sprechgestus her erfuhren, der in den 1980er Jahren noch deutlicher zutage trat.

Auch der Wandel in den Hörgewohnheiten der Menschen (vgl. 2.1.2) wirkte sich auf den Sprechstil aus: Radiohören wurde immer mehr zum „Nebenbei-Hören“ während anderer Tätigkeiten und forderte mehr Alltagsnähe in der Sprache der Moderation und der Werbung. Neue Technologien (wie Verkehrsrundfunk und Satellitenrundfunk) trugen schließlich seit den 1970er Jahren dazu bei, dass das Repertoire um weitere Sprechprofile ergänzt wurde; sie führten schließlich auch zu neuen Programmangeboten, die

[…] neue Texttypen in den Hörfunk brachten (z.B. Staubericht, Ratgebersendungen, Verbraucherhinweise), teilweise aber auch durch den Trend zu Aktualisierung, Typisierung, Personalisierung und Spezialisierung zu einer immer wieder kritisierten „Entwortung“ und Oberflächlichkeit des Mediums führten. (Fluck, 2002, S. 2074)

Die Veränderung zum heute eher „natürlich“ anmutenden Sprechstil7 auch im Rundfunk wird also zu einem Großteil der moderneren Studiosituation und der technischen Entwicklung zugeschrieben (z.B. der verbesserten Möglichkeiten der KlangmanipulationKlang-manipulation), die einen veränderten Gebrauch der Stimme ermöglicht. Das war mit Sicherheit ab der Digitaltechnik Ende der 1980er bzw. Mitte der 1990er Jahre der Fall.

Ein wirklich ‚alltagsnahes‘ Sprechen mit verhältnismäßig niedriger ArtikulationspräzisionArtikulationspräzision, höherer SprechgeschwindigkeitSprechgeschwindigkeit und durch Nachbearbeitung größerer subjektiver Lautheit, ohne dass diese vom Sprecher durch höhere SprechspannungSprechspannung hervorgerufen werden muss, könnte im Radio also erst mit Etablierung der Digitaltechnik möglich geworden sein. (Gutenberg, 2005)

Wie die Stimme und Sprechweise in den Spots aus den 1950er, 1960er und 1970er Jahren auf die heutigen Hörer wirkt (vor allem im Hinblick auf die wahrgenommene Sprechstimmlage, die Akzentuierung und Artikulationsschärfe), wird in der empirischen Studie eruiert und diskutiert (Kap. 5).